Trotzki, Trotzkismus, Vierte Internationale - Pierre Broué - E-Book

Trotzki, Trotzkismus, Vierte Internationale E-Book

Pierre Broué

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Beschreibung

Dieses Buch ist eine Sammlung von Artikeln zur Person Leo Trotzkis, der Geschichte der Vierten Internationale und des Trotzkismus und der aktuellen Bedeutung seiner Ideen. Die meisten Texte stammen von Autoren des Komitees für eine Arbeiterinternationale, insbesondere diejenigen Texte, die sich mit der Geschichte der Vierten Internationale seit Trotzkis Tod und der aktuellen Bedeutung des Trotzkismus auseinandersetzen. Weiterhin sind einige Texte Leo Trotzkis veröffentlicht. Wir wollen mit dieser Veröffentlichung einen Beitrag zum besseren Verständnis des Wirkens und der Ideen Trotzkis, der Bedeutung der Vierten Internationale und ihrer Entwicklung leisten. Vor allem aber hoffen wir, dass sich Leserinnen und Leser entscheiden werden, am Kampf für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft auf der Basis der Ideen und Methoden des Trotzkismus teilzunehmen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1: Trotzki

Ein Leben für die Befreiung der Arbeiterklasse

Zum 70. Jahrestag der Ermordung Leo Trotzkis

Trotzkis Ermordung

Die Service-Kontroverse

Trotzki als demokratischer Sozialist

Teil 2: Geschichte des Trotzkismus

Trotzkis Kampf für den Aufbau der Vierten Internationale

Geschichte des Trotzkismus

Das Programm der Internationale

"Trotzkismus. Einführung in seine Grundlagen — Fragen nach seiner Zukunft"

Trotzkismus in Deutschland: 1924 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs

Teil 3: Bedeutung des Trotzkismus heute

Die Bedeutung der Ideen Leo Trotzkis für das 21. Jahrhundert

Die Aktualität des Übergangsprogramms von 1938

Zur Frage des Übergangsprogramms und der Forderungen zu Verstaatlichung

Trotzki und der Kampf gegen den Faschismus

Teil 4: Trotzki im Original

Ein großer Erfolg

Die russische Revolution – Kopenhagener Rede

Bolschewismus und Stalinismus

Zehn Jahre

„Für“ die Vierte Internationale Nein! Die Vierte Internationale!

Gegen den Strom kämpfend

Teil 5: Anhang

Abkürzungen

Personen

Organisationen, Parteien

Zeitungen, Zeitschriften

Erläuterungen, Fachbegriffe, historische Ereignisse

Zeittafel

Autorenangaben

Impressum

Vorwort

Leo Trotzki war marxistischer Theoretiker, Revolutionsführer, Kämpfer gegen Kapitalismus und Stalinismus, Kopf der Vierten Internationale, Historiker, Literaturkritiker. Mit seinem Namen ist untrennbar der Kampf für sozialistische Demokratie in der stalinisierten Sowjetunion, eine marxistische Stalinismuskritik und die Rettung des revolutionären und demokratischen Erbe des Bolschewismus verbunden.

Doch Trotzki ist nicht nur eine historische Figur. Er war Begründer einer Bewegung, die auch heute noch lebendig ist und eine wichtige Rolle in der internationalen ArbeiterInnenbewegung und Linken spielt. Seine Ideen sind nicht nur von geschichtlichem Interesse. Sie bieten auch heute Antworten auf brennende politische Fragen, mit denen die Linke konfrontiert ist. Das gilt nicht zuletzt für die von ihm entwickelte Theorie der Permanenten Revolution, die Antworten auf die Frage gibt, wie der Kapitalismus in so genannten „rückständigen“ Ländern überwunden werden kann. Gerade angesichts der als „Arabischer Frühling“ in die Geschichte eingegangenen revolutionären Bewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, der Revolution im Sudan, den Massenbewegungen des letzten Jahres in Chile, Ecuador und anderen Ländern , ist diese Theorie von aktuellster Bedeutung. Aber auch in Bezug auf viele andere Fragen – dem Kampf gegen den Faschismus, der Zusammenarbeit von ArbeiterInnenparteien mit bürgerlichen pro-kapitalistischen Parteien, der Entwicklung eines sozialistischen Übergangsprogramms, der Bedeutung der ArbeiterInnendemokratie und vieles mehr – finden sich in Trotzkis Schriften wegweisende Ideen für die heutigen und zukünftigen Kämpfe und Bewegungen.

Trotzki selber hat den Kampf für die Vierte Internationale, also für eine neue revolutionäre ArbeiterInneninternationale nach dem Verrat der sozialdemokratischen Zweiten und stalinistischen Dritten Internationale, als sein wichtigstes Lebenswerk bezeichnet. Und das, obwohl die Vierte Internationale, 1938 gegründet, zu seinen Lebzeiten keine gesellschaftliche Machtposition erlangen konnte. Und doch ist diese Selbsteinschätzung kein Ausdruck von Selbstüberschätzung, sondern von einem Verständnis davon, wie wichtig es war, die Methoden des revolutionären Marxismus in schwerster Zeit zu verteidigen und einen, wenn auch nur kleinen und schwachen, Kader damit zu bewaffnen. Tatsächlich bestand in den 1930er Jahren die Gefahr, dass die revolutionäre Tradition, die von Marx und Engels begründet, von Köpfen wie Lenin, Luxemburg und Liebknecht verteidigt und weiter entwickelt wurde, durch den stalinistischen und faschistischen Terror und marginalisiert zwischen Sozialdemokratie und Stalinismus als den Massenströmungen – und mächtigen Apparaten – in der internationalen Arbeiterbewegung hätte ausgerottet werden können.

Trotzki verhinderte dies. Erstens und vor allem indem er das neue Phänomen des Stalinismus von einem marxistischen Standpunkt aus analysierte, seinen konterrevolutionären Charakter offen legte und eine sozialistische Perspektive des Kampfes gegen die bürokratische Herrschaft der Parteielite formulierte. Zweitens indem er der leblosen, schematischen und im Kern reformistischen Politik der stalinisierten Kommunistischen Internationale zu allen wesentlichen Fragen, mit denen die ArbeiterInnenbewegung in den 1920er und 1930er Jahren konfrontiert war, eine marxistische Analyse und revolutionäre Strategie entgegen stellte. Und drittens durch seine Bemühungen diesen im Wesentlichen von ihm formulierten Ideen durch die Internationale Linke Opposition und ab 1938 der Vierten Internationale einen organisatorischen Ausdruck zu geben.

Den Kampf für diese neue Internationale führte Trotzki auf allen Ebenen, wenn auch wesentlich von den Schreibtischen seines Exils her. Doch er nutzte den literarischen Austausch mit seinen MitstreiterInnen, und die wenigen persönlichen Begegnungen, die aufgrund seiner Isolation im Exil möglich waren, um sich intensiv auch mit Fragen des Organisationsaufbaus und der Taktik zu beschäftigen. Dabei war ihm eine Verteidigung der Prinzipien des revolutionären Marxismus ebenso wichtig, wie taktische und organisatorische Flexibilität und der Versuch, jede Gelegenheit zu nutzen, Verbündete für den Aufbau der neuen Internationale zu suchen. So bemühte sich Trotzki sehr, die Parteien des so genannten Viererblocks – neben der Internationalen Linken Opposition, die deutsche SAP, und die beiden niederländischen Organisationen OSP und RSP – für die Vierte Internationale zu gewinnen. Ebenso riet er seinen GenossInnen, höchste taktische Flexibilität anzuwenden, indem er sie aufforderte, innerhalb der sozialdemokratischen/sozialistischen Massenparteien zu arbeiten, um die dortigen Radikalisierungsprozesse zu beeinflussen. Diese Offenheit und Flexibilität führte jedoch nie dazu die grundlegenden Prinzipien des revolutionären Programms und der Notwendigkeit einer revolutionären internationalen Organisation aufzugeben oder auch nur in Frage zu stellen. Wenn es politisch notwendig war – wie im Fall des Bruchs mit der spanischen POUM, als diese in der Revolution von 1936-1939 einen Kurs der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften einschlug – ging ihm politische Klarheit vor organisatorischer Stärke.

Die Geschichte der Vierten Internationale ist, oberflächlich betrachtet, keine Erfolgsgeschichte. Nach Trotzkis Tod verlor die Organisation den Kompass und ihre Führung zeigte sich unfähig auf eine völlig neue Weltlage die richtigen Antworten zu geben. In den Führungen der Hauptströmungen des Trotzkismus – Vereinigtes Sekretariat, Internationale Sozialistische Tendenz, diverse „morenistische“ Organisationen und, nach der Spaltung des CWI im Jahr 2019, der Internationalen Sozialistischen Alternative (ISA) – haben sich aus Sicht der Sol und des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale (CWI) gewisse falsche Methoden und Herangehensweisen festgesetzt, die dazu führen, dass diese Organisationen immer wieder größere Fehler in wichtigen politischen Fragen begehen. In den letzten Jahren gehören dazu unter anderem Fehleinschätzungen zu den Ereignissen in Syrien, der Rolle islamistischer Bewegungen, des Charakters eines sozialistischen Übergangsprogramms, des Umgangs mit Identitätspolitik und ökosozialistischen Konzepten und des Verhältnisses zu Sozialdemokratie, Gewerkschaften und neuen linken Parteien.

Mit einigen wenigen Ausnahmen – Sri Lanka, Indochina, Bolivien – haben die Organisationen der Vierten Internationale niemals einen wirklichen Massencharakter angenommen. Auch hier vergaben sie die sich bietenden Gelegenheiten. Die Organisation zerfiel in viele verschiedene Gruppen und Strömungen, die alle für sich in Anspruch nehmen, Trotzkis Ideen und seine Methode zu repräsentieren. Die Zersplitterung der trotzkistischen Organisationen wird oft belächelt oder mit Kopfschütteln quittiert. Dabei wird übersehen, dass keine andere politische Strömung, die sich neben dem sozialdemokratischen Reformismus und dem Stalinismus in der ArbeiterInnenbewegung entwickelte, eine solche Überlebenskraft an den Tag legte – ohne von starken Apparaten und finanziellen Mitteln getragen zu werden. Die Zersplitterung hat ihre Ursache in wesentlichen Differenzen in Bezug auf Fragen der Taktik, des Programms und der Herangehensweise an die ArbeiterInnenklasse und den Klassenkampf. Wer schon einmal das unterschiedliche Agieren verschiedener trotzkistischer Gruppen in Streikbewegungen oder in Bezug auf die Partei DIE LINKE erlebt hat, wird schnell einsehen, dass die dort existierenden Unterschiede kaum in einem gemeinsamen organisatorischen Rahmen auszutragen sind, ohne dabei jede einheitliche Handlungsfähigkeit als politische Kraft zu verlieren.

Auch das Komitee für eine ArbeiterInneninternationale musste 2019 eine schmerzliche Spaltung durchlaufen. Ein erheblicher Teil der Führungen in einigen Sektionen hatte begonnen, dem Druck der schwierigen objektiven Lage und der Dominanz kleinbürgerlicher Ideen in der Linken und den sozialen Bewegungen nachzugeben. Das führte dazu, dass Abstriche beim sozialistischen Übergangsprogramm gemacht, die zentrale Rolle der ArbeiterInnenklasse und ihrer Organisationen in der Praxis vernachlässigt und sich an kleinbürgerlich geprägte Ideen in der (queer-)feministischen und der Umweltbewegung angepasst wurde.. Das ist umso tragischer, da einige der Sektionen, die das CWI verlassen haben, in den letzten Jahren wichtige Erfolge erzielt hatten. Aber so wie für Leo Trotzki politische Klarheit vor organisatorischer Stärke ging, mussten auch wir feststellen, dass sich die Wege trennen mussten, um die Geschichte darüber entscheiden zu lassen, welche Herangehensweisen und Programme den Test der Zeit bestehen werden. Dass trotzkistische Ideen eine große Anziehungskraft entwickeln können haben die Organisationen des CWI, aber auch andere trotzkistische Strömungen bzw. Bündnisse wie die FIT in Argentinien in der Vergangenheit bewiesen. Es kommt aber darauf an, durch Erfolge in der Massenarbeit nicht die Prinzipien aufzugeben und eine marxistische Kraft aufzubauen.

Dieses Buch ist eine Sammlung von Artikeln zur Person Leo Trotzkis, der Geschichte der Vierten Internationale und des Trotzkismus und der aktuellen Bedeutung seiner Ideen. Die meisten Texte stammen von Autoren des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale, insbesondere diejenigen Texte, die sich mit der Geschichte der Vierten Internationale seit Trotzkis Tod und der aktuellen Bedeutung des Trotzkismus auseinandersetzen. Wir wollen mit dieser Veröffentlichung einen Beitrag zum besseren Verständnis des Wirkens und der Ideen Trotzkis, der Bedeutung der Vierten Internationale und ihrer Entwicklung leisten. Vor allem aber hoffen wir, dass sich Leserinnen und Leser entscheiden werden, am Kampf für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft auf der Basis der Ideen und Methoden des Trotzkismus teilzunehmen.

Sascha Staničić

Teil 1: Trotzki

Ein Leben für die Befreiung der Arbeiterklasse

1Verleumdet, von allen Ämtern enthoben und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, verfolgt, verbannt und in Abwesenheit bei den Moskauer Schauprozessen zum Tode verurteilt, wurde Leo Trotzki am 20. August 1940 von Stalins Geheimagenten Ramón Mercader in Mexiko ermordet. Wäre es nach dem Willen der Stalinisten gegangen, so wäre der Name „Trotzki“ aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht worden. Doch trotz Geschichtsfälschung, Publikationsverboten und Repression gelang dies nie.

Denn Trotzkis Name war und ist nicht nur untrennbar mit der russischen Oktoberrevolution, der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution der Geschichte, verbunden, sondern auch mit dem Kampf gegen die Stalinisierung der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale. Ab 1923 war dies Trotzkis wichtigster Kampf, den er bis an sein Lebensende entschlossen führte.

Dieser Artikel wirft einen Blick auf ein Leben, das wie kein anderes von dramatischen Kämpfen geprägt war, und fasst die wichtigsten politischen Ideen Leo Trotzkis zusammen. Dieser konnte große Erfolge feiern und musste schwerste Niederlagen hinnehmen, die ihn jedoch niemals in seiner Zuversicht auf eine sozialistische Zukunft erschütterten.

Leo Trotzki, dessen wirklicher Name Lew Dawidowitsch Bronstein war, wurde am 26. Oktober 18792 in dem ukrainischen Ort Janowka geboren. Er wuchs in einem jüdischen Elternhaus auf, das einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb besaß.

In seiner frühen Jugend entwickelte Trotzki seine ersten politischen Gedanken und wurde von einem radikaldemokratischen Oppositionellen zum Narodnik. Die Narodniki waren eine sozialrevolutionäre Bewegung, die von russischen Intellektuellen angeführt wurde, auf den Terrorismus setzte und in der Bauernschaft die entscheidende soziale Kraft für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft sah.

Als er sich 1896 einem politischen Diskussionskreis in Odessa anschloss, traf der junge Volkstümler auf die sieben Jahre ältere Marxistin Alexandra Sokolowskaja, mit der er sich lange und heftige Wortgefechte lieferte. Sokolowskaja argumentierte für den Marxismus und gegen die Vorstellungen der Narodniki und konnte ihn schließlich überzeugen.

Mit Anderen zusammen gründete Leo Trotzki 1897 den illegalen Südrussischen Arbeiterbund, wo er vor allem mit betriebsbezogener Arbeit seine ersten Erfahrungen als Propagandist sammeln konnte.

Frühe Arbeit in der Arbeiterbewegung

Ein Jahr später zerschlug die zaristische Polizei den Arbeiterbund. Trotzki wurde festgenommen, in Isolationshaft gesteckt und 1900 in die sibirische Einöde verbannt. Der junge Sozialist ließ diese Jahre allerdings nicht ungenutzt, sondern studierte Philosophen wie Kant oder Voltaire und beschäftigte sich ausgiebig mit der marxistischen Weltanschauung, vor allem dem historischen und dialektischen Materialismus. Unter dem Pseudonym „Die Feder“ erlangte er als Autor verschiedener Schriften einen hohen Bekanntheitsgrad in der jungen russischen Arbeiterbewegung.

In Sibirien heiratete er Alexandra Sokolowskaja. Die gemeinsame Ehe war von kurzer Dauer: Schon 1902 verließ er Alexandra und ihre zwei gemeinsamen Töchter, um sich ganz der revolutionären Arbeit zu widmen. Er floh aus der sibirischen Steppe und nahm – seinem Hang zur Ironie folgend – den Namen des Oberaufsehers in dem Gefängnis in Odessa an: Trotzki.

Seine Reise führte ihn fast um den halben Erdball: Nach London, wo sich zu dieser Zeit die Zentrale der sozialistischen Zeitung Iskra befand, die damals das Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands war.

„Die Feder“ wurde Mitarbeiter der Iskra. Als deren Vertreter reiste er durch Europa um Spendengelder zu beschaffen. Hier lernte er Natalia Sedova kennen, die seine zweite Ehefrau wurde und ihn bis an sein Lebensende begleitete.

Spaltung der SDAPR in Bolschewiki und Menschewiki

Schon bald geriet der 22-jährige Trotzki zwischen die Fronten der Partei. Der II. Parteikongress, der 1903 in der britischen Hauptstadt stattfand, führte zur plötzlichen Spaltung der SDAPR. Die Bolschewiki mit Lenin an der Spitze und die Menschewiki um Martow zerstritten sich zutiefst darüber, welchen Charakter die Parteiorganisation haben sollte. Lenin griff die Minderheitler scharf an und trat für eine streng zentralisierte Partei von Berufsrevolutionären ein, die geschützt vor der Verfolgung des zaristischen Regimes aus dem Untergrund heraus agieren sollte. Die Minderheit des Kongresses, die Menschewiki, stellten diesem Konzept die Idee einer Partei entgegen, die für alle Interessierten offen stehen sollte.

Trotzki, wütend und voller Unverständnis über das in seinen Augen rücksichtslose Verhalten Lenins, wandte sich nun gegen diesen und ging – zu seinem späteren Bedauern – mit der geschlagenen Fraktion der Menschewiki. Er befürchtete ein undemokratisches, überzentralistisches Parteiregime. Er erkannte nicht, dass dieser Konflikt über Fragen der Parteiorganisation Ausdruck unterschiedlicher politischer Linien war, die in den darauf folgenden Jahren deutlich werden sollten. Die Menschewiki wurden zu einer reformistischen, sozialdemokratischen Partei, während die Bolschewiki am revolutionären und internationalistischen Marxismus festhielten und 1917 zur Kommunistischen Partei wurden.

Lange verfolgte Leo Trotzki die Idee, die beiden Flügel wieder zusammenzubringen, je weiter sich die Menschewiki jedoch nach Rechts entwickelten, je weiter entfernte sich auch Trotzki von ihnen. Er sollte mehr und mehr zum fraktionslosen Einzelgänger in der SDAPR werden, der zwar mit seinem Verständnis der revolutionären Taktik mehr Schnittmengen mit den Bolschewiki hatte, daraus jedoch noch bis 1917 nicht die Schlussfolgerung zog, sich Lenins Organisation anzuschließen.

Russische Revolution 1905

1904 entbrannte ein heftiger Konflikt zwischen dem russischen Zarenreich und Japan um Kolonien in der chinesischen Mandschurei, der zu dem russisch-japanische Krieg und einem völligen Debakel der russischen Armee führte.

Eine massive wirtschaftliche und soziale Krise erschütterte Russland. Aufstände und Streiks gegen das Zarenregime brachen aus, das mit voller Härte gegen die Rebellion vorging. Als am 22. Januar 1905 rund 200.000 streikende ArbeiterInnen in der russischen Hauptstadt St. Petersburg in einem friedlichen Protestzug zum Winterpalais marschierten, ließ der Zar auf die Menge schießen. Dieser Tag ging als der Petersburger Blutsonntag in die russische Geschichte ein. Der Tod von eintausend DemonstrantInnen war der Funke, der das Pulverfass aus Wut und Hass gegen den Despoten zur Explosion brachte. Massenstreiks erfassten nun alle Städte Russlands, die Eisenbahner legten die Verkehrswege lahm und es gab spontane Enteignungen der Großgrundbesitzer durch die hungernde Landbevölkerung. Die Arbeiterklasse betrat als treibende Kraft der Revolution die Bühne der Geschichte, und die Regierung verlor zunehmend die Kontrolle über die Situation.

In St. Petersburg lebten etwa eine halbe Million ArbeiterInnen. Hier bildete sich auf Initiative der Menschewiki ein Sowjet. Als Rat von jederzeit abwählbaren Delegierten aus den Betrieben vertrat er das städtische Proletariat. Trotzki, der im Februar 1905 in Russland ankam, wurde im Verlauf der Revolution zum Vorsitzenden des St. Petersburger Sowjets gewählt.

Die Sowjets breiteten sich als Organe der Revolution auch auf andere Städte Russlands aus und kontrollierten einen beträchtlichen Teil des öffentlichen Lebens.

Mit Zugeständnissen und militärischer Gewalt versuchte der Zar die Bewegung zu stoppen. Fast zwei Jahre waren notwendig um die Revolution niederzuschlagen. Für die russische Arbeiterklasse sollte die Revolution von 1905 die Generalprobe für die Oktoberrevolution zwölf Jahre später sein. Trotzki wurde abermals verhaftet, es gelang ihm jedoch erneut, ins ausländische Exil zu flüchten.

Permanente Revolution

Inspiriert durch die Erlebnisse der Revolution, aber auch den Austausch mit Alexander Parvus entwickelte Leo Trotzki die Theorie der Permanenten Revolution, die er 1906 in seiner Broschüre „Ergebnisse und Perspektiven“ darlegte.

Vor dem Hintergrund der 1905 gemachten Erfahrungen analysierte er die neue objektive Situation in der Gesellschaft, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und leitete daraus Perspektiven für die Weltrevolution ab.

Grundlage der Theorie der Permanenten Revolution ist die Erkenntnis, dass in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung, wie dem zaristischen Russland, die nationale kapitalistische Klasse zu schwach ist, um wie in Frankreich oder England im 17. und 18. Jahrhundert eine fortschrittliche Rolle zu spielen, die Gesellschaft aus der Dunkelheit des Feudalismus zu reißen und die bürgerliche Revolution durchzuführen. Wie die Geschichte später zeigen sollte, waren die Bürgerlichen in Russland tatsächlich unfähig, dem Adel und Großgrundbesitzern die Macht abzutrotzen, die Landverteilung zu klären, eine bürgerliche Demokratie zu etablieren und die nationale Frage zu lösen.

Leo Trotzki stellte mit der Theorie der Permanenten Revolution heraus, dass nur die städtische Arbeiterklasse aufgrund ihres revolutionären Potentials und ihrer bedeutenden Stellung im Produktionsprozess diese fortschrittliche Rolle spielen und – als Führung der zahlenmäßig weitaus größeren Klasse der BäuerInnen – die Revolution leiten kann.

In der sozialdemokratischen Bewegung dieser Zeit war es eine weit verbreitete Auffassung, dass mit einer gesellschaftlichen Umwälzung die kapitalistische Klasse die Macht übernehmen und den Kapitalismus festigen sollte. Erst dann – so die Annahme Vieler – würden die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für den Sozialismus geschaffen, wie es bereits in den weiter fortgeschrittenen Volkswirtschaften der Welt der Fall war. Trotzki erklärte hingegen nicht nur, dass nur die Arbeiterklasse die Aufgaben der bürgerlichen Revolution lösen könne, sondern auch, dass – wenn die Arbeiterklasse die Macht Russland erst einmal errungen habe – sie wegen der Schwäche der Bürgerlichen gar nicht anders könnte, als mit der sozialistischen Umwandlung des Eigentums zu beginnen, um die demokratischen Aufgaben der bürgerlichen Revolution zu erfüllen. In diesem Sinne also ist die Revolution „permanent“ und „ununterbrochen“, weil sie weiter geht als die bürgerliche Revolution. Auch Marx hatte die „Revolution in Permanenz“ diskutiert, Trotzki entwickelte diese Frage jedoch weiter.

Neu in der politischen Landschaft waren seine Analysen, die besagten, dass die sozialistische Revolution in Russland ihren Anfang finden sollte und wie sich die Weltgeschichte durch die kommende russische Revolution weiter entwickeln sollte.

Wie Leo Trotzki unterstrich, kann die sozialistische Umwandlung nur Erfolg haben, wenn ihr weitere erfolgreiche Arbeiterrevolutionen, auch in den entwickelteren Ländern, folgen:

„Sollte sich das russische Proletariat an der Macht befinden, wenn auch nur infolge eines zeitweiligen Aufschwungs unserer bürgerlichen Revolution, so wird es der organisierten Feindschaft seitens der Weltreaktion und der Bereitschaft zu organisierter Unterstützung seitens des Weltproletariats gegenüberstehen.“ Der Arbeiterklasse in Russland, so der Autor, „wird nichts anderes übrig bleiben, als das Schicksal ihrer politischen Herrschaft und folglich das Schicksal der gesamten russischen Revolution mit dem Schicksal der sozialistischen Revolution in Europa zu verknüpfen.“3

Der Erste Weltkrieg und die Russische Revolution 1917

Schon bald sollten sich Trotzkis Perspektiven bestätigen. Der Ersten Weltkrieg spitzte die Lage in Russland zu. Hunger, Streiks in Betrieben, Unruhen auf dem Lande und Meuterei bei Soldaten und Matrosen – erneut brach eine revolutionäre Periode an. Unter den führenden kriegstreibenden Nationen war Russland das Land, in dem die herrschende Klasse am schwächsten und rückständigsten war. Die Kette des Imperialismus, der die Welt in seinem Würgegriff hielt, brach an ihrem schwächsten Glied.

Im Februar 1917 begann die Revolution, die der Zarenherrschaft ein schnelles Ende bereitete. Wieder bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die neben der Duma, dem russischen Parlament, ein selbständiger Machtfaktor wurden. So entwickelte sich eine Periode der Doppelherrschaft zwischen bürgerlichen und proletarischen Machtorganen.

Die Provisorische Regierung setzte sich zuerst vor allem aus den bürgerlichen Konstitutionellen Demokraten und Sozialrevolutionären zusammen, später wurden noch die reformistischen Menschewiki miteinbezogen. Diese bürgerliche Regierung war völlig außerstande, die Forderungen der Massen nach Land, Brot und Frieden zu erfüllen.

Aus dem Exil kam Leo Trotzki wegen einer kurzen Internierung erst im Mai in St. Petersburg an, einen Monat nach Lenin. Dieser rief zur Machtübernahme durch die Arbeiterklasse auf und musste sich zu dieser Zeit von Kritikern in der bolschewistischen Partei die Beschuldigung anhören, er habe vor Trotzkis Perspektiven und der Theorie der Permanenten Revolution kapituliert. Tatsächlich war Lenin zu politischen Schlussfolgerungen gekommen, die Trotzkis Perspektive entsprachen, während Trotzki sich von der Richtigkeit des bolschewistischen Organisationsverständnisses überzeugt hatte. Er schloss sich Lenin und den Bolschewiki an und wurde umgehend in das Zentralkomitee der Partei gewählt. Im Oktober wurde er erneut Vorsitzender des Petrograder4 Sowjets und forderte die unfähige Provisorische Regierung zum Rücktritt auf.

Durch ihre konsequente Politik im Interesse der Arbeiterklasse und armen Bauernschaft und ihrer Weigerung, die Provisorische Regierung politisch zu unterstützen und die Fortsetzung des Krieges zu rechtfertigen, hatten die Bolschewiki innerhalb weniger Monate die Mehrheit in den Sowjets erlangt. Auf dieser Basis gingen sie im Oktober an die Organisation des bewaffneten Aufstands zum Sturz der Regierung und der Machtübernahme durch die Arbeiter- und Soldatenräte.

Als Organisator des revolutionären Petrograder Militärkomitees dirigierte Trotzki über Nacht die weitgehend friedliche Machtübernahme in der Hauptstadt. Im Namen des Militärkomitees konnte Trotzki schließlich feierlich erklären, dass die Provisorische Regierung nicht mehr existiere. Alle Macht sollte nun von den Sowjets ausgehen.

Leo Trotzki, von Zeitzeugen wie dem amerikanischen Journalisten John Reed als der populärste Redner der Revolution bezeichnet, wurde in die neue Regierung, dem Rat der Volkskommissare gewählt, als Volkskommissar für äußere Angelegenheiten ernannt und mit den Friedensverhandlungen mit Deutschland und Österreich-Ungarn betraut. In dem Bewusstsein, dass der weitere Verlauf der Revolution nun vor allem von dem Kampf der europäischen Arbeiterklasse abhing, nutzte er die Verhandlungen als Bühne für die Agitation und Propaganda an die internationale Arbeiterklasse.

Der Russische Bürgerkrieg

Die Revolution im Ausland ließ allerdings noch auf sich warten. In Brest-Litowsk musste die russische Delegation schließlich einen Friedensvertrag unterzeichnen, der dem jungen Sowjetstaat empfindliche Zugeständnisse abverlangte.

Doch damit nicht genug. Die „Weißen“ bereiteten die Konterrevolution vor und stürzten das Land 1918 in einen heftigen Bürgerkrieg. Unterstützt wurden sie von den alliierten kapitalistischen Staaten, die den weißen Generälen Kriegsmaterial und 50.000 Soldaten zur Verfügung stellten. Ihr Ziel war es, an Russland ein Exempel zu statuieren und den ersten Arbeiterstaat der Geschichte dem Erdboden gleich zu machen.

Leo Trotzki – der bereits als Organisator des Oktoberaufstands sein militärisches Talent bewiesen hatte – wurde damit betraut schnell eine Rote Armee aufzubauen. Gebot der Stunde war es, die Reaktion zurück zuschlagen und die Sowjetrepublik der ArbeiterInnen und BäuerInnen zu verteidigen. In einem gepanzerten Zug fuhr der neue Kriegskommissar stets von einer Frontlinie zur anderen, um gemeinsam mit den roten Truppen zu kämpfen, aber auch um mit sozialistischer Propaganda die Moral und Überzeugung der Soldaten zu stärken, die durch die vielen Jahre der Entbehrungen während des Ersten Weltkrieges kampfmüde waren. Es sollte bis 1921 dauern, die weißen Garden und die Alliierten zurück zuschlagen.

Die Revolutionen in den wirtschaftlich weiter entwickelten Ländern Deutschland und Österreich-Ungarn, auf die Lenin und Trotzki große Hoffnung setzten, schlugen wegen des Verrats der dortigen Sozialdemokratischen Parteien 1919 fehl. Die Jahre des Krieges, des Hungers und der Seuchen hatten der russischen Bevölkerung hart zugesetzt; nun sollte der Arbeiterstaat, der nur über eine sehr gering entwickelte Ökonomie verfügte, auch noch international isoliert bleiben.

Trotzkis Kampf gegen Stalinismus

Der Bürgerkrieg schwächte den jungen Arbeiterstaat und die demokratische Machtausübung der Arbeiterklasse. Zur Verteidigung der Revolution wurde dem Sieg im Bürgerkrieg alles untergeordnet. Die Räte konnten angesichts einer reduzierten Industrieproduktion und der Tatsache, dass viele ArbeiterInnen an die Front gingen, ein Eigenleben kaum aufrechterhalten. Die Kommunistische Partei ersetzte mehr und mehr die Funktion der Räte. Zu Lebzeiten Lenins war dies jedoch immer als vorübergehendes Phänomen verstanden worden.

Doch die wirtschaftliche und kulturelle Rückständigkeit, die Folgen von Welt- und Bürgerkrieg und vor allem die Isolierung des jungen Arbeiterstaates schufen Voraussetzungen für den Aufstieg des Stalinismus.

Eine privilegierte Parteikaste entstand, die andere Interessen als die Arbeiterklasse entwickelte und immer mehr Macht in ihren Händen konzentrierte. Diese neue gesellschaftliche Schicht aus Beamten und Funktionären konnte sich im Partei- und Staatsapparat festsetzen und hatte kein Interesse mehr daran, nach Ende des Bürgerkrieges die Rätedemokratie wieder aufleben zu lassen. Die Verkörperung dieser Bürokratie war der 1922 zum Generalsekretär der Partei gewählte Josef Stalin.

Leo Trotzki trat dieser Entwicklung entschieden entgegen und warnte in einer ganzen Serie von Artikeln und Analysen vor den gefährlichen Auswüchsen der Bürokratie in Staat und Partei und dem sich aus den Interessen dieser Funktionärskaste ergebenden politischen Konservativismus und Nationalismus.

Lenin, der durch einen schweren Schlaganfall nicht mehr aktiv an dem politischen Geschehen der Partei teilnehmen konnte, teilte die Befürchtungen Trotzkis. Kurz vor seinem Tod bereitete er mit ihm einen Block gegen die Bürokratie vor. Bevor Lenin 1924 starb, empfahl er in seinem Testament die Absetzung Stalins als Generalsekretär.

In der Partei wehte ein deutlich anderer Wind als 1917. Die Schlüsselpositionen in der Gesellschaft besetzte Stalins Clique – zu der auch die verdienten Altbolschewisten Sinowjew und Kamenjew gehörten – von nun an von oben. Leo Trotzki wurde politisch kaltgestellt und bekam in der Partei keine entscheidenden Aufgaben mehr.

Groß war der Aufschrei in der Bevölkerung nicht: In der russischen Arbeiterklasse war nach den katastrophalen Jahren des Krieges Müdigkeit eingekehrt und der Wunsch nach Ruhe wog bei Vielen schwer. Die, die sich dennoch mit Trotzki öffentlich solidarisierten, erfuhren schon bald die starke staatliche Repression durch den Apparat.

Der Aufbau der Linken Opposition

Trotzki erkannte, dass die Entstehung der Bürokratie Folge der sozialen Entwicklungen in der jungen Sowjetunion war. Er war sicher, dass nur die Arbeiterklasse diesen Prozess stoppen konnte und verzichtete deshalb darauf, seinen hohen Einfluss in der Roten Armee zu einem militärischen Sturz der Stalin-Clique zu nutzen, was ihm von Genossen geraten wurde. Er wusste, dass er dadurch nur selber zum Gefangenen einer Militärbürokratie geworden wäre und ging statt dessen daran gemeinsam mit Anderen die Linke Opposition gegen den Kurs der Bürokratie aufzubauen.

Stalin ging zum Gegenangriff über und begegnete dem 1924 mit der Schaffung der Legende des „konterrevolutionären Trotzkismus“. Eine beispiellose Lügenkampagne überschwemmte das Land, um die große Popularität des Oppositionellen zu zerstören, der doch in den Augen vieler ArbeiterInnen die Prinzipien der Russischen Revolution verkörperte. Die mittlerweile fast gleichgeschaltete Führung der Kommunistischen Partei schrieb nun die Geschichte der Oktoberrevolution um und entwickelte die Theorie eines „Sozialismus in einem Land“, um Stalins Politik gegenüber der Kritik der Opposition zu rechtfertigen.

Mit der Theorie des „Sozialismus in einem Land“ sollte begründet werden, warum die Verteidigung der Sowjetunion – also die Macht und Privilegien der Bürokratie – über die Ausdehnung der internationalen Revolution gestellt wurde. Vor dem Hintergrund dieser Theorie wurden unter Stalins Direktive wichtige Chancen für die internationale Revolution verspielt. So sollte sich die Kommunistische Partei Chinas 1927 in einer revolutionären Situation der bürgerlichen Guomindang unterordnen. Dies hatte zur Folge, dass die Guomindang brutale Massaker unter den revolutionären ArbeiterInnen Schanghais und die Vernichtung eines Großteils der Mitgliedschaft der Kommunistischen Partei Chinas organisieren konnte.

Trotz aller Versuche gelang es Trotzki nicht, gegen diese falsche Politik anzukommen. Der Aufbau der Linken Opposition in Russland fand unter schwersten Bedingungen statt. Ihre Mitglieder mussten unter einer immer härter werdenden Verfolgung durch den Staatsapparat und der Geheimpolizei GPU leiden, wurden aus der Partei ausgeschlossen, verhaftet, in den Tod getrieben oder gar liquidiert. Auch Stalins Verbündete Sinowjew und Kamenjew und ihre Anhänger schlossen sich 1926 kurzzeitig der Opposition an.5 Unter dem Druck der Staatsmaschinerie und dem Eindruck der erfolgreichen Industrialisierung des Landes kapitulierten sie jedoch in den 1930ern vor Stalin.

Leo Trotzki wurde in das kasachische Alma-Ata verbannt. Um ihn noch weiter zu isolieren, wurde er im Januar 1929 von der GPU gezwungen auf die türkische Insel Prinkipo im Marmarameer umzusiedeln. Hier setzte er seine oppositionelle und schriftstellerische Arbeit fort und schrieb unter Anderem die „Geschichte der Russischen Revolution“ und seine Autobiographie „Mein Leben“. Er baute die Kontakte mit linken Oppositionellen aus verschiedenen Ländern aus, gründete das Bulletin der Opposition und legte den Grundstein für die Internationale Linke Opposition.

Aufstieg des Hitlerfaschismus in Deutschland

In Deutschland hatte sich Ende der 1920er Jahre die politische Lage extrem zugespitzt. Durch die wirtschaftliche und soziale Krise begünstigt, wuchs unter den reaktionären Teilen des Kleinbürgertums Hitlers NSDAP. Leo Trotzki beschäftigte sich im Exil viel mit den Geschehnissen in Deutschland und veröffentlichte wichtige Analysen zum deutschen Faschismus. Er war einer der wenigen Zeitzeugen, die in den 1920ern und 1930ern die historische Gefahr des Hitlerfaschismus richtig einschätzte.

Die Weltwirtschaftskrise traf Deutschland hart und ließ den Lebensstandard der Massen drastisch sinken und die Erwerbslosigkeit steigen. In Armut und Perspektivlosigkeit geratene Kleinbürger wendeten sich vermehrt den Nazis zu, die vorgaben sie sowohl gegen das große Kapital, was sie schlucken, als auch gegen die Arbeiterbewegung, die sie angeblich enteignen wollte, zu verteidigen. Tatsächlich besorgten die Faschisten jedoch nur das Geschäft der Kapitalisten, die diese letztlich finanzierten und an die Macht brachten.

Trotzki analysierte, dass die Kapitalistenklasse zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen und zur Wiederherstellung der Kriegsfähigkeit Deutschlands die Arbeiterbewegung nachhaltig zerschlagen musste. Bürgerliche Regierungen, die sich auf die parlamentarische Demokratie stützten, waren dazu nicht in der Lage. Es bedurfte einer terroristischen Massenbewegung, um die Organisationen der Arbeiterklasse, die viele Millionen Mitglieder zählten, dem Erdboden gleich zu machen.

Leo Trotzki schrieb dazu:

„Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit [...]. Der Sieg des Faschismus führt dazu, dass das Finanzkapital sich direkt und unmittelbar aller Organe der Herrschaft, Verwaltung und Erziehung bemächtigt [...]. Die Faschisierung des Staates bedeutet [...] hauptsächlich die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen.“6

Die KPD war als Teil der Dritten Internationale bereits unter völliger Kontrolle des stalinistischen Apparats und verfolgte eine ultra-linke Politik, die verhinderte, dass Gewerkschaften, SPD- und KPD-Mitglieder gemeinsam dem Faschismus entgegentraten. Die KPD-Führung sah keinen Unterschied zwischen der von der SPD unterstützten bürgerlichen Regierung und dem Hitlerfaschismus und unterschätzte völlig die Gefahr, die von den Nazis ausging. „Nach Hitler kommen wir“ war ihre Illusion. Die stalinistische Theorie des „Sozialfaschismus“, die SPD und NSDAP gleichsetzte, bildete das Fundament dafür.

Leo Trotzki unterschied zwischen der bürgerlichen Führung der SPD – die damals noch eine Arbeiterpartei mit aktiver Massenunterstützung war – und der Basis der Partei, die von der kleineren KPD aufgrund ihrer bisher oft fehlerhaften Politik noch nicht überzeugt war.

Trotzki schlug der KPD vor, einen Appell zur Einheitsfront an die Sozialdemokratie, gleichermaßen an die Mitglieder und die Führung, zu richten. Wäre es gelungen, die SPD in eine Einheitsfront zu zwingen, hätte Hitler gestoppt werden können und hätte sich die KPD im gemeinsamen Kampf als die konsequentere Interessenvertretung der Arbeiterklasse zeigen können. Hätte die SPD-Führung sich dem Angebot verweigert, hätte sie das vor den Augen der sozialdemokratischen ArbeiterInnen entlarven können und die KPD gestärkt.

Wegen der Verweigerung der Einheitsfront durch die SPD- und KPD-Führung kam es 1933 anders. Hitler kam an die Macht, zerschlug die Arbeiterbewegung, steckte die Gewerkschaftshäuser in Brand und deportierte die SPD- und KPD-Mitglieder in die Konzentrationslager. Und wie Trotzki richtig vorhersagte, bedeutete Hitlers Machtergreifung Krieg gegen die Sowjetunion.

Trotzki kam aufgrund dieser Ereignisse 1933 zu dem Schluss, dass die Dritte Internationale nicht mehr reformierbar sei:

„Eine Organisation, die der Donner des Faschismus nicht geweckt hat, und die demütig derartige Entgleisungen von Seiten der Bürokratie unterstützt, zeigt dadurch, dass sie tot ist und nichts sie wieder beleben wird.“7

Nachdem Trotzki eine Einreiseerlaubnis aus Frankreich erhalten hatte, verließ er Prinkipo. Von Frankreich siedelte er nach Norwegen um, wo ihm kurzzeitig Asyl gewährt wurde. Dort schrieb er 1936 „Verratene Revolution“. In diesem Buch arbeitete er die Grundzüge des Stalinismus heraus und lieferte eine bis heute unübertroffene Analyse der Sowjetunion unter Stalin, die er einen „degenerierten Arbeiterstaat“ nannte. Dieses Werk ist bis heute die bedeutendste Analyse der Stalinisierung der Sowjetunion. Trotzki skizzierte darin das Programm einer „politischen Revolution“ für den „Sturz der bürokratischen Kaste“ in Russland.

Die Moskauer Schauprozesse

Die Unterdrückung und der stalinistische Terror in Russland erreichte mit den Moskauer Schauprozessen von 1936 bis 1938 eine neue Qualität. Mit der Eliminierung der alten Garde der Bolschewiki von 1917 wollte Stalin sich die Alleinherrschaft sichern. Jegliche personelle Alternative zu seiner Vormachtstellung in Staat und Partei sollte ausradiert werden. So wurden zuerst Sinowjew und Kamenjew und 14 weitere Bolschewiki vor Gericht gestellt und hingerichtet. Als Grund für die Verurteilungen wurde immer oppositionelle Tätigkeit angeführt.

Für jeden alten bolschewistischen Führer der bei den Moskauer Schauprozessen angeklagt und hingerichtet wurde, wurden weitere hunderte und tausende Menschen eingekerkert. Mindestens acht Millionen wurden verhaftet, fünf bis sechs Millionen fanden in den Gulags ihr Ende. Unter ihnen auch Familienmitglieder Trotzkis, die sich politisch gar nicht betätigten. Der Hauptangeklagte der Moskauer Schauprozesse war Leo Trotzki selbst, dessen Name stetig im Raum schwebte. In Abwesenheit erhielt er seinen Urteilsspruch: Die Todesstrafe.

Der Spanische Bürgerkrieg

Diese Schauprozesse waren direkt verbunden mit dem konterrevolutionären Eingreifen der Moskauer Elite in das Geschehen des Spanischen Bürgerkriegs 1936 bis 1939.

Nach dem blutigen Scheitern ihrer Sozialfaschismus-Theorie schwenkten die Stalinisten um, und erklärten die „Volksfront“ als Leitfaden ihrer Politik. Die Kommunistischen Parteien sollten das Bündnis mit den pro-kapitalistischen Parteien suchen, um die bürgerliche Demokratie zu verteidigen.

Die spanischen Linksoppositionellen fanden sich entgegen Trotzkis Ratschlag in der POUM wieder, die vor allem in Katalonien aktiv war und eine zentristische Position einnahm: Sie war in Worten revolutionär und schreckte in der Praxis vor revolutionärer Politik zurück. Mit der Erhebung rechter und rechtsextremer Gruppen um den spanischen General Franco brach ein Bürgerkrieg und eine Arbeiter- und Bauernrevolution aus. Es entstanden Arbeitermilizen und Räte, die zeitweise neben der Volksfrontregierung eine Art Doppelmacht ausübten. Trotzki versuchte vergeblich die schwankende POUM-Führung davon zu überzeugen, dass die Partei nun der Arbeiterklasse zur Machtübernahme verhelfen solle. Stattdessen orientierte sie auf eine Beteiligung an der Volksfrontregierung, deren Schicksal besiegelt war:

„Die Arbeiter und Bauern vermögen nur dann den Sieg zu erringen, wenn sie um ihre eigene Befreiung kämpfen. In diesen Umständen das Proletariat der Führung der Bourgeoisie unterstellen heißt ihm von vornherein eine Niederlage im Bürgerkrieg garantieren.“8

Die Bürokratie in Moskau intervenierte zur Verteidigung der kapitalistischen Republik in der spanischen Revolution. Leo Trotzki arbeitete heraus, warum der Stalinismus nun eine offen konterrevolutionäre Rolle einnahm. Die GPU dehnte ihre Verfolgungen und Ermordungen gegen linke Oppositionelle auf Spanien aus. Hintergrund dieser Politik war, dass Stalin „eine Versöhnung mit der Bourgeoisie“9 und sich den mächtigen kapitalistischen Staaten Europas, wie Frankreich und England als vertrauenswürdige Ordnungsmacht präsentieren wollte. Hätte es eine erfolgreiche Revolution in Spanien gegeben, so hätte das weitere Erhebungen in Europa bedeutet und die bürokratische Entartung und Herrschaft Stalins in Moskau tief erschüttert, so Trotzki.

Die Vierte Internationale

Schon 1933 warb Leo Trotzki für eine neue Internationale, die „die UdSSR vor dem Zusammenbruch retten [könne], indem sie ihr weiteres Schicksal mit dem Schicksal der proletarischen Weltrevolution verbindet“10und die beste Traditionen der Ersten, Zweiten und Dritten Internationale und des revolutionären Marxismus aufrecht erhalten sollte. Versuche, linkssozialistische Parteien, wie die deutsche Sozialistische Arbeiterpartei, gemeinsam mit der Internationalen Linken Opposition in einer neuen Internationale zu vereinigen, scheiterten. So war die Zahl der Gruppen, die sich am 3. September 1938 bei der formellen Gründung der Vierten Internationale in Paris zusammen schlossen nicht groß. Historisch gesehen war die Schaffung dieser neuen Internationale aber notwendig, als Alternative zur stalinistischen Dritten Internationale und als neuer Orientierungspunkt für die revolutionären Bewegung.

Trotzkis Ermordung

Währenddessen übte Stalin massiven Druck auf die norwegische Regierung aus, die Trotzki ausliefern sollte. Erneut musste dieser ein neues Asyl finden – diesmal in Mexiko, wo er bei dem sozialistischen Künstlerpaar Frida Kahlo und Diego Rivera unterkam. Aber auch hier verfolgte ihn die GPU. Ein Angriff von mit Maschinenpistolen und Sprengsätzen ausgerüsteten Agenten auf Trotzki und seine Familie schlug wie durch ein Wunder fehl.

Doch der GPU-Geheimagent Ramón Mercader, der seit vielen Jahren versuchte, Trotzkis Umfeld zu infiltrieren und in seine Nähe zu gelangen, sollte mehr Erfolg haben. Unter dem Vorwand, mit ihm einen politischen Artikel diskutieren zu wollen, schaffte es Mercader schließlich, alleine mit Trotzki in einem Raum sein zu können. Nach etwa drei oder vier Minuten vernahm seine Frau Natalia Sedova einen „schrecklichen stechenden Schrei“, ihr Mann tauchte auf, das „Gesicht mit Blut bedeckt“ und einem Eispickel im Hinterkopf. Mit dem Attentäter hatte er noch gerungen, um weitere Schläge zu verhindern.

„Auch wenn der Arzt erklärte, dass die Verletzung nicht sehr ernst war“, so Sedova, „hörte Lew Dawidowitsch ihm regungslos zu“ und sagte „‚Ich fühle…jetzt…dass dies das Ende ist…dieses Mal…haben sie es geschafft.“11

Am nächsten Tag, dem 21. August 1940 erlag Trotzki im Alter von 60 Jahren seinen tödlichen Verletzungen.

Während Mercader von Stalin zum Helden der Sowjetunion ernannt wurde, trauerten in Mexiko 300.000 Menschen, die Trotzkis Leichenzug begleiteten. Er wurde eingeäschert und im Garten seines Hauses begraben. Über seinem Grab weht noch heute die rote Fahne der Weltrevolution.

Der Text wurde im August 2010 in sozialismus.info – Magazin für marxistische Theorie und Praxis veröffentlicht.↩

nach gregorianischem Kalender, 7. November nach heutigem Kalender↩

Trotzki, Ergebnisse und Perspektiven, Frankfurt/M. 1967, S. 119f.↩

St. Petersburg war umbenannt worden↩

die sich dann für eine bestimmte Zeit Vereinigte Opposition nannte↩

Trotzki, Was nun?, S. 14↩

Trotzki, Schriften über Deutschland, S. 605↩

Trotzki, Die spanische Lehre, S. 3↩

Trotzki, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, S. 299↩

Trotzki, Schriften über Deutschland, S. 609f.↩

Serge, Life and death of Leon Trotsky, S. 268↩

Zum 70. Jahrestag der Ermordung Leo Trotzkis

In kommenden Massenrevolten werden ArbeiterInnen und Jugendliche Trotzkis Ideen aufgreifen1

Vor siebzig Jahren wurde der größte lebende Revolutionär der Zeit, Leo Trotzki, von Josef Stalins Auftragskiller Ramon Mercader ermordet. Vorher hatte es mehrere gescheiterte Attentate auf Trotzki gegeben, doch dieses mal zerstörte ein tödlicher Schlag mit einem Eispickel erfolgreich das „Gehirn“ der Arbeiterklasse und das Symbol der unversöhnlichen Opposition zum Kapitalismus und totalitären Stalinismus. Dieses Ereignis, das Stalin und die von ihm repräsentierte bürokratische Elite im Kreml feierten, erfreute auch die kapitalistischen Regierungen in Europa, Amerika und der ganzen Welt.

Kapitalisten versuchen literarischen Mord an Trotzkis Ideen

Robert Service, der in seiner vor kurzem erschienenen „Biographie“ Trotzki erneut ermordet hat, dieses Mal auf eine politische und literarische Art, zitiert zustimmend die Worte Winston Churchills an den russischen Botschafter in Großbritannien zur Zeit der berüchtigten Moskauer Prozesse, die die Grundlage für die Ermordung Trotzkis legten:

„Ich beobachte seine Aktivitäten seit einiger Zeit. Er ist das böse Genie Russlands, es ist sehr gut, dass Stalin mit ihm abgerechnet hat.“

Wenn Trotzkis Mörder glaubten, dass sie mit ihm seine Ideen zerstören könnten haben sie sich schwer geirrt. Die politisch bewusstesten Schichten späterer Generationen haben, wenn sie den Kampf gegen den Kapitalismus und Stalinismus aufnahmen, in Trotzkis Werken nach Erklärungen und Anregungen gesucht. Sogar in der Periode der ideologischen Konterrevolution nach 1989 erwiesen sich seine Ideen noch als attraktiv. Jetzt, angesichts der größten ökonomischen Krise des Kapitalismus seit den 1930ern und der daraus unvermeidlich folgenden Massenrevolte der ArbeiterInnen und Armen, fürchten die Kapitalisten den Einfluss von Trotzkis Ideen. Sie sind sich bewusst oder ahnen zumindest, dass in einer Periode der Massenrevolte Personen wie Che Guevara, der als Kämpfer für Sozialismus und nationale Befreiung und Gegner der Bürokratie gilt, und Leo Trotzki Interesse auslösen. Um der neuen Generation den Weg zu versperren ist eine Kampagne zur Diskreditierung Trotzkis notwendig. Das ist der Sinn von Büchern wie dem von Robert Service und Anderen die im letzten Jahr produziert wurden.

„Zeig mir wer deine Freunde sind...“

Service ist ein „Kumpel“ des aktuellen Chefs der Bank of England und Schlächter der Wohlfahrtsstaates, Mervyn King. Er möchte den unglaubwürdigen Eindruck erwecken, dass Trotzki, der von Stalin zusammen mit dem Großteil seiner Familie und der revolutionären Generation die er repräsentierte ermordet wurde, trotzdem ein Bruder im Geiste Stalins und des von ihm geführten bürokratischen Terrorsystem sei. Ebenso wie der Stalinismus sind Trotzkis Ideen scheinbar ein „Auswuchs“ des Bolschewismus, dem ein totalitärer und autoritärer Charakter zugeschrieben wird. Dies ist selbstverständlich eine üble Verleumdung der Partei die Lenin führte, der Bolschewiki, der demokratischsten Arbeiterpartei die die Russische Revolution anführte, das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Der Stalinismus war mit seinen totalitären Methoden und der Auslöschung der Bolschewiki selbst nicht die Fortsetzung des Bolschewismus, sondern seine Negation.

Der Stalinismus ist nicht mehr der Anziehungspol, der er zum Beispiel in den 30er Jahren und in einem gewissen Maße in der Periode direkt nach 1945 war, als die neu in den Kampf eintretende Generation von den Verbrechen des Stalinismus größtenteils nichts wusste. Das ist heute nicht der Fall. Daher kann Trotzki in der neuen explosiven Phase einen Weg nach Vorn aufzeigen – durch seinen Kampf für Arbeiterdemokratie und seine Analyse nicht nur des wichtigen Themas Stalinismus, sondern auch der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse im allgemeinen. Das bedeutet nicht, dass Trotzki „unfehlbar“ war, ebenso wenig wie Marx, Engels und Lenin. Aber seine Einschätzungen der großen Probleme, mit denen die Arbeiterklasse zu seiner Zeit konfrontiert war, waren meistens korrekt. Besonders bemerkenswert ist der riesige Beitrag, den er in den 1930ern mit seiner Analyse des Faschismus leistete. Selbst dann war er bereit seine früheren Kommentare zu korrigieren, die aus den 1920ern stammten, als der Faschismus noch ein neues Phänomen war. Zu dieser Zeit neigte auch Trotzki dazu, in einer ungenauen Verwendung des Begriffs diktatorische Regime wie das von Primo de Rivera in Spanien als faschistisch zu bezeichnen. Später erkannte er, dass das ein Fehler war und lieferte eine viel präzisere Definition des Faschismus, der Arbeiterorganisationen vernichtete, im Unterschied zu bonapartistischen Militärregimes, die zwar reaktionär waren, denen jedoch nicht gelang alle demokratischen Rechte und Organisationen zu zerstören.

Trotzkis Ideen sind nicht veraltet

Oft wird behauptet, Trotzkis Ideen seien „überholt“. Dies erklären ProfessorInnen und VerteidigerInnen des bestehenden Systems. Tatsächlich ist „Trotzkismus“ eine moderne Manifestation der Ideen von Marx. Von Anfang an haben die Gefolgsleute des Kapitalismus behauptet, er sei auf „demokratische“ Gesellschaften nicht anwendbar, besonders nach der Erfahrung des 20. Jahrhunderts. Wenn der Marxismus so „veraltet“ ist, wie war dann möglich, dass wir MarxistInnen die Funktionsweise des kapitalistischen Systems besser verstanden haben, als die VerteidigerInnen dieses Systems selbst? Sie haben durch ihr Sprachrohr Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ ausgerufen. Das Wall Street Journal erklärte 1990 nach dem Zusammenbruch des Stalinismus: „Wir [die KapitalistInnen] haben gewonnen“.

Die MarxistInnen erkannten selbstverständlich, dass die Abwicklung der Planwirtschaft, die dem Kollaps des totalitären Systems folgte eine historische Niederlage für die Arbeiterklasse war. Zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet waren die Planwirtschaften Russlands und Osteuropas – trotz ihrer Belastung durch die Bürokratie – ein Bezugspunkt, ein Hinweis darauf was auf der Basis einer Arbeiterdemokratie möglich gewesen wäre. Eine Andeutung von Unterstützung für die Errungenschaften der Planwirtschaft fand sich vor kurzem im Guardian. Die Zeitung berichtete, dass das aktuelle Putin-Regime in Russland zu Profitzwecken die berühmte globale Saatbank in St. Petersburg zu zerstören plant. Hingegen „verhungerten während der 900-tägigen Belagerung Leningrads im zweiten Weltkrieg zwölf russische WissenschaftlerInnen lieber, als die einzigartige Sammlung von Samen und Pflanzen zu essen, die sie für die Menschheit schützten.“2

Viele „MarxistInnen“ leugneten entweder die riesigen Auswirkungen des Unterganges des Stalinismus oder flohen vom Schlachtfeld. Das CWI verstand, dass er zwar eine Niederlage – in erster Linie eine Niederlage ökonomischer Art – war, aber keine so verheerende Katastrophe wie die Zerstörung der Arbeiterorganisationen durch den Faschismus in den 1930ern. Wir sagten praktisch als einzige voraus, – abgesehen von einigen bürgerlichen Ökonomen wie Nouriel Roubini, der auf empirischem Weg zu denselben Schlüssel gelangte, – dass die Methoden, die den Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Stalinismus anheizten irgendwann katastrophale Auswirkungen für das System haben würden. Die kolossale Aufnahme von Krediten, fiktivem Kapital, führte zur größten Spekulationsblase der Geschichte. Wir wurden damals als „primitive Katastrophisten“ bezeichnet. Im Gegenteil wendeten wir uns gegen jene MarxistInnen – einige davon frühere Mitglieder von Militant – die 1987 eine große Krise vorhersagten. Wir erklärten, dass der Kapitalismus durch die Benutzung der Reserven Deutschlands und Japans vorübergehend einen Ausweg finden würde. 2007 allerdings sagten wir, dass das System in eine tiefe Krise geraten würde. Genau das ist passiert. Unsere Analyse basierte, anders als die der ökonomischen Scharlatane des Kapitalismus, nicht auf Alchemie, sondern auf einer wissenschaftlichen Analyse ihres Systems. Diese wiederum beruht auf der Herangehensweise Trotzkis, die auf den Methoden von Marx basierte. Wenn eine Idee die aktuelle Situation korrekter erklären kann als Andere ist sie die beste verfügbare Methode, egal wie „alt“ sie ist. Der Marxismus hat sich schließlich bei der Vorhersage von Ereignissen den Wahrsagern der besitzenden Klassen weit überlegen gezeigt.

Marx wies darauf hin, dass das kapitalistische System letztlich auf der profitorientierten Produktion für eine Handvoll Millionäre, Multimillionäre und Milliardäre – ökonomische Plutokraten – aufbaut, nicht auf sozialen Bedürfnissen. Der Grundwiderspruch des Systems ist, dass die ArbeiterInnenklasse nicht über den vollen Wert dessen, was sie produziert verfügen kann. Dies ergibt sich aus der Tatsache dass die Arbeiterklasse nur einen Teil des Wertes, den sie erzeugt in Form von Löhnen bekommt, den Rest bezeichnete Marx als „unbezahlte Arbeit“. Das System kann so lange funktionieren, wie dieser Überschuss produktiv in Industrie, Forschung und Technik – die Produktionsmittel – investiert wird. Allerdings entwickelt sich aus dieser Situation an einem bestimmten Punkt eine Krise, die zur Überproduktion von Kapital und Konsumgütern führt. Die Idee der „Überproduktion“ an sich wäre in allen vorkapitalistischen Wirtschaftssystemen als absurd betrachtet worden, in einer von bitterer Armut und Not geprägten Welt. Aber die wesentliche Antriebskraft dieses Systems ist Profit, nicht menschliches Bedürfnis. Der Kampf um den Überschuss ist der Auslöser für ein Programm, Löhne zu senken und den Anteil des Wohlstandes, den die Arbeiterklasse bekommt zu verkleinern.

Wirtschaftliche Not für Millionen

Diese theoretischen Ideen wurden von den SozialistInnen des CWI, die in der historischen Analyse von Trotzki verankert sind, auch während der 1990er und zu Beginn dieses Jahrzehnts weiterhin vertreten. Fast jeden Tag finden sich in der Presse Beweise für die marxistische Analyse. Im Juli hat die Financial Times darauf hingewiesen, dass seit 2007 in den Fabriken der USA sieben Millionen ArbeiterInnen entlassen wurden. Offiziell sind in den USA fünfzehn Millionen Menschen arbeitslos, aber mit der Zahl der Unterbeschäftigten und denen, die die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben haben liegt die tatsächliche Zahl bei dreißig Millionen, zwanzig Prozent der Arbeitsfähigen. In Europa sind zehn Prozent der Arbeitsfähigen arbeitslos. Gleichzeitig war dem selben Artikel zu entnehmen, dass die Profite der großen US-Firmen um astronomische 36 Prozent gestiegen sind, eine direkte Folge der Entlassung von Millionen ArbeiterInnen mit all dem daraus folgenden sozialen Elend. Im Ergebnis liegt die riesige Summe von zwei Billionen US-Dollar auf den Konten der Großunternehmen. Und trotzdem befindet sich die USA, wie wir erwartet haben, am Rande einer „double dip“-Rezession.

Warum ist das so? Es gibt für die Kapitalisten in einer Welt, in der es angeblich gerade keinen „Bedarf“ gibt, keinen „profitablen“ Ausweg. Deshalb investieren sie nicht. Damit verraten sie ihre Mission, wie Marx es ausdrückte. Das einzige, was den Kapitalismus mit seiner Ungleichheit und seinem barbarischen Charakter historisch rechtfertigen kann ist die Entwicklung der Produktivkräfte. Und momentan scheitern die Kapitalisten offensichtlich an dieser Aufgabe. In Osteuropa, wo „blühende Landschaften“ versprochen wurden, zeichnet sich das gleiche Bild. Zum Beispiel sind in Rumänien von knapp über neun Millionen ArbeiterInnen 1,2 Millionen arbeitslos. In einem ähnlichen Ausmaß gibt es Massenarbeitslosigkeit in Kasachstan. Es ist nicht nur Massenarbeitslosigkeit, sondern permanente Arbeitslosigkeit – Marxens angeblich widerlegte Idee einer Reservearmee der Arbeitslosen – die sich heute sogar in manchen der reicheren Städte Europas zeigt. In Athen besetzen Gruppen von MigrantInnen und ArbeiterInnen jeden öffentlichen Platz. Sie haben nichts zu tun - außer zu versuchen, für eine Stunde oder einen Tag einen Job zu ergattern! Die Tatsache, dass der Kapitalismus weiterhin die Umwelt ruiniert, wird durch das obszöne Spektakel geldgeiler Spekulanten unterstrichen, die im Schutz der Moskau umgebenden Waldbrände versucht haben, in Zusammenarbeit mit einem französischen Unternehmen ein lukratives Bauprojekt durchzusetzen. Die, die dagegen protestieren, wie die russischen Mitglieder des CWI, werden von faschistischen Schlägern angegriffen und krankenhausreif geprügelt.

Kapitalismus und Krieg

Nach wie vor liegt die schreckliche Bedrohung des Krieges über der Menschheit. Der Krieg in Afghanistan ist so ungewinnbar wie der Vietnamkrieg. Außerdem dauert die Intervention der USA mittlerweile länger an als der Vietnamkrieg und wird jetzt nicht mehr als „Bushs Dummheit“ gesehen, sondern als Obamas Krieg. Vor kurzem hat die Geschichte eine furchtbare Warnung abgegeben, was passieren kann wenn die Repräsentanten des Kapitals die Kontrolle behalten. 60 Jahre nach dem Koreakrieg, in dem beinahe so viele US-Soldaten gestorben sind wie im Vietnamkrieg, werden Details der Konfrontation zwischen den USA und China aus den Archiven öffentlich. Offenbar hat der US-General MacArthur nicht nur einen nuklearen „Präventivschlag“ gegen China angedroht, sondern schlug auch vor, dreißig bis fünfzig Atombomben einzusetzen! Er wurde vom damaligen Präsidenten Truman entlassen. Aber wie viele weitere „MacArthurs“ gibt es im Lager der Privilegierten und Kapitalistenklassen, die auch vor der Drohung mit nuklearen „Schlägen“ nicht zurückschrecken, wenn ihre Interessen bedroht werden?

Marx' Kapitalismuskritik, die Trotzki entschlossen verteidigte, war sehr einfach. Wenn das System Arbeitsplätze, Wohnungen, Nahrung, die Abschaffung von Krieg und Rassismus, die Überwindung nationaler Grenzen etc. erreichen kann, wird es sich erhalten. Aber die Essenz der aktuellen Situation des Weltkapitalismus ist, dass er nicht in der Lage ist, selbst die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschheit zu erfüllen, insbesondere nicht für die zwei Drittel, die in den neokolonialen Ländern leben. Dies wurde vom haitianischen Präsidenten Aristide gezeigt, der schwor die „obszöne Armut“ in seinem Land zu beseitigen, sie als er an der Macht war aber durch „akzeptable Armut“ ersetzte! Noch nicht einmal das wurde erreicht, wie die Situation nach dem Erdbeben in Haiti heute beweist. Trotzkis Idee der permanenten Revolution behält ihre Gültigkeit für die Länder der neokolonialen Welt. Sie besagt, dass die demokratische Revolution in der Moderne nicht mehr von den Kapitalisten durchgeführt werden kann. Die Ziele Landreform, echte parlamentarische Demokratie und Freiheit von den wirtschaftlichen und politischen Ketten des Imperialismus können von den schwachen herrschenden Klassen in diesen Ländern und Regionen unmöglich erreicht werden. Nur die Arbeiterklasse kann gemeinsam mit den armen BäuerInnen die nationale demokratische Revolution durchführen. Doch dann muss sie ihren Sieg sichern, indem sie zu den Aufgaben des Sozialismus übergeht, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Dies war die Folge der Russischen Revolution, die Großgrundbesitz und Kapitalismus beseitigte und auch weltweit eine revolutionäre Welle auslöste.

Die Russische Revolution und der Aufstieg des Stalinismus

Aber ZynikerInnen sagen „es wird als irgendeine Art von blutiger Diktatur enden“ wie in Russland. Das ist eine Lüge, Russland war 1917 nicht nur ein Leuchtturm für Planung und Sozialismus, sondern auch für die Verbreitung der Arbeiterdemokratie zu den Massen weltweit. Der Stalinismus entstand nicht aus der Anfangsperiode der russischen Revolution, sondern aus ihrer Isolation. Manche, wie Service, behaupten dass Trotzki wenn er sich gegen Stalin durchgesetzt hätte die gleiche „persönliche Macht“ wie dieser etabliert hätte. Hier stellt sich die Frage ob Trotzki, in Anbetracht der Isolation der russischen Revolution, des Aufstiegs der Bürokratie und der Zerstörung der Arbeiterdemokratie Stalins Platz hätte einnehmen können ohne sein demokratisches und sozialistisches Programm für Russland und international zu verletzen. Unglaublicherweise gehen manche MarxistInnen heute weiter und meinen, dass Trotzki die Macht hätte ergreifen sollen als sie ihm in den 1920ern von Antonow-Owsejenko, dem obersten Kommissar der Roten Armee, angeboten wurde. Schließlich besaß Trotzki zu der Zeit enorme Autorität in der Roten Armee – viel mehr als Stalin – nicht nur bei den Soldaten, sondern auch unter den höheren Offizieren die mit ihm im Bürgerkrieg gekämpft und die 21 Armeen des Imperialismus besiegt hatten. Trotzki verstand jedoch, dass er, wenn er „Macht“ aus dieser Quelle akzeptiert hätte, letztlich ein Gefangener einer vielleicht noch schlimmeren „Militärbürokratie“ geworden wäre, die sich in Anbetracht der damaligen Isolation der russischen Revolution unweigerlich entwickelt hätte.

Dies beweist, dass Trotzki, ebenso wie Marx, Engels und Lenin, verstanden hatte, dass Sozialismus und Marxismus nicht aus Manövern, Cliquen oder Putschen hervorgehen wird. Nur indem wir am Bewusstsein der Arbeiterklasse ansetzen – ihrem politischen Verständnis in der jeweiligen Phase – und versuchen es mit einem klaren Programm, Slogans und Organisation voranzubringen, können Sozialismus und Marxismus tatsächlich Unterstützung gewinnen. Das CWI hat nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und besonders mit der Abwicklung der Planwirtschaft einen Rückschlag erlitten. Es könnte nicht anders sein, angesichts der kapitalistischen Propagandaorgien, die aus der Entwicklung folgten. Diejenigen, die die Realität zu ignorieren wollten, wurden aufgrund der zu dieser Zeit bestehenden schwierigen objektiven Situation gebrochen. Viele weigerten sich, die Situation zu erkennen, manche verkannten sie sogar als „Sieg“, da der Stalinismus selbst zusammengebrochen war und wiesen nicht darauf hin, dass sein Untergang mit der Abschaffung der Planwitschaft einherging. Die Socialist Party und das CWI hielten weiter das demokratische, sozialistische Banner Trotzkis hoch.

ArbeiterInnen ziehen in den Kampf

Dabei blieben opportunistische oder ultralinke Spaltungen nicht aus. In einer Periode wie der, die wir erlebt haben ist das nicht ungewöhnlich. Lenin und Trotzki führten in der Phase von 1907 bis 1911 ähnliche Kämpfe. Aber wie wir vorhergesehen haben ist der Kapitalismus in die Krise gestürzt und hat eine neue Periode eröffnet. Politischer Kampf ist nicht nur während der Hochphasen von Bewegungen der Arbeiterklasse notwendig, sondern auch in Rückzugsperioden, um sich auf zukünftige gewaltige Ereignisse vorzubereiten. Die großartigen Bewegungen der griechischen ArbeiterInnen und die kommenden Kämpfe in Spanien, Portugal, Irland und Italien sind nur der Anfang des politischen Erwachens der Arbeiterklasse. Nordeuropa wird ebenfalls stark betroffen sein. Der Generalstreik in Indien im Juli ist, trotz seines begrenzten Charakters, ein Vorzeichen dessen was in der neokolonialen Welt bevorsteht, während die Krisenlast verstärkt auf die Arbeiterklasse und die Armen geschoben wird. Alle kapitalistischen Regierungen Europas, von den stärksten und „reichsten“, wie der in Deutschland, bis zu den ärmsten in Griechenland, Portugal und Spanien im Süden, versuchen den Lohnabhängigen Sparprogramme aufzuzwingen. Widerstand ist unvermeidlich. Doch Widerstand allein ist nicht genug: wir brauchen auch ein klares Programm, die richtige Politik, taktische Improvisation und klare Slogans in jeder Phase des Kampfes. Trotzki hat das immer wieder und wieder unterstrichen.

Er hat viele Male gezeigt wie die Arbeiterklasse, manchmal sogar „spontan“, versuchte, die Gesellschaft zu verändern. In der spanischen Revolution wurden vier Fünftel der Macht in Spanien durch die Arbeiterklasse übernommen, wodurch der ursprüngliche Putsch der Franco-Faschisten 1936 zerschlagen werden konnte. Aber ohne eine klare Arbeitermassenpartei die einen alternativen, demokratischen Arbeiterstaat errichten konnte wurde der Arbeiterklasse die Macht wieder abgenommen. Ein ähnliches Bild zeichnen die Ereignisse in Frankreich 1968, in Portugal 1974 bis 1975 und in vielen anderen Fällen.

Kampf für das Programm des Marxismus

Was sind die Lehren für heute? Es ist dringend notwendig eine neue Massenkraft aufzubauen, die die Kämpfe der Arbeiterklasse auf wirtschaftlichem Gebiet und in der politischen Arena verbinden kann. Dies erfordert die „doppelte Aufgabe“ die sich das CWI in den frühen 1990ern gestellt hat: Kampf um die Rehabilitation der Ideen des Sozialismus für die Massenbewegung und Beibehaltung des klaren Programms des Marxismus-Trotzkismus.

Wir befinden uns in einer der explosivsten Perioden der Geschichte. Wenn sich die Wirtschaftskrise als „ansteckend“ herausgestellt hat und sich in immer weitere Länder ausbreitet, wie weit wird sich der Sozialismus verbreiten? Die Globalisierung hat die Basis dafür in einem Ausmaß geschaffen, das selbst Marx sich nicht vorstellen konnte. In der vietnamesischen Revolution entwickelte der Imperialismus die Theorie des „Domino-Effektes“, die annahm, dass wenn ein Land für den Kapitalismus verloren ginge der Kapitalismus in Südostasien zusammenbrechen würde. In einem gewissen Maß hat sich das bestätigt. Ein Sieg in den fortgeschrittenen industrialisierten Ländern, sogar in einem halb-industriellen Land wie Griechenland, hätte mächtige Auswirkungen für Europa und die Welt. Griechenland hatte schon einen kolossalen politischen Effekt, obwohl es nur 0,5 Prozent zum Welt-Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Es ist die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse die antritt, sich gegen die Angriffe des Kapitals zu wehren und sie zu überwinden – symbolisiert durch sechs Generalstreiks, auf die die Arbeiterklasse der Welt schaut.

Diese Ereignisse zeigen, dass für die Arbeiterklasse in Europa und der Welt ein neues Kapitel begonnen hat. Trotzki, den seine Gegner zu einer politischen Unperson erklärt haben, wird in der kommenden Periode als große Persönlichkeit nicht nur in der Arbeiterbewegung, sondern im Kampf der ganzen Menschheit wieder auftauchen.

Der Artikel wurde am 27. August 2010 auf sozialismus.info – der Website der SAV veröffentlicht.↩

The Guardian, 9. August 2010↩

Trotzkis Ermordung

Vor sechzig Jahren dirigierte Stalin die Ermordung des im Exil lebenden und isolierten Leo Trotzki. Nicht nur persönliche Rivalität und Neid trieb Stalin an, sondern die Absicht der herrschenden Bürokratie die Vierte Internationale zu zerschlagen, die weiter für Internationalismus und Arbeiterdemokratie kämpfte.

Am 20. August 1940 streckte Ramon Mercader, ein von Stalin nach Mexiko geschickter Agent, Leo Trotzki mit einem Eispickel nieder.

Trotzkis Ermordung war nicht nur die neidische Rache Stalins. Es war der Höhepunkt des systematischen und blutigen Terrors, der sich sowohl gegen eine ganze Generation von bolschewistischen Anführern richtete, als auch gegen die zweite Generation von jungen Revolutionären, die bereit waren, marxistische Ideen gegen das repressive und bürokratische Regime Stalins zu verteidigen. Als die GPU 1940 zu Trotzki vordrang, hatte sie schon viele Familienmitglieder, Freunde und Mitarbeiter Trotzkis sowie Anführer und Unterstützer der Internationalen Linken Opposition umgebracht, zum Selbstmord getrieben oder ins Arbeitslager gesperrt.

Jahrzehnte später präsentieren Pressekommentare und Forscher genauso wie 1940 den Konflikt zwischen Trotzki und Stalin als eine persönliche Angelegenheit. Sie stellen es als eine bittere Rivalität zwischen zwei ambitionierten Führungspersonen da, die um die Macht kämpften. Vom bürgerlichen Standpunkt ist einer so schlecht wie der andere. Die giftigste Kritik ist dabei Trotzkis Idee der „Permanenten Revolution“ vorbehalten. Sie sei gefährlicher als Stalins bürokratische Vorstellung des Aufbaus des „Sozialismus in einem Land“. Einige der Fragen, denen sich Trotzki bereits stellen musste, werden wiederbelebt. Auf den ersten Blick legitim erscheinend, zielen sie üblicherweise darauf ab, seine Rolle zu beschmutzen.

Warum hat Trotzki, wenn er eins der führendsten Mitglieder der Bolschewiki und der Anführer der Roten Armee war, es zugelassen, dass Stalin die Macht in seinen Händen konzentrieren konnte? Warum hat Trotzki nicht selbst die Macht ergriffen? Die Erklärung, dass Trotzki „zu doktrinär“ war und deshalb von Stalin „ausmanövriert“ wurde, wird ohne Zweifel wieder herangezogen werden. Begleitend wird ausgeführt, dass Stalin der „pragmatischere“, „entschlossenere“ und „stärkere“ Anführer war.

Trotzki selbst war mit diesen Fragen konfrontiert. Er beantwortete sie auf der Grundlage seiner Analyse der politischen Degeneration des sowjetischen Arbeiterstaats. Von einem marxistischen Standpunkt aus, ist es komplett oberflächlich den Konflikt, der sich nach 1923 entwickelte, als einen persönlichen Kampf zweier rivalisierender Anführer darzustellen. Stalin und Trotzki haben in ihrer unterschiedlichen Art, gegenüberstehende soziale und politische Kräfte personifiziert – Trotzki in einem bewussten Prozess, Stalin unbewusst. Trotzki forderte Stalin mit politischen Mitteln heraus. Stalin bekämpfte Trotzki und seine Unterstützer mit staatlich finanziertem Terrorismus. Trotzki schrieb: „Stalin geht einen Kampf auf total unterschiedliche Art an. Er zielt nicht auf die Ideen seines Gegners ab, sondern auf seinen Kopf.“ Das war eine Furcht einflößende Vorhersage.

Der Triumph der Bürokratie

Als Trotzki Stalins Rolle in seinem Tagebuch im Exil 1935 analysierte, schrieb er:

„Angesichts des anhaltenden Niedergangs der internationalen Revolution, war der Sieg der Bürokratie – und damit auch Stalins vorherbestimmt. Das Resultat, das eitle Beobachter und Trottel der persönlichen Stärke Stalins oder zumindest seinem ausnahmsweise auftretendem Geschick zuschreiben, entspringt Ursachen, die tief in der Dynamik historischer Kräfte liegen. Stalin stieg als der semi-bewusste Ausdruck des zweiten Kapitels der Revolution auf. Es ist der „Morgen danach“.1

Weder Trotzki noch ein anderer führender Bolschewik konnte sich 1917 vorstellen, dass die Arbeiterklasse in Russland isoliert eine sozialistische Gesellschaft aufbauen kann, in einem rückständigen und kulturell primitiven Land. Sie waren überzeugt, dass die Arbeiter die Macht erobern müssen, um die größtenteils unvollendeten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution zu vollbringen, aber dabei gleichzeitig die Aufgaben der sozialistischen Revolution angehen müssen, die nur in der Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse in den entwickelteren Ländern vollendet werden kann. Denn verglichen mit dem Kapitalismus braucht Sozialismus ein höheres Level an Produktion und materieller Kultur.

Die Niederlage der deutschen Revolution, zu der die Stümper der Stalin-Bucharin Führung beigetragen haben – verstärkte die Isolation des Sowjetstaates und zwang ihn zum Rückzug zur Neuen Ökonomischen Politik. Sie trug zur Kristallisation der bürokratischen Kaste bei, die verstärkt ihr Bedürfnis nach Komfort, Verlangen nach Ruhe und Forderungen nach Privilegien über die Interessen der internationalen Revolution stellte.

Die herrschende Schicht der Bürokratie fand schnell heraus, dass Stalin „aus ihrem Holz geschnitzt“ war. Die Interessen der Bürokratie widerspiegelnd, begann Stalin einen Kampf gegen „Trotzkismus“, dem ideologischen Gespenst, das er erfand um die wahren Ideen des Marxismus und Lenins, die von Trotzki und der linken Opposition hochgehalten wurden, zu verdrehen und zu stigmatisieren.

Es war die Furcht der Bürokratie, das Programm der Opposition, für die Wiederherstellung von Arbeiterdemokratie könnte unter einer neuen Schicht von jungen ArbeiterInnen Widerhall finden und dem Kampf gegen die bürokratische Degeneration neuen Schwung geben, die Stalins blutige Verfolgungen der Opposition motivierte.

Ihre Ideen waren „die Quelle von Stalins ernstesten Befürchtungen: Die Furcht vor diesen Ideen, den er kennt seine explosive Kraft und er kennt seine eigene Schwäche ihnen gegenüber.“2

Schon im Voraus beantwortete Trotzki die Vorstellung der Konflikt könnte in irgendeiner Art und Weise das Ergebnis eines „Missverständnisses“ sein oder vom Unwillen kommen, keinen Kompromiss zu schließen. Trotzki bezog sich dabei auf einen Besuch eines „sympathisierenden“ Ingenieurs als er in Alma Ata 1928 im Exil war. Wahrscheinlich wurde er geschickt, um ihm „vorsichtig auf den Zahn zu fühlen“ und fragte, ob er denn nicht glaube, dass es irgendwelche Schritte gäbe, um zu einer Einigung mit Stalin zu kommen.