Die dunkle Loge: Gläserne Mauern - Mina Miller - E-Book

Die dunkle Loge: Gläserne Mauern E-Book

Mina Miller

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Beschreibung

Evelin ist gerade ihrer persönlichen Hölle entkommen. Von Folterung, Misshandlung und dem Verlust ihrer Schwester gepeinigt, begegnet sie ausgerechnet in dem Moment, als sie sich das Leben nehmen will, dem attraktiven Millionär Adrian Lorain - und dieser hat andere Pläne mit ihr. Der dominante Master Adrian ist fasziniert von Evelin und auch sie spürt eine starke Anziehungskraft zu ihm. Aber ihre Zerrissenheit und Angst machen es ihr schwer, wieder Vertrauen zu fassen und sich devot fallen zu lassen. Adrian gelingt es, trotz ihres Misstrauens hinter Evelins Fassade zu blicken und ihre süße Unterwerfung hervorzulocken. Doch während ihre Gefühle im Chaos versinken, hat der Schatten der Vergangenheit sie bereits wieder eingeholt … Ein romantischer BDSM-Roman.

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Mina Miller

DIE DUNKLE LOGE: GLÄSERNE MAUERN

© 2018 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Mia Schulte

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-336-1

ISBN eBook: 978-3-86495-337-8

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Autorin

Kapitel 1

Der Wind zerrte wild an ihrem Haar, als wollte er sie von ihrem Vorhaben abbringen. Er fuhr zischend um sie herum und wirbelte ihr sommerliches Kleid gnadenlos um ihre nackten Beine.  

Mit zitternder Hand schob sie sich das Haar aus dem Gesicht. Die Arme um sich geschlungen, stand sie vor dem Abgrund aus facettenreicher Dunkelheit und verschwommenen Gestalten. Beschienen von den wenigen Straßenlaternen weit unter ihr, fuhren um diese Uhrzeit nur noch wenige Autos. Sie konnte auf die Dächer der anderen Häuser hinuntersehen und die Höhe verwandelte ihren Magen in einen eisigen Klumpen. Die Kälte betäubte den Schmerz, der ihren Körper fest in seinen Krallen hielt. Sie schluckte mühsam, denn ihr Hals fühlte sich trocken und wund an. Es gab keinen anderen Ausweg für sie. Er würde sie überall finden und grausame Dinge mit ihr anstellen. Evelin Marten nahm einen tiefen Atemzug, drückte die Schultern zurück und krallte die geschundenen Hände in ihr flatterndes Kleid. Langsam schloss sie die Augen. Die Tränen flossen unaufhaltsam über ihre Wangen und ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

Sie war überrascht, hatte sie die kleinen Verräter doch vorsorglich in sich verschlossen. Diese Genugtuung, vor ihm zu weinen, hatte sie ihm nicht geben wollen, egal, welchen körperlichen und seelischen Schmerz er ihr zugefügt hatte.

Schluss mit diesen Gedanken! Sie wollte endgültig mit dem Leben abschließen. Nichts mehr fühlen, sehen, einfach nur vergessen. Sie ging einen großen Schritt vorwärts und hörte, wie kleine Steine über die Kante rollten und in der Tiefe verschwanden. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie war so hoch oben, dass sie den Gehweg unter sich nur schemenhaft sehen konnte.

Entschlossen fasste sie nach dem kleinen Herzanhänger an ihrem Hals, der an einer zierlichen goldenen Kette hing. Fest umschloss sie ihn mit ihrer Hand und dachte an die vergangenen schönen Momente, die sie mit dem Schmuckstück verband. Es gab kein Zurück mehr.

Sie würde endlich frei sein!

Und er konnte ihr nichts mehr anhaben.

Nie mehr!

Sie schaute zu dem sternenklaren Himmel hinauf. Der nächste Schritt würde ihr Letzter sein. Mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen breitete sie die Arme aus.

„Tu das nicht!“

Erschrocken schrie sie auf und tänzelte auf der Kante des Daches, um ihr Gleichgewicht zu halten. Als sie sicher war, dass ihre Beine nicht unter ihr wegknicken würden, stieß sie hart den Atem aus und drehte sich langsam um. Keine vier Schritte von ihr entfernt stand ein schlanker und hochgewachsener Mann.

„Nichts auf der Welt kann es wert sein, dass du dein Leben beenden willst!“

Der Bariton seiner Stimme war warm und verlockend.

Evelin schüttelte den Kopf und ihre blonden Locken kitzelten sie im Gesicht. Mit ärgerlicher Miene und einer nicht damenhaften Antwort auf den Lippen hob sie den Kopf und schaute in blaugraue Augen, in denen ein gewaltiger Sturm zu brodeln schien. Schwarze Haarsträhnen fielen in ein markantes Gesicht. Sie merkte erst, dass sie den Atem angehalten hatte, als der Fremde sich ihr weiter näherte. Unsicher trat sie einen Schritt zurück und fühlte plötzlich Leere unter sich.

Kaltes Entsetzen packte sie, als sie mit einem Keuchen vom Dach stürzte. Wie in Zeitlupe sah sie den Fremden mit schnellen Schritten auf sich zu hechten. Sein Gesicht war eine Maske aus Unverständnis und Wut. In letzter Sekunde bekam sie den Vorsprung des Daches zu fassen, und ein Ruck ließ ihren gesamten Körper erzittern, sodass ihre Zähne klappernd aufeinanderschlugen. Ein Ziehen in ihrem Arm ließ sie schmerzerfüllt aufschreien. Es fühlte sich an, als würde er ihr aus der Schulter gerissen. Durch den Aufprall an der Hauswand schabte sie sich die Haut auf, ihr ganzer Körper war ein brennendes Inferno. Tränen strömten über ihre Wangen. Der Fremde tauchte über ihr auf und fasste nach ihrem Arm. Sie hörte ihn vor Anstrengung keuchen, doch er hielt ihren Arm weiter fest umklammert. Feine Schweißperlen fanden ihren Weg über sein hübsches Gesicht. Warum konnte sie in einer solchen Situation nur daran denken, wie gutaussehend er war? Er war ein Mann und seine Ausstrahlung glich der von Marcel!

Auf einmal waren die Erinnerungen wieder da. Die Peitsche surrte durch die Luft und traf auf heißes, nachgiebiges Fleisch. Mit lautem Kreischen fing Evelin an, sich in dem Griff des Mannes zu winden und zu zappeln wie ein Fisch im Netz des Anglers.

Ein unterdrückter Fluch kam von den zusammengepressten Lippen des Fremden. Im nächsten Moment wurde sie hochgezogen und landete an seiner Brust. Ihr Körper wollte ihr nicht mehr gehorchen, ihre Arme und Beine fühlten sich an, als wären sie mit Blei überzogen. Sie konnte sich nicht bewegen, war wie versteinert. Der Mann bewegte seine Lippen, aber sie konnte seine Worte nicht hören, spürte nur die starken Muskeln unter seinem Jackett und seine Arme, die sie wie ein Gefängnis umschlangen.

Nein, nie wieder! Panisch versuchte Evelin, Luft in ihre Lungen zu pumpen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt und langsam wurde alles schwarz um sie herum. Sie nahm noch wahr, wie ihr Gegenüber fluchte und sie vorsichtig auf seine Arme hob. Dann endlich fiel sie in das lang ersehnte Vergessen.

***

Sie war so leicht wie eine Feder. Besorgt betrachtete Adrian die zierliche Gestalt in seinen Armen. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, die feinen Gesichtszüge waren entspannt und die Lippen etwas geöffnet. Fasziniert starrte er sie an.

Eine Locke ihres blonden Haares hatte sich in ihr Gesicht verirrt. Vorsichtig strich er sie fort und konnte dabei nicht widerstehen, mit den Fingerspitzen über ihre Wange zu streicheln.

Die junge Frau war ihm sofort ins Auge gesprungen als sie wie ein verschrecktes Tier durch die Lobby des Museums geschlichen war. Der neue Flügel des Museums wurde an diesem Abend eingeweiht und natürlich waren die bereitwilligen Spender zahlreich vertreten. Auch er hatte die Ausstellung mitfinanziert. Vorsichtig und leise hatte sie sich an den vielen Besuchern vorbeibewegt, ohne von ihnen beachtet zu werden. Ihr schulterlanges, gelocktes Haar hielt ihr Gesicht verborgen. Und doch war etwas Besonderes an ihr, das ihn fesselte und ihn seinen Blick nicht abwenden ließ, bis die Frau in einem Treppeneingang verschwunden war.

Adrian folgte der jungen Frau wie von einem unsichtbaren Faden gezogen und bewegte sich selbstbewusst durch die vielen prominenten Besucher der abendlichen Wohltätigkeitsveranstaltung. Er war sich der sehnsuchtsvollen Blicke der Frauen und manch eines grimmig schauenden Mannes sehr wohl bewusst, denn mehr als einmal hatte er verheiratete Frauen mit seinem Charme um den kleinen Finger gewickelt. Als angesehener Junggeselle mit dem Namen Adrian Lorain war er für viele eine prall gefüllte Geldquelle, die sie für sich zu öffnen versuchten. Schon früh hatte Adrian gelernt, sich dem Großteil dieser Geier gegenüber taub zu stellen.

Schnell öffnete er die Treppenhaustür und blickte gezielt nach oben und unten. Er horchte, konnte ihre Schritte aber nicht hören. Wo war sie hingegangen? Das Museum umfasste fünf Stockwerke und er befand sich auf der ersten Etage. Adrian liebte dieses Museum. Schon als kleiner Junge war er staunend durch die geheimnisvollen Gänge gestreift und hatte sich an den vielen Vitrinen mit ihren beeindruckenden Schätzen die Nase platt gedrückt. Am meisten hatten ihn die uralten Gemälde interessiert. Besonders die von starken Frauen, wie die der Gottesmutter Maria, Jeanne d’Arc oder Kleopatra. Die Anmut und der Stolz dieser Frauen in ihren schwierigen Lebenssituationen hatten ihn schon immer beeindruckt. Ein wehmütiges Lächeln huschte über seine Lippen. Das war zu einer Zeit gewesen, in der die Welt noch in Ordnung schien. Adrian schüttelte traurig den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für trübsinnige Gedanken. Er musste die junge Frau finden, denn er hatte ein bedrückendes Gefühl in der Magengegend, und das konnte nichts Gutes bedeuten. Ein lautes Knarren drang durch das menschenleere Treppenhaus. Adrian wusste sofort, dass es die Tür zum Dach war, die geöffnet wurde.

Schnell stieg er die Stufen hinauf. Die Treppen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Obwohl nur noch zwei Etagen zu erklimmen waren, kam es ihm wie das Treppenhaus eines Hochhauses vor.

Außer Atem und völlig verschwitzt erreichte er endlich die letzte Stufe. Nach dieser Geschichte würde er sein Fitnessprogramm, das er in vorheriger Zeit vernachlässigt hatte, auf jeden Fall wieder in Angriff nehmen. Nicht auszudenken, was seine drei Kameraden sagen würden, könnten sie ihn nun wie einen Hund um Luft hecheln sehen. Der Spott würde sich in ihren Augen widerspiegeln und sie würden ihn sein Eingerostetsein ein Leben lang nicht vergessen lassen.

Auf dem letzten Treppenabsatz angekommen sah er, dass die Tür zum Dach sperrangelweit offen stand. Mit schnellen Schritten ging er hindurch.

 Eine Windböe traf ihn hart und ließ ihn fröstelnd innehalten.

Dann sah er sie. Sie befand sich am Rand des Daches.

Viel zu nah.

Sie bewegte sich.

Nein!

Zügig ging er auf sie zu und bellte einen Befehl.

„Tu das nicht!“

Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. Adrian sah in grüne Augen, in denen es erst ängstlich, dann ärgerlich blitzte. Und noch etwas meinte er zu erkennen. Eine Mischung aus Verzweiflung und Widerwillen.

Sein Atem stockte. Diese Szene erinnerte ihn an eines der Gemälde im Museum, auf dem eine Amazone, geschlagen und umringt von Feinden, zu sehen war. Auf dem Bild peitschte der Wind Regen und Schlamm auf, doch der Blick der Amazone blieb stolz und unberechenbar. Sie schaute dem Tod mutig entgegen. Es war eines seiner Lieblingsgemälde.

„Adrian, alles in Ordnung?“

Adrian blinzelte und versuchte seine abschweifenden Gedanken zu ordnen.

Drei Männer kamen schnellen Schrittes auf ihn zu. Der kleinere von ihnen, mit Namen Henry, hatte kurze blonde Haare und sah aus wie ein Model. Der bulligere von ihnen, mit dem kurz geschorenen Haar und dem Augenbrauenpiercing, war Falco. Er kniete sich neben Adrian und begutachtete sachte die kleine Elfe. Vorsichtig fühlte er ihren Puls und nahm behutsam einen ihrer Arme in Augenschein. Währenddessen hatte sich auch sein dritter langjähriger Freund zu ihnen gesellt. Patrick, groß, schlank und Brillenträger, war stets auf ein adrettes Äußeres bedacht. Nun sah er kritisch von Adrian zu der Frau in seinen Armen und schob seine Brille höher.

„Du kannst froh sein, dass Henry dich im Auge behalten hat. Bei den ganzen aufgeblasenen Truthähnen da unten war das gar nicht so einfach. Kannst du mir bitte erklären, wer diese Frau ist? Und was zum Teufel habt ihr zusammen auf diesem Dach gemacht?“

Das war nicht gut!

Wenn Patrick zu fluchen anfing, war das kein gutes Zeichen.

Adrian wollte gerade etwas erwidern, als Falco sie unwirsch unterbrach. „Das hat Zeit bis später! Das Mädchen muss ärztlich untersucht werden. Schaut euch die Verletzungen an ihren Handgelenken an und das hier …“

Vorsichtig schob er ihre Haare von der Schulter. Der linke Träger ihres Kleides war zur Seite gerutscht und gab tiefrote Striemen preis, teilweise verheilt, andere noch frisch.

Alarmiert wechselten die vier Blicke und Henry fuhr sich aufgebracht durch das Haar.

Adrian schaute grimmig. Die Lippen hatte er wütend zusammengepresst. Dann erhob er sich mit der Frau im Arm.

„Wer auch immer das war, wird nicht ungeschoren davonkommen.“ Seine Stimme hatte einen gefährlichen Unterton angenommen. Derjenige, der sich Adrian zum Feind machte, konnte sich schon mal sein Grab schaufeln. „Ich konnte gerade noch verhindern, dass sie vom Dach springt.“

Bestürzt schauten ihn seine Freunde an. Henry wurde kreidebleich, Falco stieß ein Knurren aus und Patrick hatte die Hände zu Fäusten geballt.

„Falco, fahr mit dem Wagen zum Hinterausgang, wir treffen uns dort. Henry, misch dich unter die Besucher und rede mit dem Personal. Vielleicht weiß einer, wo sie hergekommen ist, oder hat etwas Auffälliges beobachtet.“

Henry nickte, klopfte Adrian kurz auf die Schulter und machte sich mit Falco auf den Weg nach unten.

Patrick zückte sein Handy. „Ich werde Dr. Wessler im Krankenhaus anrufen und ihr mitteilen, dass wir vorbeikommen werden.“

„Nein! Ich werde sie mit zu mir nehmen. Bestell den Arzt in mein Haus.“

„Bist du dir sicher? Was ist, wenn sie aufwacht? Kommst du damit klar? Es kann sein, dass sie psychologische Hilfe benötigt. Wir wissen ja nicht, was sie alles durchgemacht hat.“

„Wenn sie psychologisch betreut werden muss, wird es in meinem Haus geschehen. Ich lasse sie nicht mehr aus den Augen.“

Zweifelnd schaute Patrick ihn an. „Ich hoffe, du weißt, was du tust, Adrian.“

Kapitel 2

Etwas kitzelte Evelin an der Wange. Unendlich langsam öffnete sie ihre Augen und musste mehrmals blinzeln, um scharf sehen zu können. Ihr Bewusstsein fühlte sich wie ein klebriger Kaugummi an, der auseinandergezogen wurde. Sie nahm als Erstes die weichen Kissen und Decken wahr, auf denen sie lag. Kühl schmiegten sie sich an ihre geschundene Haut. Sie hob den rechten Arm und strich sich eine Strähne ihres Ponys aus dem Gesicht. Sie fühlte sich so leicht, fast unbeschwert. Wie lange war es her, seit sie sich so gefühlt hatte? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit.

Ihre Gedanken konnte sie nicht ordnen, sie durchflogen ihren Kopf wie ein Schwarm Schmetterlinge, und ein tiefes Seufzen bahnte sich seinen Weg aus ihrer Kehle. Sie lag in einem großen Himmelbett. Zu ihrer Rechten befanden sich Fenster, die den Blick in einen wolkenverhangenen Himmel freigaben. Daneben standen ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch und eine kleine gemütliche Sofaecke, über der ein riesiges Gemälde an der Wand hing. Das Zimmer war geschmackvoll eingerichtet. Die allumfassende Farbe war ein warmes Grau.

Ein sanfter, blumiger Duft stieg ihr plötzlich in die Nase und sie drehte den Kopf zum Nachttisch. Dort stand eine wunderschöne Porzellanvase, gefüllt mit bunten Blumen, die das süße, angenehme Aroma verbreiteten. Es war sogar Lavendel dabei.

Diese kleine, zarte Blume hatte sie schon immer gemocht. Es kam ihr vor wie in einem anderen Leben, als sie die violetten Blumen in ihrem Garten gepflanzt hatte. Sie hatte förmlich in ihnen versinken können. Wenn sie aufgewühlt, traurig oder ärgerlich war, zog sie sich zu ihrem Lavendel zurück, um neuen Mut und Energie zu schöpfen. Im Winter hatte sie einen ordentlichen Vorrat Lavendelsäckchen parat, die sie verkaufte. Viele Leute wussten von ihrer Vorliebe und gaben gleich mehrere Bestellungen bei ihr auf. Lange saß sie abends noch an der Nähmaschine, um die kunstvollen, gut duftenden Säckchen zu nähen und mit ihrem ganz eigenen Charme zu versehen.

Langsam setzte Evelin sich im Bett auf und zuckte vor Schmerz zusammen. Sie schaute an sich herunter und nahm den Verband wahr, der sich von ihrem linken Handgelenk bis zu ihrer Schulter erstreckte. Auch das andere Handgelenk war fachmännisch verbunden worden und auf ihrem Rücken spürte sie ein weiteres Ziehen. Dort konnte sie einen Verband spüren. Wo war sie?

Auf einmal war die Erinnerung wieder da. Der Abgrund, die Lichter, ein Mann. War er ein Hirngespinst ihrer Fantasie oder war er wirklich da gewesen? Diese Augen …

War sie vielleicht doch gesprungen?

War sie tot?

Der Schmerz in ihrem Arm sagte ihr jedoch etwas anderes. Ihr Herz begann zu rasen.

 Was war passiert und an welchem Ort befand sie sich?

 Hastig sprang sie vom Bett, verhedderte sich mit den Beinen in den Laken, stolperte unbeholfen zum Fenster, drehte den Griff herum und riss es auf. Sie stützte sich mit zitternden Händen am Rahmen ab und holte langsam tief Luft. Sie musste sich konzentrieren, durfte nicht zusammenbrechen.

Wie viel Zeit in den vergangenen acht Wochen hatte sie genauso zugebracht, still in sich gekehrt, um den Schmerz und die Dunkelheit um sich herum zu vergessen? Sie ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in ihre Handflächen. Krampfhaft versuchte sie, sich nicht an das Geschehene zu erinnern. Doch sie konnte die Gedanken nicht aufhalten. Wie ein Ertrinkender, der nach dem erlösenden Sauerstoff lechzte, fraßen sie ein Loch durch das sorgsam aufgestellte Netz, das sie um die albtraumhaften Erinnerungen errichtet hatte. Stück für Stück bröckelte der Schutz, und die Erinnerungen trafen sie mit der Wucht eines Vorschlaghammers.

… Das hämische Grinsen in seinem Gesicht, die pure Bösartigkeit in seinen Augen und diese allumfassende Überheblichkeit. Eine Fratze aus Begierde und Wahnsinn.

Dann sah sie Madeleine. Er hatte sie grob am Arm gepackt und sie in dem Wissen, sie damit zutiefst zu verletzen, wie eine Trophäe vorgeführt. Madeleines entsetztes, tränenüberströmtes Gesicht, die weit aufgerissenen Augen, in denen absoluter Unglaube und Schock geschrieben standen, ließen alles in Evelin zu Eis erstarren, und ihr kämpferisches Ich fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Sie hatte gebettelt und gefleht, sich ihm statt ihrer Schwester angeboten, alles in dem Wissen, dass er es genoss, wie sie sich vor ihm wand, denn das befriedigte sein sadistisches Herz mehr als alles andere. Beide wussten, dass er gewonnen hatte. Er hatte es geschafft, ihren Willen zu brechen, und das kostete er in vollen Zügen aus. Alles Kämpfen und Wehren hatte keine Wirkung gezeigt. Es hatte sein Begehren nur noch mehr angestachelt. Er nahm Madeleine mit sich und sie blieb allein in ihrem Gefängnis zurück. Im Dunkeln zurückgelassen und gefangen, dazu verurteilt, die fürchterlichen Schreie ihrer Schwester tatenlos mit anhören zu müssen. Evelin schlug gegen die eiserne Tür und schrie so lange, bis ihre Stimme mit einem kläglichen Krächzen erstarb und ihre Arme schmerzhaft und nutzlos an ihr herunterhingen. Evelin wusste ganz genau, was er mit ihrer Schwester machte, und sank kraftlos und entmutigt zu Boden, die Knie angezogen, den Kopf zwischen den Armen vergraben. Sie konnte das alles nicht mehr ertragen. Sie hatte keine Kraft mehr und hoffte sehnlichst, endlich den Verstand zu verlieren, um alles vergessen zu können. Dass ihr nächstes Treffen mit Madeleine jedoch noch viel schlimmer und grauenhafter werden würde, hatte sie bis zu dem Zeitpunkt unmöglich ahnen können.

… Eine Bewegung neben ihr riss sie aus ihren schauerlichen Gedanken.

„Miaaauuu.“

Eine dicke Katze mit rotem, langem Fell und zuckendem Schwanz saß am offenen Fenster und schaute sie aus schmalen, bernsteinfarbenen Augen an. Blinzelnd versuchte Evelin, ins Hier und Jetzt zurückzukehren und ihren schnellen Herzschlag zu beruhigen. Eine Panikattacke würde ihr jetzt auch nicht weiterhelfen.

Der kleine Löwe hatte Ähnlichkeit mit der Katze ihrer Oma. Clara war jedoch um einiges schmaler gewesen. Sie hatte es sogar ein paarmal geschafft, dem Besuch das Essen vom Teller zu stibitzen. Mit einem Lächeln im Gesicht streckte sie dem Fellknäuel ihre Hand entgegen.

„Hallo meine Kleine, du bist aber eine Hübsche.“

Das Tier zuckte mit den Ohren, ließ sich genüsslich das angenehm weiche, flauschige Fell am Kinn kraulen und fing an zu schnurren. Bei einem Bellen von draußen drehte sie sich trotz ihrer Leibesfülle behände um, sprang schnell mehrere Fensterbänke herunter und landete mit einem geräuschvollen Plumpsen in einem Strauch. Mit hochgezogenem Schwanz, als wäre es das natürlichste der Welt für sie, so laut zu landen wie ein Düsenjet, stolzierte sie heraus und war im nächsten Moment hinter einer Trauerweide verschwunden.

Umringt wurde die Weide von wunderschönen Blumen und Sträuchern. Sie alle waren ordentlich um sie herum gepflanzt, und doch gab es überall geheime Bereiche, die die Fantasie anregten. Ein kleiner Brunnen, versteckt unter tiefgrünem Efeu, plätscherte unter ihrem Fenster vor sich hin. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn der Froschkönig persönlich aus seinen Tiefen emporgekrochen wäre, so märchenhaft war die Ausstrahlung des kleinen Gärtchens. Hinter den hohen Hecken, die es eingrenzten, konnte man den weiteren Garten nur erahnen.

Wo in aller Welt war sie gelandet?

Sie drehte sich um, ging in das Zimmer zurück, und sofort sprang ihr das edle Gemälde wieder ins Auge, welches die komplette Wand über dem Sofa einnahm. Vorsichtig trat sie näher und berührte den verzierten goldenen Rahmen. Er fühlte sich kalt und rau unter ihrer Hand an. Was für ein wunderschönes, anmutiges Kunstwerk.

Das Bild stellte eine verwunschene, traumhafte Szene auf einer Lichtung im Wald dar. Junge Frauen, in kurze, weit flatternde Gewänder gekleidet, tanzten um fünf Männer herum. Jede schien förmlich zu schweben, und der Ausdruck in ihren Gesichtern war sowohl verschmitzt als auch keck. Ein Mann streckte den Arm nach einem der Mädchen aus, aber dieses tanzte geschwind aus seiner Reichweite heraus. Ein anderer hatte ein Mädchen um die Hüfte gepackt und versuchte, sie sich über die Schulter zu werfen. Das feenartige Wesen schien zu lachen, und ein lüsternes Funkeln lag in ihren Augen. Die Männer hatten allesamt ihre begehrlichen, hungrigen Blicke auf die Frauen gerichtet.

Evelin bekam eine Gänsehaut. Das Bild war so friedlich und doch voller Verheißung.

Ein zartes Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken und ließ das Blut schneller durch ihre Venen rauschen.

Plötzlich wurde die Tür geöffnet und eine junge Frau kam herein. Ihre langer Pferdeschwanz leuchtete rot wie Mohnblumen.

„Hallo! Ich hoffe, ich habe dich nicht erschreckt? Dr. Wessler sagte, du würdest bestimmt bis in den Nachmittag hinein schlafen. Wie geht es dir? Ich habe hier ein paar Kleider für dich und hoffe, sie passen, sie sind nämlich von mir.“ Die Frau tippte sich mit dem Finger an das Kinn und begutachtete Evelin einmal von oben bis unten. „Ja, die Sachen müssten dir passen. Nur an der Länge müssen wir noch etwas machen. Adrian wird dir sicherlich bald eigene Anziehsachen besorgen.“

Evelin starrte die Frau mit offenem Mund an. Sofort fiel ihr der Mann mit dem durchdringenden Blick auf dem Dach wieder ein. Fröstelnd rieb sie sich die Arme.

Als hätte die andere Frau ihren emotionalen Wandel mitbekommen, klatschte sie einmal schnell in die Hände. „Tut mir leid. Ich bin eine Plaudertasche.“ Sie warf Evelin ein entschuldigendes Lächeln zu. „Sei unbesorgt, du bist hier in Sicherheit. Adrian ist ein fürsorglicher Mensch. Übrigens heiße ich Liz und freue mich sehr, dich kennenzulernen. Eine weitere weibliche Seele in diesem verruchten Haus ist mir immer willkommen, und ich hoffe, die Blumen gefallen dir. Endlich kann ich in diesem Haus mal Blumenvasen aufstellen. Ich glaube, außer Adrian wissen die anderen Männer die schönen Blüten gar nicht zu schätzen.“

Sie streckte Evelin ihre Hand entgegen, doch diese zögerte. Liz machte einen fröhlichen Eindruck, wie konnte so etwas möglich sein? Sie lebte in einem Haus voller Männer, und mindestens einer von ihnen hatte eine dominante Ader, das wusste Evelin seit dem Zusammentreffen auf dem Dach des Museums.

Evelin schüttelte den Kopf. Komisch, sie schien in diesem Haus zu leben, sie musste wissen, was es bedeutete, aber trotzdem … Sie schien nett und auf eine schusselige Art sympathisch, auch wenn sie redete wie ein Wasserfall. Liz hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt und schaute sie mit großen Augen an.

Was soll’s! Vielleicht machte Liz es ihr einfacher zu erfahren, wie sie von hier verschwinden konnte.

Evelin ergriff ihre Hand, und Liz strahlte über das ganze Gesicht. „Es freut mich auch, dich kennenzulernen. Ich heiße Evelin, aber nenn mich ruhig Evi.“

Sollte Liz noch etwas mehr anfangen zu leuchten, befürchtete Evelin, eine Sonnenbrille zu benötigen. Es würde sie nicht wundern, wenn Liz gleich einen Purzelbaum schlagen und einen Freudentanz aufführen würde. Ein Lächeln stahl sich auf Evelins Lippen. Sie hatte diese unbeschwerte Liz schon jetzt lieb gewonnen. Umso schwerer würde es ihr fallen, sie hier zurücklassen zu müssen.

Liz drückte ihr die Anziehsachen in die Arme und beförderte sie zu der anderen Tür in dem Zimmer. Schneller als Evelin es begreifen konnte, hatte Liz sie schon in ein edles Badezimmer geschoben. Helle Marmorwände und eine große runde Badewanne in der Mitte des Zimmers nahmen ihren Blick gefangen.

„Du kannst alles benutzen, was du siehst. Bestimmt möchtest du dich etwas frisch machen. Aber pass bitte auf die Verbände auf. Adrian sagte, sie helfen beim Heilungsprozess und sollen noch draufbleiben.“

Liz wollte gerade die Tür schließen, da drehte sie sich mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen noch einmal um. „Ach, bevor ich es vergesse: Du wirst von Adrian schon erwartet, und er mag es gar nicht gerne, lange warten zu müssen. Es wäre also besser, du sputest dich etwas, denn glaube mir, du möchtest nicht, dass er dich holen kommt.“

Sie zwinkerte Evelin zu und schloss mit einem Ruck die Badezimmertür.

Sofort lief Evelins Fantasie auf Hochtouren. Sein Name war Adrian. Sie sah einen männlichen Schatten, der in das Badezimmer stürmte und sie mit seinen Blicken, die ein Feuer der Begierde in ihr entfachten, an Ort und Stelle festnagelte. Seltsamerweise spürte sie bei dem Gedanken nicht nur Grauen, sondern auch ein leichtes Prickeln zwischen den Beinen. Etwas, das sie schon seit langer Zeit nicht mehr gespürt hatte.

Evelin entglitten die Anziehsachen, die nun auf dem schwarzen Fliesenboden landeten.

Das durfte doch alles nicht wahr sein.

Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen.

Womit in aller Welt hatte sie das verdient? Sie hatte doch mit all dem abschließen wollen.

Evelin ging müde zum Spiegel über dem elfenbeinfarbenen Waschbecken. Sie sah schrecklich verwahrlost aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Nachdenklich schaute sie auf ihre Handgelenke und fing an, die Verbände abzuziehen. Die aufgeschürfte Haut schimmerte rosa und die Striemen an den Handgelenken waren verblasst.

Das letzte Stück des Verbandes fiel ins Waschbecken. Sie fuhr mit einem Finger die Striemen an ihrem Handgelenk nach. Nur ungern dachte sie an die aufgeschürfte, blutige Haut, die unter dem unbarmherzigen Griff der eisernen Handschellen entstanden war. Die Striemen waren inzwischen fast verheilt, und wenn sie Glück hatte, würden keine Narben bleiben. Es schüttelte sie, und sie wollte nichts sehnlicher, als ihre Vergangenheit zu vergessen.

Ein Klopfen war an der Tür zu hören. „Evi, ist alles in Ordnung da drinnen?“ In Liz’ Stimme schwang ein besorgter Unterton mit.

Evelin richtete sich am Waschbecken auf und zog die Schultern zurück. „Ja, alles gut. Ich komme gleich.“

Kampfeslustig schaute sie sich im Spiegel an. Sie versuchte, das angenehme Kribbeln in ihrem Magen zu unterdrücken, das sie empfand, wenn sie an Adrians intensiven Blick dachte. Schnell machte sie ihre Katzenwäsche und zog sich an. Liz hatte ihr eine lockere Bluse und eine weite Leinenhose mitgebracht. Beim Anziehen der Bluse bemerkte sie, dass diese so weit geschnitten war, dass sie den Verband auf ihrem Rücken problemlos verdeckte, ohne sie in ihrer Bewegung einzuschränken. Sie kämmte sich schnell das zerzauste Haar, besah sich noch einmal im Spiegel und ging zufrieden zur Tür.

Evelin würde sich höflich für die Rettung bedanken und sich dann verabschieden. Sie wollte ganz neu anfangen. Weit weg von hier.

Allerdings gab es eine Stimme tief in ihrem Innern, die die Hoffnung nicht aufgeben wollte, dass es vielleicht doch noch ein Happy End für sie geben würde. Aber konnte sie Adrian wirklich trauen? Er war ein dominanter Mann, und sie hatte sich geschworen, sich nie wieder auf einen solchen einzulassen. Allein der Gedanke, ihm gleich gegenüberzustehen, ließ sie ängstlich zittern.

Liz führte sie durch einen großen Altbau. Überall sah man dunkle Holzbalken, die Böden wurden von dicken Teppichen bedeckt und an den Wänden hingen prachtvolle Gemälde. Evelin schaute sie neugierig an, konnte aber keines entdecken, das so wunderbar war wie das in ihrem Zimmer. Ein wenig enttäuscht folgte sie Liz eine Treppe hinunter in eine große Eingangshalle, an deren Decke ein riesiger Kronleuchter hing, wie sie ihn bisher nur im Film Titanic gesehen hatte. Sie bogen in einen der vielen Flure ab. Selbst mit einem Wegweiser würde sie sich im Innern dieses Hauses verlaufen.

Liz stoppte abrupt und blieb vor einer großen Doppeltür stehen. „Du musst allein reingehen. Er erwartet dich. Viel Glück!“

Sie drückte Evelins kalte Hände, um ihr ein wenig Mut zuzusprechen. Mit roten Wangen wandte sie sich danach um und ging wiegenden Schrittes in die entgegengesetzte Richtung weiter.

Evelin spürte, wie ihr die Hitze den Nacken emporkroch und ihre Handflächen zu schwitzen anfingen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Was sollte sie nur machen, wenn er genauso schrecklich war wie ihr wahnsinniger Entführer? Evelin wurde plötzlich schlecht. Sie konnte das nicht noch einmal durchmachen!

Im nächsten Augenblick wurde die Doppeltür geöffnet und Evelin sprang erschrocken zurück, wobei sie über ihre eigenen Füße stolperte und mühsam um ihr Gleichgewicht kämpfte. Nebenbei nahm sie den Schatten eines großen Mannes wahr, der sie überragte.

„Was zum …! Wieso stehen Sie vor meiner Tür wie ein festgefrorener Eiszapfen?“

Evelin erkannte die Stimme wieder.

Sie konnte die Balance nicht mehr halten und landete unsanft auf dem Hosenboden. Fluchend rieb sie sich den schmerzenden Hintern und zog dabei eine Grimasse, die einem kauenden Lama alle Ehre gemacht hätte.

Kapitel 3

Verdammt was für einen köstlichen Anblick sie bot.

Adrian musste sich schwer zusammenreißen, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Wie die junge Frau dort vor ihm auf dem Boden saß, mit zerknirschtem Gesicht und der viel zu großen Hose, war sie ein Bild für die Götter. Seine Blicke glitten wissend über ihre hübschen Kurven und die üppigen Brüste, die sich ihm unter der Bluse verführerisch und neckend entgegenstreckten. Ihr Arsch hatte nun schon ungewollt einen Vorgeschmack seiner zukünftigen Erlebnisse erfahren. Adrian würde es lieben, ihren Hintern erst in einen zarten Rosaton und dann in ein dunkleres Rot zu färben. Bei dem Gedanken juckte es ihn in den Fingern, denn eines war klar, so schnell würde er seine Amazone nicht mehr gehen lassen.

Wann hatte er das letzte Mal so über eine Frau nachgedacht? Die kleine Amazone war nicht nur wie ein Tornado in seinen Verstand gefegt, sondern auch auf direktem Wege in seinen Schwanz.

Schnell sammelte er sich und half der jungen Frau auf die Beine. Zögernd legte sie ihre Hand in seine.

„Das tut mir wirklich leid, ma chérie. Hätte ich gewusst, dass Sie wie eine Biene am Honig an meiner Tür festkleben würden, hätte ich mich natürlich erst bemerkbar gemacht, bevor ich die Tür öffnete.“

Evelin warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

Oh, wenn Blicke töten könnten.

Wenn alles nach Plan verlief, würde sie es sich schon bald zweimal überlegen, ihn so anzufunkeln.

Er stand dicht vor ihr und sie nahm einen feinen Geruch nach Moschus und Blumen wahr. Evelin konnte ihn nun das erste Mal richtig in Augenschein nehmen. Er war einen Kopf größer als sie und hatte schwarze Haare, die im Nacken von einem Zopf gebändigt wurden. Sein dunkelblaues Hemd hatte er lässig über seiner Jeans hängen. Die obersten Knöpfe waren geöffnet und gaben ein Stück gebräunter Haut frei. Da er sie fast mühelos den Dachvorsprung hochgezogen hatte, wusste sie, dass er einen durchtrainierten Körper hatte. Als sie in sein markantes Gesicht sah, wurde ihr Blick von den sturmgrauen Augen gefangen genommen, die sie schon auf dem Dach in ihren Bann gezogen hatten. Evelin schluckte mühsam und merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie fühlte sich ertappt. Schnell senkte sie den Kopf, spürte seine Aufmerksamkeit aber immer noch auf sich gerichtet.

„Nun, nachdem Sie mich augenscheinlich bis ins kleinste Detail begutachtet haben, würden Sie bitte eintreten?“ Galant hielt er ihr eine der mit Schnörkeln verzierten Türen auf.

Schnell umrundete sie ihn, um aus seiner Reichweite zu kommen. Wie ein verschreckter Hase, der versuchte, vor dem Fuchs zu fliehen, schlug sie einen Haken und verschwand in seinem Büro, nicht ahnend, dass sie gerade die Fuchshöhle betreten hatte. Sie saß in der Falle.

Evelin meinte, den Mann amüsiert lächeln zu sehen, doch im nächsten Moment hatte er seinen durchdringenden Blick auf sie gerichtet. Seine Mimik gab keines seiner Gefühle preis. Somit hatte sie keine Möglichkeit, ihr Gegenüber einzuschätzen.

Evelin wischte sich unauffällig die schweißnassen Hände an der Hose ab. Sie versuchte, ihrem Herzen zu befehlen, endlich ruhiger zu schlagen. Ein auswegloses, zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

Sie musste jetzt unbedingt einen klaren Kopf behalten. Nur nebenbei nahm sie die hohen Bücherregale wahr, die zu beiden Seiten die Wände einnahmen. Ihr Fokus lag auf dem Mann, der, ihr den Rücken zugekehrt, am Fenster stand und scheinbar gelassen in den großen Garten dahinter blickte. Seine breiten Schultern luden zum Anlehnen ein. An diese konnte man sich bestimmt anschmiegen und den Rest der Welt vergessen, während man sich sorgsam beschützt fühlte. Es schien ihr wie eine Ewigkeit, in der ihr das Blut in den Ohren rauschte, bis er endlich zu sprechen anfing. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie es beinahe nicht mitbekommen hätte.

Blinzelnd richtete sie sich ein wenig mehr auf. „W… wie bitte?“

Verdammt, sie musste sich unbedingt konzentrieren. Warum fiel es ihr nur so schwer, ihre Gedanken zu ordnen?

Er drehte sich um und sah sie mit einem strengen Blick an. „Ich hatte Sie gefragt, wie es Ihren Verletzungen geht. Meine Ärztin hat Sie untersucht und behandelt, als Sie bewusstlos waren. Durch den abgefangenen Sturz haben Sie im linken Arm eine Muskelzerrung davongetragen. Was die anderen Verletzungen auf Ihrem Rücken und an den Handgelenken angeht, würde ich gerne von Ihnen hören, woher sie stammen.“

Er ließ sie keinen Augenblick aus den Augen.

Evelin schluckte hart. Ein bitterer Geschmack lag ihr auf der Zunge. Sie vertraute diesem Mann nicht. Wie sollte sie ihm da von dem grauenhaften Albtraum erzählen, den sie durchgemacht hatte?

Sie hob entschlossen den Kopf und sah ihm ins Gesicht. „Das geht Sie nichts an!“

Bevor sie einem unbekannten Mann von ihrem Martyrium erzählte, sollte sich der Boden unter ihren Füßen auftun und sie im Ganzen verschlingen. Sie würde nicht noch einmal so leichtgläubig sein und einem fremden Kerl vertrauen.

Sie registrierte, wie sich eine seiner Augenbrauen nach oben wölbte. Evelins Mund fühlte sich wie ausgedörrt an und sie befeuchtete ihre trockenen Lippen mit der Zunge.

Sein Adlerblick folgte jeder ihrer Bewegungen.

Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, war plötzlich eine elektrische Spannung im Raum zu spüren. Ihr war, als wenn sie über einem lodernden Vulkan stehen würde, der jeden Moment ausbrechen konnte, um sie mit seinem Feuer zu verschlingen.

Evelin setzte ein gezwungenes Lächeln auf und fokussierte den Schreibtisch. Sie wusste nicht, ob sie seinem Blick standhalten konnte. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich danke Ihnen für meine Rettung, aber nun möchte ich mich von Ihnen verabschieden. Ich habe nicht vor, Ihre Zeit weiter in Anspruch zu nehmen.“

Nervös blinzelnd schaute sie ihn an. Adrian beobachtete sie eine Weile schweigend. Sein Blick reichte tief und brannte sich in ihr Innerstes. Evelin spürte, wie sich diese verdammte Hitze zwischen ihren Brüsten und in ihrem Geschlecht ausbreitete. Sie konnte fühlen, wie die Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln zunahm.

Warum reagierte ihr Körper immer noch so auf Dominanz?

Wie konnte er sie so hintergehen?

Sie hoffte sehnlichst, ihr Gegenüber würde es nicht merken, wusste jedoch, dass diese Hoffnung nur das bleiben würde, was sie war, nämlich eine Illusion. Wenn er wirklich aufmerksam war, würde er ihr jede Gefühlsregung an der Nasenspitze ablesen können.

Der Gedanke, dass jeder in ihr lesen konnte wie in einem offenen Buch, behagte ihr gar nicht. Nervös kaute sie auf ihrer Lippe herum und begann, ihre Hände zu kneten.

Der Mann stützte sich mit den Armen auf seinem Schreibtisch ab und beugte sich zu ihr vor. Sein Hemd spannte sich über zwei muskulösen Armen, und seine Augen glitzerten gefährlich.

„Und was genau bringt Sie zu der Annahme, dass ich Sie nach der ganzen Geschichte einfach gehen lasse? Sie wollten sich vom Dach stürzen und haben sich aufgeführt wie eine Verrückte. Mal abgesehen davon, dass Sie noch verletzt sind.“

Mit einem langsamen, fast schleichenden Gang kam er um den Tisch herum und lehnte sich mit verschränkten Armen ihr gegenüber an den Schreibtisch.

Sie biss sich unbewusst auf die Lippen. Stand ihr jetzt etwa eine Moralpredigt bevor? Evelin musste an ihre Schulzeit zurückdenken, denn er verhielt sich wie ein Lehrer, der gleich mit seiner Strafpredigt anfangen würde. Seltsamerweise entlockte ihr der Gedanke ein Schmunzeln. Ihr ehemaliger Lehrer, Herr Jackson, hatte sich mehr als einmal die Zähne an ihr ausgebissen. Er hätte ihrem jetzigen Gegenüber in Sachen Attraktivität und Ausstrahlung jedoch keinerlei Konkurrenz machen können.

„Ich sage Ihnen, wie es weitergehen wird.“ Damit unterbrach er ihren erheiternden Gedankengang. „Sie bleiben so lange mein Gast, bis Ihre Verletzungen verheilt sind und Sie mir erzählt haben, was Ihnen widerfahren ist.“

„Nein!“

Es fehlte nicht viel und sie hätte wie ein trotziges Kind mit den Füßen gestampft. Was bildete sich dieser Lackaffe eigentlich ein? Er konnte sie doch nicht gegen ihren Willen festhalten. Der Kerl hatte ihr Leben gerettet und glaubte jetzt, über sie bestimmen zu können? Wenn er sich da mal nicht täuschte!

***

Adrian konnte in der Frau lesen wie in einem offenen Buch. Ein großer Vorteil und ein Muss, wenn man sich, wie er, Master nennen wollte.

Er ging langsam auf sie zu.

Evelin wich wie ein erschrockenes Reh vor ihm zurück und stieß irgendwann mit dem Rücken an eines der Bücherregale. Sie konnte nicht weiter.

Mit unbewegter Miene stützte er sich mit den Händen links und rechts neben ihrem Kopf ab. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

Evelin hielt die Luft an. Sie hatte keine Möglichkeit, sich ihm zu entziehen.

„Sie werden in meinem Haus als Gast bleiben, solange ich es will. Ich glaube kaum, dass sie ansonsten der Polizei erklären wollen, warum sie von einem Dach springen wollten. Die würden sie schneller, als sie Nein sagen könnten, in die Psychiatrie einweisen lassen, was sicherlich nicht in Ihrem Sinne wäre.“

Er hatte leise gesprochen, nahezu gefährlich leise. Sein Blick glitt über ihr Gesicht. Große grüne Augen blickten ihn unsicher an.

Er schaute tiefer und seine Augen blieben an ihren Lippen hängen. Adrian konnte den Blick nicht von ihnen lösen. Sie sahen so unendlich weich aus, und er konnte es kaum erwarten, dass sie sich um seinen Schwanz legten.

***

Evelin war es nicht möglich, sich zu bewegen. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an.

Sein Mund war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

Evelin war von seiner Aura gänzlich umhüllt.

Sie durfte ihm nicht verfallen. Sie musste hier weg!

Nervös suchte ihr Blick etwas, das ihr helfen würde, ihm zu entkommen. Ihre Hände glitten Halt suchend über das Regal in ihrem Rücken. Sie bekam etwas Hartes, Glattes zu fassen, dachte nicht nach, handelte intuitiv. Fest umklammerte sie das Buch und klatschte es mit Schwung ihrem Gegenüber an den Kopf.

Der Mann zuckte kurz zusammen und sah sie mit einem Blick an, der eine ganze Horde Rehe zum Flüchten gebracht hätte. Er richtete sich auf und sie erstarrte.

„Sie haben mir ein Buch an den Kopf geworfen“, knurrte er leise. „Wissen Sie eigentlich, wie kostbar und alt diese Bücher sind?“

Evelin konnte nur benommen den Kopf schütteln. Was hatte sie getan? War sie jetzt von allen guten Geistern verlassen?

„Vielleicht sollte ich Sie gleich auf der Stelle knebeln und fesseln. Danach werde ich Ihnen so sehr den Hintern versohlen, dass Sie sich wünschten, Sie hätten noch nie ein Buch zu Gesicht bekommen!“

Evelin wurde kreidebleich. Und wie ein Blitz, der in einen Baum einschlug, begann ihre Fantasie Purzelbäume zu schlagen. Sie sah genau vor sich, wie er sie sich, teuflisch grinsend, übers Knie warf, ihr die Hose mit einem Ruck vom Körper zog und ihren prallen Hintern mit seiner großen Hand bearbeitete. Wie sie schrie und zappelte, sich nach Kräften wehrte, nur um sich dann ihrem Schicksal zu fügen. Wie sie vergaß, wer und wo sie war, während ihre Tränen seine Hose durchtränkten.

Evelin öffnete den Mund, aber es kam kein Wort heraus. Sie schluckte mühsam und spürte ein sehnsuchtsvolles Ziehen in ihrer Magengrube. Dabei wusste sie doch am besten, wie schrecklich es enden konnte, wenn man sich mit einem dominanten Mann einließ.

Evelin wollte so etwas nie wieder durchmachen müssen.

***

Adrian ließ sie frei und trat einen Schritt zurück. Ihr Blick senkte sich automatisch zu Boden. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, zeigte sie ihm damit ihre devote Seite.

Er konnte sehen, wie es in ihrem hübschen Köpfchen arbeitete und ratterte. Dass noch keine Dampfwolken aus ihren Ohren qualmten, war ein Wunder. seine Dominanz machte sie geil und dass noch intensiver, als er es für möglich gehalten hatte.

Er hob das besagte Buch vom Boden auf und las den Einband. Sie hatte doch tatsächlich William Shakespeares Romeo und Julia erwischt.

***

Ein Zucken um seine Mundwinkel herum ließ sie das Schlimmste befürchten. Er fing an zu zittern.

Ob sie ihn doch schwerer als gedacht am Kopf erwischt hatte?

Sie wollte sich gerade zu ihm vorbeugen, als er sich mit einem Ruck aufrichtete und in schallendes Gelächter ausbrach. Erschrocken wich sie weiter zurück. Jetzt hatte er eindeutig den Verstand verloren!

***

Adrian konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so herzhaft und befreit gelacht hatte. Er wischte sich die Tränen aus den Augen, ging einen Schritt zurück und seine Amazone trat flink zur Seite. Er stellte das Buch an seinen Platz, dann drehte er sich zu ihr um und streckte ihr seine Hand entgegen.

„Ich denke, es ist besser, wenn wir noch einmal von Neuem beginnen. Mein Name ist Adrian Lorain. Du darfst mich Adrian nennen. Ich bin der Besitzer dieser hübschen kleinen Villa hier und du wirst bis auf Weiteres mein Gast sein.“