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Die Frauen vom Nordstrand - Eine neue Zeit & Schicksalswende E-Book

Marie Sanders

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Beschreibung

Band 1 und 2 der großen Zeitenwende-Trilogie in einem E-Book!

Die Frauen vom Nordstrand - Eine neue Zeit.

Drei Frauen zwischen Hoffnung, Freiheit und Neuanfang. St. Peter an der Nordsee, 1953. Anni, Edith und Helena haben eines gemeinsam: Nach den Kriegsjahren wollen sie das Leben genießen und den Neubeginn wagen. Annis Traum ist es, das Hotel ihrer Eltern zu modernisieren, doch ihr Vater weigert sich, ihr sein Geschäft zu überlassen. Edith kämpft für die Rechte der Frauen, dann bekommt sie ein Angebot, das sie zwar finanziell absichern würde, aber ihren Idealen widerspricht. Die Ärztin Helena sucht nach schmerzhaften Erfahrungen während des Krieges den Weg zurück ins Leben und erkennt, dass sie eine große Aufgabe hat. In ihrem Wunsch, unterdrückten Frauen zu helfen, wagt sie es sogar, an den Rand der Legalität zu gehen ...

Die Frauen vom Nordstrand - Schicksalswende.

Drei Freundinnen auf der Suche nach Selbstbestimmung und Freiheit Hamburg, 1955: Die junge Anni hat sich ein neues Leben aufgebaut, aber die Sorge um die Seeperle, das Hotel ihrer Eltern in St. Peter an der Nordsee, lässt sie nicht los. Schon bald ist sie gezwungen, einen folgenschweren Kompromiss einzugehen, der sie wieder zurück in ihre geliebte Heimat führt. Doch dort muss sie mithilfe ihrer Freundinnen Edith und Helena von Neuem um ihre Existenz kämpfen. Auch die Ärztin Helena schwebt mit ihrem Engagement für die Frauen der Stadt, die ungewollt schwanger geworden sind, in Gefahr – und die drei Freundinnen müssen stärker denn je zusammenhalten …

Turbulent und bewegend: die großen Zeitenwende-Saga über die fünfziger Jahre.

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Seitenzahl: 817

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Band 1 und 2 der großen Zeitenwende-Trilogie in einem E-Book.

Die Frauen vom Nordstrand - Eine neue Zeit.

Drei Frauen zwischen Hoffnung, Freiheit und Neuanfang. St. Peter an der Nordsee, 1953. Anni, Edith und Helena haben eines gemeinsam: Nach den Kriegsjahren wollen sie das Leben genießen und den Neubeginn wagen. Annis Traum ist es, das Hotel ihrer Eltern zu modernisieren, doch ihr Vater weigert sich, ihr sein Geschäft zu überlassen. Edith kämpft für die Rechte der Frauen, dann bekommt sie ein Angebot, das sie zwar finanziell absichern würde, aber ihren Idealen widerspricht. Die Ärztin Helena sucht nach schmerzhaften Erfahrungen während des Krieges den Weg zurück ins Leben und erkennt, dass sie eine große Aufgabe hat. In ihrem Wunsch, unterdrückten Frauen zu helfen, wagt sie es sogar, an den Rand der Legalität zu gehen ...

Die Frauen vom Nordstrand - Schicksalswende.

Drei Freundinnen auf der Suche nach Selbstbestimmung und Freiheit Hamburg, 1955: Die junge Anni hat sich ein neues Leben aufgebaut, aber die Sorge um die Seeperle, das Hotel ihrer Eltern in St. Peter an der Nordsee, lässt sie nicht los. Schon bald ist sie gezwungen, einen folgenschweren Kompromiss einzugehen, der sie wieder zurück in ihre geliebte Heimat führt. Doch dort muss sie mithilfe ihrer Freundinnen Edith und Helena von Neuem um ihre Existenz kämpfen. Auch die Ärztin Helena schwebt mit ihrem Engagement für die Frauen der Stadt, die ungewollt schwanger geworden sind, in Gefahr – und die drei Freundinnen müssen stärker denn je zusammenhalten …

Turbulent und bewegend: die großen Zeitenwende-Saga über die fünfziger Jahre.

Über Marie Sanders

Hinter MARIE SANDERS verbirgt sich Bestsellerautorin Steffi von Wolff. Die 1966 bei Frankfurt geborene Journalistin arbeitete jahrelang für verschiedene Radiosender und hat zahlreiche Romane veröffentlicht. Schon immer war es ihr großer Wunsch, über die 50er Jahre zu schreiben, ein Jahrzehnt, das sie seit jeher fasziniert hat. Steffi von Wolff lebt in Hamburg, die Sommer verbringt sie zum Schreiben auf einem Boot in Dänemark.

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Die Frauen vom Nordstrand

Eine neue Zeit & Schicksalswende

Band 1 und 2 der großen Zeitenwende-Trilogie in einem E-Book.

Inhaltsübersicht

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Die Frauen vom Nordstrand - Eine neue Zeit

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

Nachwort

Dank

Die Frauen vom Nordstrand - Schicksalswende

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Nachwort

Dank

Impressum

Marie Sanders

Die Frauen vom Nordstrand

Eine neue Zeit

Roman

Für Anni Kahlmann und Alex Bissias, Freundinnen, Nachbarinnen, zuverlässige Erstleserinnen und zum Teil auch Namensgeberinnen ;-)

Und für »Papa« Dr. Alexander Krauss für die hilfreichen Infos über die Fünfziger! Danke!

1. Kapitel

März 1953

»Ich sage Nein und dabei bleibt’s. Alles neumodischer Kram. Die Seeperle gibt es seit fast zweihundert Jahren, und bisher hat sich noch niemand beschwert. Wir sind ein ganz normales Hotel und das soll auch so bleiben.« »Aber Papa, überleg doch mal«, versuchte Anni es wieder. »Jetzt ist diese Jodsolequelle entdeckt worden, das ist doch etwas Besonderes. Seit vier Jahren ist St. Peter ein Heilbad und auf dem besten Weg, ein Kurort zu werden. Hier, direkt am Meer! Besser geht’s doch nicht. Da sollten wir rechtzeitig reagieren. Glaub mir, wir können nur davon profitieren, wenn wir das Hotel renovieren. Die Buchungen waren in den letzten Jahren auch nicht mehr so berauschend, ein Glück, dass wir ein paar Rücklagen hatten. Außerdem haben wir nichts mehr erneuert, seit die letzten Flüchtlinge weg sind.«

Ole Janssen war gereizt. So eine Renovierung, das war alles mit großem Aufwand verbunden, mit viel Arbeit und Belastung und vor allen Dingen mit viel Geld. Er sah den Trubel schon vor sich: unerträgliche, laute Stimmen, Baulärm, Gepolter, viele Menschen. Er wollte seine Ruhe haben. Das Hotel war doch gut besucht und sie kamen über die Runden. Seine Tochter aber wollte mehr. Ein schickes Badehotel wollte sie draus machen. Rosinen im Kopf, wenn man ihn fragte.

In den Kriegsjahren war die Seeperle zum Lazarett umfunktioniert worden, nach Kriegsende wurden hier Vertriebene untergebracht. In jedem der siebzehn Gästezimmer wohnten bis zu acht Personen, im Winter hing überall im Haus Wäsche zum Trocknen und machte die Wände feucht. Die Scheiben beschlugen ständig, und die Holzrahmen waren marode geworden. Annis Mutter Gerda war das alles zu viel geworden, sie hatte sich, sooft es ging, zurückgezogen. Und so war Anni nichts anderes übriggeblieben, als gemeinsam mit der Köchin Isa die Ärmel hochzukrempeln und zu versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Ihr hatten die Flüchtlinge unendlich leidgetan. Wie schrecklich musste es gewesen sein, alles zu verlieren, was man jemals besessen hatte. Sie konnte kaum glauben, dass der dürftige Inhalt eines schäbigen Koffers alles war, was eine Frau mit drei Kindern noch besaß. Es war keine leichte Zeit gewesen, auch sie hatte ihr Zimmer, ein winziges Kämmerchen mit kleinem Balkon unter dem Dach, geräumt, um einer Frau, deren Mutter und ihren vier Kindern Platz zu bieten. Immer war es laut gewesen, und im ganzen Haus roch es nach zu viel Mensch, vollen Windeln, Essen und Schweiß. Und diese Spuren waren noch allzu deutlich sichtbar. Anni würde sie so gern entfernen, die Fenster aufreißen, frischen Wind in die Seeperle lassen. Am liebsten würde sie sofort damit anfangen. Sie konnte kein Braun mehr sehen, in keiner Hinsicht, sie konnte kein schmutziges Kriegsgrün mehr ertragen. Alles, was vor 1945 gewesen war, sollte raus aus dem Hotel, die Seeperle sollte wieder ein luftiges, schönes Hotel werden, in dem man sich gern aufhielt, in dem man sich erholte, in dem es gut roch und die Menschen fröhlich waren und lächelten. Ja, eine Veränderung bedeutete Arbeit und Engagement, aber die Sache war es wert. Die Seeperle stand für Erholung und leichtes, fröhliches Leben und nicht dafür, den Krieg für immer in den Räumen zu lassen. Aber das sah ihr Vater nicht, weil er es nicht sehen wollte. Ja sicher, Ole hatte viel erlebt und war natürlich nicht mehr der Jüngste, aber sie, Anni, war doch da! Würde er sie machen lassen, ach, sie hätte schon angefangen.

»Es ist mehr als nötig«, sagte sie nun mit Nachdruck. »Wenn du ein einziges Mal mit mir durchs Haus gehen würdest, dann könntest du es sehen. Es sieht einfach nicht mehr schön aus. Alles ist heruntergekommen.«

Ole stand auf und hinkte zum Fenster. »Wir hatten ja auch Krieg, ich war nicht da. Was hätte ich denn anders machen sollen?«

»Das weiß ich doch …« Ihr Vater tat ihr plötzlich leid, wie er so dastand. Groß und breitschultrig war Ole mal gewesen. Ein Muskelpaket. Anpacken konnte er, und angepackt hatte er. Mittlerweile waren seine braunen Haare fast weiß geworden. Er zitterte oft und konnte nicht lange stehen auf seinem einen Bein.

Er war in Frankreich stationiert gewesen und vor zwei Monaten nach Haus gekommen. Außer einem Bein hatte er auch den Glauben an die Wahrheit, die Aufrichtigkeit und den Frieden verloren. Ole Janssen vermutete hinter allem Feindseligkeit, Missgunst, Lüge oder etwas anderes, aber stets Negatives. Anni, die zu Kriegsbeginn zehn Jahre alt gewesen war, konnte sich noch gut daran erinnern, dass ihr Papa früher, vor dem Krieg, immer lustig und gut gelaunt gewesen war und Witze erzählte, über die er selbst am meisten lachte. Er hatte ihr schon als kleines Mädchen das Schwimmen beigebracht, weil ihre Mutter sie, aus der für sie so typischen Ängstlichkeit, ständig von der See fernhielt. Der Krieg. Daran musste der Vater sie nicht erinnern. Den Krieg würde sie schon nicht vergessen. Vor acht Jahren war er zu Ende gegangen, und trotzdem spürte man ihn noch überall.

Die Seeperle, die Gerdas Familie seit dem 18. Jahrhundert besaß, war für lange Zeit kein Hotel mehr gewesen, sondern ein Lazarett: Verwundete Soldaten wurden hergebracht, entweder um sie wieder kriegstauglich zu machen oder halbwegs fürs Leben wiederherzustellen. Nur zu gut erinnerte Anni sich noch an ihre Schreie in der Nacht.

»Die schreien, weil sie die schlechten Träume verscheuchen wollen«, hatte Oma Marthe immer gesagt. »Du träumst doch auch hin und wieder schlecht, Annikind.«

Aber die Schreie der Männer waren anders. Im Fieber oder aus Todesangst riefen sie nach ihrer Mama, nach Mutti, nach Mamska oder nach Frauen, die Greta, Friederike oder Elfi hießen. Manchmal stand Anni auf und schlich von ihrem Zimmerchen im Dachgeschoss ins Treppenhaus, weil sie wissen wollte, wer diese Elfi oder Greta war. »Bald bin ich wieder zu Hause«, stammelte einer, der keine Arme mehr hatte und bei dem eine Wunde am Bauch stark entzündet war. Einer von denen, die es »nicht mehr lange machten«, wie der fremde Arzt ohne Gefühlsregung und ganz pragmatisch gesagt hatte, Doktor Heilwig hatte nur genickt. Es schien, als hätten sie im Krieg jegliches Mitgefühl verloren.

Zu einem der Verwundeten war Anni mal hingegangen, mitten in der Nacht, weil er nicht mehr geschrien hatte, sondern weinte. Um drei Uhr morgens hatte sie sich zu ihm gesetzt und seine Hand genommen, da hatte er noch mehr geweint, und Anni hatte seine Hand noch fester gedrückt.

»Ich muss doch heim«, hatte er geflüstert. »Ich muss doch aufstehen.« Und Anni hatte seine Hand nicht losgelassen und Lieder gesummt. Maikäfer flieg. Der musste ja auch nicht laufen, der konnte fliegen, vielleicht konnte der junge Mann auch fliegen, wenn sie nur lang genug sang. So hatte ihre Freundschaft mit Hans Falckenberg angefangen.

»Ich habe Menschen erschossen«, hatte er gesagt. Fast jeden Tag hatte sie Hans in seinem Rollstuhl spazieren geschoben. Er kannte viele Gedichte und hatte viel gelesen. »Hier sieht es ein bisschen aus wie in Travemünde«, hatte er mal gesagt. »Da waren die Buddenbrooks immer in der Sommerfrische. Mehrere Wochen am Stück. Mit der Kutsche sind sie aus Lübeck hingefahren, die Damen und Kinder sind durchgängig geblieben, an den Wochenenden kamen dann die Männer dazu.«

»Wer sind die Buddenbrooks?«, wollte Anni wissen.

»Das ist ein Familienname, und so heißt ein Buch von Thomas Mann. Ein herausragender Schriftsteller. In dem Buch geht es um eine großbürgerliche Familie im 19. Jahrhundert. Das enge gesellschaftliche Korsett von damals wird beschrieben und der Verfall der Familie. Unter anderem, weil falscher Stolz im Spiel war. Thomas Mann ist ein großartiger Schriftsteller. Er hat sich öffentlich gegen den Nationalsozialismus bekannt und ist ausgewandert. Du musst viel lesen. Versprich mir das, Anni.«

Anni hatte es versprochen, und wann immer sie konnte, hatte sie nach einem Buch gegriffen und tat das auch heute noch. Vor allem nach den Buddenbrooks.

Wenn Anni heute an den Krieg zurückdachte, sah sie immer liegende oder humpelnde Männer jeden Alters. Sie erinnerte sich an dankbare oder abgestumpfte Blicke, zitternde Hände und an die Schreie und das Weinen. Sie hatte junge und alte Männer genesen und sterben sehen. Sie hatte immer gedacht, dass so was doch nicht geschehen durfte. Und dass das doch alles nicht richtig war. Sie hatte die Gesichter der Männer studiert und war erschrocken darüber, dass ein Zwanzigjähriger genauso alt aussehen konnte wie ein Fünfzigjähriger. Dass Erlebtes und Gesehenes ein Gesicht so verändern konnten. Ältere Männer weinten anders als die jüngeren. Die jungen waren laut und riefen Namen, die älteren schluchzten meistens nur so vor sich hin. Zwei verwundete achtzehn- und neunzehnjährige Soldaten hatten schon schneeweiße Haare. Das sah sonderbar aus.

Sie erinnerte sich auch an den Tag, an dem Hans entlassen wurde. Mittlerweile kam er gut mit dem Rollstuhl zurecht. Ein junger Mann, der das Leben noch vor sich hatte. Heim nach Berlin konnte er nicht, da war zu viel Unruhe, zur Tante würde er fahren, die wohnte im Bergischen Land, da konnte er hin, die Tante hatte geschrieben. Wenn alles vorbei war, irgendwann, dann wollte er den Laden von der Tante weiterführen. Raumausstattung. Inneneinrichtung. Er freute sich darauf und hoffte, dass das auch wirklich irgendwann wahr werden würde.

»Wenn der Krieg mal vorbei ist, dann wollen sicher alle neue Farben haben«, hatte Hans gesagt. »Eigentlich wollte ich ja mal Lehrer werden. Für Leibeserziehung. Aber jetzt nicht mehr. Ich muss was machen, wobei ich im Rollstuhl sitzen kann. Den Kunden ist’s sicher egal, ob ich durch ihre Zimmer laufe oder rolle.«

Ein letztes Mal hatte Anni seine Hand gedrückt, und Hans hatte sie zu sich hinuntergezogen und sie umarmt. »Danke, Maikäferchen. Ich werde dir schreiben. Das verspreche ich dir.«

»Ich dir auch, Hans«, hatte Anni gesagt und musste weinen. Sie hatte Hans furchtbar gern.

»Ach Hans«, dachte Anni jetzt seufzend, »wenn du doch hier wärst!« Seitdem er entlassen worden war und in seiner Heimat, einer kleinen Stadt im Bergischen Land, das Raumausstattungsgeschäft seiner Tante weiterführte, hatten sie sich nie wiedergesehen, aber sie schrieben sich. Hans hatte nie geheiratet. »Wer will schon einen Krüppel«, hatte er ihr geschrieben. »Mir geht’s gut hier. Habe jede Menge Arbeit, und das ist richtig so. Ich werde dich irgendwann mal besuchen, aber momentan ist wirklich sehr viel zu tun, worüber ich froh bin. Gerade habe ich neue Stoffe bestellt, die würden dir gefallen. Ganz zartes Rosa und ein leichtes Grün. Ein Grün wie eine Sommerwiese morgens.« Überhaupt schrieb er viel von Einrichtung, Bodenbelägen, Sofabezügen, Tapeten und Überdecken. Er war mit Eifer bei der Sache, wollte die Firma erweitern und auch Accessoires anbieten, ein Bekannter hatte schon Blumenübertöpfe und Lampenschirme entworfen, und als Anni ihm geschrieben hatte, dass sie eine Renovierung des Hotels so sehr wünschte, um es etwas luxuriöser zu gestalten und ein Badehotel daraus zu machen, war er begeistert, schickte ihr die richtigen Kataloge und Stoffproben. Einige Muster hatte er selbst entworfen, Anni fand sie herrlich. Altrosa Samt, golddurchwirkt, warmrote Seide mit eingewebten Lilien. Zartgelbe Baumwolle.

Jede Karte, jeder Brief begann mit »Liebes Maikäferchen«. Zum 18. Geburtstag hatte er ihr eine Brosche geschickt, die seiner jüngsten Schwester gehört hatte. Ein Schmetterling mit vielen bunten Steinen. »Trag sie auf der Herzseite«, hatte Hans dazu geschrieben. »Sie soll dir stets Glück bringen.« Er war wie der große Bruder, den sie nie gehabt hatte.

Wie schade, dass Hans so viel zu tun hatte mit seinem Laden. Wie gern hätte sie mit ihm über all die Möglichkeiten gesprochen, etwas Luxus und Wohlbehagen ins Hotel zu bringen. Davon abgesehen hätte sie ihn einfach gerne wieder getroffen. Hans stand ihr sehr nah. Er würde ihr immer nahestehen. Ein paar Fotos hatte er ihr von sich geschickt. Ein gutaussehender junger Mann mit braunem, dichtem Haar und dunklen Augen, in denen keine Traurigkeit mehr war. Auf einem Foto lachte er in die Kamera. »Du müsstest mal meine Arme sehen, Anni«, hatte er geschrieben. »Richtige Muskelpakete. Weil ich ja dauernd den Rollstuhl vorwärtsbewegen muss.« Er schien sich mit seiner Querschnittslähmung abgefunden zu haben. »Nützt ja nichts, Anni. Es muss ja weitergehen. Ich bin auch keiner, der sich in den Kopf schießt, weil er nicht weiterweiß.«

Anni hatte ihm geschrieben, dass Papa gegen alles war, was sie vorhatte, und dass man doch mit der Zeit gehen müsse. Sonst würden sie von anderen überholt.

»Dein Vater ist jahrelang nicht mit der Zeit gegangen«, kam als Antwort. »Wie soll er plötzlich von einem auf den anderen Tag alles Mögliche entscheiden? Das muss er erst wieder lernen.«

Aber Anni hatte keine Zeit. Jetzt musste etwas passieren.

Dass ihr Vater so stur war, empfand sie als unerträglich und selbstgerecht. Er war all die Jahre nicht da gewesen, er hatte doch hier mit nichts etwas zu tun gehabt, und nun war er erst seit Kurzem zurück, und alle sollten sich ihm unterordnen. Das war nicht richtig. Aber so war es überall in den Familien. Die Frauen hatten jahrelang alles gestemmt, und kaum waren die Männer zurück, sollte alles wieder so sein, wie vor dem Krieg. Eine Frau hatte zu Hause zu sein, zu kochen, zu putzen, einzuholen, die Kinder zu versorgen und alles zu tun, was ihr der Mann sagte, Punktum.

Anni liebte ihren Vater und war heilfroh, dass er wieder da war. Aber dass er sich nicht einmal in irgendeiner Form anerkennend über das geäußert hatte, was Anni, Gerda und die Großmütter Marthe und Alice hier geleistet hatten, gefiel ihr nicht. Trotzdem versuchte sie, ruhig zu bleiben.

»Also Schluss«, sagte Ole Janssen nun. »Das Hotel bleibt ein Hotel, so wie es immer ein Hotel war. Diesen Firlefanz mache ich nicht mit, da wird nichts dran gerüttelt. Du mit deiner Zukunft. Wer weiß, ob das alles funktionieren würde. Du bist auch kein Spökenkieker.«

Nein, ein Hellseher war Anni nicht. Trotzdem war sie sicher, dass sie recht hatte. »Papa! Wir müssen doch vorankommen. Jedes Hotel, überhaupt jedes Haus, muss irgendwann einmal renoviert werden. Dadurch, dass die Seeperle jahrelang ein Lazarett und eine Flüchtlingsunterkunft war, hat vieles noch mehr gelitten als ohnehin.« Aber ihr Vater hob die Hand. »Ich hab Nein gesagt. Das wird alles zu teuer. Ich will mein Geld zusammenhalten.«

»Dein Geld?« Jetzt wurde Anni laut. »Du meinst wohl unser Geld.«

»Nein! Mein Geld! Ich bin hier immer noch der, der das Sagen hat! Willst du das vielleicht auch ändern, ja? Willst du mich gleich mit auf den Müll werfen bei deiner … Modernisierung?«

»Natürlich nicht!« Ihre Stimme bebte. »Aber du sagst ja von vornherein zu allem Nein! Hör mir doch erst mal zu! Ich habe das schließlich alles durchgerechnet.«

Ole drehte sich zu ihr um. »Du? Durchgerechnet? Was hast denn du durchgerechnet? Willst du mir sagen, wie ich das Haus zu führen habe? Vergiss nicht, dass ich dein Vater bin. Ich sage, was gemacht wird und was nicht. Du Klookschieterin! Und nun will ich nichts mehr davon hören. Wisch dir lieber das rote Zeug vom Mund. Das ist ja unmanierlich, wie du aussiehst!«

»Alle tragen jetzt Lippenstift.«

»Meine Tochter aber nicht. Am helllichten Tag malst du dir die Lippen rot an. Warum denn, frag ich dich? Gehst du vielleicht auch allein abends aus? Was ist aus dir geworden, als ich fort war? Ein Flittchen?«

Ole war wütend. Wütend auf sich selbst, weil er seiner Tochter noch nicht mal Lippenstift gönnen konnte und ungerecht zu ihr war. Wütend, weil er nicht da gewesen war, als sie aufwuchs und zu der wurde, die sie heute war: eine wunderschöne Frau mit langen, blonden Haaren, tatkräftig und unbeirrbar. Ein Energiebündel. Anni war plötzlich erwachsen, seit drei Jahren großjährig, und er hatte das alles nicht mitbekommen. Als er fortging, war sie klein gewesen. Die paar Mal, die er Heimaturlaub hatte, hatte er fast nur geschlafen, und nun stand ein ganz anderer Mensch vor ihm. Anni war eine von diesen Frauen, die von innen heraus strahlten und immer etwas Positives an sich hatten. Und unmanierlich war sie natürlich nicht. Sie sah hübsch und adrett aus in ihrem blauen Kleid mit dem weißen Kragen.

»In der Zeit, als du weg warst, da habe ich mit Mama, Oma Marthe und Omilein Alice eine Liste gemacht. Eine Aufstellung mit allen Kosten und was wir gespart haben und was wir …«

»Nun bin ich aber wieder da.«

»Aber du warst fort.« Anni spürte, wie die Wut in ihr größer wurde. Sie dachte jetzt nicht mehr darüber nach, was falsch oder richtig war. »Wir waren hier allein. Wir haben hart gearbeitet, nicht einfach nur herumgesessen. Natürlich waren wir nicht in der Gefangenschaft, so wie du, aber tu bitte nicht so, als ob nur du es schlecht hattest, Papa. Ein bisschen Dankbarkeit wäre angebracht.«

»Pass op«, Oles Stimme bebte vor Zorn, »dass mir nicht gleich die Hand ausrutscht!« Auch das wollte er gar nicht sagen. Was war nur los mit ihm?

»Du willst mich schlagen? Wenn du das machst, Papa, und das verspreche ich dir, dann schlag ich zurück!«

Damit drehte Anni sich um und ließ ihn einfach stehen.

»Und ich sage Nein. Punktum!«, rief er ihr hinterher. »Gar nichts wird hier gemacht. Dass das klar ist! Nichts!«

Die schlagende Tür war ihre Antwort.

Ole stand auf, nahm seine Krücken und ging zur Musiktruhe. Dieses Sausen im Ohr war manchmal unerträglich. Er holte ein paar alte Platten aus dem Schrank und begutachtete die Hüllen. Lale Andersen und ihr Lili Marleen. 1939 war das gewesen. Und dann hatte Joseph Goebbels drei Jahre später das Lied verbieten lassen, weil die Sängerin Kontakt zu Juden hatte. Heinz Rühmann, Ich brech die Herzen der stolzesten Frau’n. Hatte Rühmann sich nicht von seiner jüdischen Frau scheiden lassen? Trotzdem mochte er seine Lieder. Er holte die Platte heraus und legte sie auf den Spieler, setzte die Nadel auf Anfang und drehte lauter.

Zu diesem Lied hatte er damals mit Gerda getanzt. Foxtrott, wenn er sich richtig erinnerte. … weil ich so stürmisch und so leidenschaftlich bin …

Wie gern würde er wieder tanzen. Wie schön war mal alles gewesen. Er hätte es mehr schätzen müssen. Er wischte sich über die Augen. Schon wieder Tränen. So was Dämliches. Die kamen immer unangemeldet. Ein Mann weint nicht. Diesen Satz hatte er im Krieg so oft zu sich gesagt und dann nie mehr.

Ole humpelte auf seinen Krücken zum Barschrank. Er musste jetzt einen Weinbrand haben. Nur einen.

2. Kapitel

»Ich helfe euch, Mama. Setz du dich mal.« Anni schob ihre Mutter zu dem breiten Diwan, der in der großen Küche stand, und Gerda folgte ihr bereitwillig. »Hast du mit Papa gesprochen?«

»Ja.« Anni schälte die Kartoffeln weiter. Mittagessen für die Gäste. Eine vierköpfige Familie und Zwillingsschwestern aus Berlin, die den ganzen Tag auf ihrem Zimmer saßen und an irgendwas arbeiteten. Heute reisten noch zwei Witwen aus Düsseldorf ab, Nachbarinnen, die einige Wochen hier verbracht hatten, bevor die Saison richtig losging. Morgen würden sie zurückfahren und sich um die Enkel kümmern. Beide hatten Töchter, die berufstätig waren, hatten sie stolz erzählt. Die restlichen Gäste kamen von überall her, es waren Besucher der Familie Wöhrding, Ernestine und Richard hatten diamantene Hochzeit, da war die komplette Verwandtschaft angereist. Solche Gäste waren Gerda am liebsten. Sie gingen nach dem Frühstück und kamen spätabends zurück, man bemerkte sie kaum. Die Seeperle hatte fünfzehn Zimmer und zwei wunderschöne Suiten mit je zwei Räumen und Balkonen, von denen aus man auf das Meer blicken konnte.

»Und, was hat dein Vadder seggt?«, fragte Isa nun neugierig. Sie war Ende sechzig, ihre grauen Haare waren immer zum Dutt frisiert, und Anni konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals ohne eine Schürze gesehen zu haben. Alles an ihr war weich, und sie roch den ganzen Tag angenehm nach Seife. »Er hat gesagt, dass alles so bleiben soll, wie es ist.« Anni zuckte mit den Schultern.

Isa schüttelte den Kopf. »Jahrelang haben wir hier alles alleen gemacht und auch geschafft. Nur wir Froons. Zwölf Jahre war dein Vadder nicht hier, und wir leben alle noch, haben das Hotel halbwegs wiederhergerichtet und haben dafür gesorgt, dass alle zu essen und zu trinken haben. Und nun? Kommt er heim und alles soll wieder nach seiner Piep danzen. Nehmt’s mir nich übel, Anni, Frau Janssen, aber das hat keine Richtigkeiten. Nur weil einer ein Kerl ist, soll er uns sagen können, wie es gemacht werden soll? Nee! So nich.« Sie ließ Wasser über das Gemüse laufen. »Na. Aber war ja schon immer so. Ich weiß schon, warum ich nie einem das Jawort gegeben hab. Bin mein eigener Herr, da können die Leute gucken, wie sie wollen. Ham se auch, früher, jetzt guckt keiner mehr. Keine Leute und kein Mann.«

Anni goss sich einen Kaffee ein. »Papa ist so stur geworden.«

»Er war doch schon immer stuurbräsig«, entgegnete Isa. »Du meinst, noch mehr.«

»Anders. Er ist so böse. Ich weiß auch nicht, wie ich es sonst sagen soll.«

»Wir müssen ihm Zeit geben«, sagte Gerda, die immer für alles und jeden Verständnis hatte. »Es ist nicht einfach für ihn, Anni. Du darfst nicht vergessen, was er durchgemacht hat, und nun kommt er sich mit nur einem Bein unnütz vor. Wir müssen ihm zeigen, dass wir ihn brauchen, und vor allen Dingen müssen wir für ihn da sein und ihm helfen, das alles zu vergessen. Er muss doch erst einmal wieder richtig zu Hause sein, sich daheim fühlen.«

»Er könnte uns aber auch ein bisschen dankbar sein, Mama. Oder zumindest stolz. Immerhin haben wir hier alles am Laufen gehalten. Einfach war es für keinen von uns.«

Isa füllte Wasser in einen großen Topf und stellte das Gas an, dann nahm sie sich ebenfalls einen Kaffee und setzte sich an den Tisch. »Nee, einfach war es nicht, wirklich nicht. Aber Annikind, du darfst nicht vergessen, dass wir Froonslüdd sind. Wir haben schon immer mehr verknusen können. Aber darüber wird ja nicht so gern gesprochen. So.« Sie stand wieder auf. Isa hatte immer Hummeln im Hintern. »Ich mach mal die Vanillesoße. Zum Nachtisch gibt’s Rote Grütt.«

»Anstatt dass Papa froh ist, dass ich da bin und Pläne mache«, sagte Anni. »Ich hätte ja auch schon längst verheiratet sein können, und dann? Ach Mama. Hans hat mir wieder Stoffmuster geschickt. Du glaubst gar nicht, wie schön luftige Vorhänge an den großen Fenstern im Eingangsbereich aussähen. Hans nennt die Farbe Mintgrün. Das kommt aus dem Amerikanischen.«

»Damit brauchst du Papa gar nicht erst zu kommen«, sagte Gerda resigniert. »Mint aus Amerika. Das ist viel zu modern.«

»Wir müssen es ihm ja nicht sagen. Die Farben jedenfalls sind herrlich. Ich könnte den ganzen Tag nach Farben schauen. Und habt ihr mal die neuen, praktischen Küchen gesehen? Einbauküchen! Das ist jetzt der Renner. In ganz zarten Pastellfarben, da braucht man keine Vertikos mehr, diese Staubfänger. Das alles hier würde wegkommen, und wir hätten glatte Flächen, die man gut abwischen kann, das ist auch viel hygienischer als diese Monstren hier.« Sie deutete auf das große, schwere Küchenbuffet aus Holz mit seinen zahlreichen Verzierungen und den gedrechselten Füßen. Daneben die wuchtige Anrichte, in der Besteck aufbewahrt wurde. »Helle Farben, viel Arbeitsfläche und Stauraum. Und jede Menge Arbeitserleichterung. Hans schreibt, alles sei so gemacht, dass die Hausfrau nicht mehr so viel hin und her rennen muss. Schau mal, wie es bei uns ist. Der Herd ist viel zu weit von der Spüle entfernt. Wir müssen die schweren Töpfe immer quer durch die Küche schleppen, weißt du noch, als Isa sich den Arm verbrüht hat, weil auf dem Weg zur Spüle was aus dem Topf geschwappt ist und sie ausgerutscht war? In den modernen Küchen ist es anders. Da muss man nur ein paar Schritte tun. Einen richtigen Kühlschrank würde ich auch anschaffen wollen. Dann brauchen wir keine Eisstangen mehr. Hoffentlich kommt der neue Katalog von Neckermann bald. Den schauen wir uns zusammen an. Ich würde so gern loslegen, Mama.«

»Das wäre natürlich wunderbar«, sagte Gerda. »Aber du kannst planen, wie du willst, wenn Papa dagegen ist, kann man nichts machen.«

»Dickkopp«, murrte Isa. »Ach, was würd ich mich freuen, wenn es ein paar Neuerungen in der Küche geben würde. Herrlich wär das!«

»Immer nur Papa, Papa, Papa.« Anni war verzweifelt. »Wir haben doch Ersparnisse und was wir darüber hinaus benötigen, bekommen wir von der Bank. Ein Darlehen. Das machen jetzt viele so. Das ist keine Schande. Wir haben doch als Sicherheit die Seeperle. Eigentlich ist es kaum zu glauben, Mama. Dein Vater denkt moderner als Papa. Der hat beim letzten Besuch auch gesagt, man muss investieren und mit der Zeit gehen. Und die Seeperle ist schuldenfrei und kann als Sicherheit dienen!«

»Ich weiß.« Gerda war müde. Die Zankerei zwischen Ole und Anni machte sie mürbe. Wenn es nach ihr ginge, sollte Anni doch machen. Sie war jung und energisch. Himmel, wann, wenn nicht jetzt? Und sie könnte dann einfach nur schlafen. Das würde sie so gern. Sich hinlegen und einfach lange, lange schlafen. Sie war immer müde. Mit einem Seufzen stand Gerda auf. Sie musste nachschauen, wie weit Sigrun mit den Zimmern war. Sigrun Broders war eine Nachbarstochter, vierzehn Jahre alt, die nach der Volksschule angefangen hatte, in der Seeperle zu arbeiten. Ihre Mutter Hedda hatte in ihrem Keller eine Mangel und verdiente ihr Geld mit Bügeln, Mangeln und Plätten. Knut, der Vater, hatte seine Rückenverletzung aus dem Krieg nie richtig auskurieren können und war manchmal tagelang vor Schmerzen nicht ansprechbar. Sigrun hatte noch zwei ältere Schwestern und einen jüngeren Bruder. Der zehnjährige Arne war etwas zurückgeblieben, er saß oft da und zählte und rechnete, dann wieder machte er gar nichts oder zeichnete Figuren, denen er Namen gab, die keiner verstand. In St. Peter erzählte man sich, dass Hedda ihrem Knut einen Kuckuck untergejubelt hätte, Knut war doch 1942 nie da gewesen. Er hatte in einem U-Boot gedient, und niemand hatte je gewusst, wo er sich aufhielt, auch Hedda nicht. Angeblich hatte er, das hatte Hedda gesagt und daran hielt sie fest, 42 einen sehr kurzen Urlaub gehabt, und da war Arne entstanden. Ganz kurz und heimlich sei Knut nachts da gewesen, sagte sie. Keiner habe das mitbekommen. Aber jeder erzählte etwas anderes. Der Einzige, der nichts erzählte, war Knut. Er hatte genug mit seinen unerträglichen Rückenschmerzen zu tun, dann konnte er auch nicht arbeiten gehen zum Bauern im Nachbardorf, dabei brauchten sie das Geld doch so dringend, hatte sich Hedda letztens bei Gerda beklagt. »Nix tut er daheim, wenn er nicht arbeiten geht. Nur Selbstmitleid hat er oder kriegt seine Anfälle und drischt los. Ich sag’s dir ehrlich, Gerda, ohne Knut war’s einfacher. Es ist, als hätte ich ein fünftes Kind im Haus.«

3. Kapitel

Am nächsten Tag ging Anni Rena besuchen. Die beiden kannten sich seit der Kindheit, und Rena würde in einigen Wochen heiraten und dann nach Wien ziehen. Ihr Zukünftiger war ein gebürtiger Österreicher, er kam aus Salzburg und würde zum Herbst in Wien der Direktor einer Privatbank werden. Gerhard Stöberl war um einiges älter als die 25-jährige Rena, schon Anfang vierzig. Ein großer Mann mit tadellosen Manieren, ein bisschen zu steif für Annis Geschmack, aber sie mochte ihn recht gern. Er war höflich, zuvorkommend und sehr froh, dass Rena ihn heiraten wollte, und er nicht nur eine hübsche, junge Frau, sondern wohl bald auch endlich seinen langersehnten Sohn bekäme. Gerhard war vor ein paar Monaten Hotelgast in der Seeperle gewesen. Er hatte eine Bronchitis verschleppt und Seeluft verordnet bekommen. Und so lernte er die wuselige, braungelockte und, wie Anni immer liebevoll dachte, so süße und ein wenig naive Rena kennen, die Anni abends zu einem Spaziergang abgeholt hatte. Gerhard hatte am Kamin gesessen und Zeitung gelesen, und er war aufgestanden, als die beiden Frauen an ihm vorbeigingen, hatte sich vorgestellt und Rena die Hand geküsst, was sie unglaublich beeindruckt hatte. Formvollendet und galant waren ab sofort die beiden Attribute, mit denen die romantisch veranlagte Rena über Gerhard sprach. Anni konnte das nicht ganz nachvollziehen. Ja, Gerhard war freundlich und gut erzogen, was man nicht von vielen Männern behaupten konnte. Allein schon hier in der Seeperle wussten die wenigen männlichen Gäste manchmal nicht, wie man eine Gabel richtig hielt, oder dass es sich nicht gehörte, in der Gegenwart anderer Essensreste mit den Fingernägeln aus den Zähnen zu pulen. Der Krieg hatte das gute Benehmen mit vielem anderen vernichtet. Aber derart in Begeisterungsstürme zu verfallen, bloß weil einer ein bisschen galant war, das konnte sie nicht nachvollziehen.

Schon nach kurzer Zeit hatte Gerhard um Renas Hand angehalten. Rena war überglücklich, ihre Eltern, die die Bäckerei in St. Peter betrieben, waren unterschiedlicher Meinung. Ihre Mutter Lore war hin und weg. So ein stattlicher Österreicher und dazu bald noch Direktor einer Privatbank! Renas Vater war alles andere als begeistert. Rickmer Dittmann hatte sich einen Mann für seine Tochter gewünscht, der den Betrieb mal übernehmen würde. Der hinten in der Backstube stand, während Rena tagaus, tagein im Verkaufsraum mit Butterkuchen und Rundstücken die Kundschaft bediente, so hatte er sich das vorgestellt, nachdem seine beiden Söhne sich dazu entschlossen hatten, nach ihren Ausbildungen zum Schlosser und Schuster nach auswärts zu heiraten, und nur noch Rena übriggeblieben war. Rena hatte nach der Schule zwar im elterlichen Betrieb gearbeitet, hatte aber ganz andere Pläne. »Ich will was erleben«, hatte sie Anni immer wieder beteuert. »Ich will verreisen und Italien sehen und nicht nur davon hören, dass man da hinfahren kann. Ich bin niemand, der sich mit Postkarten zufriedengibt.« Und nun heiratete sie also Gerhard und würde in eine geräumige, standesgerechte Wohnung in den Wiener Stadtteil Penzing ziehen. Die Hochzeit sollte in St. Peter stattfinden. Gerhard hatte Rena bei den Vorbereitungen freie Hand gelassen. Nachdem ihr Vater wochenlang beleidigt und unversöhnlich gewesen war, hatte er sich nun mit der Tatsache abgefunden, dass seine Tochter eine Bankiersgattin wurde und man sie Frau Direktor nennen werde. Das war ja nun auch nicht verkehrt. Selbstverständlich würde Rickmer Dittmann die Hochzeitstorte backen, und die sollte dreistöckig werden und die schönste Torte sein, die er in seinem Leben gebacken und verziert hatte. Mit Buttercreme, Marzipan und Himbeeren mit Zitronenguss.

Die Bäckerei befand sich in einem reetgedeckten Haus, vorne fand der Verkauf statt, im hinteren Teil war die Backstube, in der Renas Vater an sechs Tagen in der Woche ab halb drei bis in den Nachmittag hinein stand. Renas Mutter war nicht mehr so oft im Laden, und auch heute stand die alte Frau Kruse von nebenan, die immer aushalf, wenn es nötig war, und die alles und jeden kannte, hinter der Theke. Anni winkte ihr zu und ging ums Haus.

»Du kommst gerade richtig.« Rena öffnete ihr mit glänzenden Augen die Tür. »Komm rein. Du musst Mutti davon abbringen, noch mehr Tüll zu verlangen. Sie treibt mich in den Wahnsinn. Soll Gerhard etwa denken, er heiratet Zuckerwatte? Komm mit hoch. Tante Adelheid ist auch da, und die Schneiderin aus Flensburg.« Rena zog Anni mit sich, und kurze Zeit später stand sie in ihrem Traum in Weiß vor ihnen. Ihre Mutter und deren Schwester Adelheid saßen in geblümten Cocktailsesseln, den Stoff hatte Lore Dittmann eigenhändig genäht und die Sessel bezogen, damit das olle Braun endlich weg war, und auch die Tapete war neu. Kleine, mit reduziertem Strich gezeichnete, tanzende Figuren befanden sich darauf. Überall lagen Stoffe und Maßbänder herum, und um Rena wuselte die Schneiderin, eine dünne, hochgewachsene Frau im dunkelgrünen, enganliegenden Kostüm und mit Hochsteckfrisur. Im Radio spielten sie Vico Torriani, auf dem runden Tischchen befanden sich eine Flasche Eierlikör, mehrere Gläser mit Goldrand, und auf einer Etagère lagen verschiedene Kuchen und Gebäck aus der Backstube. Adelheid langte kräftig zu. Renas Mutter war zu aufgeregt. »Da muss noch Stoff dran«, sagte sie. »Noch mehr Organza, ach Kind, wie schön. Noch ein Likörchen? Den habe ich selbst gemacht, Anni, lang nur zu.« Frau Gerber lehnte mit hochgezogenen Augenbrauen ab, auch Rena und Anni wollten nichts, wohl aber Adelheid, ihre Schwester, die extra zur Anprobe ihrer Nichte aus dem nicht weit entfernten Tönning angeradelt war. Heute würde sie hier übernachten, und deswegen war sie den Likörchen gegenüber nicht abgeneigt. Nun saß sie mit roten Backen da und kicherte schon.

»Nein, das genügt an Tüllkram«, sagte Rena und drehte sich vor dem großen Spiegel. Sie war ein bisschen mollig, und das Kleid kaschierte ihre Rundungen perfekt. »Ich darf kein Gramm zunehmen, und wenn doch, darf man es auf keinen Fall sehen, Frau Gerber, das müssen Sie mir versprechen. Und schau, Anni, die Schleppe. Echte Spitze. Vati hat sich nicht lumpen lassen. Welche Blumen sollen wir nehmen? Was haltet ihr von weißen Rosen, blassrosa Freesien und Immergrün? Und ein paar Lilien. Ich brauche auch noch was Blaues. Und was Gebrauchtes. Wegen der Tradition. Wie sehe ich aus?« Sie drehte sich zu Anni um.

»Um es mit Gerhards Worten zu sagen: Du wirst eine hinreißende, sehr galante Braut sein«, sagte Anni. Rena sah wirklich süß aus, wie sie dastand, voller Erwartung, mit ihrem braunen Lockenkopf, den strahlenden Augen und den roten Wangen. Das weiße Seidenkleid hatte einen weiten Rock, überall waren kleine silberne Pailletten eingenäht, und die Corsage schmiegte sich passgenau an Renas Oberkörper. Von den paar Pfunden zu viel war nichts zu sehen.

»Ins Haar kommen selbstverständlich noch Blüten, das gibt eine wundervolle jungfräuliche Note«, sagte Frau Gerber und fuhr mit den Händen durch Renas Lockenmähne. »Passend zum Brautstrauß natürlich. Sie sehen entzückend aus.« Sie kniete sich hin und steckte noch einmal den Saum ab.

»Bin ich aufgeregt«, sagte Rena. »Muttchen, was sagst du?«

»Ach Kind.« Lore Dittmann hatte feuchte Augen und trank ein Schlückchen. »Meine einzige Tochter. Nach Wien. Fort von uns.«

»Aber Muttchen, du kannst mich doch immer besuchen, und ich komm auch her.« Rena lief zu ihrer Mutter und umarmte sie. »Wien ist ja kein anderer Kontinent.«

»Und du bist nah an Italien«, sagte Anni.

»Italien!« Adelheid war außer sich und begann, das bekannte Lied zu trällern: »Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt … Ach Lore, ist das schön. Das Kind lernt dann Italien kennen. Wohin geht eigentlich die Hochzeitsreise?«

»Da darfst du dreimal raten, Tante Adelheid.« Rena lachte. »Wir fahren mit dem Auto an der Küste entlang. Und nach Rom.«

»Rom, die Ewige Stadt. Und ans Meer. Wie schön. Lore, nun sag doch auch mal was«, forderte Tante Adelheid.

Lore holte ein Taschentuch hervor und tupfte sich die Augen. »Ach, ach, ach …«, machte sie dauernd.

»Kommen Sie, Frau Dittmann, freu’n Sie sich doch«, wurde sie von Anni aufgefordert, und sie nickte. »Ich probier’s ja. Aber dann ist das letzte Kind aus dem Haus.« Lore schluchzte. »Ach, ach.«

»Muttchen, ich verspreche dir, dass ich ganz oft nach St. Peter komme. So oft, dass du froh bist, wenn ich wieder fort bin.«

»Sicher kommen auch bald Enkelkinder, Lore«, sagte Tante Adelheid fröhlich. Rena wurde rot. »Nun ja, sicher«, sagte sie dann und zupfte an dem Kleid herum.

»Schau mal, wie rot sie wird, die Deern. Du kannst schon mal mit dem Stricken anfangen, Lore«, lachte Adelheid. »Da kann wohl jemand die Hochzeitsnacht nicht erwarten. Gib mir noch ein Likörchen, Lorchen. Darauf müssen wir doch anstoßen.«

»Adelheid, bitte!«, fuhr Renas Mutter sie an, während Frau Gerber peinlich berührt Stecknadeln aufsammelte.

»Was ist eigentlich mit dir, Annichen?«, fragte Adelheid, die sich von Lores Zurechtweisung überhaupt nicht irritieren ließ. »Läuten da auch mal die Hochzeitsglocken?«

»Es ist noch nichts geplant«, sagte Anni.

»Unsere Anni wird, wenn überhaupt, ihren Hinnerk heiraten«, stellte Rena fest. »Denn der ist der Einzige, der auch in St. Peter bleiben will. Anni möchte nicht weg, sie ist hier festgewachsen. Stimmt doch, Anni, oder? Du liebst das Meer und das Hotel, und du würdest nie fortgehen.«

»Das weiß ich noch nicht«, sagte Anni. »Aber im Moment sieht es nicht danach aus. Warum sollte ich weg aus St. Peter?«

Ans Heiraten mochte Anni gar nicht denken. Hinnerk, mit dem sie schon zur Schule gegangen war, mochte sie zwar gern, aber ob das zum Heiraten reichte? Diese Frage wollte sie sich eigentlich nicht beantworten. Hinnerks Eltern betrieben eine kleine Frühstückspension, und Anni wusste, dass ihre Mutter es ganz wunderbar finden würde, wenn ihre Tochter unter Hinnerks Fittiche käme. Sie mochte ihn. Er war nicht besonders groß, nur etwas größer als Anni, breitschultrig wie Ole, und arbeitete momentan als Dachdecker, kümmerte sich aber auch mit um die Pension. Gerda dachte an die Zukunft, wenn ihr Mann es schon nicht tat. Wenn Anni und Hinnerk heiraten würden, dann hätten sie ein Hotel und eine Pension, das wäre schon was. Man musste ja auch mal an später denken! Seinen Kindern wollte man ja auch mal was vererben, das gehörte sich wohl so! Anni und Hinnerk trafen sich ein paarmal pro Woche, sie war recht gern mit ihm zusammen. Sie redeten übers Wetter, über die Familie, über die Gäste und über alles Mögliche, Alltägliche. Hinnerk war ihr erster Mann gewesen, aber ob es auch der letzte in ihrem Leben sein würde, wusste sie noch nicht. Im Moment hatte sie andere Sorgen.

»Man wird nicht jünger«, fuhr Adelheid fort. »Als ich so alt war wie du, da hatte ich schon drei Kinder, und das vierte war unterwegs.«

»Es muss ja nicht jeder alles genau wie der andere machen.« Annis Stimme klang gereizt, und sie war es auch, obwohl Tante Adelheid das ganz gutmütig gesagt hatte. Aber Anni wollte sich nichts vorschreiben lassen. Es genügte, wenn der Vater ihr ständig sagte, was sie zu tun und zu lassen hatte.

»Jede Frau kriegt doch Kinder«, war Adelheids Meinung. »Jedenfalls sobald sie verheiratet ist«, schob sie noch hinterher.

Anni antwortete nichts mehr, sondern wartete auf Rena, die mit Frau Gerbers Hilfe das Hochzeitskleid wieder auszog. Frau Gerbers Lippen waren nun nur noch ein schmaler Strich. Sie schien schlechte Laune zu haben.

»Aber es stimmt doch, Annichen. Dich kriegen doch keine zehn Pferde weg aus St. Peter, oder?«, fragte Rena und lachte.

»Ich bin gern hier«, sagte Anni ehrlich. »Hier ist es schön. Und ich will was aus dem Hotel machen.« ›Wenn Papa mich endlich lässt‹, fügte sie in Gedanken hinzu.

Anni liebte die Seeperle. Das Hotel lag am Rand von St. Peter auf einer Anhöhe, und aus den Fenstern zur Seeseite und von den Balkonen hatte man einen wundervollen Blick auf die Nordsee und die Pfahlbauten, von denen der erste 1911 erbaut worden war. Bei Hochwasser wurden sie vom Meer umspült, bei Niedrigwasser konnte man hingehen und einen Kaffee bestellen oder eine Kleinigkeit essen. Es war immer schön, nach einem Strandgang zu einem Grog oder einem Tee herzukommen und einen Schnack zu halten.

Das Hotel war seit Ewigkeiten im Familienbesitz. Gerdas Großvater Claas hatte das Gebäude mithilfe eines befreundeten Architekten erbaut und dann mit seiner Frau Lisbeth den Beherbergungsbetrieb aufgenommen. Er und Lisbeth hatten sich während eines Ausflugs kennengelernt. Claas kam von Sylt und hatte dort nur noch eine Mutter. Er war botanisch interessiert und aufs Festland gefahren, um an einer Exkursion teilzunehmen, wo er Lisbeth traf. Claas’ Vater und sein Großvater waren Fischer gewesen. Claas sagte von sich selbst, dass er nicht zum Fischer tauge, auch nicht zum Bauern. Er wollte keine Lämmer schlachten, keine Kühe melken und keine Schollen ausnehmen, er träumte fortan mit Lisbeth von der Zukunft und wollte seiner schönen Frau ihren Wunsch erfüllen, mit ihr ein schönes Hotel zu errichten und zu führen, und das war ihm auch gelungen. Claas war schon immer gewitzt gewesen, konnte gut rechnen und kalkulieren und hatte alles ganz genau geplant. So war die Seeperle entstanden, ein wunderschönes Haus, Claas’ und Lisbeths ganzer Stolz. Viel Holz, Sandstein und Fachwerk, Reetdach und Sprossenfenster. Im Eingangsbereich, wo sich auch die Rezeption befand, wurde ein großer Kamin hingebaut, Sessel und Sofas gestellt und kleine Tische gruppiert. Die Zimmer waren hübsch eingerichtet mit breiten Betten und warmen Decken, mit Ölgemälden, goldverzierten Spiegeln, und einige der Zimmer hatten eigene Waschräume mit Toilette, die natürlich ein Plumpsklo war, aber immerhin. Das Wasser musste noch aus dem Brunnen geholt werden, und wer ein Bad nehmen wollte, musste extra bezahlen, es war eine Heidenarbeit, das Wasser über dem Feuer zu erhitzen und dann in großen Kübeln ins Zimmer zu schleppen. Abgelassen wurde es durch den Boden nach draußen, das hatten die Bauleute gut hingekriegt. Auch außerhalb der Saison verdiente Claas gutes Geld mit den Waschräumen. Gegen Bares konnte man ein Bad nehmen, und das wollten viele. Wer einmal den Luxus eines heißen Bades mit anständiger Seife kennengelernt hatte, der wollte nicht mehr darauf verzichten. Claas war clever.

»Der macht aus Schiet Gold«, war die weitverbreitete Meinung, mal wohlwollend und mal auch neidisch. Der kräftige, große Claas hatte ja noch so viel vor, und es schien ihm alles zu gelingen. Seine hübsche, schlanke Frau packte mit an, die beiden arbeiteten Hand in Hand, waren immer gut gelaunt, freundlich und nett.

Manch einer suchte nach Schlechtem und wünschte nichts Gutes, aber so war das ja schon immer gewesen. Einige malten den Teufel an die Wand. Mal schaun, wo das hinführt. Rosinen hat der Claas im Kopf, und seine Frau wohl auch. Ein Hotel, hatten viele gesagt. Einfach mal so. Was soll das denn? So was aber auch. Das können die doch gar nicht. Scheitern werden die. Zu Recht. Mit den großen Hunden pinkeln gehen, aber das Bein nicht heben können. So wird’s enden mit Claas und Lisbeth.

Claas und Lisbeth waren fleißig, bekamen einen Sohn und eine Tochter. Der kleine Hein bekam Typhus und starb früh, Marthe war gesund und heiratete mit gerade mal achtzehn einen rechtschaffenen Mann aus Friedrichstadt, Ingmar, der zwei Jahre älter war. Er war in St. Peter gewesen, um einen Freund zu besuchen, so lernten sich die beiden kennen. Sie führten das Hotel genauso gut wie Claas und Lisbeth, und nach einer Totgeburt und nachdem ihr Sohn im Kindbett gestorben war, kam Gerda. Sie war ein kränkliches Kind und auch noch als junges Mädchen sehr zart und feingliedrig. »Wir brauchen einen starken Mann für unsre Gerda«, hatte Marthe immer zu Ingmar gesagt, und beide waren sehr froh gewesen, als sie Ole kennenlernte. Ole hatte eine Anstellung als Schreiner bei einem Freund seines Vaters, er kam aus dem Nachbardorf, und Lisbeth war über diese Verbindung überglücklich. Ole war wie man sich einen Wikinger vorstellte: groß, breitschultrig und stark. Dazu noch ehrbar und ein Handwerker, ein Kerl wie ein Baum mit Händen, die zupacken konnten. Am Hotel gab es doch immer was zu reparieren, und ihre kleine, zarte Gerda, ihr Vögelchen, brauchte jemanden, der sie auf Händen trug und die böse Welt von ihr fernhielt. Die beiden passten gut zusammen, und Ole konnte sich sehr wohl vorstellen, mit Gerda eines Tages die Seeperle zu übernehmen. Erst einmal aber führten Marthe und Ingmar sie mit Gerdas Hilfe weiter, bis zu ihrem Tod wohnten auch Claas und Lisbeth im Altenteil und wurden versorgt, wie sich das gehörte.

Als Anni auf die Welt kam, zu früh, zu klein, verschrumpelt und laut brüllend, breitete Gerda ihre Flügel und Federn über ihr aus wie eine Glucke. Nichts durfte der kleinen Tochter passieren, sie verhielt sich wie ihre eigene Mutter damals bei ihr selbst. Marthe war nicht besser. Fast hysterisch wurde das Kind von Mutter und Großmutter behütet. Anni wuchs heran, wurde nicht besonders groß, war dünn, fast schmächtig, sie hatte ein schmales Gesicht mit feinen, zarten Zügen, große, blaue Augen und fast weißblonde Haare. Und Klavierspielerfinger, wie Gerda zu sagen pflegte. Lang und schmal waren sie, mit schön geformten Nägeln. So lernte Anni schon als kleines Kind, Klavier zu spielen, und saß oft an dem mächtigen und prächtigen schwarzlackierten Flügel, der im Wohnzimmer der Familie stand. Ein Erbstück von Ingmars Familie.

Aber Anni fühlte sich nicht klein und zart. Sie konnte zupacken, wenn es sein musste, und sie war es gewesen, die im Alter von acht Jahren auf dem Nachbarhof bei Bauer Stöckmann geholfen hatte, das Kälbchen auf die Welt zu holen, das verdreht im Mutterleib lag. Alle hatten sich gescheut, in die Kuh hineinzugreifen und das Kalb zu drehen, Anni hatte es einfach getan. Sie wusste, wie es ging, sie hatte schon mal zugeschaut. Sie war ein Mensch, der nicht groß nachdachte, wenn es darum ging, etwas zu erledigen. Sie tat es einfach. Und sie liebte ihr Zuhause. St. Peter, das Meer, die gute Luft, dieses Freiheitsgefühl, wenn man an dem weißen Sandstrand stand und aufs Wasser schaute. Während der Herbst- und Winterstürme hatte sie, während die Seeperle ein Lazarett war, oben in ihrer winzigen Dachgeschosskammer gesessen und durch die kleine Luke zugeschaut, wie die Wellen heranrauschten. Meterhoch tosten sie, um letztendlich doch noch im Sand auszulaufen, dann zogen sie sich zurück, um wieder anzudonnern. Dazu der pfeifende Wind. Wenn sie später im Bett lag, hatte sie das Wellenrauschen als Einschlafhilfe benutzt, und es hatte immer funktioniert.

Das Meer war ihr Zuhause. Sie wollte nirgendwo anders sein. Im Sommer, wenn die Badegäste den Strand bevölkerten, hatten sich die Kinder von St. Peter immer andere Plätze zum Spielen gesucht. Ihren eigenen Strand wollten sie haben und hatten ihn auch gefunden, den Nordstrand, ungefähr zwei Kilometer weit entfernt von den Menschen, die so taten, als würde ihnen St. Peter gehören, nur weil sie für ein paar Tage oder Wochen ihre Sommerfrische hier verbrachten. Wenigstens waren die Gäste für die einheimischen Kinder eine gute Einnahmequelle. Sie kauften Muschelketten und Steine, und wehe, die Kinder der Touristen kamen ebenfalls auf die Idee, sich mit gesammeltem Strandgut auf einer Decke an den Strandanfang zu stellen, um ihre Sachen zu verkaufen. Sofort wurden sie vertrieben.

Noch heute war das so, und Anni verstand es gut, wenn die Kinder der Touristen verscheucht wurden. Die einheimischen Kinder verteidigten ihren Besitz. Das würde bestimmt immer so sein, auch wenn sich die Zeiten natürlich änderten. Jetzt, nachdem der Krieg vorbei war und sie anfingen, daran zu glauben, dass sie irgendwann wieder normal würden leben können, hatten die Menschen aufgeatmet. Man hatte meistens genug zu essen und musste keine Angst mehr haben. Es lohnte sich wieder, zu leben, und es war, als würde ein langanhaltendes Seufzen durch die Städte gehen. Nachts durchschlafen, satt sein, eine warme Stube haben und genügend Kohlen, Normalität, all das, was so lange nicht da war, wurde nun sehr wertgeschätzt. Anni freute sich, wenn sie sah, dass es überall vorwärtsging. Nicht zurückschauen, immer nach vorn, hatte Oma Marthe immer gesagt, und so handhabte Anni es, so gut sie eben konnte. Nur wenn Post von Hans kam, dachte sie an damals und fragte sich hin und wieder, was wohl aus den ganzen Verwundeten geworden war, die irgendwann die Seeperle verlassen hatten. Waren welche, die in den Krieg zurückmussten, letztendlich gefallen? Lebten die anderen mittlerweile wieder bei ihren Familien, hatten sie geheiratet, hatten sie Kinder? Als Frau Gerber ihre Sachen gepackt hatte, gossen sich Lore und Adelheid noch ein Schlückchen vom selbstgemachten Eierlikör ein, und Rena und Anni brachten die Schneiderin zur Tür.

»Wir sehen uns dann eine Woche vor dem großen Tag wieder«, verabschiedete sich Frau Gerber. »Falls es am Kleid noch was zu ändern gibt, werde ich das dann erledigen. Sagen Sie, Fräulein Dittmann, eins muss ich Sie noch fragen.«

»Ja, was denn?« Glücklich und guter Dinge stand Rena vor ihr.

»Vorhin sagten Sie, Sie dürften auf keinen Fall noch zunehmen«, sagte Frau Gerber spitz.

»Na, das stimmt ja auch, so passgenau, wie gerade alles sitzt«, lachte Rena.

»Ja, ja, schon. Sie erwähnten aber danach kurz, dass, also wenn Sie zunähmen, es auf keinen Fall gesehen werden darf.« Ihre Stimme war nun sehr reserviert.

»Ja, wenn das dann machbar wäre.« Rena nickte. Wer wollte denn wie ein Walross zum Traualtar schreiten?

»Dazu möchte ich Ihnen sagen, dass ich im Falle einer solchen Tatsache, also falls Sie ein Kind erwarten sollten, vor der Hochzeit, dass ich mich dann leider gezwungen fühle, aus moralischen Gründen den Auftrag abzubrechen. Ich würde Ihnen dann eine Kollegin schicken, die kein Problem mit einem unsteten Lebenswandel hat. Empfehle mich.«

Nachdem Frau Gerber in ihrem Volkswagen davongefahren war, setzten sich Rena und Anni in die Hollywoodschaukel auf der Terrasse hinterm Haus. Lore Dittmanns Liebe zu Blumen war auch hier unübersehbar. Der Bezugsstoff der Sitze war mit blassrosa Orchideen bedruckt, die kleine grüne – Lore nannte das Grün »Nilgrün« – Tischdecke, die über dem Gartentisch lag, mit vielen kleinen Streublumen bestickt, und die Lehnen der gusseisernen, weißlackierten Stühle bestanden aus Blumengirlanden. Aus dem offenen Fenster der Backstube wehte der Duft von Hefeteig, gebackenen Äpfeln und frischem Brot.

»Frau Gerber ist wenigstens ehrlich und sagt, was sie denkt«, war Annis Meinung. »Besser, als wenn sie rumlaufen und erzählen würde, du seist in anderen Umständen.«

»Trotzdem. Ich dachte ja fast schon selber, ich würde ein Kind kriegen, so wie sie mich angesehen hat«, regte Rena sich auf. »Ich weiß wohl, dass ich nicht die Dünnste bin. Aber ich wüsste wohl, wenn ich ein Kind bekäme.«

»Ganz sicher?«

Rena sah sie an. »Hör mal. Natürlich ganz sicher. Wie kommst du denn darauf?«

»Das war ein Scherz, Renachen. Nun krieg dich mal wieder ein.«

»Wenn es nach Tante Adelheid ginge, hätte ich schon bald sechs Kinder«, sagte Rena. »Also wirklich. Als ob es das Wichtigste auf der Welt wäre, sofort nach der Hochzeit mit dem Kinderkriegen anzufangen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wobei Gerhard das unbedingt will. Er ist vom alten Schlag und möchte unbedingt als Erstgeborenes einen Sohn, sagt er.«

»Ich weiß«, lachte Anni und wuschelte Rena durchs Haar. »Er wird nicht müde, galant davon zu erzählen.«

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn da plötzlich was in mir ist, das auch noch wächst und wächst – und dann die Geburt, Anni. Davor hab ich richtig Angst.«

»Du hast jetzt schon Angst vor der Geburt, obwohl du noch gar nicht schwanger bist?«, kicherte Anni. »Also wirklich, Rena, du bist unvergleichlich.«

Es war noch kühl an diesem Märztag, aber die Sonne schien ein wenig und endlich fing es an, ein klein bisschen frühlingshaft zu werden. Nicht mehr lange, und schon würden immer mehr Urlaubsgäste St. Peter bevölkern. Laut würde es werden, bis in die Nacht hinein würde man Autos und Lachen und Musik hören. Die Bade- und Kurgäste kamen nicht nur zur Erholung, sondern auch, um den Alltag zu vergessen, so wie an fast allen Urlaubsorten. Die neuentdeckte Jodsolequelle in St. Peter tat das Ihre, die Reservierungen rissen nicht ab. Es war, als ob die Leute die Nachwirkungen des Kriegs hinaushusten wollten, die Lungen freibekommen von der Last der Vergangenheit. Vom Schutt, Staub und der Dunkelheit der Trümmerjahre.

Rena schaute in den Himmel und seufzte plötzlich.

»Rena, was ist denn los?« Die Freundin sah auf einmal nachdenklich aus.

Abwesend schaute Rena in den Himmel. »Hallo, Rena?« Anni winkte vor ihrem Gesicht herum.

»Ja.«

»Was ist denn? Was hast du denn?«

»Ach Anni.« Rena verschränkte die Arme.

»Ja?«

»Meinst du, es ist richtig, Gerhard zu heiraten?«

Anni war verblüfft. »Wie bitte?«

»Jetzt ist es bald so weit, und eigentlich kenne ich Gerhard ja gar nicht. Wenn man es zusammenzählt, haben wir uns nur ein paarmal gesehen, und einmal waren wir gemeinsam mit Muttchen und Tante Adelheid für drei Tage in Hamburg, um die restliche Aussteuer auszusuchen. Mutti hat zwar eine Aussteuertruhe für mich, aber sie sagte, sie würde ihre einzige Tochter nicht ohne eine komplette Ausstattung für zwölf Personen in den eigenen Hausstand entlassen, weißt du noch? Weil wir doch in Wien immer viele Gäste haben werden, Empfänge geben müssen, und ich soll die Damen der Gesellschaft kennenlernen und zur Teestunde bitten.«

»Aber du hast doch erzählt, wie schön der Ausflug war«, erinnerte sie Anni. »Ihr seid an der Alster spazieren gegangen, habt Austern gegessen, und abends wart ihr auch mal allein zu zweit …«

»Ja, das stimmt.« Rena sah sie an. »Das war ja auch sehr nett. Erst mal.« Sie schaute kurz zum offenen Fenster der Backstube und beugte sich dann nach vorn. Nicht dass der Vater da plötzlich stand.

»Was meinst du mit ›erst mal‹?« Nun beugte sich auch Anni nach vorn. Aus dem Wohnzimmer im ersten Stock hörte man das Gelächter von Lore und Adelheid. Eine von ihnen drehte nun das Radio lauter, und Dean Martins Stimme ertönte. That’s amore … Mit Sicherheit würden die Gläser noch mal mit Eierlikör gefüllt werden.

Nun flüsterte Rena. »Ich hab dir ja auch erzählt, dass …«

»Schschsch«, machte Anni. »Nicht doch.« Sie deutete auf das offene Fenster.

»Ich habe … also …«, Rena rückte den Stuhl weiter in Annis Richtung. »Wir haben es nicht getan.«

»Wie bitte? Aber du hast mir doch erzählt, ihr hättet.«

»Ja, schon. Es war mir eben peinlich vor dir. Es war so komisch, Anni. Wir waren allein im Hotelzimmer, und ich wollte wirklich, weil es ja bestimmt besser ist, vorher mal auszuprobieren, wie das so ist.«

»Ja?«

»Gerhard war auf einmal so unfreundlich.«

»Was heißt das?«

»Weil ich plötzlich nicht mehr wollte. Aber ich wollte einfach nicht. Mir war das zu viel, dann darf ich das ja wohl sagen. Und dann … Gerhard war so rücksichtslos. So rabiat. Hat überall hingelangt und so. Ganz ehrlich, Anni, macht man das? Ich hab ihn weggestoßen, und da sagte er, ich sei unterkühlt und spröde, und das müsse sich aber ändern. Und jetzt weiß ich gar nicht mehr, was richtig ist.«

So konnte sich Anni den formvollendet galanten Gerhard gar nicht vorstellen.

»Du und Hinnerk, ihr habt ja schon, oder?«, fragte Rena nun.

»Das weißt du doch. Und ich bin dir sehr dankbar, dass du mir damals aus Hamburg Kondome mitgebracht hast.« Rena war der einzige Mensch außer Hinnerk, der wusste, dass Anni keine Jungfrau mehr war.

»Himmel. Die Kondome. Wenn das meine Eltern wüssten. Muttchen würde die ganze Flasche Eierlikör auf einmal trinken, wenn sie erführe, dass ihre brave Tochter an einem Kondomautomaten gestanden hat. Bei Dunkelheit bin ich heimlich da hin.« Rena schüttelte den Kopf. »Anni, was soll ich denn jetzt machen?«

Das wusste Anni auch nicht. »Liebst du ihn denn?«

»Das weiß ich ja auch nicht. Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Ich war ja noch nie mit einem Mann zusammen. Also, so richtig.«

»Dann hast du mich also angelogen«, stellte Anni fest und verschränkte die Arme. »Wir haben uns doch mal versprochen, immer ehrlich zueinander zu sein, schon als Kinder.«

»Annilein, nun hab dich nicht so. Mir war es einfach unangenehm, das zuzugeben. Nun stell dir bitte mal vor, wie durcheinander ich war. Wärst du doch auch, oder nicht?«

»Schon«, sagte Anni. »Aber vor mir musst du dich doch nicht genieren. Wir sind doch Freundinnen. Ist schon gut, ich versteh es ja. Viel wichtiger ist, was du jetzt tun sollst. Wenn du noch nicht mal weißt, ob es Liebe ist.«

Das Gelächter von oben wurde lauter. »Prost!« Mutter und Tante ging es gut.

Und unten am Fenster der Backstube tauchte nun Renas Vater auf. »Musst im Laden helfen, Rena. Ist rappelvoll. Die Kruse schafft das nicht allein.«

»Verflixt und zugenäht.« Rena stand auf. »Sehen wir uns morgen?«

»Morgen geht es nicht. Ich bin den ganzen Tag im Hotel eingeteilt, ab dem Frühstück.«

»Nur kurz. Ich würde das so gern zu Ende besprechen«, bat Rena.

»Ich versuch’s. Komm einfach am frühen Abend vorbei.«

Auf dem Heimweg ging Anni einen kleinen Umweg und bei Hinnerk vorbei, der gerade Urlaub hatte und das Dach seines Elternhauses neu deckte. Er sah sie von oben kommen und kletterte die Leiter hinunter.

»Moin, Anni. Na, bist du gar nicht im Hotel?«

»Nein, ich wollte mal sehen, wie es hier vorangeht. Gut sieht es aus.«

»Muttchen wollte ja ums Verknusen kein Reet mehr«, sagte Hinnerk. »Weil sie immer Angst hat, dass ihr das Haus überm Kopf abbrennt, seitdem dieser dicke Direktor aus Berlin hier war und mit seinen Zigarren sein ganzes Zimmer in Brand gesteckt hat.«

Hinnerks Mutter Frederika war ähnlich ängstlich wie Gerda, hinter allem vermutete sie das Schlimmste.

»Das sind wir Kriegsfrauen«, sagte Isa immer wissend. »Es gibt nur wenige, die das haben gut aushalten können und gut im Verdrängen sind.«

»Es sieht aber wirklich gut aus, moderner als Reet«, sagte Anni. »Ich hab ja immer noch vor, meinen Vater umzustimmen, was die Renovierung der Seeperle betrifft, ich hab dir doch davon erzählt …«

Hinnerk grinste und fuhr sich durch die kurzen, dunklen Haare. »Nicht nur einmal, Anni.«

»Das Reetdach will ich dann wohl behalten, es passt so gut zum Haus«, sagte Anni. »Aber es muss erneuert werden.«

»Da bin ich dabei«, sagte Hinnerk, holte ein Tuch aus seinem Arbeitsanzug und wischte sein schweißnasses Gesicht ab.

»Aber erst mal muss dein alter Herr zustimmen, vorher löpt nix.«

»Ich weiß«, nickte Anni.

»Du, demnächst ist doch Frühlingsfest. Da gehen wir doch hin«, sagte er nun fragend.

»Sicher«, sagte Anni, die wusste, was nun kommen würde.

»Eigentlich könnten wir doch da unsere Verlobung bekanntmachen, was denkst du?«

»Ach, Hinnerk, nun lass uns doch nicht alles übers Knie brechen.«