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Gatle und Lollo erkennen schon als Jungs, welches der bedeutendste Teil ihres Körpers ist – und brennen darauf, ihn einzusetzen. Bald ist kein weibliches Wesen der Tundra vor ihnen sicher. Da erteilt ihnen der Schamane Tschenko eine Lehre: Er verstößt sie aus der Siedlung und macht sie zu Männlein, kaum größer als das letzte Glied des kleinen Fingers. Eines Tages begegnen sie am See einem lockend duftenden, riesenhaften Wesen. Im Gras liegt die verführerischste Frau des Polarsommers. Was tun? Die Lust erwacht – aber erst, als die Liebe hinzukommt, wird das Glück möglich. Juri Rytchëu hat uns ein verschmitztes Märchen über die unterschiedliche Bedeutung von Gefühl für Mann und Frau hinterlassen. Ein weises Plädoyer für die wahre Herzensneigung.
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Seitenzahl: 135
Gatle und Lollo erkennen schon als Jungs, welches der bedeutendste Teil ihres Körpers ist – und brennen darauf, ihn einzusetzen. Bald ist kein weibliches Wesen der Tundra vor ihnen sicher. Da erteilt ihnen der Schamane Tschenko eine Lehre … – Ein verschmitztes Märchen und ein weises Plädoyer für die wahre Herzensneigung.
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Juri Rytchëu (1930–2008) wuchs als Sohn eines Jägers in der Siedlung Uëlen auf der Tschuktschenhalbinsel im Nordosten Sibiriens auf und war der erste Schriftsteller dieses nur zwölftausend Menschen zählenden Volkes. Mit seinen Romanen und Erzählungen wurde er zum Zeugen einer bedrohten Kultur.
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Antje Leetz (*1947) war Lektorin für neue russische Literatur im Verlag Volk und Welt Berlin und Redakteurin in einem Verlag in Moskau. Sie als Herausgeberin, Übersetzerin und als Autorin von Radiofeatures zum Thema Russland tätig.
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Juri Rytchëu
Die Frau am See
Ein Liebesmärchen aus der Taiga
Erzählung
Aus dem Russischen von Antje Leetz
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Diese Übersetzung folgt dem Manuskript mit dem Titel »Nepodwischnoje solnze«, das Juri Rytchëu 2004 verfasste.
Originaltitel: Nepodvišnoe solnce
© by Juri Rytchëu 2004
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Alena Ozerova
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30451-2
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Inhaltsverzeichnis
DIE FRAU AM SEE
1 – Gatle schirmte mit der Hand die Augen …2 – Die stillstehende Sonne sandte freigebig ihre Strahlen …3 – Als Gatle die Augen öffnete, fiel ihm gleich …WorterklärungenMehr über dieses Buch
Über Juri Rytchëu
Juri Rytchëu: Der stille Genozid
Eveline Passet: Juri Rytchëu – Literatur aus dem hohen Norden
Leonhard Kossuth: Wo der Globus zur Realität wird
Über Antje Leetz
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Gatle schirmte mit der Hand die Augen gegen die Sonne ab und schaute zuerst auf den Berggipfel. Dann ließ er den Blick über den See schweifen, der im hellen Licht glitzerte. Die Sonne stand noch immer an derselben Stelle am Himmel.
Von Zeit zu Zeit spürte Gatle in den warmen Sonnenstrahlen kalte Ströme, die bis in die Knochen drangen. Dass die Sonne nicht unterging hinter dem Horizont, das verwunderte ihn überhaupt nicht, denn es war Polarsommer. Aber dass sie immer an ein und demselben Fleck stand, das war ein Ding! Gatle hatte noch die Worte des Schamanen Tschenko im Ohr, der behauptete: Wenn man vom ewigen Genuss träumt, ist es das Gleiche, als ob man sich wünscht, dass die Sonne stillsteht.
Das Seeufer war mit Kieselsteinen bedeckt, an manchen Stellen schaute wie kleine Inseln feiner Sand hervor.
So sah es ein normaler Mensch. Gatle jedoch war ein Verwandelter, ein winziges Männchen, so groß wie der letzte Teil vom kleinen Finger.
Bevor Gatle und sein Freund Lollo sich in Winzlinge verwandelt hatten, waren beide ganz normale junge Männer aus einem Nomadenlager in der Tundra gewesen und unterschieden sich in nichts von ihren Altersgenossen. Ihre Rentierherden hüteten sie an der Wasserscheide, wo die Tundraflüsse ihren Anfang nahmen. Die einen flossen nach Nordosten, zum östlichen Meer, die anderen direkt nach Norden, zum Eismeer, auf dem sogar im Hochsommer noch Schollen schwammen.
Begonnen hatte es alles in der Kindheit, dieser schönsten Zeit im Leben eines Menschen. Am Morgen in einer Felljaranga aufwachen, eingehüllt in die Wärme und Zärtlichkeit gut gelüfteter Rentierfelle … Hinausrennen aus der Jaranga und sich barfuß auf das warme weiche Moos stellen, um die in der Nacht übervoll gewordene Blase zu leeren … Die Rentiere, die vor der Jaranga weideten, schauten den Jungen mit großen runden Augen an. Und Gatle wiederum sah im leuchtenden und glänzenden Auge des Rens wie in einem Zerrspiegel komisch entstellt die ganze Welt, die ihn umgab, und sich selbst.
Für die Rene war der menschliche Urin ein Leckerbissen, und Gatle tränkte sie immer wieder gern. Das knabenhaft kleine Hautsäckchen seiner Manneswürde wuchs im Spiegel der Rentieraugen zu einem großen, langen Ding, das an die Wurst Prerem erinnerte, gefüllt mit den besten Stücken klein geschnittenen Rentierspecks, mit Eingeweiden und geronnenem Blut. Verschwommen ahnte Gatle, dass es dieser Teil seines wachsenden Körpers war, der den wichtigsten und bedeutendsten Platz in seinem Leben einnehmen würde. Als reagierte es auf die verschwommenen Träume und Erwartungen des Jungen, wuchs dieses Hautsäckchen manchmal und wurde fest, als ob sich innen ein Knochen gebildet hätte. Genau solche Knochen formten sich auch bei den Renbullen, die man Eierträger nannte, wenn die Zeit der Brunst heranrückte. Dann waren diese Knochen mit straff gespannter Haut überzogen und drangen in die Hinterteile der Renkühe ein.
Das ganze Leben kam Gatle vor wie ein einziger Feiertag. Jeden Morgen sprang er auf und fühlte sich wie neugeboren, war voller Tatendrang und Abenteuerlust und begrüßte den neuen Tag mit weit geöffneten Augen. Wenn er von der Anhöhe, wo die Jarangas standen, den fernen Horizont betrachtete, sog er gleichsam den Raum unter und über sich ein, den nahen Fluss, den See, die fernen Hügel und den hohen, unendlichen Himmel mit den Wolken. In dunklen Winternächten hingegen, wenn glitzernde Sterne am Himmel leuchteten, versenkte er sich mit innerem Beben in die Betrachtung des Himmelsgewölbes. Dort vermutete er ein geheimnisvolles ewiges Leben, dort wohnten die Seelen der durch die Wolken Gegangenen, die sich im irdischen Leben durch große Heldentaten hervorgetan hatten. Für die aber, die das Himmelsglück nicht verdient hatten, war die dunkle Unterwelt bestimmt, mit ewigen Qualen und Leiden. Das hatte der kleine Gatle von den Älteren gehört, die er unendlich liebte und von denen er glaubte, sie kämen für alle Ewigkeit in den Himmel. Aber auch das irdische Leben kam ihm in der Kindheit endlos und ewig vor, und alles, was als unumgänglich geschildert wurde, als zwingende Notwendigkeit, erschien ihm in Wahrheit ein Zaubermärchen zu sein, die Fantasie alter Leute.
Sogar die schneidende Kälte im Winter und die tobenden Orkane minderten nicht die Schönheit und die Bedeutung jedes neuen Tages, der ein Schritt in die Zukunft, in das Erwachsenenleben war.
Je größer Gatle wurde, desto größer wurde in ihm auch dieses seltsame Schmachten, diese eigenartige Erregtheit. Der Körper füllte sich mit ungewöhnlicher Kraft und war angespannt, und dann wurde es Gatle sogar in der Winterkälte heiß.
Im Fellpolog wurden keine Kleider getragen. Nur die erwachsenen verheirateten Frauen hatten schmale Fellhöschen an, und die Männer schlangen sich weiches Rentierfell um die Lenden. Die kleinen Mädchen liefen ebenso wie die Jungen im heißen Polog nackt herum.
Der Name Gatle bedeutet »Vogel«. Nach der Vorstellung der Eltern sollte es im Leben des Neugeborenen viele ungewöhnliche Entdeckungen geben, wie sie die Vögel vom Himmel herab machten. Gatles Leben sollte so zielstrebig sein wie der schnelle Flug eines Vogels, und wenn die Zeit reif war, sollte er ein Nest bauen und dort mit seiner Frau die Nachkommen aufziehen.
Gatles zukünftige Frau, die genau ein Jahr nach ihm im benachbarten Nomadenlager zur Welt kam, wurde dementsprechend Pytschik genannt, was »Vogeljunges« bedeutet. Wenn die beiden Kinder, die zukünftigen Eheleute, sich gegenseitig besuchten, schliefen sie manchmal zusammen in einem Bett.
Aber vorerst wächst der zukünftige Eroberer der Lüfte gemeinsam mit seinen Altersgenossen auf, hütet die Rene an der Meeresküste, wo in der heißen Sommerzeit der kühle Wind die Mückenheere vertreibt und die Rene eine Schicht weißen festen Specks unter der dicken Wolle des Fells ansetzen können.
Im Winter zog Gatle eine aus diesem Fell gefertigte Kuchljanka an und hütete die Herde in den Tälern, die vor den eisigen Winden geschützt waren, verteidigte sie gegen die Wölfe und trieb sie zu den südlichen Berghängen, die über und über mit Rentierflechten überzogen waren.
Doch dann kam die Zeit, als Gatle immer so schnell wie möglich in die warme Jaranga zurückwollte, jedoch nicht nur, weil er davon träumte, sich an gekochtem Rentierfleisch satt zu essen. Er begann sich auch nach nackten Frauen zu sehnen.
Ihre zärtliche Berührung, ihre etwas klebrigen Körper, die Stimmen, höher als die der Männer, erregten ihn sehr. Und das süße Schmachten des männlichen Prachtstücks äußerte sich in einem dumpfen Schmerz, der erst durch den plötzlichen nächtlichen Erguss einer klebrigen weißen Flüssigkeit gelindert wurde, die bis zum Morgen trocknete und ihm schmerzhaft die wachsenden Schamhaare verklebte.
Es kam der Sommer, und Gatles Erste war die junge Frau des Nachbarn, mit der er Birkenholz für das Feuer sammeln ging. Es war heiß, und die Frau wollte in das kühle Wasser des Tundrasees tauchen. Gatle folgte ihrem Beispiel, und als sie nackt auf dem weichen Rentierfell lagen, verschmolzen sie völlig unerwartet zu einem einzigen Ganzen. Gatle verspürte solch einen überirdischen Genuss, dass er den Schrei, der aus seinem Körper drang, nicht zurückhalten konnte. Er flog gleichsam auf die höchsten Gipfel der Berge, schwebte auf den Federwolken, in den höchsten Höhen, wo die wilden Habichte kreisten, die nach Beute Ausschau hielten.
Doch merkwürdig: Nach diesem kurzen Gefühl des Höhenflugs und süßen Genusses empfand Gatle immer eine gewisse Enttäuschung, starke Reue, als hätte er etwas sehr Teures verloren … Aber dieses Unbehagen beherrschte ihn nur einen Moment. Kurze Zeit später fühlte er neue Begierde in sich wachsen, und diesmal sagte ihm sein Instinkt, dass man den Genuss hinziehen kann, wenn man nicht allzu hastig ist und nicht gleich zum Höhepunkt strebt.
Das wiederholte sich mehrere Male, bis die Frau, entkräftet von den pausenlosen Attacken ihres jungen Gefährten, ihn um Gnade bat. Und Gatle selbst war auch ganz schön erschöpft, obwohl diese Müdigkeit süß war, vermischt mit einem dumpf schmerzenden Gefühl, das den ganzen Körper erfüllte.
Gatles Freund Lollo behauptete, wenn man eine neue Frau nähme, könne man den Genuss noch vergrößern. Aber am häufigsten nahm Gatle beim Brennholzsammeln jene erste, die ihm zugänglicher erschien als andere Frauen des Nomadenlagers. Hastig schlief er ihr am Ufer des Sees bei, ohne sich um die Scharen von Mücken zu kümmern, die seinen nackten, schweißüberströmten Hintern und alle anderen Blößen des Körpers piesackten.
Bald wurde diese männliche Tätigkeit zur Hauptsache im Leben von Gatle und seinem Freund Lollo. Ein unbezwingbares, wildes Verlangen trieb die beiden jungen Männer zur Jagd auf Frauen, damit sie es an ihnen hastig stillen konnten.
Alle sahen, was mit den beiden hübschesten jungen Männern des Rentierlagers los war. Man nannte sie sogar ganz offen »Eierträger«, genauso wie die jungen Rentierbullen, die Erzeuger der neuen Rentiernachkommenschaft.
Auch der oberste Schamane des Stammes, Tschenko, bemerkte ihr Tun. Er führte die Burschen an das Ufer des Tundrasees und hielt ihnen eine Standpauke.
Mit einer weiten Handbewegung umschrieb er das Seeufer und sagte: »Schaut nur, wie schön alles ist, was den Menschen umgibt! Das fließende Wasser, das grüne Gras, die Büsche, die Vögel und ihre vielzählige singende Nachkommenschaft. Die Tiere und die Vögel, sogar die aufdringlichen Insekten – all das gehört zum Leben, all das wird geboren, wächst und entwickelt sich unter der Sonne. Auch die Sonne wird geboren und steigt zum höchsten Punkt am Himmelszelt empor, um dann, wenn sie mit ihrem Licht und ihrer Wärme alles Lebendige genährt hat, am Horizont zu versinken, um mit neuer Kraft, an einem neuen Tag, neues Leben zu schenken. So ergeht es auch dem Menschen.« Es sei gerecht, sprach er, dass auch der Mensch seinen Morgen hat und seinen Mittag – den Zenit seiner Lebenskräfte. »Aber an seinem Morgen und seinem Mittag vergisst er häufig, dass ihn der Abend erwartet und die Nacht. Der Mensch aber will, dass sein Mittag ewig dauert, dass die Sonne für ihn stehen bleibt und alles im ewigen, süßen Genuss des Vergessens versinkt …«
Darauf befahl der Schamane Tschenko den beiden jungen Männern, sofort die ihnen in der Kindheit vorbestimmten Bräute zu heiraten.
Eigenartig, aber Gatle empfand gegenüber der für ihn auserwählten Braut zunächst keineswegs so viel Begierde wie gegenüber anderen Frauen. Doch dann legte er sich mit ihr, die nun nach dem Gesetz sein Weib war, aufs Lager. Als er sie auf dem Rentierfell berührte, fühlte er auf einmal, wie sich zärtliche Wärme in ihm regte, wie in der Tiefe seines ungeduldigen starken Herzens ein kleines Feuer entbrannte.
Anfangs war Gatle glücklich. Er wollte immer so schnell wie möglich zurück in den warmen Polog, auf das weiche Rentierfell, unter die noch weichere Flaumendecke aus dem Fell eines Rentierkalbs, wo die vor Ungeduld zitternde Pytschik auf ihn wartete. Er gönnte weder sich noch seiner jungen Frau eine Ruhepause. In Gedanken beklagte er die Unvollkommenheit des menschlichen Körpers, der es nicht vermag, den Genuss bis ins Unendliche auszudehnen. Er träumte von der Fähigkeit, lange mit einer Frau vereint zu sein und ohne Ende in ihrem Schoß zu ruhen.
Doch bald genügte ihm Pytschik nicht mehr, und er verfolgte andere Frauen mit Blicken. Der unstillbare, nie enden wollende Drang nach Genuss zehrte an seinen Kräften, und so kam es, dass Gatle nach schlaflosen Nächten wie tot dalag. Jene Zärtlichkeit, die er anfangs für seine Frau empfunden hatte, verschwand, es blieb nur die ständige, nagende Begierde nach Befriedigung, die ihm den Schlaf nahm und die Nachtruhe.
Da entschloss sich der Schamane Tschenko zu einem letzten Mittel.
Für das Ritual wählte er einen hoch gelegenen Platz an der Wasserscheide, auf dem bizarr verflochtene Figuren standen – von der Zeit und vom Wetter bleich gewordene Rentiergeweihe. Er rief die Götter an, damit sie die große Sünde bestraften, die Besitz von den beiden jungen Männern genommen hatte.
Gatle und Lollo verwandelten sich in winzige Männlein. Sie wussten – das war die Strafe der Götter. Und sie wurden aus dem Nomadenlager vertrieben.
Langsam nur begriff Gatle mit seinem Verstand, was geschehen war. Zuerst schien ihm, dass alles ringsum plötzlich auf wunderbare Weise ins Riesenhafte gewachsen sei. Die feinen Sandkörner, auf denen er das Rentierfell ausbreiten wollte, waren zu Steinbrocken geworden, an denen er sich schmerzhaft stieß. Zu allem Unglück rutschte er auch noch in eine Lücke zwischen die Steine, aus der er nur mit größter Anstrengung wieder herausklettern konnte.