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Die Galaktische Föderation weiß, dass sie den Spezies am Rande ihres eigenen Sternensystems technisch weit überlegen ist, und daran will sie auch nicht das Geringste ändern.
Doch eines Tages kauft sich eine kleine Handelsgilde eine römische Legion von der primitiven Erde, mit der sie auf den unterentwickelten Welten ihre Konzessionen durchzusetzen versuchen - mit großem Erfolg.
Eine konkurrierende Gilde beschließt, ebenfalls eine Legion einzusetzen, doch sind auf der Erde Jahrhunderte verstrichen, und es gibt gar keine Römer mehr. Daher weicht sie auf das aus, was verfügbar ist: englische Langbogenschützen. Und die sind viel, viel gefährlicher als römische Legionen ...
David Webers spannender Mix aus Science-Fiction und alternativer Geschichte! Jetzt endlich wieder erhältlich als eBook von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.
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Seitenzahl: 508
Cover
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Die Galaktische Föderation weiß, dass sie den Spezies am Rande ihres eigenen Sternensystems technisch weit überlegen ist, und daran will sie auch nicht das Geringste ändern.
Doch eines Tages kauft sich eine kleine Handelsgilde eine römische Legion von der primitiven Erde, mit der sie auf den unterentwickelten Welten ihre Konzessionen durchzusetzen versuchen – mit großem Erfolg.
Eine konkurrierende Gilde beschließt, ebenfalls eine Legion einzusetzen, doch sind auf der Erde Jahrhunderte verstrichen, und es gibt gar keine Römer mehr. Daher weicht sie auf das aus, was verfügbar ist: englische Langbogenschützen. Und die sind viel, viel gefährlicher als römische Legionen …
David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.
David Weber
DIEEXCALIBUR-ALTERNATIVE
Aus dem Englischen vonIrmhild Seeland
beBEYOND
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 bei Bastei Lübbe Taschenbücher in der Verlagsgruppe Lübbe. Die amerikanische Originalausgabe trägt den Titel »The Excalibur Alternative«.
Copyright © 2002 by David Weber and John Ringo
Published by Arrangement with BAEN BOOKS, Wake Forest, NC 27588 USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Peter Thannisch / Stefan Bauer
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Umschlaggestaltung: © Arndt Drechsler, Regensburg
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4579-7
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für Bobbie und Sharon,
Ein dämonischer Wind begrüßte das bleiche Tageslicht mit höllischem Wutgeheul. Dabei war es kein wirkliches Tageslicht, auch wenn die Sonne irgendwo über den kochenden schwarzen Wolken wieder in den Himmel gestiegen war. Es war nur das Zwielicht des Teufels, begleitet von heftigen, peitschenden Regengüssen und Gischt, grollenden Donnerschlägen, dem Fauchen des Windes und dem endlosen Pfeifen im Rigg, untermalt von dem Knattern zerrissener Segel, die bis zur endgültigen Zerstörung flatterten.
Sir George Wincaster, Dritter Baron von Wickworth, klammerte sich an das Stag und spürte, wie es bebte und ächzte unter der Belastung, während er sich nur durch die schiere hoffnungslose Kraft seines Willens auf den Beinen halten konnte. Die Rettungsleine, die der Kapitän des Schiffs um ihn geschlungen hatte, als der entsetzliche Sturm gestern Morgen loswütete, schnitt sich schmerzhaft in seine Brust, seine vom Salz aufgesprungene Lippen brannten, und Regen und Gischt hatten ihn völlig durchnässt. Er fühlte sich, als ob ein Schlachtross immer wieder über ihn geprescht wäre, und die Verzweiflung hielt mit bleierner Faust sein Herz umklammert. Er war zu unwissend gewesen, um das Entsetzen des Kapitäns zu begreifen, als das Wetter umschlug, denn er war Soldat, kein Seemann. Jetzt aber begriff er nur zu gut, und er beobachtete wie betäubt, wie die arg mitgenommene Kogge, die in allen Balken und Tauen ächzte, erneut in ein riesenhaftes, schiefergraues Wellental stürzte, eingehüllt von Schaum und Gischt, bis der runde Bug tief eintauchte. Wasser stürzte brüllend über die Längsseiten des Schiffs. Giftgrün und eisig wie der Tod riss es an ihm und an allen Männern, die sich an Deck des kämpfenden Schiffs befanden. Die hungrige, zerstörerische Wut der Welle brach über Sir George herein und nahm ihm den Atem, sodass er gequält aufstöhnte, dann war es vorbei, und er warf den Kopf hoch, rang nach Luft und rieb sich das Wasser aus dem Gesicht, das ihm auch in Nase und Augen gedrungen war.
Wieder kämpfte sich die Kogge aus dem Abgrund empor und schwankte, während das Wasser durch die verbogene Reling abfloss. Zerrissenes Tauwerk flog herum, hart wie Eisenstangen und tödlich wie Dreschflegel in dem heulenden Toben des Windes, und er hörte, wie der Rumpf gequält ächzte. Sir George war eine Landratte, doch selbst er spürte die schweren Bewegungen des Schiffs und wusste, dass die Männer – und Frauen – die verzweifelt an den Pumpen und mit Eimern, Schüsseln und bloßen Händen schufteten, kaum eine Chance hatten.
Das Schiff war zum Untergang verdammt. Alle Schiffe seiner Expedition waren verdammt – und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Der unerwartete Sommersturm hatte sie im schlimmstmöglichen Moment erwischt, gerade als sie auf dem Weg von Lancaster in die Normandie die Scilly-Inseln umrundeten. Es hatte keine Vorwarnung gegeben, keine Zeit, Schutz zu suchen, nur die verzweifelte Hoffnung, dass sie irgendwie die Gewalt des Sturms auf offener See abreiten konnten.
Und diese Hoffnung war zerschlagen.
Sir George hatte eines seiner Schiffe untergehen sehen. Er war nicht ganz sicher, welches, aber er glaubte, es war Lord Cathwalls Flaggschiff gewesen. Er hoffte, dass er sich irrte. Es war unwahrscheinlich, dass auch nur ein Einziger von ihnen überleben würde, aber Lord Cathwell war mehr als nur der Kommandant der Expedition, er war auch Sir Georges Schwiegervater, und sie empfanden eine tiefe, liebevolle Achtung voreinander. Und vielleicht irrte sich Sir George ja wirklich. Das sterbende Schiff war fast nahe genug gewesen, um die Schreie der unglücklichen Besatzung selbst bei dem wütenden Heulen des Sturms zu hören, als es in die Tiefe sank, doch die Dunkelheit und die Gewalt des Unwetters, nur durch das Gleißen einzelner Blitze zerrissen, hatte es unmöglich gemacht, etwas Genaueres zu erkennen.
Doch auch wenn es das einzige Schiff gewesen war, dessen Untergang er mitangesehen hatte, hatte er die düstere Gewissheit, dass es noch anderen ebenso ergangen war. Tatsächlich konnte er nur noch eines der Schiffe sehen, das noch immer hoffnungslos kämpfte, und er knirschte mit den Zähnen, als ein weiterer schwerer Brecher über seinem eigenen Schiff zusammenschlug. Der Aufprall ließ das Schiff erbeben, und ein erneuter Chor aus Schreien und Gebeten drang undeutlich von den Männern, Frauen und Kindern, die sich unter Deck befanden, an seine Ohren. Seine Frau Matilda und ihr Sohn Edward befanden sich in diesem dunklen, schrecklichen Höllenloch aus beängstigender Enge und Erbrechen, aus losgerissener Ladung und hereinstürzendem Meerwasser, und Entsetzen drohte ihn zu ersticken, als er wieder an sie dachte. Er versuchte, Worte des Gebets zu finden und Gott anzuflehen, seine Frau und seinen Sohn zu retten. Er bat nicht für sich selbst, das war nicht seine Art. Er war verantwortlich dafür, dass sie sich überhaupt hier befanden. Falls Gott sein Leben im Austausch für jene forderte, die ihm so viel teurer waren, war es ein Preis, den er ohne zu klagen gewillt war zu zahlen.
Doch er wusste, dass ihm ein solcher Handel nicht gestattet war. Er und Matilda und Edward würden gemeinsam ihr Ende finden, zerschmettert von der seelenlosen Bosheit und der gefühllosen Brutalität von See und Wind, und tief in ihm erhob sich bitterer Protest gegen den Gott, der solches beschlossen hatte.
Das Schiff schauderte und zitterte, hob und senkte sich in der Qual von überlasteten Planken und ächzendem Rigg. Sir George sah auf, als der Schiffsmaat etwas schrie. Er konnte die Worte nicht verstehen, aber er wusste, dass es eine Frage war, und er schüttelte sich wie ein nasser Hund und versuchte, sein Gehirn zum Arbeiten zu bringen. Trotz seiner Unkenntnis über das Meer hatte er das Kommando über das Schiff übernehmen müssen, als ein fallender Sparren den Kapitän getötet hatte. Er hatte genau genommen nichts weiter getan, als den Vorschlägen des Maats zuzustimmen, und seine Autorität zur Unterstützung eines Mannes eingesetzt, der vielleicht – vielleicht! – genug wusste, um sie noch ein paar Stunden am Leben zu erhalten. Der Maat hatte diese Hilfe gebraucht, jemanden, der die letztendliche Verantwortung übernahm, und das war die Aufgabe Sir Georges. Verantwortung zu übernehmen. Nein, eine Verantwortung anzuerkennen, die bereits die seine war. Und so gab er sich den Anschein, als denke er sorgfältig über das nach, was der Maat diesmal von ihm wollte, und nickte dann heftig.
Der Maat nickte zurück und brüllte dann seiner erschöpften, mitgenommenen Hand voll Matrosen Befehle zu. Das Heulen des Windes und das Tosen des Meeres zerrissen seine Worte in bedeutungslose Fetzen, soweit Sir George das beurteilen konnte, aber zwei oder drei Männer begannen sich über das Deck zu ziehen, um auszuführen, was immer der Maat befohlen hatte, und Sir George wandte sein Gesicht wieder dem gequälten Mahlstrom der See zu. Es spielte eigentlich keine Rolle, was der Maat tat, fand er. Schlimmstenfalls kostete ein Fehler sie ein paar Stunden Leben, an die sie sich noch hätten klammern können, bestenfalls verschaffte ihnen ein brillantes Manöver noch ein oder zwei Stunden, die sie sonst nicht gehabt hätten. Das Ergebnis wäre am Ende ohnehin gleich.
Er hatte solche Hoffnungen gehabt, so viele Pläne geschmiedet. Sir George Wincaster war ein harter Mann. Und ein entschlossener dazu. Ein Fürst des Reiches, der sich als junger Mann im Alter von zweiundzwanzig Jahren bei Dupplin und der Belagerung von Berwick die Gunst seines Monarchen hatte sichern können und ein Jahr darauf auf dem Feld von Halidon Hill von Edward III. persönlich zum Ritter geschlagen worden war. Er war ein Mann, der acht Jahre später in der Schlacht von Sluys gekämpft hatte und dafür mit einem Orden geehrt worden war – Hätte ich damals nur ein bisschen mehr über Schiffe gelernt, dachte er jetzt mit einem Anflug bissigen Humors, dann wäre ich vielleicht klug genug gewesen, dieses Mal zu Hause zu bleiben! – und der durch den französischen Feldzug von 1340 eine bittere Niederlage erfahren hatte. Und ein Mann, der fünf Jahre später mit einem Vermögen aus dem Feldzug mit Henry von Denby in die Gascogne zurückgekehrt war.
Verdammt viel genützt hat es mir am Ende, sagte er sich bitter, wenn ich an seine strahlenden Pläne denke. Mit fünfunddreißig hatte er den Gipfel seiner Karriere erreicht, war ein hartgesottener Berufssoldat. Ein Ritter, ja, aber auch der Enkel eines Bürgerlichen, der Ritterstand und Baronie auf harte Weise erworben hatte. Er war ein Mann, der die grausame Wirklichkeit des Krieges kennen gelernt hatte, die nichts gemein hatte mit den Geschichten der Minnesänger von Romantik und Ritterlichkeit. Ein Mann, der kämpfte, um zu siegen – und der die gewaltigen Veränderungen durchschaute, die England mit seinen tödlichen Langbögen den kontinentalen Fürsten und ihren Vorstellungen von der Kunst des Krieges bringen würde.
Und ein Mann, der wusste, wie man sein Vermögen machte, wie Länder und Macht zu gewinnen waren, im Dienst seines Königs gegen Philip von Frankreich. Trotz der Niederlage im Jahr 1340 hatte das letzte Jahr gezeigt, dass Edward III. der wahre Erbe seines Großvaters war und nicht schwach und genusssüchtig wie sein eigener Vater. Longshanks hätte dieser König gefallen, dachte Sir George. Anfangs war er noch zögerlich, aber jetzt, da Denby den Weg vorgezeigt und er sich entschlossen hat, Philipp allein die Stirn zu bieten, werden die Löwen von England die Franzosen zum Heulen bringen!
Vielleicht würden sie das tun, und gewiss waren die Ansprüche Edwards auf den französischen Thron besser begründet als die Philips IV., aber Sir George Wincaster würde sich an der Seite seines Königs keinen weiteren Ruhm verdienen oder noch mehr Wohlstand und Macht erlangen können, um sie seinem Sohn zu hinterlassen. Denn er und alle Truppen unter seinem Befehl würden hier ihr Ende finden, und kein Mensch würde je erfahren, wo und wann sie zu Grunde gegangen waren.
Das totenbleiche Licht des sturmgepeitschten Nachmittags ging langsam in den Abend über, und nur allmählich begriff Sir George, dass sie irgendwie wieder einen Tag überlebt hatten.
Er war zu erschöpft, um darüber noch erstaunt zu sein – und obwohl er hätte dankbar dafür sein sollen, war dies nicht der Fall. Wieder drohte eine Nacht voll Schrecken und Angst, Erschöpfung und verzweifeltem Kampf, und während er sich dafür wappnete, wollte der verräterische Teil in ihm nur noch, dass es ein Ende hatte, dass es endlich vorbei war.
Dass er ruhen konnte.
Aber Ruhe würde er noch früh genug finden, ermahnte er sich. Eine Ewigkeit davon, wenn er Glück hatte und der Hölle entging. Er hoffte, dass es so sein würde, aber er war auch Realist – und Soldat. Und selbst die besten Soldaten mussten auf das Fegefeuer gefasst sein, während die schlimmsten …
Er wischte den Gedanken beiseite, nicht ohne den sehnsüchtigen Wunsch, dass er und Vater Timothy noch einmal darüber diskutieren konnten, und zwang sich, sich umzuschauen. Das zweite Schiff befand sich noch immer bei ihnen, weiter weg in der zunehmenden Dunkelheit, aber es kämpfte sich noch durch die hohen grauen Wogen, und er konnte dahinter tatsächlich noch ein drittes Schiff ausmachen. Vielleicht waren sogar noch ein oder zwei da, außer seiner Sichtweite, aber …
Sir Georges stolpernde, von Erschöpfung durchtränkte Gedanken brachen ruckartig ab, und seine Hand packte das Stag wie eine Klaue. Eine brechende Stimme schrie irgendetwas, kaum hörbar bei dem Tosen des Windes und dem Donnern des Meeres, doch sie war eindeutig mit Angst und Schrecken erfüllt, und Sir George biss die Zähne zusammen, denn auch ihn sprang diese Angst an, als er dieses Ding, diese seltsame, gigantische Form abrupt und entgegen aller Gesetze der Natur durch die Kulisse aus Wolken und Regen brechen sah.
Er konnte es zuerst nicht begreifen. Sein Verstand konnte es nicht fassen oder einen Bezugspunkt finden, an dem er dieses Ding, diese sonderbare Form messen oder einschätzen konnte. Sie war zu riesig, zu fremdartig – zu unmöglich. Sie konnte nicht existieren, nicht in einer Welt von Sterblichen, doch sie hing über ihnen, bewegungslos, und die Wut des Sturms konnte ihr nichts anhaben, als wäre diese nichts weiter als ein sanftes Säuseln. Wie polierte Bronze schimmerte sie, flackernd spiegelten sich die gleißenden Blitze darin, auf einer Meile oder mehr Länge, einem Etwas aus sanften Kurven und schimmernden Flanken, ausgestattet mit juwelenartigen roten, weißen und bernsteinfarbigen Lichtern.
Er starrte es an, zu verblüfft und erstaunt zum Denken. Der Schrecken des tobenden Unwetters, selbst seine Angst um Frau und Sohn, wurden verdrängt durch den schieren, unglaublichen Schock über dieses riesenhafte Ding, das da vor den kochenden Wolken und dem Regen hing.
Und dann begann es sich zu bewegen. Nicht rasch, sondern mit verächtlicher Gelassenheit, als würde es sich über den wütenden Zorn des Sturms amüsieren. Es trieb über die entfernteren Schiffe hinweg, die Sir George vorhin gesehen hatte, und das Licht wurde auch heller, strahlender, als sich Teile der Hülle bewegten und veränderten.
Nein, sie verändern sich nicht, dachte Sir George dumpf. Sie öffnen sich. Und diese Lichter kommen aus dem Inneren dieses … was es auch immer ist. Es sind Türen, Türen zu Kammern voller Licht und …
Seine Gedanken gerieten wieder ins Stocken und brachen ab, als noch weitere dieser Formen erschienen, viel kleinere, aber mit derselben unnatürlichen Lautlosigkeit, während der Sturm sie umtobte. Einige waren kreuzförmig, und sie schwebten mit der Anmut einer segelnden Möwe oder eines Albatrosses, während andere flache Kegel oder gar Kugeln waren. Doch sie alle wiesen den bronzefarbigen Schimmer auf wie die große Form, die sie geboren hatte.
Sie schwärmten aus, umringten die halb gesunkene Kogge und …
»Grundgütiger!«
Sir George wandte den Kopf, zu geschockt über das unglaubliche Schauspiel, das er mit eigenen Augen sah, um sich darüber zu wundern, wie Vater Timothy plötzlich hier aufgetaucht war. Der Dominikaner mit dem schlohweißen Haar war hoch gewachsen und hatte die kraftvollen Schultern des Bogenschützen, der er gewesen war, ehe er vor Jahrzehnten den Ruf Gottes vernommen hatte. Sir George lockerte seinen eisernen Griff um das Stag, um seine Finger in den Arm seines Beichtvaters zu krallen.
»Im Namen Gottes, Timothy! Was ist das?!«
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Priester aufrichtig. »Aber …«
Seine Stimme brach abrupt ab, und er löste seine Hand von der Reling, um sich rasch zu bekreuzigen. Sir George konnte es ihm nicht verdenken.
»Heilige Maria, Mutter Gottes«, wisperte der Baron, ließ Vater Timothy los und bekreuzigte sich selbst, allerdings mit sehr langsamen Bewegungen, wie unbewusst, als ein unirdischer Lichtschein von den Formen ausging, die das andere Schiff umschwebten. Es war ein Lichtstrahl, der das schwankende Schiff berührte, es umfasste …
… und es tatsächlich aus der kochenden See hob.
Jemand an Bord von Sir Georges eigenem Schiff fing an zu stammeln, Bruchstücke aus Gebeten, vermischt mit Flüchen entsetzter Leugnung. Der Baron selbst stand schweigend da, unfähig, seine Augen von dem unmöglichen Anblick zu reißen. Er sah Wasser in senkrechten Bahnen aus dem schwebenden Schiff fließen, das halb überflutet gewesen war. Erst, als das ausfließende und senkrecht nach unten strömende Wasser das Meer fast erreichte, wurde es von dem wütenden Wind zu fliegender Gischt zerstoben. Doch die Formen umhüllten das Schiff mit ihrem Glanz, hoben es mühelos zu der größeren Form empor, die sie ausgespien hatte, und Sir George zuckte zusammen, als jemand an Bord des steigenden Schiffs, ohne Zweifel wahnsinnig vor Angst, sich über die Reling stürzte. Noch einer folgte, dann ein dritter.
»Narren!«, brüllte Vater Timothy. »Dummköpfe! Idioten! Gott will ihnen das Leben bewahren, und sie …«
Der Priester brach ab und hämmerte seine große, knorrige Faust auf die Reling.
Der erste stürzende Körper schlug auf das Wasser und verschwand sofort, der zweite und dritte jedoch nicht. Weitere Lichtstrahlen berührten die fallenden Gestalten und fingen ihren tödlichen Sturz auf. Das Licht hob sie wieder empor, zusammen mit dem Schiff, und brachte sie näher zu den hell erleuchteten Toren. Sir George schluckte hart. Auf gut eine Meile hatte er die Länge der Form geschätzt, aber er hatte sich geirrt. Das Ding, diese Form war länger, viel länger. Der Schiffsrumpf gab Sir George jetzt eine Vergleichsmöglichkeit, und das Schiff war nicht mehr als ein Kinderspielzeug neben der gewaltigen, glänzenden Ungeheuerlichkeit, die wie ein bronzener Berggipfel in den schwarzen Wolken des Unwetters thronte.
»Waren sie wirklich Dummköpfe?« Er wusste nicht, dass er es laut aussprach – jedenfalls nicht laut genug, dass Vater Timothy es über das Tosen der See und dem Heulen des Windes hören konnte. Doch der Priester drehte sich zu ihm um und hob eine Augenbraue. Dieser Gesichtsausdruck erinnerte Sir George an die Zeit, als Vater Timothy sein Lehrer gewesen war, so wie er jetzt Edwards Lehrer war.
»Waren sie wirklich Dummköpfe?«, wiederholte Sir George, und jetzt brüllte er gegen den Sturm an. »Seid Ihr so sicher, dass das … das Ding«, er deutete mit einer Hand, die zu seinem eigenen Erstaunen nicht zitterte, auf die gigantische Form, »von Gott geschickt wurde und nicht vom Teufel?«
»Es ist egal, wer es geschickt hat! Wichtig ist nur, dass es ihr Leben rettet, und solange sie leben, können sie auf Gottes Gnade hoffen!«
»Leben?«, wiederholte Sir George, und Vater Timothy schüttelte den Kopf, als wolle er die Begriffsstutzigkeit seines Herrn und ehemaligen Schülers tadeln.
»Was auch immer letztendlich sein Ziel ist, im Augenblick hat es offensichtlich vor, das Schiff zu retten – und womöglich alle von uns, die noch am Leben sind.«
»Aber … warum?«
»Das weiß ich nicht«, gab Vater Timothy zu. »Ich weiß jedoch genug von Gottes Liebe, um zu hoffen, dass er es uns in seiner Gnade sandte, und ich weiß genug von der Bosheit der Menschen, um zu fürchten, dass wir keine Gnade empfangen werden. Was auch immer die Absicht dieses Dings ist und wer auch immer es geschickt haben mag, wir werden es noch früh genug erfahren, Mylord.«
Sir Georges Schiff war das letzte, das aus dem Meer gehoben wurde.
Er hatte zumindest den Anschein seiner gewohnten Selbstbeherrschung wiedergefunden und schaffte es, eine gewisse, wenn auch unsichere Ruhe auf die anderen an Bord auszustrahlen, während die kleineren Formen das Schiff umringten. Jetzt stand er an der Reling, in der Rüstung, die er auch nicht angelegt hatte, als die Bedrohung nur das Meer war, und blickte auf die größere Form, Frau und Sohn an seiner Seite. Einige Leute hätten es gewiss nicht als gerade heldenhaft angesehen, sich an seine Frau zu klammern, und er versuchte es aussehen zu lassen, als ob er seinen gepanzerten Arm nur deshalb so fest um sie gelegt hatte, um sie zu trösten, doch sie beide wussten es besser. Wie immer stützte ihn Matilda, drückte ihre Wange stolz gegen seine Schulter, obwohl er sie vor Entsetzen zittern spürte, und er wandte den Kopf, um einen Kuss in ihr durchnässtes, windzerzaustes Haar zu drücken. Seit vierzehn Jahren stand sie an seiner Seite, unbeirrbar, und hatte ihm stets Halt gegeben. Er verspürte große, vertraute Zärtlichkeit, da er wieder einmal Kraft aus ihr schöpfte.
Er küsste noch einmal ihr Haar, dann wanderte sein Blick wieder zu dem gigantischen Ding über ihnen. Seine Leute wussten, dass er ebenso wenig wie sie eine Ahnung hatte, was es war, aber ihr Gehorsam saß tief, vor allem unter den Männern seines eigenen Haushalts und ihrer Familien. Sie schöpften ein klein wenig Mut, in dem sie sich einredeten, ihr Lehnsherr würde schon wissen, was er tat. Er spürte ihre Blicke auf sich ruhen, als das Licht herabströmte und das Heulen des Windes und das Donnern der See abrupt abbrach. Man spürte keinerlei Bewegung, und er hielt den Blick fest auf die riesenhafte Form gerichtet, die sie zu erwarten schien, statt über die Reling zu spähen und zu sehen, wie das Meer in der plötzlichen, unnatürlichen Stille unter ihnen versank.
Ihr unheimlicher Flug nach oben verlief in großer Schnelligkeit, und doch war nicht der leiseste Windhauch an Deck zu spüren. Es war, als ob die Luft rings um das Schiff eingefroren wäre, eingesperrt in eine Stille und Lautlosigkeit, die in der natürlichen Welt keinen Platz hatte. Der Regen prasselte weiter, doch er schien am Rande dieser stillen Unbewegtheit abzuprallen und in gewaltigen Fontänen zu versprühen.
Trotz der Schnelligkeit schien die Reise ewig zu dauern, und Sir George hörte Vater Timothy hastig auf Latein vor sich hin murmeln, als sie hoch und höher stiegen und die peitschenden Wogen unter sich ließen. Dann schwebten sie durch das geöffnete Tor, und Sir George schluckte, als er die anderen Schiffe wie weggeworfene Spielzeuge in der gewaltigen Höhlung der ungeheuren Form sah.
Insgesamt waren es neun Schiffe, einschließlich seines eigenen. Das waren mehr als er zu wagen gehofft hatte, doch kaum mehr als die Hälfte derer, die nach Frankreich aufgebrochen waren, und er biss die Zähne zusammen. Ob es nun Graf Cathwalls Schiff gewesen war, das er hatte untergehen sehen oder nicht, das Schiff des Grafen war jedenfalls nicht unter denen, die sich hier in der Höhlung befanden.
Das Schiff sank auf den Höhlenboden, und Sir George packte die Reling fester, weil er erwartete, dass sich das Schiff auf die abgerundete Seite legte, wenn das Licht es losließ. Doch das Schiff tat nichts dergleichen. Es stand aufrecht da, und immer noch strömte Wasser leise aus dem Inneren. Sir George zwang sich, die Reling loszulassen.
»Legt eine Leiter über die Seite«, befahl er dem Maat.
»Ich weiß nicht …«, begann dieser, brach jedoch ab. »Natürlich, Mylord. Ich muss nur erst …«
Wieder brach er ab, diesmal mit einem würdelosen Quieken, und Sir George musste an sich halten, um nicht einen gleichermaßen demütigenden Laut von sich zu geben, als ihn eine unsichtbare Hand von den Füßen hob. Sein Arm schlang sich fester um Matilda, und er hörte Edwards entsetztes Keuchen, aber keiner der beiden beschämte ihn durch einen Aufschrei, und sein Herz schwoll vor Stolz auf alle beide.
Die unsichtbare Hand war ebenso sanft wie unwiderstehlich, und er tat einen tiefen, schaudernden Atemzug der Erleichterung, als sie ihn wieder auf die Füße stellte. Alle anderen folgten vom Schiff, schwebten durch die Luft wie ungeschickte Vögel, viele vor Panik mit den Armen um sich schlagend und mit den Beinen strampelnd, bis alle neben dem gestrandeten Schiff standen, verwundert und verängstigt und bemüht, dies nicht zu zeigen, während sie Sir George hilfesuchend anstarrten.
»Gehen Sie zu den grünen Lichtern an dem inneren Schott«, sagte eine Stimme, und gegen seinen Willen zuckte er erstaunt zusammen.
»Zauberei!«, keuchte jemand, und Sir George kämpfte gegen den Drang an, sich zu bekreuzigen, denn die Stimme hatte direkt in seinem Ohr gesprochen, als ob ihr Besitzer neben ihm stünde, doch es war niemand zu sehen! Und an der Stimme selbst war etwas sehr seltsames. Ein Widerhall und ein Timbre, wie er es noch nie gehört hatte – und wie er aus den Mienen der anderen schloss, hatte diese Stimme in jedes Ohr gesprochen, nicht nur in seins.
»Ob Zauberei oder engelgleiche Kräfte, wir scheinen keine andere Wahl zu haben, als zu gehorchen, jedenfalls für den Augenblick«, sagte er so ruhig wie möglich. Er bot Matilda seinen Arm, sah seinen Sohn kurz an und ließ dann den Blick über die anderen vom Schiff wandern. »Trotzdem lasst uns nicht vergessen, dass wir Christen und Engländer sind.«
»Gut gesagt, Mylord!«, brummte Vater Timothy, und dann schenkte er seinen Kameraden ein wildes Lächeln, das dem Bogenschützen, der er früher einmal gewesen war, weit besser zu Gesicht gestanden hätte als dem friedliebenden Mann Gottes, zu dem er geworden war. »Falls es Zauberei ist, dann werden Gott und Seine Mutter gewiss unsere Seelen davor beschützen. Und wenn wir einer Macht der sterblichen Welt gegenüberstehen – nun, welche weltliche Kraft hat es je gegeben, die Engländer nicht überwinden konnten?«
Ein paar Stimmen murmelten Zustimmung, zweifellos ebenso um Selbstvertrauen bemüht wie Sir George selbst in diesem Moment. Der Baron ging voran auf die grünen Lichter zu, die vor ihnen blinkten.
Es war ein langer Marsch. Sir George bemerkte, dass sein Puls langsamer schlug und sein unleugbares Entsetzen ein wenig verblasste. Das kam teilweise, wie er wusste, von seiner tief verwurzelten Neugier, die ihn ablenkte. Er konnte nicht anders, als sich umzusehen und über all das, was er sah, zu staunen und sich zu wundern.
Der schimmernde Boden bestand aus einer fremdartigen Legierung, da war er sich sicher, obwohl er bezweifelte, dass je ein Schmied von einer so riesigen Masse Metall auch nur zu träumen gewagt hatte. Es war bestimmt keine Bronze, obwohl dieses Metall wie Bronze aussah. Es hallte sanft unter seinen Schritten und hatte den glatten, polierten Schimmer, den man nur bei Metall fand, doch das konnte nicht sein. Er wusste, wie viel ein Kettenhemd oder ein Kürass kostete. Es war absurd, auch nur anzunehmen, dass etwas so riesenhaftes wie dieses Ding, in dem sie sich nun befanden, wirklich aus Metall bestand, und doch war das der einzige Schluss, zu dem er gelangte.
Die Lichter waren genauso seltsam, denn sie brannten mit einer hellen Stetigkeit, die gänzlich unnatürlich war. Was immer sie auch zum Leuchten brachte, es war nicht brennendes Öl oder Talg. Genau genommen gab es überhaupt kein Zeichen von einer Flamme, als ob die Erbauer dieser Form irgendwie das Licht der Sonne gefangen hätten, um es wieder freizulassen, wenn sie es benötigten.
Er blinzelte und fragte sich, wieso er so sicher war, dass die Form »erbaut« worden war. Sicher war Zauberei – oder vielleicht die Hand Gottes – eine vernünftigere Erklärung als die, dass ein sterbliches Wesen ein solches Wunder ersonnen hatte. Doch trotz seiner Verwirrung war Sir George der festen Überzeugung, dass all dies tatsächlich das Werk von Händen war, die weder dämonisch noch göttlich waren.
Es war eine Überzeugung, die abrupt in Frage gestellt wurde, als sie ihr Ziel erreichten.
Die Passagiere der anderen Schiffe waren bereits hier versammelt. Wie Sir George hatten die Ritter und die meisten Krieger ihre Waffen ergriffen, ehe sie ihre Schiffe verließen. Viele der Bogenschützen trugen ihre Bögen, aber keiner hatte einen Pfeil auf die Sehne gelegt. Doch auch ohne die Bögen waren reichlich Waffen zu sehen unter den Männern, die zwischen dem »Schott« und den Frauen und Kindern der Expedition standen. Das hätte Sir George ein wenig Zuversicht und Mut geben müssen.
Tat es aber nicht.
Seine Hand schloss sich fester um das Heft seines eigenen Schwertes, und seine Nasenflügel bebten, als er nahe genug heran war, um zu sehen, was die anderen Engländer hatte erstarren lassen.
So viel also zu sterblichen Händen, sagte er sich und verspürte eine seltsame Gelassenheit, ließ sein Schwert los und straffte die Schultern.
Die … Wesen, die vor dem Schott aufgereiht standen, waren nicht menschlich. Sie waren sogar weit davon entfernt. Das kleinste von ihnen war mindestens einen Kopf größer als Sir George mit seinen knapp ein Meter achtzig, und Sir George war einer der größten Männer der Expedition. Doch das war noch der geringste Unterschied zwischen ihnen und jedem Menschen, den Sir George je gesehen hatte.
Alle gingen auf zwei Beinen und hatten zwei Arme, aber damit endete die Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen. Und auch mit jedem anderen Wesen. Tatsächlich waren die Wesen so vollkommen fremdartig, dass gerade diese Fremdartigkeit verhindert hatte, dass er sofort erkannte, dass es sich um zwei verschiedene Arten handelte.
Die eine war in eine geschickt angepasste Plattenrüstung gekleidet, die wie Stahl aussah, anders als die Kombination aus Platte und Kette, die Sir George gewohnt war, und sie war bewaffnet mit riesigen, doppelschneidigen Äxten. Trotz ihrer Größe wirkten sie geradezu gedrungen, und die geöffneten Visiere ihrer Helme ließen große, vorquellende Augen und einen vertieften Schlitz sehen. Der Schlitz saß viel zu hoch im Gesicht für eine Nase, wenn es auch nichts anderes sein konnte, und war auf beiden Seiten umrahmt von haarähnlichen Fransen, die bei jedem Atemzug gespenstisch zitterten. Der breite, froschartige Mund unter dem Nasenschlitz und die Augen waren fast beruhigend vertraut, verglichen mit dem Rest des hässlichen, orangehäutigen, warzigen Gesichts, in dem sie lagen.
Die zweite Art trug nahtlose, einteilige Kleidungsstücke, die dunkelrot waren bis auf die blauen Ärmel und Beine. Diese Kleidungsstücke bedeckten sie vom Hals bis zu den Zehen und von den Schultern bis zu den Fingerspitzen, konnten aber nicht verbergen, dass die Arme und Beine, die sie verdeckten, eindeutig zu viele Gelenke besaßen. Es war, als ob Gott (oder der Teufel) zusätzliche Ellenbogen und Knie in die Glieder der Wesen gesetzt hätte, und ihre Hände und Füße waren im Verhältnis zu ihren Körpern größer als die von Menschen. Aber es kam noch schlimmer, denn die Kleidung endete an der Kehle. Sie verbarg nicht die grau-grüne Haut – die schimmernde, schuppige grau-grüne Haut – der Gesichter dieser Kreaturen oder die senkrechten, mit schlitzförmigen Pupillen versehenen Augen, die wie flüssiges Silber glänzten, oder den echsenartigen Kamm, der die reptilienhaften, mit Schnauzen versehenen Köpfe krönte. Doch trotz ihres grotesken Aussehens fehlte ihnen irgendwie die boshafte Ausstrahlung einer Bedrohung, die von ihren warzengesichtigen Kameraden ausging.
»Dämonen!«, keuchte jemand hinter Sir George, und der Baron schluckte schwer. Seine Hand umklammerte sein Schwert fester, und es brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um die Klinge in der Scheide zu lassen, doch …
»Drachen!«, sagte jemand, und Sir George holte tief Luft und nickte heftig.
»Ja, es sind Drachen, höchst wahrscheinlich!«, erwiderte er laut genug, um sicher zu sein, dass alle Umstehenden ihn hörten – und vermied es, die Warzengesichter genauer zu betrachten. Die Bezeichnung »Drache« stimmte vermutlich selbst für die Schuppenhäutigen nicht. Denn Drachen stammten von der Erde, und er verspürte plötzlich die tiefe und instinktive Überzeugung, dass wo auch immer diese Wesen herstammten, es nicht die Erde war. Doch auch wenn die Bezeichnung nicht wirklich stimmte, sie passte irgendwie.
Und die Männer geraten vielleicht nicht so schnell in Panik über Drachen als über Dämonen, dachte er kühl. Oder auch nicht …
Er holte noch einmal tief Luft und spürte das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen Entsetzen, Disziplin, Vorsicht und Unwissenheit, das die bewaffneten Männer ringsum zu einer unsicheren Ruhe zwang. Es verwunderte ihn, dass ein solches Gleichgewicht unter ihnen auch nur für einen Augenblick Bestand haben konnte, denn es handelte sich bei diesen Männern um ausgebildete Kämpfer. Ausgebildete englische Kämpfer, jeder einzelne ein Soldat.
Aber diese Bedrohung lag so weit außerhalb ihres Erfahrungsbereichs, dass man selbst Engländern Unsicherheit und Zögern nachsehen musste – und dafür dankte Sir George dem Herrn. Denn was immer diese Warzengesichter und Drachenmenschen sein mochten, sie gehörten offenbar zu der Macht, die dieses Schiff, in dem sie sich befanden, geschaffen hatte. Vorausgesetzt, es handelte sich um sterbliche Wesen, dann zweifelte Sir George nicht daran, dass seine Männer sie überwältigen konnten, trotz der Rüstung der Warzengesichter, aber er machte sich keine Illusionen darüber, was die Wirksamkeit von scharfem Stahl gegenüber den anderen Verteidigungsmöglichkeiten betraf, die eine solche Macht wohl zu ihrem Schutz besaß.
Außerdem haben wir – bisher jedenfalls – keinen Grund anzunehmen, dass unsere Retter uns irgendwie feindlich gesonnen sind. Schließlich hatten sie keinerlei Verpflichtung, uns aus dem Meer zu fischen. Falls sie uns Böses wollen, hätten sie uns nur dort zu lassen brauchen. Wir wären bald genug tot gewesen.
Er bemerkte, dass sich Schweigen unter den Menschen seines Schiffs ausgebreitet hatte. Er umarmte Matilda noch einmal, dann trat er vor.
Die Männer, die bisher wie gebannt die grotesken Wesen angestarrt hatten, fuhren zusammen und blickten über ihre Schulter, als sie ihn näherkommen fühlten, und er hörte mehr als ein gemurmeltes Gebet (und einen Fluch) der Erleichterung, als man ihn erkannte. Er war genauso schmutzig und abgerissen wie sie, aber sein dunkler eckiger Bart und die Narbe auf seiner rechten Wange waren allgemein bekannt, geradezu berühmt, selbst unter denen, die Graf Cathwall oder Sir Michael gefolgt waren und nicht Sir George. Wichtiger war vielleicht noch, dass Graf Cathwell tot war, und Sir Michael erwartete sie in der Normandie – und selbst der Dümmste hatte inzwischen begriffen, dass sie dort wohl nicht mehr ankommen würden. Was bewirkte, dass jeder dieser Männer Sir George Wincaster als Führer akzeptierte.
Sie machten Platz, um eine Gasse für ihn zu bilden. Einer oder zwei, die kühner waren als die anderen, streckten sogar die Hand aus, um ihn zu berühren. Ob sie nun ihn ermutigen oder daraus selbst Zuversicht ziehen wollten, wusste er nicht.
Sir Richard Maynton stand ganz vorn in der Menge, und er wandte scharf den Kopf, als Sir George neben ihn trat. Mit den Verlusten, die ihre Machtstruktur erlitten hatte, war Sir Richard – dessen war er sich gewiss – der zweite Kommandant nach Sir George geworden, wobei Sir George noch nicht wusste, was er davon halten sollte, weil er ihn nicht so gut kannte, wie ihm lieb gewesen wäre. Andererseits konnte er die Erleichterung in Sir Richards Augen nicht missdeuten.
»Gott sei Dank!«, sagte der andere Ritter rasch. »Ich fürchtete schon, auch Ihr wärt umgekommen, Mylord!«
»Ja?« Sir George brachte ein leises Lächeln zustande. »Das verstehe ich gut. Ich dachte selbst ein-, zweimal, ich wäre umgekommen!« Ein paar lachten verhalten über den schwachen Scherz, und er schlug dem anderen Ritter auf die Schulter.
»Ich auch«, stimmte Sir Richard zu. »Genau genommen, Mylord, ich …«
Der Ritter verstummte abrupt, und die Menge, die vor den Drachenmännern und Warzengesichtern stand, ließ ein paar unterdrückte Ausrufe hören, als ein helleres Licht aufflammte. Eine Öffnung erschien in dem Schott, und zwar so plötzlich, dass das Auge kaum erkennen konnte, wie die Wandverkleidung förmlich zur Seite schnippte. Ein weiteres Wesen stand in dem plötzlich erschienenen Türrahmen oder der Luke.
Die Warzengesichter und Drachenmenschen waren schon fremdartig, aber dieses Lebewesen war noch bizarrer, wenn es auch in vieler Hinsicht eher komisch als bedrohlich wirkte. Seine Kleidung zeigte dasselbe tiefe Rot wie die der Drachenmenschen, war aber gänzlich rot, ohne die blauen Ärmel und Beine, und ein glänzender Anhänger hing um seinen Hals und baumelte auf seiner Brust. Auch war es klein, reichte Sir George kaum bis zu Brust, und was von seinem Gesicht und Hals zu sehen war, war mit einem flauschigen, purpurroten Pelz bedeckt. Wie die anderen ging es auf zwei Beinen und hatte zwei Arme. Die Hände hatten nur drei Finger, aber jede besaß einen zusätzlichen Daumen an der Stelle, wo bei einem Menschen der kleine Finger saß. All das war schon seltsam genug, aber das Gesicht des Wesens war grotesker als eine Karnevalsmaske. Es war breit und flach, mit zwei länglichen, lippenlosen Mündern, die übereinander lagen. Eine Nase war nicht zu erkennen. Schlimmer noch, es besaß drei Augen: ein einzelnes, großes, dessen Pupille vor dem Obsidianschwarz der Iris nicht zu erkennen war und das mitten in dem oberen Teil des Gesichts saß, sowie zwei kleinere Augen, die tiefer zu beiden Seiten lagen. Und wie zur Krönung seiner absurden Erscheinung, wuchsen aus dem breiten, gedrungenen Kopf zwei große, fuchsähnliche Ohren, die ebenfalls mit dem purpurroten Fell bedeckt waren.
Sir George starrte es an, noch schockierter als beim ersten Anblick der Warzengesichter und der Drachenmenschen. Die hatte er irgendwie einschätzen können. Sie schienen ihm wie Wächter, strahlten auch eine gewisse Bedrohung aus, aber diese Kreatur … Sie konnte genauso gut ein Dämon wie ein Hofnarr sein, und er überlegte, ob er besser lächeln oder sich bekreuzigen sollte.
»Wer ist der Anführer dieser Gruppe?«
Die Stimme war hell, fast zart, klang wie die eines kleinen Kindes und schien aus dem oberen Mund des Dämon-Narren zu kommen, obwohl sich die lippenlose Öffnung nicht synchron zu den Worten bewegte. Das Wesen sprach zudem perfektes Englisch. Als er die Stimme hörte, war Sir George versucht zu lächeln, trotz allem, was geschehen war, denn sie schien weit besser zu einem Narren zu passen als zu einem Dämon. Doch die Versuchung war nur schwach und dauerte auch nur kurz. In der Stimme lag keinerlei Ausdruck, und auch das fremdartige Gesicht zeigte keinerlei Regung. Genau das war der Punkt – es war ein fremdartiges Gesicht, und das wurde Sir George mit brutaler Deutlichkeit klar, als er merkte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben nicht die geringste Ahnung hatte, was das Wesen, das da mit ihm sprach, dachte, wünschte oder fühlte.
»Ich«, antwortete er nach einer langen Pause.
»Und du bist?«, fragte die piepsende Stimme.
»Ich bin Sir George Wincaster, Baron von Wickworth, im Dienste Seiner Majestät Edward III., König von England, Schottland, Wales und Frankreich.« In dieser Antwort lag eine Spur von eisernem Stolz, und Sir George spürte, wie sich einige Rücken in seiner Nähe streckten, aber …
»Du irrst, Sir George Wincaster«, erklärte die piepsige Stimme, immer noch völlig ausdruckslos. »Du stehst nicht mehr in den Diensten irgendeines Menschen. Du stehst jetzt in den Diensten meiner Gilde.«
Sir George starrte das kleine Wesen an, und ein Raunen lief durch die Reihen der Männer hinter ihm. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Dämon-Narr ließ ihm nicht zu Wort kommen.
»Wenn mein Schiff und meine Besatzung nicht eingegriffen hätten, wärt ihr alle ertrunken«, sagte er. »Wir haben euch gerettet. Daher gehört ihr nun uns, und wir können mit euch tun, was uns beliebt.« Ein Raunen und Murren, hervorgerufen ebenso von Furcht wie von Zorn, klang hinter Sir George auf, doch der Dämon-Narr fuhr unbeirrt fort. »Zweifellos werden Primitive wie ihr eine Weile brauchen, um diese Veränderung eures Status völlig zu akzeptieren«, sprach die ausdruckslose Stimme weiter. »Ihr wärt jedoch gut beraten, euch so rasch anzupassen, wie euer beschränkter Verstand es erlaubt.«
»Uns anzupassen …!«, begann jemand voller Wut, doch Sir Georges erhobene Hand brachte den Mann zum Schweigen.
»Wir sind Engländer … Sir«, sagte er ruhig, »und Engländer sind niemandes Besitz.«
»Es ist nicht klug, mir zu widersprechen, Sir George Wincaster«, sagte der Dämon-Narr, noch immer völlig ausdruckslos. »Als Gruppe sind du und deine Leute wertvolle Aktivposten für meine Gilde – oder werdet es jedenfalls sein. Als Einzelwesen hingegen ist keiner von euch unersetzlich.«
Sir George biss die Zähne zusammen. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm Drohungen derart unverhohlen ins Gesicht schleuderte, und gewiss war er es nicht gewohnt, von einer solch zwergenhaften Gestalt bedroht zu werden, die er über dem Knie hätte zerbrechen können. Doch er zwang sich, seine Wut hinunterzuschlucken. Die Warzengesichter und Drachenmenschen waren deutlicher Beweis der Macht, die hinter dem Dämon-Narren stand. Schlimmer noch, Sir George war sich schmerzhaft der Gegenwart seiner Frau und seines Sohnes bewusst.
»Unklug oder nicht«, sagte er nach einem langen Moment des Schweigens, »ich bin es, der diesen Männern befiehlt. Und deshalb ist es meine Pflicht, für sie zu sprechen. Wir sind alle dankbar für unsere Rettung, aber …«
»Ich will eure Dankbarkeit nicht. Meine Gilde und ich verlangen euren Gehorsam«, unterbrach ihn der Dämon-Narr. »Wir verlangen bestimmte Dienste von euch – Dienste, die weder schwierig noch unangenehm für euch sein werden, da es die einzigen Aufgaben sind, für die ihr wirklich ausgebildet und qualifiziert seid.«
Sir George umklammerte erneut den Griff seines Schwertes, doch der Dämon-Narr ignorierte diese Drohung, als ob allein die Vorstellung, dass etwas so Albernes wie ein Schwert eine Gefahr für ihn darstellen könnte, lächerlich sei.
»Wir verlangen lediglich, dass ihr für uns kämpft«, fuhr er fort. »Wenn ihr das tut, werdet ihr gut behandelt und belohnt. Eure Lebensspanne wird weit über das hinaus verlängert, was ihr euch zurzeit auch nur vorstellen könnt, für eure Gesundheit wird gesorgt, für eure …« Die drei Augen blickten an Sir George vorbei, und das Wesen hielt einen Moment inne, als suche es nach dem richtigen Wort. Dann fuhr er ohne jede Regung fort. »Für eure Weibchen und Jungen wird gesorgt, und es wird euch Zugang zu ihnen gewährt.«
»Und wenn wir uns entschließen, nicht für Euch zu kämpfen?«, fragte Sir George rundheraus.
»Dann werden wir euch zwingen, eure Meinung zu ändern«, antwortete der Dämon-Narr. »Unsere Analysen ergaben, dass sich ein derartiger Zwang nicht als schwierig erweisen würde. Ihr seid Primitive aus einer primitiven, barbarischen Kultur, also werden sich einfache und direkte Methoden zweifellos am besten eignen. Zuerst werden wir fünf oder sechs eurer Weibchen und Jungen willkürlich auswählen und sie hinrichten.«
Eine eisige Faust krampfte sich um Sir Georges Magen. Die Drohung kam nicht unerwartet, doch die absolute Gefühllosigkeit, das völlige Fehlen von Emotionen in der Piepsstimme des Dämon-Narren steigerte seine Furcht ins Uferlose. Er zwang sich, nicht über seine Schulter zu Matilda und Edward zu schauen.
»Falls sich solche Mittel als unzulänglich erweisen, gibt es natürlich noch andere«, sprach der Dämon-Narr weiter. »Sollten alle nichts bewirken, könnten wir es mit völliger Persönlichkeitsauslöschung versuchen und euch einfach neu programmieren. Aber das wäre außerordentlich zeitraubend. Außerdem wäre es nicht besonders sinnvoll. Es wäre erheblich kostengünstiger, euch einfach zu entsorgen und eine frische Truppe von Kämpfern aufzulesen. Eine Gruppe von Barbaren ist wie die andere.«
»Aber diese Barbaren sind unter Waffen, Sir!«, bellte eine andere Stimme.
Sir George fuhr herum und empfand einen Stich furchtbarer Gewissheit über das, was jetzt kommen würde. Sir John Denmore hatte kaum das zwanzigste Lebensjahr erreicht, er war jung, heißblütig und vor allem arroganter, als ihm zustand. Er unterstrich seine wütende Bemerkung mit dem stählernen Klirren, mit dem er die Klinge zog. Sein Schwert funkelte unter den unnatürlich hellen Lichtern, und er sprang mit einem wilden Satz nach vorn.
»Bei Gott und Sankt Ge …!«
Er sollte seinen Kriegsruf nie beenden. Sein Schwert fuhr auf den Dämon-Narren zu, doch das Wesen rührte sich nicht einmal. Es stand einfach da, sah mit seinem fremdartigen Mangel an Ausdruck zu, und der Schrei des jungen Ritters erstarb, als sein Schwert auf eine unsichtbare Barriere traf, wie auf eine Mauer aus Luft. Es wurde ihm aus der Hand geprellt, und er sah mit offenem Mund ungläubig, wie es von ihm wegtrudelte. Er schnaubte und griff nach seinem Dolch.
»Haltet ein!«, rief Sir George. »Lasst da …«
Doch es war zu spät. Der Dämon-Narr machte eine Geste, und Sir John hielt gurgelnd inne. Seine Augen traten hervor, seine Miene spiegelte schieres Entsetzen, als sich seine Wut in Panik verwandelte, doch er konnte nicht einmal den Mund öffnen. Er wurde wie in einem riesigen, unsichtbaren Spinnennetz gehalten, den Dolch halb gezogen, vollkommen hilflos.
Der Dämon-Narr sah Sir George an. »Es ist gut für dich, dass du versuchtest, ihn aufzuhalten, statt dich seiner Dummheit anzuschließen«, informierte er den Baron. »Aber ich sehe, dass ihr wirklich Primitive seid und deshalb Beweise für euren neuen Status braucht. Na schön. Ich werde sie euch geben.«
»Es ist nicht nötig, dass …«, begann Sir George.
»Was nötig ist oder nicht, entscheide ich«, piepste der Dämon-Narr und streckte seine zweidaumige Hand dem nächsten Drachenmann entgegen. Der fremde, silberne Blick des Drachenmenschen traf den Sir Georges für einen kurzen Moment, dann griff er an seinen Gürtel und zog ein merkwürdiges Gerät aus einer Scheide. Er reichte das Ding dem Dämon-Narren, und das kleine Wesen betätigte einen kleinen Knopf an der Seite des Geräts.
»Eure Schwerter und Pfeile stellen für mich oder meine Besatzung keinerlei Bedrohung dar, Sir George Wincaster.«
Er hob das Gerät fast nachlässig in Sir Johns Richtung, und dann schrie Sir George voll Grauen auf. Er konnte nicht anders, und weder jetzt noch später empfand er Scham darüber. Ein greller Lichtstrahl der dem Willen des Dämon-Narren zu gehorchen schien, knisterte wie ein Blitz aus dem Gerät und traf Sir John voll in die Brust.
Seine Berührung bedeutete den Tod – aber nicht einfach nur Tod. Der Brustkorb des jungen Mannes flog wie von innen auseinander, als Herz und Lungen explodierten. Ein grausiger Regen aus Blut und zerfetztem Gewebe ging über die Umstehenden nieder, der Gestank nach brennendem Fleisch erfüllte die Luft, und selbst Männer, die im Krieg die schrecklichsten Dinge gesehen hatten, wichen mit Entsetzensschreien zurück. Aber am schlimmsten, wie Sir George später dachte, war das Schweigen des Toten. Als die Höllenwaffe erhoben wurde, selbst als seine Miene sich verzerrte – zuerst vor Schrecken, dann vor Qual –, gab der junge Ritter keinen Laut von sich. Er war unfähig, den Mund zu öffnen oder sich auch nur zu winden. Er konnte nur dort stehen, erstarrt, hilfloser als ein Lamm vor der Schlachtbank, während der Dämon-Narr gelassen seinen Körper auseinander sprengte.
Selbst nach seinem grausamen Tod fiel Sir John nicht um. Sein Leichnam stand aufrecht, sein Gesicht war verzerrt im Todeskampf, Blut floss aus seiner offenen Brust und sammelte sich in einer Lache zu seinen Füßen.
Wäre das nicht Beweis genug gewesen, dass niemand das Wesen attackieren konnte, Sir George hätte es jetzt selbst angegriffen, mit bloßen Händen, wenn nötig. Aber er hatte diesen Beweis erhalten – und er trug die Verantwortung für die Menschen hier, auch die für seine Frau und seinen Sohn. Also tat er etwas, das ihm wesentlich schwerer fiel, als einen hoffnungslosen Angriff zu wagen.
Er stand einfach da, während das Blut eines Mannes, der unter seinem Befehl gestanden hatte, von seinem Gesicht rann, und tat gar nichts.
Sein regloses Beispiel brachte die Hand voll anderer zur Ruhe, die vielleicht angegriffen hätten, und der Dämon-Narr betrachtete sie alle lange Zeit in tödlichem Schweigen. Dann streckte er die Hand aus, und ohne seinen dreiäugigen Blick von Sir George zu nehmen, reichte er die Lichtwaffe dem Drachenmann zurück.
»Ich gehe davon aus, dass deine Krieger diese Lektion begriffen haben, Sir George Wincaster«, piepste er. »Und du auch. Du kannst für diese Männer sprechen, und du darfst sie in die Schlacht führen, aber du bist nicht länger ihr Befehlshaber. Das bin ich. Es sei denn, jemand wollte diesen Punkt in Frage stellen.«
Er machte eine Geste, und der verstümmelte Leichnam, der einst ein arroganter junger Ritter gewesen war, plumpste zu Boden wie totes Fleisch.
Sir George übte eiserne Selbstbeherrschung, als Denmores hingemetzelter Leichnam auf dem Boden aufschlug. Hinter sich spürte er eine Wut, die seiner eigenen entsprach, doch der weißglühende Zorn seiner Männer wurde durch den Schrecken der Machtdemonstration des Dämon-Narren abgekühlt. Er verstand diesen Schrecken, denn er teilte ihn – und nicht nur für sich selbst. Doch die Gefahr, in der Matilda und Edward schwebte, wollte er sich nicht weiter ausmalen, denn das würde ihn entmutigen, und er durfte sich nicht entmutigen lassen. Also stand er einfach da und sah den Dämon-Narren an.
»Und jetzt«, sagte der Dämon-Narr, und seine piepsende Stimme war gefühllos wie immer, als hätte die Ermordung Denmores für ihn nicht mehr bedeutet, als eine Fliege zu erschlagen, »können wir mit eurer Behandlung fortfahren. Ich rate jedem, nicht zu vergessen, dass keiner von euch unersetzlich ist.«
Er blieb noch einen Augenblick stehen und betrachtete die reglosen Menschen mit allen drei Augen, dann wandte er ihnen den Rücken zu. Die Tür, durch die er eingetreten war, öffnete sich genauso schnell und unerwartet wie zuvor, und er trat ohne ein weiteres Wort hindurch.
Sir George sah ihm nach und fragte sich, was wohl als nächstes geschehen würde, und er tat sein Bestes, um zuversichtlich und nicht eingeschüchtert zu wirken. Er bezweifelte, dass seine Haltung wirklich jemanden überzeugte, aber die gleichen Regeln, die von ihm verlangten, dass er sich zuversichtlich gab, verlangten von seinen Offizieren und Männern, dass sie so taten, als nähmen sie ihm diese Zuversicht ab. Der Gedanke ließ ein kleines, unerwartetes Lächeln echter Belustigung auf seinem Gesicht erscheinen, doch es verschwand, als eine andere Stimme aus der Luft zu ihnen sprach.
»Folgen Sie den Leitlichtern«, sagte sie. Es war dieselbe Stimme, die sie zuerst begrüßt hatte, und sie unterschied sich vollkommen von der des Dämon-Narren. In gewisser Weise klang sie menschlicher, denn ihr gleichmäßiger Ton hatte nichts von dem hohen Piepsen, und wenn sie auch genauso ausdruckslos war, klang sie doch weniger … tödlich. »Männer folgen dem roten Licht. Frauen folgen dem grünen Licht.«
Sir Georges Schultern versteiften sich, und seine Hand glitt wieder an den Schwertgriff. Er sog scharf die Luft ein und öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, berührte eine Hand seinen Ellbogen.
Er drehte sich um und sah Matilda neben sich. Ihre dunkelblauen Augen zeigten die gleiche Furcht vor einer Trennung, wie sie auch in seinen stand, und er schämte sich auf einmal, als er den Kummer über den Tod ihres Vaters unter dieser Furcht erkannte. Sie hatte noch mehr verloren als er, doch sie trug den Kopf stolz erhoben, und trotz ihrer Ängste und ihrer Trauer hielten ihre Augen seinen Blick fest. Sie sagte nichts, und es waren auch keine Worte nötig. Er atmete noch einmal ein, tiefer und langsamer, und zwang sich zu nicken.
Sie hatte Recht. Der Gestank von versengtem Fleisch und aufgeplatzten Organen erinnerte ihn nur zu deutlich daran, welchen Preis Widerstand kosten konnte. Doch es war schwer, sehr schwer, sich zu unterwerfen.
»Männer folgen dem roten Licht. Frauen folgen dem grünen Licht. Zuwiderhandlungen werden hart bestraft.«
In dem letzten Satz lag nicht mehr Gefühl als in den anderen, doch die Drohung riss Sir George aus seiner vorübergehenden Erstarrung, und er schüttelte sich, tätschelte die schlanke Hand in seiner Armbeuge und wandte sich zu den Männern und Frauen hinter ihm um.
»Wie es scheint, bleibt uns keine andere Wahl, als zu gehorchen«, sagte er rundheraus. »Mir gefällt das ebenso wenig wie euch, doch wir haben gesehen, wie schnell diese … Wesen töten. Wir haben also keine andere Wahl, zumindest für den Augenblick nicht, als zu tun, was man von uns verlangt.«
Etwas wie ein Seufzen ging durch die Reihen der erschöpften Menschen, und er spürte, wie der Drang nach Widerstand verebbte. Er wartete noch einen Augenblick, um sicher zu sein, dann drückte er Matildas Hand ein letztes Mal, schob sie von seinem Arm und hob sie an die Lippen. Er küsste sie. Dann ließ er sie los und sah, wie sie sich mit hoch erhobenem Kopf umdrehte und auf das grüne Licht zuging. Lady Margaret Stanhope, die Frau von Sir Bryan Stanhope, trat aus der Menge und tat es ihr nach, dann folgten andere Frauen. Sir George beobachtete seine Frau mit brennenden Augen, hin- und hergerissen zwischen Stolz, Angst um sie und der Scham darüber, dass er sie nicht beschützen konnte. Dann wandte er sich zu seinem Sohn um, der zwischen den anderen Männern und Knaben stand.
»Edward«, sagte er leise und streckte die Hand aus, und sein Herz schwoll vor Stolz, als der Junge zu ihm kam. Edwards Gesicht war weiß und verzerrt, und er vermied es sorgfältig, den verstümmelten Leichnam auf dem Boden anzusehen, aber er hielt den Kopf mit dem gleichen Mut erhoben wie seine Mutter, und wenn seine Hand auch zitterte, als er sie in die seines Vaters legte, sein Händedruck war fest.
Sir George erwiderte den Druck und versuchte ein bisschen von dem Stolz hineinzulegen, den er empfand, dann drehte er sich entschlossen zu dem roten Licht um, das sanft mitten in der Luft schwebte, und ging darauf zu.
Die anderen Männer schlossen sich ihm an, erst allein oder zu zweit, dann in Gruppen, und zwei der Warzengesichter bildeten den Abschluss mit ihrem seltsamen, hüpfenden Gang, der gut zu ihrem froschartigen Äußeren passte.
Das Licht führte sie scheinbar kilometerweit über den bronzenen Fußboden des Sektors. So weit war es natürlich nicht, aber es fühlte sich trotzdem so an. Vielleicht lag es daran, dass keiner von ihnen sich jemals einen Raum von einer Größe hatte vorstellen können wie diesen hier. Selbst die größte Kathedrale der Welt war nichts dagegen. Tatsächlich vermutete Sir George, dass jedes Gebäude, das er je gesehen hatte – wahrscheinlich sogar die meisten Dörfer, die er kannte – problemlos in diesen einen ungeheuren Raum mit dem metallischen Fußboden gepasst hätte. Die verlassenen Schiffe wirkten nicht größer als weggeworfene Spielzeuge hinter ihnen, als sie endlich an eine klippenartige Wand aus derselben bronzefarbenen Legierung angelangten.
Das rote Licht hielt nicht inne, und wieder tauchte eine dieser plötzlich erscheinenden Türen vor ihnen auf, durch die das Licht schwebte. Sir George folgte ihm, nicht ohne einen erneuten Anflug von Angst. Nach der ungeheuren Ausdehnung des Raums wirkte der Gang hinter der Tür klein und beengt, obwohl er mindestens dreieinhalb Meter breit und genauso hoch war. Er lächelte ermutigend zu Edward hinab, warf aber nicht einen Blick über die Schulter zurück auf die anderen Männer. Das brauchte er nicht. Er wusste, sie würden ihm folgen.
Er hörte den lauteren Widerhall ihrer Füße auf dem metallischen Boden, während sie ihm in die Enge des Ganges folgten. Er hörte auch ihre gemurmelten, bedrückten Bemerkungen, aber sie achteten sorgfältig darauf, so leise zu sprechen, dass er so tun konnte, als würde er sie nicht hören.
Der Marsch durch den Gang war wesentlich kürzer als die Wanderung durch den anderen Sektor, und dann öffnete sich wiederum eine Tür, und die ersten ihrer durch die Enge des Gangs schmal gewordenen Reihe traten in einen neuen Raum. Dieser war sehr viel kleiner als der erste, und von ihm gingen weitere Türen ab. Es gab zehn bogenförmige Türöffnungen. Über neun davon befanden sich rote Lichter, die flackerten, während ein weiteres rotes Dauerlicht über der zehnten leuchtete.
»Sie gehen durch die Tür mit dem Dauerlicht«, informierte sie die körperlose Stimme, und Sir George und Edward traten auf das nicht blinkende Licht zu. Andere Männer folgten ihnen, aber wieder andere bogen ab und strebten auf andere Türen zu. Sir George blieb stehen.
Die meisten der anderen blieben ebenfalls stehen, ebenso wie diejenigen, die noch immer durch den Gang in diesen Vorraum drängten.
»Er sagte Dauerlicht«, sagte Sir George.
»Ich weiß, Mylord«, sagte jemand. Es war Walter Skinnet, der Sergeant von Sir Georges berittenen Kriegern, und er hob die Hand und deutete auf eine der Türen, der sich drei Türen weiter links von der mit dem Dauerlicht befand. »Die da«, fügte er hinzu.
Sir George starrte ihn an, dann schaute er wieder zu der Tür, auf die er und Edward zugestrebt waren. Das Licht brannte in einem steten Blutrot, während das über Skinnets gewählter Tür heftig blinkte.
»Ich sehe das Dauerlicht hier«, erklärte Sir George und deutete auf seine eigene Tür.
»Ich auch, Sir«, sagte ein Bogenschütze.
»Ich auch«, stimmte ein anderer zu.
»Ich sehe es da drüben«, sagte ein Matrose von einem der anderen Schiffe und deutete auf eine dritte Tür.
»Nein!«, rief ein Mann mit einem Anflug von Angst in der Stimme. »Es ist da drüben!«
Er deutete auf eine völlig andere Tür, und Sir Georges Nasenflügel bebten, als er die Luft tief einsog.
»Na schön, Männer!« Er verlieh seiner Stimme einen festen, entschiedenen Ton. »Nach allem, was wir schon gesehen haben, wollen wir uns nicht von so einer Kleinigkeit ins Bockshorn jagen lassen!«
Die drohende Panik legte sich, und er stieß ein scharfes, bellendes Lachen aus.
»Ich weiß nicht, wie sie es machen«, fuhr er fort, »aber offenbar ist es irgendein schlauer Trick, damit jeder von uns sein eigenes Dauerlicht sieht, und zwar da, wo sie uns haben wollen. Zweifellos wollen sie uns in kleinere Gruppen trennen, und auch wenn uns das nicht besonders gefällt, es kommt nicht unerwartet, oder?«
Ein oder zwei Männer schüttelten den Kopf, und er zuckte die Achseln.
»Also schön. Ihr Männer dort im Gang gebt das nach hinten weiter, sodass die nach euch kommenden wissen, was sie erwartet. Die anderen«, er zuckte wieder die Achseln, »folgen halt dem Licht, das sie als Dauerlicht sehen.«
Er wartete so lange, bis er sah, dass seine Befehle befolgt wurden, dann lächelte er Edward erneut zu und trat durch »ihre« Tür.
Der dahinter liegende Raum war zwar größer als der Vorraum, jedoch noch immer erheblich kleiner als der, in dem sie den Dämon-Narren getroffen hatten. Mehr Männer folgten ihm und Edward hinein, bis es etwa hundert waren. Der Raum war ohne drangvolle Enge, und Sir George sah sich neugierig um.
Der Raum war oval, mit Wänden aus dem gleichen, überall vorhandenen bronzenen Metall. Die Decke war hier deutlich niedriger, aber nicht so recht zu erkennen. Wenn er aufsah, konnte er nur ein schimmernd glühendes Licht erkennen.
Es war seltsam, genau wie alles andere, das mit ihnen geschehen war, seit diese bronzene Form aus den Wolken erschienen war. Das Licht schien nicht aus einer einzigen Quelle zu stammen, sondern aus einem tiefen Brunnen oder Schacht. Er hatte durchaus den Eindruck, dass sich über ihm eindeutig ein Dach befinden musste.
Er senkte den Blick, zwinkerte mit den Augen und registrierte, dass er trotz der gleißenden Helligkeit nicht geblendet war. Er hatte diese Information gerade zu den ganzen anderen seltsamen Dingen abgelegt, als die Tenorstimme wieder zu ihnen sprach.
»Legen Sie alle Kleidung ab und verstauen Sie sie in den vorgesehenen Fächern«, ordnete sie an, und die glatten bronzenen Wände schienen plötzlich zu Leben erwacht, als sich Scharen von kleinen Türen öffneten. Sir George trat zu der nächsten und untersuchte das Fach mit den Regalböden.
»Legen Sie sämtliche Kleidung ab und verstauen Sie sie in den vorgesehenen Fächern«, wiederholte die Stimme mit unmenschlicher Geduld. Sir George schnitt eine Grimasse. Dieser Befehl gefiel ihm ebenso wenig wie die anderen, die man ihnen erteilt hatte, aber wie bei den anderen sah er keine andere Möglichkeit, als zu gehorchen.
»Hilf mir mit meiner Rüstung, Edward«, sagte er ruhig.
Die »Staufächer« verschwanden in jenem Augenblick, als das letzte Kleidungsstück darin abgelegt war. Sir George überraschte das kaum noch, aber er war keineswegs erfreut darüber, seine Waffen und seine Rüstung verschwinden zu sehen. Er sah sich um und erkannte das gleiche Unbehagen in den Augen der anderen, nun nackten Männer, die das Abteil mit ihm und seinem Sohn teilten, doch trotz seines eigenen Missfallens darüber, von seinem Schwert getrennt zu sein, empfand er auch eine schwache, nicht zu leugnende Erleichterung. Der Dämon-Narr hatte zur Genüge gezeigt, wie sinnlos es war, ihn anzugreifen, aber solange die Männer im Besitz ihrer Waffen gewesen waren, hatte immer die Versuchung bestanden, sie zum Einsatz zu bringen. Er fühlte sich nicht nur verwundbar, sondern auch erniedrigt, seines Schwertes und der Sporen beraubt zu sein, die das Zeichen seines ritterlichen Standes waren, aber das Wissen, das keiner seiner Männer mehr abgeschlachtet werden würde wie der junge Denmore – jedenfalls nicht aus demselben Grund – machte das zum Teil wieder wett.
»Sie werden jetzt gereinigt«, erklärte die Stimme, und jemand schrie auf, als dichter Dampf den Raum zu füllen begann. Er stieg vom Boden auf, erhob sich rasch über Knie und Schenkel, und Sir Georg merkte, wie Edward seine Hand umklammerte, als der Dampf sie einhüllte.
Der Baron erwiderte den Händedruck beruhigend und lächelte seinen Sohn mit echter Belustigung an, als er merkte, wie die Notwendigkeit, Edward zu ermuntern, ihn von seiner eigenen Panik ablenkte.