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Die drei ??? bekommen eine einmalige Chance: Sie dürfen an der Universität von Ruxton für ein paar Wochen das Studentenleben testen. Doch schnell wird klar, dass hier nicht nur Vorlesungen, Partys und Wohnheimzoff auf sie warten, sondern ein neuer Fall! Kurz nach ihrem Einzug ins Studentenwohnheim müssen sich die drei ??? nicht nur mit ihrem Mitbewohner herumärgern, sie werden auch Zeugen merkwürdiger Ereignisse auf dem Campus. Schreie hallen über das Gelände, freundliche Studenten werden plötzlich aggressiv – geht hier alles mit rechten Dingen zu? Und wer ist der "Teumessische Fuchs", über den man überall Gerüchte hört? Eine Fuchsjagd der besonderen Art beginnt. Die Jubiläumstrilogie in einem E-Book: Band 1: Teuflisches Duell. Band 2: Angriff in der Nacht. Band 3: Die dunkle Macht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 389
Schattenwelt
Die Trilogie im E-Book
erzählt von Christoph Dittert
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
weitere Informationen zu unseren Büchern,
Spielen, Experimentierkästen, Autoren und
Aktivitäten findest du unter kosmos.de
© 2020, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur
ISBN 978-3-440-50281-5
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Schattenwelt
Teil 1 Teuflisches Duell
erzählt von Christoph Dittert
Kosmos
»Seltsam.« Peter Shaw stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und legte das Kinn auf beide Hände. »Findet ihr das nicht auch seltsam?«
Bob Andrews tippte schon seit einer ganzen Weile lustlos auf der Tastatur herum und surfte ohne Plan im Internet. Das Brummen der Computerlüftung war überall in der Zentrale der drei ??? zu hören. »Was? Dass du hier herumhängst wie ein Schluck Wasser in der Kurve?«
Der Zweite Detektiv seufzte. »Wenn du mich fragst, hänge nicht nur ich hier herum, sondern wir alle drei.«
»Äh … du hast aber gemerkt, dass Just nicht hier ist?«
»Haha«, machte Peter. »Er wird bestimmt gleich zurückkommen und genau dasselbe tun wie wir beide: nämlich überhaupt nichts.«
Dem konnte Bob nicht widersprechen. »Das ist tatsächlich seltsam, wenn ich drüber nachdenke. Wann haben wir uns zum letzten Mal in den großen Ferien gelangweilt und nicht an irgendeinem mysteriösen Fall gearbeitet?«
Sie warteten schon die ganzen Sommerferien darauf, dass etwas passierte. Irgendetwas. »Müßiggang ist einfach nicht mein Ding«, fuhr Bob fort. »Und jetzt komm mir bloß nicht damit, dass wir den Schrottplatz aufräumen könnten. Darauf hab ich nun gar keine Lust. Viel zu heiß draußen.«
»Wir?«, fragte Peter scheinbar entrüstet. »Wenn, dann soll Justus das machen. Ich glaube, ich gehe eine Runde an den Strand. Surfen oder schwimmen oder …«
Weiter kam er nicht. Die Tür des ausrangierten Wohnwagens, der ihnen als Zentrale diente und unter einem Haufen Schrott im Hof des Gebrauchtwarencenters Titus Jonas lag, öffnete sich quietschend. Man erreichte die Tür über einen geheimen Zugang, das Kalte Tor – einen ausrangierten Kühlschrank, dessen Rückwand sich zur Seite schieben ließ. Dahinter schloss sich ein Tunnel durch den Schrott an.
Justus streckte breit grinsend den Kopf durch die Tür. »Wie seht ihr denn aus? So schlechte Laune, Kollegen?« Er kam ganz herein und setzte sich. Dabei pfiff er eine Melodie vor sich hin, wohl um seine gute Stimmung zu zeigen.
Bob schaute demonstrativ an dem Neuankömmling vorbei und sagte zu Peter: »Für mich gibt es nur eine Erklärung für Justs gute Laune: Wir haben uns die ganze Zeit über getäuscht, als wir dachten, der Kalte-Tor-Kühlschrank wäre leer. Justus muss darin irgendetwas Süßes gefunden haben.«
Diese verrückte Idee brachte den Zweiten Detektiv zum Lachen. »Prima, Bob – aber deiner Theorie setze ich entgegen, dass das Zeug bei der Hitze schon längst vergammelt wäre.«
Justus ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Völlig falsch! Euer detektivischer Sachverstand lässt zu wünschen übrig, Kollegen. Aber ihr habt mich da auf eine Idee gebracht.« Statt endlich zu erklären, was ihn derart beflügelte, machte er sich auf die Suche nach etwas Süßem. Hinter einem unordentlichen Haufen von Zeitschriften und Comics wurde er fündig und riss die Verpackung eines Schokoriegels auf.
»Ju-hust!«, sagte Peter ebenso auffordernd wie überbetont.
»Ja-ha?«, erwiderte Justus. »Was ist, Kollege?«
»Sagst du uns jetzt, was los ist, oder nicht?«
»Ja.« Der Erste Detektiv aß seelenruhig weiter.
»Ja – was?«, fragte Bob.
Justus leckte sich über die Lippen. »Peter hat mir eine Oder-Frage gestellt«, erklärte er, auf beiden Backen kauend. »Wie ihr wissen solltet, ist das eine ganz falsche Vorgehensweise. Man kann darauf immer mit ›Ja‹ antworten. In diesem Fall: Ja … ich sage, was los ist, oder: Ja … ich sage es nicht.«
Seine beiden Freunde wechselten einen vielsagenden Blick. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Bob, »was schwerer zu ertragen ist – die öde Langeweile oder Justus, der sich entschlossen hat, in einer neuen olympischen Disziplin die Goldmedaille zu holen: im Zu-Tode-Nerven!«
»Dabei ist die Lösung so einfach, Freunde.« Justus zog aus seiner Hosentasche einen zusammengefalteten Briefumschlag und warf ihn lässig auf den Tisch. Der Absender war links oben aufgedruckt: UNIVERSITÄT RUXTON.
»Soll das etwa heißen, dass wir doch noch Antwort bekommen haben?«, fragte Bob.
Justus grinste noch breiter als vorher. »Das ist ja wohl offensichtlich.«
»Was ich damit meinte, ist, dass wir positive Antwort bekommen haben? Wir sind für die Spezialkurse angenommen worden?«
»Genau das!«
Noch als Justus das sagte, stürzte sich der Zweite Detektiv auf den Umschlag und zog einige Briefbögen heraus.
Die drei Freunde hatten vor den Sommerferien von einem besonderen Programm der nahe gelegenen Universität Ruxton erfahren. In diesem Jahr begann das Wintersemester dort zwei Wochen früher als das Schuljahr an ihrer Highschool. Während die Schüler von Rocky Beach also noch die Ferien genossen, startete in Ruxton bereits der normale Lehrbetrieb. Diesen Umstand hatte die Universitätsleitung genutzt, um der Rocky Beach High ein einmaliges Angebot zu unterbreiten: Fünfzehn Schüler erhielten die Möglichkeit, unter echten Bedingungen in den Universitätsbetrieb hineinzuschnuppern, um einen Vorgeschmack auf ein Studium in Ruxton zu bekommen. Wer teilnehmen wollte, konnte ein spezielles Seminar wählen und zusätzlich weitere Vorlesungen anhören. Alle Bewerber hatten darlegen müssen, warum ausgerechnet sie ausgesucht werden sollten.
Natürlich hatten die drei ??? diese Chance genutzt und ihre Unterlagen eingereicht. Als gemeinsame Anschrift hatten sie die ihres Detektivunternehmens angegeben. Weil sich nun zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit kein Fall ergab, kamen die Spezialkurse in Ruxton gerade recht! Die drei Jungen hatten die Hoffnung so gut wie aufgegeben, angenommen zu werden, weil die Seminare bereits in zwei Tagen losgingen. Reichlich spät, um alles noch zu organisieren. Immerhin mussten sie schon am nächsten Tag anreisen und danach für zwei Wochen in einem Wohnheim der Universität wohnen!
Peter wedelte mit dem ersten Blatt. »Am Anfang steht eine Entschuldigung, dass die Zusage so spät kommt, aber es gab wohl einen Computerfehler. Die Verwaltung der Universität ging davon aus, dass die Briefe längst verschickt worden wären. Die erste Zusage geht an Justus. Er ist angenommen für den Kurs, für den er sich beworben hat: Psychologie mit dem Schwerpunkt systemische Analysemethoden. Das wäre nichts für mich. Ich verstehe noch nicht mal den Kurstitel.«
»Aber das ist doch ganz logisch«, sagte der Erste Detektiv. »Das bedeutet, dass eine …«
»Schon gut«, unterbrach Peter und schnappte sich das zweite Blatt. »Das ist für dich, Bob. Genau wie gewünscht, wirst du am Journalistik-Kurs teilnehmen, mit dem Schwerpunkt investigative Recherche.«
»Gut für meine Aufgabe als Rechercheur und Archivar der drei ???!« Bob grinste wie ein Honigkuchenpferd.
Peter reichte seinem Freund die Seite und schaute auf das letzte Blatt. »Das ist meine Zusage. Ich bin angenommen in Spor…« Er brach mitten im Wort ab, kniff kurz die Augen zusammen und starrte wieder auf den Text. »Was soll das?«
Dort stand nicht das, was er erwartet hatte. Nicht »Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Dynamik in Mannschaftssportarten«.
»Kreative Dichtkunst mit Schwerpunkt auf experimenteller Lyrik?«, sagte der Zweite Detektiv fassungslos. »Kann mir mal einer von euch sagen, was das heißen soll?«
»Was?« Justus nahm seinem Freund die Seite aus der Hand. »Das ist ja … also Peter, es tut mir leid, das ist mir vorhin gar nicht aufgefallen.« Er fing haltlos an zu kichern.
»Was gibt’s denn da zu lachen? Experimentelles Gedichte-Schreiben? Das klingt ja grauenhaft!«
Der Erste Detektiv riss sich sichtlich mühsam zusammen. »Entschuldige, Peter! Aber ich habe gerade versucht, mir vorzustellen, wie du Gedichte verfasst, wahrscheinlich von einer Horde Mädchen umgeben, die …«
»Ich finde das ü-ber-hau-upt nicht lustig!«, unterbrach der Zweite Detektiv so energisch, dass er es fast schaffte, noch eine vierte Silbe in das Wort zu quetschen.
»Das war bestimmt ein Fehler«, sagte Bob. »Ruf doch mal in Ruxton an. Es steht eine Kontaktnummer im Briefkopf.«
Peter zögerte keine Sekunde und schnappte sich das Telefon der Zentrale. Er schaltete den Lautsprecher an, damit seine Freunde mithören konnten.
Es klingelte dreimal durch, bis eine gelangweilte Stimme herunterleierte: »Universität Ruxton, Verwaltung, schönen guten Tag, Sie sprechen mit Jeremy Bright, was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Peter Shaw, ich gehe auf die Rocky Beach High und bin für die Spezialkurse angenommen worden.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Es gibt da aber ein Problem.«
»Und das wäre?«
»Es ist der falsche Kurs.«
Mr Bright zögerte. »Was meinst du damit?«
»Genau das, was ich sagte. In dem Brief ist ein völlig falscher Kurs angegeben.«
»Das kann nicht sein. Wir haben nur Zusagen für die Kurse erteilt, die speziell gewünscht worden sind. Das ist ja der Sinn der Sache.«
Peter verdrehte die Augen. »Es ist aber der falsche Kurs.«
»Du irrst dich«, beharrte Jeremy Bright in bester Beamten-Denkweise auf seiner Meinung, denn was nicht sein konnte, das gab es auch nicht.
»Hören Sie, ich kann lesen und weiß deshalb, dass …«
»Immer mit der Ruhe. Wie war dein Name? Flaw?«
»Shaw«, verbesserte der Zweite Detektiv. »Peter Shaw.«
»Warte kurz, ich rufe deine Daten im Computersystem auf. Bleib in der Leitung.« Durch den Lautsprecher hörte man ein Piepsen, dann nur noch ein leises Summen. Peter trommelte unruhig mit den Fingern auf der Tischplatte, bis Mr Bright endlich wieder dranging. »Ich habe dich gefunden. Und wie nicht anders zu erwarten gewesen war, bist du im richtigen Kurs: Kreative Dichtkunst mit Schwerpunkt auf experimenteller Lyrik. Interessant. Du bist der einzige männliche Teilnehmer.«
Von Justus’ Platz ertönte ein leises Prusten.
»Eben!«, sagte Peter mühsam beherrscht. »Und das ist nicht der Kurs, den ich gewählt habe! Ich habe mich für Sportwissenschaften beworben.«
»Oh.« Bright räusperte sich. »Dann liegt hier wohl ein Computerfehler vor. Warte kurz.« Das Spiel begann von vorn. Erneut verging etwas Zeit, diesmal fast zwei Minuten, bis sich der andere wieder meldete. »Es tut mir leid, doch auf die Schnelle vermag ich nichts daran zu ändern. Die Sportwissenschaften sind ausgebucht, genau wie alle sonstigen Kursplätze. Mach dir keine großen Hoffnungen, dass es mir gelingt zu tauschen. Nun reise erst mal an, vielleicht wird dir das Gedichte-Schreiben ja auch Spaß bringen. Da kannst du völlig neue Seiten an dir entdecken.«
»Aber …«
»Noch mal: Es tut mir leid und ich werde mein Bestes versuchen, doch ich fürchte, du wirst am Lyrik-Kurs teilnehmen müssen. Die beiden Veranstaltungen haben eine ähnliche Kursnummer. Da hat sich wohl jemand bei der Datenerfassung vertippt.«
Peter ergab sich in sein Schicksal, verabschiedete sich und legte auf.
»Peter Shaw, ja, das ist wahr – inmitten einer Mädchenschar«, reimte Justus. »Er offenbart Gefühl und Herz – gibt sich ganz hin dem Liebesschmerz.«
»Sehr witzig, echt«, sagte Peter. »Ein wenig Mitleid wäre angebracht, wie das unter Freunden so üblich ist!«
Bob stand auf, ging zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter. »Mein Freund, wie sehr ich dich bedauer – doch wenn ich lach, werd bloß nicht sauer!«
Wenig später trennten sich die drei Detektive. Jeder eilte nach Hause, was für Justus nur ein paar Schritte quer über den Schrottplatz bedeutete. Er wollte die gute Nachricht seinem Onkel Titus und seiner Tante Mathilda überbringen, bei denen er seit dem Tod seiner Eltern lebte.
Peter und Bob fuhren mit dem Fahrrad nach Hause, um dort Bescheid zu sagen und zu packen.
Bei Bob war nur sein Vater zu Hause. Er saß vor einem Laptop und arbeitete wohl an einem neuen Bericht für die Zeitung.
»Stell dir vor, Dad«, sagte Bob. »Du weißt doch, dass ich mich für diesen Journalistik-Spezialkurs in Ruxton beworben habe. Ich bin angenommen worden! Übermorgen geht’s los! Ich bin schon ganz gespannt, in deine Fußstapfen zu treten.«
Mr Andrews hatte in seiner Jugendzeit in Ruxton studiert und dort erste journalistische Erfahrungen gesammelt. Seit vielen Jahren arbeitete er jetzt schon in diesem Beruf. »Ach, hat es tatsächlich geklappt, ja? Das ist … das ist großartig. Ich freue mich für dich.« Allerdings klang er gar nicht so, als würde er es ernst meinen.
»Was ist denn los, Dad?«
Mr Andrews wandte den Blick ab, hob die Hände und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger beider Hände die Schläfen. »Ach nichts.« Er schüttelte den Kopf. »Ich war nur gerade so konzentriert an der Arbeit. Die Reportage über den Schadstoff-Müll in der alten Fabrikhalle unten am Hafen, du weißt schon.«
Bob kannte seinen Vater gut genug, um ihm nicht zu glauben. »Ach komm, Dad! Das ist garantiert nicht alles! Was ist los?«
»Du wirst vierzehn Tage weg sein, Bob! Das ist der ganze Rest deiner Sommerferien. Wir wollten doch noch ein paar Ausflüge machen.«
Auch das klang in den Ohren des dritten Detektivs nicht sonderlich überzeugend, eher wie eine Ausrede. Aber er bohrte nicht weiter nach, um sich die Vorfreude nicht völlig verderben zu lassen. »Ich dachte, du würdest dich für mich freuen. Ich gehe dorthin, wo du auch studiert hast. Das ist doch klasse.« Ohne seinem Vater die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, zog er sich in sein Zimmer zurück und suchte zusammen, was er mitnehmen wollte. Immerhin musste er schon am nächsten Tag aufbrechen.
So häufte er ganze Stapel von Büchern und Kleidungsstücken auf. Ob er als Anschauungsmaterial über seine bisherigen Erfahrungen die eine oder andere Akte eines alten Falles einstecken sollte? Er hatte oft mustergültig recherchiert und erstaunliche Informationen aus zahllosen Quellen zusammengetragen.
Die Enttäuschung über das Verhalten seines Vaters vergaß er schnell. Später bekam er Durst und ging aus seinem Zimmer durch den Flur und das Wohnzimmer in Richtung Küche.
Die Tür dorthin war nur angelehnt. Er wollte sie gerade ganz öffnen, als er die Stimme seines Vaters hörte.
»Ruxton, ja!«, sagte Mr Andrews. Offenbar telefonierte er.
Bob blieb wie angewurzelt stehen. Zwar plagte ihn sofort ein schlechtes Gewissen, weil er lauschte, aber er wollte hören, was sein Vater über dieses Thema zu sagen hatte. Mit wem er wohl sprach?
»Denk doch nur an den Fuchs.« Mr Andrews legte eine Pause ein, in der sicherlich sein Gesprächspartner redete. »Der Teumessische Fuchs«, sagte Mr Andrews schließlich in einem Tonfall voller Abscheu. Wieder schwieg er für einige Sekunden. »Du hast recht. Ja, wir unterhalten uns später noch einmal darüber.«
Der dritte Detektiv hörte das Geräusch, mit dem sein Vater auflegte. Er zögerte kurz, ehe er die Tür öffnete.
»Bob«, begrüßte ihn Mr Andrews. »Tut mir leid wegen vorhin. Ich freue mich für dich, dass es geklappt hat.«
»Danke.« Bob deutete auf die Ablage. »Ach, hier ist das Telefon! Ich habe es schon gesucht. Hast du gerade telefoniert?« Wieder plagte ihn ein schlechtes Gewissen, dass er seinem Vater eine solche Fangfrage stellte, aber er wollte wissen, wie er reagieren würde.
Mr Andrews nahm das Telefon und reichte es seinem Sohn. »Ja, aber ich brauche es nicht mehr.«
»Mit wem hast du denn gesprochen?«
»Ach, nichts Wichtiges. Es war wegen der Arbeit. Einer der Hafenverwalter. Ich will dort etwas vor Ort recherchieren. Deshalb muss ich noch mal los. Du kommst allein zurecht, oder? Mom kommt in ein paar Stunden.«
Er lügt, wurde Bob klar. Sein Vater hatte mit irgendjemandem über Ruxton gesprochen und einen Fuchs erwähnt. Wie hatte er ihn genannt? Teumanischer Fuchs? Bob hatte das Wort nie zuvor gehört.
Warum hatte sein Vater so eigenartig reagiert, als er hörte, dass Bob nach Ruxton gehen würde? Was hatte es mit diesem seltsamen Fuchs auf sich? Und wieso in aller Welt log Mr Andrews seinen Sohn an? Das hatte Bob noch nie vorher erlebt!
Da stank etwas zum Himmel …
Die drei ??? kamen nicht zum ersten Mal zur Universität Ruxton, aber sie waren noch nie für einen längeren Aufenthalt angereist. Kleidung und alles Nötige hatten sie in Koffern bei sich, die momentan hinten in Peters Wagen lagen. Dazu gehörte auch ihre Detektivausrüstung, ohne die sie niemals verreisten.
Während der Fahrt dachte jeder der Jungen über etwas anderes nach.
Bob sah den kommenden Tagen durchaus nachdenklich entgegen, weil ihm das seltsame Verhalten seines Vaters nicht aus dem Sinn ging. Peter zeigte sich frustriert wegen des vertauschten Kurses. Nur Justus freute sich rundum auf sein Psychologie-Seminar.
Ihr erster Weg in der Universität führte die Freunde in ein Verwaltungsgebäude, wo die ausgewählten Schüler der Rocky Beach High weitere Informationen erhalten sollten.
Zu dritt betraten sie ein Zimmer, in dem sie ein hagerer Mann mit Vollglatze und Nickelbrille empfing. Er thronte hinter einem gewaltigen, penibel aufgeräumten Schreibtisch. Dabei nestelte er am Knoten seiner grauen Krawatte. Neben der Computertastatur stand ein Glas mit Wasser. Daneben wiederum saß – die Jungen mussten zweimal hinschauen, um es glauben zu können – eine faustgroße Spinne.
»Ehe ihr fragt«, sagte der Mann statt einer Begrüßung, »die Spinne ist von meinem Sohn und nein, sie ist nicht lebendig und auch nicht konserviert, sondern aus Plastik.« Seine Stimme klang nicht so langweilig, wie er aussah. Offenbar täuschte seine Erscheinung.
»Ja, danke«, meinte Peter. »Guten Tag. Wir sind …«
»Ich weiß schon«, unterbrach ihn der andere. »Ich erkenne euch von den Fotos eurer Bewerbungen. Ich kann mir Gesichter gut merken. Du bist Peter Flaw.«
Gesichter vielleicht, dachte Peter, aber Namen offenbar nicht. »Shaw«, verbesserte er deshalb. »Peter Shaw.« Gleich im Anschluss versuchte er selbst zu glänzen. »Übrigens erkenne ich Sie an Ihrer Stimme. Sie sind Mr Bright.«
Jeremy Bright, mit dem Peter am Vortag telefoniert hatte, nickte hastig und zog einen Umschlag aus dem Ablagestapel am Rand des Schreibtischs. »Tut mir leid wegen deines Kurses. Das ist für euch drei.«
Peter nahm den Umschlag.
»Darin findet ihr alle weiteren Informationen«, erklärte Mr Bright. »Weil ihr dieselbe Adresse angegeben habt, habe ich das alles gebündelt. Ihr seht auf den Blättern, wo eure Zimmer für die nächsten zwei Wochen liegen, wo und wann euer erstes Seminar stattfindet … solche Sachen. Bei Fragen kommt hier vorbei.«
Wenig später standen die drei ??? vor der Copernicus Hall, einem dreistöckigen, aus rotem Backstein gemauerten Gebäude. Es war eines von mehreren Wohnheimen für die Studenten von Ruxton. Peters Wagen parkte auf einem großen, geschotterten Platz ganz in der Nähe. Die Jungen sollten in einem kleinen, derzeit leer stehenden Bereich im zweiten Stock wohnen. Mr Bright hatte ihnen einen Satz Schlüssel ausgehändigt.
Sie stiegen im Treppenhaus nach oben. Hinter der gläsernen Zwischentür, die zu ihren Zimmern führte, lag ein schmaler Korridor mit einem Fenster am Ende. Darunter stand eine mickrige Palme in einem alten Topf.
Zu beiden Seiten gingen je drei Türen ab. Ein Badezimmer, eine recht gemütlich eingerichtete Teeküche und vier winzige Zimmer. In einem räumte gerade ein dürrer Junge den Einbauschrank aus einem glänzenden Hartschalenkoffer voll. Er trug eine Hose aus edlem, dunklem Stoff. Ein blütenweißes Kurzarmhemd schlackerte um den Oberkörper. Die Arme waren streichholzdünn.
»Hallo«, sagte Bob. »Wir werden offenbar für die nächsten vierzehn Tage zusammenwohnen. Ich erinnere mich gar nicht, dich in der Rocky Beach High schon mal gesehen zu haben.«
»Das kannst du auch nicht«, erwiderte der andere. Seine Stimme klang nasal. »Wir sind gerade erst in die Stadt gezogen, während der Ferien. Dass ich trotzdem hier für das Sonderprogramm ausgewählt worden bin, liegt an meinen erstaunlichen Fähigkeiten.«
Die drei ??? warfen sich vielsagende Blicke zu. Das konnte ja heiter werden. Sie nannten ihre Namen, der Junge stellte sich als Taylor-Jackson Smith vor.
Ihnen blieb keine Zeit, um lange zu plaudern. In weniger als einer Stunde stand eine kleine Begrüßungsveranstaltung für die angereisten Schüler an.
»Gehen wir zusammen, Taylor?«, fragte Peter ihren neuen Mitbewohner.
»Taylor-Jackson, bitte«, meinte dieser. »Ich bevorzuge es, wenn man mich bei meinem kompletten Vornamen nennt. Wenn schon mein Nachname leider völlig gewöhnlich ist, so spiegelt wenigstens der Vorname das Besondere meines Wesens wider.«
»Klar«, sagte Peter und schaffte das Kunststück, nur innerlich die Augen zu verdrehen.
»Und nein, ich gehe lieber allein.« Taylor-Jackson schloss die Tür.
Wenig später gingen die drei Detektive über das Gelände der Universität. Eine Menge Studenten eilten kreuz und quer über den Campus oder standen in Grüppchen beisammen. Obwohl es bereits früher Abend war, herrschte immer noch große Hitze.
»Justus, eins ist mir aufgefallen«, sagte Bob. »Ich dachte bis jetzt, du redest manchmal sonderbar, aber Jack macht dir harte Konkurrenz.«
»Jack?« Peter musste grinsen. »Nenn ihn doch bei seinem vollen Vornamen und nicht nur mit der Hälfte seines zweiten Namens!«
»Ihr seid gemein«, meinte der Erste Detektiv. »Ich mag ihn, irgendwie.«
»Echt?«
»Warum nicht? Wir müssen ihm zumindest noch eine Chance geben.« Justus grinste. »Immerhin ist Jack für zwei Wochen unser Mitbewohner …«
Sie erreichten das Gebäude, in dem die Begrüßung stattfinden sollte. Es war an einen Hang gebaut und bestand aus mehreren ineinander verschachtelten Einzelhäusern. Eine geschwungene Treppe führte zu einem breiten Eingangsportal, das sich automatisch öffnete. Ein großes Schild im Empfangsbereich wies ihnen den Weg zu Raum 03-11, wo eine Mrs Breckenridge die Schüler aus Rocky Beach willkommen heißen wollte.
Nur eine Handvoll Leute befand sich bereits dort. Die drei ??? kannten nur Julie Afflan mit Namen und grüßten sie. Die Übrigen hatten sie zwar schon oft in der Schule gesehen, aber sie besuchten die Klasse über ihnen. Justus, Peter und Bob setzten sich. In der Reihe vor ihnen saß ein Mädchen mit kurz geschnittenen braunen Haaren in einer Wolke aus Parfümduft. Die restlichen Teilnehmer an dem Spezialprogramm tröpfelten noch ein, in letzter Minute kam auch Taylor-Jackson.
Zu spät bemerkte Justus, dass auf einem Tisch vor dem Fenster einige Schüsseln mit Knabbereien standen. Zu gern hätte er sich bedient, aber in diesem Moment betrat eine hagere ältere Frau den Raum. Ein kleiner, untersetzter Mann ging direkt hinter ihr, beinahe so, als wäre er ihr Leibwächter.
Das allgegenwärtige unruhige Gemurmel verstummte sofort. Die Frau trug ein elegantes Kostüm und eine Lockenfrisur aus ergrauten Haaren. Ihre Brille hatte sie an den Bügeln mit einer Perlenkette gesichert.
»Ich heiße euch herzlich willkommen«, sagte sie. »Mein Name ist Francine Breckenridge und ihr verdankt es mir, dass ihr hier seid. Aus dem Vermögen meines verstorbenen Mannes habe ich nämlich eine Stiftung gegründet, die die Universität unterstützt, und diese Stiftung – die Breckenridge-Stiftung – bezahlt auch die Kosten für dieses Projekt, weshalb ihr umsonst im Wohnheim leben könnt.«
Verhaltener Applaus hallte durch den Raum.
»Leider habe ich nicht viel Zeit, weil eine andere Verpflichtung auf mich wartet«, fuhr die Dame fort. »Mr Bright wird mich deshalb vertreten. Ihr standet alle bereits in Kontakt mit ihm, er wird auch weiterhin euer Ansprechpartner bleiben. Ich wünsche euch einen guten Einblick in das Universitätsleben. Und wer weiß, vielleicht werden einige von euch schon bald hier studieren und Ruxtons wissenschaftlichen Ruhm mehren.«
Sie ließ ihren Blick durch die Runde schweifen. »Ich hoffe es.« Ohne ein weiteres Wort ging sie wieder, gefolgt von dem kleinen Mann. Mr Bright nahm ihren Platz ein.
Der Rest der Veranstaltung war gähnend langweilig. Niemand interessierte sich für Mr Brights organisatorische Erläuterungen, niemand stellte kluge Fragen, denn alle warteten gespannt auf den nächsten Tag, an dem endlich die Kurse begannen.
Im kleinen Supermarkt in der Nähe ihres Studentenwohnheims kauften die drei ??? alles für das Frühstück. Als sie später ihre Zimmer aufsuchten, waren sie rechtschaffen müde und gingen bald zu Bett. Ihren Mitbewohner Taylor-Jackson trafen sie nicht mehr.
Am nächsten Morgen begannen ihre Kurse erst um zehn Uhr, was hieß, dass die drei ??? ausschlafen konnten. Als Justus im Schlafanzug in die Küche kam, spülte Taylor-Jackson sein Frühstücksgeschirr und stellte es ordentlich ins Regal. »Ich bin gerade am Gehen«, sagte er.
Justus schaute auf die Uhr. »Fängt dein Kurs schon so früh an? Unsere starten alle um zehn Uhr.«
»Ich gehe noch joggen«, sagte Taylor-Jackson. »Ein gesunder Geist kann nur in einem gesunden Körper wohnen.« Er warf dem untersetzten Justus einen missbilligenden Blick zu.
Mit einem Mal war sich der Erste Detektiv nicht mehr so sicher, ob er an ihrem Mitbewohner tatsächlich etwas Sympathisches finden konnte. Oder wollte. Da waren ihm seine beiden Kollegen als Gesprächspartner schon lieber.
Bob schlurfte ebenfalls im Schlafanzug herein. Peter kam kurz danach frisch geduscht und sah unverschämt fit aus.
Eine halbe Stunde später machten sie sich auf den Weg. Ihre Kurse fanden in unterschiedlichen Gebäuden auf dem großen Universitätsgelände statt. Justus merkte Bob an, dass er bedrückt war. »Nun vergiss doch schon die Sache mit deinem Vater«, sagte er. Der dritte Detektiv hatte seinen Freunden auf dem Weg nach Ruxton alles erzählt.
»Das sagt ihr so leicht. Mein Dad hat mich belogen! Und ich komme einfach nicht mehr drauf, wie genau er diesen Fuchs genannt hat. Teumanischer Fuchs, oder teulanisch … ich muss noch mal recherchieren.«
»Jetzt geh erst mal in deinen Journalistik-Kurs! Dann kannst du immer noch weitersehen!« Sie trennten sich.
Justus’ Psychologie-Seminar fand am anderen Ende des Campus statt. Ganze Horden von Studenten eilten über das Gelände. Einem Jungen wehte der starke Wind die Mütze vom Kopf. Er hastete ihr hinterher, doch sie rutschte schnell über den Boden. Viele Studenten fuhren auf Fahrrädern zu ihren Veranstaltungen. Einige Ältere, wohl Dozenten, kamen ihm mit Aktentaschen oder unter den Arm geklemmten Mappen entgegen.
Bald leerte es sich rings um Justus. Das Psychologie-Gebäude lag am Rande des Campus neben dem kleinen Botanischen Garten. Von dort quakten Frösche aus einem Teich und einige Vögel flogen zwischen den niedrigen Bäumen und Büschen. Der starke Wind ließ die Blätter rauschen.
Vor dem Ersten Detektiv lagen zwei Häuser. Das hintere musste sein Ziel sein; das vordere war komplett umzäunt. Am Türchen im Gartenzaun stand in Großbuchstaben LEMUEL GARVINE, HAUSMEISTER. Darunter standen seine Sprechzeiten im Verwaltungstrakt und eine Handy-Nummer für Notfälle.
Wo hatte Justus diesen Namen bloß schon einmal gehört? Ihm fiel auf, dass auf der kleinen Rasenfläche neben dem Weg, der zur Haustür führte, ein riesiger Glaskasten in der Morgensonne blitzte.
Er wollte weitergehen, aber etwas lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Vögel, lautlos und …
… direkt über ihm!
Der Erste Detektiv legte den Kopf in den Nacken und schirmte die Augen mit der flachen Hand vor der Sonne ab. »Was … was ist das denn?«, entfuhr es ihm.
Kurz kniff er die Augen zusammen, aber der Anblick blieb der gleiche. Ein Schwarm aus mindestens zwei Dutzend Vögeln hing in der Luft wie festgefroren. Sie schlugen nur ganz wenig mit den Flügeln, obwohl sie doch bei diesem Wind hätten wild hin und her flattern müssen, um auch nur einigermaßen die Position zu halten!
Justus ging einige Schritte rückwärts, um sie noch besser sehen zu können. Plötzlich drehten die Vögel ab und zischten pfeilschnell Richtung Norden davon. Sie verschwanden hinter dem kleinen Haus, in dem Lemuel Garvine wohnte.
Nun, in einem Moment, in dem er über etwas ganz anderes nachdenken wollte, fiel Justus mit einem Mal ein, woher er den Namen kannte. Mr Garvine war im Infomaterial als Ansprechpartner erwähnt worden, falls es Probleme mit den Zimmern im Wohnheim geben sollte.
Die Tür des Hauses öffnete sich quietschend und ein Mann kam heraus. Trotz des nicht gerade kalten Wetters trug er eine dünne, schwarze Strickmütze über die Stirn, die Ohren und den Hinterkopf gezogen. Der Dreitagebart verlieh seinem Gesicht mit den eisgrauen Augen etwas Markantes. Er ging zu dem in der Sonne glitzernden gewaltigen Glaskasten.
»Entschuldigen Sie«, rief der Erste Detektiv ihm zu. »Sind Sie Mr Garvine?«
»Der bin ich. Was gibt’s, Junge?« Seine Stimme klang frisch und sympathisch. Sein Alter konnte Justus nicht richtig schätzen. Er mochte in den Vierzigern sein. Seine Jeans sah ausgeblichen aus.
»Haben Sie das auch gesehen?«
»Was denn? Ach, komm erst mal rein! Die Tür ist offen.«
Der Anführer der drei ??? öffnete das Gartentürchen und ging zu dem freundlichen Hausmeister. »Die Vögel«, erklärte er. »Eben stand ein ganzer Schwarm in der Luft. Das sah … also, es sah verrückt aus.« Er ärgerte sich selbst, dass er ins Stottern geraten war, aber er hatte zum ersten Mal in den Glaskasten sehen können – und was er darin sah, verschlug ihm einen Augenblick lang den Atem.
Lemuel Garvine zuckte mit den Schultern. »Vögel, sagst du? Das kommt schon mal vor, dass die sich seltsam verhalten. Bestimmt wegen meiner kleinen Lieblinge.« Die »kleinen Lieblinge« hockten in dem Glaskasten – einem Terrarium, das auf einer Rollvorrichtung stand! Ein Dutzend oder mehr faustgroße Tiere saßen darin. Zitronengelbe Frösche mit großen, schwarzen Augen.
»Das sind Pfeilgiftfrösche, nicht wahr?«, fragte Justus.
»Gut erkannt, Junge! Studierst du Biologie?«
»Das nicht«, erklärte der Erste Detektiv, »aber ich lese viel. Sagen Sie, sind die Tiere nicht giftig?«
»Sehr giftig sogar! Der Phyllobates terribilis, gemeinhin als der Schreckliche Pfeilgiftfrosch bekannt, ist eins der giftigsten Tiere überhaupt! Du kennst sie vielleicht von den Chocó-Indianern aus Kolumbien, die aus dem Hautgift dieser Frösche ihr Pfeilgift hergestellt haben.«
»Wie können Sie so giftige Tiere halten? Das ist doch …«
»Nur keine Angst! In Gefangenschaft verlieren die Tiere nach und nach ihr Gift und die Nachkommen besitzen erst gar keines mehr.«
»Und Ihre Tiere sind solche Nachkommen?«
Garvine grinste. »Wer weiß?« Er lachte. »Jedenfalls gönne ich ihnen hin und wieder etwas Sonnenlicht. Immer nur die Wärmelampe im Haus, das ist doch kein Leben!«
Justus wusste darauf nichts zu sagen. Außerdem erschien ihm die bloße Anwesenheit der Frösche nicht wie eine gute Erklärung für das seltsame Verhalten der Vögel.
Aber ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er weitermusste, wenn er den Anfang seines Seminars nicht verpassen wollte. Er verabschiedete sich und eilte weiter.
Als Peter den Seminarraum betrat, wurde ihm schummrig. Das kleine Zimmer war bis zum Bersten mit etwa fünfzig Studentinnen gefüllt.
Neunundneunzig Prozent Mädchen, dachte er, und ich. Einen Augenblick später musste er grinsen, als ihm auffiel, dass Justus ihn bestimmt auf seine unnachahmliche Art darauf hingewiesen hätte, dass es sich eigentlich um achtundneunzig Prozent Mädchen handelte …
Irgendwo im Raum schrie jemand auf. Peter wollte dem Mädchen schon zu Hilfe eilen, merkte aber, dass es um nichts Schlimmes ging. Die Studentin sah totenbleich aus und deutete mit zitternden Fingern auf ihren Tisch, von dem sie rückwärts wegwankte. »Die Spinne! Macht die Spinne weg …!«
Der Zweite Detektiv verdrehte die Augen. Das war doch nur ein total harmloser Weberknecht! Ein anderes Mädchen schob ein Blatt Papier unter die Spinne und bugsierte sie damit zum Fenster.
Ein Dutzend Studentinnen trug pastellfarben gebatikte, schlabbrige Kleider. Peters Freundin Kelly hätte diesen Kleidungsstil wohl als »öko« bezeichnet. Andere waren grell geschminkt, mit so bunter Kleidung, dass es in den Augen wehtat.
Da gehörte das Mädchen mit den kurz geschnittenen braunen Haaren, das er bereits am Vorabend während der Einführungsveranstaltung gesehen hatte, schon eher zu den Normalen. Sie sah sportlich und durchtrainiert aus, wie ihm jetzt auffiel. Der einzige noch leere Platz lag direkt neben ihr. Peter setzte sich mit einem knappen »Hi«.
»Hi«, erwiderte sie. Genau wie gestern umgab sie eine Wolke aus Parfümduft. Es roch frisch und durchaus angenehm, das musste Peter zugeben. »Du bist doch auch aus der Rocky Beach High, oder? Du bist mir dort schon oft aufgefallen!« Sie lächelte ihn breit an.
Das kann ja heiter werden, dachte Peter.
»Ich bin Samantha Shirona«, sagte sie. »Klingt bescheuert, find ich. Gib meinen Eltern die Schuld.«
Er musste lachen. »Find ich nicht bescheuert, sondern toll. Wie geschaffen für einen Lyrik-Kurs, in dem man Gedichte schreiben muss.«
Samantha strahlte. »Ich find’s cool, dass du an diesem Kurs teilnimmst. Mal im Ernst – du bist der einzige Junge hier. Ganz schön mutig von dir.«
Im ersten Moment wollte Peter sie über den Computerfehler aufklären, entschied sich aber dagegen. Warum sollte er es nicht ausnutzen? »Danke«, sagte er also und nannte nun ebenfalls seinen Namen.
»Wir sind die Einzigen aus dem Sonderprogramm in diesem Kurs«, sagte Samantha. »Alle anderen sind … echte Studenten aus dem ersten Semester.«
Ehe Peter sich genauer umschauen konnte, kam ihre Dozentin herein. Sie stellte sich als »A.C. Berany« vor – »ihr dürft mich A.C. nennen«. Peter war von der ersten Sekunde an überzeugt, dass sie eine Macke hatte. Allein ihr breiter Strohhut, an dem eine rote Rose steckte! Sie schien in anderen Sphären zu schweben.
»Ehe ich groß etwas erzähle«, sagte Mrs A.C. Berany, »wollen wir gemeinsam austesten, was in euch steckt!«
Peter wünschte sich ein Loch herbei, in dem er versinken konnte.
»Was ist für euch Poesie? Was sind Gedichte?«, fragte A.C. »Diese Frage kann jeder nur für sich selbst beantworten! Darum starten wir mit einer kreativen Aufgabe. Nehmt euch nicht lange Zeit, schreibt auf, was euch in den Sinn kommt! Euer Gedicht soll zeigen, wie wichtig es am frühen Morgen ist, sich zu bewegen und die Schönheit der Schöpfung zu bewundern, damit sich die Gedanken klären können für den neuen Tag.«
Aha, dachte Peter, das ist also wichtig.
»Nun auf«, sagte Mrs Berany, »schreibt eure ersten Gefühle auf, die genau das beschreiben.«
Rund um Peter fing jeder an zu schreiben, während er sich fragte, was in aller Welt er überhaupt hier tat. Er sehnte sich nach dem Sportkurs.
Samantha schob ihm Blatt und Stift zu. »Na los, Peter!«
Voller Verzweiflung brachte der Zweite Detektiv irgendetwas aufs Papier. Es war wichtig, sich morgens zu bewegen und die Schönheit der Natur zu bewundern, damit die Gedanken in Schwung kamen? So ein Unfug! Aber bitte, wenn es sein musste …
Fünf Minuten später, als A.C. das Ende dieser Übung verkündete, blickte Peter auf eine Unmenge durchgestrichener Worte und Kritzeleien vor sich auf dem Blatt. Nur zwei Zeilen hatten überlebt. Immerhin reimten sie sich am Ende. Besser als nichts.
Sein Albtraum wurde endgültig zur Katastrophe, als A.C. ausgerechnet auf ihn deutete. Sie hielt eine Namensliste in der Hand. »Du, Peter Shaw, darfst zuerst dein Gedicht mit uns teilen!«
»Sie … äh …« Peters Handflächen wurden feucht, als er sich vorstellte, dass gleich alle seine reichlich unbeholfenen Zeilen hören würden. »Sie kennen meinen Namen?«, fragte er zur Ablenkung.
»Kunststück, du bist der einzige männliche Teilnehmer!«
»Richtig, ja.« Der Zweite Detektiv dachte darüber nach, wie schön es jetzt wäre, einen Verbrecher zu jagen oder in irgendeiner Gruft ein uraltes Rätsel zu lösen, sogar mit einer Horde ekelhafter Spinnen, die über seine Füße krabbelten. Er stand auf. Sein Stuhl ruckte knarrend zurück. »Mein … äh … Gedicht heißt ›Morgengymnastik‹. Ich bin nicht ganz so weit gekommen. Eigentlich nur … äh … nur zwei Zeilen.«
»Nur Mut!«, forderte A.C.Berany gut gelaunt.
Peter räusperte sich und las den Zweizeiler ab, der auf seinem Blatt stand. »Ich steh auf, verrenk mich – erst dann bin ich drandenklich!«
Danach herrschte Totenstille im Raum. Peter setzte sich ruckartig. »Also, das letzte Wort soll bedeuten, dass …«
»Nein, nein«, unterbrach Mrs Berany. »Sag nichts!«
»Wundervoll«, hauchte Samantha ihm vom Nebenplatz zu.
»Echt?«, fragte er leise zurück.
»Wie du ein neues Wort erschaffen hast, um deinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, ist in höchstem Maß interessant«, sagte A.C. »Wenn sich am Morgen deine Gedanken klären, bist du also nicht mehr vergesslich, sondern du erinnerst dich an alles! Du denkst daran – du bist ›drandenklich‹. Weiter so, Peter!«
Eigentlich hatte Peter das Wort erfunden, weil ihm keine passende Bezeichnung für das Gegenteil von ›vergesslich‹ eingefallen war und es sich außerdem irgendwie reimen sollte. Seine Gefühle spielten dabei keine Rolle.
»Wer will als Nächste?«, fragte die Dozentin. Etliche Finger schossen in die Höhe. »Bitte«, sagte A.C. und deutete auf ein Mädchen in der ersten Reihe.
Es war eine der Ökos. Anders als Peter stand sie nicht nur auf, sondern ging nach vorn und drehte sich zu ihnen um. Dem Zweiten Detektiv kamen ihre Bewegungen seltsam eckig und ungelenk vor.
Sie musste furchtbar nervös sein, wie sie mit eigenartig abwesendem und starrem Blick auf die Menge schaute. Oder ließ sich das mit Nervosität gar nicht mehr erklären? Sie bewegte sich geradezu hölzern und abgehackt, völlig unnatürlich! Fast wie unter Hypnose …
»Ich bin Alexandra«, sagte sie mit monotoner Stimme. Dann las sie, wie ein Roboter, ein extrem schwülstiges Gedicht vor. Peter hatte nicht die geringste Lust, noch mehr davon anzuhören. Aber was blieb ihm anderes übrig? Nach Alexandra folgten weitere Mädchen, die sich immerhin einigermaßen normal verhielten.
Zum Schluss wagte sich eine dunkelhaarige Studentin namens Corvy nach vorn. War das nicht das Mädchen mit dem Weberknecht gewesen? »Mein Gedicht heißt ›Der Morgen‹«, sagte sie. »Sonnenlicht bricht herein. Und – du fühlst die Erhabenheit des Königlichen.«
Peter unterdrückte ein Gähnen.
»Nur wenige sind berufen«, fuhr Corvy fort, »wenn die Zeit den Horizont verlässt! Du wirst die Wahrheit erfahren, wenn der Teumessische Fuchs heult!«
Von einem Augenblick auf den nächsten war der Zweite Detektiv wie elektrisiert. Das konnte doch nicht sein! Hatte er sich eben verhört? Oder hatte das Mädchen tatsächlich vom … Teumessischen Fuchs gesprochen? Das konnte doch kein Zufall sein! Das musste dasselbe Tier sein, das Mr Andrews am Telefon erwähnt hatte!
Wer hätte gedacht, ging es Peter durch den Kopf, dass sogar ein Lyrik-Kurs interessant sein konnte …
Der Psychologie-Kurs lief schon fast eine Stunde und er war rundum interessant. Eine echte Herausforderung für Justus.
Alles war gut.
Oder hätte gut sein können. Wäre da nicht Taylor-Jackson Smith gewesen. Der Mitbewohner der drei ??? besuchte den Kurs ebenfalls und er war nach Justus’ Meinung der größte Klugscheißer, der je das Licht der Welt erblickt hatte. Damit hätte der Erste Detektiv ja noch leben können, aber Taylor-Jackson war außerdem ein brillanter Klugscheißer. Was nichts anderes hieß, als dass er Justus den Rang ablief.
Die Dozentin, eine gewisse Dr. Fuller, hatte ein besonderes Auge auf die beiden Schüler geworfen, die als Gäste an ihrem Kurs teilnahmen. Sie beobachtete sie ganz genau und konfrontierte sie mehr als einmal mit Fragen, bei denen es auf logisches Denkvermögen ankam. Der Erste Detektiv war immer stolz gewesen auf seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet, aber Taylor-Jackson stach ihn aus.
»Schon der griechische Philosoph Aristoteles hat Überlegungen zum richtigen Denken angestellt«, sagte Mrs Fuller gerade. »Er beschreibt es als folgerichtig und frei von Widersprüchen. Wir nennen diese Art von Denken ›logisch‹. Fehler in der Logik ziehen oft tragische Folgen nach sich.«
Davon konnte Justus ein Lied singen; es war Alltag im Detektivdasein. Wer falsche Schlussfolgerungen zog, entdeckte womöglich die Lösung eines Kriminalfalles nicht. Dann entkam der Schurke und das Verbrechen blieb ungesühnt.
»Kann mir jemand ein Beispiel nennen?«, fragte die Dozentin.
Justus überlegte noch, welchen ihrer Fälle er anführen sollte, als Taylor-Jacksons Hand bereits in die Höhe schoss.
Mist.
Dr. Fuller nickte ihm zu. »Der Unfall im Atomkraftwerk von Tschernobyl ging auf Fehler in der logischen Beurteilung der Gesamtlage durch das Personal zurück«, sagte Taylor-Jackson. Die Dozentin zeigte sich begeistert und fuhr in ihren Erklärungen fort. Justus konnte sich gar nicht mehr richtig konzentrieren, so sehr ärgerte er sich. Vor allem über das hämische Grinsen, das Jack, wie er ihn in Gedanken nur noch nannte, ihm zuwarf. Er beurteilte die Lage wohl genauso wie Justus: Die beiden waren erbitterte Konkurrenten.
Der Rest der Kurszeit verging rasch, bald war es zwölf Uhr am Mittag. »Wir treffen uns in zwei Stunden zur Nachmittagssitzung«, erklärte Dr. Fuller und sämtliche Teilnehmer stürmten aus dem Raum.
Taylor-Jackson war nicht mehr zu sehen, auch die meisten anderen Studenten waren bereits außer Sichtweite. Der Wind hatte nachgelassen. Justus wollte in sein Zimmer im Studentenwohnheim gehen; vielleicht traf er dort Bob. Er war gespannt, wie es dem Freund in seinem Journalistik-Kurs ergangen war. Bestimmt nicht so schlimm wie ihm. Peter hatte in seinem Lyrik-Seminar nur eine halbe Stunde Mittagspause. Aber mochte der Zweite Detektiv auch im falschen Kurs gelandet sein, wenigstens musste er sich mit keinem Taylor-Jackson herumschlagen.
Vom Botanischen Garten her quakten wieder Frösche. Sofort erinnerte sich der Erste Detektiv an den Hausmeister Lemuel Garvine und dessen Terrarium mit den Pfeilgiftfröschen. Ganz automatisch kam ihm das seltsame Verhalten der Vögel über Garvines Haus in den Sinn. Er suchte den Himmel ab, konnte aber nichts Außergewöhnliches entdecken.
Nachdenklich lief er weiter und überlegte, ob er in die Mensa gehen sollte, um dort etwas zu Mittag zu essen. Bei dem Gedanken meldete sich sein Magen mit einem herzhaften Grummeln. Gut – diese Entscheidung war wohl gefallen.
Er ging an Garvines Haus vorbei, als er etwas auf dem Boden liegen sah. Es blitzte in der Sonne, lag zwischen den Zaunlatten vor dem Garten des Hausmeisters und ragte halb auf den Gehweg. Der Erste Detektiv bückte sich und hob das metallene … Ding auf. Ein Gerät wie dieses hatte er noch nie gesehen, und auch als er die Augen einmal kräftig zukniff und wieder öffnete, änderte sich der bizarre Anblick nicht.
Was er in der Hand hielt, sah aus wie eine Requisite aus einem Science-Fiction-Film. Es war ein bisschen größer als seine Handfläche und der kleine Bildschirm war dunkel, von etlichen leuchtenden Punkten abgesehen, die darüberwanderten. Vom Rand standen mehrere winzige Antennen ab, fast so dünn wie Haare. Sie fühlten sich weich an und waren grasgrün.
Das Gerät war ungewöhnlich leicht, als bestünde es gar nicht aus Metall oder auch nur Plastik. Das lag wohl daran, dass es so dünn war wie einige Seiten aufeinandergelegtes Papier – und es ließ sich einrollen wie eine Plastikfolie!
Irgendwie musste Justus bei dem Anblick an einen futuristischen Computer oder ein Kommunikationsgerät denken … gewissermaßen ein Handy … wenn es auch ein solches Handy ganz sicher nicht gab! Trotzdem nannte er es für sich so.
Der Erste Detektiv schaute sich um. Niemand war in der Nähe, der es hätte vermissen können. Sollte er bei Mr Garvine klingeln? Aber es sah eher so aus, als hätte jemand das Gerät vom Gehweg aus verloren. Also konnte es ebenso gut dem Hausmeister wie jedem anderen gehören.
Ob es tatsächlich funktionierte? Das glaubte der Erste Detektiv nicht. Er tippte auf den Bildschirm. Vielleicht handelte es sich dabei ja um eine Art Sensorfläche. Nichts tat sich. Höchst mysteriös!
Justus marschierte wieder los. Ein gutes Rätsel wie dieses weckte seinen Appetit erst richtig. Es fiel ihm deshalb gar nicht leicht, trotzdem zum Fundbüro des Campus zu gehen, um das Handy dort abzugeben. Allerdings hatte das Büro gerade geschlossen und würde erst übermorgen am Vormittag für eine Stunde wieder geöffnet sein. Nicht gerade sehr kundenfreundliche Zeiten, dachte Justus und ging zufrieden zur Mensa.
Nun gut, so konnte er das Handy später seinen Freunden zeigen. Die würden Augen machen!
Peter nutzte die halbstündige Mittagspause, um sich an dem Hotdog-Wagen, der neben dem Seminargebäude parkte, rasch etwas zu essen zu holen. Samantha Shirona wich ihm nicht von der Seite. Sie kaufte sich ebenfalls etwas, aber ehe sie zum ersten Mal zubiss, holte sie einen kleinen Flakon aus ihrem Handtäschchen und stäubte sich erneut mit einer Parfümwolke ein. Das war wirklich schwer gewöhnungsbedürftig.
Todesmutig aß Peter weiter, obwohl er glaubte, sein Hotdog würde nach Rosenduft und irgendwelchen süßlichen Früchten schmecken. Alles andere als appetitanregend.
»Dein Gedicht war echt interessant«, sagte Samantha. »Ich mag Jungs, die zu ihren Gefühlen stehen.«
Der Zweite Detektiv suchte verzweifelt nach den richtigen Worten und biss erst mal kräftig zu. Das verschaffte ihm Zeit. Er stand also zu seinen Gefühlen? Und das wollte sie aus den beiden albernen Zeilen herausgelesen haben, die er sich herausgequetscht hatte? »Ja«, sagte er schließlich. Nicht gerade ein superintelligenter Kommentar, wie er selbst zugeben musste.
Samantha störte sich nicht daran. Sie himmelte ihn weiter an. Kurz vor Ende der Pause verabschiedete sie sich mit der Begründung, sie müsse sich noch schnell die Nase pudern. So konnte Peter allein zurück in den Kursraum gehen.
Als er sich auf seinen Platz setzte, verteilte eine Studentin Muffins – eine der Ökos, wie er sie in Gedanken an Kelly nannte. Die Gebäckstücke sahen entsetzlich trocken aus und rochen seltsam. Samantha hatte ihren halb gegessen und den Rest draußen in den Mülleimer geworfen. »Du hast vor der Pause doch keinen bekommen«, säuselte die Studentin, deren Namen er sich nicht gemerkt hatte. Sie sprach Englisch mit einem typisch deutschen Akzent. »Ich habe heute Geburtstag, weißt du, und bei uns ist das so üblich, dass wir den anderen in der Klasse etwas mitbringen.«
»Danke«, sagte Peter, nahm das Gebäckstück und schwor sich, dass er es ganz bestimmt nicht essen würde. Vielleicht konnte er es ja dem unausstehlichen Taylor-Jackson unterjubeln. »Und herzlichen Glückwunsch, äh …«
»Anne!« Sie strahlte und ging weiter. Peter ließ den scheußlichen Muffin in seiner Tasche verschwinden.
Kurz darauf kam Samantha herein und setzte sich neben ihn. Dank ihres Parfümduftes musste er wenigstens den seltsamen Muffin-Geruch nicht mehr ertragen. Alles hatte seine guten Seiten, man musste sie nur erst mal erkennen. »Stell dir vor«, flüsterte Peter. »Ich habe jetzt auch einen der schrecklichen Muffins bekommen.«
Samantha schaute ihn an. »Ach ja?« Ihre Stimme klang giftig. »Und wen interessiert’s?«
Der Zweite Detektiv war wie vor den Kopf geschlagen. »Entschuldige, ich dachte …«
»Ja, ja, denk du nur. Weil du ein Junge bist, dreht sich die ganze Welt natürlich nur um dich!«
»Aber Samantha, ich …«
»Lass mich bloß in Ruhe!«
Sie war wie ausgewechselt. Peter verstand die Welt nicht mehr. Was hatte er ihr denn getan? Draußen hatte sie sich noch ganz normal von ihm verabschiedet, falls man ihre Anhimmelei als normal bezeichnen wollte.
Mrs Berany kam zurück und der Unterricht begann aufs Neue. Noch hatten nicht alle Kursteilnehmer ihre Zeilen vom Vormittag vorgetragen, weil sich an manchen Gedichten heiße Diskussionen entzündet hatten. In Peters Augen war dieses ganze Gerede völlig schwachsinnig gewesen.
Einige Minuten später stotterte ein Mädchen etwas von Sonnenstrahlen, Wolken und azurblauem Himmel, auf dem Flugzeuge mit ihren Kondensstreifen irgendwelche Wörter schrieben. Samantha drehte sich zu Peter um, lächelte ihn schmachtend an und flüsterte ihm zu: »Hast du so einen Blödsinn schon irgendwann mal gehört?«
»Nein«, sagte Peter knapp und in abweisendem Tonfall.
»Was ist los?«, fragte Samantha.
Vorhin hast du mich angeschnauzt, als würdest du mich hassen, dachte der Zweite Detektiv, sprach es aber nicht aus. »Nichts«, meinte er stattdessen verwirrt.
»Gut.« Samantha kaute nervös auf ihrer Unterlippe. »Wollen wir heute Abend vielleicht eine Runde joggen oder so? Ich brauche unbedingt Bewegung.«
»Ich … äh …«
»Ruhe dahinten!«, rief A.C.
Samantha schaute ihn aus großen Augen an und formte lautlos mit ihren Lippen ein »Bitte!«, das sich verdächtig einem Kussmund annäherte.
Peter nickte hastig, um seine Ruhe zu haben. Er sagte sich, dass das kein Date war. Ganz bestimmt nicht. Schließlich gab es da noch Kelly, seine Freundin. Um Romantik ging es aber bei diesem Treffen ja gar nicht. Mit Samantha stimmte irgendwas nicht …
Bob konnte es kaum fassen – während der vergangenen zwei Stunden hatte er zehn Seiten in seinem Block vollgeschrieben. Die Hand tat ihm richtig weh. Professor Roalstad, der Leiter des Journalistik-Kurses, war nicht nur ein fantastischer und witziger Lehrer, sondern blickte auch auf zwanzig Jahre als aktiver Reporter zurück. Er hatte für mehrere große Tageszeitungen gearbeitet; er kannte eine Menge Kniffe und gab zwischendurch immer wieder praktische Tipps für angehende Journalisten.
Die Zeit im Kurs war wie im Flug vergangen. Bob hätte noch stundenlang zuhören können.