Die Gefangennahme des Paul Beck - Matthias McDonnell Bodkin - E-Book

Die Gefangennahme des Paul Beck E-Book

Matthias McDonnell Bodkin

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Beschreibung

Hier treffen Sie aufeinander: die erste Polizistin der Kriminalliteratur, Geheimpolizistin Dora Myrl, und der "Irisch Sherlock Holmes" Paul Beck. Spannend, witzig und voller Überraschungen. Beste britische, Pardon, irische Detektivgeschichten. Null Papier Verlag

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Matthias McDonnell Bodkin

Die Gefangennahme des Paul Beck

Matthias McDonnell Bodkin

Die Gefangennahme des Paul Beck

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Berta Pogson 1. Auflage, ISBN 978-3-962810-38-2

null-papier.de/472

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel – Ein An­trag

Zwei­tes Ka­pi­tel – Ein Freund in der Not

Drit­tes Ka­pi­tel – Haus­se und Krach

Vier­tes Ka­pi­tel – Aus den Klau­en des To­des

Fünf­tes Ka­pi­tel – Eine Ver­wand­lung

Sechs­tes Ka­pi­tel – Ver­lo­ren und ge­fun­den

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Die Ver­gel­tung

Ach­tes Ka­pi­tel – Der An­griff

Neun­tes Ka­pi­tel – Ver­tei­di­gung

Zehn­tes Ka­pi­tel – Die Fo­to­gra­fie mit Na­mens­zug

Elf­tes Ka­pi­tel – Der Le­bens­ret­ter

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Blin­der Alarm

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Tisch­rücken

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Eine War­nung

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Der Lie­be hol­der Traum

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Eine Par­tie Bridge

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein Waf­fen­still­stand

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein Kom­plott

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Ge­gen­kom­plott

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein Zu­sam­men­tref­fen

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Über­lis­tet

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Tri­umph

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Waf­fen­still­stand

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Wei­bes Wil­le

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – In die Fal­le ge­gan­gen

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – In Eile

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Erstes Kapitel – Ein Antrag

»Sa­gen Sie nicht glatt­weg ›n­ein‹, das ist al­les, was ich er­bit­te. Ich be­dau­re schon, dass ich da­von an­fing, es ist reins­te Ver­mes­sen­heit, und ich weiß nur zu gut, dass ich nicht wert bin, Ih­nen die Schuhrie­men zu lö­sen. Ha­ben Sie Mit­leid mit dem ar­men Kerl, der den Mund nicht län­ger hal­ten konn­te. Wei­sen Sie mich nicht ganz ab, las­sen Sie mir ein Fünk­chen Hoff­nung; dass Sie ›ja‹ sa­gen, ver­lan­ge ich ja gar nicht.«

»Sie ver­lan­gen nicht, dass ich ›ja‹ sage?«

Die­se Wor­te klan­gen in ei­nem lei­sen spöt­ti­schen La­chen aus. Der jun­ge Mann, der sich zu ei­nem völ­lig un­über­leg­ten An­trag hat­te hin­rei­ßen las­sen, hob nun zum ers­ten Mal die Au­gen zu dem Ant­litz des jun­gen Mäd­chens. Die Wan­gen er­glüh­ten un­ter sei­nem hei­ßen Blick, die zar­ten, sü­ßen Lip­pen zit­ter­ten lei­se, aber in den Tie­fen der kla­ren brau­nen Au­gen lach­te neckisch ein Schelm.

Eine wil­de, tol­le Hoff­nung er­fass­te sein Herz.

»Nor­ma, Nor­ma, ist es mög­lich? Willst du mich?«

»Sie ver­lan­gen ja gar nicht, dass ich ›ja‹ sage,« noch lei­ser als vor­her klan­gen die­se Wor­te.

Das war ge­nug, er hol­te sich die Ant­wort von den fri­schen Lip­pen, die sich ihm wil­lig bo­ten. Ein Won­ne­ge­fühl von Lie­be und Tri­umph durch­rann sei­ne Glie­der. Er hat­te ge­siegt; das Mäd­chen, nach dem sei­ne See­le ver­lang­te, war sein. Die gan­ze Welt ver­sank um die­se zwei, die jetzt die höchs­te Se­lig­keit des ir­di­schen Da­seins kos­te­ten, die über­wäl­ti­gen­de Se­lig­keit der ers­ten Lie­be.

»Ach du dum­mer Jun­ge,« sag­te sie und strich ihm mit zag­haf­ter Hand das Haar aus der Stirn, »du hät­test doch wis­sen müs­sen, dass ich dich mehr lie­be, als du mich je lie­ben kannst. Ich war­te­te ja nur auf dei­ne Fra­ge, um dir das zu ge­ste­hen.«

Ihm schwin­del­te vor Ent­zücken. »Sie liebt dich, sie liebt dich,« flüs­ter­te es in ihm. Er um­schlang sie fest und küss­te sie wie­der und wie­der, und die Ge­wiss­heit ih­rer Lie­be er­füll­te ihn mit na­men­lo­ser Won­ne, und in weltent­rück­ter Se­lig­keit ge­nos­sen sie den Au­gen­blick. Der schwach be­leuch­te­te Sa­lon mit sei­nen ge­dämpf­ten rei­chen Far­ben war wie der Tem­pel ih­rer Lie­be. Der Mann er­wach­te zu­erst aus die­sem Rausch des Ent­zückens, in un­ge­dul­di­ger Er­war­tung noch grö­ße­rer Won­nen. Dem Mäd­chen ge­nüg­te die glück­li­che Ge­gen­wart.

»Nor­ma,« flüs­ter­te er ihr in das klei­ne Ohr, »wann wol­len wir hei­ra­ten?«

»Nie, nie, wenn du mich so fest hältst. Ich fürch­te mich vor dir. Wir sind noch nicht ein­mal rich­tig ver­lobt, und du re­dest schon vom Hei­ra­ten. Vi­el­leicht hei­ra­ten wir nie­mals.«

»Was!« rief er mit ei­nem Stich der al­ten qual­vol­len Angst. »Du scher­zest. Na­tür­lich sind wir ver­lobt, das will ich dir schon be­wei­sen. Na, sind wir’s, oder nicht?«

»Ich kann mich ja nicht weh­ren, du bist stär­ker als ich. Aber ehe nicht mein Va­ter da­von weiß, be­trach­te ich mich nicht als ver­lobt. Ich habe ja kei­ne Mut­ter,« setz­te sie sehn­süch­tig hin­zu. »Ich habe die Mut­ter wohl nie so ent­behrt wie ge­ra­de jetzt.«

»Nun bist du mein, Lieb­ling, und dei­nen Va­ter will ich gleich be­nach­rich­ti­gen. Willst du hier war­ten, bis ich wie­der­kom­me?«

»Ja, ich will war­ten. Ich bin für nie­mand heut zu Hau­se. Aber merk dir eins, Phil, wenn Va­ter dich nicht will, will ich dich auch nicht. Du musst also sehr lieb mit ihm sein.«

»Da­rum mach dir kei­ne Sor­ge,« ant­wor­te­te er ver­trau­ens­voll schon an der Tür, »dein Va­ter und ich sind gute Freun­de.«

Als er hin­aus war, mach­te sie Licht und trat an den Spie­gel. Ei­tel­keit? – Weit ge­fehlt! Sie woll­te das Mäd­chen se­hen, das er lieb­te. In dem brei­ten Glas sah sie ein jun­ges Ge­schöpf, das ihr zu­erst fremd er­schi­en; nie vor­her hat­te sie die­ses Ge­sicht ge­se­hen, die­ses selt­sam süße Ge­sicht, glü­hend von wil­den Küs­sen, mit Au­gen, in de­ren Tie­fen das Mor­gen­rot der Lie­be schim­mer­te. Sie er­schrak fast vor dem Leuch­ten in ih­ren Au­gen, dreh­te schnell das Licht aus und warf sich in einen der tie­fen Ses­sel, zit­ternd vor un­be­stimm­ter Freu­de und Angst. – –

»He­rein!« rief die schar­fe Stim­me des Mr. Theo­phi­lus Lee, und voll fro­her Zu­ver­sicht be­trat Phil Ar­mi­ta­ge das ge­räu­mi­ge, be­hag­li­che Ar­beits­zim­mer. Groß, ma­ger und eckig er­hob sich Mr. Lee von sei­nem Zy­lin­der­bü­ro, ihn zu be­grü­ßen; doch in dem Gruß lag kei­ne Wär­me. Die kal­ten grau­en Au­gen blick­ten höf­lich, aber kühl fra­gend auf den Ein­dring­ling. Mr. Lee trug eine gol­de­ne Bril­le tief auf sei­ner lan­gen, schma­len Nase, schau­te aber ganz un­er­war­tet häu­fig über die Glä­ser hin­weg ge­ra­de in die Au­gen sei­nes Be­suchs.

Phil Ar­mi­ta­ges fröh­li­cher Mut be­gann zu sin­ken. So hat­te ihn Mr. Lee noch nie be­han­delt. Selbst ste­hend und ohne sei­nen Gast zum Sit­zen auf­zu­for­dern, nahm er eine fra­gen­de Hal­tung an, die deut­li­cher als Wor­te sag­te: ›Was ha­ben Sie hier zu su­chen? Sa­gen Sie es und ge­hen Sie.‹

»Es han­delt sich um Ihre Toch­ter, Mr. Lee,« stot­ter­te Phil.

»Mei­ne Toch­ter! So? Und was ist mit mei­ner Toch­ter, Mr. Ar­mi­ta­ge?« Kein Laut ver­riet, dass er den Zweck des Be­su­ches ahn­te; nur höf­li­ches Er­stau­nen, dass der jun­ge Mann et­was über sei­ne Toch­ter zu sa­gen habe.

Sein Ton sta­chel­te den Mut des Be­wer­bers an. »Ich kom­me zu Ih­nen, Mr. Lee,« sag­te er sehr ru­hig, »um Sie um die Hand Ih­rer Toch­ter zu bit­ten.«

Das Ant­litz des Äl­te­ren blieb völ­lig aus­drucks­los, er strich mit der ma­ge­ren Hand über den spit­zen Bart, als streich­le er einen Lieb­lings­hund. Plötz­lich tra­fen die kal­ten grau­en Au­gen über die Bril­lenglä­ser hin­weg die des jun­gen Man­nes. »Sie ha­ben schon mit mei­ner Toch­ter ge­spro­chen?« frag­te er scharf.

»Jetzt eben, vor we­ni­gen Mi­nu­ten.«

»Sie hal­ten das na­tür­lich für eh­ren­haft?«

»Ich ver­ste­he Sie nicht.«

»Ver­mut­lich nicht. Sie wis­sen doch, dass mei­ne Toch­ter mein ein­zi­ges Kind und eine rei­che Er­bin ist?«

»Dar­über habe ich nie nach­ge­dacht.«

»Aber die Tat­sa­che war Ih­nen be­kannt, als Sie hier­her ka­men und ihr den Hof mach­ten, und nach­dem Sie ihr das Ver­spre­chen ab­ge­lockt ha­ben, kom­men Sie zu mir und bit­ten um ihre Hand und ihr Ver­mö­gen.«

»Nein, nein; ich ver­si­che­re Ih­nen, ich ver­lan­ge nicht einen Pfen­nig.«

»Sie brau­chen sich hier durch­aus nicht als Thea­ter­held auf­zu­spie­len, Mr. Ar­mi­ta­ge, das macht auf mich gar kei­nen Ein­druck. Sie wis­sen recht gut, dass mein Geld einst mei­ner Toch­ter ge­hö­ren wird.«

Bei den letz­ten Wor­ten klang ein wär­me­rer Ton in sei­ner Stim­me. »Ich weiß wohl, dass man mich für hart hält, weil ich schwer ge­ar­bei­tet habe und auf ehr­li­che Wei­se ein großes Ver­mö­gen er­warb, das ich nicht un­nütz aus­ge­be. Aber nie hat mich je­mand einen har­ten Va­ter ge­nannt. Jun­ger Mann, Sie sa­gen, Sie lie­ben mei­ne Toch­ter, aber Sie lie­ben sie nicht halb so sehr wie ich. Al­les, was ich bin und habe, ge­hört ihr. Wenn Nor­ma einen Bett­ler oder einen Lum­pen hei­ra­ten will, so än­dert das nichts dar­an; aber sie soll we­der einen Bett­ler noch einen Lum­pen hei­ra­ten, so lang ich es ver­hin­dern kann.«

Der schmäch­ti­ge Alte häuf­te Be­lei­di­gung über Be­lei­di­gung auf den jun­gen Hü­nen, der ihn mit ei­nem Griff zer­bre­chen, mit ei­nem Schla­ge tö­ten konn­te. Phil biss sich die Lip­pen und ball­te die Fäus­te, um durch phy­si­sche An­stren­gung die hei­ße, wil­de Lei­den­schaft, die nach ei­nem Aus­weg rang, nie­der­zu­hal­ten. »Er ist ein al­ter Mann, er ist ihr Va­ter,« wie­der­hol­te er sich im­mer wie­der.

»Ich hof­fe, Mr. Lee,« sag­te er nach ei­ner Wei­le mit ei­ner so voll­kom­me­nen Ruhe, dass es ihn selbst über­rasch­te, »Sie hal­ten mich we­der für einen Bett­ler noch für einen Lum­pen. Ich habe eine sehr gute Stel­lung in Aus­sicht und be­sit­ze au­ßer­dem zwan­zig­tau­send Pfund für den An­fang.«

»Zwan­zig­tau­send,« höhn­te der alte Mann, »die­se Rie­sen­sum­me wa­gen Sie ge­gen die zwei­mal­hun­dert­tau­send, die mei­ne Toch­ter am Hoch­zeits­tag er­hal­ten wird. Eine gute Spe­ku­la­ti­on! Sie ver­ste­hen es, Ihren Vor­teil und Ihre Lie­be zu ver­ei­ni­gen. O, Sie brau­chen na­tür­lich kein Geld, ein un­ei­gen­nüt­zi­ger Mann braucht das ja nie, wenn er eine rei­che Er­bin hei­ra­ten will. Man nennt mich einen Geiz­hals, und wenn gei­zig sein heißt, dass man an die Macht und den Wert des Gel­des glaubt, dann bin ich ein Geiz­hals.«

Er­schöpft sank er auf sei­nen Stuhl, asch­grau, mit bläu­li­chen Lip­pen.

»Set­zen Sie sich,« sag­te er mit An­stren­gung und wies auf einen Stuhl, »wir wol­len zu Ende kom­men.« Er lehn­te sich zu­rück und wisch­te sich den kal­ten Schweiß von der Stirn, fuhr dann aber rück­sichts­los fort: »Ich will, dass mei­ne Toch­ter al­les ha­ben kann, was mit Geld zu er­kau­fen ist, und das ist bei­na­he al­les auf der Welt. Abra­ham Lam­man hat bei mir um die Hand mei­ner Toch­ter an­ge­hal­ten, und ich habe ihm mein Wort ge­ge­ben, wenn er ihre Ein­wil­li­gung er­lan­gen kann.«

Der jun­ge Ar­mi­ta­ge war durch die­se An­kün­di­gung auf das höchs­te über­rascht. »Ha­ben Sie Lam­man nicht ge­sagt, dass ich –«

»Sie?« un­ter­brach ihn der Va­ter. »Wozu soll­te ich Sie er­wäh­nen?«

»Ich mei­ne nur, er ist ein Freund von mir.«

»Heißt das, dass er nur mit Ih­rer Er­laub­nis hei­ra­ten darf?« Wie­der brach der Zorn bei ihm her­vor. »Ich sage Ih­nen hier­mit, jun­ger Mann, es ist mein Wunsch, dass mei­ne Toch­ter Lam­man hei­ra­tet, und ich bin durch­aus da­ge­gen, dass sie Sie hei­ra­tet. Wenn Sie ein­mal Hun­dert­tau­send Ihr ei­gen nen­nen, dann fra­gen Sie wie­der an. Und nun ge­hen Sie.«

»Darf ich Ihre Toch­ter noch spre­chen, ehe ich gehe?«

Mr. Lee starr­te ihn einen Au­gen­blick an, be­vor er ant­wor­te­te.

»Ge­wiss,« sag­te er kühl. »Sie wür­den es doch auf ir­gend­ei­ne Art zu­we­ge brin­gen, sie zu spre­chen. Am bes­ten jetzt gleich; auf mei­ne Toch­ter kann ich mich ver­las­sen.« Da­mit dreh­te er sich sei­nem Schreib­tisch zu, und Ar­mi­ta­ge ver­ließ nie­der­ge­schmet­tert das Zim­mer.

Das jun­ge Mäd­chen hör­te ihn die Trep­pe her­auf­kom­men und sprang auf. »Nun?« rief sie un­ge­stüm, »das hat lan­ge ge­dau­ert. Hat er –« Trotz der mat­ten Be­leuch­tung sah sie sein ver­än­der­tes Ge­sicht, und der schar­fe Blick der Lie­be deu­te­te den re­si­gnier­ten Aus­druck so­fort rich­tig.

»Was be­deu­tet das, Phil? Er hat dich doch nicht ab­ge­wie­sen? Seid ihr an­ein­an­der­ge­ra­ten? Schnell, sag mir al­les.«

»Dein Va­ter hat mich nie­der­träch­tig be­han­delt, Nor­ma,« sag­te er bit­ter. »Er nann­te mich au­ßer Mit­gift­jä­ger noch Bett­ler, Lump und Lüg­ner, und zwar mit dür­ren Wor­ten. Er wünscht, dass du den Mil­lio­när Abra­ham Lam­man hei­ra­test.«

Sie seufz­te nur lei­se.

»Wenn der Mil­lio­när nicht auf­ge­taucht wäre, hät­te ich viel­leicht eine Chan­ce ge­habt, so aber bin ich der Mit­gift­jä­ger, der nur nach dei­nem Ver­mö­gen trach­tet. Man kann ja gern ein Lump sein, wenn man nur über Mil­lio­nen ver­fügt. – Nein, das woll­te ich nicht sa­gen, denn Aby Lam­man ist ein gu­ter Freund von mir und brav und ehr­lich wie nur ei­ner.«

»Mir ist schon sein An­blick zu­wi­der,« ent­geg­ne­te Nor­ma.

»So willst du ihn nicht hei­ra­ten?« fleh­te er eif­rig.

»Nicht um al­les in der Welt! Wie kannst du fra­gen.«

»Mein Lieb­ling,« sag­te er be­ru­higt. »Dein Va­ter wird sich wohl erst ein biss­chen sträu­ben, aber bald ge­nug nach­ge­ben, wenn wir nur erst ver­hei­ra­tet sind. Je eher, de­sto bes­ser.«

Er zog sie bei die­sen Wor­ten an sich, und sie wi­der­streb­te ihm nicht; schon glaub­te er ge­won­ne­nes Spiel zu ha­ben.

»Phil,« flüs­ter­te sie, »wir müs­sen war­ten, das siehst du doch ein, nicht wahr? Ich kann nicht ge­gen Va­ters Wil­len hei­ra­ten. Mit der Zeit wer­de ich ihn schon über­zeu­gen, er kann mir ja nichts ab­schla­gen.«

»War­ten, war­ten,« rief er, »und wie lan­ge, Nor­ma?«

»Wie kann ich das sa­gen? Bis ich Va­ters Ein­wil­li­gung habe.«

»Und wenn er sie nie gibt?«

»O, das wird er doch, Phil, si­cher. Ich ken­ne ihn bes­ser als du.«

Das Ohr des Lie­ben­den hör­te die leich­te Zag­haf­tig­keit in ih­rem Ton. »Wenn er es aber nicht tut,« drang er wei­ter in sie, »willst du mir dann ver­spre­chen, in drei Mo­na­ten – nein, sa­gen wir in sechs Mo­na­ten mei­ne Frau zu wer­den? Willst du mir das ver­spre­chen?«

Sei­ne Wor­te klan­gen nicht wie eine Bit­te, son­dern als habe er ein Recht zu for­dern; da­ge­gen aber lehn­te sich et­was in ihr auf.

»Nein,« ant­wor­te­te sie kühl, »so et­was ver­spre­che ich nicht. Ich hei­ra­te nicht ge­gen den Wil­len mei­nes Va­ters.«

»Dann liebst du mich nicht, weißt gar nicht, was wah­re Lie­be ist.«

»Aber du weißt es!« gab sie spöt­tisch zu­rück. »Vor ei­ner Stun­de ba­test du de­mü­tig um einen lei­sen Hoff­nungs­schim­mer, und nun, wo ich dir tö­rich­ter­wei­se mei­ne Lie­be ver­ra­ten habe, be­lei­digst du mich!«

»Be­lei­di­ge ich dich, Nor­ma?«

»Ja, du sagst, ich sei falsch, un­be­stän­dig und wis­se nicht, was Lie­be sei. Also gut, dann wol­len wir nicht wei­ter dar­über spre­chen. Dann sind wir fer­tig mit­ein­an­der.«

»Da­mit bin ich wohl ent­las­sen?«

»Wie es Ih­nen be­liebt.«

»Le­ben Sie wohl, Miss Lee.«

»Le­ben Sie wohl.«

Er griff nach sei­nem Hut und Stock; im Grun­de sei­nes Her­zens fühl­te er wohl, dass er sie ver­letzt habe, und dass sie im Recht war. Er hät­te sich ohr­fei­gen kön­nen und sie auf den Kni­en um Ver­zei­hung bit­ten, aber der Trotz war grö­ßer als die gute Re­gung. Un­mu­tig, mit ge­senk­tem Blick ging er durch das Zim­mer zur Tür.

Sei­ne Hand fass­te schon den Griff, als eine lei­se Berüh­rung ihn auf­se­hen ließ. Ne­ben ihm war ihr er­rö­ten­des Ant­litz.

»Nein, nein,« rief sie, als er sie um­fas­sen woll­te. »Setz dich da­hin, nicht so nahe, und höre mich an. Ich kann es nicht er­tra­gen, dass wir so aus­ein­an­der ge­hen. Ich glau­be, dass du mich liebst – nein – bleib sit­zen – Va­ter hat dich sehr häss­lich be­han­delt, und ich darf dir nicht böse sein. Ver­su­che aber ein­mal die Sa­che mit mei­nen Au­gen zu se­hen. Ich lie­be Va­ter, und er liebt mich. An mei­ne Mut­ter kann ich mich nicht er­in­nern, er war mir Va­ter und Mut­ter, er hat mich nie ge­straft, nur ver­hät­schelt; er hat mich ge­pflegt, wenn ich krank war. Er wür­de mich auch jetzt es nicht ent­gel­ten las­sen, wenn ich dich mor­gen hei­ra­te­te.«

»Das sag­te er auch,« stöhn­te Phil. Er woll­te ehr­lich han­deln, ob­wohl sei­ne Hoff­nung im­mer mehr schwand.

»Ich wuss­te es, ohne dass er es mir sag­te. Er wür­de mir nicht zür­nen, aber es wür­de ihm das Herz bre­chen, wenn ich so we­nig Lie­be für ihn hät­te, dass ich ge­gen sei­nen Wil­len han­deln könn­te. Ich kann ihm sei­ne große Lie­be nicht so loh­nen.«

»Du bist ein En­gel, Nor­ma, und ich bin nicht wert, dei­ne Füße zu küs­sen.«

Vor ih­rem Lä­cheln schwand sei­ne De­mut, er zog sie in sei­ne Arme und küss­te sie – wenn auch nicht ge­ra­de auf die Füße.

»Willst du auf mich war­ten?« frag­te er flüs­ternd.

»Hun­dert Jah­re, Phil.«

»Hof­fent­lich nicht ganz so lan­ge,« rief er ent­setzt, und bei­de muss­ten la­chen. »Sag­te ich dir, dass dein Va­ter ein­wil­ligt, so­bald ich hun­dert­tau­send Pfund be­sit­ze?«

»Die hast du aber nicht, Liebs­ter?«

»Ich kann sie aber viel­leicht be­kom­men. Aby Lam­man sag­te mir mal, dass er zu­wei­len in ei­ner Wo­che so viel ver­dient.«

»Ach, Aby Lam­man!« Ab­nei­gung und Ver­ach­tung la­gen in ih­rem Ton.

»Ich wün­sche gar nicht, dass du ihn gern hast, Lieb­chen. Mir ist er aber ein gu­ter Freund ge­we­sen und er kann mir viel­leicht einen gu­ten Tipp ge­ben.«

»Trau’ ihm nicht.«

»Ich glau­be, ich ken­ne ihn sehr ge­nau. Nun wün­sche mir Glück und sag’ mir adieu.«

Der Ab­schied war lang und um­ständ­lich, und als sich end­lich die Haus­tür hin­ter ihm schloss, fand das jun­ge Mäd­chen ein klei­nes Me­dail­lon auf dem Trep­pen­läu­fer. Sie nahm es auf, öff­ne­te es und fand ihr ei­ge­nes Bild dar­in. »O, du glück­li­ches Mä­del,« flüs­ter­te sie, küss­te es und ver­barg es in ih­rem Kleid.

Zweites Kapitel – Ein Freund in der Not

»Was um al­les in der Welt bringt denn dich in die City, al­ter Freund? Aber herz­lich will­kom­men und dop­pelt will­kom­men, wenn ich dir die­nen kann.«

Herz­lich­keit klang aus je­dem Wort des großen Man­nes, und Treu­her­zig­keit sprach aus sei­nem brei­ten, gut­mü­ti­gen Ge­sicht.

»Setz dich, mein Jun­ge und steck dir ’ne Zi­gar­re an.« Er schob ihm einen Kas­ten hin. »Das mil­des­te, was es gibt. Du früh­stückst doch mit mir, was? Und wenn ich hier ir­gend et­was für dich tun kann, her­aus mit der Spra­che.«

Aby Lam­man mit sei­ner jo­via­len Stim­me und sei­ner mäch­ti­gen, un­ge­schick­ten Fi­gur war die Verzweif­lung der großen Schnei­der in Bond Street, und sein Kon­tor war wie der Mann selbst un­or­dent­lich und ge­müt­lich. In ei­ner Ecke la­gen An­gel­ge­rä­te, in ei­ner an­dern das Fut­te­ral mit den Golf­schlä­gern. Sein Aus­se­hen und sei­ne Um­ge­bung er­weck­ten Ver­trau­en.

Phil Ar­mi­ta­ge fühl­te nur zu gut den er­mu­ti­gen­den, er­fri­schen­den Ein­fluss die­ses Man­nes.

»Es ist ei­gent­lich eine Un­ver­schämt­heit von mir, Aby,« sag­te er, »über­haupt zu dir zu kom­men, denn ich habe so­eben her­aus­ge­fun­den, dass wir Ri­va­len sind.«

Ei­nen Mo­ment ver­düs­ter­te sich Lam­mans hei­te­res Ge­sicht und die Brau­en zo­gen sich fins­ter zu­sam­men. Sei­ne Selbst­be­herr­schung aber war be­wun­derns­wert. Er lä­chel­te und frag­te freund­lich und ru­hig: »Miss Lee?«

Ar­mi­ta­ge nick­te.

»Das habe ich ge­fürch­tet. Aber Phil, du kommst doch nicht etwa, um mich zu for­dern? Oder um zu ver­lan­gen, dass ich alle An­sprü­che auf­ge­be?«

»Das nicht ge­ra­de,« ant­wor­te­te Ar­mi­ta­ge. Er war froh, dass der an­de­re die Sa­che so leicht zu neh­men schi­en. »Mich ver­langt durch­aus nicht nach ei­nem Streit.«

»Das freut mich,« rief Lam­man fröh­lich mit sei­ner lau­ten Stim­me. »Freie Bahn, und der Bes­te ge­winnt. Ich habe das klei­ne Mä­del ver­zwei­felt lieb, das be­greifst du wohl, Phil.«

Bei den letz­ten, mit tie­fem Ernst ge­spro­che­nen Wor­ten fühl­te Ar­mi­ta­ge einen lei­sen Stich, wie einen Ge­wis­sens­biss. »Du tust mir von gan­zem Her­zen leid, ar­mer Kerl. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, dass dir die Sa­che so tief geht, aber ich bin mit Miss Lee ver­lobt.«

Die­se Neu­ig­keit brach­te Lam­man of­fen­bar ganz aus dem Gleich­ge­wicht. Er barg sein Ge­sicht in den Hän­den und saß lan­ge so. Dann sprang er auf und ging schwei­gend auf und ab.

»Phil,« sag­te er schließ­lich und leg­te ihm die Hand auf die Schul­ter, »ich leug­ne nicht, dass mir das sehr nahe geht, aber wenn ich sie nicht ha­ben kann, so gibt es kei­nen, dem ich sie eher gönn­te als dir. Bes­ten Glück­wunsch, al­ter Jun­ge. Wann wollt ihr hei­ra­ten?«

»Das weiß ich nicht. Of­fen ge­stan­den, der Va­ter will mich nicht, er möch­te lie­ber dich, oder viel­mehr dein Geld ha­ben.«

»Das kann ich be­grei­fen,« sag­te Lam­man lang­sam. »Du hast aber doch ge­nug zum Hei­ra­ten.«

»Ge­nug für Nor­ma, ge­wiss – aber nicht für den al­ten Lee. Er ver­langt als Min­dest­ver­mö­gen hun­dert­tau­send Pfund.«

»Das ist ja nicht so schwer zu er­lan­gen,« er­wi­der­te Lam­man et­was weg­wer­fend.

»Nicht für dich, dem al­les, was er an­fasst, zu Gol­de wird. Die­se Gabe habe ich lei­der nicht.«

»Man kann nicht al­les ha­ben,« sag­te der and­re bit­ter. »Du hast dein Teil. Ich wür­de ger­ne tau­schen.«

Ar­mi­ta­ge schi­en die Bit­ter­keit nicht zu be­mer­ken. »Sag mal, al­ter Freund,« be­gann er zö­gernd, »ich kam zu dir, weil ich glaub­te, dass du mir hel­fen könn­test. Es ist frei­lich nicht ganz fair, das weiß ich wohl, aber da du sag­test, dass du mich al­len an­dern vor­zie­hen wür­dest, könn­test du –«

»Was?« frag­te Lam­man un­ge­dul­dig, als der and­re stock­te.

»Na, ich dach­te, viel­leicht wür­dest du mir einen Tipp für die Fonds­bör­se ge­ben. Ich habe über zwan­zig­tau­send Pfund, die ich mor­gen in ir­gend­was, wozu du rätst, an­le­gen kann. Ich habe nie den Wunsch nach Geld ge­habt, aber jetzt seh­ne ich mich fast krank da­nach, um den al­ten Lee zu­frie­den­stel­len zu kön­nen.«

Lam­man be­trach­te­te ihn auf­merk­sam, wäh­rend ein selt­sa­mes Lä­cheln um sei­ne fest­ge­schlos­se­nen Lip­pen spiel­te. »Na, an über­großem Zart­ge­fühl scheinst du nicht zu kran­ken. Du ver­langst von mir, dass ich mir ein­fach die Gur­gel ab­schnei­de und dir zu dem ver­hel­fe, was ich selbst er­rei­chen möch­te.«

»Du hät­test doch kei­ne Chan­cen. Nor­ma sag­te mir, dass sie dich un­ter kei­nen Um­stän­den hei­ra­ten wür­de.«

»Das mag wohl sein, aber jun­ge Mäd­chen än­dern zu­wei­len ih­ren Sinn. Wenn sie aber dich ge­hei­ra­tet hat, ist das nicht mehr mög­lich, und dazu soll ich noch hel­fen?«

»Nein, das sollst du nicht, wenn du es so auf­fas­sest,« gab Ar­mi­ta­ge steif zu­rück. »Ich wer­de mein Heil al­lein ver­su­chen.«

»Im­mer lang­sam vor­an,« sag­te der gut­mü­ti­ge Lam­man. »Ich habe we­der ge­sagt, dass ich dir nicht hel­fen will, noch dass ich es will; so et­was will reif­lich über­legt sein. Heu­te isst du erst mit mir, dann ge­hen wir ins Thea­ter und mor­gen um zwölf er­neu­ern wir die Sit­zung. Bis da­hin kein Wort wei­ter von der gan­zen Ge­schich­te.«

Ar­mi­ta­ge fand in Lam­man den frei­ge­bigs­ten und an­ge­nehms­ten Wirt wie bei frü­he­ren Ge­le­gen­hei­ten, und als sie nach dem aus­ge­zeich­ne­ten Früh­stück, eine gute Zi­gar­re im Mun­de, Pall Mall hin­un­ter schlen­der­ten, füh­le Ar­mi­ta­ge sich vol­ler Zu­ver­sicht. –

Am nächs­ten Tage, als Ar­mi­ta­ge zur be­stimm­ten Stun­de im Kon­tor er­schi­en, war Lam­man ge­mes­sen und ernst. Schwei­gend reich­te er ihm die Zi­gar­ren­kis­te. Lam­mans Zi­gar­ren wa­ren mit Recht be­rühmt, und schwei­gend rauch­ten sie wohl fünf Mi­nu­ten lang. Dann sag­te Lam­man lang­sam: »Hör mal, mein Jun­ge, ich wünsch­te, du ließest mich mit der Ge­schich­te in Ruhe.«

»Wie du willst,« sag­te Ar­mi­ta­ge kurz.

»Ich bin nur in Sor­ge dei­net­we­gen.«

»O, um mich mach dir kei­ne Ge­dan­ken. Ich sehe, dass du et­was Gu­tes weißt.«

»Et­was, das ich für gut hal­te. Das ist aber im­mer­hin noch kei­ne Ga­ran­tie für ab­so­lu­te Si­cher­heit.«

»Gibt es denn die über­haupt an der Fonds­bör­se?«

»Nein, das wohl nicht, we­nigs­tens nicht bei großen Sa­chen.«

»Lässt du dich selbst dar­auf ein?«

»Selbst­ver­ständ­lich.«

»Dann tue ich es auch; das heißt, wenn du es er­laubst.«

»Bit­te, sei nicht böse, wenn ich dich dar­auf auf­merk­sam ma­che, dass ein Ver­lust, den ich leicht ver­schmer­zen kann, dich rui­nie­ren wür­de.«

»Ich wer­de die Fol­gen tra­gen.«

»Dann mei­net­we­gen,« sag­te Lam­man, »des Men­schen Wil­le ist sein Him­mel­reich. Ehr­lich ge­stan­den,« füg­te er wie wi­der­stre­bend hin­zu, »glau­be ich nicht, dass ein großes Ri­si­ko da­bei ist. Aber ich ma­che eine Be­din­gung.«

»Schieß los.«

Der große Mann war au­gen­schein­lich ver­le­gen. »Ar­mi­ta­ge,« be­gann er schließ­lich, »ich sage dir ganz ehr­lich, ich habe noch nicht alle Hoff­nung auf Nor­ma Lees Hand auf­ge­ge­ben und wer­de das auch nicht tun, bis ihr ver­hei­ra­tet seid. Wenn die­ser Coup ge­lingt, willst du sie dann vom Fleck weg hei­ra­ten?«

Der an­de­re nick­te.

»Das passt mir nicht in mei­nen Plan; ich ver­lan­ge auch eine Chan­ce für mich. Jun­ge Mäd­chen än­dern ih­ren Sinn.«

»So ist Nor­ma nicht.«

»Um so bes­ser für dich, das er­leich­tert dir die Be­din­gung. Willst du ver­spre­chen, wenn du dies Spiel ge­winnst, sechs – na, sa­gen wir drei Mo­na­te zu war­ten?«

Ei­nen Au­gen­blick zau­der­te Ar­mi­ta­ge. »Es gilt,« sag­te er und streck­te die Hand aus.

Lam­man er­fass­te sie mit kräf­ti­gem Druck. »Nun ans Ge­schäft,« sag­te er mun­ter. »Nach mei­nen In­for­ma­tio­nen muss man jetzt Amal­gama­ted Gold Sha­res kau­fen. Du hast doch von der Ge­sell­schaft ge­hört?«

»Of­fen ge­stan­den nein!«

»Na, du küm­merst dich ja auch nicht um die Bör­se. Amal­gama­ted Gold ge­hört seit vie­len Ta­gen zu den be­gehr­tes­ten Pa­pie­ren an der Bör­se. Eine An­zahl Ame­ri­ka­ner ha­ben ein paar Mi­nen, gute und schlech­te, alte und neue, zu­sam­men­ge­fasst und trei­ben sie in die Höhe. Die Fünf­dol­laran­tei­le stan­den nach acht Ta­gen auf zehn, nach ei­ner Wo­che fie­len sie al­ler­dings wie­der auf fünf. Ich glau­be aber, dass sie nur um so hö­her wie­der stei­gen wer­den.«

»Ich ver­ste­he,« sag­te Ar­mi­ta­ge, »die Mi­nen er­wei­sen sich als bes­ser, als man er­war­te­te.«

Lam­man be­trach­te­te ihn mit gut­mü­ti­gem Spott. »Du bist sehr grün, mein Jun­ge! Die Mi­nen oder das Gold sind ganz ne­ben­säch­lich, die Leu­te auf dem Markt, die reichs­ten und bes­ten in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten, be­rei­ten, wie ich glau­be, eine neue Haus­se vor, und ich will von An­fang an da­bei sein.«

»Ich auch.«

»Du auch, wenn du’s ris­kie­ren willst. Jetzt heißt es kau­fen, kau­fen und noch mal kau­fen. Hier ist das Te­le­gramm für mei­nen Agen­ten in Ame­ri­ka. Die Chif­fren sind ganz ein­fach, wenn man den Schlüs­sel hat. Ich will die Nach­richt gleich selbst auf­ge­ben, denn jetzt be­deu­ten Mi­nu­ten viel­leicht schon Tau­sen­de.«

»Kannst du auch für mich kau­fen?«

»Nein, du musst dich an dei­nen ei­ge­nen Mak­ler hal­ten. Aber sei vor­sich­tig, dass du mich nicht ver­rätst, sonst geht am Ende die Kar­re in den Dreck.«

»Du kannst dich auf mich ver­las­sen. Wann soll ich an­fan­gen?«

»Am bes­ten so­fort.«

Sie gin­gen zu ei­nem ru­hi­gen klei­nen Te­le­gra­fen­bü­ro, wo Lam­man das Te­le­gramm auf­gab. Ar­mi­ta­ge sah mit großem Er­stau­nen, dass der Be­am­te, der es in Empfang nahm, eine merk­wür­di­ge Ähn­lich­keit mit ihm selbst hat­te. Ar­mi­ta­ge war glatt ra­siert und der Be­am­te trug einen klei­nen Schnurr­bart und spit­zen Ba­cken­bart. Im­mer­hin war die Ähn­lich­keit so auf­fal­lend, dass es ihm son­der­bar er­schi­en, dass we­der Lam­man noch der Be­am­te sie be­merk­ten.

Lam­man trenn­te sich dort von ihm, und er ging al­lein zu sei­nem Mak­ler.

Mr. Sam­son, ein erns­ter, ge­wis­sen­haf­ter, sil­ber­haa­ri­ger Mann, war sehr er­staunt, als Phi­lip Ar­mi­ta­ge ihn be­auf­trag­te, für ihn bis zu zwan­zig­tau­send Pfund Amal­gama­ted Gold Sha­res zu kau­fen.

»Das ist eine große Sum­me,« warn­te er vä­ter­lich, »Amal­gama­ted Gold gilt für ein Spe­ku­la­ti­ons­pa­pier.«

»Ich tra­ge die Verant­wor­tung,« er­wi­der­te Ar­mi­ta­ge.

»Sie ha­ben mir aber kei­nen ge­nau­en Auf­trag ge­ge­ben. Wie weit soll ich ge­hen? Soll ich ge­gen bar oder auf Rech­nung kau­fen?«

»Da­von ver­ste­he ich nichts, Mr. Sam­son. Kau­fen, kau­fen und wei­ter­kau­fen, so weit die zwan­zig­tau­send rei­chen. Al­les and­re über­las­se ich Ih­nen.«

»Er scheint sei­ner Sa­che sehr si­cher,« dach­te Mr. Sam­son. »Da will ich auch ein biss­chen was ris­kie­ren.« So kauf­te er erst ein­mal ein gu­tes Teil der be­zeich­ne­ten Ak­ti­en für sich, ehe er Phil Ar­mi­ta­ges Auf­trag aus­führ­te.

Drittes Kapitel – Hausse und Krach

Zum ers­ten Mal in sei­nem Le­ben stu­dier­te jetzt Phil Ar­mi­ta­ge die Bör­sen­be­rich­te. Flüch­tig glitt sein Blick über die Spal­ten der Zei­tung – Par­la­ment und Sport – de­nen sonst sein In­ter­es­se ge­gol­ten hat­te, und haf­te­te an dem Be­rich­te über den Geld­markt.

In den ers­ten Ta­gen blieb Amal­gama­ted Gold ganz ru­hig, dann be­gann ein lei­ses Schwan­ken auf- und ab­wärts über die Pa­ri­li­nie und all­mäh­lich ging es ru­hig und si­cher in die Höhe. Ein Ach­tel, ein Vier­tel, ein Halb wur­de er­reicht, und im­mer wei­ter stie­gen die Ak­ti­en. Ar­mi­ta­ge ge­nüg­ten die Zei­tungs­be­rich­te nicht mehr, er ver­folg­te die neues­ten Mel­dun­gen im Klub. Die fie­ber­haf­te Auf­re­gung der Spie­ler rann auch durch sei­ne Adern. Bald zog die Haus­se all­ge­mei­ne Auf­merk­sam­keit auf sich, tol­le Gerüch­te ka­men auf, und bil­de­ten das Ta­ges­ge­spräch im Klub.

Un­ser Freund Phil lä­chel­te über­le­gen, wenn er sol­che Un­ter­hal­tun­gen mit an­hör­te, er ge­hör­te ja zu den Ein­ge­weih­ten, und die tö­rich­ten Be­mer­kun­gen der Au­ßen­sei­ter mach­ten ihm Spaß. Ei­nes Ta­ges traf er Lam­man zu­fäl­lig auf der Stra­ße.

»Na,« sag­te die­ser, als Ar­mi­ta­ge ihm warm die Hand drück­te, »bist du zu­frie­den?«

»Wer­den sie noch wei­ter stei­gen?« frag­te Ar­mi­ta­ge.

Lam­man lach­te sein gut­mü­ti­ges, dröh­nen­des La­chen. »Wie kann ich das sa­gen? Ich bin kein Pro­phet. Aber wenn du zu den jet­zi­gen Prei­sen ver­kau­fen willst, so neh­me ich dei­nen klei­nen Vor­rat, du wirst mir wohl die Vor­hand las­sen, was? Spie­len und job­bern1 ist nichts für jun­ge Leu­te, das fällt auf die Ner­ven.«

»Was tust du denn?« frag­te Phil.

»Ich kau­fe,« sag­te Lam­man mit ei­nem er­mu­ti­gen­den Zwin­kern und ras­te da­von.

Für den Au­gen­blick war Phil zu­frie­den und be­ru­higt; er fühl­te aber doch, wie sehr die Sa­che ihm auf die Ner­ven ging. Als ei­nes Ta­ges die Fünf­dol­laran­tei­le auf elf stan­den, ging er zu sei­nem Mak­ler.

Mr. Sam­son emp­fing ihn mit über­großer Lie­bens­wür­dig­keit.

»Ich gra­tu­lie­re, Mr. Ar­mi­ta­ge,« sag­te er, »Sie ha­ben eine fei­ne Nase ge­habt. Sie ver­zei­hen wohl, dass ich Ih­nen ab­ge­ra­ten habe, aber ich ahn­te ja nicht, dass Ih­nen so et­was liegt.«

Phil Ar­mi­ta­ge war noch sehr jung. Ihm schmei­chel­te das Kom­pli­ment, als habe er wirk­lich et­was Wun­der­ba­res voll­bracht.

»Na­tür­lich, Herr Sam­son,« er­wi­der­te er mit über­le­ge­ner Mie­ne. »Ich kam nur her­ein, um mal zu hö­ren, wie ich ste­he.«

»Sehr gern,« ant­wor­te­te der Mak­ler. »Jen­kins,« rief er in das große Bu­reau, »bit­te brin­gen Sie mir mal Mr. Ar­mi­ta­ges Kon­to.«

Er schlug das Buch auf dem Tisch auf. »Las­sen Sie uns mal se­hen. An dem Tag, als Sie uns die Or­der ga­ben, kauf­ten wir zwei Par­ti­en zu –«

Ar­mi­ta­ge un­ter­brach ihn höf­lich. »Be­mü­hen Sie sich nicht um die Ein­zel­hei­ten. Kön­nen Sie mir sa­gen, wie ich jetzt ste­he – ich mei­ne, wie viel mir dies Ge­schäft ein­bringt, wenn ich jetzt ver­kau­fe?«

»Sie glau­ben also, dass der Hö­he­punkt er­reicht ist?« frag­te Mr. Sam­son ängst­lich und mit lä­cher­li­cher Un­ter­wür­fig­keit.

Ar­mi­ta­ge lä­chel­te ge­heim­nis­voll und schüt­tel­te den Kopf. »Das habe ich nicht ge­sagt. Ich wünsch­te nur eine un­ge­fäh­re Aus­kunft.«

»Ver­zei­hen Sie, wenn ich in­dis­kret war. Ei­nen Au­gen­blick.« Er rech­ne­te eif­rig mit sei­nem gol­de­nen Blei­stift auf ei­nem Stück Pa­pier. »Hier ha­ben Sie eine Auf­stel­lung. Wir ha­ben zwan­zig­tau­send An­tei­le für Ihre Rech­nung ge­kauft. Der Durch­schnitts­ge­winn ist un­ge­fähr sechs Dol­lar. Wenn Sie jetzt ver­kau­fen wol­len, Mr. Ar­mi­ta­ge, so macht das einen Ge­winn von cir­ca vier­und­zwan­zig­tau­send Pfund.«

Ar­mi­ta­ge war sprach­los. In ei­ner Wo­che vier­und­zwan­zig­tau­send Pfund und in ei­nem Mo­nat wa­ren es viel­leicht hun­dert­tau­send. Man­che Zei­tun­gen pro­phe­zei­ten ja ein im­mer wei­te­res Stei­gen. Er fühl­te, dass er sei­nen Freund Lam­man um Rat fra­gen müs­se, denn er war ja un­er­fah­ren wie ein neu­ge­bo­re­nes Kind in sol­chen Din­gen. Und doch schmeck­te die Hil­fe des groß­mü­ti­gen Freun­des ein we­nig bit­ter; sein Ego­is­mus hat­te sein Ge­wis­sen be­täubt, das ihn mahn­te, es sei un­edel, ge­ra­de die­sen Mann um Hil­fe an­zu­ge­hen.

»Soll ich für Sie rea­li­sie­ren?« frag­te Mr. Sam­son.

»Nein, Mr. Sam­son. Ich will noch nicht ver­kau­fen. Amal­gama­ted wer­den wohl noch wei­ter hin­auf­ge­hen. Sie hö­ren in ein paar Ta­gen von mir.«

Er wun­der­te sich selbst über die ru­hi­ge Ge­las­sen­heit, mit der er sich von dem Mak­ler ver­ab­schie­de­te. Wie ge­tra­gen durch das große Glück schritt er da­hin. Plötz­lich aber durch­zuck­te ihn ein Ge­dan­ke. Die­ser gan­ze große Reich­tum war Zau­ber­gold, das eben­so rasch zer­rann, wie es ge­won­nen wur­de. Schon war er ein paar Schritt rück­wärts ge­gan­gen, um den Mak­ler mit dem Ver­kauf zu be­auf­tra­gen, da wink­te er sich einen Wa­gen her­an und gab dem Kut­scher Lam­mans Adres­se.

Lam­man war au­gen­schein­lich er­freut über sei­nen Be­such.

»Hab’ dich halb und halb er­war­tet. Nun?« Das eine Wort ent­hielt un­end­lich viel.

»Ich wäre schon längst ge­kom­men, wenn ich nicht fürch­te­te, dich zu stö­ren,« sag­te Ar­mi­ta­ge et­was ver­le­gen. »Du bist ein Zau­ber­künst­ler. Wie kann ich dir dan­ken?«

»Ist nicht der Rede wert. Ein klei­ner Tipp kos­tet mich ja nichts. Ich bin ja selbst be­tei­ligt, und hof­fe noch mehr da­mit zu ma­chen.«

Da­rauf biss Ar­mi­ta­ge so­fort an. »Du wür­dest mir also auch ra­ten, noch län­ger ab­zu­war­ten?«

»Nein,« ant­wor­te­te Lam­man ge­mes­sen. »Ich gebe dir kei­nen Rat; die Verant­wor­tung über­neh­me ich nicht. Du sollst mir kei­ne Vor­wür­fe ma­chen kön­nen, wenn durch ir­gend einen Zu­fall die Sa­che schief geht.«

Ar­mi­ta­ge lä­chel­te und glaub­te zu ver­ste­hen.

»Du glaubst nicht, dass die Pa­pie­re fal­len wer­den?«