Die Deutsche Revolution Band 2 - Pierre Broué - E-Book

Die Deutsche Revolution Band 2 E-Book

Pierre Broué

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Beschreibung

Das 1971 in Paris erschienene und bislang nur ins Englische übersetzte Standardwerk wird nun erst mals in deutscher Sprache herausgegeben. Auf über 1.000 Seiten stellt der Historiker Pierre Broué die Ereignisse der revolutionären Periode in Deutschland bis 1923 dar. Dabei stützt er sich auf umfangreiches Originalmaterial, um die Auseinandersetzungen in der Arbeiter*innenbewegung über eine revolutionäre Politik nicht nur wiederzugeben, sondern er unterzieht sie einer Analyse. Dabei verengt er den Blick nicht auf Deutschland, sondern liefert tiefe Einblicke in die Wirkung, die die Russische Revolution auf die Arbeiter*innen in Deutschland hatte und wie die Entwicklungen der Kommunistischen Internationale die Politik der KPD in Deutschland beeinflussten, aber auch, welchen großen Einfluss die revolutionäre Bewegung auf die Geschehnisse in der Sowjetunion hatte. Immer wieder diskutiert der Autor die Entwicklungen und gibt damit einen Ansatzpunkt für Leser*innen, selbst nachzuvollziehen, was warum geschah und sich selbst ein Bild von den Ereignissen zu machen. Broués Werk sollte und wird einen Platz im Regal aller Menschen finden, die sich ernsthaft und tiefgründig mit dem Aufschwung und dem Scheitern der deutschen Revolution in den Jahren 1917 - 23 auseinandersetzen wollen. »Was Broués Buch von anderen unterscheidet ist einmal der unglaubliche Quellenreichtum. So hat er ein umfassendes und detailliertes Bild der Entwicklungen, Diskussionen und Haltungen verschiedener Akteur*innen der sozialistischen und kommunistischen Bewegung gezeichnet. Statt eine vermeintliche Neutralität in der Geschichtswissenschaft vorzugaukeln, die es nicht gibt, bezieht Broué Position. Als Internationalist geht er sehr tiefgründig auf die Entwicklungen der Kommunistischen Internationale und die Wechselwirkung zwischen der KPD und ihr ein. Er stellt nicht nur historische Fakten dar, sondern analysiert sie, versucht aus ihnen Entwicklungstendenzen abzuleiten und diskutiert immer wieder die gewonnene Erkenntnis. Selbst wenn man seinen Schlussfolgerungen nicht an jedem Punkt voll zustimmt, bekommt man doch zumindest einen Anhaltspunkt für weitergehende Fragen und die entsprechenden historischen Grundlagen geliefert. Aus meiner Sicht ist das Buch ein Standardwerk, das alle lesen sollten, die sich fundiert mit der revolutionären Periode bis 1923 auseinandersetzen wollen.« Wolfram Klein, Übersetzer und Herausgeber

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Inhaltsverzeichnis

Teil III Von der Eroberung der Massen zur kampflosen Niederlage

Kapitel XXVIII: Schwer bewahrte Einheit

Kapitel XXIX: Neuanfang

Kapitel XXX: Die Wende von Rapallo

Kapitel XXXI: Für die Einheitsfront gegen Elend und Reaktion

Kapitel XXXII: Die »Kommunistische Massenpartei«

Kapitel XXXIII: Die Arbeiter*innenregierung

Kapitel XXXIV: Ausarbeitung der Taktik

Kapitel XXXV: Die Ruhrbesetzung

Kapitel XXXVI: Krise in der KPD

Kapitel XXXVII: Eine beispiellose vorrevolutionäre Situation

Kapitel XXXVIII: Der Sturz der Regierung Cuno

Kapitel XXXIX: Die Vorbereitung des Aufstandes

Kapitel XL: Die deutsche Revolution von Moskau aus gesehen

Kapitel XLI: Der deutsche Oktober

Kapitel XLII: Neue Nachwehen der Niederlage

Teil IV Ein von der Geschichte verdammtes Unternehmen?

Kapitel XLIII: Geschichte und Politik

Kapitel XLIV: Die Übertragung des Bolschewismus auf den deutschen Körper

Kapitel XLV: Paul Levi oder die verpasste Gelegenheit?

Kapitel XLVI: Karl Radek oder die Verwirrung der Genres

Kapitel XLVII: Bilanz eines Scheiterns

Nachbemerkungen

Chronologie

Biografische Notizen zu den wichtigsten zitierten Aktivist*innen

Bibliografie

Impressum

Teil III Von der Eroberung der Massen zur kampflosen Niederlage

Kapitel XXVIII: Schwer bewahrte Einheit

Lenins Bemühungen auf dem Dritten Kongress der Internationale, die Einheit der deutschen Partei aufrechtzuerhalten, können nicht überraschen: Nichts ist Lenins Denken fremder als ein Dogmatismus, der die Realität leugnet oder versucht, ihr Gewalt anzutun, um sie seinen Schemata entsprechend zu gestalten. Man muss Lenins Politik in der Sozialdemokratischen Arbeiter*innenpartei zwischen 1906 und 1912 und, nach 1921, seine Haltung zur Spaltung der deutschen Partei auf dem Heidelberger Parteitag, seine Bemühungen um eine Annäherung an die KAPD und die linken Unabhängigen im Jahr 1920, sein Anliegen, nach der Märzaktion einen reparierenden Kompromiss zu erreichen, ignorieren, um zu bekräftigen, wie Levi es als einer der ersten tat, dass die Spaltung in den Augen der Bolschewiki eines der ständigen und privilegierten Mittel zum Aufbau der revolutionären Arbeiter*innenbewegung darstellte.

Endgültige Spaltung mit der KAPD

Eines der ersten Ergebnisse des 3. Kongresses der Internationale ist, den Versuchen der Wiedervereinigung mit der KAPD ein Ende zu setzen. Lenin, der seit dem Heidelberger Parteitag ihr beständigster Verteidiger gewesen war, schätzt nun diese linksradikale Strömung auf andere Weise ein. Schon am Vorabend des Kongresses hielt er es für einen schweren Fehler, 1920 für die Aufnahme der KAPD als sympathisierende Partei in die Internationale gekämpft zu haben.1 Seine Stellungnahme gegen Appel während der Debatten und die Art und Weise, wie er in seiner Kritik die von der KAPD vertretenen Positionen mit denen der Linksradikalen in der Internationale verknüpfte, deuten wahrscheinlich darauf hin, dass er sich der Gefahr für die Zukunft der Internationale bewusst war, die von der Vereinigung dieser beiden linksradikalen Flügel ausging, die im Wesentlichen nur durch persönliche Fragen getrennt zu sein scheinen.

Im Verlauf der Debatten zeigen die Interventionen der anderen Führer der Exekutive deutlich, dass ein Wendepunkt erreicht ist. Sinowjew griff einen Artikel Gorters an, der besagte, dass die Interessen der Sowjetmacht in den Köpfen der Führer*innen Vorrang vor revolutionären Notwendigkeiten hätten. Er droht:

»Mit dieser Politik, die halb kindisch, halb verbrecherisch ist, werden Sie zu den Feinden der proletarischen Republik werden.«2

Radek, ihn unterbrechend, rief aus, dass »Gorter bereits Kronstadt verteidigt.«3 Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass Radek und Sinowjew im Namen des Exekutivkomitees die KAPD aufforderten, innerhalb von drei Monaten mit der VKPD zu fusionieren, unter Androhung, aus der Internationale ausgeschlossen zu werden.4

Die KAPD-Delegation ihrerseits, die im Verlauf des Kongresses keines der ihr gesetzten Ziele erreicht hatte, kehrte mit der Überzeugung zurück, dass die Idee, eine Linksfraktion in der Dritten Internationale aufzubauen, eine Illusion sei.5 Die Entscheidung zum Bruch wurde jedoch mit Zustimmung beider Parteien an die nationalen Autoritäten der KAPD verwiesen: Ihr Zentralausschuss unternahm am 31. Juli 1921 die ersten Schritte zum Aufbau einer »Kommunistischen Arbeiter-Internationale«, die gegen die Kommunistische Internationale gerichtet war.6 Tatsächlich war die Zersetzung der ersten linksradikalen Partei zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten. Viele der Anhänger*innen des Nationalbolschewismus hatten sich bereits auf den Weg gemacht, ob es sich um Wendel handelt, der im Sommer 1920 zur Sozialdemokratie zurückgekehrt war7, oder um Wolffheim, der in der »Vereinigung zum Studium des deutschen Kommunismus« mit den Offizieren und Unternehmern verbunden war, die ihn zu den nationalsozialistischen Gruppierungen führen sollten.8 Otto Rühle seinerseits wurde zu einem der heftigsten Feinde der Internationale und der kommunistischen Perspektiven, die in seinen Augen waren:

»Oben: Autorität, Bürokratismus, Personenkult, Führerdiktatur, Kommandogewalt. Unten: Kadavergehorsam, Subordination, Strammstehen.«9

Als Verfechter einer »antiautoritären« revolutionären Orientierung wich auch er von der organisierten Arbeiter*innenbewegung ab. Der Rest der Partei, gruppiert hinter Schröder und der Berliner Gruppe, überlebte bis zur nächsten Spaltung.10 Die linksradikale Strömung ist nicht erloschen und wird im Herzen der KPD wiederbelebt. Aber die 1920 gegründete linksradikale Partei ist moribund.

Neue theoretische Probleme

Ab 1921 sind die theoretischen Probleme, die sich den Kommunist*innen stellen, ganz anders als die, die die Bolschewiki vor dem Krieg kannten: Zweimal nämlich, zuerst 1905 und dann 1912, hatte die Spaltung das Mittel zum Aufbau der russischen Partei dargestellt, die die »Liquidatoren« nicht wollten. Nach 1914 stellt sich das Problem auf internationaler Ebene: Für die Bolschewiki handelt es sich um den Wiederaufbau der Weltarbeiter*innenbewegung, einen Wiederaufbau, der über die Beseitigung der für die Bourgeoisie gewonnenen Führer*innen geht, und um die Sammlung der Arbeiter*innenmassen in neuen Parteien.

Bis 1921 wird davon ausgegangen, dass die Revolution unmittelbar bevorstehe, dass »das Haus brennt«: Trotz ihrer Brutalität stellt die Spaltung die einzige Methode dar, den Massen, die ihre Hände nach der Macht ausstrecken, in kürzester Zeit eine revolutionäre Führung zu geben. Aber, ab dem 3. Weltkongress ist die Revolution keineswegs unmittelbar bevorstehend. Andererseits führt die Spaltung der internationalen Arbeiter*innenbewegung, die von den Kommunist*innen als schnellster Weg zur Liquidierung der opportunistischen Vergangenheit und zur Wiedervereinigung des Proletariats auf revolutionärer Grundlage durchgeführt wurde, in Wirklichkeit zu einer dauerhaften Spaltung zwischen rivalisierenden Internationalen, Parteien und Gewerkschaften. In einer historischen Periode, die in den Augen der Bolschewiki immer noch die der endgültigen Krise des Kapitalismus ist, bleibt die revolutionäre Perspektive, auch auf längere Sicht, die Machtübernahme. Aber sie setzt den Sieg der revolutionären Strömung über die reformistische Strömung im Inneren der Arbeiter*innenbewegung voraus. Nun kann dieser Sieg – niemand zweifelt daran, seit die Linksradikalen die Internationale verlassen haben – nicht allein mit den Argumenten der theoretischen Diskussionen und der Propaganda errungen werden: er hängt wesentlich von der Fähigkeit der Revolutionär*innen ab, die Massen in der Aktion durch ihre eigene Erfahrung zu überzeugen.

Die deutsche Situation ist das beste Beispiel für die Schwierigkeiten, denen die Kommunist*innen auf diesem Weg begegnen. Die Märzaktion hat gezeigt, dass die isolierte Aktion der Kommunist*innen letztlich ein negativer Faktor in ihrer Entwicklung darstellte, dass sie die Aktivist*innen entmutigte, indem sie sie zur Niederlage verdammte, und dass sie die anderen, sogar die Sympathisant*innen, verängstigte, indem sie sie zurückstieß, wenn nicht direkt zur Bourgeoisie, so doch zumindest, was die um die Führer*innen der Sozialdemokratie organisierten Massen betrifft, in eine Haltung der Skepsis und Passivität. Um das Vertrauen in die eigene Kraft wiederzuerlangen, um eine konkrete Vorstellung von den zu erreichenden Zielen zu haben, um Kontakt mit den reformistisch genannten Parteien und Gewerkschaften zu bekommen, müssen die arbeitenden Massen gegen das kapitalistische Regime kämpfen. Aber sie werden sich nur zum Kampf entschließen, wenn sie das Gefühl haben, dass ein Sieg möglich ist. Deshalb haben sie das Bedürfnis, auch bei begrenzten Zielen, Kämpfe als Ganzes, an einer Klassenfront zu führen. Die aus der Spaltung geborene Teilung der Arbeiter*innenklasse ist auf diesem Weg ein Hindernis: Die Arbeiter*innen, die einer der politischen oder gewerkschaftlichen Organisationen vertrauen, sind nicht bereit, den Losungen der Anhänger*innen der konkurrierenden Organisation zu glauben. Gemeinsames Handeln erfordert daher, außer in Ausnahmefällen, Vereinbarungen an der Spitze zwischen den Organisationen. Aber auch hier sind die Hindernisse immens, da die Kommunist*innen den Führer*innen, die sie gleichzeitig als »Verräter« qualifizieren, Vereinbarungen vorschlagen müssen. Wenn sie aufhörten, sie zu denunzieren, würden sie ihnen den zukünftigen Verrat erleichtern; wenn sie dies weiterhin täten, würden sie ihnen solide Gründe liefern, um jede Zusammenarbeit zu verweigern. Es ist dieser Widerspruch, den die Einheitsfrontpolitik zu überwinden vorschlägt: Sie beruht auf der Überzeugung, dass die Massen, die den sozialdemokratischen Führer*innen folgen, dazu gebracht werden können, ihnen bei neuen »Verraten« das Vertrauen zu entziehen, wenn sie sich in einer diesmal gemeinsam durchgeführten Aktion ereignen.

Die Strategie der Einheitsfront war implizit in der Politik der bolschewistischen Führer*innen 1917 innerhalb der Sowjets enthalten, in ihrem Kampf für den Bruch der Koalition zwischen Arbeiter*innenparteien und bürgerlichen Parteien, in ihrem Appell für die Macht der Sowjets, der höchsten Form der Einheitsfront der Klasse im Kampf. Das Wort war jedoch nie ausgesprochen worden; bis zum Offenen Brief von 1921 hatten die Kommunist*innen ihren Kampf für die Vereinigung der Arbeiter*innenklasse vor allem als Beseitigung der »opportunistischen« Führungen begriffen: Mit den einundzwanzig Bedingungen hatten sich die Kommunist*innen überall zu den Agent*innen der Spaltung gemacht und die Sozialdemokrat*innen zu den Verteidiger*innen der »Einheit.« Die Strategie der Einheitsfront erscheint im Hintergrund in den Beschlüssen des 3. Kongresses, in denen die Parteien aufgefordert werden, »zu den Massen zu gehen.« Die Vereinigung der Arbeiter*innenklasse unter dem Banner des Kommunismus zu erreichen, die Spaltung zu überwinden und die Arbeiter*innenbewegung von ihren opportunistischen Führer*innen zu befreien: Das Ziel bleibt identisch mit dem der revolutionären Offensive von 1917-1921, aber die Methoden ändern sich.

Nichts lässt die Behauptung zu, dass die Bolschewiki mit der Formulierung dieser neuen Politik endgültig zur Politik der vorangegangenen Periode zurückkehren, endgültig die Idee des Zusammenlebens der Reformist*innen und der Revolutionär*innen innerhalb derselben Organisation akzeptieren wollten. Nichts lässt auch die Behauptung zu, dass Lenins Vorschläge zur Überwindung der Folgen der Spaltung der Arbeiter*innen sich auf die Formeln beschränkt hätten, die 1921-1922 zur Festlegung der Einheitsfrontlinie vorgelegt wurden. Die Krankheit ließ ihm keine Zeit, diesen Weg weiter zu gehen, falls er überhaupt die Absicht dazu hatte, aber der notwendige interne Kampf innerhalb der russischen Partei barg ohnehin das Risiko, die Diskussion in dem Stadium zu blockieren, das sie erreicht hatte. Der Widerstand gegen die Einheitsfrontpolitik, auf den man in den verschiedenen Parteien der Internationale stieß, sowohl von Seiten der reuelosen Linksradikalen als auch von Seiten der sogenannten »rechten« und »opportunistischen« Elemente, zeigt, dass die Kommunistische Internationale ihre eigene Ideologie bereits erzeugt hatte und dass der Mann, der sie gegründet und inspiriert hatte, ihre Routine, ihre anerzogenen Reflexe, mit einem Wort ihren Konservatismus berücksichtigen musste.

Levis Thesen

Während der 3. Weltkongress die Strategie der proletarischen Revolution in neuen Begriffen aufstellte, stellt Paul Levi seinerseits einen Text über »Die Aufgaben der Kommunisten«11 fertig. Wie Lenin und Trotzki stellt er die Umkehrung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen im Weltmaßstab fest und betont, dass die Kommunist*innen ihre Politik von nun an »langfristig« anpassen müssen. Dies impliziert eine gewisse Anzahl von Überarbeitungen und Korrekturen.

Der erste betrifft die Gewerkschaftspolitik. Die Rote Gewerkschaftsinternationale war auf der Grundlage einer Politik konzipiert worden, die »mit raschem Voranschreiten der Revolution und mit entsprechend rascher Umstellung der Proletariermassen rechnete.«12 Es ist wichtig, dies jetzt in Frage zu stellen. Dasselbe gilt für die Haltung gegenüber der Sozialdemokratie: sie ist die Partei des Reformismus, d.h. der Klassenkollaboration geworden, behält dennoch – und zwar auf unabsehbare Zeit – ein beträchtliches Vertrauenskapital unter den Arbeiter*innen: die bisherigen Hoffnungen, die opportunistischen Führer*innen aus der Bewegung auszuschließen und nach Spaltungen rasch eine revolutionäre Wiedervereinigung zu erreichen, sind in eine mehr oder wenige ferne Zukunft zu vertagen. Es ist jetzt eine neue objektive Tatsache der Weltlage, dass zwei Arbeiter*innenparteien nebeneinander existieren, eine reformistische und eine revolutionäre, wobei die erstere der letzteren zahlenmäßig weit überlegen ist. Die Spaltung in den Reihen der Arbeiter*innen trägt auch zur tiefen Niedergeschlagenheit der Massen bei, zur Frustration ihres stärksten Gefühls, dem ihrer Einheit.

Unter solchen Bedingungen müssen sich die Kommunist*innen vor allem hüten, was die Spaltung vergrößern könnte. Sie haben im Gegenteil die Pflicht, alles zu tun, um die in ihren Organisationen gespaltenen Proletarier in der Aktion zu vereinen. Sie müssen »mit den anderen proletarischen Parteien in Kontakt treten und gemeinsam mit ihnen in konkreten Kämpfen arbeiten, sei es parlamentarisch oder außerparlamentarisch«13, mit anderen Worten, die Politik aufgreifen, die durch den offenen Brief vom Januar 1921 eingeleitet wurde.

Levi meint, dass dieses jetzige Hauptproblem, das »der Beziehungen der Kommunisten zu den anderen proletarischen Parteien«14, nicht im Lichte der Erfahrung der russischen Revolution und der Bolschewiki gelöst werden kann, weil die Lage in Deutschland und in Westeuropa im Allgemeinen grundlegend anders ist:

»Der grundlegende Unterschied zwischen den entsprechenden Verhältnissen in Deutschland etwa und in Russland ist der: in Russland spielte sich das Leben der proletarischen Parteien in der Vorbereitungszeit der Revolution illegal ab. Die Erscheinungsform der Kämpfe zwischen den proletarischen Parteien war im Wesentlichen die der Kampfschrift und der Resolution. Damit soll nichts gegen jene durch die Umstände gebotene Parteientwicklung gesagt sein, sondern nur das eine festgestellt: in Deutschland ist es anders. In Deutschland sind es Bewegungen großer Schichten von Proletariern, in denen sich die Auseinandersetzung innerhalb des Proletariats vollzieht. Die eigentliche Frühzeit der Revolution, die Zeit von den ersten offenen Kämpfen bis zur Machtergreifung durch die Bolschewiki bemaß sich nach Monaten. In Deutschland dauerten die Kämpfe, die damit endigten, dass das Proletariat vorläufig die Macht nicht ergreifen konnte, erheblich länger. Sie spielten sich ab in der Form der Kämpfe zwischen den Kommunisten und großen Teilen der Unabhängigen einerseits, den Sozialdemokraten andererseits. Es braucht in diesem Zusammenhang auf Schuld und Nichtschuld gar nicht eingegangen zu werden; es genügt, festzustellen, dass die Niederlage für alle die gleiche ist, für die sozialdemokratischen Arbeiter wie für die kommunistischen. (…) Also politisch ist das Ergebnis für alle Teile des Proletariats das gleiche geworden, die Niederlage; ökonomisch ist es das gleiche geblieben, die Ausbeutung. Das heißt, dass sozial der Einheitskörper, das Proletariat, geblieben und wieder geworden ist und auch mit der schönen Spielart von der ›Arbeiteraristokratie‹ ist kein neuer Marxismus zurecht zu philosophieren: der hat eine schlechte Kenntnis deutscher Verhältnisse, der die ganze Sozialdemokratie mit dem Schlagwort ›Arbeiteraristokraten‹ abtut. Ein Überrest, und ein wertvoller, aus den vergangenen Jahren ist aber geblieben: gedanklich besteht in der deutschen Arbeiterschaft heute ein tiefgehender Unterschied. Der Gedanke der Sozialreform hat sich ganz klar vom Gedanken der sozialen Revolution geschieden. Dafür brauchte es schon vorher keinen Beweis mehr; der Entwurf eines sozialdemokratischen Parteiprogramms hat ihn endgültig geliefert und der Widerstand, den er in der Sozialdemokratie fand, beweist nur, dass so reinlich, wie manche sozialdemokratische Führer es sich dachten, solche Scheidungen nie sind und dass nicht jedes Ding, das ist, sofort beim Namen genannt werden darf.«15

Es ist dieser Zustand, der die Kommunist*innen dazu zwingt, eine »Einheits«-Taktik zu verfolgen:

»Also: Die Gedanken der sozialen Reform und der Revolution haben sich geschieden, stehen einander parteimäßig gegenüber (…), und wie müssen sie sich zu einander stellen? Als in Zeiten offener Kämpfe sich die Sozialdemokratie schützend vor die Bourgeoisie stellte (…), musste sich der Kampf der revolutionären Massen gegen sie wenden. Nunmehr aber die Front wieder verkehrt ist, die sozialdemokratischen Arbeiter politisch wieder im Kreise der Geschlagenen sind und wirtschaftlich im Kreise der Ausgebeuteten, muss ein Verhältnis geschaffen werden, das bei aller scharfen Trennung der Gedanken und bei aller scharfen parteilichen Scheidung doch jederzeit die Möglichkeit des gemeinschaftlichen Kampfes gegen die Bourgeoisie offen lässt. Das bedeutet zunächst: Man führe eine gewisse Rationierung in schmückenden Beiworten ein.«16

Paul Levi unterstreicht in diesem Zusammenhang die verhängnisvolle Wirkung auf die deutschen Arbeiter*innen der Verwendung eines bestimmten Vokabulars, rituelle Beleidigungen wie »Verräter« oder »Menschewist«, rhetorische, vorgefertigte Phrasen, die in den Büros der Exekutive gut klingen, aber im Bewusstsein der Arbeiter*innen Westeuropas nichts bedeuten:

»Solche andere Sprache mag den deutschen Kommunisten vielleicht vom kleinen Büro der Exekutive den Tadel mangelnder ›revolutionärer Sprache‹ eintragen, aber ihr Ansehen innerhalb des deutschen Proletariats nur heben.

Das freilich sind nur gewisse Nebendinge, das Zeremoniell und die Sprache vom Hofe Ludwigs XIV. brauchen nicht eingeführt zu werden. Viel wichtiger ist, durch jene aktivste Mitarbeit in allen proletarischen Organisationen – von den Gewerkschaften abgesehen — den Geist des Vertrauens zu den Kommunisten und eine Stimmung zu schaffen, die dem Geiste proletarischer Solidarität entspricht. Freudigste Mitarbeit an allem, was proletarisch ist, an Bildungsinstitutionen, an Genossenschaften, Konsumvereinen überall: Das ist der Boden, auf dem bei aller Verschiedenheit der Auffassung über Ziel und Methode der Geist gedeiht, der allein eine gemeinsame Front gegen die Bourgeoisie schaffen kann.«17

Diese proletarische Einheitsfront ist zwar ohne Beispiel in der Geschichte der kommunistischen Bewegung, aber die Situation, die sie erzwingt, ist nach Paul Levi ebenfalls neu:

»Die deutschen Kommunisten müssen sich des Folgenden bewusst bleiben: Die Aufgabe, dass der Gedanke der sozialen Revolution, geformt als Massenpartei, dem der Sozialreform, geformt als Massenpartei, entgegentritt, ist neu, ist ohne Beispiel in der Geschichte, muss von der deutschen Partei selbst gelöst werden und gewisslich nicht durch sinnlose Übertragung russischer Rezepte von den ›Menschewisten‹ usw.«18

Ist die Kommunistische Partei Deutschlands jetzt in der Lage, die notwendige Wendung zu schaffen, den anderen Parteien in Westeuropa den Weg zu zeigen? Die seit dem Kongress in Livorno gemachten Erfahrungen haben Paul Levi davon überzeugt, dass dies nicht der Fall ist und dass diese Partei zu keiner Initiative fähig ist.

Zum »ersten Male konnte eine kommunistische Partei Massen im Zeichen der sozialen Revolution in den politischen Kampf führen und ihre Kräfte messen an einer sozialreformerischen Partei, die an Geschlossenheit, Klarheit in ihrem Sinne und Einheitlichkeit in ihrem Sinne nichts gleiches hat. Die deutsche Revolution, hat sie nichts gebracht, konnte dem deutschen Proletariat diese Partei bringen. Die Strategen der Märzaktion haben es anders gewollt. Jetzt ist die VKPD an Mitgliederzahl zerrieben und ideologisch ein Trümmerhaufen. An die Stelle des Versuches zum Wiederaufbau trat der Kompromiss, die Besiegelung des Zusammenbruchs. Die Zahl derer, die behalten haben das, was sie hatten, ist gering geworden. Vielleicht wird es kommen, und wenn nicht Wunder geschehen, wird es so kommen, dass die Kommunistische Partei das Schicksal des Tarimflusses haben wird, jenes Flusses in Zentralasien, der mit vielen Wassern aus dem Gebirge kommt, groß und stark wird, aber nie das Meer erreicht. Er zerrinnt in der sibirischen Steppe, ›als wäre es nie gewesen‹. Dann hat das Schicksal dem deutschen Proletariat das Geschenk der großen proletarischen revolutionären Partei, die so einheitlich revolutionär wie die Sozialdemokratie reformerisch ist, versagt.«19

Erste Spaltung auf der rechten Seite

Eine Versöhnung Levis mit der Internationale war nicht prinzipiell ausgeschlossen, und Lenin hatte alles getan, um sie zu ermöglichen. Jedoch geschah das Gegenteil: Dem endgültig gewordenen Ausschluss Levis folgten andere, und die Partei erlebte erneut eine Spaltung.

Zunächst blieb Levi taub für Lenins Vorschläge, die von Clara Zetkin übermittelt wurden. Bereits am 27. Juli schrieb er ironisch an seine Freundin Mathilde Jacob:

»Von Mekka sind einige zurückgekehrt. Clara soll dieser Tage kommen. Lenin hat Begnadigung in Aussicht gestellt. Ich soll nach Mekka reisen (Canossa). Trotzki sprach so scharf wie ich … Lenin nicht minder entschieden. Sinowjew infolgedessen umgefallen, Radek immer der gleiche Lumpenkerl …«20

Und nach Clara Zetkins Rückkehr schrieb er ihr:

»Clara kam mit drei Vorschlägen: 1. viele Grüße (wovon die alten Juden sagen, macht Schabbes davon); 2. Zeitschrift und jede Organisation einstellen; 3. Sechs Monate Buße und und bei guter Führung und Feier des bolschewistischen Allwesens die Aussicht auf einen Leninschen Ablass.«21

War seine Wunde am Selbstwertgefühl zu tief? War es die »Eitelkeit eines Literaten«, der sich weigert, seine Fehler in Fragen einzugestehen, die er für zweitrangig hält, wenn er überzeugt ist, dass er im Wesentlichen Recht hatte, der Ekel vor der Niedertracht gewisser Attacken, war es der brutal demaskierte Hass, das Gefühl der Isolation, das ihn in wenigen Tagen zum Feind der Partei macht, die die seine war, die Müdigkeit und Entmutigung, das Ende eines inneren Dialogs, das ihn dazu bringt, die Debatte zu beenden, indem er eine organisatorische Solidarität verurteilt, für die er selbst so sehr plädiert hatte? Dies sind zweifelsohne Elemente, die seine Einstellung erklären. Indem er am 27. März an Lenin appellierte, hoffte Levi, dass Lenin ihm zustimmen, die Richtigkeit seiner Position, das Verdienst seiner April-Initiative anerkennen und die Manöver Sinowjews, die Meinungswechsel Radeks, die Dummheiten Bela Kuns und Rakosis desavouieren würde. Hat er wirklich die »Alles-oder-Nichts«-Politik gegenüber Lenin praktiziert? Hielt er es für möglich, dass Lenin nicht nur Sinowjew und Kun, sondern auch die deutschen Aktivist*innen, die ihr Vertrauen in die Vertreter*innen der Exekutive gesetzt hatten, seiner eigenen Selbstliebe opfern würde? Vielmehr scheint es, dass Levis Entwicklung schrittweise verlief und dass er zu dem Zeitpunkt, als Lenins Botschaft der ausgestreckten Hand ihn erreichte, einen Punkt erreicht hatte, an dem es kein Zurück mehr gab. Seine Enttäuschung spiegelt sich dennoch in der Art und Weise wider, wie er den [3]. Weltkongress kommentiert, auf dem seiner Meinung nach nur die Autorität Lenins und Trotzkis – auf sehr provisorische Weise – den endgültigen Sieg der, wie er es nennt, »halbanarchistischen« Strömung in der Internationale verhinderte:

»Die Internationale besteht leider nicht aus Tausenden Lenins und Trotzkis. Ihre Meinung ist sehr wichtig, aber nicht ausschlaggebend. Und die so verschrienen Leviten und andere Ketzer haben die ewige Wahrheit plus Lenin und Trotzki mit sich und den Parteiapparat, die Presse, die Organisation, die praktische Führung in der Exekutive gegen sich. Deshalb ist in Deutschland Lenin sozusagen graue Theorie und Bela Kun die Praxis.«22

In der Tat werden die Ergebnisse des Kongresses der Internationale innerhalb der deutschen Partei auf weniger vereinfachende Weise übersetzt. Ruth Fischer ist entschieden gegen den Moskauer Kompromiss, von dem sie genau sieht, dass er die Linie des 2. Kongresses bestätigt und verstärkt, von der sie sich eine endgültige Abkehr erhofft hatte. Während der Arbeiten in Moskau in Deutschland verbleibend, verausgabte sie sich, um von Berlin aus einen Druck auf die Kongressteilnehmer*innen zu organisieren: so nehmen am 2. Juli 2.000 Funktionär*innen des Bezirks auf ihren Vorschlag hin den Text eines Telegramms nach Moskau an, das die fraktionellen Aktivitäten der »Leviten« denunziert und ihren Ausschluss en bloc fordert.23 Aber sie hatte wahrscheinlich auch das Bedürfnis, die Moral ihrer Anhänger*innen zu stärken, von denen zumindest einer, Friesland, gerade von Lenin überzeugt worden war.

Das Zentralausschuss tagte am 3. und 4. August in Berlin. Es bestätigte mit großer Mehrheit – nur vier Gegenstimmen – die Unterstützung der Thesen durch seine Delegierten und ratifizierte den »Friedensvertrag.« Doch dessen konkrete Anwendung erwies sich als schwierig. Die Zentrale möchte eine klare, konkrete Erklärung der Minderheit, die ihren Anschluss rechtfertigt und einen klaren Bruch mit Levi und den Ausgeschlossenen darstellt: dafür schlägt sie vor, Clara Zetkin und Malzahn in die Zentrale zu kooptieren und drei ihrer Genoss*innen in den Zentralausschuss.24 Neumann hat im Namen der Minderheit ganz andere Forderungen: Rücktritt und Neuwahl der Zentrale, Benennung neuer Redaktionen, Rückkehr zur Diskussions- und Kritikfreiheit und vor allem Neuwahl der Delegierten für den Parteitag, damit den Debatten und Beschlüssen von Moskau Rechnung getragen wird: Die Delegierten wurden nämlich vor dem 3. Weltkongress in einer Atmosphäre der »Jagd auf zentristische Hexen« gewählt, während die seither formell verurteilte Offensivtheorie vorherrschte.25 Maslow führte den Kampf gegen jeden Kompromiss und brachte schließlich den Zentralausschuss auf Linie: Die Forderungen der Opposition und sogar die Kooptationsvorschläge der Zentrale wurden abgelehnt.26 Dieser hartnäckige Streit hatte offensichtlich Anhänger*innen in Moskau: Radek selbst schickte an die Rote Fahne einen Artikel27, in dem er Clara Zetkin derart angriff, dass Lenin von »seinem unangebrachten polemischen Übereifer« sprach und ihm vorwarf, er sei »so weit gegangen, dass er eine direkte Unwahrheit sagt.«28 In Berlin selbst war die Strömung so stark, dass Friesland, der loyal für die Anwendung der Moskauer Vereinbarungen kämpfte, in seiner Hochburg von Maslow und Ruth Fischer überstimmt wurde: 90 Stimmen gegen 33.29 Und es war für letztere – jetzt Leiter*innen des Bezirks Berlin-Brandenburg – zweifellos, dass Radek, Geißel der Opportunist*innen, eine starke Unterstützung aus Moskau lieferte.30

Die Verwirrung ist so groß, dass der Jenaer Parteitag der VKPD nicht weniger als drei offizielle Schreiben aus Moskau erhält, eines von Radek31, eines von Lenin32 und eines von der Exekutive als solcher.33 Radek warnte ihn vor der opportunistischen Gefahr und mahnte die deutsche Partei, dass sie in ihrem Kampf um die Gewinnung der Massen nicht vergessen dürfe, dass Sozialdemokrat*innen und Unabhängige Verräter*innen des Proletariats seien. Lenin erklärt ausführlich, warum er Paul Levi auf dem Weltkongress verteidigt habe und warum die Partei den in Moskau geschlossenen »Friedensvertrag« um jeden Preis verteidigen müsse. Die Exekutive weist, nachdem sie an die Beschlüsse des Weltkongresses erinnert hat, die »Menschewiken« der Rechten und die »Schreihälse« der Linken zurück. Am 17. August diskutierte die Exekutive auf der Grundlage eines Berichts Radeks, der Neumann die Verletzung der Moskauer Vereinbarungen vorwarf und auf die Gefahr von rechts hinwies, heftig über die Situation in der deutschen Partei. Bela Kun versicherte, dass die gegebenen Informationen eine neue Lage aufzeigten: Für ihn war der Brief der Exekutive schon »veraltet«, und er schlug eine Resolution vor, in der klar gesagt werde, dass der Kampf »in erster Linie der Rechten gegenüber« geführt werden müsse. Es wurde schließlich beschlossen, ein Telegramm in diesem Sinne zu senden, das nur im absoluten Notfall an die Delegierten weitergegeben werden sollte.34

Die Bilanz des Jenaer Parteitages wird diese widersprüchlichen Zwänge und Tendenzen widerspiegeln. Er griff nicht nur im Wesentlichen die Thesen Moskaus auf, sondern ging in vielen Punkten darüber hinaus und kehrte eindeutig zu ihrer Politik vom Januar zurück, für die Einheitsfront der Arbeiter*innen zu kämpfen. Insbesondere verabschiedete sie ein Manifest, das Forderungen enthielt, die eine solche Einheitsfront mit den Sozialdemokrat*innen ermöglichen würden, die Konfiszierung des Eigentums der früheren Dynastien, die Kontrolle der Produktion durch die Fabrikkomitees und die Übertragung der Last der Reparationen auf die Kapitalist*innen.35 Die Opposition kam von Ruth Fischer, deren Intervention das erste »Manifest« der Linken darstellte: sie kritisiert, ohne die Beschlüsse des 3. Weltkongresses offen in Frage zu stellen, eine Linie, die sie einmal mehr als opportunistisch betrachtet.36 Andererseits zeigt der Kongress den Willen der Mehrheit, weiter abzurechnen: Er nimmt einen von Thälmann eingebrachten Änderungsantrag an, der sich von der Kritik Trotzkis an der Märzaktion distanziert37, schließt Curt und Anna Geyer aus und beschleunigt damit den Abgang der drei bis dahin zögerlichen Abgeordneten Däumig, Marie Mackwitz und Adolf Hoffmann; sie werden mit Levi eine »Kommunistische Arbeitsgemeinschaft« (KAG) im Reichstag bilden, deren Titel schon der Beginn einer Spaltung ist.38 Doch die Ernennung der neuen Leitung zeigt das Bestreben, eine Linie zu verfolgen, die der von Lenin empfohlenen nahe kommt: Von Clara Zetkin, die von der »Rechten« kommt, bis zu Friesland, der von der »Linken« kommt, sind alle Mitglieder der Zentrale überzeugte Anhänger*innen des Moskauer Kompromisses. Neuer Parteivorsitzender wurde Ernst Meyer, Friesland nahm den Posten des Generalsekretärs ein.

Levi sah im Jenaer Kongress nur eine Bestätigung seiner These, dass in der deutschen Partei nun ein bürokratischer Apparat mit halbanarchistischen Vorstellungen vorherrsche – zwei Phänomene, die er seinerseits als eng miteinander verbunden ansah.39

Zweite Spaltung auf der rechten Seite

Die Politik der neuen Zentrale würde seine Vorhersagen widerlegen. Nach der Ermordung des katholischen Abgeordneten Matthias Erzberger am 26. August durch Rechtsextremisten verfolgte die Partei eine einheitliche Politik des Kampfes gegen die Reaktion und beteiligte sich in vielen Industriestädten an von den anderen Arbeiter*innenparteien organisierten Demonstrationen.40 In Thüringen brachten die Wahlen im September den Arbeiter*innenparteien eine Mehrheit im Landtag, und die Kommunistische Partei stimmte zu, eine von Mehrheitssozialdemokrat*innen und Unabhängigen gebildete Arbeiter*innenkoalitionsregierung zu unterstützen – ohne sich an ihr zu beteiligen.41 Im Oktober präsentierte sie ein Vier-Punkte-Programm, das den Forderungen des Gewerkschaftszentrums nahekam, in dem sie die Losung der »Erfassung der Sachwerte« aufgriff42 und in ihrem Namen erklärte Thalheimer, dass sie bereit sei, die sozialdemokratischen Parteien bei jeder Politik zu unterstützen, die darauf abziele, »Machtpositionen« für die Arbeiter*innenklasse zu erobern.43 Levi, der in diesen Widersprüchen zunächst nur Doppelzüngigkeit sah, musste sein Urteil bald korrigieren.

Es war in der Tat der neue Generalsekretär der Partei, Friesland, der der führende Mann der neuen Politik war, der bewusst die Politik vom Januar 1921 wieder aufleben ließ, und im Wesentlichen nach der levitischen Linie. Sehr schnell machte der einstige erbitterte Gegner der »Rechten« eigene aufschlussreiche Erfahrungen: In wenigen Wochen zeichnete er in den Kommandoposten der Partei den Weg Levis nach und stieß wie Levi auf die Exekutive und ihre Initiativen, die ihm als Hindernisse für die neue Politik erschienen. Laut seinen Biografen war er es, der schon im September den von Pieck und Heckert durchgeführten Vorstoß der Zentrale an die Exekutive inspirierte44: Die deutschen Führer*innen baten darum, die Praxis der öffentlichen Appelle und offenen Briefe aufzugeben, die persönlichen Kontakte zu vervielfachen, ihnen zu helfen, ihre Autorität in ihrer Partei zu festigen. Sie wollen, dass die Presse der RGI die Angriffe gegen die Gewerkschaften und ihre reformistischen Führer*innen dämpft, die in Deutschland benutzt werden, um die Kommunist*innen als Spalter darzustellen.45 Diese Themen sind das Echo derjenigen, die Paul Levi seit Monaten entwickelt hat. Die Annäherung wird von dem Moment an noch deutlicher, als der Konflikt zwischen Friesland und den Delegierten der Exekutive in Berlin, Felix Wolf und vor allem Helena Stassova, ausbricht, die seit dem Jenaer Parteitag damit betraut ist, die »organisatorischen Fragen« in den Händen zu haben. Erneut wird das Problem der »grauen Eminenzen« aufgeworfen, und Friesland geht im Zusammenhang damit so weit, von der Existenz einer »Nebenregierung« innerhalb der Parteileitung selbst zu sprechen.46 Es stellt sich natürlich die Frage, in welchem Maße die neue deutsche Leitung – oder ein Teil von ihr um Friesland – nicht die Versöhnung mit Levi und seiner KAG suchen wird und welche Folgen das haben würde.

Die Entwicklungen innerhalb der deutschen Partei spalten die Exekutive weiterhin. Der erste Bericht über den Jenaer Parteitag wurde dem Präsidium am 18. September von Heckert und Pieck vorgelegt; ihre Hauptsorge schien der Fortschritt der Linken unter den Berliner Arbeiter*innen zu sein; es wurde beschlossen, an sie einen offenen Brief zu richten.47 In der Exekutive begrüßte der Berichterstatter Heckert am 24. September den Ausschluss Düwells und Geyers mit 273 von 278 Stimmen als Befreiung »von einem bösen Geschwür«, wies aber darauf hin, dass das Schreiben der Exekutive an den Kongress die Berliner Organisation verärgert habe.48 Am 1. November begann die Exekutive, sich mit der Gründung der KAG zu befassen und ernannte zur Bearbeitung dieser Frage eine aus Radek, Heckert und Sinowjew bestehende Kommission.49 Nunmehr dominiert die Frage der KAG alles: Am 3. November erfuhr der Vorstand von Heckert vom Rücktritt Däumigs und Adolf Hoffmanns; Radek sagte, es sei notwendig, »den Kampf gegen sie [die Rechten] mit allen Mitteln« zu führen; Platten schlug die sofortige Entsendung Heckerts und Piecks in die Zentrale vor50, man sei in Moskau besorgt über die fehlende Reaktion in Berlin auf das Auftauchen eines »Kristallisationspunkt[es] einer neuen zentristischen Gruppe«51; Radek schlug vor, einen Brief an die Zentrale zu schicken, in dem er sein Erstaunen über deren Passivität gegenüber der KAG zum Ausdruck brachte:

»Wer den Charakter der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft vor den Mitgliedern der Partei nicht entlarvt, wer sie nicht politisch bekämpft als Feinde des Kommunismus, der arbeitet für sie, der ist ihr Exponent in der Partei.«52

Das so an die Zentrale gerichtete Ultimatum verlangt, dass Männer wie Malzahn und Neumann, die in verantwortlichen Positionen in der Partei verbleiben und Friesland unterstützen, die Pistole auf die Brust gesetzt wird, da man ihre prinzipielle Übereinstimmung mit Levi kennt und ihre »fraktionellen« Verbindungen vermutet. Auf der Sitzung der Zentrale, die einige Tage später stattfand, waren Heckert und Pieck anwesend, mit einer Botschaft der Exekutive, die ihr Misstrauen gegenüber Friesland nicht verbarg, dessen Ablösung durch Pieck als Generalsekretär von Eberlein vorgeschlagen wurde.53 Die deutschen Führer*innen zögern: Die Zentrale lehnte den Vorschlag Eberleins ab und wollte die politische Diskussion vertieft sehen. Einige Tage später unterstützte der Zentralausschuss die Friesland-Linie, indem er über eine Resolution abstimmte, die zwar jeden Spaltungsversuch der KAG verurteilte, aber die Fortsetzung der politischen Diskussion mit ihren Mitgliedern befürwortete.54

Am 20. November fand die erste Konferenz der KAG um Levi und Däumig statt: der kommunistische Abgeordnete Otto Brass nahm daran teil und zögerte nicht, Informationen über die letzte Sitzung des Zentralausschusses zu geben.55 Das von der Konferenz verabschiedete Manifest legt die Bedingungen fest, die der KPD »das Ansehen und Vertrauen in den Massen wiedergeben würden«: völlige materielle Unabhängigkeit der Partei von der Internationale, künftige Verweigerung aller Subventionen, Mitkontrolle der Zentrale über alle Publikationen der Internationale vor ihrer Verbreitung in Deutschland, Sicherheit gegen alle offenen oder verdeckten Eingriffe der Exekutive in organisatorische Fragen, in die Angelegenheiten der deutschen Partei, »Programmatische Festlegung einer Politik, die die Zusammenarbeit aller revolutionären Arbeiter in Deutschland ermöglicht, unter ausdrücklichem Verzicht auf alle putschistischen Bestrebungen im Sinne der Märzaktion«, und schließlich eine einheitliche Gewerkschaftspolitik.56 Friesland seinerseits schrieb für »Die Internationale« einen Artikel – von dem sich die Redaktion in einer Notiz distanzierte –, der eine Öffnung in Richtung der KAG und zur gleichen Zeit eine Warnung an seine Gegner*innen in der Partei darstellte: dass die Einheitsfrontpolitik den Verzicht auf die Methode des »Herunterreißens« und von Exkommunikationen implizierte.57 Diskrete Anspielungen auf das Problem des Verhältnisses zwischen der Internationale und der Führung der kommunistischen Parteien zeigen, dass in Wirklichkeit das Bündnis zwischen Levi und dem Mann, der ihm an der Spitze der deutschen Partei gefolgt war, de facto geschlossen war.

Während dieser Neuausrichtung der Kräfte innerhalb der Partei und ihrer Führung explodierte die Bombe der »März-Dokumente.« Ab dem 25. November 1921 begann der Vorwärts, Auszüge aus den Dokumenten zu veröffentlichen, die am 5. Juni von der preußischen Polizei aus Clara Zetkins Gepäck beschlagnahmt worden waren58: zum größten Teil Zeugenaussagen von kommunistischen Aktivist*innen und Verantwortlichen, Protokolle von Besprechungen, die ursprünglich für die Akten der von der Exekutive eingeleiteten Untersuchung der Märzaktion bestimmt waren, sie bezeugen unbestreitbar die provokativen Initiativen, die von einigen im März ergriffen wurden, Pläne für Entführungen oder simulierte Anschläge, und heben insbesondere die Versuche Eberleins hervor, die Arbeiter*innen Mitteldeutschlands zu »erziehen.«59

Obwohl von der sozialdemokratischen Presse veröffentlicht, die sie ihrerseits von der Polizei des preußischen Innenministers Severing erhalten hat, sind diese Dokumente – für Kommunist*innen leicht zu identifizieren – belastend für die Verantwortlichen der Märzaktion und bestätigen die schwersten der von Levi in den vorangegangenen Monaten erhobenen Vorwürfe. Friesland glaubte, in ihrer Veröffentlichung und dem Schock, den sie für viele Aktivist*innen darstellten, die Levi in gutem Glauben als Verleumder betrachteten, eine Gelegenheit für eine entscheidende politische Klärung zu finden. Die Eberlein-Affäre erlaubte ihm, alle politischen Fragen aufzuwerfen, die auf dem Spiel standen: Einmischung der Exekutive in die Leitung60, linksradikale Konzeption des Kampfes, Unabhängigkeit der Partei, loyale Anerkennung der begangenen Fehler. Seine erste Anklage richtet sich sowohl gegen Felix Wolf, dessen Berichte an die Exekutive über den Kopf der deutschen Zentrale hinweg erfolgen, als auch gegen Radek selbst, dessen inoffizielle Artikel an die Rote Fahne am Vorabend und am Tag nach den Sitzungen des Zentralausschusss dieses faktisch seiner Entscheidungsbefugnis beraubten.61 Das Problem der Verbindungen mit der Exekutive wird erneut angesprochen und Friesland stellt fest:

»In einer Atmosphäre, wie sie durch die Beeinflussung einzelner Mitglieder der Zentrale in Personalfragen durch unkontrollierte Korrespondenz usw. geschaffen wird, ist es unmöglich, verantwortungsvolle Parteizentren auszubilden, die bei den Arbeitermassen ihres Landes gesundes Vertrauen erwerben können.«62

Der Boden scheint fest zu sein. Bereits am 28. November traf sich Friesland mit Malzahn und Neumann und sie kamen überein, gemeinsam zu kämpfen, um den Ausschluss Eberleins zu fordern.63 Am 30. November schickten Malzahn, Neumann und Hauth von der Gewerkschaftsabteilung einen Text an die Zentrale, in dem sie den Ausschluss Eberleins forderten, den sie, wie Friesland, als bloßes Instrument einer Fraktion der Exekutive in der Deutschen Partei sahen. Der Bezirk Hanau nahm eine ähnliche Position ein.64 Die Widersprüche werden auf die Spitze getrieben: Man könnte meinen, dass ein richtiger Sturm die Partei erschüttern wird.

Ein Reflex der Solidarität wird in die andere Richtung wirken. Kann die Partei nach der Veröffentlichung von Dokumenten in der sozialdemokratischen Presse einen der eigenen Leute anklagen? Am Ende war dies die Frage, die die Parteimitglieder von oben bis unten spaltete, und sie entschieden sich aufgrund der gegebenen Antwort.

Die Debatte wurde in der Politbüro-Sitzung vom 12. Dezember eröffnet.65 Friesland – in diesem Punkt unterstützt von Ernst Meyer – verteidigte die den Anhängern Levis lieb gewordene These einer Kontrolle der deutschen Zentrale über die deutschsprachigen Publikationen der Internationale. Die von ihm eingebrachte Resolution wurde mit sechs gegen zwei Stimmen abgelehnt, aber fünf seiner Gegner – Clara Zetkin, Thalheimer, Heckert, Pieck und Walcher – erklärten, dass sie mit der Resolution inhaltlich übereinstimmten, sich aber nur weigerten, für sie zu stimmen, um keine Position einzunehmen, die einen Akt der Feindseligkeit gegenüber der Exekutive darstellen würde.66 Friesland unternahm es daraufhin, darzulegen, dass die Hauptgefahr für die Partei im Vormarsch der Berliner Linksradikalen liege, die seiner Meinung nach fast die Hälfte der Aktivist*innen der Partei hinter sich hätten, und dass deshalb die Zentrale eine harte Haltung gegenüber der KAG vermeiden solle: Die Politik des »je schlimmer desto besser« würde sie in Wirklichkeit nach rechts drängen und die Aussicht auf eine Spaltung der Partei eröffnen.67 Man folgte ihm auf diesem Weg nicht. Felix Schmidt trat für den Zweifrontenkampf ein, gegen »Friesland mit seiner KAG und Fritzi mit der KAP.«68 Wilhelm Pieck fordert die Absetzung Frieslands und seine Ersetzung durch eine kollektive Leitung. Walcher überbot ihn und verlangte die Entsendung Frieslands nach Moskau.69 Als Friesland fragt, warum er nicht einfach von der Partei ausgeschlossen werde, erwidert Pieck:

»Eine starke Zentrale könnte und müsste Friesland ausschließen. Aber wir sind keine starke Zentrale und können es plötzlich nicht werden.«70

Er griff seinerseits den Vorschlag Walchers auf. Am Ende wurden die Hauptentscheidungen knapp getroffen: fünf gegen drei Stimmen für die Entlassung Frieslands vom Posten des Generalsekretärs, sechs gegen zwei Stimmen für seine Entsendung nach Moskau; Ernst Meyer stimmte gegen eine Resolution, die seiner Meinung nach den Ausschluss Frieslands aus der Zentrale bedeutete, billigte aber den Beschluss, ihn nach Moskau zu delegieren.71

Wie er vor der Abstimmung gegenüber der Zentrale angekündigt hatte, lehnte Friesland das Exil ab. Am 20. Dezember schrieb er zusammen mit Brass und Malzahn einen »Aufruf an die Mitglieder der KPD«, in dem sie »die unheilvolle Einflüsse, die einzelne Mitglieder der Exekutive unkontrollierbar und ohne Wissen der Mitgliedschaft auf die Entwicklung unserer Partei seit ihrem Bestehen ausüben« und die Gefahr der »Kompromittierung der Kommunistischen Internationale und des Gedankens der internationalen zentralen Leitung des revolutionären Proletariats« verurteilten.72 Vierundsiebzig Aktivist*innen, darunter viele Gewerkschaftsverantwortliche – unter ihnen Niederkirchner, Franken, Fritz Winguth – forderten ihrerseits den Rücktritt der Verantwortlichen für die März-Provokationen und die Veröffentlichung aller Dokumente über die Affäre.73 Der von einhundertachtundzwanzig Leiter*innen unterzeichnete Appell Brass‘, Frieslands und Malzahns wurde am 22. Dezember der Zentrale vorgelegt.74 Friesland ließ mit Hilfe der Berliner Metallgewerkschaft eine Broschüre »Zur Krise unserer Partei« in fünfhundert Exemplaren drucken und unter den Kadern verteilen: sie gab die wichtigsten Dokumente der laufenden Diskussion wieder, die von Friesland vorgelegt wurden, der zum ersten Mal schriftlich, in einem Text, der unweigerlich zur Verbreitung bestimmt war, Felix Wolf und Radek selbst als Vertreter*innen der Exekutive namentlich in Frage stellte.75 Am 22. weist die Zentrale den Einspruch der drei zurück und schreibt eine Antwort, die sie veröffentlicht.76 Sie war auch dabei, die Texte dieser Gegner zu veröffentlichen, die sie als »Parteischädlinge« und »Parteizertrümmerer« bezeichnete.77 Am 27. schloss sie schließlich Friesland aus ihrer Reihen aus und suspendierte die Unterzeichner der verschiedenen Appelle von ihren Aufgaben.78

Sicherlich teilten viele Aktivist*innen und Kader die Ansichten Levis oder Frieslands oder waren für ihre Argumente empfänglich: Seit dem Monat April hatte es nicht an Protesten gegen die Politik der Ausschlüsse ebenso wie gegen die Märzaktion und die Art ihrer Durchführung gefehlt, und sie waren sowohl von der alten spartakistischen und unabhängigen Garde als auch von der Jugend ausgegangen, da die Zentrale der kommunistische Jugend selbst protestiert hatte.79 Aber es handelte sich um keine Meinungssache: Die Mehrheit dieser Menschen weigerte sich, Friesland, nach Levi, zu folgen, weil sie unter diesen Umständen nicht daran denken konnten, sich von der Exekutive zu distanzieren. Für jene Aktivist*innen, die Levis Ansicht teilten, aber nicht der KAG oder Friesland folgten, sind es Levi und Friesland, die gehen: So reagierten der alte Emil Eichhorn80 und der unabhängige Veteran von Halle Kilian81, der Gewerkschaftsaktivist Niederkirchner82, die Hanauer Aktivist*innen, wie der Stahlarbeiter Rehbein83, und die Frankfurter Aktivist*innen, wie Jakob Schloer, der persönlich mit Levi verbunden war84, der ehemalige Jogiches-Schüler Werner Hirsch85, der Jungkommunist Walter Gollmick86, und die rheinischen Parteiverantwortlichen: Franz Charpentier sowie Franz Dahlem.87

Die Exekutive widmete den größten Teil ihrer Sitzung am 18. Dezember der Lage innerhalb der deutschen Partei. Der berichtende Remmele sagt, dass Friesland jetzt die Maske abgeworfen hat. Die KAG ist in der Partei auf kein Echo gestoßen, außer in der Parteileitung: der Zentrale und Gewerkschaftsabteilung. Aber in der Zentrale herrscht in dieser Frage »keine Klarheit«, da Friesland nicht ausgeschlossen wurde.88 Die russischen Vertreter*innen waren begeistert. Für Sinowjew stellt die KAG »den gefährlichsten Feind« dar, weil sie die Partei »von innen« untergräbt: Man müsse jeden, der sich bereit erklärt, mit Levi zu diskutieren, ohne zu zögern ausschließen.89 Bucharin äußert sich sogar noch heftiger: Im Namen der politischen Klarheit müssen die Leviten aus der Partei gejagt werden, weil ihre Anwesenheit in ihren Reihen die Anwendung der neuen Einheitsfronttaktik extrem gefährlich machen würde.90 Sinowjew macht sich Sorgen über Risiken einer Spaltung auf der Linken:

Wenn »die Zentrale, angesichts solcher Scharlatane wie Levi und solcher konterrevolutionären Bande wie die KAG eine unklare Stellung einnimmt, so ergeben sich auf der anderen Seite linke Dummheiten.«91

Er erinnert die Exekutive daran, dass die Zentrale von einem »linken« Kongress gewählt wurde und dass sie angesichts der Rechten zaudert. Da Friesland und seine Anhänger*innen sich auf die Haltung Lenins auf dem 3. Kongress berufen, ist es unabdingbar, dass Moskau Stellung bezieht und die KAG als eine Agentur der Bourgeoisie anprangert. Radek unternimmt es zu zeigen, dass die Meinungsverschiedenheiten breiter sind, dass es vor allem innerhalb der deutschen Zentrale Zögerlichkeiten in der Gewerkschaftsfrage gibt, mehr oder weniger ausgedrückte Zurückhaltung gegenüber der RGI.92 Die so auf die Anklagebank gestellte deutsche Leitung fand keinen Anwalt. Nur Brandler – der gerade in Moskau eingetroffen war – sprach sich gegen eine öffentliche Verurteilung der KAG aus, da er das für »gefährlich« hielt, denn das einzige Problem sei, »dass die Zentrale die politische Situation noch nicht in allen Dimensionen erfasst hat.«93 Tatsächlich waren die Würfel gefallen, und die Exekutive beschloss, ihr ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen, indem sie Radek, Bucharin und Remmele die Redaktion eines Briefs an die Zentrale anvertraute94, den sie am 10. Januar genehmigte.

Die Diskussion in der Partei wurde hart geführt, aber die Formen wurden respektiert. Friesland hatte jede Gelegenheit, sich in den Versammlungen der Aktivist*innen zu äußern, die ihn, eine nach der anderen, verurteilten.95 Am Tag der Eröffnung der Sitzung des Zentralausschusses, die endgültig entscheiden sollte, versetzte ihm »Die Rote Fahne« den Gnadenstoß, indem sie den unter anderem von Lenin, Trotzki, Sinowjew, Bucharin und Radek unterzeichneten Brief der Exekutive veröffentlichte, in dem jeder in der Internationale, der sich mit Levi solidarisch erklärte, als »gegen die Kommunistische Internationale« verurteilt wurde.96 Das Zentralausschuss schloss mit vierzig zu vier Stimmen Friesland und seine Anhänger*innen aus der Partei aus.97 Thalheimer behandelte die Affäre vor der Exekutive der Internationale mit Verachtung und sprach vom Abzug einer »kleinen Gruppe von Führern.«98 Es ist wahr, dass viele Aktivist*innen, die die Basis der von Friesland angeführten Opposition hätten bilden können, die Partei im Gefolge des März verlassen hatten. Es ist nicht weniger wahr, dass andere, die in vielen Punkten mit ihm übereinstimmen, ihn verurteilen und sogar ausschließen. Doch Thalheimer spricht hier mit überraschender Leichtigkeit. Die Männer, die im Januar 1922 endgültig ausgeschlossen werden, sowie diejenigen, die im April und Mai ausgeschlossen wurden oder seit der Märzaktion von sich aus gegangen sind – von denen ein bedeutender Teil über die Unabhängige Partei zur Sozialdemokratie zurückkehren wird –, sind genau die Kader, ohne die Lenin den Aufbau einer revolutionären Partei in Deutschland für unmöglich hielt. Wer diese Einschätzung von Kadern intellektueller Herkunft wie Levi, Däumig, Adolf Hoffmann, Bernhard Düwell, Friesland oder Curt Geyer bestreiten mag, kann den Verlust für die deutsche kommunistische Bewegung durch den Weggang oder Ausschluss Otto Brass‘, Richard Müllers, Wegmanns, Paul Neumanns, Winguths, Malzahns, Paul Eckerts nicht leugnen, Offiziere jener proletarischen Armee, deren Eroberung auf dem Parteitag in Halle als ein entscheidender Schritt im Kampf um den Aufbau einer kommunistischen Massenpartei angesehen und deshalb damals als Triumph gefeiert wurde.

Die Gefahr einer Spaltung nach links

Die Debatte über die Frage Paul Levis, der KAG und schließlich Frieslands, war von der Angst vor einer doppelten Spaltung geprägt. Der Ausschluss der »Rechten« war eine der Forderungen der »Linken«, aber das Voranschreiten der letzteren stärkte den »rechten« Widerstand in der Partei, und die ganze Partei stand schließlich unter ständiger Gefahr der Spaltung.99 Aus diesem Blickwinkel hat die Beseitigung oder der Abgang der Führer*innen der »Rechten« keines der aufgeworfenen Probleme gelöst.

Unter den deutschen Parteikadern blieb eine tief verwurzelte »rechte« Tendenz, die auch durch Ausgrenzung nicht überwunden werden konnte und die durch die Ereignisse von 1921 zweifellos verstärkt wurde. Zahlreich sind die Aktivist*innen, die an Levi und dann in Friesland nicht Ideen verurteilen wollten, die sie teilen, sondern nur Akte der Undiszipliniertheit, Initiativen, die die kommunistische Bewegung spalten, die Solidarität mit der russischen Partei untergraben. Der Druck der Exekutive hätte sie im März nach links ziehen können. Für viele, ob sie sich nun wie Brandler mehr oder weniger gewehrt hatten oder ob sie sich wie Frölich kopfüber in die Offensive gestürzt hatten, stellten die Niederlage und die dann in Moskau erhaltenen Verweise echte Schocks dar. Aktivist*innen wie Brandler, Thalheimer, Walcher, Ernst Meyer, die in den Jahren der KPD(S) mit aller Kraft gegen den den »Linksradikalismus« gekämpft hatten, können nun die Schwere ihres Rückfalls in diese »Kinderkrankheit« ermessen und deren Kosten abschätzen. Von nun an werden sie entschlossen »rechts« sein, systematisch hartnäckig in einer Haltung der Besonnenheit, gepanzert mit Vorsicht gegen die putschistische Versuchung und sogar den einfachen linksradikalen Reflex. Von den Führer*innen der Internationale vom Ausmaß des Fehlers überzeugt, den sie begangen hatten, verloren sie das Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Vernunft und gaben es oft auf, ihren Standpunkt zu verteidigen, um sich systematisch auf die Seite der Bolschewiki zu schlagen, die wenigstens gesiegt hatten.

Die neue deutsche Leitung, insbesondere Ernst Meyer, der ein Jahr lang den Vorsitz der Zentrale innehat und stark unter dem Einfluss Radeks steht, versuchen sich ,der deutschen Lage entsprechend, an der Anlyse des 3. Weltkongress zur internationalen Lage zu orientieren. Da die revolutionäre Welle abgeebbt ist, da die Machtübernahme des Proletariats nicht mehr unmittelbar auf der Tagesordnung steht, da die Offensive der Bourgeoisie die Arbeiter*innenklasse in die Defensive zwingt, in einen erbitterten Kampf zur Verteidigung ihrer bloßen Existenz, müssen die Losungen der Einheitsfront den konkreten Forderungen der Arbeiter*innen entsprechen und gleichzeitig Elemente darstellen, die ihnen helfen, sich der Notwendigkeit der proletarischen Revolution bewusst zu werden. Im Deutschland von 1921-1922 muss eines der Elemente des Bewusstseins der Kampf gegen die Last der Reparationen sein, die durch die vom Lohn einbehaltenen Steuern allein auf den Schultern der Arbeiter*innenklasse lastet, während die Industriellen und Geschäftsleute die ihren erst mit Monaten und sogar Jahren Verspätung, in abgewerteten Mark, zahlen. Die Idee, dass »die Kapitalisten ihren Anteil zahlen müssen«, ist keine wirklich kommunistische Idee, aber sie kann gerade die Reihen des Proletariats in seinem Kampf vereinen. Die Zentrale stellte daher die Forderung nach der »Erfassung der Sachwerte« durch den Staat auf100, wozu Bankkonten ebenso gehörten wie Aktien, Anleihen, Gewerbe- und Industrieeigentum. Sie argumentiert, dass die Beschlagnahme von 51% der »Sachwerte« durch den Staat die Realisierung einer effektiven Kontrolle der Produktion ermöglichen würde, während die Zahlung der Reparationen sichergestellt wird, ohne die Lohnabhängigen mit dem Großteil davon zu belasten. Das Ziel der KPD ist es, durch den Kampf für die Erfassung der Sachwerte allen Arbeiter*innen das Wesen des kapitalistischen Staates und der Regierung und die Notwendigkeit einer Arbeiter*innenregierung deutlich zu machen. Gleichzeitig meint die KPD, dass diese Losung, die für alle Arbeiter*innen annehmbar und verständlich ist, in der Lage ist, die Sammlung und den »Massenkampf« breiter Schichten, die entschlossen sind, gegen den Würgegriff der Großindustrie auf die Wirtschaft und das politische Leben zu kämpfen, zu ermöglichen.

Indem sie diese Politik als die »deutsche NEP« darstellen und argumentieren, dass die Entwicklung eines »Staatskapitalismus« an sich eine Phase der Vorbereitung auf die Machtergreifung und die Diktatur des Proletariats darstellen kann, projizieren Ernst Meyer und die Zentrale damit die in Russland durch die NEP betriebene Politik der Zugeständnisse an die kapitalistischen Tendenzen nach Deutschland – und zwar genau in dem Moment, in dem der deutsche Staat seine Ohnmacht gegenüber den ökonomischen Feudalitäten demonstriert.

Diese Politik stößt in den Reihen der Partei keineswegs auf begeisterte Zustimmung. Tatsächlich war sie nur den ehemaligen Spartakisten direkt zugänglich, die in den Jahren 1919-1920 darüber nachgedacht hatten, wie sie an die Macht kommen könnten, ohne vorher zur Waffe zu greifen. Von den ehemaligen linken Unabhängigen – ein guter Teil von ihnen verließ die Partei, mit Levi oder einzeln, nach der Märzaktion – blieben nur die kämpferischsten Elemente übrig, manchmal die am meisten frustrierten, diejenigen, die im März gekämpft hatten, diejenigen, die den Anschluss an die Kommunistische Internationale gewollt hatten, weil sie die Revolution sofort machen wollten. Die neue Politik passt ihnen nicht: Sie ähnelt zu sehr der graduellen Politik, die sie in der Sozialdemokratie und der unabhängigen Partei abgelehnt haben. Unter ihnen ist das Ansehen dieser unsicheren, zögerlichen Führer*innen, die von »Passivität« zu »unangebrachter Aktivität« übergehen, am schwächsten.

Die neue Berliner Linke sollte aus dieser neuen linksradikalen Strömung Kapital schlagen. Ruth Fischer hatte, anders als Friesland, der Wendung des Sommers 1921 nicht zugestimmt. Sie ist der Meinung: »Der 3. Weltkongress hat sich nicht klar zu den politischen Anschauungen der Gruppe Levi gestellt und er hat die Korrektur an der Märzaktion nicht vornehmen können, ohne den Eindruck zu erwecken, als ob Paul Levi lediglich aus Disziplingründen ausgeschlossen worden wäre.«101 Die Feindseligkeit gegenüber der auf dem 3. Kongress definierten Politik, die als Rückgang, als ungerechtfertigter Rückzug betrachtet wird, beinhaltet auch eine heftige Kritik an der NEP, wie sie in Russland begründet und angewendet wird. In den Augen der Theoretiker*innen der neuen »Linken« sind auch Lenin und seine Genoss*innen in den opportunistischen Irrtum und den Weg der Zugeständnisse an den Kapitalismus zurückgefallen, und es ist die Gesamtheit ihrer Politik von 1921, die einen Bruch mit dem revolutionären Geist von 1917 darstellt, in dem Maße, indem sie die Ausdehnung von NEP auf den Rest der Welt impliziert, d.h. die Aufgabe der Perspektive der Weltrevolution auf kurze Sicht.102 Da diese neue Linke die Weltpolitik auch in russischen Begriffen dachte, knüpfte sie Kontakte zu der von Lenin und dem 10. Parteitag der bolschewistischen Partei im März verurteilten Arbeiter*innenopposition: Im Laufe des Sommers 1921 traf sich Maslow mehrmals in Arthur Rosenbergs Wohnung in Berlin mit den alten Führer*innen dieser Opposition. Schljapnikow und Lutowinow, die im auswärtigen Dienst tätig waren und auch Beziehungen zur KAPD unterhielten103, Ruth Fischer und er denken, dass die russischen Führer*innen, um aus gigantischen Schwierigkeiten herauszukommen, sich nicht mit internen Zugeständnissen an die kapitalistischen Elemente auf wirtschaftlichem Terrain begnügen, sondern nach äußeren Stützpunkten suchen, die es ihnen ermöglichten, einen modus vivendi mit dem Imperialismus zu finden. In einer solchen Perspektive haben die Politik der »Eroberung der Massen«, die Taktik der Arbeiter*inneneinheitsfront im Munde Ernst Meyers dieselbe Bedeutung wie in dem Paul Levis: Es handelt sich um die Suche nach einer Annäherung an die Sozialdemokratie, die die Verurteilung der wahren Revolutionär*innen unter dem Etikett »Linksradikale« erheblich erleichtert.

Die »Linke« der KPD entstand also aus dem Zusammentreffen zweier Strömungen: Intellektuelle der Nachkriegsgeneration und Arbeiter*innen, oft politisch ungeschult, aus den Reihen der linken Unabhängigen. Sie löst sich völlig von jenen Leuten der Exekutive, die bei der Vorbereitung des Kampfes gegen Levi ihre Pat*innen oder ihre Beschützer*innen waren, und stellt sich im Namen der Verteidigung der russischen Revolution gegen die Exekutive und die bolschewistischen Führer*innen selbst: Alle ihre Anhänger*innen glauben in der Tat, dass die Existenz einer »Kampfpartei« in Deutschland – oder zumindest einer von der »opportunistischen« Zentrale abgegrenzten Linken – eine wertvolle Hilfe für diejenigen in Russland sein könnte, die gegen den Opportunismus und die Tendenz zur Kapitulation kämpfen.104 Tatsächlich stellt die Berliner Linke eine echte Partei innerhalb der Partei dar, mit einer eigenen Physiognomie und Charakteristika.105

Es scheint, dass Lenin die »objektiven« Ursachen der Entwicklung der Linken perfekt verstanden hat. Er vertraute sich Clara Zetkin an:

»Ich begreife, dass es in der Situation bei euch so etwas wie eine ›linke Opposition‹ geben kann. Es gibt (…) unzufriedene, leidende Arbeiter, die revolutionär empfinden, aber politisch ungeschult und konfus sind. Es geht ihnen zu langsam vorwärts. Die Weltgeschichte scheint es nicht eilig zu haben; die unzufriedenen Arbeiter aber meinen, eure Parteileitung wolle es nicht eilig haben. Sie machen diese für das Tempo der Weltrevolution verantwortlich, kritteln und schimpfen. Das alles begreife ich.«106

Doch nach einer Intervention Ruth Fischers bei einem Treffen der deutschen Delegierten auf dem 4. Kongress fügt er hinzu:

»Aber was ich nicht begreife, das sind solche Führer der ‚linken Opposition‘, wie ich sie gehört habe. (…) Nein, solche Opposition, solche Führung imponiert mir ganz und gar nicht. Aber ich sage es offen heraus, ebenso wenig imponiert mir eure Zentrale, die es nicht versteht (…) mit derartigen Demagogen kleinen Formats fertig zu werden. Es müsste doch ein leichtes sein, solche Leutchen zu erledigen, die revolutionär gestimmten Arbeiter von ihnen loszulösen und politisch zu erziehen. Gerade weil es revolutionär gestimmte Arbeiter sind, während Radikale der vorliegenden Art im Grunde schlimmste Opportunisten sind.«107

Während man jedoch darauf wartet, dass die Zentrale in der Lage ist, eine solche Politik durchzuführen, muss man eine Spaltung vermeiden, durch die die deutsche Partei nach wertvollen Kadern einen Teil ihrer Stoßtruppen und ihrer Jugend verlieren würde. Deshalb arbeitet Lenin gegen die Gefahr einer Spaltung. In seinem Brief an den Jenaer Parteitag, geschrieben am 14. August 1921108, gibt er den deutschen Kommunist*innen freimütige Erklärungen über seine eigene Haltung während des 3. Weltkongresses, besonders in Bezug auf die Levi-Affäre, die inzwischen von Levi selbst endgültig geregelt wurde. Er besteht auch darauf, dass die neue Taktik keinen Verzicht auf den revolutionären Kampf um die Macht bedeutet, sondern eine bessere Vorbereitung:

Die »Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse (…) ist möglich, sogar dann, wenn die Mehrheit des Proletariats formal Führern aus der Bourgeoisie oder Führern, die eine bürgerliche Politik treiben (…), folgt, oder wenn die Mehrheit des Proletariats schwankt. (…) Bereiten wir sie gründlicher und sorgfältiger vor, lassen wir keine einzige ernste Gelegenheit außer Acht, bei der die Bourgeoisie das Proletariat zwingt, sich zum Kampf zu erheben, lernen wir richtig die Zeitpunkte bestimmen, da die Massen des Proletariats nicht anders können, als sich gemeinsam mit uns zu erheben.«109

Er besteht jedoch darauf, dass die KPD, um diese Aufgabe in Angriff nehmen zu können, zuerst ihre internen Konflikte beenden, »für immer Schluss macht mit dem Kleinkampf gegen die Abgespaltenen von links und rechts«, »sich mit wirklicher Arbeit befassen« muss. Und in diesem Zusammenhang schlägt er den Deutschen vor, diesen Maslow, der »in linkem Radikalismus macht und sich im Sport der ›Zentristenhetze‹ üben möchte«, für ein oder zwei Jahre nach Russland zu schicken, um ihn zu »verdauen.«110

Die einzige Wirkung dieses Vorschlags war, die Empörung der Linken zu provozieren, die ihn als Einmischung und sogar als eine Bedrohung ansahen, die umso unerträglicher war, als Maslow russischer Herkunft war, und der Kongress griff Lenins Vorschlag nicht auf.111 Während des ganzen folgenden Jahres jedoch hielt die Linke in ihren Bastionen Berlin-Brandenburg – wo Ruth Fischer Frieslands Platz eingenommen hatte – und der Wasserkante – wo Hugo Urbahns ihr Leiter war, neben dem der Hafenarbeiter Thälmann immer wichtiger wurde – eine Fraktion aufrecht, die ihre eigene Politik hatte und die Disziplin nur in einer manchmal sehr formalen Weise respektierte.112 Als im Herbst 1922, am Vorabend des 4. Kongresses der Internationale, der Bezirk Berlin-Brandenburg in den Kliems-Festsälen in der Hauptstadt eine Konferenz organisierte, die ihr eigenes Programm formulierte und Ruth Fischer beauftragte, es auf dem Moskauer Kongress zu verteidigen113, und zwar in der Perspektive eines »Zurück zum 2. Kongress«, indem die Beschlüsse des 3. Kongresses rückgängig gemacht würden114, hat die Zentrale guten Grund, eine fraktionelle Tätigkeit anzuprangern und Sanktionen zu fordern, die zudem durch die Aktivitäten der Linken wie ihrer Kontakte zur russischen Arbeiteropposition und zur KAPD in ihren Augen gerechtfertigt sind.115 Trotz der mangelnden Sympathie, die er für die Führer*innen der Linken hatte, lehnte Lenin während der vorbereitenden Treffen jegliche Sanktionen entschieden ab: Für ihn konnte sich die deutsche Partei keine weitere Spaltung leisten.116 Im Kontext des Augenblicks reichte seine Autorität aus, um dies zu verhindern und die »rechte« Zentrale zu zwingen, sich mit der Existenz ihrer »linken« Opposition zu arrangieren.117

Siehe Kapitel XXVII.

Protokoll des III... , S. 190. [i.O. kursiv]

Ebenda.

Bock, a.a.O., S. 262.

Bock, a.a.O., S. 262.

Ebenda, S. 341.

Ebenda, S. 444.

Ebenda, S. 281 [und 444].

Ebenda, S. 286.

Sie findet im März 1922 statt, einem Datum, ab dem zwei rivalisierende Gruppen, die von Berlin und die von Essen, beide den Anspruch erheben, KAPD zu sein (Ebenda, S. 244).

»Die Aufgaben der Kommunisten«, Sowjet, Nr. 5, 1. Juli 1921, S. 138-144. [Nachdruck in »Ohne einen Tropfen …« I/3, S. 788-796]

[a.a.O., S. 794]

[Eine derartige Formulierung konnten wir in Levis Texten nicht finden. Am nächsten kommt ihr: »Die Kommunistische Partei erklärt sich bereit, unbeschadet ihres Rechtes, weitergehende Forderungen im Interesse des Proletariats zu stellen, jede parlamentarischen wie außerparlamentarischen Aktionen dieser Parteien zu unterstützen und zu fördern.« (»Resolution«, Unser Weg (Sowjet). Zeitschrift für kommunistische Politik, 3.Jg., H. 10, September 1921, S. 269-272, hier S. 271. Nachdruck in »Ohne einen Tropfen …«, I/3, S. 913-916, hier S. 915. Es handelt sich um eine von Levi für seine Anhänger*innen in der VKPD verfasste Resolution für den Jenaer Parteitag]

[»Der Parteitag der VKPD«, Unser Weg (Sowjet), Nr. 819, August 1921, S. 235. Nachdruck in »Ohne einen Tropfen …«, I/3, S. 859-868, hier S. 864 f.]

»Der Parteitag der VKPD«, Unser Weg (Sowjet), Nr. 819, August 1921, S. 236-237. [Nachdruck in »Ohne einen Tropfen …«, I/3, S. 859-868, hier S. 865 f.]

Ebenda, S. 237. [a.a.O., S. 866]

Ebenda, S. 237-38. [a.a.O., S. 866]

Ebenda, S. 238. [a.a.O., S. 867]

Ebenda, S. 239. [a.a.O., S. 869]

Levi-Archiv, P 113/15 [Mappe 44 in Box 19], zitiert von Beradt, a.a.O., S. 57. [Die Wiedergabe in »Ohne einen Tropfen …« I/3, S. 819 f. unterscheidet sich etwas]

Levi-Archiv, P 113/20 [Mappe 44 in Box 19], zitiert von Beradt, ebenda. [Die Wiedergabe in »Ohne einen Tropfen …« I/3, S. 821 f. unterscheidet sich etwas]

Ebenda, S. 240. [tats. Aus Paul Levi, Nach dem III. Weltkongress, Sowjet, Nr. 7, S. 199-223, hier S. 210, Nachdruck in »Ohne einen Tropfen …«, 826-854, hier S. 839]

Die Rote Fahne, 3. Juli 1920.

Bericht II (7) … S. 64; P. Levi, »Nach dem III. Weltkongress«, Sowjet, Nr. 7, S. 215 [Nachdruck a.a.O., S. 845; Die Tätigkeit … (13. Juli 1921 – 1. Februar 1922), Protokoll der Exekutivsitzung vom 17. August 1921, in deren Verlauf Karl Radek bekräftigt, dass die Moskauer Vereinbarung nur den Eintritt Zetkins in die Zentrale und den Eintritt Malzahns in den ZA vorsah.

Levi, a.a.O., Sowjet, Nr. 7, S. 215.

Brandt und Lowenthal, a.a.O. S. 175. Über Maslows Verhalten in dieser Sitzung des Zentralausschusses wird Lenin schreiben, dass er »in linkem Radikalismus macht und sich im Sport der ›Zentristenhetze‹ üben möchte«, von seiner »Unvernunft« spricht und präzisiert, dass dieser letzte Ausdruck »milde gesagt« sei (Œuvres XXXII, S. 552, [deutsch »Brief an die deutschen Kommunisten«, Lenin Werke, Band 32, S. 537-548, hier S. 544]).

Radek, »Der 3. Weltkongress über die Märzaktion und die weitere Taktik«, Die Rote Fahne, 14. Juli [Morgen-Ausgabe, S. 1, Spalte 3 – S. 2, Spalte 1] und 15. Juli 1921 [Morgen-Ausgabe, S. 1, Spalte 1-2].

Lenin, a.a.O., S. 548-549. [deutsch S. 541]

Brandt und Lowenthal, a.a.O. S. 176.

Lenin, ebenda, gibt an, dass Radeks Artikel von einem polnischen Aktivisten an ihn gerichtet wurde, was ein Licht auf die Ausrichtungen innerhalb der Internationale wirft.

Bericht II (7)…, S. 174-181. Teilweise veröffentlicht unter dem Titel Die innere Lage Deutschlands und die nächsten Aufgaben der VKPD. Offener Brief an den 2. Parteitag der VKPD (Hamburg, 1921). Es handelt sich um eine persönliche Initiative, die Radek in seinem Bericht an das Präsidium am 17. August lediglich erwähnte (Die Tätigkeit … , S. 102).

Bericht II (7)… auf Französisch, Œuvres, Bd. XXXII, S. 546-556 [deutsch Lenin Werke, Band 32, S. 537-548].

Bericht II (7)… , S. 155-174. Der von Sinowjew entworfene Text wurde dem Engeren Büro vorgelegt und im Verlauf der Sitzung vom 13. August angenommen (Die Tätigkeit … , S. 86)

Detailliertes Protokoll dieser Exekutivsitzung in Die Tätigkeit … S. 100-104.

Ebenda, S. 409-415.

Ebenda, S. 262-265.

Ebenda, S. 408.

Angress, Stillborn Revolution, S. 209. [Die Kampfzeit der KPD. 1921-1923, Düsseldorf 1973, S 247]