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Ein Raumschiff auf Irrfahrt, ein Verräter an Bord, ein Feind in den Tiefen des Alls
Die Besatzung der Aurora, des Flaggschiffs der vereinten Raumflotte, ist vom Kurs abgekommen. Captain Nathan Scott, jung und unerfahren, fällt die Aufgabe zu, die Menschen sicher zurück zur Erde zu bringen. Doch die Ortungsinstrumente sind ausgefallen, und den Captain beschleicht der furchtbare Verdacht, dass sie längst entdeckt worden sein könnten – und jede Begegnung im All kann tödlich enden. Als Scott denkt, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, wird er auf einen Verräter in den eigenen Reihen aufmerksam …
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Seitenzahl: 337
Das Buch
Die Besatzung der Aurora, des Flaggschiffs der vereinten Raumflotte, ist vom Kurs abgekommen und im Sternsystem Haven gestrandet. Captain Nathan Scott, jung und unerfahren, fällt die Aufgabe zu, die Menschen sicher zurück zur Erde zu bringen. Doch die Ortungsinstrumente sind ausgefallen, und den Captain beschleicht der furchtbare Verdacht, dass sie längst entdeckt worden sein könnten – und jede Begegnung im All kann tödlich enden. Als Scott denkt, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, wird er auf einen Verräter in den eigenen Reihen aufmerksam, der die Aurora als Kriegsbeute in einem Aufstand im Haven-System verschachern will. Nathan Scott und seine Crew tun alles, um die Aurora, die letzte Hoffnung der Menschheit, zu retten …
Ryk Browns erfolgreiche Frontier-Saga erzählt die Abenteuer des Raumschiffs Aurora und seiner Crew:
Band 1: Der Flug der Aurora
Band 2: Unter fremden Sternen
Band 3: Die Corinair-Legende
Der Autor
Ryk Brown, Jahrgang 1960, ist mit NASA-TV-Übertragungen und Science-Fiction-Serien aufgewachsen und hat bereits in unzähligen Jobs gearbeitet. Zurzeit geht er tagsüber einer Arbeit in der Computerbranche nach, um des Nachts schreiben zu können. Mit seiner Frontier-Saga hat er in den USA einen E-Book-Hit gelandet. Ryk Brown lebt mit seiner Familie in Kalifornien.
RYK BROWN
DIE
CORINAIR
LEGENDE
DIE FRONTIER-SAGA 3
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
THE FRONTIERS SAGA EPISODE 3:THE LEGEND OF CORINAIR
Deutsche Übersetzung von Norbert Stöbe
Deutsche Erstausgabe 04/2015
Redaktion: Werner Bauer
Copyright © 2012 by Ryk Brown
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
E-Book-Umsetzung: Schaber Datentechnik, Wels
ISBN: 978-3-641-13185-2
www.diezukunft.de
1
Nach der Auseinandersetzung mit dem Kriegsschiff der Ta’Akar war die Stimmung auf der Brücke angespannt. Zwar waren sie inzwischen gut dreißig Lichtminuten von der letzten bekannten Position des Kriegsschiffs entfernt, doch konnte man nicht ausschließen, dass der Gegner sie ortete und ihnen hinterherflog.
Deswegen brachte Abby die Berechnungen für einen Fluchtsprung alle paar Minuten auf den neuesten Stand. Während des Ernteeinsatzes hatte sie einen Algorithmus geschrieben, der es ihr erlaubte, die Transitionsparameter mühelos upzudaten und die Sprungbedingungen je nach Kurs und Fluggeschwindigkeit anzupassen. Die Genauigkeit ließ freilich noch zu wünschen übrig – die Zeit hatte nicht ausgereicht, um die Ergebnisse zu überprüfen –, doch da der Fluchtsprung in den leeren Raum führen sollte, stellten die möglichen Abweichungen bei diesen relativ kurzen Distanzen nur ein geringes Risiko dar. Sie hätte eine höhere Genauigkeit bei den Berechnungen vorgezogen, doch in ihrer gegenwärtigen Lage war Schnelligkeit wichtiger als Präzision. Als Wissenschaftlerin war ihr das schwergefallen, schließlich erforderten Superluminal-Transitionen exakte Berechnungen. Aber als Ehefrau und Mutter, die sich nichts sehnlicher wünschte, als zu ihrer Familie zurückzukehren, hatte sie ihre Bedenken hintangestellt.
Tug und Jalea kamen aus dem Bereitschaftsraum des Captains und wollten gerade die Brücke verlassen, als Nathan hinter ihnen aus der Tür trat.
»Vielleicht sollten Sie sich das noch ansehen«, sagte er zu Tug. »Abby«, rief er, als er den hinteren Bereich der Brücke betrat, »Commander Taylor hat gemeint, wir wären bereit, an eine sicherere Position außerhalb des Systems zu springen?«
»Ja, Captain. An die gleiche Position, an der wir ursprünglich aufgetaucht sind, plus/minus ein paar Hundert Kilometer.«
»Ausgezeichnet. Fertig machen zum Sprung«, befahl er und machte Jessica Platz, die sich an die Konsole der Feuerleitstelle setzte.
»Soll ich das Hauptdisplay ausschalten?«, fragte Cameron, als sie an der Steuerkonsole Platz nahm.
Nathan musterte Tug, der zu ihm herüberkam. »Lass ihn an«, sagte er mit einem leichten Grinsen.
Cameron schaute verwirrt drein. »Sir?«
Nathan gab ihr keine Antwort, sondern wandte sich an Tug. »Das ist eine grafische Darstellung des Systems«, erklärte er und zeigte auf das Hauptdisplay in der Mitte der Konsole. »Das hier ist unsere momentane Position – ungefähr dreißig Lichtminuten von Safe Haven entfernt.« Nathan fuhr auf dem Display mit dem Finger nach rechts, fast bis an den Rand der Schemadarstellung, dann tippte er zweimal auf die Stelle, um sie zu vergrößern. »Der Zielpunkt liegt etwa zwei Lichttage vom System entfernt.«
Tug schaute aufmerksam aufs Display und machte sich mit der Darstellung vertraut. »Verstehe. Und der Positionswechsel erfolgt ohne Zeitverlust?« Die Skepsis stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Ja, ich weiß. Ich habe das jetzt schon sechsmal erlebt und kann es immer noch nicht recht glauben.« Nathan wandte sich an Abby, die an der Steuerbordseite der Brücke vor der Sprungkonsole saß. »Doktor Sorenson, wenn Sie so freundlich wären …«
»Sprung wird ausgeführt«, erwiderte sie gelassen.
»Sie sollten vielleicht besser Ihre Augen bedecken«, sagte Nathan zu Tug.
Tug hörte nicht auf ihn, denn er wollte den Vorgang beobachten. Er schaute auf den Großbildschirm, der die gesamte vordere Hälfte der Brücke einnahm und bis über die Steuerkonsole und die Kommandosessel reichte, die sich unmittelbar vor ihnen befanden. Kaum hatte die Physikerin den Sprung eingeleitet, sandten die am Schiffsrumpf montierten Emitter ein blassblaues Leuchten aus. Es tanzte über die Außenhülle, als versuchten die einzelnen Lichtinseln sich miteinander zu verbinden. Als sie sich berührten, wurde das Leuchten intensiver, dann blitzte es. Nachdem die gleißende Lichtflut verebbt war, hatten sich die Sterne kaum merklich verlagert.
In seinem Gesichtsfeld schwammen lauter blassblaue Flecken, deshalb rieb Tug sich die Augen. Er blinzelte mehrmals, kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf, als wollte er Fremdkörper unter den Lidern entfernen. Die meisten Betrachter hätten auf dem Display keine Veränderung wahrgenommen. Einem Mann, der zahllose Male in einem kleinen Kampfraumer geflogen war, entging jedoch nicht einmal die kleinste Veränderung.
Er murmelte etwas in seiner Muttersprache. Nathan konnte den Sinn seiner Worte nur erahnen: »O mein Gott« oder »Heilige Scheiße«. Eins von beidem musste es sein. Tug sah auf das Display der Leitstelle nieder und suchte das Symbol, das ihre neue Position markierte. Nathan hatte nicht zu viel versprochen – sie waren zwei Lichttage vom Havensystem entfernt. »Unglaublich«, sagte er auf Angla. Er drehte sich zu Nathan um. »Völlig unglaublich. Kein Wunder, dass die Ta’Akar es auf Ihr Schiff abgesehen haben.«
»Danke, dass Sie mich daran erinnert haben«, meinte Nathan. Mit seiner Bemerkung hatte Tug den Bann gebrochen und Nathans Aufmerksamkeit wieder auf die anstehenden Probleme gelenkt. »Kaylah, irgendwelche Ortungen?«
»Nein, Sir«, antwortete der Fähnrich von der an der linken Seite befindlichen Ortungskonsole aus. »Das Gebiet ist leer. In der Sichtanzeige sieht es so aus, als wären wir noch gar nicht im System aufgetaucht.«
»Hä?« Nathan verstand durchaus, was sie meinte; sein Erstaunen rührte daher, dass er nicht damit gerechnet hatte.
»Das Licht ist zwei Tage alt«, erklärte Cameron. »Es dauert eine Weile, bis es hier angelangt ist.«
»Okay«, sagte Nathan.
Tug hatte es ebenfalls verstanden und überschlug in Gedanken bereits die sich daraus ergebenden Möglichkeiten. »Captain, ist Ihnen bewusst, welche taktischen Vorteile diese Technologie mit sich bringt? Man kann den Gegner damit nicht nur überraschen, sondern sich auch wieder zurückziehen, bevor Verstärkung eintrifft. Und dann erst die Möglichkeiten, die sich für die Aufklärung ergeben …«
»Wir dürfen nichts überstürzen«, warnte Nathan. »Wir haben noch nichts versprochen. Im Moment sondieren wir lediglich die Optionen.«
»Aber, Captain …«
»Der Antrieb ist bloß ein experimenteller Prototyp. Er hat noch eine Menge Schwächen. Und bislang wissen wir kaum über seine tatsächlichen Möglichkeiten Bescheid. Also eins nach dem anderen, okay?«
Augenblicklich fasste Tug sich wieder. »Selbstverständlich, Captain.«
»Wie wär’s«, fuhr Nathan fort, »wenn Sie dem Rest Ihrer Familie in der Zwischenzeit bei der Eingewöhnung helfen würden? Es war ein schwieriger Tag.«
Tug ließ den Blick durch die Brücke schweifen, dann betrachtete er wieder die Sterne. »Erstaunlich«, murmelte er kopfschüttelnd. Dann nickte er Nathan zu und wandte sich zum Ausgang. »Falls Sie mich brauchen, Captain, stehe ich zu Ihrer Verfügung.«
»Danke.«
Tug ging zur Rückseite der Brücke und trat zusammen mit Jalea auf den Flur. Sie unterhielten sich angeregt über den Vorgang, dessen Zeuge Tug soeben geworden war. Nathan schaute beiden nach. Unwillkürlich überlegte er, ob es für den Fall, dass ihr Aufenthalt in dieser Raumregion länger währen sollte, nicht vielleicht angebracht wäre, ihre Sprache zu erlernen.
Cameron erhob sich von der Steuerkonsole und betrat die obere Ebene, die die hintere Hälfte der Brücke einnahm. »Wie geht es jetzt weiter?«
»Wir brauchen noch immer einen sicheren Ort, an dem wir Reparaturen durchführen können.«
»Und zwar möglichst sicherer als Safe Haven«, erwiderte Cameron mit einem Anflug von Sarkasmus.
»Hey, immerhin haben wir Molo gebunkert«, gab Nathan zurück.
»Ja, und einen Haufen Steine«, setzte Cameron hinzu. »Da fällt mir was ein: Was willst du mit den Arbeitern machen, die bei uns an Bord gestrandet sind?«
Nathans Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass er über dieses Problem noch nicht nachgedacht hatte. »Das weiß ich nicht. Ich sollte wohl mal mit ihnen reden.« Er wandte sich an Jessica. »Wärst du so nett, ihnen mitzuteilen, dass sie sich alle in einer halben Stunde im Besprechungsraum einfinden sollen?«
»Wird erledigt«, sagte Jessica und machte sich auf den Weg.
»Was glaubst du, wie lange wir hier werden bleiben können?«, wollte Cameron wissen.
»Ein Tag müsste drin sein«, antwortete Nathan. »Aber ich glaube, je eher wir ein paar Lichtjahre zwischen uns und Safe Haven legen, desto besser.«
Nathan und Jessica betraten den großen Besprechungsraum, der sich auf dem Deck unter der Kommandozentrale befand. Die in fünf Reihen angeordneten Stühle boten bis zu fünfzig Personen Platz, doch im Vergleich zu der Einsatzbesprechung, die hier vor fast einem Monat stattgefunden hatte, wirkte er nahezu leer. Nur eine Handvoll Fremde waren zugegen – genau genommen Aliens –, die ohne jede Aussicht auf Rückkehr in ihre Heimat an Bord gestrandet waren.
Josh und Loki saßen ganz hinten und hatten die Beine über die Rückenlehnen der vor ihnen stehenden Stühle gelegt. Die beiden Piloten des inzwischen havarierten Harvesters, der noch immer auf dem Flugdeck der Aurora lag, waren trotz allem, was sie in den vergangenen Stunden durchgemacht hatten, anscheinend bester Stimmung. Neben ihnen saß Marcus, der Vorarbeiter der Ernte-Crew. Er fand die Situation anscheinend weit weniger unterhaltsam.
Die anderen, drei Männer und zwei Frauen, hielten sich ein Stück abseits. Das waren die Zeitarbeiter des Ernteteams, das Tobin bei ihrem kurzen Aufenthalt im Havensystem angeheuert hatte. Anscheinend hatten sie wenig Lust, sich mit der Technik-Crew ihres gemeinsamen Auftraggebers gemein zu machen. Sie machten einen niedergeschlagenen, mitgenommenen Eindruck, denn sie hatten einen harten Arbeitstag hinter sich und hatten mit ansehen müssen, wie ihre Kollegen beim Kaperversuch der Ta’Akar ums Leben gekommen waren. Einige von ihnen waren sogar noch mit dem Blut derer bespritzt, die bei dem Gemetzel umgekommen waren.
Nathan trat aufs Podium. Er nahm neben dem Pult Aufstellung anstatt dahinter, auf eine Stimmverstärkung verzichtete er. Es gab mindestens ein halbes Dutzend Lautsprecher im Raum, aber Nathan hielt eine persönliche Ansprache für angemessener. Im Nachhinein bedauerte er, dass er das Treffen nicht im Besprechungsraum der Kommandozentrale anberaumt hatte, denn der wäre besser geeignet gewesen.
»Guten Abend allerseits. Für diejenigen, die mich nicht kennen: Mein Name ist Nathan Scott, und ich bin der Captain dieses Raumschiffs. Zunächst möchte ich denen, die bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen Familienangehörige oder Freunde verloren haben, mein Beileid aussprechen. Wenn ich etwas für Sie tun kann, zögern Sie nicht, sich an mich zu wenden.«
»Können Sie uns nach Hause bringen?«, fragte einer der Männer.
»Das hängt davon ab, was Sie als Zuhause bezeichnen«, entgegnete Nathan.
»Safe Haven natürlich«, sagte der Mann.
Marcus schüttelte den Kopf und verzog missbilligend sein wettergegerbtes Gesicht. »Safe Haven ist niemandes Zuhause. Es sei denn, er hat einen Sprung in der Schüssel«, scherzte er.
»Man hat mir gesagt, die meisten von Ihnen wären gegen ihren Willen zur Arbeit verpflichtet worden.«
»Das stimmt so nicht, Captain«, widersprach der Mann. »Wir haben uns den Ort nicht ausgesucht, sondern wurden per Gerichtsbeschluss gezwungen, unsere Schulden abzuarbeiten. Aber die Alternative war, entweder Zwangsarbeit oder Knast.«
Nathan war perplex. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Arbeiter zum Havenmond würden zurückkehren wollen.
»Sie können uns doch wieder hinbringen, oder nicht?«, fragte der Mann.
»Nun ja, ich denke schon. Allerdings könnte ich Ihnen keine sichere Landung auf dem Mond garantieren.« Nathan fühlte alle Blicke auf sich ruhen. »In dem Gebiet hält sich noch immer ein Kriegsschiff der Ta’Akar auf. Das heißt, wir nehmen das an. Die Bilder, die wir von hier aus empfangen, sind zwei Tage alt.«
»Verzeihung?«, sagte Josh, der bis jetzt geschwiegen hatte. Nathan entnahm den Mienen der anderen, dass er für alle sprechen würde. »Was soll das heißen, zwei Tage alt?«
»Dass wir gegenwärtig zwei Lichttage von Safe Haven entfernt sind.«
»Was?«, rief Marcus. »Das ist ausgeschlossen. Ich habe nicht mitbekommen, dass wir auf ÜLG gegangen wären. Und wenn doch, können wir unmöglich so weit geflogen sein. Mann, die Schießerei hat doch erst vor einer Stunde aufgehört.«
Das Gespräch nahm eine andere Wendung, als Nathan erwartet hatte. Josh und Marcus schlugen, möglicherweise unbeabsichtigt, einen vorwurfsvollen Ton an.
»Ist alles ein wenig kompliziert«, fuhr Nathan fort, in der Hoffnung, das Thema zu umschiffen. Leider konnte er den Mienen der Zuhörer entnehmen, dass sie sich nicht so leicht würden abspeisen lassen. Und zu allem Überfluss hatte es den Anschein, als wollten sich die Arbeiter, die bis vor Kurzem andere Interessen als ihre Vorgesetzten verfolgt hatten, mit ihnen zusammentun. Nathan blickte Jessica an, in der Hoffnung, ihr werde es gelingen, die Gruppe zu beschwichtigen.
»Wir können es ihnen ebenso gut sagen«, meinte sie. »Früher oder später kommen sie ja doch dahinter.«
»Also«, setzte Nathan an, »wir verfügen über eine Technologie, die wir als Sprungantrieb bezeichnen. Der erlaubt es uns, ohne Zeitverlust an einen anderen Ort zu springen. Dabei können wir eine Distanz von bis zu zehn Lichtjahren überwinden.« Alle schwiegen. Da er nicht wusste, wie er fortfahren sollte, stellte Nathan mit den Händen bildlich dar, wie ein Schiff von links nach rechts sprang.
»Das ist Quatsch«, sagte Marcus nach einer Weile.
Joshs Reaktion fiel gänzlich anders aus. »Gott verdamm’ mich!«, entfuhr es ihm.
»Weshalb sind wir dann nur zwei Lichttage vom System entfernt?«, fragte Loki.
»Ehrlich gesagt, wollten wir nur Zeit gewinnen, bis wir unser weiteres Vorgehen festgelegt haben«, gestand Nathan. Die Zuhörer konnten seiner Logik offenbar nicht folgen. »Wir sind nämlich nicht von hier.«
»Hört, hört«, meinte Josh kichernd.
Marcus musterte Nathan argwöhnisch. »Woher kommen Sie?«
»Also, von ziemlich weit her.« Nathan holte tief Luft. »Genau genommen stammen wir aus dem Solsystem. Von einem Planeten namens Erde.«
Eben noch hatten die Zuhörer skeptisch gewirkt, jetzt zeichnete sich Bestürzung in ihren Mienen ab. »Von der Erde? Selbst wenn es sie gäbe, wäre sie dann nicht um die hunderttausend Lichtjahre entfernt? Sie haben gesagt, mit Ihrem Antrieb könnten Sie zehn Lichtjahre am Stück zurücklegen. Haben Sie dann etwa tausend Sprünge durchgeführt, bis Sie Safe Haven erreicht hatten?« Marcus lachte. Die Sache mit dem Sprungantrieb und der Erde kam ihm unglaubwürdig vor.
»Wie wir hierherkamen, das ist eine andere Geschichte. Die tut im Moment nichts zur Sache.«
»Captain«, warf einer der Arbeiter ein, »wenn Sie hierher gesprungen sind, weshalb springen Sie dann nicht einfach zurück und lassen uns von Bord gehen?«
»Ich kehre auf keinen Fall nach Safe Haven zurück«, erklärte Marcus. »Sie können mich absetzen, wo Sie wollen, nur nicht auf diesem Felsbrocken.«
»Sie waren freiwillig dort«, höhnte einer der Männer, der inzwischen anscheinend keine Angst mehr hatte, sich den Zorn des mürrischen Vorarbeiters zuzuziehen. »Ich war dort wegen des Geldes«, entgegnete Marcus. »Übrigens war die Bezahlung richtig gut. Aber was glaubt ihr wohl, wen der Chef nach dem heutigen Tag für den Verlust des Harvesters und der halben Crew verantwortlich machen wird?« Marcus schüttelte trotzig den Kopf. »Also, ich kehre auf keinen Fall dorthin zurück. Ausgeschlossen. Und ihr wärt gut beraten, euch mir anzuschließen.«
»Ja, wir könnten zurückspringen und Sie von Bord gehen lassen«, sagte Nathan, der beschlossen hatte, Marcus vorübergehend nicht zu beachten. »Aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass die Ta’Akar Ihnen freien Abzug gewähren. Ehrlich gesagt, bezweifle ich das.«
»Und warum ist das so, Captain?«, fragte Marcus herausfordernd. Er erhob sich, um seiner Frage Nachdruck zu verleihen.
Die an der Wand lehnende Jessica straffte sich, denn sie spürte die wachsende Anspannung. Sie trat einen Schritt vor und machte Marcus mit ihrer Körperhaltung klar, dass sie ihn notfalls in die Schranken weisen würde. Als Nathan gerade zu einer Erwiderung ansetzte, kamen Tug und Jalea herein.
»Wegen mir«, sagte Tug in herrischem Ton.
»Und wer zum Teufel sind Sie?«, fragte Marcus, drehte sich um und funkelte Tug und Jalea an.
»Ich bin der Anführer der Karuzari.«
»Der Terroristen?«
»Das sind keine Terroristen, Marcus«, sagte Josh und verdrehte die Augen. »Das sind Freiheitskämpfer.«
»Ist mir egal, wie du die nennst, Mann. Ärger machen sie so oder so. Ich will keinen Ärger. Und ich an deiner Stelle …« Marcus hielt plötzlich inne, als es bei ihm auf einmal klick machte. »Moment mal«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf Nathan. »Ist das hier das Raumschiff, von dem wir gehört haben? Das plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist und den Kazahooie zur Flucht verholfen hat?« Marcus blickte sich im Raum um. Ihm schwirrte der Kopf. »Ja, das würde die Schäden an Ihrem Schiff erklären. Und es würde auch erklären, weshalb die verfluchten Ta’Akar auf dem Havenmond nach Ihnen gesucht haben«, schloss Marcus und kratzte sich am Kopf.
»Da könnte er recht haben, Captain«, meinte Tug. »Es wäre für alle das Beste, wenn Sie so schnell wie möglich von Bord gingen.«
»Ohne mich«, erklärte Josh. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Captain, würde ich gern an Bord bleiben. Ich glaube, Sie könnten einen Shuttle-Piloten gut gebrauchen.« Josh stieß Loki mit dem Ellbogen an.
»Ja, setzen Sie mich ebenfalls auf die Liste«, meinte Loki, wenn auch ein wenig zögerlich.
Das Angebot überraschte Nathan. Auf die Idee, die Besatzung mit Zivilisten zu verstärken, war er noch gar nicht gekommen. Der Vorschlag war zwar ungewöhnlich, hatte aber seine Vorzüge. Sein Erster Offizier würde jedoch vermutlich dagegen sein und seinen Standpunkt mit Originalzitaten aus der Dienstvorschrift untermauern. »Ich danke Ihnen«, antwortete er zu seiner eigenen Überraschung. »Es könnte gut sein, dass ich auf Ihr Angebot zurückkomme.«
Auch Jessica staunte, und die Skepsis stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Sollten noch mehr Leute uns aushelfen wollen«, fuhr Nathan fort, »werde ich Ihr Angebot gerne in Betracht ziehen.«
»Nathan«, murmelte Jessica, »was zum Teufel soll das?« Sie konnte sich Camerons Reaktion auf seinen Vorschlag lebhaft vorstellen.
»Captain«, meldete einer der Arbeiter sich zu Wort. »Ich fürchte, wir wären Ihnen keine große Hilfe, was immer Sie auch vorhaben mögen. Vielleicht könnten Sie uns auf der nächsten bewohnten Welt absetzen, an der Sie vorbeikommen.«
Nathan reagierte überrascht. »Sie wollen nicht nach Safe Haven zurückkehren?«
»In diesem Punkt muss ich unserem ehemaligen Aufseher widersprechen. Wenn die Ta’Akar Sie als Verbündeten der Karuzari betrachten, werden sie vielleicht auch uns als Gegner einstufen. Wie Sie bereits sagten, es ist zweifelhaft, dass sie uns ungeschoren davonkommen lassen werden.«
»Und was ist mit Ihren Arbeitsverträgen?«
»Die Verträge werden null und nichtig, wenn wir versterben oder durch höhere Gewalt nicht in der Lage sind, unseren Verpflichtungen ganz oder teilweise nachzukommen.« Der Arbeiter grinste. »Ich glaube, von höherer Gewalt kann man in diesem Fall mit Fug und Recht sprechen.«
»Lassen Sie mich raten: Waren Sie mal Anwalt?«
Der Mann nickte.
»Na schön. Wenn Sie das wünschen, lassen wir Sie bei der nächsten sich bietenden sicheren Gelegenheit von Bord gehen.«
»Falls wir Ihnen in der Zwischenzeit irgendwie helfen können, Captain, würden wir das gerne tun«, setzte der Mann hinzu.
»Captain, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte«, schaltete Tug sich ein. »Sie haben eine große Menge Molo an Bord, das noch gesäubert und lagerfähig gemacht werden muss. Vielleicht könnten diese Leute dabei helfen, denn die Arbeit muss dringend erledigt werden.«
Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse der letzten Stunden hatte Nathan die Nahrungsmittelknappheit aus dem Blick verloren. Erwartungsvoll sah er den Sprecher der Arbeiter an.
»Selbstverständlich, Captain. Wir helfen wirklich gern.«
»Danke.« Nathan wandte seine Aufmerksamkeit Marcus zu. Obwohl er die meiste Redezeit in Anspruch genommen hatte, waren seine Absichten noch immer nicht klar.
»Was ist?«, sagte Marcus, als er merkte, dass Nathan ihn ansah.
»Wie steht es mit Ihnen, Marcus?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Captain. Ich helfe gerne aus, keine Frage. Aber vor allem verstehe ich mich aufs Trinken, Herumbrüllen und Streiten. Wenn Sie so jemanden brauchen können, bin ich Ihr Mann. Aber ein verdammter Freiheitskämpfer bin ich nicht.«
»Marcus, du bist doch ein ziemlich guter Mechaniker«, entgegnete Josh. »Und jemand muss uns helfen, die Shuttles wieder flugtüchtig zu machen. Mann, wenn du willst, mache ich dich zum Crew-Chef.«
»Und ich muss mir von dir vorschreiben lassen, was ich zu tun habe?« Marcus schnaubte. »Kommt nicht infrage, du Pimpf.«
Da jetzt alles geregelt schien, nutzte Nathan die sich bietende Gelegenheit, um die Besprechung zu beenden. »Ich sollte vielleicht noch hinzufügen, dass der Aufenthalt an Bord dieses Raumschiffs ein gewisses Risiko birgt. Wir suchen hier draußen nicht nach Ärger. Aber bislang haben wir uns nichts anderes eingehandelt.«
»Mit einem Raumschiff von einer mythischen Welt, ausgerüstet mit einem magischen Sprungantrieb und mit dem Anführer der Freiheitskämpfer an Bord?« Marcus lachte. »Was kann da eigentlich passieren?«
»Was zum Teufel sollte das?«, fragte Jessica, als sie den Flur entlanggingen.
»Sprich leise«, sagte Nathan.
»Cammy wird toben, wenn sie das erfährt«, fuhr Jessica in gedämpftem Ton fort.
»Ich habe doch nur ein Shuttle und eine Crew angeheuert, die ihr hilft, das Ding zu fliegen. Ist ja nicht so, als hätte ich sie in die Flotte aufgenommen.«
»Nathan, du kannst diese Leute nicht frei im Schiff herumlaufen lassen. Wir wissen nichts über sie. Mann, von den meisten kennen wir nicht mal den Namen.«
»Muss ich dich daran erinnern, dass einige dieser Leute soeben ihr Leben für uns riskiert haben?«
»Sie haben nur versucht, ihren eigenen Arsch zu retten.«
»Wie ich es sehe«, sagte Nathan beschwichtigend, als er durch die Luke in den nächsten Gang trat, »haben Josh und Loki uns freiwillig vom Mond abgeholt.«
»Die beiden grünen Jungs in Fluganzügen? Ich bitte dich. Die wollten doch nur ein bisschen Spaß haben.«
»Trotzdem, sie haben ihren Job gemacht. Und sie haben recht: Wir werden nicht nur ein Shuttle brauchen, sondern auch jemanden, der es fliegt. Das weißt du auch.«
Jessica sah ein, dass sie ihn nicht würde umstimmen können. Nathan handelte impulsiv und traf Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Sie mochte diesen Zug an ihm, bewunderte ihn deswegen sogar ein bisschen. Und bislang waren sie mit seinem Führungsstil auch ganz gut gefahren. Aber so sehr sie seine direkte, spontane Vorgehensweise schätzte, hatte sie doch Bedenken, dass er diesmal den Bogen überspannt haben könnte.
»Gut, du kannst deine Testosteronzwillinge behalten«, gab sie nach. »Aber lass mich sie wenigstens überwachen. Ich geben ihnen Com-Sets. Dann können wir sie auf Schritt und Tritt überwachen.«
»Was?« Nathan fand den Vorschlag irgendwie hinterhältig.
»Ich ordne den ID-Ziffern der Com-Sets Namen zu und lasse ihre Bewegungen im Schiff aufzeichnen. Ich könnte auch einen Alarm für den Fall programmieren, dass sie einen sensitiven Bereich betreten. Und ich könnte ihnen die Hilfskanäle zuordnen, damit sie nicht die Kommandokanäle verstopfen.«
»Ich weiß nicht, Jess.«
»Komm schon, Nathan. Ich habe nicht genug Leute, um sie ständig im Auge zu behalten. Und es ist nicht auszuschließen, dass ein Spion der Ta’Akar darunter ist.«
Nathan hielt am Fuß der Rampe an, die zum Kommandodeck hochführte. »Ja, daran habe ich nicht gedacht.« Es machte ihn ein wenig verlegen, dass er nach allem, was geschehen war, noch immer so vertrauensselig war.
»Verständlicherweise. Deshalb hast du mich ja eingestellt, schon vergessen?«
»Na schön. Gib die Com-Sets aus«, sagte er und schritt die Rampe hoch.
ENDE DER LESEPROBE