Die Erben des Imperiums - David Weber - E-Book
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Die Erben des Imperiums E-Book

David Weber

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Beschreibung

Für richtig harte Jobs ist Imperator Colin der Erste genau der richtige Mann. Ihm gelang es als einzigem, die Achuutani aufzuhalten, eine völkermordende Spezies, und er allein baute das Imperium wieder auf, das vor 45.000 Jahren untergegangen war. Nach wie vor hat er ein paar Probleme. Doch diese Probleme sind nichts im Vergleich zu dem, was seine beiden Sprösslinge Sean und Harriet erleben. Weit von zu Hause entfernt stranden sie auf einer strenggläubigen Welt, auf der gerade einmal das Schießpulver erfunden wurde. Die örtliche Kirche mag die beiden nicht besonders. Genauer gesagt, hat sie sie zu Dämonen erklärt, den Heiligen Krieg ausgerufen und ihre Hinrichtung angeordnet. Man könnte meinen, die Chancen stünden schlecht für Colins Nachwuchs, doch in Wahrheit steckt die Kirche in Schwierigkeiten - denn Sean und Harriet sind aus dem gleichen Holz wie ihr Vater geschnitzt …

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

Zitat

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwazig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Kapitel Fünfunddreißig

Kapitel Sechsunddreißig

Kapitel Siebenunddreißig

Kapitel Achtunddreißig

Kapitel Neununddreißig

Kapitel Vierzig

Kapitel Einundvierzig

Kapitel Zweiundvierzig

Kapitel Dreiundvierzig

Kapitel Vierundvierzig

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der HONOR-HARRINGTON-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

David Weber

Die Erben desImperiums

Roman

Ins Deutsche übertragen vonDietmar Schmidt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1996 by David Weber

Published by arrangement with

Baen Publishing Enterprises, Wake Forest, NC

Titel der Originalausgabe: »Heirs of Empire«

Originalverlag: Baen Publishing Enterprises, Riverdale, NY 10471

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2007/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

This work was negotiated through the Literary Agency

Thomas Schlück GmbH; 30827 Garbsen

Lektorat: Beate Ritgen-Brandenburg / Ruggero Leò

Titelbild: David Mattingly/Agentur Schlück

Umschlaggestaltung: Tanja Østlyngen

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8433-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Janes Freunden gewidmet

COLIN I. – auch unter den Beinamen ›der Große‹ und ›der Erneuerer‹ bekannt. Geboren als Colin Francis MacIntyre (s. dort) am 21. April 2004 (alter Zeitrechnung) in Colorado, USA, Erde: Lieutenant Commander der US Navy; NASA-Astronaut; Begründer der MacIntyre-Dynastie; Krönung am 07. Juli des Jahres Eins des Fünften Imperiums.

Die Thronbesteigung durch den Imperator beendete das Interregnum, das Folge der unbeabsichtigten Freisetzung der Umak-Waffe (s. dort, vgl. auch Umak, Direktor für Bioforschung) war, und leitete das Fünfte Imperium ein. Als Kriegsherr setzte er die reaktivierte Imperiale Wachflottille dazu ein, die erste Angriffswelle der Achuultani zu zerschlagen (s. Aku’Ultan, Das Nest von; und Zeta-Trianguli-Feldzug); es war das erste Mal, dass ein Angriff der Achuultani abgewehrt wurde.

Nach der Abwehr der Achuultani begann Seine Majestät mit dem zivilen Wiederaufbau und dem Ausbau des Militärs, um den endgültigen Sieg über die Achuultani zu ermöglichen. Als Imperator des Fünften Imperiums gingen er und seine Gemahlin, Imperatorin Jiltanith (s. dort) die sich ihnen stellenden Aufgaben an, ohne jedoch zu wissen, dass …

- Encyclopedia Galactica, Band 6,

12. Auflage, Verlag der Universität von Birhat, 598JFI.

Kapitel Eins

Sean MacIntyre stürzte aus dem Transitschacht heraus und stellte sein Gehör auf höhere Empfindlichkeit, während er den Gang hinunterhastete. Eigentlich sollte es momentan nicht notwendig sein, so gut zu hören, jedenfalls nicht, solange er sich nicht auf der anderen Seite der Luke befand. Doch aus irgendeinem Grund hatte er immer noch mehr Probleme mit der biotechnischen Leistungssteigerung seines Gehörs als mit der seiner Augen, und er zog es vor, seine Vorbereitungen rechtzeitig abzuschließen.

Die letzten einhundert Meter rannte er geduckt, kam schlitternd zum Stehen und presste sich rücklings an das Schott. Der breite, in völliger Lautlosigkeit daliegende Gang verschwand in beiden Richtungen in einem schimmernden Lichtpunkt in der Ferne. Sean fuhr sich mit der Hand durch das schweißnasse, schwarze Haar, während sein biotechnisch erweitertes Gehör das leise Pulsieren der Lebenserhaltungssysteme und das sanfte Summen des jetzt weit entfernten Transitschachts unter dem sich nun allmählich wieder normalisierenden Hämmern seines eigenen Herzschlags wahrnahm. Sean jagte die anderen jetzt schon seit mehr als einer Stunde, und er hatte inzwischen eigentlich schon längst einen Hinterhalt erwartet. Ich hätte es auf jeden Fall schon längst versucht, dachte er und zog geringschätzig die Nase hoch.

Er angelte nach seiner im Holster steckenden Pistole und wandte sich mit gezogener Waffe der Luke zu. Sie glitt zur Seite – leise für normale Ohren, doch dröhnend laut für die seinen –, und grelles Sonnenlicht strömte in den Gang.

Sean glitt durch die Luke und wählte für sein linkes Auge Teleskopwahrnehmung an. Für das rechte blieb er bei normaler Entfernungswahrnehmung (mit den Augen konnte er wirklich schon viel besser umgehen als mit seinem Gehör) und spähte dann in die von vereinzelten Lichtflecken durchsetzten Schatten unter den leise raschelnden Blättern der Laubbäume.

Eichen und Hickorybäume dösten im Schein der ›Sonne‹, während Sean sich über die Picknickwiese hinüber zu den grün glänzenden Rhododendren schlich, die das Ufer des Sees säumten. Er bewegte sich lautlos, hielt die Waffe mit beiden Händen in Brusthöhe, jederzeit bereit, mit der schlangenartigen Geschwindigkeit seiner gesteigerten Reflexe herumzuwirbeln, zu zielen und zu feuern. So gründlich Sean aber das Gelände auch absuchte: Er hörte und sah nichts außer Wind in den Blättern, zwitschernden Vögeln und dem Plätschern kleiner Wellen.

Sean bahnte sich seinen Weg bis zum Ufer des Sees, ohne ein Ziel zu finden, dann blieb er nachdenklich stehen. Das Landschaftsdeck, eines von zahlreichen an Bord des Raumschiffs Dahak, war etwas breiter als zwanzig Kilometer. Das war wirklich ein großes Areal, um darin Verstecken zu spielen, doch Harriet war ungeduldig, und sie hasste es, davonzulaufen. Sie musste hier irgendwo in der Nähe lauern, nur wenige hundert Meter von ihm entfernt, musste hoffen, ihn in einen Hinterhalt locken zu können, und das bedeutete …

Aus dem Augenwinkel sah er eine flackernde Bewegung und erstarrte, den Blick sofort mit der Zoom-Funktion auf das gerichtet, was diese Bewegung ausgelöst haben musste, egal, was das gewesen sein mochte. Er lächelte, als er langes, schwarzes Haar hinter einer Eiche aufblitzen sah, er rannte Harriet allerdings nicht hinterher. Jetzt, da er Harry gefunden hatte, hatte sie keine Chance mehr, sich von ihm unbemerkt davonzuschleichen, und so sondierte er mit seinem Blick die gesamte Umgebung, suchte immer weiter nach ihrer Komplizin. Sandy musste ebenfalls an diesem Hinterhalt beteiligt sein, also musste sie sich ganz in der Nähe aufhalten. Eigentlich müsste sie genau da …

Ein handtellergroßer, blauer Farbfleck fiel ihm ins Auge, zwischen zwei Lorbeerbäumen gerade eben noch zu erkennen. Im Gegensatz zu Harry war ihre Gefährtin geduldig, lag absolut still dort, doch jetzt hatte Sean sie beide, und er grinste und begann langsam und lautlos nach links zu gehen. Nur noch ein paar Meter, und …

Zaaaaaaaaaaa-ting!

Ungläubig zuckte Sean zusammen, dann hämmerte er mit der Faust auf den Boden und stieß ein Wort aus, das seine Mutter gewiss nicht gutgeheißen hätte. Das Klingeln verwandelte sich jetzt in ein heiseres Summen, das sein in seiner Leistungsfähigkeit gesteigertes Trommelfell zu zerreißen drohte, also stellte er die Ohren wieder auf normal und richtete sich resigniert auf.

Das Summen der Laser-Sensoren an seiner Panzerung hörte sofort auf, als er auf diese Weise seine Niederlage eingestand, und er drehte sich um und fragte sich, wie Harry es hatte schaffen können, hinter ihn zu kommen. Doch es war nicht Harry, und er knirschte frustriert mit den Zähnen, als eine zarte Gestalt platschend und spritzend ans Ufer kam. Ihre hellblaue Jacke hatte sie abgelegt (Sean wusste auch genau, wo). Sandy war klatschnass, doch ihre braunen Augen blitzten vor Vergnügen.

»Ich hab dich erwischt!«, kreischte sie. »Sean ist tot! Sean ist tot, Harry!«

Es gelang ihm, nicht noch weitere der verbotenen Ausdrücke zu benutzen, als diese acht Jahre alte Miniatur-Ninja spontan in einen improvisierten Kriegstanz verfiel, doch es fiel ihm wirklich schwer, vor allem, da seine Zwillingsschwester jetzt ebenfalls in den Kriegstanz ihrer halbwüchsigen Verbündeten einfiel. Es war schon schlimm genug, gegen Mädchen zu verlieren, aber von Sandy MacMahan aus dem Hinterhalt überfallen zu werden, das war unerträglich! Sie war zwei Jahre jünger als er, und sie hatte ihn mit ihrem ersten Schuss erledigt!

»Deine Hochstimmung angesichts von Seans Tod ist kaum schicklich, Sandra.« Die tiefe, sanfte Stimme, die aus dem Nichts ertönte, überraschte keinen von ihnen. Sie kannten Dahak schon ihr ganzes Leben, und der Körper des selbst-bewussten Computers, das Raumschiff selbst, war schließlich einer ihrer Lieblingsspielplätze.

»Wen interessiert das schon?«, wollte Sandy voller Schadenfreude wissen. »Ich hab ihn erwischt! Zapp!« Sie richtete ihre Pistole auf Sean und brach in heulendes Gelächter aus, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.

»Reines Glück!«, schoss er zurück und schob seine eigene Waffe mit einer Würde zurück, von der er selbst wusste, dass sie höchst fadenscheinig war. »Du hast bloß Glück gehabt, Sandy!«

»Das ist unzutreffend, Sean«, merkte Dahak mit dieser ihm eigenen leidenschaftslosen Fairness an, die Sean absolut hasste, wenn sie jemand anderem zugute kam. »Glück impliziert das zufallsbestimmte Eintreten von Ereignissen, und Sandras Entscheidung, sich im See zu verbergen – den du, wie ich festgestellt habe, nicht einmal überprüft hast –, zeugt von äußerst einfallsreichem Vorgehen. Und wie sie so stichhaltig, wenngleich unfreundlich, feststellte, hat sie dich ›erwischt‹.«

»Da hast du’s gehört!« Sandy streckte ihm die Zunge heraus, und Sean wandte sich zutiefst verletzt ab. Und er fühlte sich alles andere als gut, als nun auch noch Harriet ihn triumphierend angrinste.

»Ich hab dir ja gleich gesagt, dass Sandy alt genug ist!«, stellte sie fest.

Er hätte ihr so gerne widersprochen – vehement widersprochen! –, doch er war ein ehrlicher Junge, und so nickte er widerwillig und versuchte einen Schauer zu unterdrücken, als vor seinem geistigen Auge eine Zukunftsvision erschien. Sandy war Harrys beste Freundin, obwohl sie so viel jünger war, und jetzt würde dieses nervige Gör ihr wirklich überallhin folgen. Mehr als ein Jahr lang hatte er das noch verhindern können, indem er immer und immer wieder behauptet hatte, sie sei noch zu klein für dieses Spiel. Bis heute. In Algebra war sie ihm schon zwei Einheiten voraus, und jetzt auch noch dieses Desaster hier!

Das Universum, so stellte Sean Horus MacIntyre missmutig fest, war nicht gerade bereit, einen mit Gerechtigkeit zu verwöhnen.

Vor dem Eingang zum Kommandodeck der Dahak traten Amanda Tsien und ihr Ehemann aus dem Transitschacht. Ihr Sohn Tamman war ihnen zwar gehorsam in den Gang gefolgt, für jeden sichtbar aber platzte er beinahe vor Ungeduld. Mit einem Blinzeln schaute Amanda zu ihrem hochgewachsenen Ehemann hinauf. Die meisten hätten Tsien Tao-lings Gesicht als hart beschrieben. Während er Tamman beobachtete, umspielte indes ein Lächeln seine Lippen. Der Junge mochte ja im biologischen Sinne nicht sein Sohn sein; dennoch fühlte sich Tsien Tao-Ling als Tammans Vater, und er nickte, als Amanda fragend eine Augenbraue hob.

»Also gut, Tamman«, sagte sie. »Du darfst gehen.«

»Danke, Mom!« Mit der eigenartigen Mischung, die so charakteristisch für sein Alter war, sich nämlich gleichzeitig ebenso katzenhaft wie ungelenk und eckig zu bewegen, machte er auf dem Absatz kehrt und jagte wieder auf den Transitschacht zu. »Wo ist Sean, Dahak?«, fragte er im Laufen.

»Er ist auf Landschaftsdeck Neun, Tamman«, erwiderte eine sanfte Stimme.

»Danke! Bis später, Mom, Dad!« Um seinen Eltern zuwinken zu können, drehte sich Tamman im Laufen zu ihnen um, ohne dabei langsamer zu werden, ehe er sich mit einem Jubelschrei in den Schacht stürzte.

»Man könnte meinen, die beiden hätten einander seit Monaten nicht mehr gesehen«, seufzte Amanda.

»Eines weiß ich mit Sicherheit: Kinder denken nicht in denselben Zeitkategorien wie Erwachsene«, stellte Tsien mit seiner tiefen, sanften Stimme fest, während Amanda eine Hand auf seinen Unterarm legte.

»Na, das kannst du laut sagen!«

Sie kamen um die letzte Biegung und standen endlich vor der Luke, die zum Kommandodeck führte. Das Wappen der Dahak prangte auf dem gold- und bronzefarbenen Panzerstahl: ein dreiköpfiger Drache, flugbereit, der mit den klauenbewehrten Vorderbeinen das Emblem des Fünften Imperiums hielt. Es war wie im Vierten Imperium der explodierende Stern, nur erhob sich jetzt aus dieser Explosion ein Phönix, und auf dessen Kamm ruhte das Diadem des Imperiums. Die zwanzig Zentimeter dicke Luke – die erste von mehreren, jede geeignet, einem Kilotonnen-Gefechtskopf zu widerstehen – glitt lautlos zur Seite.

»Hallo, Dahak!«, grüßte Amanda, während sie und ihr Mann weitergingen und sich vor ihnen eine Luke nach der anderen öffnete.

»Guten Abend, Amanda. Willkommen an Bord, Sternenmarschall!«

»Ich danke dir«, erwiderte Tsien. »Sind die anderen schon eingetroffen?«

»Admiral Hatcher befindet sich auf dem Weg, doch die MacMahans und Herzog Horus haben sich bereits zu ihren Majestäten gesellt.«

»Eines Tages sollte Gerald endlich lernen, dass ein Birhat-Tag nur achtundzwanzig Stunden hat!«, seufzte Tsien.

»Ach, tatsächlich?« Wieder blickte Amanda zu ihm auf. »Und du hast diese Lektion schon gelernt, ja?«

»Vielleicht noch nicht so ganz«, gab er etwas kleinlaut zu und versuchte ein Lächeln. Amanda hingegen schnaubte spöttisch. Da öffnete sich allerdings gerade die letzte Luke und gab den Zugang zur sanft beleuchteten Riesenhaftigkeit von Kommando-Eins der Dahak frei.

Ein kugelförmiges Sternenfeld hüllte KommandoEins ein. Die diamantharten Stecknadelköpfe brannten in der ebenholzschwarzen Tiefe des Raumes, die jetzt von der wolkenverhangenen, grünblauen Kugel des Planeten Birhat dominiert wurde, und Amanda erschauerte. Nicht weil es hier so kalt gewesen wäre, sondern weil jedes Mal eine eisige Brise ihr Rückgrat hinabzuflüstern sich anschickte, wenn Amanda diese absolut perfekte holographische Darstellung betrat.

»Hi, Amanda! Tao-ling!« Seine Imperiale Majestät Colin MacIntyre I., Großherzog von Birhat, Prinz von Bia, Sol, Chamhar und Narhan, Kriegsherr und Prinzregent des Reiches, Verteidiger der Fünftausend Sonnen, Erster Krieger der Menschheit und Imperator der Menschheit von des Schöpfers Gnaden, schwenkte seinen Sessel herum, drehte ihnen auf diese Weise sein ihnen so vertrautes, nicht sonderlich attraktives Gesicht mit der Hakennase zu und grinste. »Ah, wie ich sehe, hat sich Tamman bereits aus dem Staub gemacht!«

»Ja, er wurde zuletzt gesehen, als er sich auf den Weg zum Landschaftsdeck gemacht hat«, bestätigte Tsien Colins Vermutung.

»Na, dann wird er ja gleich noch eine nette, kleine Überraschung erleben.« Leise lachte Colin in sich hinein. »Harry und Dahak haben Sean nämlich endlich dazu gebracht, Sandy jetzt endlich beim Laser-Fangenspielen mitmachen zu lassen.«

»Ach du meine Güte!« Amanda lachte. »Ich wette, das war eine ganz besondere Erfahrung.«

»Fürwahr!« Imperatorin Jiltanith, schlank wie ein Schwert und so spektakulär schön wie Colin unspektakulär in seinem Äußeren, erhob sich und schloss Amanda in die Arme. »Mich deucht, sein Unbill ob ihres Alters wird er von nun an nicht mehr lautstark künden! Von seinem hohen Ross ward er geholt – einstweilen zumindest hat ihn dies Bescheidenheit gelehrt.«

»Da ist er schnell drüber hinweg«, stellte Hector MacMahan fest. Der Kommandant des Imperialen Marine-Korps stützte sich auf die Konsole des Artillerieoffiziers, während seine Gemahlin in dem Sessel Platz genommen hatte, der vor dieser Konsole stand. Wie Amanda trug auch er die schwarz-silberne Uniform der Marine, doch Ninhursag MacMahan war in das Nachtblau und Gold der Raumflotte gekleidet. Sie lächelte.

»Nicht, wenn Sandy es verhindern kann! Eines Tages wird dieses Mädchen eine ausgezeichnete Spionin abgeben.«

»Niemand kann das besser beurteilen als du«, meinte Colin, und Ninhursag gelang das Kunststück, sich im Sitzen vor ihm zu verneigen. »In der Zwischenzeit würde ich …«

»Verzeihung, Colin«, sagte Dahak leise, »aber der Kutter von Admiral Hatcher hat soeben angedockt.«

»Gut. Sieht ganz so aus, als könnte die Show dann gleich losgehen!«

»Na, hoffentlich«, seufzte Horus. Der untersetzte Planetar-Herzog von Terra mit seinem schlohweißen Haar schüttelte den Kopf. »Jedes Mal, wenn ich es wage, meine Nase aus meiner Bürotür zu stecken, wartet nur irgendetwas darauf, in meinen Eingangskorb zu kriechen und mich zu beißen, sobald ich zurückkomme!«

Colin nickte seinem Schwiegervater wissend zu, ohne dabei die beiden Tsien auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Tao-ling schob Amanda den Sessel mit einer Aufmerksamkeit zurecht, derer er sich gar nicht bewusst schien … einer Aufmerksamkeit, die jedem sonderbar erscheinen mochte, der nur Sternenmarschall Tsiens Ruf kannte oder in General Amanda Tsien nichts als die eisenharte Kommandantin von Fort Hawter sah, dem Ausbildungslager für Eliteeinheiten auf Birhat. Colin andererseits verstand das alles bestens, und er war zutiefst dankbar, es miterleben zu können.

Kein Lebewesen im gesamten Universum vermochte Amanda Tsien in Angst und Schrecken zu versetzen, aber sie war eine Waise. Neun Jahre war sie erst alt, als ein unbarmherziges Universum sie lehrte, dass seine grausamste Waffe die Liebe sein konnte … und musste diese Lektion ein zweites Mal lernen, als Tamman, ihr erster Ehemann, bei Zeta Trianguli Australis gefallen war. Hilflos hatten Colin und Jiltanith mitansehen müssen, wie sie sich in ihre Arbeit vergraben hatte, wie sie sich in einen Schutzpanzer zurückgezogen und jegliche Emotionen, die sie sich noch gestattet hatte, einzig und allein Tammans Sohn gegenüber zuzulassen bereit gewesen war. Sie war zu einer Maschine geworden, und es gab niemanden, der etwas daran hätte ändern können, nicht einmal der Imperator selbst war dazu in der Lage. Tsien Tao-ling aber war es gelungen.

Viele der Männer und Frauen, die unter dem Marschall Dienst taten, fürchteten ihn. Und das war durchaus auch klug von diesen Untergebenen. Irgendetwas an Amanda hatte Tsien, den Mann, den die Medien das ›menschliche Großkampfschiff‹ getauft hatten, in ungewohnter Art und Weise angezogen, allen Schutzpanzern, die Amanda sich zugelegt hatte, zum Trotz; und er hatte sich ihr auf derart leise und liebenswürdige Art und Weise genähert, dass sie seine Annäherungsversuche als solche gar nicht wahrgenommen hatte, bis es zu spät war. Bis er ihren Panzer durchdrungen hatte und die Hand nach ihr ausstreckte, ihr sein Herz antrug, ein Organ, das zu besitzen ihm die meisten Menschen abzusprechen bereit waren … und sie hatte, unerwartet für ihre Umgebung, seinen Antrag angenommen.

Sie war dreißig Jahre jünger als er, was unter den biotechnisch Erweiterten ohne jegliche Bedeutung war. Schließlich war Colin mehr als vierzig Jahre jünger als Jiltanith, und sie sah dennoch jünger aus als er. Rein chronologisch betrachtet war sie natürlich mehr als einundfünfzigtausend Jahre alt, aber das zählte nicht: Abgesehen von etwas mehr als achtzig Jahren hatte sie die ganze Zeit in Stasis verbracht.

»Wie geht es Hsu-li und Collete?«, frage er Amanda, und sie lachte leise.

»Gut. Hsu-li hat ein bisschen Theater gemacht, weil wir ihn nicht mitnehmen wollten. Aber ich habe ihn davon überzeugen können, dass es besser sei, zu Hause zu bleiben und mit auf seine Schwester aufzupassen.«

Colin schüttelte den Kopf. »Bei Sean und Harry hätte das nie und nimmer funktioniert.«

»Das hat man davon, wenn man Zwillinge bekommt!«, gab Amanda mit einem Hauch von Spott in der Stimme zurück, dann warf sie Jiltanith einen kurzen Blick zu. »Oder davon, wenn man nicht noch ein paar mehr Kinder in die Welt setzt.«

»Wahrlich, erspare mir das, Amanda!« Jiltanith lächelte. »Magie scheint mir, wie du die Zeit für deine Pflichten und dazu noch all die Kinder findest! Bis ich mich dieser Prüfung erneut stellen mag, dürften viele Jahre, ja Jahrzehnte noch ins Land wohl gehen! Und unziemlich ist’s, in jener Weise deiner Imperatorin mit Spott zu begegnen! Die ganze Welt weiß doch darum, dass du eine Mutter bist, wie es eine bessere kaum gibt, während ich hingegen …« Mit einem schiefen Grinsen zuckte sie mit den Schultern, und ihre Freunde lachten.

Horus wollte gerade noch etwas hinzufügen, als die innere Luke sich öffnete und ein gepflegter, durchtrainierter Mann in der blauen Uniform der Raumflotte eintrat.

»Hallo, Gerald«, grüßte Colin den Neuankömmling, und Großadmiral Gerald Hatcher, Chef des Admiralstabes, verneigte sich schwungvoll.

»Guten Abend, Eure Majestät!«, erwiderte er so salbungsvoll, dass sein oberster Gebieter ihm spöttisch mit der Faust drohte. Großadmiral Hatcher hatte dreißig Jahre lang als Soldat des Heeres im Dienste der Vereinigten Staaten von Amerika gestanden, nicht bei der Marine. Doch der Chef des Admiralstabes der Raumflotte war stets auch der Ressortoffizier des Imperiums. Damit war es logisch, dass die Wahl auf einen Mann gefallen war, der während der Abwehrschlacht gegen die Achuultani als Stabschef der Menschheit fungiert hatte. Aber nicht einmal die Tatsache, auf so hohem Posten Verantwortung zu übernehmen, hatte Hatchers gut gelaunte Respektlosigkeit dämpfen können.

Er winkte Ninhursag zu, schüttelte Hector, Tsien und Horus die Hand und gab Amanda dann enthusiastisch einen Kuss auf die kaffeebraune Wange. Anmutig beugte er sich dann über Jiltaniths Hand, doch die Imperatorin zog spielerisch an dem gepflegten Bart, den er sich seit der Belagerung der Erde hatte wachsen lassen, und küsste ihn auf den Mund, bevor er etwas dagegen unternehmen konnte.

»Ein schamloser Geselle seid Ihr, Gerald Hatcher, fürwahr!«, schalt sie ihn. »Und womöglich wird Euch das Mores lehren – lasst einfach Euer Weib zurück!«

»Darf ich«, grinste er, »das als Drohung oder als Versprechen verstehen, Eure Majestät?«

»Und herunter mit dem Kopf!«, murmelte Colin, und der Großadmiral lachte.

»Tatsächlich besucht sie ihre Schwester auf der Erde. Die beiden wollen Babykleidung aussuchen.«

»Großer Gott, bekommen denn plötzlich alle auf einmal noch Babys?!«

»Mitnichten, teurer Colin, nur alle anderen«, beantwortete Jiltanith seine Frage.

»Das ist wahr«, bestätigte Hatcher. »Und diesmal wird’s ein Junge! Ich für meinen Teil bin ja voll auf zufrieden mit den Mädchen, aber Sharon ist ganz außer sich vor Freude.«

»Ich gratuliere!«, sagte Colin, dann deutete er auf einen freien Sessel. »Aber jetzt, wo ihr alle da seid, sollten wir uns an die Arbeit machen.«

»Wunderbar! Ich habe nämlich noch eine Konferenz an Bord von Mutter angesetzt, die in ein paar Stunden beginnt, und ich würde mich gern vorher wenigstens noch kurz ausruhen.«

»Okay.« Colin setzte sich ein wenig aufrechter in seinen Sessel, und seine bisherige Haltung entspannter Belustigung war wie weggeblasen. »Als ich euch alle hierher rief, habe ich bereits angedeutet, dass es mir um eine informelle Besprechung vor der nächsten Ratssitzung geht, die für die kommende Woche anberaumt ist. Der zehnte Jahrestag meiner ›Krönung‹ steht kurz bevor, und die Adelsversammlung möchte zu diesem Anlass eine Riesenparty steigen lassen. Das ist ja an sich keine schlechte Idee. Aber es bedeutet, dass der diesjährige ›Bericht zur Lage des Reiches‹ von besonderer Bedeutung sein wird. Deswegen möchte ich gern erst einmal die Meinung aus dem ›Inneren Kreis‹ hören, bevor ich mich daran mache, diesen Bericht abzufassen.«

Seine Gäste unterdrückten nur mit Mühe ein Lächeln. Während des Vierten Imperiums waren regelmäßige, förmliche Berichte der Imperatoren niemals erforderlich gewesen. Colin allerdings hatte den ›Bericht zur Lage des Reiches‹ in der Verfassung des Fünften Imperiums verankert, und diese selbst auferlegte jährliche Pflicht war etwas, was er zutiefst fürchtete. Deswegen hatte er seine Freunde auch auf dem Kommandodeck der Dahak versammelt. Anders als bei vielen anderen konnte er sich darauf verlassen, dass sie ihm wirklich sagten, was sie dachten, und nicht das, wovon sie glaubten, er wolle es hören.

»Fangen wir mit dir an, Gerald!«

»Okay.« Bedächtig strich sich Hatcher über den Bart. »Du könntest mit einer guten Nachricht anfangen. Laut Gebs jüngstem Bericht, den er vor seinem gemeinsamen Aufbruch mit Vlad zur Cheshir eingereicht hat, dürften sie die Cheshir-Flotte innerhalb von drei Monaten einsatzbereit haben. Außerdem haben sie neun weitere Asgards aufgetrieben. Bei denen werden sie ein paar Monate länger brauchen, um diese wieder zu reaktivieren. Leider sind wir sowieso schon wieder knapp, was die Besatzungen angeht – wie üblich, aber wir kriegen das schon hin, und damit kommen wir auf einhundertundzwölf Planetoiden.« Er machte eine Pause. »Es sei denn, wir hätten es wieder mit einem Sherkan zu tun.«

Colin legte die Stirn in Falten, als er hörte, wie verbittert die Stimme des Admirals plötzlich klang, doch er ging nicht weiter darauf ein. Alle Diagnosen hatten behauptet, der Planetoid Sherkan sei auch ohne ausgiebige Wartungsarbeiten einsatzbereit – nur war es Hatchers Expedition gewesen, die den Planetoiden damals entdeckt hatte, und Hatcher hatte die Entdeckung dann auch Vladimir Chernikov gemeldet.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Erkundungskommando gerade einmal zwei einst besiedelte Planeten des Vierten Imperiums entdeckt, auf denen noch Leben existierte – Birhat, der alte Regierungssitz des Imperiums, und Chamhar, und auf beiden hatten die Nachfahren einstiger menschlicher Siedler nicht überlebt. Doch ein Großteil der militärischen Ausrüstungen des Imperiums hatte den entsetzlichen Zwischenfall überstanden, einschließlich zahlreicher ihrer gewaltigen Raumschiffe. Und von diesen Raumschiffen konnten sie angesichts der Lage gar nicht genug in die Finger bekommen. Die Menschheit hatte den letzten Angriff der Achuultani gerade mal so eben aufgehalten – unter Aufbietung letzter Kraft. Den gefährlichen Feind allerdings erneut zu besiegen, diesmal auf dessen eigenem Territorium, wäre eine ganz andere Geschichte.

Bedauerlicherweise war die Aufgabe, einen verlassenen Planetoiden von viertausend Kilometern Durchmesser nach fünfundvierzig Jahrtausenden wieder in Betrieb zu nehmen, eine beängstigend gewaltige Aufgabe, und deswegen war Hatcher auch so erfreut darüber gewesen, dass die Sherkan in so ausgezeichneter Verfassung gewesen war. Doch die Tests hatten eine winzige Fehlfunktion in ihrem Energiekern übersehen: Ihre Leistungsregler waren im gleichen Augenblick durchgebrannt, als der leitende Techniker den Antrieb angeschlossen hatte, um die Energie für Überlicht-Geschwindigkeit aufzunehmen. Die nachfolgende Explosion war heftig genug gewesen, um einen ganzen Kontinent zu zerstören. Sechstausend Menschen hatten den Tod gefunden, und zu ihnen hatten auch Flottenadmiral Vassily Chernikov und seine Frau Valentina gehört.

»Allerdings«, fuhr Hatcher dann lebhafter fort, »kommen wir auch bei den anderen Projekten gut voran. Adrienne wird in wenigen Monaten die Abschlussprüfung in der ersten Klasse der Akademie abnehmen. Ich bin mit den bisherigen Ergebnissen voll und ganz zufrieden, auch wenn Tao-ling und Adrienne immer noch an einzelnen Feinheiten des Lehrplans feilen.

Was die Ausrüstung betrifft, so sieht es hier auf Bia gut aus, was wir vor allem Tao-ling zu verdanken haben. Er musste praktisch sämtliche noch bestehenden Werftanlagen aktivieren, um den Schutzschild ans Laufen zu bekommen …«, kurz warfen Hatcher und der Sternenmarschall einander ein schiefes Grinsen zu; die gewaltigen Schildgeneratoren zu reaktivieren, die Birhats Primärstern Bia in einen undurchdringlichen Schutzwall von achtzig Lichtminuten Durchmesser einhüllte, war eine gewaltige Aufgabe gewesen, »… also verfügen wir über reichlich Wartungskapazität. Tatsächlich können wir sogar mit der Entwicklung neuer Konstruktionen anfangen.«

»Wirklich?« Colin klang sehr zufrieden.

»Ja, tatsächlich«, antwortete Dahak anstelle des Admirals. »Es wird in etwa drei Komma fünf Standardjahre dauern …«, (das Fünfte Imperium arbeitete mit terranischer Zeitrechnung, nicht der von Birhat), »… bis Einheiten für die tatsächlichen Konstruktionsarbeiten von denen der Reaktivierungsprogramme abgezogen werden können. Aber Admiral Baltan und ich haben bereits vorbereitende Studien für neue Konstruktionen erarbeitet. Wir kombinieren mehrere Konzepte, die wir uns von den Achuultani ›ausgeliehen‹ haben, mit anderen, die aus dem Schiffsbauamt des Imperiums stammen, und ich glaube, wir werden für unsere neuen Einheiten beträchtliche Steigerungen der Leistungsfähigkeit erreichen können.«

»Das klingt sehr gut, aber wie sieht es mit Stiefmutter aus?«

»Ich fürchte, das wird beträchtlich länger in Anspruch nehmen, Colin«, erwiderte Dahak.

»›Beträchtlich‹ ist wahrscheinlich noch sehr optimistisch ausgedrückt«, seufzte Hatcher. »Wir holen uns immer noch blutige Nasen bei dem Versuch, die Feinheiten der imperialen Computer-Hardware zu begreifen, obwohl Dahak uns schon dabei hilft, und Mutter ist der komplexeste Computer, den das Imperium jemals konstruiert hat. Sie nachzubauen, wird eine Heidenarbeit werden – ganz zu schweigen davon, wie lange es dauert, einen Schiffsrumpf von fünftausend Kilometern Durchmesser zu bauen, in den wir den Nachbau werden einbauen können!«

Das gefiel Colin ganz und gar nicht, aber er verstand sofort das Problem. Das Imperium hatte Mutter (offiziell wurde sie als ›Zentraler Kommandocomputer der Raumflottenzentrale‹ bezeichnet) mit Kraftfeld-Schaltungen konstruiert, gegen die selbst noch Molekular-Schaltungen groß und klobig wirkten, und dennoch betrug der Durchmesser des Computers immer noch mehr als dreihundert Kilometer. Zudem befand er sich im Inneren des leistungsstärksten Bollwerks, das jemals von Menschenhand gebaut worden war, denn die Aufgabe dieses Computers bestand nicht nur darin, die Raumflotte zu leiten. Mutter war zugleich auch die Konservatorin des gesamten Imperiums – tatsächlich war es Mutter selbst gewesen, die Colin gekrönt und auch die Schiffe zur Verfügung gestellt hatte, mit denen es schließlich gelungen war, die Achuultani zu schlagen. Bedauerlicherweise (oder vielleicht doch eher glücklicherweise) war sie äußerst sorgsam konstruiert worden, ebenso wie alle Computer der späteren Jahre des Imperiums, damit sie nicht in der Lage wäre, jemals ein Selbst-Bewusstsein zu entwickeln. Das bedeutete allerdings, dass sie ihre unermesslich reichhaltige Schatztruhe voller Daten nur dann öffnete, wenn man ihr genau die richtigen Fragen stellte.

Doch Colin hatte lange Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, was mit der Raumflotte geschähe, sollte Mutter jemals irgendetwas zustoßen, und er hatte die Absicht, die Erde mit Abwehrsystemen auszustatten, die mindestens ebenso leistungsfähig waren wie die von Birhat … und dazu gehörte ein Duplikat von Mutter. Wenn alles wie gewünscht liefe, dann müsste Stiefmutter (Hatcher hatte darauf bestanden, die geplante Anlage so zu nennen) niemals vollständig aktiviert werden. Doch falls Mutter zerstört würde, dann sollte Stiefmutter automatisch das Kommando übernehmen, damit die Raumflotte und das gesamte Imperium stets über eine voll einsatzbereite Kommandozentrale verfügten.

»Wie sieht denn nach den neuesten Schätzungen der erforderliche Zeitrahmen aus?«

»Nach sehr, sehr vagen Schätzungen und wenn wir davon ausgehen dürfen, dass wir in absehbarer Zeit die Computertechnologie selbst hinreichend beherrschen werden, um nicht andauernd Dahak mit Fragen belästigen zu müssen: sechs Jahre, bis wir mit dem Bau des Rumpfes anfangen können. Nach weiteren fünf Jahren sollten wir dann die Arbeiten abschließen können.«

»Verdammt! Ach, was soll’s! Wir werden in frühestens vier oder fünf Jahrhunderten wieder etwas von den Achuultani hören. Dennoch möchte ich, dass dieses Projekt so schnell wie möglich abgeschlossen wird, Ger!«

»Klar«, bestätigte Hatcher. »Aber wir sollten in der Lage sein, in der Zwischenzeit schon die ersten neuen Planetoiden in Dienst zu stellen, und das deutlich früher. Deren Computer sind ja kleiner und einfacher ausgestattet – ohne diese ganzen Mutter-Dateien, von denen kein Mensch weiß, was sich in ihnen alles verbirgt. Und die andere Hardware stellt auch kein großes Problem dar, selbst nicht, wenn wir die neuen Systemtest-Programme berücksichtigen.«

»Okay.« Nun wandte Colin sich Tsien zu. »Noch irgendwelche Anmerkungen dazu, Tao-ling?«

»Ich fürchte, Gerald hat mir ordentlich den Wind aus den Segeln genommen«, setzte Tsien an, und Hatcher grinste. Rein technisch gesehen unterstand alles, was nicht mobil war, Tsiens Kommando – von Verteidigungsanlagen und Werften bis zu Forschungs- und Entwicklungsprojekten und der Ausbildung der Flottenangehörigen. Aber nachdem derzeit die Wartung und Bemannung von Hatchers Planetoiden derartige Priorität genossen, überschnitten sich die Zuständigkeitsbereiche der beiden Männer immens.

»Wie Dahak und er bereits berichtet haben, ist inzwischen bei einem Großteil des Bia-Systems wieder vollständige Funktionsfähigkeit erreicht. Da sich derzeit weniger als vierhundert Millionen Mann im System befinden, ist unsere Mannschaftsstärke noch dünner als die von Gerald, aber wir kommen zurecht, und die Lage bessert sich. Mit viel Hilfe von Dahak leisten Baltan und Geran ausgezeichnete Arbeit auf dem Gebiet ›Forschung und Entwicklung‹, auch wenn sich die Forschung in absehbarer Zeit darauf beschränkt, die letzten Projekte des Imperiums nachzuvollziehen. Von besonderem Interesse ist es, dass das Imperium mit der Entwicklung völlig neuartiger Gravitonen-Gefechtsköpfe begonnen hat.«

»Ach?« Fragend hob Colin eine Augenbraue. »Davon höre ich gerade zum ersten Mal.«

»Ich auch«, warf Hatcher ein. »Was sind das für Gefechtsköpfe, Tao-ling?«

»Wir haben die Daten erst vor zwei Tagen gefunden«, erklärte Tsien und klang fast so, als wolle er sich entschuldigen, »aber das, was wir bisher gesehen haben, lässt auf eine Waffe schließen, deren Wirkung um mehrere Größenordnungen stärker ist als alles, was bisher gebaut wurde.«

»Beim Schöpfer!« In seinem Sessel richtete sich Horus auf, halb fasziniert, halb entsetzt. Vor einundfünfzigtausend Jahren war er ein Gefechtskopfspezialist im Vierten Imperium gewesen, und die entsetzliche Effizienz der Waffen, die das Imperium hervorgebracht hatte, war für ihn ein immenser Schock gewesen, als er zum ersten Mal mit diesen zu tun bekommen hatte.

»Allerdings«, war Tsien nüchterner Kommentar. »Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich vermute, dieser Gefechtskopf könnte deine Leistung bei Zeta Trianguli im Alleingang wiederholen, Colin.«

Diese Bemerkung brachte mehrere der Anwesenden dazu, hörbar zu schlucken, Colin eingeschlossen. Er hatte den Überlicht-Enchanach-Antrieb bei der Zweiten Schlacht von Zeta Trianguli Australis als Waffe eingesetzt. Dieser Antrieb erzeugte gewaltige Schwerkraftfelder – im Prinzip nichts anderes als konvergierende schwarze Löcher – und nutzte diese dazu, Schiffe über eine Reihe verzögerungsloser Übergänge im wahrsten Sinne des Wortes aus dem ›Real‹-Raum herauszupressen. Die Verweilzeit eines mit Enchanach-Antrieb ausgestatteten Schiffes im Normal-Raum war ausgesprochen kurz, geradezu minimal. Selbst wenn es dabei einem Stern, in interstellarem Maßstab gerechnet, recht nahe kam, hielt sich ein Schiff, das sich mit einer neunhundertfachen Lichtgeschwindigkeit bewegte, nicht lange genug in dessen Nähe auf, als dass es dadurch hätte Schaden nehmen können. Doch die Initial-Aktivierung und die abschließende Deaktivierung dauerte deutlich länger, und genau das hatte Colin dazu genutzt, eine Nova zu erzeugen, durch die mehr als eine Million Schiffe der Achuultani zerstört worden waren.

Doch für diese Glanzleistung hatte er ein halbes Dutzend Planetoiden gebraucht, und die Vorstellung, diese Wirkung mit einem einzigen Gefechtskopf zu erzielen, war zutiefst erschreckend.

»Kein Scherz?«, fragte er nach.

»Kein Scherz. Die Gesamtleistung dieses Gefechtskopfs ist deutlich geringer als die der Geschosse, die du bisher eingesetzt hast. Aber zugleich scheint sie deutlich fokussierter zu sein. Unserer vorsichtigsten Schätzung nach dürfen wir vermuten, dass diese Waffe in der Lage wäre, einen ganzen Planeten und alles in einem Umkreis von dreihundert- bis vierhunderttausend Kilometern zu zerstören.«

»Allmächtiger!« Jiltanith sprach so leise, dass sie kaum zu verstehen war, und sie streichelte den Knauf des Dolches aus dem fünfzehnten Jahrhundert, den sie stets bei sich trug. »Unvorstellbar, würd’ solch’ Höllenwerk durch Missgeschick eine unserer Welten ganz zerschmettern!«

»Na, da hast du Recht«, murmelte Colin und erschauerte. Wegen Zeta Trianguli hatte er immer noch Albträume, und auch wenn das unbeabsichtigte Zünden eines Gravitonen-Gefechtskopfes praktisch unmöglich war, hatte das Imperium doch das Gleiche über die unbeabsichtigte Freisetzung eines ihrer biologischen Kampfstoffe gedacht.

»Komm bloß nicht auf die Idee, so ein Ding zu bauen, Tao-ling!«, warnte er. »Mach bei der Nachforschung, was immer du für richtig hältst – ach verdammt, vielleicht werden wir so etwas gegen den Master-Computer der Achuultani ja tatsächlich brauchen! Aber bau keinerlei Hardware dazu, ohne dich vorher mit mir abzusprechen!«

»Sehr wohl, Euer Majestät!«

»Hast du sonst noch irgendwelche Überraschungen für uns auf Lager?«

»Nichts von vergleichbarer Größenordnung. Dahak und ich werden dir bis zum Ende der Woche einen vollständigen Bericht vorlegen, wenn du das wünschst.«

»Und ob ich das wünsche!« Colin wandte sich jetzt Hector MacMahan zu. »Gibt es irgendwelche Probleme mit dem Korps, Hector?«

»Nur wenige. Was die Mannschaftsstärke angeht, kommen wir besser hin als Gerald. Aber unsere Gesamt-Sollstärke ist ja auch geringer. Einige unserer leitenden Offiziere haben gewisse Schwierigkeiten, sich an die Möglichkeiten zu gewöhnen, die imperiale Ausrüstung bietet – die meisten von denen waren schon beim Korps lange vor der Zeit der Belagerung. Deswegen hatten wir ein paar kleinere Unannehmlichkeiten beim Training. Amanda korrigiert einen Großteil der auftretenden Fehler in Fort Hawter, und die neue Generation, die jetzt nachwächst, muss glücklicherweise nicht erst altes Erlerntes wieder vergessen. Ich kann, was meinen Aufgabenbereich angeht, nichts entdecken, über das man sich würde Sorgen machen müssen.«

»Fein!«, lobte Colin. Wenn Hector MacMahan keinen Anlass fand, sich Sorgen zu machen, dann gab es auch nichts, um das man sich sorgen musste. Daher richtete Colin seine Aufmerksamkeit jetzt auf Horus. »Wie läuft es auf der Erde, Horus?«

»Ich wünschte, ich könnte dir sagen, die Lage habe sich verändert, Colin, aber dem ist nicht so. Derart tief greifende Veränderungen führen immer zu Unruhen jeglicher Art. Die Umstellung auf die neue Währung ging reibungsloser, als wir eigentlich zu hoffen gewagt hatten. Aber von der gesamten Prä-Belagerungsökonomie ist nichts übrig geblieben. Was wir an Neuem haben schaffen können, hat sich noch nicht wirklich etabliert, und es gibt reichlich Leute, die bei diesem ganzen ökonomischen Umbau auf der Strecke bleiben und hochgradig verärgert sind.«

Der alte Mann lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Tatsächlich haben derzeit die Leute an beiden Enden des Spektrums darunter zu leiden. Alles, was zur Sicherung des Existenzminimums notwendig ist, läuft wunderbar – wenigstens besteht nicht mehr die Gefahr einer Hungersnot, und wir können eine vernünftige medizinische Grundversorgung für alle gewährleisten. Aber praktisch jedes zu erlernende Handwerk ist jetzt hoffnungslos veraltet, und das trifft die Dritte Welt natürlich besonders schlimm. Natürlich waren auch die Industrienationen vor der Belagerung nicht in der Lage, sich so etwas wie imperiale Technologie auch nur vorzustellen – trotzdem: Die dachten wenigstens schon in High-Tech-Begriffen. Nur macht das die Umschulungsprogramme auch nicht weniger aufwändig.

Und was noch schlimmer ist: Wir werden mindestens ein weiteres Jahrzehnt brauchen, um die moderne Technologie wirklich jedem zugänglich zu machen – was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie groß die Anstrengungen sind, die sämtliche Militärprogramme erfordern. Was den täglichen Lebensunterhalt angeht, sind wir immer noch weitestgehend auf prä-imperiale Industriemethoden angewiesen, und diejenigen, die in der Industrie Spitzenfunktionen haben, fühlen sich diskriminiert. Sie haben das Gefühl, in Jobs gelandet zu sein, bei denen sie keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten mehr haben. Die Tatsache aber, dass die zivilen biotechnischen Erweiterungen und die moderne Medizin ihnen zwei oder drei Jahrhunderte Zeit lassen, sich zu ihrem Besten weiterzuentwickeln, ist bei den meisten noch nicht wirklich angekommen.

Und dass es Versorgungsengpässe bei der biotechnischen Erweiterung der Bevölkerung gibt, ist dem Ganzen auch nicht gerade förderlich. Wie üblich kommt Isis viel besser voran, als ich gedacht hätte. Aber wieder einmal sind es die Leute in der Dritten Welt, die am meisten darunter zu leiden haben. Irgendwelche Prioritäten mussten wir ja setzen, und da gibt es einfach mehr Leute und einen weniger ausgeprägten technischen Hintergrund. Manche von denen glauben wirklich immer noch, Biotechnologie sei in Wirklichkeit Zauberei!«

»Ich bin wirklich froh, dass es dich gibt und ich dir diesen Job aufs Auge drücken konnte!«, meinte Colin, und es war seinem Tonfall anzumerken, dass er aus tiefstem Herzen sprach. »Gibt es irgendetwas, womit wir dir die Aufgabe erleichtern könnten?«

»Eigentlich nicht.« Horus seufzte. »Wir arbeiten jetzt schon so hart und so schnell, wie wir nur können. Wir haben einfach nicht genug Leute, die wir einsetzen können. Aber wir werden das Kind schon irgendwie schaukeln. Immerhin habe ich ein paar hochkarätige Helfer im Planetaren Rat. Wir haben eine ganze Menge lernen müssen, als wir uns auf die Belagerung vorbereiten mussten. Deswegen ist es uns jetzt gelungen, einige wirklich unschöne Fehler zu vermeiden.«

»Würde es dir helfen, wenn man dir die Verantwortung für Birhat abnehmen würde?«

»Nicht allzu viel, fürchte ich. Die meisten meiner Untergebenen hier sind sowieso direkt in Geralds oder Tao-lings Aufgabenbereiche involviert. Ich muss mich also nur um all die kümmern, die wiederum von denen abhängig sind. Natürlich …«, plötzlich grinste Horus breit, »… ist mein Vizegouverneur, da bin ich mir ganz sicher, ohnehin schon der Ansicht, ich sei viel zu oft von der Erde fort!«

»Dieser Meinung wird dein Vizegouverneur mit absoluter Sicherheit sein!« Leise lachte Colin in sich hinein. »Aber mein Vizegouverneur ist wahrscheinlich genau der gleichen Meinung.«

»Ja, das ist er tatsächlich!«, lachte Horus. »Und Lawrence war wirklich ein Geschenk des Himmels«, fügte er dann deutlich ernster hinzu. »Er hat mir wirklich einen gewaltigen Anteil meiner täglichen Pflichten abgenommen, und Isis und er bilden ein außerordentlich effizientes Team, was die biotechnischen Erweiterungen angeht.«

»Ich bin froh, dass du ihn hast.« Colin kannte Lawrence Jefferson nicht annähernd so gut, wie ihm lieb gewesen wäre. Doch das, was er über den Mann wusste, beeindruckte ihn zutiefst. Der Magna Charta gemäß wurden imperiale Planetar-Gouverneure vom Imperator persönlich ernannt, doch den Vizegouverneur bestimmte dessen unmittelbarer Vorgesetzter, basierend auf den Vorschlägen und der Billigung des Planetaren Rates. Nach so vielen Jahren, die Horus schon Bewohner (wenngleich im eigentlichen Sinne nicht Bürger) des nordamerikanischen Kontinents war, hatte er beschlossen, diese beratende und zustimmende Funktion in eine echte Wahl umzuwandeln, wobei er von seinen Ratgebern um Vorschläge gebeten hatte: Die Wahl war auf Jefferson gefallen. Während Colin die Enklave von Anu und seinen Gefährten gestürmt hatte, war Jefferson US-Senator gewesen. Während der Belagerung allerdings hatte er als Maat gedient und war anschließend während seiner dritten Amtszeit als Senator ausgeschieden, um seinen neuen Posten zu bekleiden. Schon recht bald war ihm der Ruf vorausgeeilt, er sei ein kompetenter Mann voller Charme und Esprit.

Nun wandte sich Colin Ninhursag zu. »Gibt es etwas Neues vom FND, ’Hursag?«

»Eigentlich nicht.« Wie Horus und Jiltanith war auch die untersetzte und auf eine angenehm unauffällige Art hübsche Frau an Bord der Dahak zur Erde gekommen. Wie Horus (doch anders als Jiltanith, die während dieser Ereignisse noch ein kleines Kind gewesen war) hatte sie sich der Meuterei um Flottenkapitän Anu angeschlossen, nur um dann entsetzt feststellen zu müssen, dass diese Meuterei lediglich den ersten Punkt auf dem Plan des Leitenden Ingenieurs der Dahak zum Sturz des Imperiums selbst darstellte. Doch während Horus sich von Anu abgewandt und einen Jahrtausende währenden Guerilla-Krieg gegen ihn geführt hatte, war Ninhursag in Stasis in Anus Enklave in der Antarktis gefangen gewesen. Als man sie schließlich geweckt hatte, war es ihr gelungen, Kontakt mit den Guerillas aufzunehmen und ihnen Informationen zukommen zu lassen, die den letzten, verzweifelten Ansturm gegen die Enklave erst möglich gemacht hatten. Jetzt, als Admiralin der Raumflotte, leitete sie den Flottennachrichtendienst und beschrieb sich gerne selbst als Colins ›OS‹, was die Abkürzung für ›Ober-Spionin‹ war. Colin bestätigte ihr immer wieder gern, dass diese selbst gewählte Abkürzung für ihren Tätigkeitsbereich in jeder Hinsicht passend sei.

»Wir haben immer noch Probleme«, fuhr sie fort, »aus dem selben Grund, den Horus bereits so treffend beschrieben hat: Wenn man eine ganze Welt auf den Kopf stellt, dann schürt man damit jede Menge Unmut. Andererseits hat die Erde eine halbe Milliarde Opfer des Achuultani-Angriffs zu beklagen – und jeder Mensch auf diesem Planeten weiß ganz genau, wer dem Rest den Hintern gerettet hat. Fast alle sind bereit, was dich und ’Tanni betrifft, nach dem Prinzip ›Im Zweifelsfalle für den Angeklagten‹ zu entscheiden, egal, was ihr tut oder was wir in eurem Namen tun. Die Unzufriedenen behalten Gus und ich dann schön im Auge. Aber die meisten aus dieser Gruppe konnten einander schon vor der Belagerung nicht ausstehen, und das erschwert natürlich jede Form der Zusammenarbeit. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, können die dennoch nicht das Ausmaß an Ehrfurcht ruinieren, das der Rest der Menschheit dir, Colin, entgegenbringt.«

Inzwischen errötete Colin nicht mehr, wenn jemand ihm derartige Dinge sagte, jetzt nickte er nur nachdenklich. Gustav van Gelder war Horus’ Sicherheitsminister, und auch wenn Ninhursag die Möglichkeiten, die imperiale Technologie bot, deutlich besser verstand als er, hatte Gus ihr doch sehr viel darüber beigebracht, wie Menschen funktionierten.

»Um ganz ehrlich zu sein«, fuhr Ninhursag fort, »wäre ich deutlich zufriedener, wenn ich irgendetwas finden könnte, was mir ernstlich Sorgen bereiten würde.«

»Wie ist das zu verstehen?«, wollte Colin genauer wissen.

»Ich schätze, ich bin ein wenig so wie Horus, der sich immer Sorgen darüber macht, was ihm als Nächstes in die Quere kommen könnte. Wir kommen so schnell voran, dass ich nicht einmal in der Lage bin, alle Mitspieler überhaupt kennen zu lernen, geschweige denn herauszufinden, was sie wohl im Schilde führen könnten. Und selbst die besten Sicherheitsvorkehrungen könnten löchrig sein wie ein Sieb. Ich habe zum Beispiel Stunden mit Dahak und einem ganzen Team meiner besten Jungs und Mädels darauf verwendet, eine Möglichkeit zu finden, wie wir die von Anus Verbündeten, die Terrageborene sind und überlebt haben, identifizieren könnten, und wir sind kläglich gescheitert.«

»Willst du mir damit sagen, wir hätten die noch nicht alle erwischt?!« Mit einem Mal saß Colin stocksteif da, und Jiltanith neben ihm spannte sich sichtlich an. Ninhursag schien von der Reaktionen der beiden überrascht.

»Hast du es ihnen nicht gesagt, Dahak?«, fragte sie.

»Ich bedaure …«, die Stimme klang ungewohnt peinlich berührt, »… aber das habe ich noch nicht getan. Zumindest nicht in aller Deutlichkeit.«

»Und was zum Teufel heißt das jetzt wieder?«, wollte Colin wissen.

»Das heißt, Colin, dass ich die Daten in einen deiner Implantat-Downloads eingefügt habe, aber ich habe verabsäumt, dich explizit darauf hinzuweisen.«

Colin legte die Stirn in Falten und gab geistig die Befehlssequenz ein, mit der er den Index seiner Implantat-Daten aufrufen konnte. Das Problem mit Informationen, die auf das Implantat heruntergeladen wurden, war, dass sie eben nur abgespeicherte Daten waren: Solange der Implantatsträger diese Informationen nicht abrief, fehlte ihm unter Umständen das Wissen, dass er über diese Daten bereits verfügte. Jetzt meldete sich der Bericht, den Dahak erwähnt hatte, in seinem Vorderhirn, und Colin verkniff sich gerade noch einen saftigen Fluch.

»Dahak«, begann er anklagend, »ich habe dir doch gesagt …«

»Das hast du.« Der Computer zögerte einen Augenblick, dann fuhr er fort. »Wie du weißt, sind meine Äquivalente zu den menschlichen Eigenschaften ›Intuition‹ und ›Fantasie‹ nach wie vor nur sehr eingeschränkt ausgeprägt. Ich habe begriffen – rein verstandesmäßig, würdest du vielleicht sagen –, dass das menschliche Gehirn nicht über meine eigenen Suchfunktionen verfügt. Doch gelegentlich berücksichtige ich diese Einschränkung nicht. Ich werde es nicht wieder vergessen.«

Der Computer klang tatsächlich, als sei ihm das Ganze peinlich, und Colin zuckte mit den Schultern.

»Vergiss es! Ist ja mehr meine Schuld als deine. Du hast zumindest mit Recht erwarten können, dass ich deine Berichte auch durchgehe.«

»Vielleicht. Dennoch obliegt es mir, dich mit den Daten zu versorgen, die du benötigst. Folglich hätte ich nachfragen müssen, um sicherzustellen, dass dir auch bewusst ist, dass sie dir vorliegen.«

»Jetzt versetz mal nicht gleich deine Dioden in Aufruhr!« Colin wandte sich wieder Ninhursag zu, während Dahak den Laut ausstieß, der einem leisen Lachen entsprach. »Okay, jetzt habe ich den Bericht. Aber ich finde da nichts darüber, wie wir Anu-Leute haben übersehen können … falls das überhaupt geschehen ist.«

»Das ›Wie‹ ist eigentlich sogar recht einfach. Anu und seine Spießgesellen haben Tausende von Jahren damit verbracht, die Bevölkerung der Erde zu manipulieren. Sie haben sich eine ungeheuer große Anzahl direkter Kontakte aufgebaut, darunter ganze Rudel von Leuten, die gar nicht wussten, für wen sie da arbeiteten. Einen Großteil ihrer hohen Tiere haben wir erwischt, als ihr die Enklave gestürmt habt. Aber es kann nicht sein, dass Anu alle dorthineingezwängt hat. Es ist uns gelungen, die wichtigeren Nebenfiguren anhand der Unterlagen zu identifizieren, die wir bei den Meuterern gefunden haben, aber wir müssen einfach jede Menge von den ganz kleinen Fischen übersehen haben.

Diese Leute machen mir auch gar keine Sorgen. Die werden schon wissen, was ihnen droht, wenn sie irgendwie Aufmerksamkeit erregen. Ich gehe davon aus, dass die meisten sich entschieden haben dürften, ganz besonders treue Untertanen des Imperiums zu werden. Aber das, was mir ein wenig Sorgen bereitet, ist, dass Kirinal mindestens zwei streng geheime Zellen unterhalten hat, von denen niemand etwas wusste. Als du und ’Tanni sie bei dem Angriff auf Cuernavaca getötet habt, da wussten nicht einmal Anu und Ganhar, wer diese Leute waren – deswegen wurden sie vor dem letzten Angriff auch nicht in die Enklave zurückgeholt.«

»Großer Gott, ’Hursag!« Hatcher klang zutiefst entsetzt. »Willst du damit sagen, dass immer noch hochrangige Anu-Anhänger frei herumlaufen?«

»Höchstens ein Dutzend«, erwiderte Ninhursag, »und die werden, genau wie die kleinen Fische auch, ganz gewiss nicht Aufmerksamkeit auf sich lenken. Ich will ja nicht vorschlagen, dass wir die einfach vergessen, Gerald, aber jetzt stell dir doch mal vor, in was für einem Schlamassel die stecken! Die haben, als Colin Anu erledigt hat, den Mann verloren, der die Hand schützend über sie gehalten hat, und wie Horus und ich schon erwähnt haben: Wir haben die gesamte Gesellschaft der Erde auf den Kopf gestellt. Anus Anhänger dürften wahrscheinlich reichlich von dem Einfluss verloren haben, den sie innerhalb der alten Machtstrukturen noch besessen haben. Selbst die, die jetzt nicht völlig im Regen stehen, können nur noch mit ihren eigenen Ressourcen arbeiten, und die werden ganz bestimmt nichts unternehmen, was uns irgendwie auf ihre früheren Beziehungen zu Anu schließen ließe.«

»Was Admiralin MacMahan sagt, ist zutreffend«, meldete sich jetzt Dahak wieder zu Wort. »Ich will damit nicht die Behauptung aufstellen, sie könnten nie wieder eine Bedrohung oder Belästigung darstellen – tatsächlich zeigt die Tatsache, dass sie wissentlich Anu gedient haben, dass sie nicht nur über kriminelle Energie in hohem Ausmaße verfügen, sondern auch über Ehrgeiz und fachliches Geschick. Aber sie befinden sich nicht mehr innerhalb einer sie stützenden Struktur. Ohne das Monopol auf imperiale Technologie, das in den letzten Jahrtausenden bei Anu gelegen hat, sind sie nur noch einfache Kriminelle. Während es töricht wäre, davon auszugehen, sie seien außerstande, erneut eine sie stützende Struktur zu etablieren, oder die Suche nach ihnen endgültig aufzugeben, stellen sie keine inhärent größere Bedrohung dar als jede andere Gruppe skrupelloser Individuen auch. Ferner sollte zur Kenntnis genommen werden, dass sie auf einer Aktivistenzellen-Basis organisiert waren, was vermuten lässt, dass die Angehörigen einer Zelle lediglich weitere Mitglieder der gleichen Zelle kennen dürften. Konzertiertes Handeln ihrerseits in größerer Zahl erscheint daher unwahrscheinlich.«

»Pah!« Hatcher stieß ein skeptisches Grunzen aus, dann zwang er sich dazu, sich wieder zu entspannen. »Also gut, was das angeht, hast du meines Erachtens Recht. Aber es macht mich dennoch nervös zu wissen, dass überhaupt noch welche von Anus Spießgesellen frei herumlaufen!«

»Mir geht’s genauso«, bemerkte Colin, und Jiltanith neben ihm nickte schweigend. »Andererseits klingt es für mich ganz so, als wären du, Dahak und Gus der Lage voll und ganz gewachsen, ’Hursag. Sorg dafür, dass es so bleibt, und sorg auch dafür, dass ich erfahre, sollte sich diesbezüglich irgendetwas – und ich meine hier wirklich irgendetwas! – ändern!«

»Selbstverständlich«, antwortete Ninhursag leise. »In der Zwischenzeit liegt, so scheint es mir, das größte Gefahrenpotenzial in drei Bereichen. Zum einen im Unmut der Dritten Welt, den Horus bereits erwähnt hat. Viele der dortigen Bewohner sehen im Imperium immer noch eine Spielart des westlichen Imperialismus. Selbst einige von denen, die tatsächlich glauben, dass wir hier unser Bestes geben, um alle fair zu behandeln, können nicht einfach darüber hinwegsehen, dass wir ihnen unsere Ideen und unsere Regierungsgewalt aufgezwungen haben. Ich gehe davon aus, dass sich dieses spezielle Problem mit der Zeit gibt, aber wir werden wohl noch viele, viele Jahre daran zu knabbern haben.

Zweitens haben wir da die Leute aus den Industrienationen, die miterlebt haben, wie ihre Positionen in den alten Machtgefügen einfach weggebrochen sind. Manche von denen sind schon zu einer richtigen Plage geworden, wie die alten Gewerkschaften, die immer noch gegen unsere ›Arbeitsplätze vernichtende neue Technologie‹ kämpfen. Aber auch hier glaube ich, dass die Masse der Individuen aus dieser Gruppe – zumindest in der nachfolgenden Generation – sich irgendwann daran gewöhnen wird.

Den dritten und in mancherlei Hinsicht unangenehmsten Faktor stellen die religiösen Fanatiker dar.« Unglücklich runzelte Ninhursag die Stirn. »Ich verstehe diese Anhänger-des-wahren-Glaubens-Mentalität nicht gut genug, um selbstbewusst damit umgehen zu können, und da draußen gibt es jede Menge Anhänger des Wahren Glaubens. Und nicht nur in den verschiedenen radikal-islamischen Blöcken. Im Augenblick sehe ich da noch keine klaren Anzeichen für eine Organisation – von dieser ›Kirche des Armageddon‹ mal abgesehen. Aber es ist verdammt schwer, mit jemandem zu diskutieren, der fest davon überzeugt ist, Gott sei auf seiner Seite. Diese Gruppe stellt allerdings immer noch keine echte Bedrohung dar, solange die nicht zu irgendetwas Größerem, deutlich Unschönerem fusionieren … und da die Magna Charta Religionsfreiheit garantiert, können wir nicht viel dagegen tun, solange die nicht etwas unternehmen, was unverkennbar Hochverrat gleichkommt oder anders das Gesetz bricht.«

Sie schwieg einen Augenblick, in dem sie über das nachdachte, was sie bisher gesagt hatte, und zuckte dann mit den Achseln.

»So ungefähr sieht es im Augenblick aus. Viel Radau, aber bisher keine deutlichen Anzeichen einer echten Gefahr. Wir halten die Augen offen, aber in den meisten Fällen wird es einfach nur eine Zeit lang dauern, bis sich die Spannungen abbauen.«

»Okay.« Colin lehnte sich zurück und blickte sich um. »Haben wir sonst noch etwas, was wir dringend besprechen müssten?« Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort, und er stand auf. »Wenn das so ist, sollten wir mal nachschauen, was die Kinder wieder angestellt haben!«

Mehr als achthundert Lichtjahre von Birhat entfernt drehte ein Mann seinen Sessel zum Fenster und schaute blicklos, aber doch konzentriert hinaus. Sein Blick galt nicht dem atemberaubenden Panorama, sondern etwas, das weit jenseits dieses Anblicks lag.

Unter leisem Knarren schaukelte er den altmodischen Drehstuhl vor und zurück und legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander, tippte sich mit den Zeigefingern immer wieder gegen das Kinn, während er über die Veränderungen nachdachte, die seine Welt durchgemacht hatte … und all die anderen Veränderungen, die er in deren Kielwasser noch in die Tat umzusetzen vorschlug. Es hatte fast zehn Jahre gedauert, den Posten zu bekommen, den er dafür bekleiden musste. Er hatte es jedoch erreicht, so weit aufzusteigen – allerdings nicht, das gab er unumwunden zu, ohne die Hilfe des Imperators persönlich in Anspruch genommen zu haben. Nun allerdings konnte das Spiel bald beginnen.

An sich war am Konzept eines Imperiums ja nichts Falsches, gab er zu, noch nicht einmal am Konzept eines Imperators für die gesamte Menschheit. Irgendjemand musste die Menschheit ja schließlich dazu bringen, endlich zusammenzuarbeiten, allen traditionellen Unterschieden zum Trotz, und er, der Mann, der hier in diesem Drehstuhl saß und die Aussicht zu bewundern schien, gab sich keinerlei Illusionen hin, was seine eigene Spezies betraf. Selbst wenn sie noch so sehr voller guter Absichten waren (angenommen, so etwas wie ›gute Absichten‹ gab es überhaupt – er fühlte sich nicht genötigt, solche der Menschheit überhaupt zuzugestehen), hatten doch nur die wenigsten dieser wimmelnden Milliarden von Erdbewohnern auch nur den Hauch einer Ahnung davon, wie man einen demokratischen Weltstaat von Grund auf errichtete. Und selbst wenn sie einen solchen demokratischen Weltstaat aus eigener Kraft bereits in die Tat umgesetzt hätten, standen Demokratien auf der Erde doch allgemein in dem wenig schmeichelhaften Ruf, Probleme, die keine unmittelbar erkennbare Tragweite besaßen, stets nur sehr kurzsichtig anzugehen: Und die Aufgabe, die Achuultani endgültig vernichtend zu schlagen, würde Jahrhunderte in Anspruch nehmen. Nein, mit einer Demokratie würde das niemals funktionieren! Natürlich war der Mann im Drehstuhl dieser Regierungsform ohnehin niemals sonderlich zugeneigt gewesen, sonst hätte Kirinal ihn ja kaum angeheuert, oder nicht?

Nicht, dass seine eigene Meinung zu demokratischen Regierungen von irgendeiner Bedeutung gewesen wäre, denn eines war ganz deutlich: Colin I. hatte die Absicht, von seinem Vorrecht der Direktregierung Gebrauch zu machen und so die zentrale Autorität darzustellen, die die Menschheit im Moment dringend benötigte. Und, so sinnierte der Mann im Drehsessel, Seine Majestät leistete da ausgezeichnete Arbeit! Höchstwahrscheinlich war er der beliebteste Regent oder Staatschef in der Geschichte der Menschheit. Und dann durfte auf keinen Fall diese eine Kleinigkeit außer Acht gelassen werden, nämlich, dass die Streitkräfte des Fünften Imperiums ihrem Imperator und ihrer Imperatorin zutiefst loyal gegenüber waren – man könnte fast sagen: fanatisch loyal.

Und all das zusammen, gab der Mann in dem Sessel zu, machte die Lage recht kompliziert. Aber wenn das Spiel einfach gewesen wäre, dann hätte ja jeder mitspielen können, und wie unangenehm das dann geworden wäre, war kaum vorstellbar!

Leise lachte der Mann in sich hinein, schaukelte sanft vor und zurück und lauschte dem leisen, fast melodischen Knarren des Sessels. Eigentlich bewunderte er den Imperator. Wie viele Menschen wären schon in der Lage gewesen, ein Imperium wiederzuerwecken, das zusammen mit seiner gesamten Bevölkerung vor mehr als fünfundvierzigtausend Jahren den Tod gefunden hatte, und sich dann auch noch zu dessen Regenten krönen zu lassen? Das war wirklich eine Leistung stellaren Ausmaßes, welche Vorteile seine militärische Ausbildung Colin MacIntyre dabei auch gebracht haben mochten. Und davor hatte der Mann in dem Sessel tiefen Respekt.

Bedauerlicherweise konnte es nur einen Imperator geben. Wie tüchtig dieser auch sein mochte, wie entschlossen, wie geschickt, es konnte nur einen Imperator geben … und das war nicht der Mann, der hier in diesem Sessel saß.

Oder, so korrigierte eben jener Mann sich mit einem kleinen Lächeln, noch nicht.

Kapitel Zwei

»Bist du fertig, Horus?«

Der Planetar-Herzog von Terra blickte auf und verzog das Gesicht, als Lawrence Jefferson sein Büro betrat.

»Nein«, entgegnete er säuerlich und ließ einen Datenchip in das Sicherheitsfach seines Schreibtischs fallen. »Aber besser als jetzt wird es mit dem ›Fertigsein‹ im ganzen nächsten Jahrzehnt nicht mehr, also können wir genauso gut auch jetzt los! Schließlich feiern meine Enkelkinder nicht jeden Tag ihren zwölften Geburtstag, und der ist nun wirklich wichtiger als das hier.«

Jefferson lachte, während Horus sich erhob und seinem Schreibtisch-Computer die Anweisung erteilte, das Sicherheitsfach zu verriegeln, und ein Lächeln spielte um die Lippen des alten Mannes. Er warf einen Blick auf Jeffersons Aktentasche.

»Ich sehe schon, du vergisst deine Hausaufgaben nicht zu Hause.«

»Ich gehe ja auch nicht auf diese Party. Außerdem sind das gar nicht ›meine‹ Hausaufgaben – das ist die Kopie von Gus’ Bericht über diese Anti-Narhani-Demonstration, die ich an Admiral MacMahan weiterleiten muss.«

»Oh.« Horus klang exakt so angewidert, wie er sich fühlte. »Weißt du, ich habe es inzwischen gelernt, mit Vorurteilen umzugehen. Wir alle leiden darunter, zumindest in einem gewissen Ausmaß, aber diese Anti-Narhani-Sache, das ist doch schlichte, altmodische Bigotterie!«

»Das ist wohl wahr, aber der Unterschied zwischen Vorurteilen und Bigotterie liegt üblicherweise in der Dummheit. Die Lösung dazu heißt: Aufklärung. Die Narhani sind auf unserer Seite; das müssen wir diesen Idioten nur endlich klarmachen.«

»Ich habe das dumpfe Gefühl, sie wären nicht begeistert davon, mit welchen Namen du sie belegst.«

»Ich nenne sie so, wie ich es für angemessen halte.« Jefferson grinste. »Außerdem bist du der Einzige hier, der das gehört hat. Und wenn das irgendwie an die Presse gelangt, dann weiß ich ja, wem ich das zu verdanken habe.«

»Das werde ich mir merken.« Über seinen Neuralzugang fuhr Horus seinen Computer herunter, dann schlenderten die beiden gemeinsam aus seinem Büro, und zwei bewaffnete Marines, als Wachen zu ihrem Schutz abgestellt, nahmen sofort Haltung an. Ihre Anwesenheit hier war eine reine Formalität, doch die beiden Angehörigen des Marine-Korps, das unter dem Kommando von Hector MacMahan stand, nahmen ihre Pflichten äußerst ernst. Außerdem war Horus schließlich der Ur-ur-ur-usw.-Großvater ihres Kommandanten.

Mit dem altmodischen Fahrstuhl gelangten die beiden Männer ins Erdgeschoss. Der White Tower im alten Shepherd Center der NASA hatte die gesamte Belagerung über Horus als Hauptquartier gedient, und der Gouverneur hatte sich sämtlichen Versuchen gegenüber gesperrt, sein Hauptquartier aus Colorado weg woandershin zu verlegen. Argumentiert hatte er damit, das Shepherd Center habe noch nie irgendeiner Nation als Hauptstadt gedient, und diese Tatsache werde nationalistisch bedingte Eifersüchteleien entschärfen. Außerdem mochte er das Klima in Colorado.

Horus und Jefferson überquerten den großen, freien Platz, der vor dem White Tower lag, und gingen zum Mat-Trans-Terminal hinüber. Jefferson war dankbar, seine biotechnischen Erweiterungen erhalten zu haben, als er sah, dass sein Atem kleine Wölkchen vor seinen Lippen entstehen ließ. Er gehörte nicht dem Militär an; deswegen hatte er nicht den vollständigen Erweiterungssatz erhalten, der etwa Horus die zehnfache Stärke eines normalen Menschen verlieh. Aber die Erweiterungen, die er erhalten hatte, reichten aus, um Temperaturen, die unter dem Gefrierpunkt lagen, deutlich leichter überstehen zu können. Und das war recht praktisch, denn die Erde hatte sich noch nicht ganz von der Mini-Eiszeit erholt, die eine Folgeerscheinung der Bombardierung während der Belagerung gewesen war.

Während Horus und Jefferson zu ihrem Ziel hinüberspazierten, plauderten sie zwanglos miteinander, genossen diesen Augenblick echter Privatsphäre, und doch verwirrte es Jefferson immer noch ein wenig, dass sie nicht von Leibwächtern begleitet wurden. Er war auf einem Planeten aufgewachsen, auf dem Terrorismus die bevorzugte ›Protestform‹ der Habenichts-Nationen darstellte, und der Bericht, den er in seiner Aktentasche mit sich führte, war ein Beweis dafür, dass sein Heimatplanet vor Unmut geradezu überschäumte, während er auf technologischem Gebiet einen Quantensprung vollführte, der ihn neun oder zehn Jahrtausende vorantrieb. Und doch war gegen den Gouverneur der Erde gerichtete Gewalt praktisch unvorstellbar. Horus hatte die Völker der Erde nicht nur durch das Blutbad dieser Belagerung angeführt, er war auch noch der Vater ihrer geliebten Imperatorin, und nur ein ausgewählt dummer Verrückter würde versuchen, ausgerechnet ihn anzugreifen, um auf diese Weise irgendein obskures politisches Ziel zum Ausdruck bringen zu wollen.

Nicht, dass es, so sinnierte Jefferson, in der Geschichte nicht vor dummen Verrückten nur so gewimmelt hätte!

Sie betraten die Mat-Trans-Anlagen, und Jefferson spürte, wie er sich innerlich verspannte. Die Anlagen sahen nun wirklich nicht besonders beeindruckend aus – vor ihnen lag nur eine mit einem Geländer abgesicherte Plattform von zwanzig Metern Breite. Daran zu denken allerdings, was diese Anlage hier konnte, reichte aus, um dieses hell erleuchtete Podest in etwas zu verwandeln, was den primitiven Baumbewohner, der immer noch irgendwo tief im Innersten des Vizegouverneurs verborgen war, schaudern ließ.

Er verlangsamte seinen Schritt, und Horus grinste ihn an.

»Jetzt nimm es nicht so schwer! Und glaub bloß nicht, du wärst der Einzige, dem das hier Angst einjagt!«