9,99 €
In den Jahren, als noch keine Dampfboote den mächtigen Mississippi aufwühlten, setzt sich auf einer der zahlreichen Inseln dieses Stromes eine Räuberbande fest. Sie überzieht die ganze Region mit Raub und Mord und unterhält in ihrem Versteck sogar eine Falschmünzerei. Von dort aus überschwemmt sie mit ihren Banknoten das ganze westliche Land. Das Gesetz ist machtlos, also müssen sich die Bewohner selbst helfen. Sie gründen ein Regulatorenbündnis und ziehen gegen die Flusspiraten in den Krieg. Ein Meisterwerk der Abenteuerliteratur aus der Feder des Mannes, bei dem Karl May sich den Stoff für seine Geschichten holte.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 654
In den Jahren, als noch keine Dampfboote den mächtigen Mississippi aufwühlten, setzt sich auf einer der zahlreichen Inseln eine Räuberbande fest. Sie überzieht die ganze Region mit Raub und Mord und unterhält in ihrem Versteck sogar eine Falschmünzerei. Das Gesetz ist machtlos, also müssen sich die Bewohner selbst helfen.
Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.
Friedrich Gerstäcker (1816–1872) veröffentlichte ab 1843 Romane und Reiseberichte, die ihn zum gefeierten Autor machten. Er fand zahlreiche Nachahmer. So hat Karl May zahlreiche Passagen und Motive aus Gerstäckers umfangreichen Werk direkt übernommen.
Zur Webseite von Friedrich Gerstäcker.
Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)
Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.
Friedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Roman
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.
Die Originalausgabe erschien 1848.
Die vorliegende Lesefassung wurde bearbeitet von Irmintraud Jasorka.
Die erste Ausgabe dieses Werks im Unionsverlag erschien am 22.9.2010
© by Unionsverlag, Zürich 2019
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30329-4
Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte
Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)
Version vom 22.01.2019, 00:13h
Transpect-Version: ()
DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.
Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.
Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.
Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.
Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.
Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:
Standard EPUB: Für Reader von Sony, Tolino, Kobo etc.Kindle: Für Reader von Amazon (E-Ink-Geräte und Tablets)Apple: Für iPad, iPhone und MacE-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.
Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.
Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags
Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
DIE FLUSSPIRATEN DES MISSISSIPPI
1 — Der alte Farmer
2 — Der Kampf – Smart und Dayton
3 — Das Union-Hotel und seine Gäste
4 — Richter Daytons Wohnung
5 — Die nächtliche Fahrt – Die Insel
6 — Die Insulaner
7 — Georgine
8 — Der Ritt der beiden Botschafter
9 — Alte Bekannte treffen sich
10 — Livelys Farm
11 — Cotton und Dan
12 — Der Mulatte
13 — Die Verfolgung
14 — Bolivar – Maries Flucht
15 — Das Wiedersehen
16 — Sanders Pläne – Der alte Lively
17 — Dr. Monrove und Sander
18 — Die Abfahrt – Mrs. Breidelfords Einspruch – Die Begegnung
19 — »Van Buren« – Mr. Smart fügt sich dem Willen seiner Frau
20 — Der Ire teilt Jonathan Smart seinen Verdacht mit – Tom Barnwells Zeugnis
21 — Tom Barnwell findet eine Freundin Maries – Seine Unterredung mit dem Richter
22 — »Zum grauen Bären«
23 — Die unerwartete Verhaftung
24 — Die »Schildkröte« nähert sich der gefährlichen Insel – Blackfoots Plan
25 — Das Flatboot legt bei – Die List der Piraten
26 — Die Entscheidung – Das Zeichen und der Erfolg
27 — Georgines Verdacht – Kelly rettet seinen Neger
28 — Patrick O’Tooles Abenteuer
29 — Der blinde Passagier – Die »Black Hawk«
30 — Mrs. Breidelford und ihre Gäste
31 — Cook kommt nach Helena
32 — Die Aufforderung – Der entdeckte Mord
33 — Richter Dayton beschließt mit seiner Frau aus Helena zu fliehen
34 — Adele warnt James Lively
35 — Die Flucht der Männer des ›Grauen Bären‹ – Smart wird zornig
36 — Die Piraten zum Äußersten getrieben – Die »Black Hawk« verfolgt die »Van Buren«
36 — Schluss
Worterklärungen
Mehr über dieses Buch
Über Friedrich Gerstäcker
Andere Bücher, die Sie interessieren könnten
Zum Thema Abenteuer
Zum Thema Indianer
Zum Thema USA
Zum Thema Schmöker
Der alte Farmer
Dort, wo der Wabash die beiden Bruderstaaten Illinois und Indiana voneinander scheidet und seine klaren Fluten dem Ohio zuführt, wo er sich bald zwischen steilen Felsufern, bald zwischen weiten Prärien oder unter dem ersten Schatten des dunklen Urwaldes hin durch tausend stille Buchten drängt – dort lagen im Frühling des Jahres 1840 zwei mit Büchsen bewaffnete Männer auf einer dicht bewaldeten Anhöhe.
Der eine der Männer war noch jung und kräftig, kaum älter als drei- oder vierundzwanzig Jahre, und seine Tracht verriet eher den Bootsmann als den Jäger. Der kleine runde und niedrige Wachstuchhut mit dem breiten flatternden Band daran saß ihm verwegen auf den krausen blonden Haaren. Die blaue Matrosenjacke umschloss ein paar breite Schultern, und das rotwollene Hemd wurde von einem schwarzen seidenen Halstuch, die weißen Beinkleider aus Segeltuch von einem schmalen Gürtel zusammengehalten. Die lederne Scheide mit dem einfachen Schiffsmesser am Gürtel vollendete den seemännischen Anzug des Fremden.
Dass er aber auch in den Wäldern heimisch war, bewiesen die sauber gearbeiteten Mokassins, mit denen seine Füße bekleidet waren, sowie seine erlegte Beute, ein stattlicher junger Bär, der vor ihm ausgestreckt auf dem blutgefärbten Rasen lag. Ein großer schwarz und grau gestreifter Schweißhund saß daneben und hielt die Augen fest auf das erjagte Wild geheftet. Die heraushängende Zunge, das schnelle heftige Atmen des Tieres sowie eine Fleischwunde an der linken Schulter zeigten, wie schwer ihm die Jagd geworden und wie teuer er den Sieg über den stärkeren Feind erkauft hatte.
Der zweite Jäger, ein Mann von über sechzig Jahren, wurde zwar an Körperkräften von seinem jüngeren Begleiter übertroffen, trotzdem sah man ihm kaum das vorgerückte Alter an. Seine Augen leuchteten noch in jugendlichem Feuer, und seine Haut zeigte die gesunde Farbe des Hinterwäldlers. Nach ihrer Sitte war er in ein einfaches baumwollenes Jagdhemd, mit ebensolchen Fransen besetzt, lederne Leggins und grobe Schuhe gekleidet. In seinem Gürtel steckte eine breite, schwere Klinge, ein sogenanntes Bowiemesser, und die wollene, fest zusammengerollte Decke hing ihm, mit einem breiten Streifen Bast befestigt, über der Schulter.
Beide hatten sich hier, wo sie ihr Wild erlegt hatten, für kurze Rast ins Gras geworfen, und der Alte, der eben der hinter den Bäumen versinkenden Sonne nachsah, brach jetzt zuerst das Schweigen.
»Tom«, sagte er, »wir dürfen hier nicht lange liegen bleiben. Die Sonne geht unter, und wer weiß, wie weit wir es noch zum Fluss haben.«
»Lasst Euch das nicht kümmern, Edgeworth«, antwortete der Jüngere, während er zu dem blauen Himmel emporblickte, »da drüben, wo Ihr die lichten Stellen erkennen könnt, fließt der Wabash – keine tausend Schritt von hier, und das Flatboot kann heute Abend bestimmt noch nicht hier vorbeikommen. Sobald es dunkel wird, müssen sie beilegen, denn den Ästen und Baumstämmen im Fluss kann selbst der beste Steuermann nicht im Dunkeln ausweichen. Außerdem hatten sie von da, wo wir sie verließen, einen Weg von über fünfzig Meilen zu machen, während wir die Biegung des Flusses abgeschnitten haben.«
»Ihr scheint mit dieser Gegend sehr vertraut zu sein«, brummte der Alte.
»Das will ich meinen«, erwiderte der Junge nachdenklich, »ich habe hier zwei Jahre gejagt und kenne jeden Baum und Bach. Es war damals, ehe ich Dickson kennenlernte, mit dessen Schoner ich später nach Brasilien fuhr. Der arme Teufel hätte auch nicht gedacht, dass er dort so ein schreckliches Ende nehmen würde.«
»Das habt Ihr mir noch nicht erzählt.«
»Heute Abend vielleicht. Jetzt, denke ich, schlagen wir ein Lager auf und gehen dann bei Tagesanbruch hinunter zum Fluss, um auf unser Boot zu warten.«
»Wie schaffen wir aber das Wild hinab? Wenn es auch nicht weit ist, werden wir doch tüchtig daran zu schleppen haben.«
»Ach was, das lassen wir hier«, rief der Jüngere, während er aufsprang und seinen Gürtel fester schnallte, »wenn die Burschen Bärenfleisch essen wollen, mögen sie es sich auch selber holen.«
»Und wenn sie nun vorbeifahren?«
»Die denken nicht daran«, sagte Tom, »außerdem weiß Bill, der Steuermann, dass er uns hier in der Gegend erwarten muss. Also brauchen wir keineswegs zu fürchten, dass wir sitzen bleiben. Wetter noch einmal, das Boot wird doch nicht ohne seinen Kapitän abfahren wollen!«
»Also gut«, sagte der alte Edgeworth, während er dem Beispiel seines jüngeren Gefährten folgte und sich zum Aufbruch rüstete, »dann schlage ich aber vor, dass wir die Rippen und auch sonst noch ein paar gute Stücke herausschneiden, das Übrige hier aufhängen und nachher dort links hinuntergehen, wo dem Aussehen der Bäume nach ein Bach sein muss. Frisches Wasser möchte ich bei unserem Lager doch haben.«
Diese Vorsicht war nötig, die Männer gingen deshalb schnell an die Arbeit, um die kurze Tageszeit noch zu nutzen. Sie fanden auch die Quelle und neben ihr eine ganze Menge dürrer Äste und Zweige, von denen allerdings schon ein großer Teil halb verfault war. An dem rasch entzündeten Lagerfeuer brieten bald die Rippenstücke des erlegten Bären, während die Jäger, auf ihren Decken ausgestreckt, in die züngelnden Flammen starrten.
Die beiden Männer gehörten, wie der Leser schon ihrem Gespräch entnommen haben wird, zu einem Flatboot, das von Edgeworths oben am Wabash liegender Farm mit einer Ladung Whisky, Zwiebeln, Äpfeln, geräucherten Hirschschinken, getrockneten Pfirsichen und Mais nach New Orleans oder irgendeinem der weiter oben gelegenen Landungsplätze steuerte, wo sie ihre Produkte vorteilhaft verkaufen wollten. Der alte Edgeworth, ein wohlhabender Farmer aus Indiana und Eigentümer des Bootes und der Ladung, führte auch eine ziemliche Summe Bargeld bei sich, um in den südlichen Städten, wie New Orleans, Waren einzukaufen und sie mit in seine entlegene Niederlassung zu schaffen. Er war erst vor zwei Jahren an den Wabash gezogen und hatte früher im Staate Ohio, am Miami, gelebt. Dort aber fühlte er sich nicht länger wohl, da die mehr und mehr zunehmende Bevölkerung das Wild vertrieb und der alte Mann doch »dann und wann einmal«, wie er sich ausdrückte, »eine vernünftige Fährte im Walde sehen« wollte.
Tom, ein entfernter Verwandter von ihm und elternlos, hatte vor einigen Jahren ebenfalls große Lust bekommen, sich am Wabash häuslich niederzulassen. Aber plötzlich änderte er ganz unerwartet seinen Sinn, und als er zufällig den alten Dickson, einen Seemann und früheren Jugendfreund seines Vaters, traf, ging er sogar wieder zur See.
Damals schiffte er sich in Cincinnati an Bord des von Dickson gebauten Schoners ein, der eine Ladung nördlicher Produkte nach New Orleans führte, dort verkaufte, Fracht für Havanna lud und dann eine Zeit lang die südlichen Küsten Amerikas befuhr, bis ihn in Brasilien sein schreckliches Schicksal ereilte.
Wenn nun auch erst seit Kurzem von seinen Kreuz- und Querzügen zurückgekehrt, schien Tom die Heimat doch wenig zu bieten, was ihn fesseln konnte. Er war wenigstens gleich bereit, den alten Edgeworth wieder auf seiner Fahrt stromab zu begleiten, und bewies eine solche Gleichgültigkeit gegen alles, was sein künftiges Leben betraf, dass Edgeworth oft den Kopf schüttelte und meinte, es sei für ihn höchste Zeit gewesen, zurückzukommen und ein ordentlicher Farmer zu werden, sonst wäre er auf See zwischen all den wilden Matrosen noch gänzlich verwahrlost.
Um aber die Einförmigkeit einer Flatbootfahrt wenigstens etwas zu beleben, waren sie hier, wo der Fluss einen Bogen machte, mit ihren Büchsen an Land gesprungen und erfolgreich auf die Jagd gegangen. Das Boot, das sich nach den Krümmungen des Flusses richten musste, verfolgte inzwischen unter der Aufsicht von fünf kräftigen Männern seine langsame Bahn und trieb mit der Strömung zu Tal.
»So lass ich es mir im Wald gefallen«, sagte endlich Tom nach langer Pause, indem er sich auf sein Lager zurückwarf und zu den von den lodernden Flammen beleuchteten Zweigen emporschaute. »So kann man es aushalten – Bärenrippen und trockenes Wetter –, etwas Honig fehlt noch: So junges Fleisch schmeckt aber auch ohne Honig vortrefflich. Blitz und Donner! Manchmal, wenn ich so auf Deck lag, wie jetzt hier unter den riesigen Bäumen, zu den gleichen Sternen hinaufschaute und dann das Heimweh bekam – Edgeworth, ich sage Euch das, Ihr habt wohl noch nie Heimweh gehabt?«
»Heimweh? Nein«, erwiderte der alte Mann seufzend, während er seine Büchse mit frischem Zündpulver versah und, nachdem er das Schloss mit dem Halstuch bedeckt hatte, neben sich legte, »Heimweh nicht, aber anderes Weh genug. Sprechen wir nicht davon, ich möchte mir nicht gern den Abend verderben. Ihr wolltet mir doch erzählen, was in Brasilien mit Dickson geschah.«
»Nun, wenn das dazu dienen soll, Euch aufzuheitern«, brummte Tom, »so habt Ihr einen seltsamen Geschmack. Aber so ist es mit uns Menschen, wir hören lieber Trauriges von anderen als Lustiges von uns selbst. Doch meine Geschichte ist kurz genug.
Wir waren in der Mündung eines kleinen Flusses, San José, eingelaufen und wollten dort unsere Ladung Whisky, Mehl, Zwiebeln und Zinnwaren an die Eingeborenen und Pflanzer verkaufen. Da wir eine Plantage an diesem Abend nicht mehr erreichen konnten, befestigten wir unser kleines Fahrzeug mit einem Kabeltau an einem Palmbaum, der dicht am Ufer stand, kochten unsere einfache Mahlzeit, spannten die Moskitonetze auf und legten uns schlafen.
Eine Wache aufzustellen oder sonstige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, fiel niemand ein; nur hatten wir den Schoner etwas lang gehängt, damit er neben einen im Wasser festliegenden Stamm kam und nicht dicht ans Ufer konnte. Sonst träumten wir von keiner Gefahr und hielten die Gegend für sicher.
Ich weiß nicht, wie spät es in der Nacht gewesen sein kann, als der dicht neben mir liegende Dickson mich in die Seite stieß und fragte, ob ich nichts höre.
Noch halb im Schlaf muss ich ihm wohl etwas mürrisch geraten haben, zum Teufel zu gehen und friedliche Leute in Ruhe zu lassen, und wieder eingeschlafen sein; da fühlte ich, wie er mich bald darauf zum zweiten Mal ziemlich derb an der Schulter fasste und leise flüsterte: ›Wach auf, Tom! Es ist nicht richtig am Ufer.‹ – ›Hallo‹, rief ich und fuhr in die Höhe, denn jetzt kam mir zum ersten Mal der Gedanke an die roten Teufel, die sich dort ebenso wie bei uns herumtreiben. So saßen wir denn nebeneinander, jeder unter seinem langen, dünnen Fliegennetz, und horchten, ob wir irgendetwas Verdächtiges hören konnten. Auf einmal rief Dickson laut: ›Hierher, Leute – da sind sie, die Schufte!‹ Und sprang in die Höhe, während ich schnell nach meinem Messer griff und das verdammte Ding in der Eile nicht finden konnte. Dickson aber musste sich mit den Füßen in dem dünnen Netz verwickelt haben. Ich hörte einen Fall auf das Deck und sah, als ich mich schnell danach umwandte, zwei dunkle Gestalten, die wie Schatten über den Rand des Bootes glitten und sich auf ihn warfen.
Im selben Augenblick trat ich auf eine Handspeiche, die wir am Abend gebraucht hatten, und das war die einzige Waffe, die hier von Nutzen sein konnte. Mit Blitzesschnelle riss ich sie in die Höhe, rief den anderen Matrosen zu, das Tau zu kappen, und schmetterte das schwere Holz auf die Köpfe der beiden dunklen Halunken nieder, die rücklings über Bord stürzten.
Während die Übrigen, ebenfalls noch halb schlaftrunken, emportaumelten, hatte der Schiffsjunge so viel Geistesgegenwart behalten, mit einem Handbeil das Tau zu kappen, sodass im nächsten Augenblick der Schoner von der starken Ebbe stromab getrieben wurde.
Meiers und Howitt, zwei von den anderen Matrosen, versicherten mir später noch, sie hätten ebenfalls fünf von den Schuften, die am Schiffsrand hingen, erledigt; ich weiß allerdings nicht, ob es wahr ist. Unser armer Kapitän aber war tot – er hatte einen Lanzenstich durch die Brust und einen Keulenschlag über den Kopf bekommen und lag, als wir endlich am anderen Ufer etwas freier aufatmen konnten, starr und leblos an Deck.«
»Und was wurde aus der Ladung?«
»Die verkaufte ich noch in derselben Woche, befrachtete dann die ›Charlotte‹, so hieß der Schoner, mit bei uns verkäuflichen Waren und lief vier Monate später gesund in Charleston, wo Dicksons Witwe lebte, ein. Die arme Frau trauerte zwar sehr über den Tod ihres Mannes, aber das Geld, das ich ihr brachte, tröstete sie wohl. Acht Wochen später heiratete sie wenigstens einen Pflanzer aus der Nachbarschaft. Das sind Schicksale!«
»Sie wusste doch wenigstens, wo ihr Mann geblieben war«, flüsterte der alte Mann vor sich hin, »wusste, dass er tot und wie er gestorben war. Manche Eltern warten jahrelang auf ihre Kinder und müssen am Ende doch einsehen, dass sie lange tot sind und dass Haifische oder Wölfe ihre Leichen zerrissen und benagt haben.«
»Ja, so ist das Schicksal«, sagte Tom, indem er einen neuen Ast auf die Glut warf. »Wie viele kommen allein in diesen Wäldern um, die auf den Flüssen gar nicht zu zählen, von denen die Ihrigen selten oder nie erfahren, was aus ihnen geworden ist. Wie viel Tausend gehen auf der See zugrunde! Das lässt sich nicht ändern, und sooft ich auch in Lebensgefahr gewesen bin, daran habe ich nie gedacht.«
»Manchmal kehren sie aber auch wieder zu den Ihrigen zurück«, sagte der Alte mit hoffnungsvoller Stimme. »Wenn diese sie schon lange verloren gegeben haben.«
»Ja«, erwiderte Tom ziemlich gleichgültig, »aber nicht sehr oft. Die Dampfboote fressen jetzt eine unmenschliche Anzahl Leben; bei denen geht es direkt schockweise. Aber Ihr rückt ja ganz von der Decke herunter«, unterbrach er sich, »die Nacht ist zwar warm, doch auf dem feuchten Boden zu liegen ist nicht gerade gesund.«
»Ich bin es gewohnt«, erwiderte der Alte, wie es schien ganz in seine trüben Gedanken vertieft.
»Und wenn Ihr es auch gewohnt seid, die Decke liegt einmal da – warum wollt Ihr sie dann nicht benutzen?«
»An der Stelle, wo ich lag, müssen Wurzeln oder Steine sein, es drückt mich scheußlich am Rücken.«
»Nun, das werden wir gleich haben«, meinte Tom gutmütig, »es wäre überhaupt besser, ein wenig dürres Laub zu einem vernünftigen Lager zusammenzuschieben, als auf der harten Erde liegen zu bleiben. Steht einen Augenblick auf, gleich soll alles hergerichtet sein.«
Edgeworth erhob sich und trat zu der knisternden Flamme, in die er mit dem Fuß einige der angebrannten und herausgefallenen Äste zurückschob. Tom zog inzwischen die Decke weg und fühlte nach den darunter verborgenen Wurzeln.
»Hol es der Henker«, lachte er endlich, »das glaube ich, dass Ihr da nicht liegen konntet. Ein ganzer Haufen Hirschknochen steckt darunter und keine Wurzel; dass wir das aber auch nicht früher gesehen haben!« Mit diesen Worten warf er die Knochen zum Feuer hin und kratzte nun mit den Händen und Füßen das in der Nähe herumliegende Laub zusammen, bis es ein ziemlich weiches Lager ergab. Dann breitete er wieder sorgfältig die Decke darüber, trug noch einige abgebrochene Äste zur Flamme, um in der Nacht nachlegen zu können, zog Jacke und Mokassins aus, deckte sich die Jacke über die Schultern und lag bald darauf lang ausgestreckt auf der Decke, um ein paar Stunden zu schlafen und die Ankunft des Bootes am nächsten Morgen nicht zu versäumen.
Edgeworth hatte inzwischen einen der neben ihn hingeworfenen Knochen ergriffen und betrachtete ihn mit größter Aufmerksamkeit.
»Seid Ihr denn gar nicht müde?«, fragte ihn sein Gefährte endlich, der gerne schlafen wollte, »lasst doch die alten Knochen und legt Euch hin. Es wird Tag werden, ehe wir uns versehen.«
»Das ist kein Hirschknochen, Tom!«, sagte der Alte, indem er sich zum Feuer niederbog, um den Knochen noch genauer betrachten zu können.
»Dann ist er eben von einem Wolf oder einem Bären«, murmelte der Junge schon halb eingeschlafen mit schwerer Zunge.
»Bär? Das wäre möglich!«, erwiderte nachdenklich der Alte, »ja, ein Bär könnte es sein, mir kommt es allerdings mehr wie ein Menschenknochen vor …«
»Tretet dem Hund einmal ordentlich in die Rippen, dass er das verdammte Scharren lässt«, brummte der Matrose ärgerlich. »Menschenknochen – meinetwegen auch; aber wie sollten Menschenknochen …«, er fuhr auf einmal hellwach von seinem Lager empor, während er scheu zu den Bäumen hinaufschaute, die um ihr Lager standen.
»Was ist Euch?«, fragte Edgeworth erschrocken. »Was habt Ihr auf einmal?«
»Verdammt will ich sein«, sagte Tom, immer noch ängstlich umherblickend, »wenn ich – nicht glaube …«
»Was glaube? Was habt Ihr?«
»Ist das wirklich ein Menschenknochen?«
»Mir kommt es so vor. Es muss das Bein eines Mannes gewesen sein, denn für einen Hirsch ist es zu stark und für einen Bären zu lang. Aber warum erschreckt Euch das so?«
Tom war emsig beschäftigt, seine Mokassins wieder anzuziehen, und sprang jetzt auf die Füße.
»Wenn das ein Menschenknochen ist«, rief er, »so kenne ich den, dem er gehörte, und ich habe ihn selbst mit Ästen und Zweigen zugedeckt, als wir ihn fanden. Darum lag hier auch so viel halb verfaultes Holz auf einem Haufen. Ja, wahrhaftig, das ist der Platz und dieselbe Eiche, unter der wir ihm sein Grab gemacht haben; das Kreuz – der Auswuchs hier am Baum soll ein Kreuz sein – hieb ich mit meinem eigenen Tomahawk in den Stamm. Der arme Teufel …«
»Auf welche Art starb er denn, und wer war es?«
»Wer es war, weiß ich nicht, aber er starb auf eine sehr niederträchtige Weise. Ein Bootsmann, dessen Boot gerade dort unten an Land lag, wo wir unseres morgen erwarten, schlug ihn wegen ein paar Dollar tot wie einen Hund.«
»Entsetzlich!«, seufzte der Alte und lehnte sich auf seine Decke zurück, während der Junge ebenfalls seinen verlassenen Platz wieder einnahm und den Kopf in die Hand stützte.
»Wir jagten hier oben nach Bienen«, fuhr Tom ganz in Erinnerung an das damalige Geschehen versunken fort, »und Bill …«
»Der Bootsmann?«, fragte Edgeworth.
»Nein, der Erschlagene«, sagte Tom.
»Und sein anderer Name?«
»Den nannte er nie; wir waren auch nur vier Tage zusammen, und er gehörte, soviel ich verstanden habe, nach Ohio hinüber. Bill hatte den Bootsmann ein paar Dollar sehen lassen, und der wollte ihn abends, als wir am Feuer lagerten, zum Kartenspiel reizen. Bill spielte aber nicht, und das erbitterte den anderen. Ein paar Nächte darauf hatte er es dann auf irgendeine Weise verstanden, den armen Jungen von uns fortzulocken und die Nacht mit ihm allein zu lagern. Wir kampierten an demselben Abend in der Nähe der Schlucht, in welcher wir heute den Bären geschossen haben. Den anderen Tag ließ sich keiner von den beiden sehen, und als wir bei Sonnenuntergang zum Flussufer kamen, war das Boot fort.
Wir übernachteten dicht am Ufer. Der alte Sykomorestamm muss noch dort liegen, wo unser Feuer war; denn er hatte sich fest zwischen zwei Felsen gezwängt. Als wir am nächsten Morgen die Bank erstiegen, wurden wir zuerst durch die Aasgeier aufmerksam, von denen eine ganze Menge in diese Richtung zog.
›Gebt acht‹, sagte mein Begleiter, ein Jäger aus Kentucky, mit dem ich damals zusammen jagte, ›gebt acht, der lumpige Flatbooter hat den Kurzfuß kaltgemacht.‹«
»Kurzfuß«, fuhr der Alte auf, »warum nanntet Ihr ihn so?«
»Sein rechtes Bein war etwas kürzer, und er hinkte ein wenig, und richtig, als wir auf den Hügel hier kamen, da lag der Tote, und die Aasgeier – aber was ist mit Euch, Edgeworth, was habt Ihr? Ihr seid …«
»Hatte der Kurzfuß – oder Bill, wie Ihr ihn nanntet – eine Narbe über der Stirn?«
»Ja, eine große rote Narbe – kanntet Ihr ihn denn?«
Der alte Mann presste seine Hände vor die Stirn und sank stumm auf sein Lager nieder.
»Was ist, Edgeworth? Um Himmels willen, was fehlt Euch, Mann?«, rief der Matrose, jetzt wirklich erschrocken aufspringend.
»Mein Sohn, mein Sohn!«, schluchzte der Alte.
»Wie schrecklich«, stöhnte Tom erschüttert. »Armer Vater!«
»Und Ihr habt ihn hier begraben?«, fragte der Alte endlich nach langer Pause, in der er versucht hatte, sich ein wenig zu sammeln.
»Ja, er bekam ein Jägergrab«, antwortete leise der junge Mann, »wir hatten nichts weiter bei uns als unsere indianischen Tomahawks, der Boden war hart, aber ich quäle Euch mit meinen Worten …«
»Erzählt nur weiter, bitte, ich muss alles wissen«, bat der Vater.
»Wir legten ihn hier unter diese Eiche, trugen Äste und Stangen herbei, damit kein wildes Tier ihn erreichen konnte, und ich hieb das einfache Kreuz in den Stamm.«
Edgeworth starrte leichenblass vor sich nieder. Endlich richtete er sich wieder empor, schaute traurig um sich und flüsterte: »Wir liegen also auf seinem Grab, doch ich will nicht, dass seine Gebeine noch länger so umhergestreut dem Wind und Wetter preisgegeben bleiben. Ihr helft mir doch, sie zu begraben, Tom?«
»Sehr gern, aber wir haben kein Werkzeug.«
»Auf dem Boot sind zwei Spaten und mehrere Hacken, die Leute müssen helfen. Ich will meinem Sohn, wenn auch erst nach langen Jahren, die letzte Ehre erweisen.«
»So wollen wir lieber unser Lager hinüber auf die andere Seite des Feuers verlegen?«, fragte Tom.
»Glaubt Ihr, ich fürchte mich vor der Stelle, wo mein armer Sohn liegt?«, sagte der Alte. »Gute Nacht, Tom, Ihr müsst müde sein von der Anstrengung des Tages. Wir wollen ein wenig zu schlafen versuchen.«
Nur um den jüngeren Gefährten zu schonen, warf sich der alte Mann auf sein Lager zurück und schloss die Augen. Doch er konnte die ganze Nacht keine Ruhe finden, und als der kühle Morgenwind durch die rauschenden Wipfel der Kiefern und Eichen fuhr, stand er auf, fachte das fast niedergebrannte Feuer zu neuer lodernder Flamme an und begann bei seinem Schein die um das Lager herum verstreuten Gebeine zu sammeln. Tom, hierdurch geweckt, half ihm schweigend bei seiner Arbeit und näherte sich dabei der Stelle, wo der Hund zusammengekauert neben einem kleinen Ulmenbusch lag. Obwohl die beiden sonst sehr gute Freunde waren, knurrte ihn der alte Hund drohend an.
»Wolf, zurück!«, rief der junge Mann, indem er auf ihn zuging. »Du träumst wohl, mir die Zähne zu zeigen?«
Der Hund beruhigte sich jedoch auch durch die Anrede nicht und knurrte nur stärker, wedelte jedoch dabei ein wenig mit dem Schwanz, als ob er sagen wollte: Ich kenne dich und weiß, dass du ein Freund bist, aber hierher darfst du trotzdem nicht.
Tom blieb stehen und sagte zu Edgeworth: »Seht Euch den Hund an, er hat da etwas unter dem Laub gefunden und will mich nicht näher herankommen lassen. Was das nur sein mag?«
Edgeworth ging auf ihn zu, schob vorsichtig seinen Kopf zur Seite und fand zwischen den Pfoten des Tieres den Schädel seines Sohnes, wobei Wolf an ihm emporsprang und winselte und bellte.
»Das kluge Tier weiß, dass es Menschenknochen sind«, sagte der Matrose.
»Ich glaube gar, er erkennt meinen Sohn!«, rief der Vater bestürzt. »Bill hat ihn aufgezogen und ging nie einen Schritt ohne ihn in den Wald.«
»Das ist nicht möglich, die Gebeine können keinen Geruch behalten. Wie alt ist denn der Hund?«
»Acht Jahre, aber so klug wie kein anderer Fährtenhund«, sagte der Alte. »Wolf, komm hierher«, wandte er sich dann an den Winselnden, »komm her, mein Hund – kennst du Bill noch, deinen guten Herrn?«
Wolf setzte sich nieder, hob den spitzen Kopf hoch, sah seinem Herrn treu in die Augen, warf sich mehrmals unruhig von einem Vorderlauf auf den anderen und stieß plötzlich ein so wehmütiges, klagendes Geheul aus, dass es weithin schallte. Dabei leckte er dem niederknienden Alten Stirn und Wangen und versuchte mehrmals, die Pfoten auf seine Schultern zu legen.
»Unsinn!«, sagte Tom, dem bei dem sonderbaren Betragen des Hundes richtig unheimlich zumute wurde. »Das Tier wittert menschliche Überreste, und da geht es ihm gerade so wie mit Menschenblut. Lasst das die Hunde riechen, so heulen sie ebenfalls.«
»Lasst mir doch den Glauben, Tom!«, bat der Alte. »Es tut mir wohl, in dem Tier das Gedächtnis für einen Freund bewahrt zu sehen.«
Ein Schuss aus der Richtung her, in welcher der Fluss liegen musste, unterbrach seine Rede.
»Verdammt!«, rief Tom, »ob die Burschen schon mit dem Boot da sind, die Seehunde müssen nachts gefahren sein, denn es ist ja kaum Tag.«
»Seid so gut und ruft sie her!«, bat Edgeworth.
»Mir wäre es lieber, wenn Ihr mitkommen würdet«, sagte der junge Mann zögernd, »Ihr quält Euch hier und …«
»Ich bin gefasst, wenn Ihr wiederkommt, Tom. Tut mir den Gefallen und ruft sie.«
Im nächsten Augenblick hatte der junge Mann seine Büchse geschultert und schritt dem Flussufer zu, wo er tatsächlich auch das Boot vorfand und die Männer rasch von dem Vorgefallenen informierte. Alsdann begannen sie ernst und schweigend die Gebeine des Toten zu bestatten, wölbten einen kleinen Hügel über das Grab und trugen anschließend ebenso still den erlegten Bären auf ihren Schultern zum Boot hinunter.
»Hallo!«, rief ihnen der an Bord gebliebene Steuermann, ein wüster Kerl, das Gesicht ganz von Pockennarben zerrissen, die schwarzen, langen Haare wild um die Schläfen hängend, entgegen, »Bärenfleisch! Verdammt will ich sein, wenn das nicht die vernünftigste Tat ist, die unser alter Kapitän in letzter Zeit ausgeführt hat. Aber macht schnell, Leute, dass wir von hier fortkommen, wir versäumen kostbare Zeit, und das Wasser fällt mit jeder Sekunde.«
»Wir gehen noch einmal hinauf«, sagte der eine von ihnen.
»Was, zum Henker, ist denn nun noch da oben?«
»Oben ist nichts mehr, wir wollen nur die Backsteine aus unserer Küche hinaufbringen und, so gut es geht, einen Grabstein daraus errichten.«
»Narren seid ihr«, fluchte der Steuermann, »wie sollen wir nachher kochen?«
»In Vincennes können wir andere bekommen«, sagte Tom, »schaden würde es Euch auch nicht, wenn Ihr eine Ladung mit hinauftragen würdet.«
»Ich bin zum Steuern gemietet und nicht zum Steineschleppen«, brummte der Pockennarbige, indem er sich faul auf dem Deck ausstreckte. »Unsinn genug, dass Ihr die alten Knochen dort oben noch einmal aufrührt; sie wären auch so verfault.«
Die Männer antworteten ihm nicht, sondern luden ihre Last auf und stiegen damit die steile Uferbank empor. An dem Grab errichteten sie ein einfaches Denkmal für den ermordeten Jäger. Als sie mit allem fertig waren, drückte der alte Edgeworth allen freundlich die Hand, schulterte seine Büchse, rief den Hund und ging mit festen, sicheren Schritten voran, dem Boot zu.
Wenig später knarrten und kreischten die schweren Ruder des unbeholfenen Fahrzeuges, mit deren Hilfe es in die Strömung hinausgeschoben wurde, wo es langsam auf der Mitte des Stromes seine eintönige Bahn hinuntertrieb. Als es nun richtig in der Strömung war, hoben die Bootsleute ihre Ruder an Deck und streckten sich selbst behaglich auf den Brettern aus, um die ersten Strahlen der Morgensonne zu genießen, die eben in ihrer Pracht über dem grünen Blätterwald emportauchte.
Edgeworth aber saß, mit dem Hund zwischen den Knien, am hinteren Ende des Fahrzeuges und schaute still nach den mehr und mehr in weiter Ferne verschwimmenden Bäumen zurück, die das Grab seines Sohnes überschatteten.
Der Kampf – Smart und Dayton
In Helena herrschte ein ungewöhnlich reges Leben und Treiben; aus der ganzen Umgebung musste hier die Bevölkerung zusammengekommen sein. Überall standen eifrig verhandelnde Männer, teils in die bunt befransten Jagdhemden der Hinterwäldler, teils in die blauen Jeansfräcke der etwas mehr zivilisierten Städter gekleidet, in Gruppen herum.
Vor dem Union-Hotel, dem besten Gasthaus der Stadt, hatte sich der größte Teil dieser Menschenmasse konzentriert, und der Wirt, eine lange, hagere Gestalt mit blonden Haaren, scharfen Backenknochen, etwas spitzer vorstehender Nase, aber blauen, gutmütigen Augen – kurz: jeder Zoll ein Yankee –, hatte schon geraume Zeit dem Drängen und Treiben vor seiner Türschwelle mit Wohlbehagen zugesehen. Im Innern des Hauses fehlte es dabei nicht an Arbeit, und die Hausfrau hatte, von einem Hausknecht und einem Neger unterstützt, alle Hände voll zu tun, um die Gäste zu bewirten und die Schlafstellen für sie herzurichten. Trotzdem verharrte der Wirt in seiner ruhigen, lässigen Stellung vor der Tür und kümmerte sich nicht im Geringsten um die Wirtschaft.
Durch den Wortwechsel und geistige Getränke erhitzt, schlug die bisher friedliche Unterhaltung immer mehr und mehr um. Einzelne heftige Flüche und Drohungen übertönten zuerst das Stimmengewirr, und plötzlich kündeten ein scharfer Schrei und wildes Gedränge an, dass es zu Tätlichkeiten gekommen war.
Mit halb vorgebeugtem Oberkörper, die beiden Hände tief in den Beinkleidertaschen, die rechte Schulter an den Türpfosten gelehnt, stand der Wirt da, und man sah ihm an, welch Vergnügen ihm der Kampf machte, dessen Ausgang so ganz seinen Wünschen entsprechen musste.
Jener, der den ersten Schlag getan hatte, war ein kleiner, untersetzter Irländer mit brennend roten Haaren und noch röterem Bart; dazu in Hemdsärmeln mit offenem Kragen und etwas zu kurz geratenen eng anschließenden Nankingbeinkleidern, was seiner Figur einen komischen Anblick gab. Im Übrigen zeigte sich aber Patrick O’Toole gar nicht komisch oder spaßig, sobald er ein paar Tropfen Whisky im Kopf und irgendeinen Grund zu einem vernünftigen Streit, wie er es nannte, hatte. Wenn auch nicht gewalttätig, so war er doch der Letzte, der einen Platz verlassen hätte, auf dem eine Prügelei zu erwarten gewesen wäre.
Sosehr aber Patrick oder Pat, wie er gewöhnlich im Städtchen hieß, diesmal recht haben mochte, so sehr fand er sich bald im Nachteil, denn kaum lag sein Gegner vor ihm im Staub, als der größte Teil der bisher nur unbeteiligt Zusehenden auf ihn eindrang und den Niedergeschlagenen rächen wollte.
»Zurück mit euch! Weg da, ihr Blackguards, ihr Söhne einer Wölfin!«, schrie der Irländer und teilte dabei nach links und rechts so gewaltige und gut gezielte Boxhiebe aus, dass er die Angreifer blitzschnell zurückscheuchte.
»Ehrliches Spiel hier!«, schrie er dabei und streifte sich den immer wieder niederrutschenden Ärmel hoch. »Ehrliches Spiel, ihr Feiglinge, einer gegen einen, oder auch zwei und drei, aber nicht acht und neun! Die Pest über euch, ich schlag euch die Schädel ein, ihr hohlköpfigen Halunken, ihr!«
»Ehrliches Spiel!«, riefen auch einige aus der Menge und suchten die übrigen Kampflustigen zurückzudrängen. In diesem Moment aber hatte sich der zu Boden Geschlagene wieder aufgerafft, und sein eines blau unterlaufenes Auge mit der linken Hand bedeckend, riss er mit der rechten ein unter der Weste verborgenes Messer hervor und warf sich mit einem wilden Wutschrei auf den ihn ruhig erwartenden Iren.
Ohne weiter seine Stellung zu verändern, fing dieser den drohend gegen ihn gerichteten Stoß auf, indem er den Angreifer am Handgelenk erfasste und zum zweiten Mal niederschlug.
Die Volksmenge aber schien ihm keineswegs gewogen. Im Handumdrehen entriss man ihm den Besiegten, und dann brach der Sturm in verheerender Gewalt über ihn los.
»Schlagt ihn zu Boden, den irischen Hund! Nieder mit ihm!«, tobten sie. »Er hat Hand an einen Bürger der Vereinigten Staaten gelegt – was will der Ausländer hier, der über das Wasser Gekommene?«
»Ins Wasser mit ihm!«, schrie ein breitschultriger bleicher Kerl, über dessen Gesicht eine kaum verheilte Narbe vom linken Mundwinkel bis hinter das Ohr lief, was seinem Aussehen etwas unbeschreiblich Wildes und Unheimliches gab. »Ins Wasser mit ihm – die irischen und deutschen Halunken verderben armen, ehrlichen Arbeitern die Preise. In den Mississippi mit der dünnbeinigen Kanaille, da kann sie mit den Seespinnen Hornpipes tanzen!« Mit diesen Worten und einem eigentümlichen Pfiff warf sich der Narbige so plötzlich gegen den überraschten Irländer, dass er diesen für einen Augenblick zum Wanken brachte. Dennoch hätte er den geübten Boxer nicht übermannen können, wären ihm nicht einige andere rasch zu Hilfe gekommen, und so sah sich O’Toole gleich darauf von mehreren Seiten erfasst und zu Boden geworfen.
»In den Mississippi mit dem Schuft!«, tobte der Haufen. »Bindet ihm die Hände auf dem Rücken und lasst ihn schwimmen! Fort, nach Irland mit ihm – er kann sich unterwegs ein Schiff bestellen«, schrien sie durcheinander, und wenn auch einige friedlicher Gesinnte dazwischensprangen und den Überwältigten zu retten versuchten, so wurden diese doch zurückgedrängt, und brüllend schleppten die Rasenden ihr Opfer zum Flussufer hinab.
O’Tooles Lage war nicht beneidenswert, und er selbst wusste zu gut, wie feindlich ihm ein großer Teil von Helena gesinnt war, aber seine verzweifelten Anstrengungen, mit denen er versuchte, sich gegen die Menge zu wehren, nützten ihm nichts. Die Übermacht war zu groß, und die Nähe des Flusses ließ ihnen auch keine Zeit zum Überlegen, sondern schien ihr Vorhaben nur noch zu begünstigen. Da war es ein Einzelner, der sich plötzlich mitten zwischen die Wütenden warf und den Iren am Arm festhielt. Dieser Retter aber war niemand anders als der Wirt, Jonathan Smart, der laut sein »Halt! Das ist genug!«, rief, als ob er von dem Haufen zum Friedens- und Schiedsrichter gewählt worden wäre. Die Menge zeigte jedoch nicht die mindeste Lust, das unerwartete und ungebetene Eingreifen zu dulden.
»Zurück, Smart – lasst den Mann los und geht zum Teufel!«, schallte es ihm von allen Seiten entgegen. Smart aber behauptete seinen Platz und rief mit fester Stimme: »Ich will verdammt sein, wenn ihr ihm ein Haar krümmt!«
»So sei verdammt!«, schrie einer seiner Gegner, zog eine kleine Taschenpistole, richtete sie auf den Yankee und drückte ab. Zum Glück versagte zwar die Waffe, aber Jonathan Smart war nicht der Mann, der auf sich zielen ließ. Mit schnellem Griff riss er ein unter seinem Rock getragenes, wenigstens zwölf Zoll langes Jagdmesser hervor und führte damit einen so kräftigen Hieb nach dem entsetzt Zurückweichenden, dass er ihm unweigerlich mit dem schweren Stahl den Schädel gespalten hätte. Der andere aber, durch die zornfunkelnden Augen des Gereizten gewarnt, sprang mit lautem Aufschrei zur Seite, sodass ihn nur noch die Spitze des Messers an der Schulter traf, von wo sie ihm die Jacke bis hinab zum Saum aufriss.
Der Schlag war zu heftig geführt, um an dem Ernst des Mannes zu zweifeln. Smarts Blick flog auch jetzt so herausfordernd über die anderen hin, dass sie unwillkürlich den Iren losließen. Kaum aber fühlte der sich wieder frei, als er auch schon emporsprang, um den für ihn so verhängnisvollen Kampf von Neuem zu beginnen. Smart jedoch hielt seinen rechten Arm mit eisernem Griff umspannt, und ehe noch die wie vor den Kopf gestoßenen Männer einen neuen Entschluss fassen konnten, zog der Wirt den kleinen Irländer mit sich fort und verschwand gleich darauf mit ihm im Innern seines Hauses.
»Verdammt, meine Augen!«, schrie der bleiche Kerl mit der Narbe. »Sollen wir uns das gefallen lassen? Wer ist denn der langbeinige Schuft von einem Yankee, der hier nach Arkansas kommt und einem ganzen Haufen ordentlicher Burschen vorschreiben will, was sie zu tun und zu lassen haben? Stecken wir doch dem Halunken das Haus über dem Kopf an!«
»Ja, kommt, Boys, holt das Feuer aus seiner eigenen Küche!«, tobte die wütende Schar. »Nieder mit der Kneipe!«
Die Masse wandte sich zu allem entschlossen gegen das Haus, und wer weiß, wie weit sie in ihrer Wut gegangen wäre, hätte sich ihr nicht ein Mann entgegengestellt, der sie mit hoch erhobenen Armen und lauter Stimme bat, ihm einen Moment Gehör zu schenken. Er war groß und schlank gewachsen, mit offener freier Stirn und dunklen Augen und Haaren. In seiner ganzen Haltung lag etwas Gebieterisches und auch wieder Geschmeidiges, und seine Kleidung, die aus feinem schwarzem Tuch und schneeweißer Wäsche bestand, verriet ebenfalls, dass er entweder diesen rauen Kreisen fremd war oder eine Stellung innehatte, die ihn über seine Umgebung erhob. Er war zu gleicher Zeit Advokat und Arzt und erst seit einem Jahr aus den nördlichen Staaten hier eingetroffen, wo er sich durch seine Kenntnis und sein einnehmendes Wesen in kurzer Zeit nicht nur eine bedeutende Praxis erworben hatte, sondern auch in Stadt und County zum Friedensrichter ernannt worden war.
»Gentlemen!«, redete er jetzt die Menge an. »Gentlemen, bedenkt doch, was Ihr tun wollt. Wir befinden uns unter dem Gesetz der Vereinigten Staaten, und die Gerichte sind sowohl bereit, Euch gegen den Angriff anderer als auch andere gegen Euren Angriff zu schützen. Mr. Smart hat Euch einen Gefallen getan, indem er Euch vor einer Gewalttat bewahrte, die böse Folgen für manche gehabt hätte. Ihr sollt ihm dankbar sein – Mr. Smart ist in jeder Hinsicht ein Ehrenmann!«
»Hol ihn der Teufel!«, rief jener, der mit dem Messer des Wirtes Bekanntschaft gemacht hatte. »Dankbar sein, Ehrenmann – ein Schuft ist er und hätte mich beinahe abgestochen wie ein Schwein. In die Hölle mit ihm! Feuer in sein Nest, das ist mein Rat!«
»Gentlemen! Hat Mr. Smart Euch beleidigt«, nahm der Richter aufs Neue das Wort, »so bin ich überzeugt, dass er alles versuchen wird, seinen Fehler wiedergutzumachen; kommt, wir wollen ruhig zu ihm hinaufgehen, und er kann dann mit freundlichen Worten und einer freiwilligen Whiskyrunde das Geschehen wiedergutmachen. Seid Ihr damit zufrieden?«
»Hols der Henker – ja!«, rief der mit der Narbe. »Er soll was ausspucken. Tritt er mir aber wieder einmal in den Weg, so will ich verdammt sein, wenn ich ihm nicht neun Zoll kalten Stahl zu kosten gebe.«
»Hätte nur mein verdammtes Terzerol nicht versagt«, zischte der andere, »die Pest über den Krämer, der so eine erbärmliche Ware führt.«
»Kommt, Boys, ins Hotel – Smart soll einen ausgeben, und wenn er es nicht tut, so soll ihn der Teufel holen!«, schrie der Narbige.
»Ins Hotel – ins Hotel!«, jubelte die Meute. »Er muss uns freihalten, sonst schlagen wir ihm die ganze Bude in tausend Stücke!«
Schreiend wälzte sich der Haufen dem Gasthaus zu, und wer weiß, ob die gut gemeinte Vermittlung des Advokaten nicht doch noch zu Schlimmerem geführt hätte. Smart kannte jedoch seine Leute zu gut und wusste, dass er, sobald er die Meute in sein Haus ließ, völlig in den Händen der schon halb Betrunkenen war und dann jeden ihrer Wünsche erfüllen musste, wollte er nicht sich und seinen Besitz in größte Gefahr bringen. Als sich daher die Rädelsführer seiner Tür näherten, trat er plötzlich mit gespannter Büchse auf die oberste Schwelle und erklärte, den Ersten niederzuschießen, der die Stufen seiner Treppe betreten würde.
Smart war als ausgezeichneter Schütze bekannt, und sicherer Tod lag in der ihnen drohend entgegengehaltenen Mündung. Doch der Advokat trat auch diesmal wieder vermittelnd zwischen die Parteien, erklärte dem Yankee, dass die Männer nicht mehr in feindseliger Absicht gekommen wären, und bat ihn, die Büchse fortzustellen.
»Gebt den Leuten ein paar Quart Whisky«, schloss er seine Rede, »und sie werden auf Eure Gesundheit trinken. Es ist doch besser, mit unseren Nachbarn friedlich als in Hader und Streit zu leben.«
Der Yankee hatte bei den ruhigen Worten des Advokaten, den auch er als einen ordentlichen und entschlossenen Mann kannte, den Büchsenkolben gesenkt, ohne jedoch die rechte Hand vom Schloss zu entfernen, und erwiderte freundlich: »Meine Hochachtung, Mr. Dayton, dass Ihr nach besten Kräften Streit und Blutvergießen verhindern wollt. Mancher Eurer Herren Kollegen würde das nicht tun. Damit Ihr seht, dass auch ich bereit bin, mit den Leuten, gegen die ich sonst nicht das Mindeste habe, wieder auf freundschaftlichen Fuß zu kommen, werde ich ihnen sogar eine volle Gallone spendieren, aber ich will sie hinausschicken. Ich habe Ladys im Hause, und die Gentlemen werden gewiss damit einverstanden sein, ihren Brandy im Freien zu trinken, wo sie nicht dabei durch die Gegenwart von Damen gestört werden.«
»Hallo, Brandy?«, rief der mit der Narbe. »Wollt Ihr uns wirklich eine Gallone Brandy geben und dabei erklären, dass Euch das Geschehene leidtut?«
»Allerdings will ich das!«, erwiderte Jonathan Smart, während ein leichtes spöttisches Zucken um seine Mundwinkel spielte. »Und zwar vom vortrefflichsten Pfirsich-Brandy, den ich im Hause habe. Sind die Herren damit einverstanden?«
»Bootshaken und Enterbeile – ja!«, nahm der Bleiche das Wort. »Heraus mit dem Brandy, Smart. Ihr trefft uns heute in verdammt guter Laune, lasst uns deshalb nicht zu lange warten.«
Fünf Minuten später erschien ein starker, breitschultriger Neger mit echtem Wollkopf und ungewöhnlich streng ausgeprägten äthiopischen Gesichtszügen in der offenen Tür und trug, während er die Versammlung noch immer misstrauisch beobachtete, in der linken Hand eine dickbauchige Steinkruke und in der rechten ein Dutzend Blechbecher. Die Schar empfing ihn jubelnd und probierte sogleich das Getränk, ob es auch wirklich der ihnen versprochene gute Stoff war, und zog dann grölend zum Fluss, wo sie an Bord eines Flatbootes gingen und bis in die späte Nacht hinein zechten und tobten. Dayton blieb noch stehen und blickte den Davonstürmenden nachdenklich nach, bis Smart die Büchse an einen Pfosten der Veranda lehnte und zu dem Richter trat.
»Dank Euch, Sir«, sagte er, während er ihm die Hand entgegenstreckte, »dank Euch für Euer Eingreifen, Ihr hättet zu keinem besseren Moment dazwischentreten können.«
»Nicht mehr als Bürgerpflicht«, lächelte der Richter, »die Menge lässt sich von einem entschlossenen Manne leiten, und wenn man den richtigen Zeitpunkt trifft, so vermag ein ernstes Wort viel.«
»Hm, ich weiß nicht«, meinte Smart kopfschüttelnd, indem er einen Seitenblick zu dem Fluss hinabwarf, »dieses Volk lässt sich sonst weder von freundlichen Reden noch von scharfen Waffen zurückschrecken. Es sind meistens Burschen, die nichts weiter auf der Welt zu verlieren haben als ihr Leben und deshalb der Gefahr waghalsig entgegentreten. Darum bin ich froh, so billig davongekommen zu sein, denn Blut zu vergießen, ist immer eine hässliche Sache. Aber tretet doch ins Gastzimmer und trinkt auch einen Schluck.«
»Ein anderes Mal«, sagte der Richter, »ich muss nach Hause. Es sind mit dem letzten Dampfboot Briefe angekommen, und vom Fluss herunter habe ich auch Geschäftsbesuch zu erwarten. Wollt Ihr mir aber einen Gefallen tun, so kommt nachher ein bisschen zu mir herüber, ich habe noch etwas mit Euch zu besprechen.«
»Ich komme gern«, sagte der Yankee lächelnd, »ich bin schon lange nicht mehr bei Mrs. Dayton gewesen; was meint Ihr, die Burschen werden doch nicht noch einmal zurückkommen?«
»Habt keine Angst«, beruhigte ihn der Richter, »das Volk ist aufbrausend und hitzköpfig, auch roh, aber geplanter Verbrechen halte ich es nicht für fähig. Sie hätten Euch vielleicht im ersten wilden Zorn das Haus über dem Kopf angesteckt; aber ist der einmal verraucht, wird Euch keiner mehr belästigen.«
»Desto besser«, sagte Jonathan Smart, »Angst hätte ich auch nicht, mein Scipio hält Wache, wenn ich fort bin, und ein Hornruf aus dem Fenster kann mich überall in Helena erreichen. Also bis bald, in einer halben Stunde komme ich hinüber.«
Während der Richter seiner eigenen Wohnung zuschritt, trat der Wirt ins Haus zurück und stand gleich darauf vor seiner Frau, die teils durch die viele Arbeit, teils durch die vorangegangene Szene in der übelsten Laune von der Welt war. Mrs. Smart war auch nicht die Frau, die einen Groll lange mit sich herumtragen konnte. Was ihr auf dem Herzen lag, musste sofort heraus. So stemmte sie denn auch beide Arme – in der Rechten noch immer den langen hölzernen Kochlöffel haltend – fest in die Seiten und empfing den langsam herbeischlendernden Mann mit einem scharfen »So – was hat der Herr denn heute wieder einmal angerichtet? Man darf nicht den Rücken wenden, schon ist irgendein Unglück im Anmarsch, und kein Kuchen kann im ganzen Ort gebacken werden, ohne dass Mr. Smart nicht seine Finger und seine Nase hineinstecken müsste.«
»Mrs. Smart«, sagte Jonathan, der viel zu guter Laune war, um sie sich durch seine Frau verderben zu lassen, »ich habe heute ein Menschenleben gerettet, und das, sollte ich denken …«
»Ach was, Menschenleben«, unterbrach ihn eifrig Mrs. Smart, »Menschenleben hin, Menschenleben her, was geht dich das Leben anderer Leute an. An deine Frau solltest du denken, aber die kann sich schinden und quälen, das ist dem Herrn ganz einerlei. Er wirft auch die Gallonen besten Pfirsich-Brandys auf die Straße hinaus, als ob er sie da draußen gefunden hätte …«
»… wäre mit der gehabten Mühe nicht zu teuer erkauft gewesen«, fuhr Smart ruhig, ohne die Unterbrechung seiner Frau auch nur im Geringsten zu beachten, fort.
»Ich sage dir aber: Es wäre zu beachten gewesen«, ereiferte sich hierdurch nur noch mehr die erzürnte Frau, »es wäre zu beachten gewesen, wenn du nur so viel Gefühl für deine eigene Familie hättest. Aber Philipp kann heranwachsen, das kümmert dich nicht. Bei deiner Wirtschaft geht alles zugrunde, und später wird der arme Junge nicht einmal einen Platz haben, wohin er sein Haupt legen kann.«
»Sein Vater hatte auch keine Stelle, wohin er sein Haupt legen konnte, als er noch jung war«, lächelte Mr. Smart gutmütig und rieb sich dabei die Hände, »aber dennoch hat sich Mr. Smart das schönste Gasthaus in ganz Helena bauen können.«
»Schluss mit der Rederei, Mann, geh an dein Geschäft, besorg die Pferde, die draußen im Stall stehen, schick mir den Neger her und lass ihn Bohnen vom Feld holen. Zum Kaufmann muss er auch hinüberlaufen, um das Fass Zucker zu holen.«
»Aber die Pferde sind sämtlich gefüttert und versorgt«, bemerkte Smart.
»Und das Fass Zucker?«
»Steht in der Bar.«
»Aber die Bohnen …«
»Sind von Scipio schon vor einer halben Stunde gepflückt worden.«
»Und die beiden Zimmer, die noch für die Gäste geräumt werden müssen …«
»Können jeden Augenblick bezogen werden«, schmunzelte Jonathan, »Mr. Smart und Scipio haben das alles besorgt; sonst noch etwas?«
Mrs. Smart, jetzt wirklich ärgerlich, dass weiter gar nichts mehr zu beanstanden war, arbeitete mit immer größerem Eifer und immer röter werdendem Gesicht an dem Herd herum, von dem sie sich schon mehrmals vergeblich bemüht hatte, den schweren eisernen Kessel zu heben.
Jonathan aber sprang nun rasch hinzu, ergriff die Haken und schwang das mächtige Gefäß mit Leichtigkeit auf seinen Platz, wandte sich dann lächelnd zu seiner nur noch schmollenden Frau um, drückte ihr einen derben Kuss auf die Wange und stieg im nächsten Augenblick, aus Leibeskräften den Yankeedoodle pfeifend und die Hände tief in die Beinkleidertaschen vergraben, mit raschen Schritten zur Tür hinaus ins Freie.
Das Union-Hotel und seine Gäste
Leser, hast du schon einmal ein amerikanisches Wirtszimmer gesehen? Nein? Das ist schade, es würde mir die Beschreibung ersparen. Wie die Bahnhöfe unserer Eisenbahnen, so haben die Wirtszimmer in der Union eine Ähnlichkeit, die sich in keinem Staate, weder im Norden noch Süden, verleugnen lässt und in den kostbarsten Auster-Saloons der östlichen Städte wie in den gewöhnlichen grogshops der Backwoods sichtbar bleibt. Der Schanktisch, mag er nun aus einer Marmorplatte oder einem schmutzigen hölzernen Gitter bestehen, trägt kleine Flaschen mit Pfefferminz und Staunton Bitters, damit sich jeder Gast sein Getränk mit einer der beiden scharfen Spirituosen würzen kann, und die dahinter angebrachten Karaffen laden mit ihrem farbigen Inhalt den Gast ein, sie zu probieren. Apfelsinen und Zitronen füllen die leeren Zwischenräume aus, und bleibehalste Champagnerflaschen sowie mit buntfarbigen Etiketten versehene Liköre prangen in den obersten Regalen. Nie aber wird sich der Reisende in diesen Gebäuden, mögen sie nun hotel oder inn, tavern oder boarding-house heißen, heimisch fühlen. Wie alles in Amerika, einzelne Privatwohnungen ausgenommen, nur für den augenblicklichen Nutzen eingerichtet ist und jeder wirklichen Behaglichkeit entbehrt, so ist es auch mit diesen doch eigentlich für die Bequemlichkeit der Reisenden gedachten Gasthäusern.
Schon die ganze innere Einrichtung beweist das. Nur vor dem Kamin stehen Stühle, und selbst im Sommer, wenn kein Feuer darin brennt, versammeln sich um denselben aus alter Gewohnheit die Gäste und spritzen ihren Tabaksaft in die liegen gebliebene Asche vom letzten Winter. Keiner setzt sich mit seinem Glas an den Tisch und plaudert mit den Freunden, keiner liegt behaglich im Stuhl zurückgelehnt und beobachtet die Kommenden und Gehenden. In Gruppen stehen sie beisammen, das kaum gefüllte Glas wird hastig geleert, höchstens einmal eine Zeitung durchflogen, und schon stürmt der eben erst eingekehrte Gast wieder seinen Geschäften oder seinem Vergnügen nach.
Das Union-Hotel machte keine Ausnahme von dieser Regel. Der Tür gegenüber befand sich der Schanktisch, hinter dem ein junger Mann kaum Hände genug zu haben schien, die Gläser zu füllen. Links war der Kamin, rechts führten drei Fenster auf die Elmstreet hinaus, während neben der Tür zwei andere vorne heraus eine Aussicht auf die breite Frontstreet und zugleich auf die Dampfboot- und Flatboot-Landung und den Strom gewährten. In der Mitte des großen Raumes stand ein breitfüßiger, viereckiger Tisch, auf dem ein paar Zeitungen, die State Gazette, der Cherokee Advocate und das New Orleans Bulletin, lagen, sowie ein Dutzend Stühle; ein kleiner Nürnberger Spiegel und eine unvermeidliche Yankee-Uhr über dem Kaminsims füllten den übrigen Raum aus.
Interessanter waren die Gruppen, die hier herumstanden. Nur zwei Leute saßen wie zwei Kaminverzierungen an beiden Seiten desselben, die Rücken der Gesellschaft zugewandt und die Beine oben auf den Kaminsims gelegt.
Den Mittelpunkt der Gäste bildeten ein junger Advokat aus Helena namens Robins, ein Farmer aus der Nähe von Little Rock, ein junger grobknochiger Bursche, der trotz des hellblauen Fracks aus Wollzeug und dem schwarzen abgeschabten Filz etwas von einem Matrosen an sich hatte, und der sogenannte Mailrider, der zu Pferde den ledernen Briefsack zwischen Helena und Strongs Post-Office, in der Nähe des St. Francis-Flusses, hin- und herbrachte. Das Gespräch drehte sich um den stattgefundenen Kampf, und der Mailrider, ein kleines, dürres Männchen von etwa fünfundzwanzig Jahren, war besonders erstaunt, dass sich eine solche Anzahl kräftiger Burschen so leicht einschüchtern ließ.
»Gentlemen!«, begann er seine mit Eifer geführte Rede, wobei er diesen Titel ungewöhnlich häufig anwandte, als ob er seine Zuhörer dadurch überzeugen wollte, dass er selbst zu dieser besonderen Menschenklasse gehöre, »Gentlemen, die Männer von Arkansas fangen an aus der Art zu schlagen, das demokratische Prinzip geht unter. Vom Osten her werden monarchische Grundsätze von Tag zu Tag gefährlicher. Gentlemen, ich fürchte, wir erleben noch die Zeit, wo sie in Washington einen König krönen, und der – König – heißt – dann – Henry – Clay …«
»Henry, Unsinn!«, sagte der Farmer verächtlich. »Wenn das geschähe, so möchten sie ihren König im Osten behalten; über den Mississippi würde er niemals kommen, dafür stehe ich. Wetter noch eins, unsere Väter, die für ihre Kinder fielen, müssten sich ja in ihren blutigen Gräbern umdrehen, wenn die Enkel, die zu Millionen angewachsen sind, nicht einmal das verteidigen könnten, was die Großväter mit wenigen Tausend Mann erobert haben. Aber das sind verrückte Ideen, die nur Ausländer mitbringen. Selbst in Schmach und Ketten aufgewachsen, können sie sich nicht vorstellen, dass ein Volk existieren kann, ohne von einem Fürsten am Gängelband geführt zu werden. Zum Teufel auch, ich habe da erst neulich in einem Buch gelesen, wie die Hofschranzen über dem großen Wasser drüben in den Städten herumkriechen. Die Pest über sie, so ein Geschmeiß sollte einmal nach Arkansas kommen, huh, wie wir sie mit Hunden hinaushetzen würden.«
»Hahaha«, lachte der kleine Advokat, »Howitt gerät ordentlich in Jagdeifer. Mäßigung, wackerer Staatsbürger, Mäßigung. Gegen solche Gefahr schützt uns unsere Konstitution …«
»Ach was da, Konstitution«, brummte Howitt, »wenn wir es nicht selber in die Hand nehmen, würde es die Konstitution und das Advokatenvolk auch nicht schaffen. Die eine würde umgeworfen, und die anderen gingen zur neuen Fahne über – nein, das ist alles schon da gewesen. Der Farmer ist es, der den Kern der Staaten ausmacht, denn sein freies Land wäre es, das unter die Herrschaft einer willkürlichen Regierung fiele. Er müsste das Land kultivieren und mit dazu beitragen, dass sich die Industrie und die Einkünfte von Jahr zu Jahr vergrößerten, und dürfte am Ende noch nicht einmal mitreden, wenn es um sein eigenes Wohl und Wehe ginge. Nein, der Farmer oder vielmehr das Volk hält den Staat – denn ein Land, das keine Farmer und kein Volk hat, dem hilft auch die beste Konstitution nichts.«
»Das sag ich ja eben«, fiel der Mailrider, der nicht recht verstand, was jener meinte, mit seiner dünnen Stimme ein, »deshalb wundert es mich ja, dass sich das Volk so von einem einzelnen Menschen leiten und einschüchtern lässt. Donnerwetter, ich hätte dabei sein sollen, ich hätte dem Yankee« – er sah sich vorsichtig um, ob der Wirt nicht etwa im Raum wäre – »schon gezeigt, was es heißt, sich an freien amerikanischen Bürgern zu vergreifen.«
»Im Gegenteil«, erwiderte ruhig der Farmer, »mich hat es gefreut, dass die Leute Vernunft annahmen. Was ich früher von Helena gehört habe, ließ mich fast glauben, der ganze Ort bestehe aus lauter Gesindel. Es ist mir lieb, dass ich jetzt eine andere Meinung nach Hause tragen kann, denn dass die Köpfe eines freien Volkes einmal überschäumen, nun, das ist kein Unglück, wenn sie nur immer wieder ins richtige Bett zurückkehren.«
»Verdammt wenige von denen werden heute Nacht in einem Bett schlafen!«, lachte hier der im blauen Frack dazwischen. »Die Burschen fangen mit der Gallone Brandy an, und es sollte mich gar nicht wundem, wenn sie mit einem ganzen Fass aufhörten. Ihr Geschrei und Gegröle schallt ja bis hier herüber.«
»Was ist denn eigentlich heute hier vorgefallen?«, wandte sich jetzt der Farmer an die Übrigen. »Ich kam gerade, wie sie den Irländer in der Klemme hatten, und trug dann meine Satteltasche in die Hinterstube. War heute Gerichtstag?«
»Nein, das weniger«, sagte der im blauen Frack. »Holks Haus und Land wurden versteigert.«
»Das Haus des reichen Holk?«, rief Howitt verwundert. »Das ist doch gar nicht möglich. Alle Wetter, vor acht Tagen kam ich erst hier durch, und da war noch kein Gedanke daran.«
»Ja, Sachen ändern sich«, lachte der Blaue, »Holk ging, wie Ihr vielleicht wisst, mit einem Flatboot nach New Orleans. Unterwegs muss er auf irgendeinen Snag gelaufen oder sonst wie zu Schaden gekommen sein, denn das ganze Boot ist spurlos verschwunden, und vor fünf Tagen kam Holks Sohn hier an.«
»Hatte denn Holk einen Sohn?«, fragte der Farmer. »Er war doch gar nicht verheiratet.«
»Aus früherer Ehe«, erwiderte der Blaue, »mehrere Leute aus Helena kannten die Familie. Der junge Holk wäre auch gern hiergeblieben, er bekam aber schon am zweiten Tag das Fieber und damit zugleich eine solche Abneigung gegen das niedere Land, dass er schon auf den dritten Tag die Versteigerung seines Besitzes festlegte. Die Auktion fand heute Morgen statt, und mittags ist der junge Holk mit dem Dampfboot wieder hinunter nach Baton Rouge gefahren.«
»Potz Blitz, der hat seine Geschäfte schnell erledigt. Da ist der schöne Platz wohl um einen Spottpreis weggegangen?«, fragte der Mailrider, der ebenfalls erst während des Streites angekommen war.
»Das nicht!«, erwiderte der Advokat. »Die Baustellen sind mit die besten in Helena, und es fanden sich mehrere Interessenten – ich habe selbst geboten, auch Richter Dayton schien große Lust zu dem Handel zu haben. Doch der Wirt hat sie erstanden, und was die Bedingung war, gleich bar bezahlt. Smart muss einen hübschen Batzen Geld in Helena verdient haben.«
»Sonderbar, sonderbar«, murmelte der Farmer vor sich hin. »Mir hat Holk einmal gesagt, er hätte weder Kind noch Kegel in Amerika und wolle seinen gesamten Besitz verkaufen und wieder nach Deutschland zurückgehen.«
»Nun ja«, lachte der Blaue, »es war seine schwache Seite, noch für einen jungen Mann zu gelten. Er leugnete immer, dass er schon verheiratet gewesen war. Ihr kennt doch die junge Witwe drüben – gleich neben Daytons.«
»Die arme Frau«, sagte ein junger Kaufmann, der eben zu ihnen getreten war.
»Ja«, fiel hier der Advokat ein. »Nach Holks Rückkehr aus New Orleans sollte die Hochzeit sein. Jetzt sind der Mississippi und das Flatboot sein Sarg. Puh – es muss ein hässliches Gefühl sein, so tief unten auf dem Grund des Flusses gegen die Planken eines solchen Kastens gedrückt zu liegen und immer leichter und leichter zu werden und doch nicht wieder hinaufzukönnen an den Tag.«
»Es sind in letzter Zeit recht viele Flatboote verunglückt«, sagte der Farmer nachdenklich. »Ich weiß, dass allein von Little Rock drei abgingen, die nie an ihrem Bestimmungsort ankamen. Der Staat sollte mehr dafür tun, um die vielen Baumstämme aus dem Strom zu entfernen. Was sind nicht schon für Menschen auf diese Art umgekommen, und wie viele Waren hat der unersättliche Mississippi verschlungen!«