Die Frau mit den vier Armen - Jakob Nolte - E-Book

Die Frau mit den vier Armen E-Book

Jakob Nolte

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Beschreibung

Die Frau mit den vier Armen erzählt von traurigen Jungs, die das Glück suchen und den Tod finden. Abgründig, voller schräger Figuren und mit Witz zeigt Jakob Nolte ein Hannover, das es so noch nie gegeben hat, und erfindet den Niedersachsen Noir. Es geht um Polizeiarbeit, Gerechtigkeit und die Frage, ob man sich am Denken anderer schuldig machen kann.

Inlineskates an den Füßen, Würgemale am Hals, Kopfhörer in den Ohren. Am Ufer der Ihme in Hannover liegt die Leiche eines jungen Mannes. Ein Fall für die genauso brillante wie schroffe Rita Aitzinger und ihren Kollegen Ilia Schuster von der Mordkommission. Zwischen Oper, Bahnhofskneipe und Burgerladen geraten sie immer tiefer in ein Dickicht aus Verweisen: Popsongs, Datingapp-Profile, mysteriöse Tattoos – sie sind der Schlüssel zur Lösung des Falls, davon ist Rita überzeugt. Oder ist sie in die Schlinge eines Psychokillers geraten? War Sebastian Tamm gar nicht das erste Opfer? Und was hat der schüchterne Streifenpolizist Gerd Lampe damit zu tun?

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Seitenzahl: 228

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Cover

Titel

Jakob Nolte

Die Frau mit den vier Armen

Roman

Suhrkamp

Impressum

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Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

Um Fehlermeldungen auf den Lesegeräten zu vermeiden werden inaktive Hyperlinks deaktiviert.

Gefördert durch das Berliner Senatsstipendium. Mit Dank an David ­Cironi für seine Videos über Autos und Annika Meindl für ihr Wissen über die Polizei. Das Zitat aus dem Roman, den Sebastian Tamm gelesen hat, ist aus Gustave Flauberts Madame Bovary in der Übersetzung von René Schickele und Irene Bitterli-Riesen. Die Grafik im 3. Abschnitt wurde von Johannes Wilke gestaltet.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5416.

Originalausgabe © Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Designbüro Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagfoto: mauritius images/Andrew Paterson/Alamy Stock Photos

eISBN 978-3-518-77896-8

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Eins

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Milan

Zwei

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Nastja

Drei

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Gerd

Vier

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Luisa

Epilog

Informationen zum Buch

Die Frau mit den vier Armen

Eins

1

Der Lockruf eines Pirols war zu hören. Drei steigende Töne, die von einem zickzackförmigen Trällern begleitet wurden. Er hielt nach Larven, Insekten und einer Partnerin Ausschau. Später würde er in die Eilenriede weiterziehen, vielleicht in den Süntel, dachte Rita, und seinen Gesang variationsarm wiederholen. Sie saß gegenüber vom Ihme-Zentrum, der halb bewohnten Planstadt an Lindens Grenze zu Hannover. Seit Oktober schwankten die Temperaturen zwischen -15° und 5° Celsius, es regnete und schneite viel. Trotzdem suchte sich Rita jeden Morgen einen Platz auf der Grünfläche, um für ein paar Minuten das Wasser zu betrachten, das gemächlich vom Maschsee Richtung Leine floss.

Sie setzte sich nicht auf die dafür vorgesehenen Mäuerchen, die den Rasen in drei Ebenen unterteilten, sondern auf ihren Mantel. Von zu Hause hatte sie sich einen Kaffee in einem alten Olivenglas mitgenommen. Auch wenn er so schneller abkühlte, konnte sie sich mit der Vorstellung, aus klobigen Thermoskannen oder, schlimmer noch, Pappbechern zu trinken, nicht anfreunden. Aus der Manteltasche holte sie eine Scheibe Bananenbrot und aß sie in wenigen Bissen. Dann klemmte sie sich ihre Füße unter die Knie und schloss die Augen. Sie stellte sich vor, wie jemand einen Drehverschluss über ihrem Scheitel öffnete und Sonnenlicht in ihren Schädel goss. Dabei konzentrierte sie sich auf die Leichtigkeit, die Wärme und die Weite. Das Sonnenlicht stieg von ihren Zehen, den Fußballen, den Knöcheln, der Achillessehne, den Zwillingsmuskeln der Waden, den Schienbeinen und so weiter bis in die Schultern und schwappte dann in ihre Arme, um langsam über ihren Nacken bis zu den Haarwurzeln zu gluckern. Sie hörte den Pirol, das Wasser und fühlte sich ausgeglichen. Morgendliche Gedanken von Ekel und Feindseligkeit waren einer gesteigerten Jetztbereitschaft gewichen.

Auf dem Weg zurück zu ihrer Wohnung fiel ihr ein junger Mann mit Inlineskates auf, der an einen Baum gelehnt dalag. Der Pirol hatte sich auf seine Schulter gesetzt. Sein Gefieder war gelb und schwarz, wie der Körper einer Wespe. Als Rita näher kam, flog der Vogel davon. Bei dieser Kälte im Ihmepark zu schlafen, schien ihr keine gute Idee. Sie kniete sich zu dem jungen Mann.

»Hallo?«, fragte sie.

Er antwortete nicht.

»Hallo?«, fragte sie.

Er blieb ausdruckslos liegen.

Sie hielt ihm den Zeigefinger unter die Nase und wartete ein paar Sekunden. Ein Hauch würde reichen.

»Halt dein Maul«, sagte sie.

Es kam kein Hauch.

2

Bei genauerer Betrachtung waren um den Hals des Toten Blutergüsse zu erkennen, die zu mittelgroßen Händen passten. Die Hämatome wiesen auf Einblutungen in den Halsweichteilen und eine Kehlkopfverletzung hin. Es würden sich petechiale Stauungsblutungen in Augenbindehaut und Mundschleimhaut finden, vermutete Rita. Tod durch Erwürgen. Zwischen seinen Sommersprossen leuchteten bereits grelle rote Pünktchen. Wobei sein Bart den Großteil des Gesichts verdeckte. Von seinen Ohren schlängelten sich Kopfhörerkabel über eine gelb-blaue Daunenjacke bis in sein Handy, das er in der Hand hielt. Als Rita sich vorbeugte, fiel ihr auf, dass Musik lief. In ihrem Notizheft hielt sie Uhrzeit, Details der Kleidung und des Körpers fest. Älter als zweiundzwanzig Jahre schätzte sie den Inliner-Fahrer nicht. Sie tippte auf drittes Semester an einer der geisteswissenschaftlichen Fakultäten, wahrscheinlich nicht aus Hannover, aber von nicht allzu weit weg hergezogen. Salzgitter oder Minden. Wobei das Tattoo, das man an seinem Schlüsselbein erahnen konnte, darauf hinwies, dass er in einer größeren Stadt sozialisiert worden war. Es sah eher nach einem Jux aus als nach der Sehnsucht, etwas auf dem eigenen Körper zu verewigen. Nach einer Unbedarftheit, die entstehen konnte, wenn man die Welt etwaigen klimatischen oder politischen Enden geweiht ahnte.

Rita wählte 110.

Es klingelte kurz.

»Polizei Hannover, was kann ich für Sie tun?«

»Rita Aitzinger, wohnhaft Im Töge 2, ich möchte den Fund einer Leiche melden«, sagte sie. »Ein junger Mann um die zwanzig liegt erwürgt an einen Baum gelehnt im Ihmepark, Peter-Fechter-Ufer, wenn Sie von der Wielandstraße aus zum Wasser gehen.«

»Sind Sie vor Ort, Frau –«

»Aitzinger, Kriminalfachinspektion 1.«

»Sind Sie vor Ort, Frau Aitzinger?«

»Schicken Sie einen Streifenwagen und sagen Sie den Kolleginnen Bescheid. KDD braucht nicht kommen.«

»Aber –«

Sie legte auf und startete die Stoppuhr. Nach 97 Sekunden ertönten Polizeisirenen. Unter ihrer Hautoberfläche spürte Rita noch warmes Sonnenlicht.

»Rita, ich bin gerade auf dem Weg in die Waterloo, was –«

Ilia Schuster klang verschlafen.

»Ihmepark. Ich habe eine Leiche gefunden.«

»Was?«

»Ja, ich weiß. Ist jetzt so.«

»Du hast eine Leiche gefunden?«

»Ilia, ja, ich habe eine Leiche gefunden. Was soll ich machen? Peter-Fechter-Ufer, Wielandstraße Richtung Wasser. Wirst uns schon finden.«

»Rita, sorry, ich –«

»Komm mit dem Auto. Tschüss.«

Rita streckte sich und gähnte, wobei ihre hinter dem Kopf verschränkten Finger knackten.

Wieland- Ecke Glockseestraße kam ein Polizeiwagen mit heulendem Martinshorn zum Halt. Zwei Streifenpolizisten stiegen aus und bereiteten rot-weißes Flatterband vor.

»Guten Morgen, Kommissarin Aitzinger«, sagte der eine. Die Polizeimütze war ihm etwas zu groß.

»Bitte was?«, sagte sie.

»Ich –«

»Handschuhe.«

Er wusste nicht, was er machen sollte. Sein Kollege gab ihr ein Paar Einweggummihandschuhe.

Der Körper des jungen Mannes lag unverändert an den Baum gelehnt. Seine Augen waren geschlossen. Das war nicht zwingend der Fall beim Erwürgen. Rita mutmaßte, dass sie ihm erst nach dem Mord zugeklappt worden waren. Sie drehte die vorderste Rolle des linken Inlineskates. Das Kugellager war geräuschlos und verlor nur langsam an Rotation. Nagelneu, ABEC 7 oder 9, dachte sie.

»Hat es gestern Nacht geregnet?«

»Ähm, nein, ich glaube –«, sagte der Polizist mit der zu großen Mütze. »Leichter Nieselregen, aber wann, das weiß ich nicht.«

»Haben Sie zufällig einen leistungsfähigen Minicomputer mit stabiler Internetverbindung dabei?«

»Wie, also –«, sagte der Polizist mit der zu großen Mütze.

»Sie meint dein Handy«, sagte sein Kollege. »Bin schon dabei, Frau Kommissarin.«

»Prima«, sagte Rita.

»Leichter Nieselregen zwischen 23 Uhr und 1 Uhr.«

»Wenn Sie so gut wären, den Tatort weitläufig abzusperren.«

»Machen wir.«

Sie wendete sich wieder dem Toten zu. Vorsichtig öffnete sie den Reißverschluss seiner Daunenjacke. In der Innentasche fand sie die Geldbörse einer Surfsportmarke. Man musste einen Druckknopf öffnen, um sie aufzuklappen. Darin waren ein 10-Euro- und ein 5-Euro-Schein, etwas Kleingeld, ein Personalausweis, eine EC-Karte, ein Organspendeausweis, die LeibnizCard der Uni, eine Versichertenkarte der AOK Niedersachsen, eine Stempelkarte für den Burgerladen auf der Limmerstraße, auf dem drei von acht Quadraten abgestempelt waren, das Foto einer Frau, die Rechnung eines Elektrofachhandels für eine externe Festplatte und ein kleiner, billiger Schlüssel. Sie schaute auf das Passbild des Ausweises und verglich es mit dem Gesicht des Toten. Einen Bart hatte er zur Zeit der Ausstellung noch nicht getragen.

»Sebastian Tamm«, sagte Rita, »wer hat dich gekillt?«

3

Ha Liebli und Thorsten Gehlert kamen zugleich mit Ilia Schuster, der einen schwarzen Plastikkoffer dabeihatte. Alle fuhren Volkswagen.

»Aitzinger«, sagte Thorsten Gehlert. Er lächelte. Rita schüttelte Liebli die Hand. Sie schüttelte Gehlert die Hand. Sie lächelte nicht.

»Das Opfer ist ein zweiundzwanzigjähriger Mann namens Sebastian Tamm. Todesursache ist allem Anschein nach Strangulation, aber warten wir, was die Gerichtsmedizin sagt.«

»Weiß die Familie Bescheid?«, fragte Liebli. Man sah ihr an, dass sie gerade erst aufgestanden war. Bei einer Bäckerei hatte sie sich einen Milchkaffee gekauft.

»Nein. Den Informationen im Organspendeausweis nach wohnt er in Hessisch Oldendorf. Wahrscheinlich die Adresse der Eltern.«

»Schön da«, sagte Gehlert und schwang seinen Schal über die Schulter.

»Nicht wirklich, aber yo«, sagte Rita. »Zwischen elf und eins hat es geregnet. Die Kleidung des Opfers ist lediglich klamm. Vermutlich vom Tau. Seine Geldbörse ist noch da, also eher kein Raubüberfall, außer natürlich, er hatte etwas anderes bei sich. Tattoos, Studiengang und Kleidung deuten auf liberale Mittelschicht hin, aber das kann, wie wir wissen, täuschen. Auf seinem Handy läuft ein Song auf Repeat, irgendein Popsong von 2017.« Sie schlug ihr Notizheft auf. »Never Forget You von Zara Larsson und MNEK, sagt das jemandem was?«

»Nee«, sagte Ilia nach kurzem Nachdenken.

»Auch nicht«, sagte Liebli.

»Kommt noch mehr Schutzpolizei, oder bleibt es dabei?«, fragte Thorsten die beiden Uniformierten.

»Nur wir zwei, Herr Kommissar. Personalmangel.«

»Dann fangt schon mal an, die Anwohnerinnen zu befragen«, sagte Rita, »Liebli, Gehlert, ich schlage vor, dass ihr das Gleiche macht. Schuster und ich sichern den Tatort.«

»Okay«, sagte Liebli.

»Wollen wir noch darüber reden, warum du schon wieder ’ne Leiche gefunden hast?«, fragte Gehlert Rita.

»Nicht jetzt«, sagte Liebli mit Blick zu ihrem Kollegen.

»Ich habe noch nie eine Leiche gefunden. Und mache den Job ein paar Jahre länger.« Der Schal war ihm wieder auf die Brust gerutscht, aber jetzt ließ er ihn.

»Ich komme jeden Morgen vor der Arbeit her, um aufs Wasser zu schauen. Da ist er mir aufgefallen.«

»Und woher weißt du den Namen?«

»Aus seiner Geldbörse.«

»Also wurde die Leiche bewegt?«

»Der Reißverschluss der Daunenjacke der Leiche wurde bewegt. Kannst gerne Beschwerde einreichen.«

»Warum schaust du jeden Morgen aufs Wasser?«, fragte Gehlert.

»Thorsten«, sagte Liebli.

»Ja, ja«, sagte er.

Liebli und er klärten mit den Uniformierten, wer welche Wohnungen übernahm, und verschwanden.

»Das Ihme-Zentrum nicht vergessen«, rief ihnen Rita hinterher.

»Dann brauchen wir mehr Leute«, sagte der Polizist mit der zu großen Mütze.

»Gerne selbst welche ausbilden«, sagte Rita.

Ilia holte eine Kompaktdigitalkamera aus dem Koffer. Er begann mit der Dokumentation.

»Gute Zähne, ungepflegter Bart, kleine Silberkette«, sagte er, »ein gelbes Sweatshirt mit einer Landkarte und einer Comicfigur darauf.« Rita nahm seinen Bericht mit dem Handy auf. »Er sitzt mit Blick auf das Wasser am Baum. Kein Alkoholgeruch. Kälte und Leblosigkeit haben die Haut blau-weißlich gefärbt.«

»Spuren von Widerstand?«, fragte Rita.

»Fingernägel sind sauber. Keine Schrammen.«

»Was denkst du?«, fragte Rita.

»Es sieht aus, als hätte er einfach so dagesessen.«

»Und?«

»Als hätte er einfach so dagesessen und wäre dann gestorben.«

»Oder jemand hat ihn getötet und hierhergebracht.«

»Was meinst du, was der wiegt? 75 Kilo? 80 Kilo?«

»Vielleicht finden wir Reifenspuren. Irgendwas in Richtung Lastenfahrrad.«

Rita durchsuchte die übrigen Taschen des Opfers. Quittungsbelege, Plastikfolie, eine FFP2-Maske.

»Also hier ist nichts«, rief Ilia, der schon fast am Fluss stand.

»Auch keine Spuren von den Inlinern?«

»Kronkorken, Zigarettenstummel, Durstlöscher.«

»Einpacken.«

Rita betrachtete die Daumen- und Mittelfingerkuppen des Opfers. Keine Nikotinspuren. »Geraucht hat er nicht oder selten. Keine Zigaretten dabei, kein Feuerzeug.« Sie hielt Display und Rückseite seines Handys ins matte Licht der Morgensonne und schaute in die Kartenfächer seines Portemonnaies. »Keine Hinweise auf nasalen Drogenkonsum.«

»Hm«, sagte Ilia, der damit beschäftigt war, Plastiktütchen mit Beweismitteln zu füllen, nachdem er ihre Positionen abfotografiert hatte.

Der Song auf dem Handy lief weiter auf Repeat. Sebastian Tamm hatte eine Rundmail bekommen. Ohne das Telefon zu entsperren, konnte Rita den Betreff und die ersten zwei Sätze lesen. Eine Aufforderung für Solidarität mit … vom AStA.

»Was ist passiert?«, fragte Rita.

»Streit?«

»Nee.«

»Rache?«

»Nee.«

»Sex?«

»Vielleicht.«

»Liebe?«

»Vielleicht vielleicht«, sagte Rita.

»Wie schaut er denn für dich aus?«, fragte Ilia.

Sie überlegte kurz.

»Friedlich.«

4

Ilia machte einen Schulterblick. Der silberne Passat GTE Variant fuhr an der Autobahnauffahrt Herrenhausen auf die A2 Richtung Dortmund. Rita presste ihre Knie gegen das Handschuhfach. Als Ilia kurz vor Wunstorf-Kolenfeld die 180-km/h-Marke überschritt, lächelte sie.

»Wenn du willst, kann ich das Gespräch übernehmen«, sagte er.

»Besser«, sagte Rita.

Ein kurzer Check der Matrikelnummer hatte ergeben, dass Sebastian Tamm Sozialwissenschaften und Geschichte studiert hatte und in einer WG am Schwarzen Bären gemeldet war.

Seine Eltern wohnten im Keukenhof, einer Y-förmigen Straße im Norden von Hessisch Oldendorf. In zweistöckigen Häusern mit Spitzdach, ausladenden Gärten und einem Schuppen mit Garage lebten hier, wie es schien, Menschen. Sie fuhren Automarken von Chevrolet über Audi, Seat und Daihatsu quer durch alle Preisklassen bis Mercedes. Vor einer Hecke stand ein Tabakwaren Union-Zigarettenautomat, dessen dunkelorange-hellorangener Lack sich leicht mit den Klinkerfassaden biss. Heute war der erste Tag seit über zweiundzwanzig Jahren, an dem der älteste Sohn der Familie Tamm nicht mehr lebte. Ilia und Rita klingelten. Es bellte. Ein Mann mit einem Kleinkind auf dem Arm öffnete ihnen die Tür.

»Ja?«, fragte er.

»Das ist meine Kollegin Rita Aitzinger von der Kriminalfachinspektion, mein Name ist Schuster. Dürfen wir kurz reinkommen? Wir müssen Ihnen eine traurige Nachricht überbringen.«

Aus dem Inneren des Hauses kam ein Hund angedackelt.

»Sicher«, sagte der Mann unsicher.

»Sind Sie Herr Tamm?«, fragte Ilia.

»Kommen Sie rein.«

Der Hund wedelte mit dem Schwanz. Rita berührte seine Stirn. Gregor Tamm führte sie ins Wohnzimmer.

»Ist Ihre Frau auch da?«

»Karin arbeitet.«

»Okay«, sagte Ilia.

»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Herr Tamm.

»Nein, Herr Tamm, wir –«, sagte Ilia.

»Einen Kaffee vielleicht? Wir müssten noch M&M’s haben.« Er stand auf.

»Herr Tamm«, sagte Ilia.

Das Kind in seinen Armen schlief.

»Warten Sie«, sagte er, »ich lege das Kind kurz –« Er eilte in den ersten Stock. Der Hund hatte sich zu Ritas Füßen gesetzt. Sie vermied Ilias Blick und schaute sich um. Ein Bücherregal aus Buche mit verglasten Türen, der Kunstdruck einer herbstlichen Landschaft, vor ihnen ein Couchtisch mit einer Marmorplatte, nicht ohne Stil, vielleicht BoConcept, darauf zwei Kugelschreiber und das Magazin einer Wochenzeitung, auf einer Anrichte Familienfotos, er, sie, Sebastian, das Neugeborene, Hunde, dieser und ein anderer, mutmaßlich bereits verstorbener Hund, Großeltern, eine etwa 40 cm große Druse gefüllt mit irgendeinem Kristall, Bergkristall, Quarz, aber da kannte sich Rita nicht aus. Es roch nach Fell, Windeln und Tee. Als Herr Tamm zurückkam, setzte er sich auf die Lehne des Sessels, dann in den Sessel, überschlug seine Beine, versank in den Polstern, richtete sich wieder auf, machte die Beine breit und legte seine Ellenbogen ab.

»Also«, sagte er.

»Es geht um Sebastian.«

»Ja?« Seine Stimme war in eine nahezu unverständlich hohe Tonlage gebrochen.

Ilia zeigte ihm den Ausweis seines Sohnes. »Ist das Ihr Sohn?«

Herr Tamm nickte.

»Heute früh haben wir seine Leiche im Ihmepark gefunden. Es tut uns aufrichtig leid«, sagte Ilia.

»Mein Beileid, Herr Tamm«, sagte Rita.

Gregor Tamm starrte auf den Couchtisch. Auf dem Cover des Magazins war eine Fotografie der Sonne abgebildet, die von einem NASA-Satelliten aus aufgenommen worden war. Auf der hellorangen, dunkelorangen Oberfläche des Planeten waren Explosionen zu sehen.

»Hat er sich etwas angetan?«, fragte Herr Tamm.

»Ihr Sohn wurde umgebracht«, sagte Rita, »mehr wissen wir noch nicht.«

»Umgebracht?«, fragte Herr Tamm, »meinen Sie«, er suchte nach Worten, dann schaute er Rita an, »ermordet?«

»Davon gehen wir aus, ja.«

»Vielleicht war es gar nicht Sebastian. Ich rufe ihn eben an. Das Missverständnis wird sich schnell klären lassen.«

Aber er bewegte sich nicht.

»Herr Tamm«, sagte Rita.

»Zu diesem Zeitpunkt können wir nicht viel sagen«, fügte Ilia hinzu.

»Wir müssen Ihnen und Ihrer Frau ein paar Fragen stellen«, sagte Rita.

»Jetzt?«, fragte Herr Tamm.

»Ich weiß, dass das sehr schwierig ist«, sagte Ilia.

»Ist das ein Welsh Terrier?«, fragte Rita.

»Lakeland.«

»Hat Ihr Sohn noch ein Zimmer hier?«

»Wie?«

»Ein Zimmer, Ihr Sohn.«

»Nein. Da schläft jetzt der Kleine.«

»Wo hat er übernachtet, wenn er hier geschlafen hat?«

»Seit er ausgezogen ist – meist fährt er zurück nach Hannover.«

»Wann ist er ausgezogen?«

»Vor drei Jahren.«

»Hatte Ihr Sohn Feinde?«

»Was?«, fragte Herr Tamm.

»Entschuldigen Sie die Frage meiner Kollegin, Herr –«

»Hatte Ihr Sohn Feinde?«, fragte Rita.

Herr Tamm rutschte langsam vom Sessel und legte sich auf den Boden. Dabei rückte der Couchtisch gegen den Hund, der laut zu bellen begann. Rita versuchte ihn im Nacken zu packen und zu bändigen, aber er entkam ihrem Griff und kläffte weiter. Sie beobachtete, wie Speichel von seinen Lefzen spritzte. Herr Tamm schaute zur Decke. Das Kleinkind im ersten Stock schrie.

»Wie heißt Ihr Hund, Herr Tamm?«, fragte Rita.

Er antwortete nicht.

»Wie Ihr Hund heißt.«

»Kasper.«

Rita schaute dem Hund in die Augen. »Aus, Kasper.«

Kasper verstummte.

»Ich muss zu dem Kleinen«, sagte Herr Tamm.

»Müssen Sie nicht«, sagte Rita. Das Kleinkind hatte mit dem Geschrei aufgehört. »Hatte Ihr Sohn Feinde?«

»Nein, was denn für Feinde?«

»Wie viel Geld hatte Ihr Sohn?«

»Wir haben ihm jeden Monat 500 Euro überwiesen. Er hat ein bisschen nebenbei gearbeitet.«

»Wo?«

»Als Statist an der Oper.«

»An der Staatsoper?«

»Ja.«

»Was zum Beispiel?«

»Das Mädchen mit den Schwefelhölzern.«

»Lachenmann?«

»Ich weiß nicht, was das bedeutet.«

»So heißt der Komponist.«

»Dann Lachenmann.«

»Ist Sebastian Inliner gefahren?«

»Ja.«

»Und Schlittschuh?«

»Bis er fünfzehn war, hat Sebastian Eishockey gespielt. Als die Trainingszeiten mit der Schule nicht mehr zu vereinbaren waren, ist er ins Fitnessstudio.«

»War Ihr Sohn in einer Beziehung?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

Rita zeigte ihm das Foto der jungen Frau aus dem Portemonnaie.

»Wer ist das?«

»Sonja.«

»Sonja?«

»Seine Ex-Freundin.«

»Wo lebt Sonja?«

»Sonja lebt in Hamburg.«

»Wie lange waren sie ein Paar?«

»Etwas über vier Jahre.«

»Wer hat Schluss gemacht?«

»Es hat nicht mehr gepasst.«

»Hat sich Sonja von Sebastian getrennt?«

»Ja.«

»Wie heißt der Kleine?«

»Mats.«

»Ist die Mutter von Mats die Mutter von Sebastian?«

»Wir waren jung, als Sebastian kam. Als er auszog, wollten wir ein zweites Kind.«

»Zu jung?«

»Nein.«

»Wie viel Geld haben Sie?«

»Wir besitzen das Haus und haben Einkommen.«

»Hat Sebastian Mats geliebt?«

»Sehr.«

»Wovor hatte Ihr Sohn Angst, Herr Tamm?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vor Ihnen?«

»Nein.«

»Vor Ihrer Frau?«

»Ihm ist häufig kalt. Er ist häufig krank.«

»Hat Ihr Sohn Fleisch gegessen?«

»Nein.«

»Warum hatte er eine Bonuspunktekarte von einem Burgerladen?«

»Wahrscheinlich gibt es eine vegetarische Option.«

»Es gibt keine vegetarischen Burger.«

»Ich glaube schon.«

»Kannten Sie Ihren Sohn?«

»Ja.«

»Was arbeiten Sie?«

»Ich verkaufe Teile von Großindustrie-Schrauben.«

»Und Ihre Frau?«

»Karin arbeitet in der BDH-Klinik, deswegen sind wir hergezogen.«

»Wo haben Sie vorher gewohnt?«

»In Bremen.«

»Wie alt war Sebastian, als sie umgezogen sind?«

»Zwölf.«

»Waren Sie glücklich in Bremen?«

»Ja«, sagte Herr Tamm.

»Und in Hessisch Oldendorf?«

»Auch.«

»Wann nicht?«

»Als es schwer war.«

»Kennen Sie das Lied Never Forget You von Zara Larsson und MNEK?«

»Nein.«

»Mochte Ihr Sohn Popmusik oder Oper?«

»Popmusik.«

»Wann war es schwer, Herr Tamm?«

»Lesen Sie Zeitung?«

»Ja.«

»Was soll dann die Frage?«

Herr Tamm schaute, als wäre er gerade aufgewacht.

»Wie war Ihr Name?«, fragte er.

»Aitzinger. Das ist mein Kollege Schuster.«

»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Wasser? Kekse?«, fragte Herr Tamm. »Wir müssten noch M&M’s haben.«

»Spitze«, sagte Ilia.

5

Zwei Menschen, die Karin Tamm vorher nie gesehen hatte und die ihr nicht wirklich sympathisch waren, erklärten, wie die Vernichtung, die soeben in ihr Leben getreten war, allmählich ablaufen würde. Beerdigung, Presse, Hilfegruppen. Kasper wollte gestreichelt werden. Aber Karin wusste nicht mehr, wie das ging.

»Was haben Sie Ihrem Sohn zu Weihnachten geschenkt, Frau Tamm?«

»Warum fragen Sie?«

»Um mir ein Bild zu machen.«

»Inlineskates.«

»Was hat er Ihnen geschenkt?«, fragte Rita.

»Eine Schüssel«, sagte Frau Tamm.

»Er hatte sie selbst gemacht. Gemeinsam mit einem Freund, der einen Ofen dafür hat«, sagte Herr Tamm.

»Die?«, fragte Rita und zeigte auf ein Regal.

»Nein, eine andere.«

»Kennen Sie den Namen des Freundes?«

»Nein.«

»Es gibt nichts Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren«, sagte Ilia.

»Warum kennen Sie den Namen nicht?«, fragte Rita. Anstatt eine Träne wegzuwischen, schlug Frau Tamm sich ins Gesicht. Ungläubig betrachtete sie ihre Hand. Warum trug sie türkisen Nagellack?

Ilia zog eine Karte aus der Brusttasche seines Hemdes. »Egal was ist, rufen Sie an.«

6

Die Polizeidirektion Hannover in der Waterloostraße 9 war zum Großteil aus Steinen zusammengesetzt. Diese waren zu einem Kasten geformt. In den Kasten waren Löcher eingelassen, sogenannte Fenster, und weil sie aus einem durchsichtigen Material aus Quarzsand, Kalk und Soda bestanden, konnte man durch sie durchgucken. Außerdem boten sie die Möglichkeit, frische Luft reinzulassen, denn man konnte die Fenster öffnen und schließen. Das passierte mehrmals täglich. Musste sogar passieren, sonst wurden die Polizisten und Polizistinnen müde. Befanden sie sich in Räumen, wurde die Luft darin nach einer Weile schlecht. Das Innere des Gebäudes bestand aus Wänden und Türen, die Zimmer abteilten, in denen verschieden hohe Ebenen eingezogen waren. Einige dieser Ebenen waren Tische, andere Stühle oder Regale. An den Decken waren Lampen. Das Licht, das sie spendeten, war weiß. Auf den Tischen standen Monitore und Tastaturen. Unter den Tischen waren Computer. Auch Mäuse befanden sich auf den Tischen. So nannte man die Plastikhalbkugeln, mit denen die Computer bedient wurden. Die Monitore bestanden auch aus Lampen, aber aus tausenden winzig kleinen Lampen, die rot, blau und grün leuchten konnten und dadurch in der Lage waren, alles darzustellen, was sichtbar war. Niemand wusste, warum die Computer dazu in der Lage waren, alles darzustellen, was sichtbar war. Während einige noch verstanden, wie Elektrizität zu Licht werden konnte, hörte die Vorstellungskraft hier auf. Also wie sich Elektrizität in einen unendlichen Möglichkeitsraum des optisch Wahrnehmbaren verwandelte. Ähnlich wenig wie über Computer wusste man über den Planeten Erde. Zwar war ungefähr bekannt, wie seine Kruste aussah, aber viel mehr auch nicht. Die meisten dachten, dass irgendwo unter ihnen Magma wäre, also eine gigantische Masse an flüssigem Stein, aber das stimmte nur halb. Der Erdkern bestand aus Eisen und Nickel und war hart. Nur um ihn herum war es ein bisschen flüssig. Übrigens bestand das Magma wie das Glas zum Großteil aus Quarz. Ähnlich wenig wie über das Innere der Erde wussten die Menschen über die Menschen. Zwar war ungefähr bekannt, wie ihre Oberflächen aussahen, also ihre Körper, aber bei ihren Seelen wurde es kniffelig. Nicht mal darüber, ob es diese Seelen wirklich gab, konnte man sich einig werden. Die meisten dachten, dass in ihrem Kern ein Ich wäre. Also eine feste Masse an Sein, die den Charakter ausmachte. Drum herum gab es die Gedanken. Die waren flüssig. Dann kam die Kruste. Das waren die Zeichen, die man von sich gab. So was wie Bewegungen und Wörter oder was für eine Hose man trug. Es konnte aber auch sein, dass Menschen keine Seelen hatten. Das war, wenn man ehrlich war, wahrscheinlicher. Jacken hingen an Haken oder lagen über den Lehnen der Stühle. Häufige Geräusche waren Kaffee, Telefon, Husten, Umfallen, mit der Hand über den Teppichboden fahren, Schnäuzen, Anschnauzen, jemandem etwas erklären, Handyspiele, bei denen man Geld gewinnen konnte, etwas runterschlucken, die Mechanik des Fenstergriffs, draußen eine Amsel, draußen ein Lastwagen, das Schmotzen des Seifenspenders, die Spülung, zwei Männer, die mit hohler Hand einschlugen, den Knick eines DIN-A4-Blatts mit Daumen und Mittelfinger nachziehen. Bilder hingen an den Wänden. Zum Beispiel die von gesuchten Verbrechern. Verbrecherinnen gab es momentan keine. In den Küchen konnte man kochen. Dazu nahm man Lebensmittel aus dem Kühlschrank und tat sie in heiße Töpfe auf dem Herd. Waren die Lebensmittel warm, tat man sie auf Teller und dann in sich rein. Ließ man einen Teller, von dem gegessen wurde, stehen, galt das als Angriff auf die Gemeinschaft und führte zu Wutausbrüchen. Wobei diejenigen, die mehr Geld im Monat für ihre im Gebäude verbrachte Zeit bekamen, weniger hart für das Stehenlassen von Geschirr beschimpft wurden. Der Besitz von Geld war eine der sieben Komponenten, von denen die Menschen hofften, dass sie dazu in der Lage wären, ihrem rätselhaften Inneren einen Wert zuzuordnen. In Wirklichkeit hatten die Menschen natürlich keine Werte, sondern Maße. Zum Beispiel hatten sie verschiedene Organe, um zu pinkeln. Entweder ein pummeliges, wo der Urin aus der Spitze kam, oder ein pummeliges, wo der Urin aus dem Schaft kam. Je nachdem, welches man besaß, wurde man Polizist oder Polizistin genannt. Diese linguistische Haurucklösung führte jedoch zu Ärger. Denn es gab Menschen, die Angst davor hatten, dass ihre Sprache kaputtging, wenn man Polizistinnen nicht Polizisten nannte. Andere wiederum glaubten, dass man ihre Würde kaputt machte, wenn man Polizistinnen nicht Polizistinnen nannte. Beide lagen falsch. Wörter sind harmlos. Und Würde hatten die Menschen nicht. Nur einen Hauch Grazie.

7

In einem Neubau, an das Gebäude angeschlossen, saß die Kriminalfachinspektion 1, die für Straftaten gegen das Leben zuständig war. Als Rita und Ilia aus Hessisch Oldendorf zurückkamen, warteten im Besprechungsraum bereits Thorsten Gehlert und Ha Liebli, die Teil der für den Fall Sebastian Tamm ins Leben gerufenen Mordkommission waren. Auch anwesend und mit den beiden in ein Gespräch verwickelt war Staatsanwalt Kai Beller. Er trug einen nachtgrünen Zweireiher aus aufgerauter Baumwolle mit kaum merklich ins Knoblauchrosa gehenden Knöpfen, darunter ein ecrufarbenes Hemd und eine Krawatte im Paisleymuster. Rita tippte auf Brioni oder Kiton.

»Schöne Krawatte«, sagte sie.

»Grauer Pullover«, sagte er, wobei sich Rita nicht sicher war, ob das ein Lob war. Sie trug den Pullover häufig.

Im Folgenden erklärte er, dass sie die Mordkommission leiten würde und welche Aufgaben es zu erledigen gebe. Einen Antrag zur Einsicht von Konto- und Handydaten hatte er bereits eingereicht. Sebastian Tamm lag in einem Fach der Forensischen Pathologie auf Ebene H