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Dieses eBook: "Die Entstehung der Arten" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Darwin legte in diesem Werk zahlreiche Belege für seine Theorie vor, dass sich Tier- und Pflanzenarten durch natürliche Selektion im Laufe langer Zeiträume verändern und dass alle heute existierenden Lebewesen von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Bereits auf seiner Weltreise mit der HMS Beagle (1831–1836) hatte Darwin Belege für seine später als Darwinismus bezeichnete Evolutionstheorie gesammelt. Später vermehrte er seine Erkenntnisse durch Experimente und wissenschaftliche Korrespondenz. Im Verlauf der Geschichte der Biologie wurden unterschiedliche evolutionäre Konzepte entwickelt. Es gab zwar bei einzelnen Anatomen und in Teilen der Öffentlichkeit eine wachsende Unterstützung solcher Ideen, aber sie erschienen als spekulativ und wissenschaftlichen Methoden kaum zugänglich. Annahmen über eine Transmutation der Arten standen im Gegensatz zu der kirchlichen Lehre, dass die Arten unveränderliche Schöpfungswerke seien, die einen festen Platz in einer Scala Naturae hätten und der Mensch einzigartig und nicht verwandt mit dem Tierreich sei. Charles Darwin (1809-1882) war ein britischer Naturforscher. Er gilt wegen seiner wesentlichen Beiträge zur Evolutionstheorie als einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler.
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Inhaltsverzeichnis
Ich will hier versuchen, eine kurze und sehr unvollkommene Skizze von der Entwicklung der Meinungen über die Entstehung der Species zu geben. Die grosse Mehrzahl der Naturforscher hat geglaubt, Arten seyen unveränderliche Erzeugnisse und jede einzelne für sich erschaffen: diese Ansicht ist von vielen Schriftstellern mit Geschick vertheidigt worden. Nur wenige Naturforscher und Andre, welche aus der Naturgeschichte nie ein besonderes Studium gemacht, glauben dagegen, dass Arten einer Veränderung unterliegen, und dass die jetzigen Lebenformen durch wirkliche Zeugung aus andern früher vorhandenen Formen hervorgegangen sind. Abgesehen von den Schriftstellern der klassischen Periode, so wie von Demaillet und Buffon, mit deren Schriften ich nicht vertraut bin, war Lamarck der erste, dessen Meinung, dass Arten sich verändern, Aufsehen erregte. Dieser mit Recht gefeierte Naturforscher veröffentlichte seine Zoologie philosophique im Jahre 1809 und seine Einleitung in die Naturgeschichte der Wirbel-losen Thiere im Jahre 1815, in welchen Schriften er die Lehre von der Abstammung der Arten voneinander aufstellt. Er scheint hauptsächlich durch die Schwierigkeit Arten und Varietäten von einander zu unterscheiden, durch die fast ununterbrochene Stufenreihe der Formen in manchen Gruppen und durch die Analogie mit unsren Züchtungs-Erzeugnissen zu dieser Annahme geführt worden zu seyn. Was die Mittel betrifft, wodurch die Umwandlung der Arten in einander bewirkt werden, so schreibt er Einiges auf Rechnung der äusseren Lebens-Bedingungen, Einiges auf die einer Kreutzung der Formen und leitet das Meiste von dem Gebrauche und Nichtgebrauche der Organe oder der Wirkung der Gewohnheit ab. Dieser letzten Kraft scheint er all' die schönen Anpassungen in der Natur zuzuschreiben, wie z. B. den langen Hals der Giraffe, der sie in den Stand setzt, die Zweige grosser Bäume abzuweiden. Doch nahm er zugleich ein Gesetz fortschreitender Entwicklung an, und da hiernach alle Lebenformen fortzuschreiten gestrebt, so war er, um von dem Daseyn sehr einfacher Natur-Erzeugnisse auch in unsren Tagen Rechenschaft zu geben, noch eine Generatio spontanea zu Hülfe zu rufen genöthigt[2].
Geoffroy Saint-Hilaire vermuthete, wie sein Sohn in dessen Lebens-Beschreibung berichtet, schon ums Jahr 1795, dass unsre sogenannten Species nur Ausartungen eines und des nämlichen Typus seyen. Doch erst im Jahre 1828 veröffentlichte er seine Überzeugung[3], dass sich die Formen nicht in unveränderter Weise seit dem Anfang der Dinge fortgepflanzt haben. Geoffroy scheint die Ursache der Veränderungen hauptsächlich in dem „Monde ambiant“ gesucht zu haben. Doch war er vorsichtig in dieser Beziehung, und sein Sohn sagt: „C'est donc un problème à réserver entièrement à l'avenir, supposé, même, que l'avenir doive avoir prise sur lui“.
In England erklärte der Hochwürdige W. Herbert, nachheriger Dechant von Manchester, in seinem Werke über die Amaryllidaceae (1837, S. 1, 19, 339), es seye durch Horticultur-Versuche unwiderlegbar dargethan, dass Pflanzen-Arten nur eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten seyen. Er dehnt die nämliche Ansicht auch auf die Thiere aus. Der Dechant ist der Meinung, dass anfangs nur einzelne Arten jeder Sippe von einer sehr bildsamen Beschaffenheit geschaffen worden seyen, und dass diese sodann durch Kreutzung und Abänderung alle unsre jetzigen Arten erzeugt haben.
Im Jahre 1843 — 44 hat Professor Haldeman zu Boston in den Vereinten Staaten die Gründe für und gegen die Hypothese der Entwickelung und Umgestaltung der Arten in angemessener Weise zusammengestellt (im Journal of Natural History, vol. IV, p. 468) und scheint sich mehr zur Ansicht für die Veränderlichkeit zu neigen.
Die Vestiges of Creation sind zuerst 1844 erschienen. In der letzten oder zehnten und sehr verbesserten Ausgabe (1853, p. 155) sagt der ungenannte Verfasser: »das auf reichliche Erwägung gestützte Ergebniss ist, dass die verschiedenen Reihen beseelter Wesen von den einfachsten und ältesten an bis zu den höchsten und neuesten die unter Gottes Vorsehung gebildeten Erzeugnisse sind: 1) eines den Lebenformen ertheilten Impulses, der sie in abgemessenen Zeiten auf dem Wege der Generation von einer zur anderen Organisations-Stufe bis zu den höchsten Dikotyledonen und Wirbelthieren erhebt, — welche Stufen nur wenige an Zahl und gewöhnlich durch Lücken in der organischen Reihenfolge von einander geschieden sind, die eine praktische Schwierigkeit bei Ermittelung der Verwandtschaften abgeben; — 2) eines andren Impulses, welcher mit den Lebenskräften zusammenhängt und im Laufe der Generationen die organischen Gebilde in Übereinstimmung mit den äusseren Bedingungen, wie Nahrung, Wohnort und meteorische Kräfte, abzuändern strebt; Diess sind die »Anpassungen der Natural-Theologen«. Der Verfasser ist offenbar der Meinung, dass die Organisation sich durch plötzliche Sprünge vervollkommne, die Wirkungen der äusseren Lebens-Bedingungen aber stufenweise seyen. Er folgert mit grossem Nachdruck aus allgemeinen Gründen, dass Arten keine unveränderlichen Produkte seyen. Ich vermag jedoch nicht zu ersehen, wie die unterstellten zwei »Impulse« in einem wissenschaftlichen Sinne Rechenschaft geben können von den zahlreichen und schönen Anpassungen, welche wir allerwärts in der ganzen Natur erblicken; ich vermag nicht zu erkennen, dass wir dadurch zur Einsicht gelangen, wie z. B. die Organisation des Spechtes seiner besondern Lebensweise angepasst worden ist. Das Buch hat sich durch seinen glänzenden und hinreissenden Styl sofort eine sehr weite Verbreitung errungen, obwohl es in seinen früheren Auflagen ungenaue Kenntnisse und einen grossen Mangel an wissenschaftlicher Vorsicht verrieth. Nach meiner Meinung hat es vortreffliche Dienste dadurch geleistet, dass es in unsrem Lande die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand lenkte und Vorurtheile beseitigte.
Im Jahre 1846 veröffentlichte der Veterane unter den Geologen, d'Omalius d'Halloy, in einem vortrefflichen kurzen Aufsatze (im Bulletin de l'Académie Roy. de Bruxelles, Tome XIII, p. 581) seine Meinung, dass es wahrscheinlicher seye, dass neue Arten durch Descendenz mit Abänderung des alten Charakters hervorgebracht, als einzeln geschaffen worden seyen; er hatte diese Ansicht zuerst im Jahre 1831 aufgestellt.
Isidore Geoffroy St.-Hilaire spricht in seinen im Jahre 1850 gehaltenen Vorlesungen (von welchen ein Auszug in Revue et Magazin de Zoologie 1851, Jan. erschien) seine Meinung über Arten-Charaktere kürzlich dahin aus, dass sie »für jede Art feststehen, so lange als sich dieselbe in Mitten der nämlichen Verhältnisse fortpflanze, dass sie aber abändern, sobald die äusseren Lebens-Bedingungen wechseln«. Im Ganzen »zeigt die Beobachtung der wilden Thiere schon die beschränkte Veränderlichkeit der Arten. Die Versuche mit gezähmten wilden Thieren und mit verwilderten Hausthieren zeigen Diess noch deutlicher. Dieselben Versuche beweisen auch, dass die hervorgebrachten Verschiedenheiten vom Werthe derjenigen seyn können, durch welche wir Sippen unterscheiden«.
Herbert Spencer hat in einem Versuche (welcher zuerst im Leader vom März 1852 und später in Spencer'sEssays 1858 erschien) die Theorie der Schöpfung und die der Entwickelung organischer Wesen in vorzüglich geschickter und wirksamer Weise einander gegenübergestellt. Er folgert aus der Analogie mit den Züchtungs-Erzeugnissen, aus den Veränderungen welchen die Embryonen vieler Arten unterliegen, aus der Schwierigkeit Arten und Varietäten zu unterscheiden, so wie endlich aus dem Prinzip einer allgemeinen Stufenfolge in der Natur, dass Arten abgeändert worden sind, und schreibt diese Abänderung dem Wechsel der Umstände zu. Derselbe Verfasser hat 1855 die Psychologie nach dem Prinzip einer nothwendig stufenweisen Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit bearbeitet.
Im Jahre 1852 hat Naudin, ein ausgezeichneter Botaniker[4] (in der Revue horticole, p. 102) ausdrücklich erklärt, dass nach seiner Ansicht Arten in analoger Weise von der Natur, wie Varietäten durch die Kultur, gebildet worden seyen. Er zeigt aber nicht, wie die Züchtung in der Natur wirkt. Er nimmt wie Dechant Herbert an, dass die Arten anfangs bildsamer waren als jetzt, legt Gewicht auf sein sogenanntes Prinzip der Finalilät. eine unbestimmte geheimnissvolle Kraft, gleichbedeutend mit blinder Vorbestimmung für die Einen, mit Wille der Vorsehung für die Andern, durch deren unausgesetzten Einfluss auf die lebenden Wesen in allen Weltallern die Form, der Umfang und die Dauer eines jeden derselben je nach seiner Bestimmung in der Ordnung der Dinge, wozu es gehört, bedingt wird. Es ist diese Kraft, welche jedes Glied mit dem Ganzen in Harmonie bringt, indem sie dasselbe der Verrichtung anpasst, welche es im Gesammt-Organismus der Natur zu übernehmen hat, einer Verrichtung, welche für dasselbe Grund des Daseyns ist.
Im Jahre 1853 hat ein berühmter Geologe, Graf Keyserling (im Bulletin de la Soctiété géologique, tome X. p. 357) die Meinung vorgebracht, dass zu verschiedenen Zeiten eine Art Seuche durch irgend welches Miasma veranlasst, sich über die Erde verbreitet und auf die Keime der bereits vorhandenen Arten chemisch eingewirkt habe, indem sie dieselben mit irgend welchen Molecülen von besonderer Natur umgab und hiedurch die Entstehung neuer Formen veranlasste!
Die »Philosophie der Schöpfung« ist 1855 in bewundernswürdiger Weise durch den Hochwürdigen Baden-Powell (in seinen Essays on the Unity of Worlds) behandelt worden. Er zeigt auf die triftigste Weise, dass die Einführung neuer Arten »eine regelmässige und nicht eine zufällige Erscheinung« oder, wie Sir John Herschel es ausdrückt, »eine Natur- im Gegensatze einer Wunder-Erscheinung« ist. Ich glaube, dass das genannte Werk nicht verfehlt haben kann einen grossen Eindruck auf jeden philosophischen Geist zu machen.
Aufsätze von Herrn Wallace und mir selbst im dritten Theile des Journal of the Linnean Society (August 1858) stellen zuerst, wie in der Einleitung zu diesem Band gesagt wird, die Theorie der Natürlichen Züchtung auf.
Im Jahre 1859 hielt Professor Huxley einen Vortrag vor der Royal Institution über den bleibenden Typus des Thier - Lebens. In Bezug auf derartige Fälle bemerkt er: »Es ist schwierig die Bedeutung solcher Thatsachen zu begreifen, wenn wir voraussetzen, dass jede Pflanzen- und Thier-Art oder jeder grosse Organisations-Typus nach langen Zwischenzeiten durch je einen besondren Akt der Schöpfungs-Kraft gebildet und auf die Erd-Oberfläche versetzt worden seye; und man muss nicht vergessen, dass eine solche Annahme weder in der Tradition noch in der Offenbarung eine Stütze findet, wie sie denn auch der allgemeinen Analogie in der Natur zuwider ist. Betrachten wir anderseits die »persistenten Typen« in Bezug auf die Hypothese, wornach die zu irgend einer Zeit vorhandenen Wesen das Ergebniss allmählicher Abänderung schon früherer Wesen sind — eine Hypothese, welche, wenn auch unerwiesen und auf klägliche Weise von einigen ihrer Anhänger verkümmert, doch die einzige ist, der die Physiologie einigen Halt verleiht — so scheint das Daseyn dieser Typen zu zeigen, dass der Betrag von Abänderung, welche lebende Wesen während der geologischen Zeit erfahren haben, sehr gering ist im Vergleich zu der ganzen Reihe von Veränderungen, welchen sie ausgesetzt gewesen sind.«
Im November 1859 ist die erste Ausgabe dieses Werkes erschienen. Im Dezember 1839 veröffentlichte Dr. Hooker seine bewundernswürdige Einleitung in die Tasmanische Flora, in deren erstem Theile er die Entstehung der Arten durch Abkommenschaft und Umänderung von andern zugesteht und diese Lehre durch viele schätzbare Original-Beobachtungen unterstützt.
Fußnote
1 Eine Zugabe des Verfassers zur deutschen Übersetzung veranlasst durch die Bemerkungen des Übersetzers bei der ersten Anzeige dieser Schrift im N. Jahrbuch für Mineralogie 1860, 112. Sie ist datirt von Doun. Bromley, Kent, im Februar 1860.
2 Es ist sonderbar zu sehen, wie vollständig mein Grossvater Dr. Erasmus Darwin diese irrigen Ansichten schon in seiner Zoonomia (vol. I, pg. 500 - 510), welche im Jahre 1794 erschienen ist, antzipiert hat. D. Vf.
3 Bekanntlich kam er in der Akademie mehrmals zu heftigen Auftritten noch mit Cuvier, welcher die Beständigkeit der Species gegen ihn vertheidigte D. Übers.
4Lecoq, ein andrer französischer Botaniker, hält, wie ich glaube, ähnliche Ansichten über die Fortpflanzung und Umänderung der Arten fest. D. Vf.
Inhaltsverzeichnis
Als ich an Bord des Königlichen Schiffs »Beagle« als Naturforscher Südamerika erreichte, ward ich überrascht von der Wahrnehmung gewisser Thatsachen in der Vertheilung der Bewohner und in den geologischen Beziehungen zwischen der jetzigen und der früheren Bevölkerung dieses Welttheils. Diese Tatsachen schienen mir einiges Licht über die Entstehung der Arten zu verbreiten, diess Geheimniss der Geheimnisse, wie es einer unsrer grössten Philosophen genannt hat. Nach meiner Heimkehr im Jahre 1837 schien es mir, dass sich etwas über diese Frage müsse ermitteln lassen durch ein geduldiges Sammeln und Erwägen aller Arten von Thatsachen, welche möglicher Weise etwas zu deren Aufklärung beitragen könnten. Nachdem ich Diess fünf Jahre lang gethan, getraute ich mich erst eingehender über die Sache nachzusinnen und einige kurze Bemerkungen darüber niederzuschreiben, welche ich im Jahre 1844 weiter ausführte, indem ich die Schlussfolgerungen hinzufügte, welche sich mir als wahrscheinlich ergaben, und von dieser Zeit an war ich mit beharrlicher Verfolgung des Gegenstandes beschäftigt. Ich hoffe, dass man die Anführung dieser auf meine Person bezüglichen Einzelnheiten entschuldigen wird: sie sollen zeigen, dass ich nicht übereilt zu einem Entschlusse gelangt bin.
Mein Werk ist nun nahezu vollendet; aber ich will mir noch zwei oder drei weitre Jahre Zeit lassen um es zu ergänzen; und da meine Gesundheit keinesweges fest ist, so sah ich mich zur Veröffentlichung dieses Auszugs gedrängt. Ich sah mich noch um so mehr dazu veranlasst, als Herr Wallace, welcher jetzt die Naturgeschichte der Malayischen Inselwelt studirt, zu fast genau denselben allgemeinen Schlussfolgerungen über die Artenbildung gelangt ist. Letztes Jahr sandte er mir eine Abhandlung darüber mit der Bitte zu, sie Herrn Charles Lyell zuzustellen, welcher sie der Linnéischen Gesellschaft übersandte, in deren Journal sie nun im dritten Bande abgedruckt worden ist. Herr Lyell sowohl als Dr. Hooker, welche beide meine Arbeit kennen (der letzte hat meinen Entwurf von 1844 gelesen), beehrten mich indem sie den Wunsch ausdrückten, ich möge einen kurzen Auszug aus meinen Handschriften zugleich mit Wallace's Abhandlung veröffentlichen.
Dieser Auszug, welchen ich hiemit der Lesewelt vorlege, muss nothwendig unvollkommen seyn. Er kann keine Belege und Autoritäten für meine verschiedenen Feststellungen beibringen, und ich muss den Leser ansprechen einiges Vertrauen in meine Genauigkeit zu setzen. Zweifelsohne mögen Irrthümer mit untergelaufen seyn; doch glaube ich mich überall nur auf verlässige Autoritäten berufen zu haben. Ich kann hier überall nur die allgemeinen Schlussfolgerungen anführen, zu welchen ich gelangt bin, in Begleitung von nur wenigen erläuternden Thatsachen, die aber, wie ich hoffe, in den meisten Fällen genügen werden. Niemand kann mehr als ich selber die Notwendigkeit fühlen, alle Thatsachen, auf welche meine Schlussfolgerungen sich stützen, mit ihren Einzelnheiten bekannt zu machen, und ich hoffe Diess in einem künftigen Werke zu thun. Denn ich weiss wohl, dass kaum ein Punkt in diesem Buche zur Sprache kommt, zu welchem man nicht Thatsachen anführen könnte, die oft zu gerade entgegengesetzten Folgerungen zu führen scheinen. Ein richtiges Ergebniss lässt sich aber nur dadurch erlangen, dass man alle Erscheinungen und Gründe zusammenstellt, welche für und gegen jede einzelne Frage sprechen, und sie dann sorgfältig gegen einander abwägt, und Diess kann nicht wohl hier geschehen.
Ich muss bedauern nicht Raum zu finden, um so vielen Naturforschern meine Erkenntlichkeit für die Unterstützung auszudrücken, die sie mir, mitunter ihnen persönlich ganz unbekannt, in uneigennützigster Weise zu Theil werden liessen. Doch kann ich diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne wenigstens die grosse Verbindlichkeit anzuerkennen, welche ich Dr. Hooker'n dafür schulde, dass er mich in den letzten fünfzehn Jahren in jeder möglichen Weise durch seine reichen Kenntnisse und sein ausgezeichnetes Urtheil unterstützt hat.
Wenn ein Naturforscher über die Entstehung der Arten nachdenkt, so ist es wohl begreiflich, dass er in Erwägung der gegenseitigen Verwandtschafts-Verhältnisse der Organismen, ihrer embryonalen Beziehungen, ihrer geographischen Verbreitung, ihrer geologischen Aufeinanderfolge und andrer solcher Thatsachen zu dem Schlusse gelangen könne, dass jede Art nicht unabhängig von andern erschaffen seye, sondern nach der Weise der Varietäten von andern Arten abstamme. Demungeachtet dürfte eine solche Schlussfolgerung, selbst wenn sie richtig wäre, kein Genüge leisten, so lange nicht nachgewiesen werden kann, auf welche Weise die zahllosen Arten, welche jetzt unsre Erde bewohnen, so abgeändert worden seyen, dass sie die jetzige Vollkommenheit des Baues und der Anpassung für ihre jedesmaligen Lebens-Verhältnisse erlangten, welche mit Recht unsre Bewunderung erregen. Die Naturforscher verweisen beständig auf die äusseren Bedingungen, wie Klima, Nahrung u. s. w. als die einzig möglichen Ursachen ihrer Abänderung. In einem sehr beschränkten Sinne kann, wie wir später sehen werden, Diess wahr seyn. Aber es wäre verkehrt, lediglich äusseren Ursachen z. B. die Organisation des Spechtes, die Bildung seines Fusses, seines Schwanzes, seines Schnabels und seiner Zunge zuschreiben zu wollen, welche ihn so vorzüglich befähigen, Insekten unter der Rinde der Bäume hervorzuholen. Eben so wäre es verkehrt, bei der Mistel-Pflanze, die ihre Nahrung aus gewissen Bäumen zieht, und deren Saamen von gewissen Vögeln ausgestreut werden müssen, wie ihre Blüthen, welche getrennten Geschlechtes sind, die Thätigkeit gewisser Insekten zur Übertragung des Pollens von der männlichen auf die weibliche Blüthe voraussetzen, die organische Einrichtung dieses Parasiten mit seinen Beziehungen zu jenen verschiedenerlei organischen Wesen als eine Wirkung äussrer Ursachen oder der Gewohnheit oder des Willens der Pflanze selbst anzusehen.
Es ist daher von der grössten Wichtigkeit eine klare Einsicht in die Mittel zu gewinnen, durch welche solche Umänderungen und Anpassungen bewirkt werden. Beim Beginne meiner Beobachtungen schien es mir wahrscheinlich, dass ein sorgfältiges Studium der Hausthiere und Kultur-Pflanzen die beste Aussicht auf Lösung dieser schwierigen Aufgabe gewähren würde. Und ich habe mich nicht getäuscht, sondern habe in diesem wie in allen andern verwickelten Fällen immer gefunden, dass unsre Erfahrungen über die im gezähmten und angebauten Zustande erfolgenden Veränderungen der Lebenwesen immer den besten und sichersten Aufschluss gewähren. Ich stehe nicht an meine Überzeugung von dem hohen Werthe solcher von den Naturforschern gewöhnlich sehr vernachlässigten Studien auszudrücken.
Aus diesem Grunde widme ich denn auch das erste Kapitel dieses Auszugs der Abänderung im Kultur-Zustande. Wir werden daraus ersehen, dass erbliche Abänderungen in grosser Ausdehnung wenigstens möglich sind, und, was nicht minder wichtig, dass das Vermögen des Menschen, geringe Abänderungen durch deren ausschliessliche Auswahl zur Nachzucht, d. h. durch künstliche Züchtung[1] zu häufen, sehr beträchtlich ist. Ich werde dann zur Veränderlichkeit der Lebenwesen im Natur-Zustande übergehen; doch bin ich unglücklicher Weise genöthigt diesen Gegenstand viel zu kurz abzuthun, da er angemessen eigentlich nur durch Mittheilung langer Listen von Thatsachen behandelt werden kann. Wir werden demungeachtet im Stande seyn zu erörtern, was für Umstände die Abänderung am meisten befördern. Im nächsten Abschnitte soll der Kampf um's Daseyn unter den organischen Wesen der ganzen Welt abgehandelt werden, welcher unvermeidlich aus ihrem hoch geometrischen Zunahme-Vermögen hervorgeht. Es ist Diess die Lehre von Malthus auf das ganze Thier- und Pflanzen-Reich angewendet. Da viel mehr Einzelwesen jeder Art geboren werden, als fortleben können, und demzufolge das Ringen um Existenz beständig wiederkehren muss, so folgt daraus, dass ein Wesen, welches in irgend einer für dasselbe vortheilhaften Weise von den übrigen auch nur etwas abweicht, unter manchfachen und oft veränderlichen Lebens-Bedingungen mehr Aussicht auf Fortdauer hat und demnach bei der Natürlichen Züchtung im Vortheil ist. Eine solche zur Nachzucht ausgewählte Varietät strebt dann nach dem strengen Erblichkeits-Gesetze jedesmal seine neue und abgeänderte Form fortzupflanzen.
Diese Natürliche Züchtung ist ein Hauptgegenstand, welcher im vierten Kapitel etwas weitläufiger abgehandelt werden soll; und wir werden dann finden, wie die Natürliche Züchtung gewöhnlich die unvermeidliche Veranlassung zum Erlöschen minder geeigneter Lebenformen wird und herbeiführt, was ich Divergenz des Charakters[2] genannt habe. Im nächsten Abschnitte werden die zusammengesetzten und wenig bekannten Gesetze der Abänderung und der Wechselbeziehungen in der Entwickelung besprochen. In den vier folgenden Kapiteln sollen die auffälligsten und bedeutendsten Schwierigkeiten unsrer Theorie angegeben werden, und zwar erstens die Schwierigkeiten der Übergänge, oder wie es zu begreifen ist, dass ein einfaches Wesen oder Organ verwandelt und in ein höher entwickeltes Wesen oder ein höher ausgebildetes Organ umgestaltet werden kann; zweitens der Instinkt oder die geistigen Fähigkeiten der Thiere; drittens die Kreutzung oder die Unfruchtbarkeit der gekreutzten Species und die Fruchtbarkeit der gekreutzten Varietäten; und viertens die Unvollkommenheit der geologischen Urkunde. Im nächsten Abschnitte werde ich die geologische Aufeinanderfolge der Organismen in der Zeit betrachten; im eilften und zwölften deren geographische Verbreitung im Raume; im dreizehnten ihre Klassifikation und gegenseitigen Verwandtschaften im reifen wie im Embryo-Zustande. Im letzten Abschnitte endlich werde ich eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes des ganzen Werkes mit einigen Schluss-Bemerkungen geben.
Darüber, dass noch so Vieles über die Entstehung der Arten und Varietäten unerklärt bleibe, wird sich niemand wundern, wenn er unsre tiefe Unwissenheit hinsichtlich der Wechselbeziehungen all' der um uns her lebenden Wesen in Betracht zieht. Wie kann man erklären, dass eine Art in grosser Anzahl und weiter Verbreitung vorkömmt, während ihre nächste Verwandte selten und auf engen Raum beschränkt ist? Und doch sind diese Beziehungen von der höchsten Wichtigkeit, insoferne sie die gegenwärtige Wohlfahrt und, wie ich glaube das künftige Gedeihen und die Modifikation eines jeden Bewohners der Welt bedingen. Aber noch viel weniger Kenntniss haben wir von den Wechselbeziehungen der unzähligen Bewohner dieser Erde während der zahlreichen Perioden ihrer einstigen Bildungs-Geschichte. Wenn daher auch noch Vieles dunkel ist und noch lange dunkel bleiben wird, so zweifle ich nach den sorgfältigsten Studien und dem unbefangensten Urtheile, deren ich fähig bin, doch nicht daran, dass die Meinung, welche die meisten Naturforscher hegen und auch ich lange gehabt habe, als wäre nämlich jede Spezies unabhängig von den übrigen erschaffen worden, eine irrthümliche sey. Ich bin vollkommen überzeugt, dass die Arten nicht unveränderlich sind; dass die zu einer sogenannten Sippe [3] zusammengehörigen Arten in einer Linie von anderen gewöhnlich erloschenen Arten abstammen, in der nämlichen Weise, wie die anerkannten Varietäten einer Art Abkömmlinge dieser Species sind. Endlich bin ich überzeugt, dass Natürliche Züchtung das hauptsächlichste wenn auch nicht einzige Mittel zu Abänderung der Lebenformen gewesen ist.
Fußnote
1 Durch „Züchtung“ werde ich den stets wiederkehrenden Englischen Ausdruck „Selection“ übertragen, welcher in gegenwärtigem Sinne auch in England nicht gebräuchlich und desshalb dort angegriffen worden ist. Richtiger wäre wohl „Auswahl zur Züchtung“ gewesen, zumal bei der „Züchtung“ auch noch Anderes als die Auswahl der Zucht-Thiere allein in Betracht kommen kann, doch ist Diess von wohl nur untergeordnetem Interesse. Zuweilen entspricht jedoch eine Übersetzung etwa durch das neu zu bildende Wort „Zuchtwahl“ wirklich besser, insbesondre bei Übertragung des Ausdrucks „Sexual selection“.D. Übrs.
2 Analog mit derjenigen Erscheinung, welche in meinen Morphologischen Studien „Differenzirung der Organe“ genannt worden ist.D. Übrs.
3 Ich wähle das Oken'sche Wort „Sippe“ für Genus, weil das Deutsche Wort „Geschlecht“ seiner zweifachen Bedeutung wegen hier das Verständniss nicht selten erschweren würde. Leider besitzen wir keinen ähnlichen Ausweg, der Missdeutung des ebenfalls zweisinnigen Wortes „Art“ zu entgehen, welches bald für Species und bald für das Englische „Kind“ angewendet werden muss.D. Übers.
Inhaltsverzeichnis
Ursachen der Veränderlichkeit. Wirkungen der Gewohnheit. Wechselbeziehungen der Bildung. Erblichkeit. Charaktere kultivirter Varietäten. Schwierige Unterscheidung zwischen Varietäten und Arten. Entstehung kultivirter Varietäten von einer oder mehren Arten. Zahme Tauben, ihre Verschiedenheiten und Entstehung. Frühere Züchtung und ihre Folgen. Planmässige und unbewusste Züchtung. Unbekannter Ursprung unsrer kultivirten Rassen. Günstige Umstände für das Züchtungs-Vermögen des Menschen.
Wenn wir die Einzelwesen einer Varietät oder Untervarietät unsrer alten Kultur-Pflanzen und -Thiere betrachten, so ist einer der Punkte, die uns zuerst auffallen, dass sie im Allgemeinen mehr von einander abweichen, als die Einzelwesen einer Art oder Varietät im Natur-Zustande. Erwägen wir nun die grosse Manchfaltigkeit der Kultur-Pflanzen und -Thiere, welche sich zu allen Zeiten unter den verschiedensten Klimaten und Behandlungs-Weisen abgeändert haben, so glaube ich sind wir zum Schlusse gedrängt, dass diese grössere Veränderlichkeit unsrer Kultur-Erzeugnisse die Wirkung minder einförmiger und von den natürlichen der Stamm-Ältern etwas abweichender Lebens-Bedingungen ist. Auch hat, wie mir scheint, Andrew Knight's Meinung, dass diese Veränderlichkeit zum Theil mit überflüssiger Nahrung zusammenhänge, einige Wahrscheinlichkeit für sich. Es scheint ferner ganz klar zu seyn, dass die organischen Wesen einige Generationen hindurch neuen Lebens-Bedingungen ausgesetzt seyn müssen, ehe ein bemerkliches Maass von Veränderung in ihnen hervortreten kann, und dass, wenn ihre Organisation einmal abzuändern begonnen hat, diese Abänderung gewöhnlich durch viele Generationen fortwährt. Man kennt keinen Fall, dass ein veränderliches Wesen im Kultur-Zustande aufgehört hätte veränderlich zu seyn. Unsre ältesten Kultur-Pflanzen, wie der Weitzen z. B., geben oft noch neue Varietäten, und unsre ältesten Hausthiere sind noch immer rascher Umänderung oder Veredelung fähig.
Man hat darüber gestritten, in welchem Lebens-Alter die Ursachen der Abänderungen, worin sie immer bestehen mögen, wirksam zu seyn pflegen, ob in der ersten, oder in der letzten Zeit der Entwickelung des Embryos, oder im Augenblicke der Empfängniss. Geoffroy St. Hilaire's Versuche ergeben, dass eine unnatürliche Behandlung des Embryos Monstrositäten erzeuge, und Monstrositäten können durch keinerlei scharfe Grenzlinie von Varietäten unterschieden werden. Doch bin ich sehr zu vermuthen geneigt, dass die häufigste Ursache zur Abänderung in Einflüssen zu suchen seye, welche das männliche oder weibliche reproduktive Element schon vor dem Akte der Befruchtung erfahren hat. Ich habe verschiedene Gründe für diese Meinung; doch liegt der Hauptgrund in den bemerkenswerten Folgen, welche Einsperrung oder Anbau auf die Verrichtungen des reproduktiven Systemes äussern, indem nämlich dieses System viel empfänglicher für die Wirkung irgend eines Wechsels in den Lebens-Bedingungen als jeder andere Theil der Organisation zu seyn scheint. Nichts ist leichter, als ein Thier zu zähmen, und wenige Dinge sind schwieriger, als es in der Gefangenschaft zu einer freiwilligen Fortpflanzung zu veranlassen in den zahlreichen Fällen sogar, wo man Männchen und Weibchen bis zur Paarung bringt. Wie viele Thiere wollen sich nicht fortpflanzen, obwohl sie schon lange in nicht sehr enger Gefangenschaft in ihrer Heimath-Gegend leben! Man schreibt Diess gewöhnlich verdorbenen Naturtrieben zu; allein wie viele Kultur-Pflanzen gedeihen in der äussersten Kraft-Fülle, ohne jemals oder fast jemals Samen anzusetzen! In einigen wenigen solchen Fällen hat man herausgefunden, dass sehr unbedeutende Verhältnisse, wie etwas mehr oder weniger Wasser zu einer gewissen Zeit des Wachsthums für oder gegen die Samen-Bildung entscheidend wird. Ich kann hier nicht eingehen in die zahlreichen Einzelheiten, die ich über diese merkwürdige Frage gesammelt: um aber zu zeigen, wie eigenthümlich die Gesetze sind, welche die Fortpflanzung der Thiere in Gefangenschaft bedingen, will ich nur anführen, dass Raubtiere selbst aus den Tropen-Gegenden sich bei uns auch in Gefangenschaft ziemlich gerne fortpflanzen, doch mit Ausnahme der Sohlengänger oder der Bären-Familie, während Fleisch-fressende Vögel nur in den seltensten Fällen oder fast niemals fruchtbare Eier legen. Viele ausländische Pflanzen haben ganz werthlosen Pollen genau in demselben Zustande wie die meist unfruchtbaren Bastard-Pflanzen. Wenn wir auf der einen Seite Hausthiere und Kultur-Pflanzen oft selbst in schwachem und krankem Zustande sich in der Gefangenschaft ganz freiwillig fortpflanzen sehen, während auf der andern Seite jung eingefangene Individuen, vollkommen gezähmt, Geschlechts-reif und kräftig (wovon ich viele Beispiele anführen kann, in ihrem Reproduktiv-Systeme durch nicht wahrnehmbare Ursachen so angegriffen erscheinen, dass sie sich nicht zu befruchten vermögen, so dürfen wir uns um so weniger darüber wundern, wenn dieses System in der Gefangenschaft in nicht ganz regelmäßiger Weise wirkt und eine Nachkommenschaft erzeugt, welche den Ältern nicht vollkommen ähnlich oder welche veränderlich ist.
Man hat Unfruchtbarkeit als den Untergang des Gartenbaues bezeichnet; aber Variabilität entsteht aus derselben Ursache wie Sterilität, und Variabilität ist die Quelle all der ausgesuchtesten Erzeugnisse unserer Gärten. Ich möchte hinzufügen, dass, wenn einige Organismen (wie die in Kästen gehaltenen Kaninchen und Frettchen) sich unter den unnatürlichsten Verhältnissen fortpflanzen, Diess nur beweiset, dass ihr Reproduktions-System dadurch nicht angegriffen worden ist; und so widerstreben einige Thiere und Pflanzen der Veränderung durch Zähmung oder Kultur und erfahren nur sehr geringe Abänderung, vielleicht kaum eine stärkere als im Natur-Zustand.
Man könnte eine lange Liste von Spielpflanzen (Sporting plants) aufstellen, mit welchem Namen die Gärtner einzelne Knospen oder Sprossen bezeichnen, welche plötzlich einen neuen und von der übrigen Pflanze oft sehr abweichenden Charakter annehmen. Solche Knospen kann man durch Propfen und oft mittelst Samen fortpflanzen. Diese Spielpflanzen sind in der Natur ausserordentlich selten, im Kultur-Zustande aber nichts Ungewöhnliches, und wir sehen in diesem Falle, dass die abweichende Behandlung der Mutterpflanze die Knospe oder den Sprossen, nicht aber das Ei'chen oder den Pollen berührt hat. Die meisten Physiologen sind aber der Meinung, dass zwischen einer Knospe und einem Ei'chen auf ihrer ersten Bildungs-Stufe kein wesentlicher Unterschied ist, so dass die Spielpflanzen in der That meiner Meinung zur Stütze gereichen, dass die Veränderlichkeit grossentheils von Einflüssen herzuleiten seye, welche die Behandlung der Mutterpflanze auf das Ei'chen oder den Pollen oder auf beide schon vor dem Befruchtungs-Akte ausgeübt hat. Diese Fälle zeigen dann auch, dass Abänderung nicht, wie einige Autoren angenommen, nothwendig mit dem Generations-Akte zusammenhänge.
Sämlinge von derselben Frucht erzogen oder Junge von einem Wurfe weichen oft weit von einander ab, obwohl die Jungen und die Alten, wie Müller bemerkt, offenbar genau denselben Lebens-Bedingungen ausgesetzt gewesen; und es ergibt sich daraus, wie unerheblich die unmittelbaren Wirkungen der Lebens-Bedingungen im Vergleiche zu den Gesetzen der Reproduktion, der Wechselbeziehungen des Wachsthums und der Erblichkeit sind; denn wäre die Wirkung der Lebens-Bedingungen in dem Falle, wo nur ein Junges abändert, eine unmittelbare gewesen, so würden zweifelsohne alle Junge dieselben Abänderungen zeigen. Es ist sehr schwer zu beurtheilen, wie viel bei einer solchen Abänderung dem unmittelbaren Einflusse der Wärme, der Feuchtigkeit, des Lichtes und der Nahrung im Einzelnen zuzuschreiben seye; ich halte mich aber überzeugt, dass solche Kräfte bei Thieren nur sehr wenig unmittelbaren Erfolg haben können, während derselbe bei Pflanzen offenbar grösser ist. In dieser Beziehung sind Buckman's neuere Versuche mit Pflanzen von grossem Werthe. Wenn alle oder fast alle Einzelnwesen, welche den nämlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen, auch auf dieselbe Weise abgeändert werden, so scheint diese Wirkung anfangs jenen Einflüssen unmittelbar zugeschrieben werden zu müssen; es lässt sich aber in einigen Fällen nachweisen, dass ganz entgegengesetzte Bedingungen ähnliche Veränderungen des Baues bewirken können. Demungeachtet glaube ich, dass ein kleiner Betrag der stattfindenden Umänderung der unmittelbaren Einwirkung der Lebens-Bedingungen zugeschrieben werden kann, wie in einigen Fällen die veränderte Grösse von der Nahrungs-Menge, die Färbung von besonderen Arten der Nahrung und vom Lichte, und vielleicht die Dichte des Pelzes vom Klima ableitbar ist.
Auch Gewöhnung hat einen entschiedenen Einfluss, wie die Versetzung von Pflanzen aus einem Klima ins andere deren Blüthe - Zeit ändert. Bei Thieren ist er bemerkbarer; ich habe bei der Haus-Ente gefunden, dass die Flügel-Knochen leichter und die Bein-Knochen schwerer im Verhältniss zum ganzen Skelette sind als bei der wilden Ente; und ich glaube, dass man diese Veränderung getrost dem Umstände zuschreiben kann, dass die zahme Ente weniger fliegt und mehr geht, als bei dieser Enten-Art in ihrem wilden Zustande der Fall ist. Die erbliche stärkere Entwicklung der Euter bei Kühen und Geisen in solchen Gegenden, wo sie regelmässig gemelkt werden, im Verhältnisse zu andern, wo es nicht der Fall, ist ein anderer Beleg dafür. Es gibt keine Art von Haus - Säugethieren, welche nicht in dieser oder jener Gegend hängende Ohren hätte, und so ist die Meinung, die irgend ein Schriftsteller geäussert, dass dieses Hängendwerden der Ohren vorn Nichtgebrauch der Ohr-Muskeln herrühre, weil das Thier sich nicht mehr durch drohende Gefahren beunruhigt fühle, ganz wahrscheinlich.
Es gibt nun viele Gesetze, welche die Veränderungen regeln, von welchen einige wenige sich dunkel erkennen lassen, und die nachher noch kürzlich erwähnt werden sollen. Hier will ich nur anführen, was man Wechselbeziehung der Entwicklung nennen kann. Eine Veränderung in Embryo oder Larve wird sicherlich meistens auch Veränderungen im reifen Thiere nach sich ziehen. Bei Monstrositäten sind die Wechselbeziehungen zwischen ganz verschiedenen Theilen des Körpers sehr sonderbar, und Isidore Geoffroy St.-Hilaire führt davon viele Belege in seinem grossen Werke an. Viehzüchter glauben, dass verlängerte Beine gewöhnlich auch von einem verlängerten Kopfe begleitet sind. Einige Beispiele erscheinen ganz wunderlicher Art; so, dass Katzen mit blauen Augen allezeit taub sind. Farbe und Eigenthümlichkeiten der Konstitution sind mit einander in Verbindung, wovon sich viele merkwürdige Falle bei Pflanzen und Thieren anführen lassen. Aus den von Heusinger gesammelten Thatsachen geht hervor, dass weisse Schaafe und Schweine von gewissen Pflanzen-Giften ganz anders als die dunkel-farbigen berührt werden. Unbehaarte Hunde haben unvollkommene Zähne; lang- und grob-haarige Thiere sollen geneigter seyn, lange und viele Hörner zu bekommen: Tauben mit Federfussen haben eine Haut zwischen ihren äußeren Zehen; kurzschnabelige Tauben haben kleine Füsse, und die mit langen Schnäbeln auch lange Füsse. Wenn man daher durch Auswahl geeigneter Individuen von Pflanzen und Thieren für die Nachzucht irgend eine Eigenthümlichkeit derselben zu steigeren gedenkt, so wird man gewiss meistens, ohne es zu wollen, diesen geheinmissvollen Wechselbeziehungen der Entwickelung gemäss noch andre Theile der Struktur mit abändern. Das Ergebniss der mancherlei entweder ganz unbekannten oder nur dunkel sichtbaren Gesetzen der Variation ist ausserordentlich zusammengesetzt und vielfältig. Es ist wohl der Mühe werth die verschiedenen Abhandlungen über unsre alten Kultur-Pflanzen, wie Hyazinthen, Kartoffeln, Dahlien u. s. w. sorgfältig zu studiren und von der endlosen Menge von Verschiedenheiten in Bau und Lebensäusserung Kenntniss zu nehmen, durch welche alle diese Varietäten und Subvarietäten von einander abweichen. Ihre ganze Organisation scheint bildsam geworden zu seyn. um bald in dieser und bald in jener Richtung sich etwas von dem älterlichen Typus zu entfernen.
Nicht-erbliche Abänderungen sind für uns ohne Bedeutung. Aber schon die Zahl und Manchfaltigkeit der erblichen Abweichungen in dem Bau des Körpers, sey es von geringerer oder von beträchtlicher physiologischer Wichtigkeit, ist endlos. Dr. Prosper Lucas' Abhandlung in zwei starken Bänden ist das Beste und Vollständigste, was man darüber hat. Kein Viehzüchter ist darüber in Zweifel, dass die Neigung zur Vererbung sehr gross ist: Gleiches erzeugt Gleiches ist sein Grund-Glaube, und nur theoretische Schriftsteller haben dagegen Zweifel erhoben. Wenn irgend eine Abweichung öfters zum Vorschein kommt und wir sie in Vater und Kind sehen, so können wir nicht sagen, ob sie nicht etwa von einerlei Grundursache herrühre, die auf beide gewirkt habe. Wenn aber unter Einzelwesen einer Art, welche offenbar denselben Bedingungen ausgesetzt sind, irgend eine seltene Abänderung in Folge eines ausserordentlichen Zusammentreffens von Umständen an einem Vater zum Vorschein kommt — an einem unter mehren Millionen — und dann am Kinde wieder erscheint, so nöthigt uns schon die Wahrscheinlichkeit diese Wiederkehr aus der Erblichkeit zu erklären. Jedermann hat schon von Fällen gehört, wo so seltene Erscheinungen, wie Albinismus, Stachelhaut, ganz behaarter Körper u. dgl. bei mehren Gliedern einer und der nämlichen Familie vorgekommen sind. Wenn aber so seltene und fremdartige Abweichungen der Körper-Bildung sich wirklich vererben, so werden minder fremdartige und ungewöhnliche Abänderungen um so mehr als erbliche zugestanden werden müssen. Ja vielleicht wäre die richtigste Art die Sache anzusehen die, dass man jedweden Charakter als erblich und die Nichterblichkeit als Ausnahme betrachtete.
Die Gesetze, welche die Erblichkeit regeln, sind gänzlich unbekannt, und niemand vermag zu sagen, wie es komme, dass dieselbe Eigenthümlichkeit in verschiedenen Individuen einer Art und in Einzelwesen verschiedener [?]-Arten zuweilen erblich ist und zuweilen es nicht ist; wie es komme, dass das Kind zuweilen zu gewissen Charakteren des Grossvaters oder der Grossmutter oder noch früherer Vorfahren zurückkehre; wie es komme, dass eine Eigenthümlichkeit sich oft von einem Geschlechte auf beide Geschlechter übertrage, oder sich auf eines und zwar dasselbe Geschlecht beschränke. Es ist eine Thatsache von nur geringer Wichtigkeit für uns, dass eigenthümliche Merkmale, welche an den Männchen unsrer Hausthiere zum Vorschein kommen, ausschliesslich oder doch vorzugsweise wieder nur auf männliche Nachkommen übergehen. Eine wichtigere und wie ich glaube verlässige Erscheinung ist die, dass, in welcher Periode des Lebens sich die abweichende Bildung zeigen möge, sie auch in der Nachkommenschaft immer in dem entsprechenden Alter, oder zuweilen wohl früher, zum Vorschein kommt. In vielen Fällen ist Diess nicht anders möglich, weil die erblichen Eigenthümlichkeiten z. B. in den Hörnern des Rindviehs an den Nachkommen sich erst im reifen Aller zeigen können: und eben so gibt es bekanntlich Eigenthümlichkeiten des Seidenwurms, die nur den Raupen- oder den Puppen-Zustand betreffen. Aber erbliche Krankheiten u. e. a. Thatsachen veranlassen mich zu glauben, dass die Regel eine weitere, Ausdehnung hat, und dass selbst da, wo kein offenbarer Grund für das Erscheinen einer Abänderung in einem bestimmten Aller vorliegt, doch das Stieben vorherrscht, auch am Nachkommen in dem gleichen Lebens-Abschnitte sich zu zeigen, wo sie an dem Vorfahren erstmals eingetreten ist. Ich glaube, dass diese Regel von der grössten Wichtigkeit für die Erklärung der Gesetze der Embryologie ist. Diese Bemerkungen beziehen sich übrigens auf das erste Sichtbarwerden der Eigenthümlichkeit, und nicht auf ihre erste Veranlassung, die vielleicht schon in dem männlichen oder weiblichen Zeugungsstoff liegen kann, in der Weise etwa, wie der aus der Kreutzung einer kurz-hornigen Kuh und eines langhörnigen Bullen hervorgegangene Sprössling die grössre Länge seiner Hörner erst spät im Leben zeigen kann, obwohl die erste Ursache dazu schon im Zeugungsstoff des Vaters liegt.
Ich habe des Falles der Rückkehr zur grossälterlichen Bildung erwähnt und in dieser Beziehung noch anzuführen, dass die Naturforscher oft behaupten, unsre Hausthier-Rassen nähmen, wenn sie verwilderten, zwar nur allmählich, aber doch gewiss, wieder den Charakter ihrer wilden Stammältern an, woraus man dann geschlossen hat, dass Folgerungen von zahmen Rassen auf die Arten in ihrem Natur-Zustande nicht zulässig seyen. Ich habe jedoch vergeblich auszumitteln gestrebt, auf was für entscheidende Thatsachen sich jene so oft und so bestimmt wiederholte Behauptung stütze. Es möchte sehr schwer sein, ihre Richtigkeit nachzuweisen; denn wir können mit Sicherheit sagen, dass sehr viele der ausgeprägtesten zahmen Varietäten im wilden Zustande gar nicht leben könnten. In vielen Fällen kennen wir nicht einmal den Urstamm und vermögen uns daher noch weniger zu vergewissern, ob eine vollständige Rückkehr eingetreten ist oder nicht. Jedenfalls würde, um die Folgen der Kreutzung zu vermeiden, nöthig seyn, dass nur eine einzelne Varietät in die Freiheit zurückversetzt werde. Ungeachtet aber unsre Varietäten gewiss in einzelnen Merkmalen zuweilen zu ihren Urformen zurückhehren, so scheint mir doch nicht unwahrscheinlich, dass, wenn man die verschiedenen Abarten des Kohls z. B. einige Generationen hindurch in einem ganz armen Boden zu naturalisiren fortführe (in welchem Falle dann allerdings ein Theil des Erfolges der unmittelbaren Wirkung des Bodens zuzuschreiben wäre), dieselben ganz oder fast ganz wieder ihre wilde Urform annehmen würden. Ob der Versuch nun gelinge oder nicht, ist für unsere Folgerungs-Reihe ohne grosse Erheblichkeit, weil durch den Versuch selber die Lebens-Bedingungen geändert werden. Liesse sich beweisen, dass unsre kultivirten Rassen eine starke Neigung zur Rückkehr, d. h. zur Ablegung der angenommenen Merkmale an den Tag legten, wenn sie unter unveränderten Bedingungen und in beträchtlichen Massen beisammen gehalten würden, so dass freie Kreutzung etwaige geringe Abweichungen der Struktur in Folge ihrer Durcheinandermischung verhütete, — in diesem Falle wollte ich zugeben, dass sich aus den zahmen Varietäten nichts hinsichtlich der Arten folgern lasse. Aber es ist nicht ein Schatten von Beweis zu Gunsten dieser Meinung vorhanden. Die Behauptung, dass sich unsere Wagen- und Rasse-Pferde, unsre lang- und kurz-hornigen Rinder, unsre manchfaltigen Federvieh-Sorten und Nahrungs-Gewächse nicht eine fast endlose Zahl von Generationen hindurch fortpflanzen lassen, wäre aller Erfahrung entgegen. Ich will noch hinzufügen, dass, wenn im Natur-Zustande die Lebens-Bedingungen wechseln, Abänderungen und Rückkehr des Charakters wahrscheinlich eintreten werden; aber die Natürliche Züchtung würde, wie nachher gezeigt werden soll, bestimmen, wie weit die hieraus hervorgehenden neuen Charaktere erhalten bleiben.
Wenn wir die erblichen Varietäten oder Rassen unsrer Haus-Thiere und Kultur-Gewächse betrachten und dieselben mit einander nahe verwandten Arten vergleichen, so finden wir in jeder zahmern Rasse, wie schon bemerkt worden, eine geringere (Übereinstimmung des Charakters, als bei ächten Arten. Auch haben zahme Rassen von derselben Thier Art oft einen etwas monströsen Charakter, womit ich sagen will, dass, wenn sie sich auch von einander und von den übrigen Arten derselben Sippe in mehren wichtigen Punkten unterscheiden, sie doch oft im äussersten Grade in irgend einem einzelnen Theile sowohl von den andern Varietäten als insbesondere von den übrigen nächstverwandten Arten derselben Sippe zurückweichen. Diese Fälle (und die der vollkommenen Fruchtbarkeit gekreutzter Varietäten einer Art. wovon nachher die Rede seyn soll) ausgenommen, weichen die kultivirten Rassen einer und derselben Spezies in gleicher Weise, nur gewöhnlich in geringerem Grade, von einander ab. wie die einander nächst verwandten Arten derselben Sippe im Natur-Zustande. Ich glaube, man wird Diess zugeben, wenn man findet. dass es kaum irgend-welche gepflegte Rassen unter den Thieren wie unter den Pflanzen gibt, die nicht schon von einigen urteilsfähigen Richtern als wirkliche Varietäten und von andern ebenfalls sachkundigen Beurtheilern als Abkömmlinge einer ursprünglich verschiedenen Art erklärt worden wären. Gäbe es irgend einen bestimmten Unterschied zwischen kultivirten Rassen und Arten, so könnten dergleichen Zweifel nicht so oft wiederkehren. Oft hat man versichert, dass gepflegte Rassen nicht in Sippen-Charakteren von einander abweichen. Ich glaube zwar, dass sich diese Behauptung als irrig erweisen lässt: doch gehen die Meinungen der Naturforscher weit auseinander, wenn sie sagen sollen, worin Sippen-Charaktere bestehen , da alle solche Werthungen nur empirisch sind. Überdiess werden wir nach der Ansicht von der Entstehung der Sippen, die ich jetzt aufstellen will, kein Recht haben zur Erwartung, bei unseren Kultur-Erzeugnissen oft auf Sippen-Verschiedenheiten zu stossen. Wenn wir den Betrag der Struktur-Verschiedenheiten zwischen den gepflegten Rassen von einer Art zu schätzen versuchen, so werden wir bald dadurch in Zweifel versetzt, dass wir nicht wissen, ob dieselben von einer oder von mehren älterlichen Arten abstammen. Es wäre von Interesse, wenn sich diese Frage aufklären, wenn sich z. B. nachweisen liesse, ob das Windspiel, der Schweisshund, der Dachshund, der Jagdhund und der Bullenbeisser, welche sich so genau in ihrer Form fortpflanzen, Abkömmlinge von nur einer Stamm-Art seyen? Denn solche Thatsachen würden sehr geeignet seyn unsre Zweifel zu erregen über die Unveränderlichkeit der vielen einander sehr nahe stehenden natürlichen Arten der Füchse z. B., die so ganz verschiedene Weltgegenden bewohnen. Ich glaube nicht, dass wir jetzt im Stande sind zu erkennen, ob alle unsre Hunde von einer wilden Stamm-Art herkommen, obwohl Diess bei einigen andren Hausthier-Rassen wahrscheinlich oder sogar genau nachweisbar ist.
Es ist oft angenommen worden, der Mensch habe sich solche Pflanzen- und Tier-Arten zur Zähmung ausgewählt, welche ein angeborenes ausserordentlich starkes Vermögen abzuändern und in verschiedenen Klimaten auszudauern besäßen. Ich will nicht bestreiten, dass diese Fähigkeiten viel zum Werthe unsrer meisten Kultur-Erzeugnisse beigetragen haben. Aber wie vermochte ein Wilder zu wissen, als er ein Thier zu zähmen begann, ob dasselbe in folgenden Generationen zu variiren geneigt und in anderen Klimaten auszudauern vermögend seyn werde ? Oder hat die geringe Veränderlichkeit des Esels und des Perlhuhns, das geringe Ausdaurungs-Vermögen des Rennthiers in der Wärme und des Kameels in der Kälte ihre Zähmung gehindert? Ich hege keinen Zweifel, dass, wenn man andre Pflanzen- und Thier-Arten in gleicher Anzahl wie unsre gepflegten Rassen und aus ebenso verschiedenen Klassen und Gegenden ihrem Natur-Zustande entnähme und eine gleich lange Reihe von Generationen hindurch im zahmen Zustande fortpflanzte, sie in gleichem Umfange variiren würden, wie es unsre jetzt schon kultivirten Arten thun.
In Bezug auf die meisten unsrer längst gepflegten Pflanzen- und Thier-Rassen halte ich es nicht für möglich zu einem bestimmten Ergebniss darüber zu gelangen, ob sie von einer oder von mehren Arten abstammen. Die Anhänger der Lehre von einem mehrfältigen Ursprung unserer Rassen berufen sich hauptsächlich darauf. dass schon die ältesten geschichtlichen Nachrichten und insbesondere die Ägyptischen Denkmäler von einer grossen Verschiedenheit der Rassen Zeugniss geben, und dass einige derselben mit unseren jetzigen bereits die grösste Ähnlichkeit haben, wenn nicht gänzlich übereinstimmen. Wäre über diese Thatsache auch besser begründet, als sie es zu seyn scheint, so würde sie doch nichts anderes beweisen, als dass eine oder die andre unsrer Rassen dort vor vier bis fünf Tausend Jahren entstanden ist. Doch Horner's Untersuchungen haben es einigermassen wahrscheinlich gemacht, dass Menschen, schon hinreichend zivilisirt um Töpfer-Waaren zu fertigen, das Nil-Thal seit bereits 13 — 14 Tausend Jahren bewohnen; und wer mochte behaupten, dass nicht schon sehr lange vor dieser Zeit Wilde auf der Kultur-Stufe der jetzigen Feuerländer oder Australier, die ebenfalls einen halb-gezähmten Hund besitzen, in Ägypten gelebt haben können?
Obwohl ich glaube, dass die ganze Frage unentschieden bleiben muss, so will ich doch, ohne in Einzelnheiten einzugehen, hier erklären, dass es mir nach geographischen und anderen Betrachtungen sehr wahrscheinlich ist. dass unser Haushund von mehren wilden Arten abstamme. In Bezug auf Schaf und Ziege vermag ich mir keine Meinung zu bilden. Nach den mir von Blyth über die Lebens-Weise, Stimme, Konstitution u. s. w. des Indischen Höckerochsen mitgetheilten Thatsachen sollte ich denken, dass er von einer anderen Art als unser Europäisches Kind herstammen müsse, welches manche sachkundige Beurtheiler von mehrfachen Stamm-Arten ableiten wollen. Hinsichtlich des Pferdes bin ich aus Gründen, die ich hier nicht entwickeln kann, mit einigen Zweifeln gegen die Meinung einiger Schriftsteller anzunehmen geneigt, dass alle seine Rassen nur von einem wilden Stamme herrühren. Blyth, dessen Meinung ich seiner reichen und manchfaltigen Kenntnisse wegen in dieser Beziehung höher als fast eines jeden Andern anschlagen muss, glaubt dass alle unsre Hühner-Varietäten vom gemeinen Indischen Huhn (Gallus Bankiva) herkommen. In Bezug auf Enten und Stall-Hasen, deren Rassen in ihrem Körper-Bau beträchtlich von einander abweichen, zweifle ich nicht, dass sie alle von der gemeinen Wild-Ente und dem Kaninchen stammen.
Die Lehre der Abstammung unsrer verschiedenen Hausthier-Rassen von verschiedenen wilden Stamm-Arten ist von einigen Schriftstellern bis zu einem abgeschmackten Extreme getrieben worden. Sie glauben nämlich, dass jede wenn auch noch so wenig verschiedene Rasse, welche ihren unterscheidenden Charakter durch Inzucht bewahrt, auch ihre wilde Stamm-Form gehabt habe. Dann müsste es eine ganze Menge wilder Rinds-, viele Schaaf- und einige Geisen-Arten in Europa und mehre selbst schon innerhalb Grossbritannien gegeben haben. Ein Autor meint, es hätten ehedem eilf wilde und dem Lande eigenthümliche Schaaf-Arten dort gelebt. Wenn wir nun erwägen, dass Britannien jetzt kaum eine ihm eigenthümliche Säugethier-Art, Frankreich nur sehr wenige nicht auch in Deutschland vorkommende, und umgekehrt, besitze, dass es sich eben so mit Ungarn, Spanien u. s. w. verhalte, dass aber jedes dieser Königreiche mehre ihm eigene Rassen von Rind, Schaaf u. s. w. darbiete, so müssen wir zugeben, dass in Europa viele Hausthier-Stämme entstanden sind; denn von woher sollen alle gekommen seyn, da keines dieser Länder so viele eigenthümliche Arten als abweichende Stamm-Rassen besitzt? Und so ist es auch in Ostindien. Selbst in Bezug auf die Haushunde der ganzen Welt kann ich, obwohl ich ihre Abstammung von mehren verschiedenen Arten ganz wahrscheinlich finde, nicht in Zweifel ziehen, dass da ein unermesslicher Betrag vererblicher Abweichungen vorhanden gewesen ist. Denn wer kann glauben, dass Thiere nahezu übereinstimmend mit dem Italienischen Windspiel, mit dem Schweisshund, mit dem Bullenbeisser, mit dem Blenheimer Jagdhund und so abweichend von allen wilden Caniden. jemals frei im Naturzustände gelebt hätten. Es ist oft hingeworfen worden, alle unsre Hunde-Rassen seyen durch Kreutzung einiger weniger Stamm-Arten miteinander entstanden: aber Kreutzung kann nur solche Formen liefern, welche mehr oder weniger das Mittel zwischen ihren Ältern halten, und gingen wir von dieser Erfahrung bei unsern zahmen Rassen aus, so müssten wir annehmen, dass einstens die äussersten Formen des Windspiels, des Schweisshundes, des Bullenbeissers u. s. w. im wilden Zustande gelebt hätten. Überdiess ist die Möglichkeit, durch Kreutzung verschiedene Rassen zu bilden, sehr übertrieben worden. Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass eine Rasse durch gelegentliche Kreutzung mittelst sorgfältiger Auswahl der Blendlinge, welche irgend einen bezweckten Charakter darbieten, sich bedeutend modifiziren lässt, so kann ich doch kaum glauben, dass man eine nahezu das Mittel zwischen zwei weit verschiedenen Rassen oder Arten haltende Rasse zu züchten im Stande ist. Sir J. Sebright hat absichtliche Versuche in dieser Beziehung angestellt und keinen Erfolg erlangt. Die Nachkommenschaft aus der ersten Kreutzung zwischen zwei reinen Rassen ist erträglich und zuweilen, wie ich bei Tauben gefunden, ausserordentlich einförmig, und Alles scheint einfach genug. Werden aber diese Blendlinge einige Generationen hindurch unter einander gepaart, so werden kaum zwei ihrer Nachkommen mehr einander ähnlich ausfallen, und dann wird die äusserste Schwierigkeit oder vielmehr gänzliche Hoffnungslosigkeit des Erfolges klar. Gewiss kann eine Mittel-Rasse zwischen zwei sehr verschiedenen reinen Rassen nicht ohne die äusserste Sorgfalt und eine lang fortgesetzte Wahl der Zuchtthiere gebildet werden, und ich finde nicht einen Fall berichtet, wo dadurch eine bleibende Rasse erzielt worden wäre.
Züchtung der Haus-Tauben.) Von der Ansicht aus gehend, dass es am zweckmässigsten seye, irgend eine besondere Thier-Gruppe zum Gegenstande der Forschung zu machen, habe ich mir nach einiger Erwägung die Haus-Tauben dazu ausersehen. Ich habe alle Rassen gehalten, die ich mir verschaffen konnte, und bin auf die freundlichste Weise mit Exemplaren aus verschiedenen Welt-Gegenden bedacht worden, insbesondere durch den ehrenwerthen W. Elliot aus Ostindien und den ehrenwerthen C. Murray aus Persien. Es sind viele Abhandlungen in verschiedenen Sprachen veröffentlicht worden und einige darunter durch ihr ansehnliches Alter von besonderer Wichtigkeit. Ich habe mich mit einigen ausgezeichneten Tauben-Liebhabern verbunden und mich in zwei Londoner Tauben-Clubs aufnehmen lassen. Die Verschiedenheit der Rassen ist oft erstaunlich gross. Man vergleiche z. B. die Englische Botentaube und den kurzstirnigen Purzler und betrachte die wunderbare Verschiedenheit in ihren Schnäbeln, welche entsprechende Verschiedenheiten in ihren Schädeln bedingt. Die Englische Rotentaube (Carrier) und insbesondere das Männchen ist noch bemerkenswerth durch die wundervolle Entwickelung von Fleischlappen an der Kopfhaut, die mächtig verlängerten Augenlider, sehr weite äussere Nasenlöcher und einen weitklaffenden Mund. Der kurzstirnige Purzler hat einen Schnabel, im Profil[WS 1] fast wie beim Finken: und die gemeine Purzel-Taube hat die eigenthümliche und streng erbliche Gewohnheit, sich in dichten Gruppen zu ansehnlicher Höhe in die Luft zu erheben und dann Kopfüber herabzupurzeln. Die Runt-Taube ist von beträchtlicher Grösse mit langem massigem Schnabel und grossen Füssen; einige Unterrassen derselben haben einen sehr langen Hals, andre sehr lange Schwingen und Schwanz, noch andre einen ganz eigenthümlich kurzen Schwanz. Der »Barb« ist mit der Botentaube verwandt, hat aber, statt des sehr langen, einen sehr kurzen und breiten Schnabel. Der Kröpfer hat Körper, Flügel und Beine sehr verlängert, und sein ungeheuer entwickelter Kropf, den er sich aufzublähen gefällt, mag wohl Verwunderung und selbst Lachen erregen. Die Möventaube (Turbit) besitzt einen sehr kurzen kegelförmigen Schnabel, mit einer Reihe umgewendeter Federn auf der Brust, und hat die Sitte den oberen Theil des Schlundes beständig etwas auszubreiten. Der Jakobiner oder die Perückentaube hat die Nacken-Federn so aufgerichtet, dass sie eine Perücke bilden, und verhältnissmässig lange Schwung- und Schwanz-Federn. Der Trompeter und die Trommeltaube[1] rucksen, wie ihre Namen ausdrücken, auf eine ganz andre Weise als die andern Rassen. Die Pfauentaube hat 30—40 statt der normalen 12—14 Schwanz-Federn und trägt diese Federn in der Weise ausgebreitet und aufgerichtet, dass in guten Vögeln sich Kopf und Schwanz berühren; die Öl-Drüse ist gänzlich verkümmert. Noch blieben einige minder ausgezeichnete Rassen aufzuzählen übrig.
Im Skelette der verschiedenen Rassen weicht die Entwickelung der Gesichtsknochen in Länge, Breite und Krümmung ausserordentlich ab. Die Form sowohl als die Breite und Länge des Unterkiefer-Astes ändern in sehr merkwürdiger Weise. Die Zahl der Heiligenbein- und Schwanz-Wirbel und der Rippen, die verhältnissmässige Breite und Anwesenheit ihrer Queerfortsätze wechseln ebenfalls. Sehr veränderlich sind ferner die Grosse und Form der Lücken im Brustbein, so wie der Öffnungs-Winkel und die bezügliche Grösse der zwei Schenkel des Gabelbeins. Die verglichene Weite des Mundspaltes, die verhältnissmässige Länge der Augenlider, der äusseren Nasenlöcher und der Zunge, welche sich nicht immer nach der des Schnabels richtet, die Grösse des Kropfes und des obern Theils des Schlundes, die Entwickelung oder Verkümmerung der Öl-Drüse, die Zahl der ersten Schwung- und der Schwanz-Federn, die verglichene Länge von Flügeln und Schwanz gegen einander und gegen die des Körpers, die des Laufs gegen die Zehen, die Zahl der Hornschuppen in der Zehen-Bekleidung sind Alles Abänderungsfähige Punkte im Körper-Bau. Auch die Periode, wo sich das vollkommene Gefieder einstellt, ist ebenso veränderlich als die Beschaffenheit des Flaums, womit die Nestlinge beim Ausschlüpfen aus dem Eie bekleidet sind. Form und Grösse der Eyer sind der Abänderung unterworfen. Die Art des Flugs ist eben so merkwürdig verschieden, wie es bei manchen Rassen mit Stimme und Gemüthsart der Fall ist. Endlich weichen bei gewissen Rassen die Männchen etwas von den Weibchen ab.
So könnte man wenigstens eine ganze Menge von Tauben-Formen auswählen, die ein Ornithologe, wenn er überzeugt wäre, dass es wilde Vögel, unbedenklich für wohl-bezeichnete Arten erklären würde. Ich glaube nicht einmal, dass irgend ein Ornithologe die Englische Botentaube, den kurzstirnigen Purzler, den Runt, den Barb, die Kropf- und die Pfauen-Taube in dieselbe Sippe zusammenstellen würde, zumal eine jede dieser Rassen wieder mehre erbliche Unterrassen in sich enthält, die er für Arten nehmen könnte.
Wie gross nun aber auch die Verschiedenheit zwischen den Tauben-Rassen seyn mag, so bin ich doch überzeugt, dass die gewöhnliche Meinung der Naturforscher, dass alle von der Felstaube (Columba livia) abstammen, richtig ist, wenn man unter diesem Namen nämlich verschiedene geographische Rassen oder Unterarten mit begreift, welche nur in den untergeordnetesten Merkmalen von einander abweichen. Da einige der Gründe, welche mich zu dieser Meinung bestimmt haben, mehr und weniger auch auf andre Fälle anwendbar sind, so will ich sie kurz angeben. Wären jene verschiedenen Rassen nicht Varietäten und nicht von der Felstaube entsprossen, so müssten sie von wenigstens 7—8 Stammarten herrühren; denn es wäre unmöglich alle unsre zahmen Rassen durch Kreutzung einer geringeren Arten-Zahl miteinander zu erlangen. Wie wollte man z. B. die Kropftaube durch Paarung zweier Arten miteinander erzielen, wovon nicht wenigstens eine den Ungeheuern Kropf besässe? Die unterstellten wilden Stammarten müssten sämmtlich Fels-Tauben gewesen seyn, die nämlich nicht freiwillig auf Bäumen brüten oder sich auch nur darauf setzen. Doch ausser der C. livia und ihren geographischen Unterarten kennt man nur noch 2—3 Arten Fels-Tauben, welche aber nicht einen der Charaktere unsrer zahmen Rassen besitzen. Daher müssten dann die angeblichen Urstämme entweder noch in den Gegenden ihrer ersten Zähmung vorhanden und den Ornithologen unbekannt geblieben seyn, was wegen ihrer Grosse, Lebensweise und merkwürdigen Eigenschaften sehr unwahrscheinlich ist; oder sie müssten in wildem Zustande ausgestorben seyn. Aber Vögel, welche an Fels-Abhängen nisten und gut fliegen, sind nicht leicht auszurotten, und unsre gemeine Fels-Taube, welche mit unsren zahmen Rassen gleiche Lebens-Weise besitzt, hat noch nicht einmal auf einigen der kleineren Britischen Inseln oder an den Küsten des Mittelmeeres ausgerottet werden können. Daher mir die angebliche Ausrottung so vieler Arten, die mit der Felstaube gleiche Lebens-Weise besitzen, eine sehr übereilte Annahme zu seyn scheint. Überdiess sind die oben genannten so abweichenden Rassen nach allen Weltgegenden verpflanzt worden und müssten daher wohl einige derselben in ihre Heimath zurückgelangt seyn. Und doch ist nicht eine derselben verwildert, obwohl die Feld-Taube, d. i. die Felstaube in ihrer am wenigsten veränderten Form, in einigen Gegenden wieder wild geworden ist. Da nun alle neueren Versuche zeigen, dass es sehr schwer ist ein wildes Thier zur Fortpflanzung im Zustande der Zähmung zu vermögen, so wäre man durch die Hypothese eines mehrfältigen Ursprungs unsrer Haus-Tauben zur Annahme genöthigt, es seyen schon in alten Zeiten und von halb-zivilisirten Menschen wenigstens 7—8 Arten so vollkommen gezähmt worden, dass sie jetzt in der Gefangenschaft ganz wohl gedeihen.
Ein Beweisgrund, wie mir scheint, von grossem Werthe und auch anderweitiger Anwendbarkeit ist der, dass die oben aufgezahlten Rassen, obwohl sie im Allgemeinen in organischer Thätigkeit, Lebens-Weise, Stimme, Färbung und den meisten Theilen ihres Körper-Baues mit der Felstaube übereinkommen, doch in anderen Theilen dieses letzten gewiss sehr weit davon abweichen; und wir würden uns in der ganzen grossen Familie der Columbiden vergeblich nach einem Schnabel, wie ihn die Englische Botentaube oder der kurzstirnige Purzler oder der Barb besitzen, — oder nach umgedrehten Federn, wie sie die Perückentaube hat, — oder nach einem Kropf wie beim Kröpfer, — oder nach einem Schwanz, wie bei der Pfaubentaube umsehen. Man müsste daher annehmen, dass der halb-zivilisirte Mensch nicht allein bereits mehre Arten vollständig gezähmt, sondern auch absichtlich oder zufällig ausserordentlich abweichende Arten dazu erkoren habe, und dass diese Arten seitdem alle erloschen oder verschollen seyen. Das Zusammentreffen so vieler seltsamer Zufälligkeiten scheint mir im höchsten Grade unwahrscheinlich.
Noch möchten hier einige Thatsachen in Bezug auf die Färbung des Gefieders Berüchsichtigung verdienen. Die Felstaube ist Schiefer-blau mit weissem (bei der Ostindischen Subspecies, C. intermedia Strickl., blaulichem) Hinterrücken, hat am Schwanze eine schwarze End-Binde und an den äusseren Federn desselben einen weissen äusseren Rand, und die Flügel haben zwei schwarze Binden; einige halb und andere anscheinend ganz wilde Unterrassen haben auch noch schwarze Flecken auf den Flügeln. Diese verschiedenen Merkmale kommen bei keiner andern Art der ganzen Familie vereinigt vor. Nun treffen sich aber auch bei jeder unsrer zahmen Rassen zuweilen und selbst unter den ganz ausgebildeten Vögeln derselben alle jene Merkmale gut entwickelt in Verbindung miteinander, selbst bis auf die weissen Ränder der äusseren Schwanzfedern. Ja sogar, wenn man zwei Vögel von verschiedenen Rassen, wovon keiner blau ist noch eines der erwähnten Merkmale besitzt, mit einander paart, sind die dadurch erzielten Blendlinge sehr geneigt, diese Charaktere plötzlich anzunehmen. So kreuzte ich z. B. einfarbig weisse Pfauentauben mit einfarbig schwarzen Barb-Tauben und erhielt eine braun und schwarz gefleckte Nachkommenschaft; und als ich diese durch Inzucht vermehrte, kam ein Enkel der rein weissen Pfauen- und der rein schwarzen Barb-Taube mit schön blauem Gefieder, weissem Unterrücken, doppelter schwarzer Flügelbinde, schwarzer Schwanzbinde und weissen Seitenrändern der Steuerfedern, Alles wie bei der wilden Felstaube, zum Vorschein. Man kann diese Thatsache aus dem wohl bekannten Prinzip der Rückkehr zu vorälterlichen Charakteren begreifen, wenn alle zahmen Rassen von der Felstaube abstammen. Wollten wir aber Dieses läugnen, so müssten wir eine von den zwei folgenden sehr unwahrscheinlichen Unterstellungen machen. Entweder: dass all’ die verschiedenenen eingebildeten Stamm-Arten wie die Felstaube gefärbt und gezeichnet gewesen (obwohl keine andre lebende Art mehr so gefärbt und gezeichnet ist), so dass in dessen Folge noch bei allen Rassen eine Neigung zu dieser anfänglichen Färbung und Zeichnung zurückzukehren vorhanden wäre. Oder: dass jede und auch die reinste Rasse seit etwa den letzten zwölf oder höchstens zwanzig Generationen einmal mit der Felstaube gekreutzt worden seye; ich sage: höchstens zwanzig, denn wir kennen keine Thatsache zur Unterstützung der Meinung, dass ein Abkömmling nach einer noch längeren Reihe von Generationen sogar zu den Charakteren seiner Vorfahren zurückkehren könne. Wenn in einer Rasse nur einmal eine Kreutzung mit einer andern stattgefunden hat. so wird die Neigung zu einem Charakter dieser letzten zurückzukehren natürlich um so kleiner und kleiner werden, je weniger Blut von derselben noch in jeder späteren Generation übrig ist. Hat aber eine Kreutzung mit fremder Rasse nicht stattgefunden und ist gleichwohl in beiden Ältern die Neigung der Rückkehr zu einem Charakter vorhanden, der schon seit mehren Generationen verloren gegangen, so ist trotz Allem, was man Gegentheiliges sehen mag, die Annahme geboten, dass sich diese Neigung in ungeschwächtem Grade während einer unbestimmten Reihe von Generationen fortpflanzen könne. Diese zwei verschiedenen Fälle werden in Abhandlungen über Erblichkeit oft miteinander verwechselt.
Endlich sind die Bastarde oder Blendlinge, welche durch die Kreutzung der verschiedenen Tauben-Rassen erzielt werden, alle vollkommen fruchtbar. Ich kann Diess mittelst meiner eigenen Versuche bestätigen, die ich absichtlich zwischen den aller-verschiedensten Rassen angestellt habe. Dagegen wird aber schwer und vielleicht unmöglich seyn, einen Fall anzuführen, wo ein Bastard an zwei bestimmt verschiedenen Arten schon selber vollkommen fruchtbar gewesen wäre. Einige Schriftsteller nehmen an, ein lang-dauernder Zustand der Zähmung beseitige allmählich diese Neigung zur Unfruchtbarkeit, und aus der Geschichte des Hundes zu schliessen scheint mir diese Hypothese einige Wahrscheinlichkeit zu haben, wenn sie auf einander sehr nahe verwandte Arten angewendet wird, obwohl sie noch durch keinen einzigen Versuch bestätigt worden ist. Aber eine Ausdehnung der Hypothese bis zu der Behauptung, dass Arten, die ursprünglich von einander eben so verschieden gewesen, wie es Botentaube, Purzler, Kröpfer und Pfauenschwanz jetzt sind, eine bei Inzucht vollkommen fruchtbare Nachkommenschaft liefern, scheint mir äusserst voreilig zu seyn.
Diese verschiedenen Gründe und zwar: die Unwahrscheinlichkeit, dass der Mensch schon in früher Zeit sieben bis acht wilde Tauben-Arten zur Fortpflanzung in der Gefangenschaft vermocht habe, die wir weder im wilden noch im verwilderten Zustande kennen, ihre in manchen Beziehungen von der Bildung aller Columbiden mit Ausnahme der Felstaube ganz abweichenden Charaktere, das gelegentliche Wiedererscheinen der blauen Farbe und charakteristischen Zeichnung in allen Rassen sowohl im Falle der Inzucht als der Kreutzung, die vollkommene Fruchtbarkeit der Blendlinge: alle diese Gründe zusammengenommmen gestatten mir nicht zu zweifeln, dass alle unsre zahmen Tauben-Rassen von Columba livia und deren geographischen Unterarten abstammen.
Zu Gunsten dieser Ansicht will ich noch ferner anführen: 1) dass die Felstaube, C. livia, in Europa wie in Indien zur Zähmung geeignet gefunden worden ist, und dass sie in ihren Gewohnheiten wie in vielen Struktur-Beziehungen mit allen unsern zahmen Rassen übereinkommt. 2) Obwohl eine Englische Botentaube oder ein kurzstirniger Purzler sich in gewissen Charakteren weit von der Felstaube entfernen, so ist es doch dadurch, dass man die verschiedenen Unterformen dieser Rassen, mit Einschluss der z. Th. aus weit entfernten Gegenden abstammenden, mit in Vergleich ziehet, möglich, fast ununterbrochene Übergangs-Reihen zwischen den am weitesten auseinander-liegenden Bildungen derselben herzustellen. 3) Diejenigen Charaktere, welche die verschiedenen Rassen hauptsächlich von einander unterscheiden, wie die Fleischwarzen und der lange Schnabel der englischen Botentaube, der kurze Schnabel des Purzlers und die zahlreichen Schwanzfedern der Pfauentaube sind in jeder Rasse doch äusserst veränderlich, und die Erklärung dieser Erscheinung wird uns erst möglich seyn, wenn von der Züchtung die Rede seyn wird. 4) Tauben sind bei vielen Völkern beobachtet und mit äusserster Sorgfalt und Liebhaberei gepflegt worden. Man hat sie schon vor Tausenden von Jahren in mehren Wellgegenden gezähmt; die älteste Nachricht von ihnen stammt aus der Zeit der fünften Ägyptischen Dynastie, etwa 3000. J. v. Chr., wie mir Professor