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"Die dunkle Seite des Balles" beleuchtet in 34 Spieltagen und einem spektakulären Finale auf unterhaltsame, zuweilen skurrile Weise die Verwerfungen, Auswüchse und Untiefen der Unterhaltungsbranche Fußball. Wir lesen von der Macht der Ultras, von Korruption, Mobbing und verbotenen Mitteln und lernen die Einsamkeit, Ängste und Psychosen der Spieler, Trainer und anderer am Fußballleben beteiligter Personen kennen, die sie zu seltsamen Fehltritten auf und außerhalb des Platzes treiben. Das Ganze mündet in einem vermeintlich absurden Finale im Maracanã-Stadion, was zur unvermeidbaren Frage führt, ob nicht längst die Wirklichkeit der Schein- und Glitzerwelt des Fußballs unsere Fantasie überholt hat.
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Seitenzahl: 153
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2018 Arete Verlag Christian Becker, Hildesheim
www.arete-verlag.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Dies gilt auch und insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und die Einspeicherung sowie Datenvorhaltung in elektronischen und digitalen Systemen.
Layout, Satz und Umschlag: Composizione Katrin Rampp, Kempten
E-Book-Produktion: mach-mir-ein-ebook.de
ISBN 978-3-942468-92-3
Vorwort – Wie dieses Buch zu lesen ist
Hinrunde
1. Spieltag – Sicherheit
(18. Spieltag – Geschenke)
2. Spieltag – Das Mikrofon
(19. Spieltag – Wellen)
3. Spieltag – Der Bruder
(20. Spieltag – Ein Leben)
4. Spieltag – Rituale
(21. Spieltag – Heim)
5. Spieltag – Nemesis
(22. Spieltag – Blutgrätsche)
6. Spieltag – Strumpfband
(23. Spieltag – Sondertraining)
7. Spieltag – Schüsse aufs Tor
(24. Spieltag – Der Torschuss)
8. Spieltag – Der Fan
(25. Spieltag – Fangemeinde)
9. Spieltag – Kaisers
(26. Spieltag – Eiffelturm)
10. Spieltag – Duschtrakt
(27. Spieltag – Der Mongole)
11. Spieltag – Blitzlichter
(28. Spieltag – Schule)
12. Spieltag – Der Boss
(29. Spieltag – Ablösesumme)
13. Spieltag – Der Poet
(30. Spieltag – Der Poet II)
14. Spieltag – Die Kanüle
(31. Spieltag – Die Trauerfeier)
15. Spieltag – Die Linie
(32. Spieltag – Die Chemie muss stimmen)
16. Spieltag – Regenbogen
(33. Spieltag – Familientag)
17. Spieltag – Haupttribüne
(34. Spieltag – Meisterschaft)
Rückrunde
18. Spieltag – Geschenke
19. Spieltag – Wellen
20. Spieltag – Ein Leben
21. Spieltag – Heim
22. Spieltag – Blutgrätsche
23. Spieltag – Sondertraining
24. Spieltag – Der Torschuss
25. Spieltag – Fangemeinde
26. Spieltag – Eiffelturm
27. Spieltag – Der Mongole
28. Spieltag – Schule
29. Spieltag – Ablösesumme
30. Spieltag – Der Poet II
31. Spieltag – Die Trauerfeier
32. Spieltag – Die Chemie muss stimmen
33. Spieltag – Familientag
34. Spieltag – Meisterschaft
Finale – Maracanã
Widmung und Danksagung
Der Autor
Title Page
Copyright-Page
Cover
Dieses Buch ist wie eine imaginäre Fußball-Erstliga-Spielzeit aufgebaut. Die vierunddreißig Spieltage bestehen jeweils aus einer Geschichte, wobei jede Geschichte in zwei Episoden erzählt wird – einmal im Hinspiel und einmal im Rückspiel. Es gibt also siebzehn verschiedene Geschichten in der Hinrunde und die jeweiligen Fortsetzungen in siebzehn Geschichten in der Rückrunde. Man kann dieses Buch dementsprechend chronologisch durchgehen oder aber, wenn man nicht abwarten kann, wie die gerade gelesene Geschichte weitergeht, das Rückspiel dieser Geschichte direkt anschließend lesen (z. B. nach dem ersten Spieltag direkt zum achtzehnten Spieltag springen).
Dabei werden Spieltag für Spieltag vermeintlich verrückte und absurde Geschichten abseits des Platzes erzählt und Facetten dieser wahnwitzigen Glitzerwelt beleuchtet, die sonst kaum ans Tageslicht kommen.
Am Ende steht das große Finale, das noch einmal alles bisher Geschehene in einen anderen Blickwinkel setzt.
Jegliche Ähnlichkeit zu realen Personen ist in den meisten Fällen unbeabsichtigt und reiner Zufall.
Der Ball kam von links außen hoch hinein. Die Flugkurve glich einer Bogenlampe und so war es kein Problem, den Ball auf die Außenbahn nach vorne zu köpfen. Es war noch zu früh. Er blickte zurück auf den gegnerischen Stürmer, der wieder einmal bedröppelt einer nicht vorhandenen Chance nachblickte. Dominguez war für viel Geld geholt worden und sollte in dieser Saison in der Bundesliga einschlagen. Doch bisher stand er nur herum und wartete auf die göttliche Eingebung, die in Form einer perfekten Flanke bei ihm landen sollte. Der wird sich noch umsehen, dachte Reiter und blickte dem nächsten Angriff entgegen.
Er würde noch zehn Minuten warten, würde noch den unüberwindbaren Innenverteidiger geben, würde die undurchdringliche Mauer sein, als die er gekauft worden war. In seinem Fußballerleben hatte er schon einiges mitgemacht und so blieb nicht mehr viel übrig, an das er glauben konnte. Er erinnerte sich an die Zeit, als er das erste Training bei den Profis mitmachen durfte, damals in Hamburg. Er war aufgeregt gewesen und hatte noch an das Spiel geglaubt. An das richtige Spiel, das perfekte Spiel. Er hatte sogar an das göttliche Prinzip geglaubt, das in einem perfekten Spiel zu finden war. Und er hatte es erlebt. Ein oder zwei Mal. Das perfekte Spiel, wie eine Offenbarung, wie ein Zeichen, das nun alles gut wird. Aber es war nie alles gut geworden. Es gab Verletzungen, schlechte Mitspieler, unfähige Trainer, eine zerrissene Vereinsführung, alles Bedrohungen der eigentlich einfachen Wahrheit, die hinter diesem perfekten Spiel steckte.
Und so war aus einem designierten Nationalspieler ein mittelmäßiger, wenn auch solider Innenverteidiger geworden. Es ging nicht darum, zu gewinnen oder zu verlieren, das hatte er gelernt. Es ging um Sicherheit, nicht um den Kick. Und für seine Sicherheit sorgte er nun selber.
Als der Ball in der anderen Hälfte des Feldes war, schaute er auf die Stadionuhr. Die 80ste Minute brach an. Es wurde langsam Zeit. Aber zunächst musste er beweisen, dass er um jeden Preis gewillt war, zu gewinnen. Als der Ball zu Dominguez in die Gasse gespielt wurde, grätschte er ohne Not seitlich hinein, sodass der kleine Peruaner aufschrie und ihn dann am Boden liegend fassungslos ansah. Reiter stand über ihm und sagte: „Ihr seid doch Härte gewohnt in Peru.“ Der Schiedsrichter kam angerauscht und zückte wie erwartet die gelbe Karte. Das würde später helfen.
Der Freistoß brachte nichts ein. Es würde eines der langweiligeren torlosen Unentschieden werden, das die Zuschauer und Fans schon nach dem ersten Spieltag auf den Boden der Tatsachen zurückwerfen und ihnen die hässliche Seite des Fußballs vergegenwärtigen würde. Wenn nicht …
Die nächste Flanke, die verzweifelt in den Strafraum hineingebracht wurde, klärte er zur Ecke. Souverän. Keiner würde etwas merken.
Er hatte eine Familie, und die Immobilien kosteten mehr als sie einbrachten. Der Eckball flog viel zu weit und landete im Aus, ohne dass er von irgendjemandem berührt wurde. Aber Reiter hatte gelernt, geduldig zu sein. Es ergaben sich immer Chancen. Selbst in der 92sten Minute. Es stellte sich heraus, dass er so lange nicht zu warten brauchte. Als seine Leute einen Konter nach vorne setzten und den Ball schon im Mittelfeld dümmlich verloren, kam die Situation, auf die er gewartet hatte. Der Ball wurde außen auf Hach gespielt, der zum ersten Mal in diesem Spiel einen gescheiten Ball in den Strafraum brachte. Während Reiter den Ball auf sich zufliegen sah, überlegte er, was besser sei: ihn einfach durchzulassen oder ihn selber reinzumachen. Es ging um Sicherheit. Er musste sein Leben planen. In den Interviews sagte er immer, wie alle anderen auch, dass es nur um den Verein ginge, aber jeder wusste, dass das Quatsch war. Der Verein würde immer weiter bestehen, würde selbst mit den versteckten Millionen an Schulden nicht untergehen. Irgendein bekloppter Investor fand sich immer. Für einen alternden Spieler fanden sich aber keine Investoren. Er musste planen. Und er plante die elegantere Lösung. Er trat am Ball vorbei, sodass der Peruaner frei zum Schuss kommen konnte. Allerdings hatte er die Dummheit des Mannes unterschätzt. Dominguez war so überrascht, dass der Ball zu weit von seinem Fuß absprang. Die anderen kamen zurück, die Situation war bereinigt.
Noch 5 Minuten. Immer noch genug Zeit.
Als der Mann mit dem Koffer zum ersten Male gefragt hatte, hatte sich Reiter angewidert abgewendet. Aber dann war das mit dem Knie passiert, und Reiter hatte erlebt, wie kurzweilig Erfolg sein kann. Er machte es nicht für den Kick, wie dieser schwachsinnige Schiedsrichter damals. Er machte es für hartes Geld. Zusätzlich zu dem Geld aus dem Koffer setzte er über einen Freund in Frankreich selber hohe Einsätze für späte Tore. Gottseidank konnte er Martin trauen. Um seine Rente brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Er würde noch ein bis zwei Jahre spielen, irgendwann würden sie ihn hier rausschmeißen. Keiner würde etwas über irreguläre Spielverläufe sagen, aber sie würden ihn mit argwöhnischen Augen beobachten und dann irgendwann im gegenseitigen Einvernehmen entlassen. Dann würde er noch ein Jahr in der zweiten Liga spielen, bis er genug zusammen hätte.
Was machten denn Johnson und Vollmer nur? Die drückten nach vorne. Er hatte fest damit gerechnet, dass das Team in den letzten Minuten zusammenbrechen würde. Die Vorbereitung war miserabel gewesen. Erst in den letzten zwei Wochen hatten sie Kondition gemacht, da war es schon viel zu spät. Aber die Jungs drückten und die anderen schienen sich einfach nicht befreien zu können. Es würde nicht gut kommen, wenn er dem Mann mit dem Koffer erklären müsste, dass es nicht geklappt hatte.
Und wieder einmal zeigte sich, dass die Sorge unbegründet war. Plötzlich schossen drei Pfeilspitzen in die eigene Hälfte: halbrechts, rechts und links außen. Kevin und er waren alleine. Um sicherzugehen orientierte er sich in die Mitte und deckte den Peruaner. Der Linksaußen kam an den Ball und knallte diesen aufs Tor. Keule streckte sich und lenkte den Ball an den Pfosten. Wie in Zeitlupe sah er ihn auf sich zukommen. Sein erster Instinkt war, den Ball einfach reinzumachen, doch das wäre zu auffällig. Hinter ihm kam Dominguez angelaufen. Er drehte sich weg und fiel hin, sodass Dominguez den Ball nur noch reinzumachen brauchte. Dann der Pfiff. Der Schiedsrichter pfiff Foul. Oh Gott, was für ein Schwachsinn. Doch Reiter beschimpfte den Peruaner vorsichtshalber noch ein bisschen. Beschwichtigend bewegte der Schiri seine Hände auf und ab. Dann blickte er auf die Uhr und ließ Reiter den Freistoß treten. So eine verdammte Scheiße, dachte Reiter. Das wird nichts mehr. Es halfen nur noch drastische Maßnahmen. Kevin stand links und er schob ihm den Ball zu. Zu langsam. Das musste selbst der Peruaner merken. Und er tat es. Drehte sich um und bewegte seine kleinen, dünnen Beine in Richtung Ball, rannte mit ihm auf das Tor zu und schob ihn in die linke, untere Ecke. Reiter schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fiel theatralisch auf die Knie. Im Stadion war es totenstill. Er kippte nach vorne über und schielte auf die jubelnden Spieler der gegnerischen Mannschaft. Das Tor wurde gegeben. 1:0 in der 93. Minute. Perfekt. Es war das perfekte Spiel, auch wenn das triumphierende Gesicht des Peruaners, der sich nun für den Größten hielt, nur schwer zu ertragen war. Es war perfekt. Er brauchte die Sicherheit. Es hatte nichts mit dem Kick zu tun.
Noch einhundert Meter. Dass Triumph und Demütigung so nah beieinanderliegen konnten. Noch vor zwei Minuten hatte er in der Jubeltraube gelegen, geherzt und gedrückt von seinen dreckigen, schweißnassen Mitspielern. Jetzt der Gang nach Canossa. Er sah die gierig glänzenden Augen der Reporter, ihre gesichtslosen Kameramänner dahinter, die ihre massiven Geräte wie Geschütze schwenkten. Er würde vorbeigehen. Kontaktsperre, oder so. Kein Kommentar. Danke, heute nicht.
Dieser Absturz von ganz oben. Genial hatte er das Spiel in seine Hand genommen, geleitet, geführt, wie ein Dirigent, nur noch schöner, noch geschickter, denn kein Dirigent spielt gegen ein anderes Orchester. Er war der Bernstein des Rasens. Rattle. Karajan. Der perfekte Sechser. Und heute hatte er seinem Können die Krone aufgesetzt, indem er zwei Tore gemacht hatte. Nur reden, das konnte er nicht. Wenn sich die Kamera auf ihn richtete, dann stockte ihm der Atem, dann leerte sich sein Sprachzentrum in ähnlicher Geschwindigkeit wie das Stadion jetzt nach dem Spiel. Er konnte nicht reden, hatte es nie gekonnt und war mittlerweile nicht nur zu einem genialen Mittelfeldregisseur geworden, sondern auch zu einem meisterhaften Vermeider von Interviews. Aber heute? Es sah schlecht aus. Sie glotzten schon zu ihm herüber. Er schluckte und fasste einen tollkühnen Entschluss.
Nein, er würde einfach hingehen und sich den Fragen stellen. Wie die anderen. Ein paar Plattitüden, der Mannschaft danken und so weiter. Wir haben das Spiel von Anfang an beherrscht, mein Anteil war auch nicht größer als der der anderen. Was war daran so schwer? Lächeln. An die Tore denken. Den Geruch des Rasens wahrnehmen. Lächeln.
Noch fünfzig Meter. Das Rudel mit den dicken Mikrofonen fixierte ihn bereits. Sie schwenkten ihre Oberkörper in seine Richtung. Sie schauten. Gierig, mit sabbernden Lefzen.
Seine Familie hatte einen Hund gehabt, damals, einen kleinen Terrier, der hatte beim Essen immer treudoof vor ihnen gesessen, ganz still, mit seinem herzerweichenden Blick. Dummes Tier, hatte der Vater gesagt, aber Benni fand ihn nicht dumm. Er brauchte nicht zu reden. Man wusste immer, was er wollte. Benni war mit ihm oft in den Wald gegangen. Der Schwanz hatte gewedelt, wenn das Stöckchen wurfbereit in seiner Hand lag. Es war einfach gewesen. Er lachte. Ja, er würde sich da hinstellen, treudoof gucken und treudoof mit dem Schwanz wedeln. Irgendwelche Fragen? Danke, tschüss.
Oder er würde einfach über die Tore reden. Wie der Ball in den Sechzehner fliegt und rausgehauen wird und er, Benni, genau da steht, in zentraler Position im Rückraum und alle drehen sich zu ihm um und schauen ihn an. Und hier auf dem Grün ist er der König, hier ist er allmächtig. Und wie die Zeit stehen bleibt und er sieht, dass sich vor ihm eine Lücke auftut. Er kann sich den Ball noch einmal zurechtlegen, ein kleiner Stoß mit dem Außenrist, fast eine zärtliche Berührung und dann zimmert er das Ding direkt in den Winkel. Höhenluft. Triumph. Das könnte er erzählen.
Noch zehn Meter und der Schweiß rinnt ihm über die Stirn. Der Trainer der gegnerischen Mannschaft wird vom Mann mit dem Mikro weggeschickt wie ein abgenutztes Spielzeug.
„Herr Bernstein, Herr Bernstein.“ Ich bin der Meisterdirigent. Ich habe keine Angst. Und so werden seine Schritte langsamer, obwohl er eigentlich immer noch entschlossen ist, einfach weiter zu gehen. Es ist fast, als würde er fremdbestimmt, als könne die geifernde Erwartung des Reporters, der ihm nun mit dem Arm zu sich zieht, seine Motorik beeinflussen.
„Benni Bernstein.“
Er hatte das Gras verlassen, sein Fundament, und stand nun auf dem Gummiboden des Innenbereichs.
„Sie haben dieses Spiel mit ihren zwei Toren in die entscheidende Richtung gelenkt, waren der überragende Spieler. Wie fühlen Sie sich?“
Er schaute den Mann, der in zittriger Erwartung vor ihm stand, in die Augen. Der Reporter schien tatsächlich erregt zu sein, aufgewühlt und Bennis Klumpen im Magen wuchs weiter an.
Wie gerne wäre er so wie dieser Mann, der mit dem bedrohlichen Mikrofon vor ihm stand. Jemand, der einfach reden kann, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was er sagt und wie er klingt. Jemand, der nicht stottert, stammelt oder – noch schlimmer – kein Wort herausbekommt. Es schien absurd angesichts ihrer extrem unterschiedlichen Gehaltsklassen. Aber Bernstein wäre gerne einfach nur ein Reporter gewesen, jemand, der im Hintergrund steht, geduldig wartet und dann wie ein Großwildjäger das Tier anvisiert und mit einem einzigen Schuss erlegt. Vielleicht war er, Bernstein, zwar der König der Savanne, ein Löwe, wild und gefährlich, aber dafür immer im Fadenkreuz des Zielfernrohrs.
Die Hand des Reporters zuckte, der Zeigefinger der rechten Hand, für die Kamera nicht sichtbar, bewegte sich hin und her, als wolle er ihm etwas sagen, als wäre dieser nun selber nervös. Wie hieß der Mann noch einmal? Bernstein kannte ihn. Er war, wie die meisten Fußballreporter, der Typ, der Begeisterung ausstrahlt, auch wenn auf dem Platz nur ein mittelmäßiger Kick stattfindet. Weinkrug. Das war es. Hatte schon einiges hinter sich, wie man hörte. Bernstein sah ihn an und konnte sich gut vorstellen, dass die beständige Euphorievermittlung an einem zehren musste. Er hatte als Schüler mal einen Jungen aus der Oberstufe bewundert, der immer gut drauf war und dazu noch immer freundlich. Irgendwann war er nicht mehr an der Schule und dann hieß es, dass er gekokst hätte.
Warum riss Weinkrug die Augenbrauen hoch? Und dann fiel es Benni ein: Die Frage. Er hatte die Frage vergessen.
„Was?“
„Wie fühlt man sich, wenn man der Matchwinner ist. Sie haben ja ein überragendes Spiel abgeliefert.“
Er schluckte. Dabei hatte er noch geübt. Er wusste, was sie hören wollten. Sein Manager hatte ihm die wichtigsten Dinge eingebläut, die Parameter der oberflächlichen Spielanalyse:
Ich identifiziere mich mit dem Verein.
Es war auch Glück im Spiel.
Die ganze Mannschaft hat zum Sieg beigetragen.
Die Mannschaft hat unglaublich gekämpft.
Wir haben den Sieg wohl etwas mehr gewollt.
Der Trainer hat die Mannschaft sehr gut eingestellt.
Die eigene Leistung war dabei nur ein kleiner Teil.
Die Wechselgerüchte sind aus der Luft gegriffen (was gleichbedeutend damit ist, dass es überhaupt Wechselgerüchte gibt, was wiederum den Preis hochtreibt).
Der Gegner hat es uns nicht leicht gemacht.
Die Mitspieler haben für den Sieg geackert.
Die Saison ist noch lang.
Der Erfolg ist der gesamten Mannschaft zuzuschreiben.
Aber welche Antwort passte jetzt? Und was war überhaupt die Frage gewesen? Nicht stottern, dachte er. Noch war alles gut. Noch war nichts verloren.
„Das ist ein Superverein hier. Ich fühle mich wohl in dieser Stadt.“
Er starrte Weinkrug an. Dieser starrte zurück.
„Äh gut. Ja. Also, wie ist das denn für Sie, wenn Sie so eine wunderbare Leistung abliefern? Schon einmal an Brasilien gedacht?“
„Wegen Urlaub?“
Weinkrug lachte laut los. Es war ein ekliges, überhebliches Lachen.
„Sie haben also noch nichts von Jogi gehört?“
Es dauerte eine Weile. Dann verstand er. Weinkrug sprach von der WM.
„An den Wechselgerüchten ist nichts dran.“
Bernstein merkte, dass ihm die Sache aus den Händen glitt, genau wie er befürchtet hatte. Das Wort „Weltmeisterschaft“ verwirrte seine Sinne zusätzlich. Er musste etwas sagen, er musste Demut ausdrücken, was absurd war, da er sich klein wie ein Wurm fühlte. Aber selbst Weinkrug wusste wohl nicht mehr, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er lächelte, aber ihm schien keine Frage mehr einzufallen. Benni wollte weg. Er musste das Thema wechseln.