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Erniedrigung, Angst und Gewalt sind Madeleines ständige Begleiter. Als Sklavin der Dunklen Loge ist sie fest entschlossen zu entkommen, um nicht gefoltert, seelisch gebrochen und anschließend von der Loge getötet zu werden. Als sie dem dort Undercover ermittelnden Falco in die Arme stolpert, spüren beide eine sofortige starke Anziehung zueinander, die ihre Flucht auf eine gefährliche Probe stellt. Kann Madeleine Falco wirklich vertrauen, oder spielt die Loge ein perfides Spiel mit ihr? Falco hat alle Mühe der mutigen Rebellin zu widerstehen, und so finden sich beide in einem Drahtseilakt aus Dominanz und Unterwerfung wieder. Madeleine und Falco ahnen nicht, dass die Loge längst ein Netz aus Intrigen und tödlicher Bedrohung um sie geschlungen hat … Ein romantischer BDSM-Roman.
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Seitenzahl: 398
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Mina Miller
DIE DUNKLE LOGE: SINNLICHE KETTEN
© 2018 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Mia Schulte
© Coverfoto: Shutterstock.com
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-371-2
ISBN eBook: 978-3-86495-372-9
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.
Inhalt
Regeln
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Autorin
Die Sklavinnen haben jedes Logenmitglied mit Herr oder Herrin anzusprechen.
In Anwesenheit von Logenmitgliedern muss der Blick gesenkt werden.
Antworten geben die Dienerinnen nur auf Befehl.
Geben die Herren oder Herrinnen Anweisungen, sind diese mit sofortiger Wirkung auszuführen.
Den Gefangenen ist es verboten, sich miteinander zu unterhalten.
Der Tagesplan wird strikt eingehalten, Verfehlungen werden bestraft.
Bestrafungen fallen nach Schwere des Vergehens aus.
Die Frauen haben auf ihre Körperhygiene zu achten.
Bei Zusammentreffen der Loge haben sich die Sklavinnen den Mitgliedern der Loge körperlich hinzugeben.
Die Dienerinnen werden ausschließlich bei Logentreffen sexuell berührt.
Ihr Kopf dröhnte und der Schmerz auf ihrer Wange trieb ihr die Tränen in die Augen. Madeleine biss die Zähne zusammen. Mit keinem Zucken würde sie verraten, wie sehr ihr diese Demütigung zusetzte. Bittere Galle sammelte sich in ihrem Mund und floss träge ihre Kehle hinunter. Das silberne Tablett mit den Gläsern, das sie kurz zuvor auf den Händen balanciert hatte, lag umgeben von Tausenden Scherben auf dem Fliesenboden. Scharfkantige Muster verzierten die Sektgläser.
Cassandra, Vorsteherin der Loge und ein Weibsstück, deren Vergnügen es war, sie bei jeder Möglichkeit bloßzustellen, stand mit erhobener Hand und funkelndem Blick vor ihr. Cassandra stemmte eine Hand in die Hüfte, warf sich das rabenschwarze Haar über die Schulter, und Madeleine fragte sich, wodurch sie sich den abgrundtiefen Hass dieser Frau verdient hatte. Jedoch beruhte die Antipathie auf Gegenseitigkeit, und sie hätte sich zu gern eine Schere gekrallt und Cassandra die schwarze Mähne abgeschnitten. Ihre Feindin war eine orientalische Schönheit mit weiblichen Kurven, die die Männer beglückten. Ein fester Hintern, ein üppiger Busen und eine Wespentaille, die nicht gesund aussah. Sie brauchte bloß mit den langen Wimpern zu klimpern und jeder Kerl lag ihr zu Füßen.
Die Vorsteherin der Loge griff in Madeleines Haare, zerrte sie grob zu sich heran und stach ihr dabei mit ihren rot lackierten Fingernägeln schmerzhaft in die Kopfhaut. Madeleine biss sich auf die Lippen, bis sie Blut schmeckte. Immer wieder nahm sie sich vor, Cassandra nicht zu reizen, doch eine Stimme tief in ihr drin wollte nicht nachgeben. Sie dachte daran zurück, wie der ganze Albtraum begonnen hatte. Noch vor ein paar Monaten war sie niemand gewesen, der auf Krawall gebürstet war. Im Gegenteil, in der Firma ihrer Eltern galt sie als ruhig und distanziert. Das änderte sich jedoch schlagartig, als ihre Schwester spurlos verschwand. Von heute auf morgen ließ sie alles stehen und liegen, um Evelin zu suchen.
Madeleine verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Und wie sie ihre Schwester gefunden hatte! Der Anblick ihrer mit Narben übersäten Haut in dem düsteren Kellergefängnis hatte sich wie Säure in ihr Gedächtnis gebrannt. Damals war sie zu verwirrt gewesen, um zu begreifen, was in dieser Zelle geschehen war. Der körperliche Schmerz, den sie dort selbst erleiden musste, war so extrem gewesen, dass sie in eine tiefe Bewusstlosigkeit gesunken war. Schwerelos flog sie durch unendlich lange Spiralen aus schattenhaftem Licht. Nach gefühlten hundert Jahren Schlaf erwachte sie an einem fremden Ort, ohne zu wissen, wo sie sich befand und was mit Evelin passiert war. Sie biss sich auf die Unterlippe. Die Pein lenkte sie von den sorgenvollen Gedanken um ihre Schwester ab. Sie versuchte, die Trauer und die Wut in sich zu verschließen. Die Gefühle lagen schwer wie eine Eisenkette um ihr Herz. Doch eines wurde ihr nun schnell bewusst: An diesem schrecklichen Ort durfte sie es sich nicht gestatten, Schwäche zu zeigen.
Ein leises Kichern riss sie aus ihren Erinnerungen, und rote Lippen kamen ihrem Ohr beängstigend nahe. Ein goldenes Leuchten um Cassandras Hals nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Beschlag. Eine Goldkette mit Herzanhänger baumelte vor ihren Augen hin und her. Geräuschvoll sog Madeleine den Sauerstoff in ihre Lungen, denn das Schmuckstück würde sie überall auf der Welt wiedererkennen. Den Zwilling des Colliers trug ihre Schwester, und beide Anhänger besaßen eine persönliche Widmung ihrer verstorbenen Eltern.
Der Hass auf die Vorsteherin stieg und brodelte in ihrem Magen. Es war eindeutig ihre Kette, das sah Madeleine an der Macke, die das Herz an der Vorderseite aufwies. Überzeugt davon, dass Marcel ihr Herzstück an sich genommen hatte, war sie umso erstaunter, die Kette nun an dem Hals von Cassandra zu sehen. Madeleine folgte dem hin und her pendelnden Herzen mit den Augen. Es kostete sie große Willensanstrengung, ihr das Herz nicht vom Hals zu reißen.
Cassandras nächste Worte drangen wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. „Was denkst du, wen du vor dir hast? Eine Sklavin ist nicht mehr wert als der Dreck unter meinen Schuhen. Du hast vor mir niederzuknien, dein Blick klebt am Boden. Ich will mir deine Visage nicht ansehen. Und wenn ich dir sage, dass du die Gläser zum vierten Mal polieren sollst, kommst du dem unverzüglich nach. Meine Geduld ist bald am Ende, vielleicht sollte ich dich nackt in einen Käfig sperren, um dich Demut zu lehren. Dein dürrer Körper gehört der Loge, und die Master werden sich eingehend die Zeit mit dir vertreiben. Glaube mir, du wirst deine ganze Kraft und Aufmüpfigkeit brauchen, denn den einen oder anderen dürstet es nach einer widerspenstigen Sklavin, deren Wille erst noch gebrochen werden muss. Spätestens beim Logentreffen lernst du, was das bedeutet.“
Wie eine Schlange zischte sie ihr die Worte ins Ohr und drehte Madeleines Kopf schmerzhaft in die Richtung, in der ein schwarzer Eisenkäfig von der Decke hing. Die Gitterstäbe erinnerten sie an die scharfen Zähne eines Monsters, und Stachel der Furcht gruben sich in ihr Herz. Ein Wimmern drang aus dem Käfig zu ihnen und verursachte ihr eine Gänsehaut. Das Mädchen Nummer 15 war schon seit gestern Abend in dem Gefängnis eingesperrt, das so eng war, dass sie sich nicht bewegen konnte. Damit bestätigte sich, dass Cassandra keine leeren Drohungen aussprach, und Madeleine versuchte mühsam, mit trockener Kehle zu schlucken.
Als sie vor ein paar Tagen aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war, fand sie sich in einem real gewordenen Albtraum wieder. Das Zimmer, in dem sie lag, bewohnten bereits vier Frauen, die sie aus angsterfüllten Augen anstarrten. Eine mit zerrupftem Haar war zu ihr an das Bett getreten. „Es wäre besser für dich gewesen, du wärst nicht mehr aufgewacht.“ Ihre eiskalten Hände krallten sich schmerzhaft in Madeleines Oberarm. In allen Gesichtern lag ein Grauen, das sie bis in ihr Innerstes erschütterte.
Die junge Frau erzählte ihr, es gäbe keine Möglichkeit, der Loge zu entkommen, und je eher sie sich fügte, umso einfacher würde ihre Zeit hier werden. Die Mitglieder der Loge träfen sich nur zu besonderen Anlässen, bei denen sich ihnen die Mädchen sexuell unterwerfen mussten, auf dem Anwesen.
Madeleine dachte im ersten Moment, sich verhört zu haben, doch der entmutigte Blick von Nummer 19 ließ ihr den Atem stocken. Bittere Galle stieg ihre Kehle hoch. „Soll das heißen, wir werden von den Mitgliedern vergewaltigt?“ Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn. Als ihr Gegenüber angespannt nickte, schlug sie sich die Hand vor den Mund, rannte in das Bad, das sich hinter einer Tür ihres Zimmers befand, und erbrach sich röchelnd in die Kloschüssel. Erschöpft lehnte sie sich auf das Waschbecken, wusch sich die Hände und spülte ihren Mund aus, bis der bitterere Geschmack auf ihrer Zunge verschwunden war. Mit zitternden Beinen schleppte sie sich auf ihr Bett, wobei das Eisengestell quietschte.
Von den anderen Mitbewohnerinnen war nichts mehr zu sehen, auch das Mädchen Nummer 19 war nicht länger im Raum. Somit begutachtete sie die karge Einrichtung genauer. Fünf Betten standen in einer Reihe an der Wand. An der Wand gegenüber waren zwei Fenster mit dicken, in die Mauer einbetonierten Gitterstäben. Neben einem alten Holzschrank, befand sich das winzige Badezimmer mit Dusche und einer Toilette ohne Deckel. Einen Spiegel gab es nicht, nur das Nötigste war vorhanden. Handtücher, Toilettenpapier, eine Haarbürste, für jedes Mädchen eine Zahnbürste und ein Stück Seife.
Auf einmal wurde ihr alles zu viel, und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sie taumelte zur Tür und drückte die Klinke herunter, doch die rührte sich nicht. Man hatte sie eingeschlossen. Den Türdrücker fester packend, fing sie an zu rütteln und hämmerte gegen die Tür. Sie rief nach Hilfe, aber niemand kam, um nach ihr zu sehen. Ihre Hände schmerzten von dem vielen Klopfen. Das Atmen fiel ihr immer schwerer. Sie rannte zum Fenster und drehte an dem silbernen Griff. Mit Erleichterung bemerkte sie, wie er nachgab, und riss das Fenster auf. Kühle Luft empfing sie und zitternd berührte sie die Gitterstäbe. Sie lehnte ihre Stirn an das Eisen und versuchte, sich auf den frischen Lufthauch zu konzentrieren, atmete langsam ein und aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte sie, wie sich die Kälte von den Eisenstangen in ihre Haut fraß. Mit einem tiefen Seufzen ließ sie los und schaute nach draußen. Der verhangene Himmel ließ einen verwilderten Garten und Bäume erkennen, die vielleicht zu einem Wald gehörten.
Erschöpft legte sie sich auf ihr Bett, die Knie an die Brust gezogen und die Arme um ihre Beine geschlungen. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem Ruf einer Eule. Irgendwann schlief sie ein und erlebte die erste Nacht in ihrem neuen Gefängnis.
Der letzte Rest von Unglaube, eine Gefangene der Loge zu sein, verflog, als sie deren Vorsteher kennenlernte. Oder eher gesagt, als sie ihnen, wie eine Kuh dem Schlachter, vorgeführt wurde. Erhoben standen die beiden Verbrecher auf dem Treppenabsatz, waren sich ihrer Macht bewusst, und inspizierten die Mädchen. Wie sie später erfahren sollte, handelte es sich um ein Schauspiel, welches sich jede Woche wiederholte und den Sklavinnen ihren Platz in der Loge zeigen sollte. Cassandra sah sie an wie ein lästiges Insekt, mit dem sie meinte, umgehen zu können. Doch Viktors Blick ließ ihr ein Frösteln über den Rücken rieseln. Er war muskelbepackt wie die Bodybuilder im Fernsehen, die sich so präsentierten, dass ihr schlecht davon wurde. Aus seinem breiten Gesicht ragte eine krumme Nase heraus und er stierte ihren Körper gierig von oben bis unten an. Dabei leckte er sich genüsslich über die wulstigen Lippen. Madeleine konnte gerade noch verhindern, sich auf den verzierten Teppich zu übergeben. Sie hatte einmal von fiesen, kleinen Trollen gelesen, scheinbar stand sie einem direkt gegenüber.
Später erfuhr sie, dass Cassandra die Vorsteherin hier im Haus war und Viktor ihr in seiner Machtposition in nichts nachstand. Ab sofort hatte sie zu gehorchen und sich an die Regeln des Hauses zu halten. Diese hingen in der Eingangshalle aus. Die rote Tinte auf braunem Papier sprang einem schon ins Auge, sobald man die Treppe aus dem ersten Stock herunterstieg. Eine ständige Erinnerung für die Mädchen, die jeden Morgen daran vorbeimussten.
Das Demonstrieren ihrer Macht war ein abstruses Schauspiel, denn Cassandra und Viktor verhielten sich wie Könige und sie waren ihre Sklavinnen. Madeleine kam sich wie in einer Horrorshow vor. Doch hier handelte es sich nicht um einen Halloweenstreich, das hier war real. In dem Moment wurde ihr mit ganzem Schrecken bewusst, dass Marcel sie an eine Art Sekte ausgeliefert hatte: die Loge. Frauen wurden von deren Mitgliedern als Sexspielzeug benutzt und als Sklavinnen gehalten. War sie urplötzlich im Mittelalter gelandet? So etwas konnte es doch im aufgeklärten Deutschland nicht geben. Dennoch stand sie hier, und alles war so surreal, dass sie sich ein Kichern verkneifen musste.
Mit einem Ruck wurde Madeleine aus ihren Gedanken gerissen. Cassandra hatte sie auf den Boden geschubst und spazierte mit hochhackigen Schuhen an ihr vorbei. „Sieh zu, dass du die Schweinerei beseitigst, ich will nicht in eine der Scherben treten. Zu deinem Glück erwarte ich Besuch, ansonsten würdest du wirklich nach Nummer 15 in den Käfig kommen.“ Mit wiegenden Hüften wandte sie sich ab und zeigte auf eines von drei Mädchen, die an der steinernen Wand standen und mit gesenktem Kopf das Schauspiel verfolgten. „Du da, Nummer 12! Bring ein neues Tablett mit Gläsern und pass auf, dass diesmal nichts zerbricht. Eine weitere Tollpatschigkeit ertrage ich heute nicht mehr.“Die Angesprochene zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und stammelte ein „Ja, Herrin“. Ihre geisterhaften Züge wurden eine Spur bleicher und Madeleine bekam bei ihrem Anblick ein schlechtes Gewissen. Das Mädchen mit der Zahl 12 auf dem eisernen Plättchen ihres ledernen Halsbandes war kurz nach ihrer Ankunft in das Verlies gesteckt worden. Ein schrecklicher Raum, schalldicht isoliert und ohne jegliches Licht. So winzig, dass eine Person nur zusammengekauert Platz in ihm hatte. Ihre Bettnachbarin hatte Madeleine erzählt, dass die Strafen von Viktor aus reiner Willkür geschahen und er sich jede Sklavin für eine Bestrafung hätte aussuchen können. Seitdem war Nummer 12 nicht mehr dieselbe. Vier Tage lang hatte man sie in die Dunkelheit gesperrt, und Madeleine wollte sich nicht ausmalen, was Viktor ihr in der Zeit noch angetan hatte.
Sie massierte sich mit der Hand die brennende Kopfhaut. Ihr funkelnder Blick bohrte sich in Cassandras Rückseite.
„Ach, ehe ich es vergesse.“ Cassandra hatte den Gang zu ihren privaten Gemächern erreicht, drehte sich zu ihr um und sagte in schmeichelndem Ton: „Du wirst die Scherben mit den Händen aufheben. Es wird keine Hilfsmittel für dich geben. Pass auf, dass du deine makellose Haut nicht mit Blut besudelst.“ Mit einem fiesen Lachen, das in der Halle schauerlich widerhallte, verließ sie den Raum.
Cassandras Schadenfreude ließ die zwei Narben auf ihrem Rücken schmerzlich kribbeln. Ein Überbleibsel von Marcels sadistischer Ader. Er hatte sie mit der Peitsche so heftig geschlagen, dass sie lange Zeit bewusstlos gewesen war. Madeleine krallte ihre Finger in ihren kurzen Rock, eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Sie schüttelte den Kopf, denn darüber wollte sie nicht mehr nachdenken. Sobald die Vorsteherin in dem Gang verschwunden war, rannte das Mädchen Nummer 12 mit unbeholfenen Schritten in Richtung Küche. Sicherlich war sie nicht älter als siebzehn Jahre.
Die anderen drei Frauen folgten Cassandra schweigend in ihre Privaträume. An dem heutigen Tag waren sie alle zum Putzdienst eingeteilt. Bis auf Madeleine war die Eingangshalle verlassen. Wären da nicht die gefangene Sklavin im eisernen Gitterkäfig und ein lederbezogener Pranger gewesen, die sich an einer Seite der Halle befanden, hätte die Einrichtung aus einem Prinzessinnenfilm stammen können. Glitzernde Kronleuchter hingen an den hohen, bemalten Decken. Teure Vasen und indische Gottheiten aus Marmor standen umrahmt von grünen Palmen an den Wänden. Die Fenster wurden verdeckt von durchsichtigen Stoffen, die jedoch die Gitter dahinter nicht verbergen konnten.
Seufzend begab Madeleine sich auf dem Fliesenboden in eine bequemere Position und sammelte die Scherben mit den Händen auf. Dabei versank sie, wie unzählige Male zuvor, in ihren Fluchtgedanken. Es musste einen Weg aus dem Haus geben! Der Glaube daran gab ihr die Kraft, weiterzumachen. Denn eines war ihr in den vergangenen Tagen klar geworden: Von den anderen Mädchen konnte sie sich keine Hilfe erhoffen. Sie war ganz auf sich allein gestellt. Im Kopf war sie schon unzählige Male den Fluchtplan durchgegangen, und egal, wie riskant ihre Flucht auch verlaufen würde, nichts wäre schlimmer, als in diesem Gefängnis auf den sexuellen Missbrauch der Logenmitglieder zu warten.
Madeleine zuckte zusammen, ein scharfer Stich pulsierte in ihrem Zeigefinger. Sie sah den Blutstropfen auf dem Boden, und in diesem Moment wusste sie, dass sie es irgendwie schaffen würde, zu entkommen, koste es, was es wolle.
Falco saß auf dem Rücksitz eines schwarzen Geländewagens und fuhr auf das Anwesen seines zukünftigen Auftraggebers zu. Mit gesenktem Blick und vor der Brust verschränkten Armen sah er, dass es systematisch abgeriegelt war. Vor zwei Kilometern hatten sie einen hohen Zaun passiert, an dem Schilder mit der Aufschrift Privatgrundstück, betreten verboten angebracht waren. Das sollte wohl neugierige Menschen von Erkundungen abhalten. Die Villa war sicherer als ein Gefängnis, da durfte sich der Staat gerne eine Scheibe von abschneiden. An dem nächsten Tor erkannte er Alarmanlagen und Kameras. Davor standen Wachen, die jeden Ankömmling genauestens unter die Lupe nahmen. Ein sehniger Typ in Soldatenkluft redete mit dem Fahrer des Wagens. Sein durchdringender Blick blieb einen Moment länger auf Falco liegen als auf den anderen Männern. Ob er ahnte, dass er seine eigene Mission hatte? Der Wachmann brach den Blickkontakt zu ihm ab und sprach in sein Funkgerät.
„Öffnet das Tor. Code grüner Saphir.“ Er machte ein Handzeichen, das Eisentor glitt automatisch zur Seite und der Fahrer gab Gas.„Na, seid ihr gespannt auf die Schätze in diesem Haus?“ Der Kerl rechts von ihm hatte ein fieses Grinsen im Gesicht und rieb sich fahrig die Pranken.
Der kleinere Kerl auf dem Beifahrersitz fasste sich lasziv in den Schritt. „Klar. Ich wette, die Miezen haben noch nie einen Schwanz gesehen. Unerfahrene Kätzchen sollen es sein.“
Die zwei Männer grölten und beglückwünschten sich. Der Bär neben ihm stellte sich als Marvin vor, der vorn hieß Eliah.
„Der Job ist der Jackpot. Geile Bezahlung, und was Appetitliches bekommen wir auch zu sehen“, sagte Marvin.
Eliah nickte, sah Falco an und runzelte die Stirn. „Was ist mit dir? Bist du von der schweigsamen Sorte?“
Falco musste sich beherrschen, dem aufgeblasenen Hornochsen nicht in die Visage zu hauen. Er konnte Menschen nicht ausstehen, die die Schwäche von anderen ausnutzten. Vor allem diejenigen, die mit ihrem Ego und ihren Schwänzen dachten. Noch bevor er kontern konnte, kam ihm der bärtige Fahrer zuvor.„Ihr legt nicht einen Finger an die Mädchen. Sie sind Eigentum der Loge und ihr zu deren Schutz eingestellt. Gucken ist erlaubt, sollten euch allerdings die Hände ausrutschen, werdet ihr euch von ihnen verabschieden dürfen.“
Eliah fing schallend an zu lachen. „Wie heißt du noch mal? Derek, oder? Das meinst du doch nicht ernst?“
Quietschend kam der Wagen zum Stehen, und wären sie nicht angeschnallt gewesen, hätten sie einen Abflug durch die Windschutzscheibe gemacht. In der nächsten Sekunde hielt der Fahrer Eliah ein Messer an den Hals. Diesem quollen die Augäpfel aus den Höhlen, und er versuchte krampfhaft, an dem scharfen Eisen vorbei zu schlucken. Ein paar Blutstropfen rollten aus einem dünnen Schnitt seinen Hals hinunter, dicke Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, und in seinen Augen stand Panik.
„Ihr seid genau der undisziplinierte Haufen, mit dem ich gerechnet habe.“ Derek seufzte genervt und warf einen kurzen Blick zu Falco rüber. Diesem sprang sofort die lange Narbe ins Auge, die sich von der linken Augenbraue bis zu seinem breiten, behaarten Kinn zog.
„Bis auf den da vielleicht“, sprach der Vernarbte, zeigte mit dem Messer auf ihn und zuckte mit den Schultern. „Das wird sich aber noch zeigen. Hätten wir die Sicherheitsmaßnahmen im Haus nicht schnellstens verschärfen müssen, würden wir uns nicht mit solch einem Anfängerpack wie euch abgeben. Also brennt euch meine Warnung ins Gedächtnis ein. Wer Scheiße baut, kommt von hier nicht mehr lebend weg.“ Finster blickte er jedem Neuling ins Gesicht. „Jetzt, wo das geklärt ist: Aussteigen, wir sind da.“
Falco sah auf. Eine Villa ragte düster über ihnen auf. Die Zinnen glänzten gefährlich spitz im letzten Sonnenlicht des Tages, als wären sie jederzeit bereit, jemanden aufzuspießen. Die Fenster waren allesamt vergittert und an manchen Stellen war die bröckelnde Mauer ausgebessert worden. Er schätzte, dass dieses Gebäude seit dem Mittelalter hier stand. Die Kameras an den Hausecken gaben dem Ganzen jedoch einen Stil von Neuzeit. Er hatte das Gefühl, dass sich sämtliche Apparate auf ihn richteten. Wie gut, dass er ein Meister darin war, eine neutrale Miene aufzusetzen. Allein, wie er mit Furcht einflößendem Blick seine Subs vor Angst erstarren ließ, hätte ihm einen Oscar einbringen müssen.
Die Männer stiegen aus dem Wagen. Falco kam nicht umhin, zu beobachten, wie die beiden Grünschnäbel so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Narbengesicht brachten. Sehr wahrscheinlich war das ihr erster Job als Securitymann. Eliah strich sich über den Schnitt an seinem Hals und stierte Dereks Rücken in Grund und Boden. Um die Kerle machte er besser einen großen Bogen. Von ihm aus konnten sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen.
Derek hingegen schien viele Jahre Erfahrung als Sicherheitsmann auf dem Buckel zu haben. Falco dämmerte, dass der Plan, den er gemeinsam mit seinen Freunden ausgearbeitet hatte, nicht so einfach durchführbar sein würde wie gedacht. Die Loge hatte die Sicherheitsvorkehrungen nach dem Desaster mit Marcel Lammers verstärkt und hatte mehr auf dem Kasten, als sie bei der Planung ihrer Rettungsmission vermutet hatten. In diesem Haus hielt man Mädchen gefangen, die den Logenmitgliedern beim nächsten großen Zusammentreffen als Frischfleisch angeboten werden sollten.
Die vier Männer blieben vor der Eingangstür stehen. Derek zog eine weiße Plastikkarte aus der Jacke und schob sie in einen Schlitz neben dem Türgriff. Sofort ertönte ein Surren und die Tür öffnete sich mit einem Klicken.
„Jeder von euch erhält eine Schlüsselkarte. Die Haupttüren des Hauses können damit geöffnet werden. Ihr Grünschnäbel seit für die Sicherheit im Haus verantwortlich, und sollte es Probleme geben, hoffentlich die letzten, auf die wir zählen müssen. Glück für euch, dass es momentan so verflixt schwer ist, gutes Wachpersonal zu bekommen. Somit blieb uns nichts anderes übrig, als euch zu engagieren.“
Er gab ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen, und ging durch die Tür. Als Falco über die Türschwelle der Villa trat, stellten sich ihm augenblicklich die Nackenhaare auf. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Aus dem Augenwinkel sah er eine Frauengestalt hinter einem roten Vorhang verschwinden. Das Einzige, was er von ihr erkannte, waren lange schwarze Haare. Er hatte kein gutes Bauchgefühl bei ihrer Erscheinung, obwohl er sie nur flüchtig gesehen hatte.
Durch die vielen Kameras und wegen des aufgestockten Sicherheitspersonals war es für die Befreiungsaktion nötig, mit Samthandschuhen vorzugehen, etwas, das gar nicht seiner Natur entsprach. Er wäre lieber im Rambo-Stil hineingestürmt, hätte sich das gesuchte Mädchen geschnappt und ihnen den Weg nach draußen freigekämpft. Doch das kam nicht infrage. Allein, weil es der Loge möglich wäre, die Frauen als Geiseln zu nehmen. Nein, hier musste er mit Argusaugen auf jede seiner Bewegungen achten. Diese Umgebung würde in den nächsten Tagen zu seinem neuen Zuhause werden, und er hoffte, dass nichts passierte, was den Befreiungsversuch zum Scheitern bringen würde. Ansonsten hätte er ein Problem, und zwar ein gewaltiges.
Madeleine schlurfte in den Waschraum. Sie hatte schwer an den zwei Eimern voller Dreckwasser zu tragen, denn die Hexe hatte sie damit beauftragt, die ganze Halle zu schrubben. Wütend ließ sie die Bottiche fallen. Metall schepperte und trübes Wasser schwappte auf den rissigen Steinboden. Stöhnend richtete sie sich auf und bog ihren Rücken zurück, dabei strich sie sich den zu langen Pony aus der verschwitzen Stirn.
„Na, wen haben wir denn da? Das arme Aschenputtel muss wieder harte Arbeit verrichten.“
Madeleine schreckte zusammen und ihr Magen verklumpte vor Angst. Sie ahnte Schlimmes, und als sie sich umdrehte, wurde ihre Befürchtung bestätigt. Neben der Tür lehnte Viktor, ein Bein an der Wand abgestützt, die breiten Arme vor der Brust verschränkt. Jeder von ihnen war so dick wie einer ihrer Oberschenkel. Sein stechender Blick ließ sie nicht aus den Augen. Mit Grauen erkannte sie, dass er sie von Kopf bis Fuß musterte, dabei war sie sich nur zu bewusst, dass der Rock, den sie zu tragen gezwungen wurde, gerade mal ihre Pobacken bedeckte. Zu Hause hätte sie nicht einmal im Traum daran gedacht, etwas so extrem Kurzes anzuziehen, doch hier blieb ihr keine andere Möglichkeit, wenn sie nicht komplett nackt durch das Haus laufen wollte. Viktors durchdringender Blick hinderte sie daran, den Rock ein Stück runterzuziehen. Die Aufmerksamkeit, mit der Viktor sie bedachte, war ihr nicht geheuer. Einzig das Wissen, dass er sie nicht anfassen durfte, ließ sie nicht sofort in Panik verfallen. Das war eine dieser hirnrissigen Regeln, an die sich die Logenmitglieder zu halten hatten. Immerhin gab es wenigstens eine vernünftige Regel. Aber die galt nur so lange, bis das Treffen stattfand, von dem Viktor und Cassandra ständig redeten.
Wieder war Madeleine in ihre Tagträume versunken und bemerkte nicht, dass Viktor näher an sie herangetreten war. Er stand vor ihr, streckte den Arm aus und strich mit den Fingern über ihren Hals. Sie erstarrte. Die Berührung verursachte ihr eine Gänsehaut und ihr Herz fing an zu rasen. Er war ihr so nahe, dass ihre bebenden Brüste ihn bei jedem Ausatmen berührten. Sein übertrieben aufgetragenes Parfüm stieg ihr in die Nase, und sie musste sich davon abhalten, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen.
„Sklavin, wenn du mir ein wenig Zeit schenken und mir den Willen demonstrieren würdest, meinen Schwanz zu lutschen, wäre ich bereit, bei Cassandra ein gutes Wort für dich einzulegen. Deine zarten Hände sollten nicht mit Blasen besudelt sein.“ Seine Hand wanderte über ihr Schlüsselbein und stoppte an ihrem Ausschnitt.
Madeleines Brustkorb hob und senkte sich durch ihr viel zu schnelles Atmen. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. War sie nicht gerade noch davon überzeugt gewesen, vor den Männern sicher zu sein? „Ihr dürft uns nicht anfassen, das ist eine Eurer Regeln“, krächzte sie.
Sein Finger hakte sich in den Ausschnitt ihrer Bluse und zog sie mit einem Ruck an seinen muskelbepackten Körper. Bei dem Körperkontakt verkrampfte sie sich. Viktor war zwar nicht viel größer als sie, bestand im Gegensatz zur ihr aber nur aus Muskeln. Für ihn wäre es eine Kleinigkeit, ihr den Hals umzudrehen. Er legte eine Pranke auf ihren Hintern und drückte sie an seinen harten Schwanz. Madeleine war sich nicht sicher, ob sie vor Wut schreien oder vor Angst weinen sollte.
„Du wirst unter meinem Schutz stehen und mir dafür mit deinem Körper danken.“
Sein Atem an ihrem Ohr ließ ihr die Galle emporsteigen, und ihr Kopf fühlte sich seltsam leer gefegt an. Warum passierte ihr so etwas? Noch vor zwei Monaten hatten sich ihre Gedanken um die Firma ihrer Eltern und ihre rebellische Schwester gedreht, dann änderte sich von jetzt auf gleich alles.
Plötzlich spürte sie Viktors wulstige Lippen an ihrem Hals und biss die Zähne zusammen, um nicht zu würgen. „Lass mich sofort los, du Mistkerl!“ Sie versuchte, sich aus dem Griff freizukämpfen.
Sein Lachen schallte in dem Kellerraum wider. Er ließ sie zappeln wie einen Fisch im Netz. Seine nasse Zunge glitt zwischen ihre Brüste. Vor Abscheu sah sie schwarze Punkte vor ihren Augen tanzen, und in ihrer Verzweiflung krallte sie ihm die Fingernägel ins Gesicht.
Der Troll schrie auf, ließ sie abrupt los und fuhr sich mit der Hand über die blutigen Kratzer.„Du verdammte Hure. Hast du sie noch alle?“
Madeleine hatte nur einen Gedanken. Sie musste hier raus! Sie schlug einen Haken und hatte gerade den Kellergang erreicht, als sie zu Boden geworfen wurde. Der Aufprall auf den Steinen war hart und presste ihr die Luft aus den Lungen. Benommen sah sie auf und wünschte sich sofort, sie hätte es nicht getan. Viktor glich einem wütenden Stier, auf seinen Wangen leuchteten blutrote Striemen und sein Blick war hasserfüllt auf sie gerichtet. Sie schluckte hart. War das ihr Ende?
Er machte Anstalten, sich auf sie zu stürzen, als sie etwas Silbernes hinter ihm aufblitzen sah, und ihr kam eine Idee. Sie setzte sich auf. Das, was sie als Nächstes tun würde, widerstrebte ihr zutiefst.
„Mein Herr, es tut mir furchtbar leid. Bitte verzeiht mir meinen Ungehorsam.“ Sie kniete sich hin, beugte sich nach vorn, streckte die Arme vor sich auf dem Boden aus und legte den Kopf auf ihnen ab, wie sie es bei den anderen Mädchen beobachtet hatte. Sie ahnte, dass Viktor die Darbietung ihrer Unterwürfigkeit gefiel. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, und ihr Herz schlug in einem viel zu schnellen Takt. Sollte der Mistkerl nicht auf ihre Show hereinfallen, würde er über sie herfallen und keiner käme ihr zu Hilfe. In diesem Moment war sie ganz auf sich gestellt.
„Verdammtes Biest. Ich hoffe, du weißt, was mit unartigen Sklavinnen passiert?“ Seine Stimme hatte einen lüsternen Unterton angenommen, und nur mit Mühe schaffte sie es, ein Zittern zu unterdrücken.
„Ja, mein Herr. Bitte züchtigt mich.“ Sie konnte sein breites Grinsen förmlich vor sich sehen.
Madeleine spürte eine Bewegung und spannte ihren gesamten Körper an. Das Überraschungsmoment musste auf ihrer Seite sein. Als er ihren Rücken berührte, reagierte sie blitzschnell. Mit Händen und Füßen stieß sie sich vom Fußboden ab und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen ihn. Er gab ein Grunzen von sich und stolperte mit den Beinen gegen die vollen Wassereimer, die ihn aus dem Gleichgewicht brachten. Mit den Armen rudernd, fiel er wie ein gefällter Baum zu Boden. Die Eimer kratzten laut über den Steinboden, und das Wasser durchtränkte ihn von Kopf bis Fuß. Bevor es ihm möglich war, sich von dem Schreck zu erholen, sprang sie auf und rannte zur Tür hinaus.
Viktors Brüllen hinter ihr ließ ihr Innerstes erstarren, und sie hörte, wie er sich aufrichtete. Hastig lief sie den tunnelartigen Kellergang entlang und stürmte in Windeseile die hölzerne Kellertreppe hinauf. Auf dem Treppenabsatz angekommen, riss sie die Tür auf, strauchelte in die Eingangshalle und prallte gegen etwas Hartes.
Der Schmerz ließ sie aufkeuchen. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sie zurückgestoßen und fiel über ihre eigenen Füße. Ehe sie jedoch schmerzhaft Bekanntschaft mit dem Fußboden machen konnte, fingen zwei starke Arme sie auf. Die Hände hielten sie sanft und stellten sie zurück auf die Füße. Vor ihr stand ein Mann mit rasiertem Schädel, schwarzen Ohrringen und einem silbernen Piercing in der rechten Augenbraue. Sein T-Shirt und die Jeans schmeichelten dem muskulösen Körper, aber im Gegensatz zu Viktor sahen seine Muskeln nicht unnatürlich aufgepumpt aus.
Madeleine war ihm so nah, dass sie seinen Duft tief einatmen konnte. Ein betörender Geruch nach Wald und Regen, der ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Sie kniff sich in den Arm. Autsch! Das war nötig gewesen, um sie wieder zu Verstand zu bringen. Für diese Art von Muskelprotzen hatte sie sich nie interessiert, doch der Blick aus seinen braunen Augen ließ ein warmes Prickeln über ihren Rücken rieseln. Bei genauem Hinsehen erkannte sie einen Strudel aus Brauntönen in seiner Iris. So ähnlich wie Kaffee, den man in aller Ruhe umrührte, um mit dem Schaum, der sich auf ihm befindet, zu spielen und ihn genüsslich vom Löffel zu lecken.
Stopp! Was war nur los mit ihr? Dachte sie gerade daran, den fremden Kerl abzulecken? Bestimmt war es dem Schreck mit Viktor zuzurechnen, dass sie nicht klar denken konnte, und lag nicht an der Aura des Gorillas vor ihr.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, runzelte er die Stirn. Madeleine wurde bewusst, dass sie immer noch viel zu nah vor ihm stand und seine Hände eine wohlige Wärme in ihre Haut sickern ließen. Schnell trat sie ein paar Schritte zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein waren. In zwei Metern Abstand befanden sich drei weitere Männer. Ein Älterer mit einer fiesen Narbe im Gesicht, den sie ab und zu schon im Haus gesehen hatte, ein bulliger Typ und ein Mann mit einem blutenden Striemen am Hals.
Die Aufmerksamkeit der Kerle war ihr unangenehm. In ihnen lag kein sanfter Schimmer, wie bei dem Gorilla neben ihr. Die Blicke der beiden Jüngeren wanderten zwischen ihr und dem Mädchen im Käfig hin und her, als könnten sie sich nicht entscheiden, wen sie mehr begaffen sollten: die Frau in der knappen Uniform oder das nackte Mädchen in dem Käfig.
Plötzlich polterte es und vor Schreck sprang sie in die Luft. Viktor stürmte in die Eingangshalle. Er war von oben bis unten durchnässt, und dort, wo er stand, bildete sich eine Pfütze auf dem gesäuberten Fliesenboden. Sein grimmiger Blick richtete sich auf sie. „Du…!“
Er rauschte geradewegs auf sie zu. Mit einem Schritt brachte sie sich hinter dem Kurzgeschorenen in Sicherheit. Eine Geste, die ihr selbstverständlich erschien, wie sie überrascht feststellte. Das Herz pochte ihr lautstark in den Ohren, und sie versuchte, ein Zittern zu unterdrücken. Bevor Viktor sie erreichen konnte, stellte sich ihm ihr Schutzschild breitbeinig in den Weg.
„Verschwinde“, herrschte Viktor ihn an. „Ich habe ein Hühnchen mit der Schlampe zu rupfen.“ Dabei wedelte er mit den Armen und ein paar Wassertropfen wirbelten durch die Luft.
Der Gepiercte überragte ihn um zwei Kopflängen und starrte ihn schweigend an.
Viktor knurrte bedrohlich. „Hast du nicht gehört? Geh mir aus dem Weg oder du wirst es bereuen! Sofort!“ Er ließ die Fingerknöchel knacken und Madeleine drehte sich bei dem Geräusch der Magen um. Vorsichtig lugte sie zu Viktor hinüber, dessen Kopf mittlerweile die Farbe einer dunkelroten Tomate angenommen hatte. Der fremde Kerl war momentan der Einzige, der sie vor Viktors Wut schützte, und sie griff ängstlich nach dem Zipfel seines T-Shirts.
Falls der Kurzgeschorene ihre Berührung spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, was du meinst. Wäre es vielleicht sinnvoller, ohne Anziehsachen zu duschen? Nur so als Tipp von mir.“
Madeleine zog zischend die Luft ein. Was für ein Hornochse! Warum provozierte er Viktor noch zusätzlich? Sah er nicht, dass dieser schon auf hundertachtzig war?
„Was sagst du da?“ Viktor hob die Fäuste. Es war klar zu erkennen, was er als Nächstes vorhatte.
Ihr Beschützer ließ ein spöttisches Lachen hören. „Na los, schlag zu, wenn du dich traust.“
Gequält stöhnte sie auf. Am liebsten hätte sie den Kopf in den Händen vergraben. Jetzt war es eindeutig, der Kerl vor ihr hatte den Verstand verloren.
„Du hast es so gewollt“, rief Viktor und schlug zu.
Madeleine kreischte auf und kniff die Augen zu. Dabei ließ sie sein Shirt los und wich zurück. Sie spürte, wie der Kerl vor ihr sich anspannte, aber als sie keinen Aufschlag hörte, öffnete sie die Augen.Ihr Wächter hatte Viktors Faust mit der rechten Hand abgefangen und bog ihm den Arm auf den Rücken. Entweder war Viktor zu überrascht, um zu reagieren, oder hinter seinem Geprotze, einmal Boxer gewesen zu sein, steckte nur heiße Luft.
Der Kurzgeschorene zog den Arm nach oben. Viktor fing an zu jammern und versuchte, sich zu befreien. Doch gegen den Griff ihres Beschützers hatte er nicht die geringste Chance. Es sah so aus, als würde er das jeden Tag machen.
„Lass mich los, du verdammter Hurensohn“, keuchte Viktor.
„Wie bitte? Gerade hast du noch so große Töne gespuckt. Vielleicht sollte ich dir den Arm brechen, damit du keinen Unsinn mehr anstellen kannst.“
Madeleine bekam eine Gänsehaut. Der Ton des Mannes klang herablassend. Er meinte es genau so, wie er es sagte.
„Wag es und ich mach dich kalt. Hörst du?“ Viktors Stimme hatte eine höhere Tonlage angenommen und in seinem Blick konnte sie Panik schimmern sehen.
„Was ist hier los?“ Mit wiegenden Hüften kam Cassandra um die Ecke gebogen. Im Schlepptau hatte sie vier der Mädchen, die ihr ergeben folgten wie ein Hündchen seinem Herrn.
Madeleine verzog angewidert das Gesicht.
Die Schlange stellte sich vor die Männer und stemmte die Arme in die Seiten. „Schluss jetzt, lassen Sie ihn los“, sagte sie in bestimmendem Tonfall. Cassandra wusste, wie sie Befehle zu geben hatte. Als der Mann keine Anstalten machte zu reagieren, kniff Cassandra die Augen zusammen. Sie sah es gar nicht gern, wenn man ihr nicht sofort gehorchte. „Jetzt! Ich habe nicht die Zeit, mich mit euren Machospielchen auseinanderzusetzen.“
Der Mann grinste spöttisch und stieß den Verlierer von sich. Viktor stolperte ein paar Schritte vorwärts, richtete sich auf und rieb seinen verletzten Arm. Der mörderische Blick, den er ihrem Retter zuwarf, jagte Madeleine einen Schauer über den Rücken.
Falco war sich nicht sicher, was er von der orientalischen Barbiepuppe halten sollte. Sie hatte eine Figur wie die Frauen in einem Männermagazin. Ihrem Outfit nach zu schließen, wusste sie sich perfekt in Szene zu setzen. Doch ihn konnte sie mit ihrem Aussehen nicht täuschen. Alles an ihr strahlte eine unzufriedene Aura aus. Sie machte den Eindruck einer Frau, die nicht einsehen wollte, dass sie nicht mehr die Jüngste war, und um solche Frauen versuchte er immer, einen großen Bogen zu machen. Meistens hatten sie es nur auf das Geld von Männern abgesehen, Hingebung oder Liebe war für sie Fremdwörter. In Sachen Kleidung gestand er ihr jedoch einen guten Geschmack zu. Ihr Stil besaß einen orientalischen Hauch, dazu kamen ihre langen schwarzen Haare und ein würziges Parfüm. Diese Frau wusste, wie sie die Männer um den kleinen Finger wickeln konnte. Jemanden wie sie an einem derartigen Ort anzutreffen, war verstörend. Um Vorsteherin der Loge zu sein, war ein schlechter Charakter vonnöten, denn ihr musste klar sein, was mit den Mädchen geschehen würde.
Den anderen Typen fielen bei ihrem Anblick beinahe die Augen aus dem Kopf. Somit schien er der Einzige mit einer negativen Meinung über sie zu sein.
Sein Blick wanderte zu den Frauen hinter ihr. Ihre Gesichter waren auf den Boden gerichtet. Wie emotionslose Roboter, kam es ihm in den Sinn, oder wie Sklavinnen ohne eigenen Willen. Er selbst konnte damit nichts anfangen. Er liebte Subs, die ihm auf Augenhöhe begegneten, sich gegen seine Dominanz wehrten, um sich am Ende doch bittersüß in seine Arme fallen zu lassen.
Die Vorsteherin drehte sich zu Viktor um. „Was in drei Teufels Namen hast du jetzt wieder getan? Du stinkst wie ein Ochse.“
Bevor der Muskelprotz etwas erwidern konnte, hatte die Furie Madeleine entdeckt. Mit zu Schlitzen verengten Augen trat sie auf diese zu, packte sie am Oberarm und zog sie hinter sich her. Das Mädchen zappelte in ihrem Griff. Er sah, wie sie verbissen die Lippen zusammenkniff, und ballte die Fäuste.
Solange er nicht wusste, was hier vor sich ging, war es nicht ratsam, einzugreifen. Das hieß aber nicht, dass es ihm leichtfiel, nur zuzusehen. Falcos Hände kribbelten immer noch von ihrer Berührung. Dass es sich bei der jungen Frau, die urplötzlich gegen ihn gerannt war, um Madeleine Marten handelte, war ihm sofort klar gewesen, denn während der Vorbereitung auf die Mission hatte er sich Fotos von ihr angesehen und sich ihr Gesicht eingeprägt. Sie hatte zwar an Gewicht verloren und ihre Haut war blasser als auf den Erpresserfotos von vor einem Monat, die blonden Haare, die sich an den Spitzen kräuselten, und die hellgrünen Augen waren jedoch unverkennbar. Und nun stand er plötzlich vor ihr und hatte die Aufgabe, sie zu befreien.
Madeleine riss sich aus Cassandras Griff los und stolperte einen Schritt rückwärts. Kurz sah er Furcht in ihren grünen Augen aufblitzen, doch dann stellte sie sich kerzengerade hin und zeigte mit ausgestrecktem Arm anklagend auf den Schläger. „Viktor hat mich angefasst“, sprach sie mit fester Stimme.
Bei ihren Worten spannte sich alles in ihm an. Am liebsten hätte er sich auf Viktor gestürzt, um ihm seine krumme Nase ein weiteres Mal zu brechen. Er wünschte sich, er könnte Madeleine packen und mit ihr fortlaufen. Oder sie in eine Kammer sperren und erst wieder herauslassen, wenn er alle Beteiligten der Loge ausgeschaltet hatte. Danach würde sie vor ihm auf die Knie sinken und dankbar zu ihm aufschauen. Mit dem Finger würde sie sich über die volle Unterlippe fahren und ihn dann langsam am Hals hinunter zwischen ihre Brüste wandern lassen.
Falco schüttelte den Kopf. Was waren das für Fantasien? Es gab Wichtigeres, worüber er nachdenken musste. Mit einem schiefen Blick sah er Madeleine genauer an, deren Brustkorb sich vor Aufregung heftig hob und senkte. Ihre Augen blitzten und die Haare glichen einem Vogelnest. Trotz ihres kleinen Körpers strahlte sie Selbstbewusstsein aus.
Falco gestand sich ein, dass sie ihn reizte. Bei dem Gedanken, das Blitze schießende Kätzchen zu zähmen, kam sein Blut in Wallung. Er bevorzugte zwar Frauen, die man anfassen konnte, ohne Angst zu haben, sie zu zerbrechen, doch sie erlebte grausame Dinge an diesem Ort, und sobald er sie befreit hätte, würde sie wieder an Gewicht zunehmen und sich erholen. Jedoch war die Hoffnung, dass sie sich sofort auf ihn einließ, sehr gering, denn sie würde ihre schrecklichen Erlebnisse erst mal verarbeiten müssen. Er durfte sich ihr nicht mit seinen Sehnsüchten aufdrängen.
„Wie kannst du es wagen, den Mund aufzumachen, du Schlampe! Es hat dir niemand erlaubt, zu reden“, schrie Viktor.
„Er wollte, dass ich ihm einen blase und Sex mit ihm habe. Das ist gegen die Regeln!“ Madeleine schien es zu genießen, Viktor vor der versammelten Mannschaft bloßzustellen. Falco wusste, das war ein Fehler. Ein in die Ecke gedrängtes Raubtier sollte man nicht zusätzlich reizen.
Mit wütendem Blick ging Viktor auf Madeleine zu.
Wie ferngesteuert stellte Falco sich dazwischen und schaute sein Gegenüber abschätzend an. „Ich denke, du hast für heute genug angerichtet. Oder bist du scharf auf eine weitere Abreibung?“
Dem Mistkerl sah man an, dass er ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. „Pass ja auf. Wenn du weiterhin in gesundem Zustand hier arbeiten willst, solltest du dir überlegen, auf welcher Seite du stehst“, knurrte Viktor und warf einen Blick auf Madeleine. „Und mit der da würde ich aufpassen. An der verbrennt man sich schnell die Finger.“
Falco grinste schief. „Ich denke, dass du mich nicht mit dir in einen Topf werfen kannst.“
„Das werden wir ja sehen.“ Damit nickte er Cassandra zu, durchquerte die Halle und bog in einen anderen Korridor ein.
Cassandra klatschte in die Hände. „Okay, die Show ist vorbei. Derek, nimm die Jungs mit und zeig ihnen ihre Unterkunft. Ab morgen habt ihr hier zu arbeiten.“ Dabei schaute sie Falco länger an als nötig. „Und zwar ohne irgendwelche Ablenkungen.“
Falco lächelte spöttisch, deutete eine Verbeugung an und ging hinter den drei Männern aus der Eingangshalle hinaus. Als er noch mal zurückblickte, sah er, dass Madeleine ihm hinterherstarrte. Es widerstrebte ihm, sie dort zurückzulassen.
Das war alles andere als ein gelungener Start in den neuen Job. Madeleine schien ein Dorn im Auge der Aufseherin zu sein, und mit Viktor hatten sie es sich beide verscherzt. Vielleicht hatte er eine Chance bei Cassandra. Er war nicht blind und hatte ihre sehnsüchtigen Blicke die ganze Zeit über auf seinem Körper gespürt. Ihm behagte die Idee, sich an die Vorsteherin ranzumachen, zwar nicht, aber auch er hatte ein paar Tricks auf Lager.
Müde strich er sich über das Gesicht. Die Mitglieder der Loge waren allesamt kaltherzige Mistkerle, und um sich ihnen anzupassen, musste er die Rolle eines frauenhassenden Arschlochs spielen. Er hoffte, Madeleine würde ihm das eines Tages verzeihen.
Madeleine sank erschöpft auf ihr Bett. Ihr Gefühlschaos hatte sich den Tag über nicht beruhigt. Noch immer fühlte sie Viktors Berührung, und sie ließ die vergangenen Stunden vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sie ihm im Keller nicht entkommen wäre. Und dann war da noch der Neue mit dem Namen Falco. Ein Riese mit kurz geschorenen Haaren, wie ein Soldat. Als er Viktor Kontra gegeben hatte, sah es so aus, als wüsste er, was er tat. Sein Gesicht war ausdruckslos gewesen. Die kaffeebraunen Augen hatten eine solche Hitze ausgestrahlt, dass es ihr für kurze Zeit den Atem verschlagen hatte. Auch jetzt rieselte noch ein leichtes Prickeln über ihren Rücken und zwischen ihren Beinen pulsierte es.
Überrascht holte sie tief Luft. Wie konnte sie an diesem grauenhaften Ort Lust empfinden? Falco war nicht anders als die Männer der Loge. Bereit, sie zu unterjochen, zu versklaven, bis sie kaum noch einen eigenen Willen besaß und wie eine Marionette nach deren Pfeife tanzte. Nein, das würde ihm mit ihr nicht gelingen. Vor keinem Mann ginge sie freiwillig auf die Knie, das hatte sie sich geschworen. Sie musste versuchen, ihm genauso auszuweichen wie Viktor.
Das Herz klopfte ihr in der Brust. Sie ballte ihre Hände und starrte sie an. Wenn nur ein Wunder geschehen und sie aus der schrecklichen Lage befreien würde. Vor ihrem inneren Auge erschien Viktor. Er war ohne Mitgefühl, und seine Rache war ihr sicher. Die Bestrafung käme einem real gewordenen Albtraum gleich. Madeleine stach sich mit den Fingernägeln in die Handballen und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Bevor es die anderen vier Mädchen merken konnten, hatte sie sich in ihrem Kissen vergraben und die Decke über den Kopf gezogen. Stumme Tränen der Wut und Verzweiflung rollten über ihre Wangen. Sie wollte weit weg von diesem fürchterlichen Ort und den perversen Männern der Loge sein.
Grauenhaft sah sie aus. Mit den Augenringen vermochte sie jedem Zombie Konkurrenz zu machen. Einzig und allein die Angst davor, bestraft zu werden, hatte sie aus dem Bett aufstehen lassen. Die Nacht war durchdrungen von schattenhaften Albträumen gewesen, die sie immerfort aus dem Schlaf gerissen hatten.
Seufzend griff sie eine der Bürsten und kämmte sich das dichte Haar. Als sie aus dem Badezimmer kam, machten sich ihre Zimmergenossinen gerade schweigend auf den Weg zum Frühstück. Mit zu Boden gesenktem Blick, still, in sich gekehrt und teilnahmslos hatten sie sich in ihr Schicksal gefügt.
Madeleine presste die Lippen zusammen und schwor sich ein weiteres Mal, niemals so zu enden. Müde, aber entschlossen, folgte sie den Mädchen in die Gemeinschaftsküche.
Falco gähnte herzhaft. In der Nacht hatte er kaum ein Auge zugemacht. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um Madeleine. An dem lauten Schnarchen, das er durch die dünnen Wände hören konnte, erkannte er, dass er vor Dick und Doof, so nannte er Eliah und Marvin innerlich, aufgestanden war. Ihre Schicht als Wachmänner war zwar erst gegen Mittag geplant, es hatte ihn jedoch nichts mehr in der Wohnung gehalten.
Als Derek sie tags zuvor in die Einzimmerwohnungen gebracht hatte, war Falco erleichtert gewesen, denn mit den anderen Männern wollte er so wenig wie möglich zu tun haben. Die Wohngebäude des Sicherheitspersonals befanden sich abseits der Villa. Seiner Schätzung nach lag etwa ein Kilometer zwischen den Gebäuden.
Den Weg zum Hauptgebäude nutzte er zum Joggen. Ein Ritual, welches er hoffentlich beibehalten konnte, denn dabei konnte er das Anwesen und das dazugehörige Gebiet erkunden, ohne dass es auffiel. An drei Seiten war das Haus von einem Waldgebiet umgeben. Hinter diesem entdeckte er einen verwilderter Garten, der dringend einen Menschen mit grünem Daumen benötigte. An der Rückseite hing direkt unter dem Dach ein langer Balkon mit einem verzierten Geländer. Vom Tor zum Haus führte ein geschwungener Kiesweg, neben diesem befand sich auch eine überdachte Garage. Die Wohngebäude des Personals sowie die Sicherheitszentrale waren vom Anwesen aus nicht zu sehen. Der Sicherheitszaun, der das gesamte Gebiet umgab, lag zwar so weit im Waldgebiet, dass er von der Villa aus nicht sichtbar war, ein Entkommen war trotzdem ausgeschlossen. Blieb die Flucht mit einem der Autos, aber dann mussten sie am bewachten Tor vorbei.
Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, in dem Haus liege ein versteckter Schatz. Dieser Christoph Dunker, dem das Grundstück gehörte, war dem Hörensagen nach ein ranghohes Mitglied der Loge und wollte sich mit allen Mitteln gegen Ein- oder Ausbrüche absichern. Wie viel er trotzdem an einem Tag über die Sicherheitsmaßnahmen erfahren hatte, war für ein solch penibel bewachtes Haus seltsam. Alle, die sagten, nur Frauen redeten viel, waren definitiv im Irrtum. Männer konnten das genauso gut.
Falco kehrte nach der dritten Joggingrunde zum Tor zurück, als er von hinten angesprochen wurde.
„Mein Eindruck war also doch richtig. Immerhin weiß einer von euch Neuen, was Pflichtbewusstsein bedeutet.“ Derek stand auf dem Kiesweg und hatte eine Kippe im Mundwinkel. Jetzt nahm er sie aus dem Mund, blies den Rauch in die Luft und drückte die Zigarette auf dem Boden aus. „Eine elende Angewohnheit, ich weiß, aber schließlich hat jeder von uns sein Laster, nicht wahr?“ Er stellte sich neben ihn und sah zum Anwesen hinüber.