1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,00 €
Für Liebhaber des Detektivgenres und der viktorianischen Literatur ist 'Kriminalfälle von Detektiv Paul Beck & Detektivin Dora Myrl' ein absolutes Muss. Matthias McDonnell Bodkin präsentiert dem Leser eine Welt voller Geheimnisse, Intrigen und unerwarteter Enthüllungen. Sein meisterhaftes Geschichtenerzählen und die fesselnden Charaktere machen dieses Buch zu einem zeitlosen Klassiker, der die Leser auf eine packende Reise durch das viktorianische London mitnimmt. Wenn Sie auf der Suche nach einem literarischen Leckerbissen sind, der sowohl intellektuell anspruchsvoll als auch unterhaltsam ist, dann sollten Sie 'Kriminalfälle von Detektiv Paul Beck & Detektivin Dora Myrl' unbedingt lesen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Books
Das Urteil der Leichenschau lautete: »Lätitia Woodriff ist an Morphiumvergiftung gestorben. Es liegt uns kein genügender Beweis vor, wie sie das Gift genommen oder wer es ihr beigebracht hat. Wir können daher nur den durch den Verlust seiner Tochter so schwer betroffenen Vater, Herrn Woodriff, unsrer aufrichtigen Teilnahme versichern.«
Die Leichenschau war außer stande gewesen, das geheimnisvolle Rätsel zu ergründen. Nachdem die Leute ihren Wahrspruch abgegeben hatten, verließen sie mit geräuschlosem Tritt und ernster Miene das Trauerhaus. John Woodriff aber schlich leise, als fürchte er, sein totes Kind zu wecken, in das Zimmer zurück, wo die schöne Leiche lag. Mit ängstlicher Scheu berührte er das kalte, weiße Händchen auf dem Deckbett und sah in das ruhige Antlitz, dessen bleiche Lippen noch im Tode lächelten. Die holde Tochter, der Liebling und die Freude seines Herzens, schien ihm auf einmal in so unermeßliche Ferne entrückt, daß selbst seine Gedanken ihr nicht folgen konnten. Es war nicht mehr sein Kind, mit dem ihn die innigste Liebe verbunden hatte, das kalt und leblos vor ihm lag. Ein reiner, heiliger Engel schwebte durchs Zimmer. Seine warmherzige, muntere und zärtliche Letty hatte er auf immer verloren.
Voll leidenschaftlichen Schmerzes beugte er sich über sie und drückte ihr einen Kuß auf die starren Lippen. Bei der eiskalten Berührung ging es ihm wie ein Stich durchs Herz und er fühlte die ganze Qual des Verlustes von neuem, obgleich seine Tochter schon vor zwei Tagen gestorben war. Sein Gesicht in den Kissen vergrabend, auf denen die Tote ruhte, brach er in ein erschütterndes Schluchzen aus.
Da ging leise die Tür auf und der Kopf eines jungen Mädchens mit abgehärmten, bleichen Zügen und roten Rändern um die Augen, zeigte sich in der Öffnung. »Vater,« rief eine sanfte Stimme voll Zärtlichkeit. Milly Woodriff trat an das Bett, neben dem ihr Vater von Gram überwältigt kniete, schlang ihre Arme um seinen Hals und versuchte ihm Trostesworte ins Ohr zu flüstern, wiewohl ihr selbst das Herz fast vor Kummer brach.
»Vater, lieber Vater, weine doch nicht so,« sagte sie. »Letty könnte ja im Himmel nicht selig sein, sähe sie deinen Schmerz; sie war ja immer so fröhlich, so gut und liebevoll. Es ist hart und schwer zu ertragen, das weiß Gott. Aber wir beide sind uns doch noch geblieben; wir können füreinander leben und uns liebhaben, bis wir einst unser verlorenes Herzblatt wiedersehen.«
Der tiefgebeugte Mann gab wie ein müdes Kind ihrem zärtlichen Drängen nach und ließ sich von ihr aus dem Zimmer führen. »Gott sei Dank, Milly, daß ich dich noch habe!« flüsterte er, während sie Hand in Hand nebeneinander in dem stillen Wohnzimmer saßen, wo selbst das Sonnenlicht jetzt nur Trauer zu verbreiten schien. Da krallte ihm eine plötzliche Furcht die Brust zusammen und er drückte ihre Hand so fest, daß es ihr weh tat. »Großer Gott,« rief er, wie wahnsinnig vor Angst, »muß ich sie auch noch hergeben?«
Lange saß er schweigend da, ohne einen Blick von ihr zu wenden, und streichelte ihr braunes, seidenweiches Haar, Endlich raffte er sich mit Anstrengung auf wie jemand, der einen besondern Zweck im Auge hat. »Ist niemand mit der Bahn angekommen, Milly?« fragte er.
»Der Zug kann kaum hier sein, Vater,« erwiderte sie, mit dem Blick die Standuhr auf dem Kaminsims streifend, »und von der Stadt ist's noch eine gute halbe Stunde bis zu uns. Erwartest du einen Gast?«
»Ich habe vorgestern nach London telegraphiert an einen Geheimpolizisten namens Paul Beck. Wir waren zusammen auf der Schule und damals sehr befreundet; doch haben wir uns seitdem nicht wiedergesehen. Er gilt für den scharfsinnigsten Mann in seinem Beruf und ich hoffte, er werde noch rechtzeitig zur Leichenschau eintreffen. Wenn irgend jemand entdecken kann, wie unsre arme Letty ums Leben gekommen ist, so wird er es herausbringen.«
»Was kann es aber nützen, Vater, wenn wir uns jetzt noch damit ängstigen und quälen? Die Wunde wird nur immer von neuem bluten und unser Herzblatt bringt es uns doch nicht zurück.«
»Ich gäbe gleich meine rechte Hand darum, Milly,« erwiderte er mit einer Leidenschaft, die sie erschreckte, »wenn ich wüßte, wie die arme Letty den Tod gefunden hat.«
Es entstand eine Pause. Dann fragte Woodriff plötzlich: »Wo ist Anna?«
»Auf ihrem Zimmer, Vater; sie ist ganz fassungslos und hat seither weder gegessen, noch geschlafen. Anna ist in mancher Beziehung noch wie ein kleines Kind, und sie hat Letty so liebgehabt.«
»Geh zu ihr, mein Herz, ihr könnt einander am besten trösten. Es läßt mir keine Ruhe, bis ich weiß, ob Beck angekommen ist; da will ich ihm lieber eine Strecke weit entgegengehen.«
Woodriffs Haus war ein hohes Backsteingebäude, das, an einem bewaldeten Abhang gelegen, nach dem Meere hinausschaute. Etwa drei Meilen landeinwärts lag die große, blühende Stadt Deringham, wo Woodriff sich als Maschinenbauer sein Vermögen erworben hatte, das ihn in den Stand setzte, sich Haus und Park zu kaufen und hier am Seegestade, für das er schon seit seiner Knabenzeit schwärmte, ein behagliches Leben zu führen. Auf der Landstraße einherschreitend, hatte er schon den halben Weg nach der Stadt zurückgelegt, als eine Droschke rasch an ihm vorüberfuhr. Ein schläfrig aussehender Mann, der Woodriff wie ein Handlungsreisender vorkam, saß darin bequem zurückgelehnt. Etwa zwanzig Schritt weiter hielt die Droschke plötzlich still; ihr träger Insasse sprang wie ein Schulknabe heraus und kam spornstreichs zurückgelaufen.
»Kennst du mich nicht mehr, John?« rief er, Woodriff herzlich die Hand entgegen streckend, »Ich habe dich auf den ersten Blick erkannt.«
Der Angeredete starrte ihn einen Augenblick ganz verwirrt an; bald ging ihm aber ein Licht auf. »Was, du bist doch nicht etwa der kleine Paul Beck?« rief er.
»Ich bin so gewiß Paul Beck, als du John Woodriff bist. Vor mancher Tracht Prügel hast du mich in der Schule bewahrt, wo ich unter den kleinen Buben war, während du zu den großen gehörtest. Es tut mir herzlich leid, John, daß wir uns aus so traurigem Anlaß zum ersten Male wiedersehen.«
»Du hast also meine Depesche erhalten?«
»Und deinen Brief; beides zu gleicher Zeit. Ich war gerade verreist, als das Telegramm einlief, sonst würde ich zur Leichenschau gekommen sein. Was ist denn das Ergebnis?«
»Fahrlässige Morphiumvergiftung.«
Beck sah ihm forschend ins Gesicht. »Ist das auch deine Meinung?«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.«
»Du bist ja furchtbar angegriffen und schüttelst dich wie im Fieber. Nicht der Kummer allein beherrscht dich, sondern eine quälende Angst. Ich will die Droschke fortschicken; im Gehen redet sich's am besten. Zwischen vier Wänden ist man nie so sicher, unbelauscht zu sein.«
Eine Weile gingen die beiden Männer schweigend nebeneinander her, bis links ein Pfad abbog, der geradeswegs nach dem Strand hinunterführte. Ohne ein Wort zu sagen, verließen sie die Landstraße. Woodriff hielt den Blick zu Boden gesenkt, der Ausdruck seines Gesichts war besorgt und kummervoll; von Zeit zu Zeit schaute ihn Beck an und mühte sich, seine Gedanken zu erraten. Jetzt standen sie an einer Stelle, wo sich der platte Strand in breiter Fläche vor ihnen ausdehnte. Bis an den Horizont lag das Meer zu ihren Füßen; die klaren Wellen brachen sich kräuselnd und schäumend auf dem Sand und hinter ihnen stiegen die schwarzen Klippen steil in die Höhe.
»Was peinigt dich so?« fragte Beck plötzlich, während sie dicht am Uferrand hinschritten.
»Die Furcht.«
»Furcht – wovor?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich schwebe in Todesangst, daß meine Tochter Milly, jetzt mein einziges Kind, mir auch noch entrissen werden könnte. Letty war nicht die erste, die an Gift gestorben ist. Mir graut bei dem Gedanken, sie könnte vielleicht nicht die letzte sein.« Er bebte an allen Gliedern.
Beck ergriff seinen Arm. »John,« sagte er mit fester Stimme, »wenn ich dir helfen kann, so würde ich es schon um der alten Zeiten willen tun. Du siehst die Dinge wohl schwärzer, als sie wirklich sind. Bitte, sage mir offen heraus, was du fürchtest und was du weißt.«
»Es ist eine lange Geschichte, Paul.«
Den alten Schulgefährten kam es ganz natürlich vor, sich beim Taufnamen zu nennen und denselben Ton gegeneinander anzuschlagen, wie vor fünfundzwanzig Jahren. »Ich habe keine Eile. Erzähle mir's nur auf deine Weise, aber behalte nichts für dich.«
»Vor einem Jahr starb meine älteste Tochter Barbara plötzlich in Süddeutschland, wo sie in Pension war. Das Telegramm ging verloren und man hatte sie schon begraben, als ich ankam. Der Arzt meinte, sie sei einem Herzleiden erlegen. Damals glaubte ich ihm; es lag kein Grund vor, daran zu zweifeln. Aber jetzt bin ich überzeugt, daß sie auch mit Morphium vergiftet worden ist, wie meine arme Letty. Der Verlauf war der ganz gleiche. Noch am Morgen fühlte sich Barbara völlig gesund und frühstückte mit den andern Mädchen. Dann ging sie in ihr Zimmer, um Briefe aus England zu lesen, die sie erhalten hatte. Eine Stunde später fand man sie mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl zurückgesunken. Man glaubte zuerst sie schlafe, aber sie war tot.«
»Und deine Tochter Letty starb auf ähnliche Weise?«
»Genau so. Ihre Zwillingsschwester Milly war mit Anna Coolin, ihrer Cousine, die bei uns auf Besuch ist, zu einer Gesellschaft von jungen Leuten am andern Ende der Stadt geladen, wo sie über Nacht bleiben wollten. Letty aber hatte die Einladung ausgeschlagen, um mich nicht allein zu lassen. Wir frühstückten miteinander und sie war wie immer lustig und guter Dinge, dann gingen wir zusammen aus. Wo der Pfad zum Seestrand abzweigt, trennten wir uns. Letty erwartete einen Brief von einer früheren Schulgefährtin und schlug den Weg nach der Stadt ein, um dem Briefträger zu begegnen. Ich ging zum Meer hinunter mit der Absicht, ein paar Makrelen zu fangen. An der Biegung der Straße warf mir Letty noch eine Kußhand zu. Ich sollte sie nicht mehr lebendig wiedersehen.
»Als ich nach einigen Stunden heimkehrte, fand ich das ganze Haus in Schmerz und Unruhe. Die beiden Mädchen waren eben nach Hause gekommen und hatten Letty quer über das Bett hingestreckt gefunden, als sei sie plötzlich umgefallen – sie war tot. Die Leichenschau erkannte auf Morphiumvergiftung. Sie müsse beinahe zehn Gran reines Morphium zu sich genommen haben, erklärte der Doktor; das sei genug, um binnen dreißig Minuten den Tod herbeizuführen.«
»Hatten deine Töchter vielleicht ein Liebesverhältnis?«
»Ich habe nie von etwas Derartigem gehört. Sie sind noch sehr jung, kaum der Schule entwachsen. Letty hatte ihr achtzehntes Jahr noch nicht vollendet. Daß sie und Milly Zwillingsschwestern sind, sagte ich dir ja schon. Barbara war genau ebenso alt, als sie vor einem Jahr in Deutschland vergiftet wurde.«
»Es waren muntere, lebenslustige Mädchen, sagst du?«
»So vergnügt wie die Vögel in den Zweigen. Den Gedanken an Selbstmord laß nur ganz beiseite.«
»Wenn Selbstmord und Zufall ausgeschlossen sind, so käme ein Mord in Frage. Was für Leute waren im Hause, als deine Tochter Letty vergiftet wurde?«
»Nur langjährige treue Diener der Familie. Ebensogut könnte man mich selbst verdächtigen. Es läge ja auch gar kein denkbarer Beweggrund vor und alle hatten sie lieb.«
Die Art, wie er das Wort »Beweggrund« aussprach, machte Beck stutzig; er blieb plötzlich auf dem einsamen Strand stehen, wandte sich um und sah Woodriff voll ins Gesicht. »Du verbirgst etwas vor mir, John. Ist dir ein Beweggrund für das Verbrechen bekannt?«
»Ich weiß von keinem!«
»Aber du hast eine Vermutung Sei offen gegen mich, wenn ich dir helfen soll,«
»Der Gedanke ist so ungeheuerlich, daß ich ihn kaum zu fassen mag. Überdies ist es ja unmöglich.«
»Das zu beurteilen, mußt du mir überlassen. Erst wenn man die Unmöglichkeit aus dem Weg geräumt hat, kommt man zu dem, was möglich ist,«
»Um dir alles zu erklären, muß ich etwas weit ausholen: Wir Woodriffs waren fünf Geschwister, vier Brüder und eine Schwester. Robert, der älteste, wurde Arzt und ließ sich in Liverpool nieder. Sein einziger Sohn, Coleman Woodriff, erwählte denselben Beruf und erbte bei seines Vaters Tod die nicht sehr einträgliche Praxis. Mein zweiter Bruder Peter lebt seit dreißig Jahren in Chicago, wo es ihm gut geht. Er ist unverheiratet und verspricht jedes Jahr, uns zu besuchen. Mit dem, was ich dir erzählen will, hat er nichts zu schaffen. Der dritte Bruder bin ich und Dick war der jüngste. »Dick haßte Robert von Grund seiner Seele, aber er und ich waren die besten Freunde, bis es das Unglück wollte, daß wir beide dasselbe Mädchen liebten. Wir kämpften redlich zusammen, wie Brüder, um ihre Liebe und ich gewann den Preis. Meine arme Alice! Sie war die beste Frau, die je einen Mann beglückt hat, aber sie starb nach der Geburt der Zwillinge. Um ihretwillen waren mir die beiden Kleinen doppelt ans Herz gewachsen. Dick konnte seine Enttäuschung nicht überwinden. Es kam zu keinem Zerwürfnis zwischen uns, dazu war er ein viel zu rechtschaffenes Gemüt; aber er gab sein gutes Maklergeschäft in Liverpool auf und ging nach Australien, wo er vor drei Jahren gestorben ist. Er hatte sich auf die gewagtesten Spekulationen mit Grundstücken und Bauplätzen eingelassen, aber alles gelang ihm. Du kennst ja das Sprichwort: ›Unglück in der Liebe, Glück im Spiel.‹ So wurde er ein reicher Mann.
»Wir blieben in regem Verkehr bis zuletzt. Alle vier Wochen gab er mir Nachricht, Die Mädchen liebte er sehr; mehr im Andenken an Alice, glaube ich, als um meinetwillen. Alljährlich schickte er ihnen schöne Geschenke und bei seinem Tod hinterließ er ihnen sein gesamtes Vermögen, das sich fast auf eine Viertelmillion Pfund Sterling beläuft.«
»Allen drei zu gleichen Teilen?«
»Ja, oder falls eine sterben sollte, den Überlebenden, nachdem sie ihr achtzehntes Jahr erreicht hätten.«
Beck pfiff leise vor sich hin. »Wie aber, wenn keine achtzehn Jahre alt würde?« fragte er nach einer Pause.
»Darüber enthält das Testament keine Bestimmungen. Meinem Bruder Dick ist wohl eine solche Möglichkeit nicht in den Sinn gekommen. Aber ich habe einen Rechtsgelehrten darüber befragt und den Bescheid erhalten, daß, falls meine drei Töchter sterben, bevor sie das achtzehnte Jahr erreicht haben, das Testament meines Bruders keinen Wert mehr hat und das ganze Vermögen, das in Häusern und Ländereien besteht, dem Doktor Coleman Woodriff zufällt, der der gesetzliche Erbe des Verstorbenen ist.«
»Da haben mir ja einen klaren Beweggrund, der auch stark genug sein dürfte,« sagte Beck.
»Aber der Gedanke ist unsinnig,« versicherte Woodriff mit Bestimmtheit. »Selbst wenn man annehmen wollte, daß der Sohn meines Bruders ein solcher Teufel wäre, was ich für unmöglich halte, so kann er doch nichts damit zu tun haben. Er war in Liverpool, als Barbara vergiftet wurde. Er ist auch jetzt dort, während Letty hier an Gift gestorben ist.«
»Was für ein Mensch ist denn dieser Coleman Woodriff überhaupt?«
»Ein ganz braver und kluger Mann, wie ich höre, obgleich er nie auf einen grünen Zweig gekommen ist. Das wenige, was ich von ihm gesehen habe, hat mir nicht mißfallen. Meine verwitwete Schwester – seine Tante – Frau Coolin, die in Liverpool wohnt und ihn kennt, liebt ihn sehr. Ihre einzige Tochter Anna ist bei uns zu Besuch.«
»Was hält denn Anna von Doktor Coleman?«
»Sie mag ihn nicht leiden, das steht fest. Aber junge Mädchen sind oft unvernünftig. Anna ist ein schüchternes, stilles kleines Ding, zwei Jahre älter als Milly, doch würde man sie für viel jünger halten; sie ist unerfahren wie ein Kind und kennt die Welt noch wenig. Trotz ihrer Abneigung gegen Doktor Coleman, weiß sie doch nur Gutes von ihm zu berichten, Glaube mir, Paul, du tust am besten, ihn ganz aus dem Spiel zu lassen, wenn du der Sache wirklich auf den Grund kommen willst.«
Wieder schwiegen sie eine geraume Weile. »Hat denn deine Tochter Letty den Brief erhalten, welchen sie erwartete?« fragte Beck endlich.
»Ich weiß es nicht. Das Feuer in ihrem Zimmer war ausgegangen, aber in der Asche fand sich etwas verbranntes Papier.«
»Und nirgends wurde eine Spur von Gift entdeckt?«
»Nicht die geringste. Nach Aussage der Dienerschaft hat sie bei ihrer Rückkehr nichts gegessen. Ich habe ihre Tür gleich abgeschlossen in der Hoffnung, daß du kommen würdest.«
Es kostete den unglücklichen Vater offenbar die größte Anstrengung, auf Becks Fragen klaren, ruhigen Bescheid zu geben, während Schmerz und Furcht ihn zu überwältigen drohten. Schweigend und mit völlig ausdruckslosem Gesicht schritt Beck weiter, ohne den flehenden, hilfesuchenden Blick seines Gefährten zu beachten. Endlich ertrug es Woodriff nicht länger. »Um Gottes willen, Mensch, so sprich doch ein Wort!« rief er.
»Ich weiß nichts, was zu sagen der Mühe lohnte,« gab Beck kurz zur Antwort.
»Glaubst du, daß ein Bubenstück verübt worden ist und daß Milly Gefahr droht?«
»Ich fürchte es.«
Mit der Selbstbeherrschung des armen Vaters war es aus. »Hilf mir, Paul,« flehte er verzweifelt, »rette mir die geliebte Tochter, mein einziges Kind! Gott erbarme sich meiner! Nicht wahr, du wirst mir beistehen um unsrer alten Freundschaft willen?« Inniges Mitgefühl leuchtete aus Becks Zügen auf, die wie verwandelt erschienen. »Nimm dich zusammen, John,« sagte er, dem Schulkameraden herzlich die Hand drückend. »Du wirst deine ganze Kraft brauchen, bevor die Sache zum Austrag kommt. Wie alt ist deine Tochter Milly jetzt?«
»In einem Monat wird sie achtzehn Jahre.«
»Das kürzt unser Geschäft ab. Könnte nicht dein älterer Bruder aus Chicago – Peter heißt er ja wohl? – dir auf der Stelle seinen Besuch machen?«
Woodriff starrte ihn an, als hätte er plötzlich den Verstand verloren.
»Ich meine, kann ich deinen ältesten Bruder vorstellen und etwa einen Monat lang bei dir im Hause wohnen, ohne Verdacht zu erregen?«
»Ganz gewiß. Niemand kennt ihn hier und alle sind davon unterrichtet, daß ich ihn längst erwarte.«
»Also, das ist abgemacht. Übermorgen wird dein Bruder Peter ganz überraschend aus Chicago eintreffen. Aber merke wohl, außer uns beiden soll niemand um das Geheimnis wissen. Keine Seele darf ein Wort davon erfahren.«
»Auch Milly und Anna nicht?«
»Unter keiner Bedingung. Sie müssen mich alle für Peter Woodriff halten. Heute möchte ich aber noch einen Blick in das Zimmer werfen, wo deine Tochter gestorben ist, ehe ich nach der Stadt zurückkehre.«
»Wenn du als Peter kommen willst, solltest du dich lieber vorher gar nicht hier zeigen,« warf Woodriff klüglich ein.
»Weiß irgend jemand, daß du den Geheimpolizisten Beck hierher berufen hast?« »Nur meine Tochter Milly.«
»So wird es doch gut sein, wenn ich erscheine; es schadet auch gar nichts, daß ich sowohl mit Paul Becks, als mit Peter Woodriffs Augen Umschau halte. Ich glaube schwerlich, daß eine der jungen Damen oder sonst jemand mich bei meinem nächsten Besuch erkennen wird. Wie sieht denn übrigens dein Bruder Peter aus?«
»Man sagt, daß er mir gleiche; nur ist er größer.«
Im Hause zeigte sich Milly Woodriff sehr schüchtern und ängstlich in Gegenwart des Detektivs aus London. Die sonst so stille Anna Coolin sorgte dagegen freundlich für ihn, leistete ihm bei der Mahlzeit Gesellschaft und führte ihn nach dem Zimmer, wo noch die Leiche ihrer Cousine lag.
»Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein, Herr Beck?« fragte sie und schaute ihn mit ihren unschuldsvollen blauen Augen wehmütig an. »Ich habe die arme Letty sehr liebgehabt.«
»Davon bin ich überzeugt, mein Kind,« versetzte er in sanftem Ton. »Aber ich tue meine Arbeit am liebsten allein.«
Beck verschloß die Tür von innen und machte sich sogleich ans Werk. Nichts entging seinen raschen Blicken, seinen flinken Händen. Zuletzt fegte er noch den Staub vom Fußboden in einen Winkel und untersuchte ihn genau; dann ließ er die Asche im Kamin durch seine Finger laufen. Er fand darin ein blaues Glaskügelchen, das an einem Ende zu einer langen Nadel geschmolzen war, und ein halbverbranntes Stückchen von einer weißen Pappschachtel. Im Kehricht entdeckte er einen kleinen gewundenen Goldring von geringem Wert, ein schmales Endchen weißes ausgezacktes Band, ein Gewirr von hellfarbigen Seidenfäden nebst vielen Stecknadeln und Haarnadeln, Diese Schätze zeigte er John Woodriff in der hohlen Hand, bevor er Abschied nahm.
»Es sollte mich wundern, wenn ich nicht hier ein paar Buchstaben des Rätselworts hätte; nur muß es mir gelingen, sie aus dem Plunder herauszulesen,« sagte er.
Zwei Tage später ließ sich ein großer, starkknochiger Mann, der, nach Anzug, Gestalt und Sprache zu urteilen, nur ein Jankee sein konnte, bei Herrn John Woodriff melden. Im ersten Augenblick war Woodriff ganz verblüfft. Als der Fremde ihn jedoch in seiner näselnden Sprache also anredete: »Wahrhaftig, John, du kennst deinen eigenen Bruder Peter nicht mehr. Und ich bin doch um die halbe Erde 'rum gefahren, weil ich dich mal wieder zu Gesicht bekommen wollte,« da faßte er ihn bei der Hand und hieß Beck mit großer Herzlichkeit willkommen.
Dieser hatte sich für seine Rolle wunderbar herausstaffiert. Peter Woodriff aus Chicago war ein hochgewachsener Mann, fast drei Zoll größer als Herr Beck, dem er nicht im geringsten glich. Um die Augen und den Mund hatte er eine starke Familienähnlichkeit mit John Woodriff, die jedermann sogleich auffiel; man erkannte beim ersten Blick, daß sie Brüder waren. Als die beiden Mädchen gerufen wurden, um den Onkel Peter zu begrüßen, kamen sie schnell mit ihm auf vertrauten Fuß. Er war so klug und dabei so lieb und gut. Als er von ihrem Kummer hörte, zeigte er sich tief betrübt und bahnte sich damit den Weg zu aller Herzen.
Von Tag zu Tag wuchs ihre Liebe zu dem Onkel, der gegen beide Nichten die Güte selber war, doch schien Anna Coolin sein Liebling zu sein. Aus der früher so lustigen, lebensfrohen Milly Woodriff lastete der Verlust ihrer Zwillingsschwester noch zentnerschwer. Wenn sie auch von Zeit zu Zeit auf Augenblicke ihren Gram vergaß und ihre feurigen dunkeln Augen wieder wie früher aufleuchteten, wenn sie einen der komischen Späße des Onkels mit heiterem Scherzwort erwiderte oder ein lustiges Liedchen zu trällern begann, so verstummte doch der fröhliche Laut gleich wieder, und der Glanz verschwand aus ihren Augen, weil die Erinnerung an ihren nie endenden Kummer von neuem erwachte. Anna war eine viel ruhigere Natur. Selbst der Schmerz konnte sie nicht aus ihrem stillen Gleichmut bringen. Sie bildeten einen merkwürdigen Gegensatz, der große, derbe, weltkluge Mann und das harmlose, kleine, unschuldige Mädchen, aber jedenfalls fühlten sie sich sehr zu einander hingezogen.
Peter Woodriff sah sich von Anfang an in den engsten Familienkreis aufgenommen. Er spielte seine Rolle so ganz natürlich, daß John Woodriff, dem jede Verstellung fremd war, sich häufig darauf ertappte, daß er unwillkürlich mit ihm sprach und sogar an ihn dachte, als ob er wirklich sein Bruder wäre. Während Peter Woodriff seine Nichte Anna mit Freundlichkeit überhäufte, bewies sie ihm ihre Zärtlichkeit durch allerlei kleine vertrauliche Mitteilungen über ihr Leben daheim in Liverpool, die ihn höchlich zu interessieren schienen. Daß sie ihren Vetter Coleman nicht leiden könne, gestand sie ganz offen; nach einer Weile stellte sich auch heraus, daß der Doktor der schüchternen Kleinen den Hof gemacht und sie durch seine Bewerbungen erschreckt hatte. Ein andermal machte sie sich Vorwürfe, ob sie auch ihrem armen Vetter in der Gunst des reichen Onkels nicht geschadet habe, klagte, daß sie so vorurteilsvoll sei, lobte die Herzensgüte und Tüchtigkeit des jungen Doktors und erzählte zum Beweis allerlei Geschichten von seiner Behandlung armer Patienten.
So vergingen der trauernden Familie mehrere Wochen auf möglichst angenehme Weise. Die heilende Zeit hatte die erste heiße Qual ihres Kummers gestillt und selbst die Furcht, die in John Woodriffs Herzen lauerte, halb eingeschläfert. Onkel Peter schien übrigens mehr Gefallen an der Gesellschaft seiner Nichten, als an der seines Bruders John zu finden, der ihn ruhig gewähren ließ. Häufig gingen die Mädchen dem Briefträger entgegen, wenn er die Postsachen aus der Stadt brachte, und der Onkel versäumte es nie, sie auf diesen Gängen zu begleiten. Nach dem zweiten Drittel des Wegs gelangte man zu einer Säule mit einem roten Briefkasten. An diese gelehnt, pflegte der Onkel seine Zigarre zu rauchen, während die Mädchen sich vom Postboten ihre Briefe einhändigen ließen.
An einem Oktobermorgen – es war ein denkwürdiger Tag für alle Beteiligten – fiel die Ernte an Briefen besonders reichlich aus; auf Millys Teil kam überdies noch als schönster Preis eine keilförmige Schachtel mit Hochzeitskuchen, die zierlich in weißes Papier gewickelt und mit einem hellblauen Siegel verschlossen war. Beglückt eilten die Mädchen mit ihren Schätzen nach Hause zurück, setzten sich im Wohnzimmer ums offene Feuer, erzählten einander, was in den Briefen stand, und lasen sich einzelne Stellen vor, während Onkel Peter, in die Zeitung vertieft, mit der Zigarre im Schaukelstuhl saß.
Den Hochzeitskuchen hatte Milly als Bestes bis zuletzt aufbewahrt. Die Pappschachtel war nach hergebrachter Weise mit einem schmalen, weißen, ausgezackten Bändchen zugebunden. In der Schachtel lag eine Visitenkarte, auf der die Namen in Silberdruck standen; den Namen der Braut durchbohrte ein silberner Pfeil.
»Luise Thompson!« rief Milly überrascht und enttäuscht. »Sieh nur Anna, was soll das heißen? Ich kenne doch keine Luise Thompson.«
»Vielleicht hat sie Freunde, die dich kennen und dir den Kuchen geschickt haben. Jedenfalls ist die Adresse ganz richtig und der Kuchen sieht sehr verlockend aus.«
»Du sollst die Hälfte haben,« sagte Milly großmütig; »hier nimm ihn und teile selbst.«
Anna nahm die Schachtel und teilte den Kuchen sehr bedächtig mit einem Falzbein in zwei Teile, legte ihn auf einen Briefbogen und warf die Schachtel nebst ihren Hüllen ins Feuer. Dann schob sie Milly das Papier so hin, daß diese den größeren Teil bekam. Die dunklen, keilförmigen Kuchenstücke mit dem dicken Rand von Zuckerguß sahen auf dem weißen Papier höchst appetitlich aus. Milly wollte eben ihr Stück ergreifen, als Onkel Peters große Hand so plötzlich dazwischenfuhr, daß die Mädchen erschraken.
Er faßte das Papier an einer Ecke und drehte es ruhig um, so daß Annas Stück vor Milly und Millys Stück vor Anna lag. »Tu hast wohl nichts dagegen, mit Milly zu tauschen, Ännchen? Tu' es mir zu Gefallen.«
Mehr sprach er nicht, aber er sah sie dabei an. Ihre rosigen Wangen verfärbten sich, und sie wurde geisterbleich bei diesem Blick. Plötzlich, als wäre ihm die Maske abgefallen, erkannte sie Herrn Becks Gesicht und sah Becks Augen unverwandt auf sich gerichtet.
Sie stieß einen Schrei aus, ergriff das Papier mit dem Kuchen und wollte es ins Feuer werfen. Aber eine feste Hand umklammerte ihr Gelenk, während mit der andern Onkel Peter sich des Kuchens bemächtigte, indem er gelassen sagte: »Nur nicht so hastig, Anna, nicht so hastig! Wenn du jetzt das Stück Kuchen noch nicht essen magst, will ich es verwahren, bis es gebraucht wird.«
Er ließ ihre Hand los und sie glitt wie ein Schatten aus dem Zimmer.
Der ganze Auftritt hatte sich so rasch abgespielt, daß Milly nichts davon verstand. »Was hast du denn Anna getan, Onkel?« rief sie erstaunt. »Und wo ist mein schönes Stück Kuchen hin?«
»Wir haben nur einen kleinen Scherz miteinander gehabt, Anna und ich,« erwiderte er ruhig. »Der Kuchen würde dir, glaube ich, nicht gut bekommen sein, Milly.« Damit schlenderte er langsam zur Tür hinaus.
*
»Es ist schauderhaft, kaum menschenmöglich! Ein so teuflischer Plan!« sagte John Woodriff, als ihm zehn Minuten später der Vorfall in seinem Studierzimmer mitgeteilt wurde, »Bist du auch deiner Sache gewiß, Paul?«
»Nichts in der Welt ist mir gewisser,« sagte Beck mit tiefem Ernst.
»Ich kann es nicht glauben. Das schüchterne, bescheidene, unschuldige kleine Ding! Die arme Letty. Und auch Milly, die ihr immer so lieb war!«
»Ja, so lieb, wie die lustigen kleinen Vögel der Katze mit den Samtpfötchen. Ich habe es gleich von Anfang an gemerkt, daß sie ihre Klauen nur versteckte.«
»Aber wenn du so sicher bist, warum hast du sie nichts gleich festgenommen?«
»Weil ich mein Netz erst herausziehen will, wenn es ganz voll ist.« »Aber sie wird uns entkommen, und dann –«
Beck legte ihm die Hand auf die Schulter. »Tritt vom Fenster weg,« flüsterte er. »Jetzt sieh dorthin.«
Eine Mädchengestalt glitt rasch und sachte wie ein Gespenst um die Hausecke und verschwand. »Sie ist entflohen,« rief Woodriff aufgeregt.
»Nur kaltes Blut,« sagte Beck. »Sie läuft fort, um ihren Brief in den Kasten an der roten Säule zu stecken. Keine Stunde wird vergehen, und sie ist wieder hier.«
Die Wartezeit schien endlos lang. Es war ihnen, als hätte es drei Stunden gedauert, statt einer, bis sie die schlanke Gestalt um die Ecke schlüpfen und ins Haus zurückkehren sahen. Mehrere Türen wurden leise geöffnet und geschlossen, und gleich darauf verkündete ein leichter Schritt im oberen Stockwerk, daß Anna Coolin wieder in ihrem Zimmer war.
»Jetzt ist die Reihe an mir,« sagte Beck. »Warte hier auf mich,«
Und ohne ein Wort der Erklärung schritt er in größter Eile über den Rasenplatz davon. John Woodruffs zweite Wartezeit war kürzer, allein er verging fast vor Ungeduld. Ehe noch eine Stunde um war, trat Beck keuchend vom raschen Lauf wieder ins Zimmer.
»Ich habe mein Netz herausgezogen und den Fisch gefangen,« sagte er und nahm aus der Tasche ein Netz von dünnen Seidenfäden, die so fein waren wie ein Spinngewebe. In den fast unsichtbaren Maschen hing ein Brief. »Ein schlauer, aber höchst einfacher Kunstgriff, den ich dem geschicktesten aller Postdiebe abgelernt habe. Man steckt das Netz in die Spalte des Briefkastens, und wer nichts davon weiß, sieht die Fäden nicht. Hier die Springfeder aus feinem Draht hält das Netz offen und alle Briefe fallen hinein. Gleich heute morgen, nachdem der Hochzeitskuchen abgegeben wurde, habe ich meine Vorrichtung angebracht – es war nicht das erste Mal. Noch fünf andre Fische hatten sich außer diesem gefangen; die habe ich alle wieder zurückgeworfen. An wen glaubst du wohl, daß der Brief gerichtet war, John?«
»An Dr. Coleman Woodriff in Liverpool.«
»Richtig geraten. Und Fräulein Anna hat die Adresse geschrieben, zwar mit etwas zitteriger Hand, aber es ist doch unverkennbar ihre Schrift. Jetzt werde ich mir die Freiheit nehmen, nachzusehen, was Anna Coolin ihrem Vetter, der ihr so widerwärtig ist, mitzuteilen hat.« Er öffnete den Brief ohne weiteres und las:
»Einzig Geliebter!
Im letzten Augenblick ist noch alles entdeckt worden. Der Mann, von dem ich Dir schrieb, Onkel Peter, hat sich als ein verkleideter Detektiv entpuppt. Eben wollte Milly den Kuchen in den Mund stecken, da griff er ein. Im selben Moment erkannte ich ihn und las in seinen Augen, daß er alles weiß. Durch welche Teufelskunst es ihm gelungen ist, das wohlbewahrte Geheimnis zu erraten, ahne ich nicht. Glaube mir, Geliebter, ich bin nicht schuld daran. Rette, rette Dich, solang es noch Zeit ist. Von mir werden sie nichts erfahren, darauf kannst Du Dich verlassen. Du warst mein einziges Glück auf der Erde; Dich zu verlieren ist mein einziger Kummer, nun ich sie verlasse. Wenn diese Zeilen Dich erreichen, bin ich nicht mehr am Leben. Den schlauen Detektiv habe ich, trotz seiner Klugheit, überlistet. Ich fand den vergifteten Kuchen, den er versteckt hatte, und – –«
Beck las nicht weiter; eine Verwünschung auf den Lippen stürzte er aus dem Zimmer und die Treppe hinauf. John Woodriff folgte ihm auf den Fersen. Er klopfte an Anna Coolins Tür. Dann drückte er auf die Klinke. Das Zimmer war verschlossen. Ohne Zögern rannte er mit der Schulter gegen die Tür, daß sie krachend zerborst. Drinnen war es ganz still. Hinter den hellen Kattunvorhängen lag Anna Coolin auf der weißen Decke, hold und schön, wie eine reine Lilie – sie war tot. Die reiche Fülle ihres hellblonden Haares lag wie ein Heiligenschein lose auf ihrem Kissen ausgebreitet, ein zärtliches Lächeln spielte um ihre bleichen Lippen. Sie sah aus wie ein von Meisterhand gemeißeltes Bild der schlafenden Unschuld.
Die beiden Männer, die auf sie niederschauten, überkam fast ein Gefühl des Mitleids – so groß ist die Zaubergewalt, die die Schönheit auszuüben vermag.
»Wir kommen zu spät,« sagte Beck endlich mit leiser Stimme. »Es ist wunderbar, daß eine Teufelin so sehr einem Engel gleichen kann.«
»Gott sei Dank, daß es nicht meine arme Milly ist, die dort liegt,« erwiderte Woodriff tief erschüttert. »Dies verruchte Mädchen hat selbst für sich die Todesart gewählt, die sie ihr zugedacht hatte. Sie hat sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, aber der Mann, von dem sie zu dem Verbrechen verführt wurde – –«
»Der soll nicht leer ausgehen. Ich bringe ihn an den Galgen,« fiel ihm Beck mit großer Zuversicht ins Wort.
Und so geschah es auch.
»Könnten Sie wohl einen Abstecher nach Irland machen, Herr Beck?«
»Warum nicht?«
»Vielleicht schon heute abend mit dem Postschiff?«
»Gewiß. Was soll ich denn aber tun, wenn ich drüben bin?«
»Es ist eine peinliche Angelegenheit,« sagte der gutherzige Herr Warmington, »Lassen Sie mich Ihnen alle Einzelheiten kurz erzählen, dann werden Sie selbst am besten beurteilen können, was für Schritte zu tun sind.«
Warmington war einer der reichsten und angesehensten Rechtsanwälte in London; ein großer, kräftiger Mann, für gewöhnlich die gute Stunde selbst und der beste Kamerad. Aber heute lag eine düstere Wolke auf seiner so heitern Stirn und man sah ihm die Unbehaglichkeit und Verlegenheit am Gesicht an, während er, auf den Kaminsims gelehnt, wo an dem schwülen Herbstabend noch kein Feuer brannte, nachdenklich mit seiner schweren goldenen Uhrkette spielte.
»Eine peinliche Angelegenheit, Herr Beck,« wiederholte er und tat einen Zug aus dem mit gutem altem Portwein gefüllten Glase, das neben ihm auf dem Kamin stand. »Sie kennen doch meinen Schwager, den Baron Burton?«
Beck nickte mit ernster Miene. Er hatte von Baron Burton wenig Vorteilhaftes gehört. »Ja, ja, er hat seiner Familie leider viel Sorge gemacht. Meine Frau erinnert sich noch von ihrer Kinderzeit her an manchen stürmischen Auftritt, der vorfiel, ehe er ins Ausland ging. Nach unsrer Heirat habe ich für ihn getan, was in meinen Kräften stand; es hat leider nur wenig genützt. Er war damals schon ein angehender Fünfziger, aber zügellos wie ein junges Füllen, wenn auch nicht geradezu schlecht. Doch wie's so geht – vor acht Jahren fiel ihm ganz unvermutet ein Glück in den Schoß: er heiratete eine junge, schöne Erbin, die sich sterblich in den schon ältlichen Tunichtgut verliebt hatte. Solange sie lebte, blieb er auf geraden Wegen, und als sie vor etwa einem Jahr starb, war er trostlos. Wie unbedingt sie ihm vertraut hatte, bewies sie durch ihr Testament, das ihn zum alleinigen Erben ihres Vermögens einsetzte. Sie hinterließ ihm nicht nur alles Geld, sondern auch den Grundbesitz, weil sie ›fest überzeugt war, daß er für ihr teueres Kind, Florence, aufs liebevollste sorgen werde‹, wie sie schreibt.
»Zuerst hatte er auch den besten Willen, seine Pflicht zu tun, das muß man ihm lassen. Kaum zwei Wochen nach dem Tod seiner Frau kam er zu mir und bat mich, ihm eine Urkunde aufzusetzen, deren Bestimmungen sich nicht wieder umstoßen ließen; er wollte sein ganzes Besitztum in Wiltshire, das aus einer Jahresrente von fünftausend Pfund und einem schönen Haus mit Garten besteht, seiner kleinen Tochter verschreiben, während er für sich nur ein mäßiges Einkommen aus dem beweglichen Vermögen seiner Frau zurückbehielt. ›Ich kann mich nicht auf mich selbst verlassen, Warmington‹ sagte er, ›das ist das Kurze und Lange von der Geschichte. Wenn ich Geld habe, streue ich es gleich mit vollen Händen aus.‹ Natürlich trug ich Sorge, daß das Dokument von so bindender Kraft war, als das Gesetz es irgend zuläßt, und Burton unterschrieb es ohne ein Wort der Widerrede. Er schien sein kleines Mädchen wirklich sehr lieb zu haben; es mußte ihn überallhin begleiten, selbst ins Theater nahm er es mit. Meiner Frau – sie ist ihre Tante – ging die Kleine immer im Kopf herum, und da sie meinte, es würde ihr gut tun, eine Weile mit Kindern ihres Alters zusammen zu sein, lud sie sie letztes Jahr zum Weihnachtsfest ein; sie sollte die Bescherung und alle Freuden der Feiertage mit unsern Kindern teilen.
»Ihr Vater kam mit ihr von dem Landsitz in Wiltshire nach der Stadt herein und ließ sie bei uns; er selbst wollte jedoch nicht bleiben. Vielleicht war die Einsamkeit schuld, daß der alte Bummlergeist wieder in ihm erwachte. Er nahm seine früheren Gewohnheiten wieder von neuem auf, trieb sich in Winkeltheatern und Tingeltangeln herum, wo er öfters hinter als vor den Kulissen zu finden war. In einer Unglücksstunde machte er bei solcher Gelegenheit die Bekanntschaft von Fräulein Trixie Mordant, einer lebenslustigen und zugleich schlauen jungen Dame, die als Stern auf der Varietätenbühne glänzte. Sie werden Fräulein Trixie in rosa Trikot gewiß schon auf allen Plakatsäulen gesehen haben, Herr Beck.
»Wenn ein Mann, der nahe an Sechzig ist, sich noch einmal verliebt, so läßt er sich um den Finger wickeln. Das schlaue Geschöpf hatte ihn bald so weit, daß er ihr einen Heiratsantrag machte, und verlangte dann einen Ehevertrag, der ihr eine schöne Rente sicherte. Sie hatte ein Auge auf sein Besitztum in Wiltshire geworfen, aber er glaubte, daß er darüber nicht mehr verfügen könne, und ich hütete mich wohl, ihn darüber aufzuklären. Er war ganz außer sich, daß er so töricht gewesen war, das Gut seiner Tochter zu verschreiben. Dadurch war ihm die Möglichkeit geraubt, Fräulein Trixie, der Herrlichsten ihres Geschlechts, einen Beweis seiner Verehrung zu geben. Aber Fräulein Trixie zog ihrerseits Erkundigungen bei den Advokaten Sharkey & Snippit ein, den geriebensten Leuten in der ganzen City. Da kam denn natürlich alles zu Tage, und es dauerte nicht lange, so hatten sie meinen trefflichen Schwager über seine gesetzlichen Befugnisse genau unterrichtet. Wie ich erfahren habe, sind sie augenblicklich damit beschäftigt, den Ehevertrag aufzusetzen und das ganze Besitztum Fräulein Trixie Mordant zu verschreiben ›aus Anlaß ihrer Heirat mit dem Baron Pierce Burton.‹«
»Aber das kann das Gesetz doch unmöglich gestatten, nachdem er es einmal urkundlich an seine Tochter abgetreten hat,« sagte Beck.
Der Rechtsanwalt lächelte mit überlegener Miene. »Es paßt schlecht zu meiner Stellung,« sagte er, »wenn ich mich absprechend über unser Gesetz äußere; aber daß es recht sonderbare Bestimmungen enthält, läßt sich nicht leugnen. Sehen Sie, die Urkunde zu Gunsten der kleinen Flora ist nur eine ›freiwillige Zuwendung‹, wie man das nennt. Auf freiwillige Zuwendungen legt aber das Gesetz wenig Wert; ihm gilt natürliche Liebe und Zärtlichkeit nichts im Vergleich mit einem Ehevertrag, und würde er auch mit Trixie Mordant geschlossen. Wenn das Besitztum in Wiltshire dieser jungen Dame aus Anlaß ihrer Heirat mit dessen Eigentümer zugeschrieben wird, so ist nach einem alten Erlaß aus der Zeit der Königin Elisabeth die ›freiwillige Zuwendung‹ an die arme kleine Flora nicht das Pergament wert, worauf sie geschrieben steht.«
»Das ist ja ein recht spitzbübisches Gesetz.«
»Sie sind nicht der einzige Mensch, der dieser Ansicht ist, Herr Beck; Sie sprechen sich nur etwas kürzer und bündiger aus als der berühmte Lord, der neulich im Oberhaus äußerte: ›Es will uns nicht recht einleuchten, daß es mit redlichen Dingen zugehen kann, wenn jemand etwas verkauft, was ihm nicht gehört, und die Kaufsumme für sich behält und daß ein anderer, der alle Umstände kennt, ihm von Rechts wegen behilflich sein darf, den Eigentümer zu berauben. Ein solches Verfahren ist für einen Laienverstand schwer begreiflich und hat selbst für den juristisch Denkenden etwas Unbefriedigendes.‹«
»Aber der Mann wird sich doch nun und nimmermehr auf ein solches Gesetz berufen, um sein eigenes Kind zu berauben!« rief Beck.
»Das steht noch keineswegs fest. Ich glaube, über kurz oder lang wird er es doch tun, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet. Einstweilen kämpft sein Gewissen noch gegen seine Vernarrtheit, aber ich fürchte, es wird bald unterliegen. Die schlaue Dirne spielt mit ihm wie der Fischer mit dem Lachs, den er am Haken hält. Sie hat sich in ein Stranddorf an der Westküste von Irland geflüchtet und schwört hoch und teuer, daß sie ihm auch nicht einen Blick gönnen wolle, bis die Urkunde unterschrieben ist.«
»Und wo ist er?«
»Auch in Irland. Der Ort heißt Rathcool und liegt im Süden. Er kann es nicht aushalten, wenn das Meer zwischen ihm und seiner Göttin fließt, obgleich sie jetzt durch die ganze Breite der Insel voneinander getrennt sind. Täglich fliegen Briefe und Telegramme zwischen ihnen hin und her. Lange wird er nicht mehr widerstehen können, fürchte ich.«
»Was läßt sich denn aber in der Sache tun? In ein Irrenhaus könnte man ihn wohl nicht sperren?«
»Leider nein. Wenn jeder Mann, dem ein Weib den Kopf verdreht, ins Tollhaus käme, so würden bald mehr Leute eingesperrt als in Freiheit sein.«
»Könnten Sie sich nicht an das edlere Gefühl der jungen Dame wenden?«
»Es ist keins bei ihr vorhanden.«
»Und das Gesetz haben Sie gegen sich?«
»Jawohl – nach seinem jetzigen Wortlaut.«
»Dann scheint mir jeder Ausweg verschlossen.«
»Doch nicht so ganz. Wenn das Glück uns günstig ist, können wir das Gesetz ändern und der Dame Schach bieten. Ich komme jetzt auf den eigentlichen Kernpunkt der Sache. Daß ich im strengsten Vertrauen zu Ihnen rede, bedarf wohl nicht erst der Erwähnung. Schöpfen unsre Gegner auch nur den leisesten Verdacht, so haben wir das Spiel verloren und können die Karten nur gleich fortwerfen.«
Warmington beugte sich zu Beck nieder und sprach unwillkürlich in gedämpftem Ton: »Wir haben in aller Stille im Hause der Lords die Aufhebung jenes alten Erlasses aus der Zeit der Königin Elisabeth in Anregung gebracht. Der Großkanzler selbst befürwortet den Antrag. Sobald die königliche Zustimmung erfolgt, ist das Besitztum des Kindes gesichert. Im Oberhaus ist das Gesetz schon auf dem besten Wege und einer unsrer beliebtesten Juristen ist bemüht, es im Unterhaus durchzudringen. Wenn es dort in dritter Lesung angenommen worden ist, so hat der Großkanzler versprochen, uns am folgenden Tage die königliche Zustimmung zu verschaffen,«
»Es handelt sich also darum, was schneller zu stande kommt, das Gesetz oder der Erbvertrag – und der Preis des Wettrennens ist eine Jahresrente von fünftausend Pfund?«
»Ganz richtig.«
»Ich verstehe nur nicht, was ich dabei tun soll.«
»Sie sollen mir den Gefallen tun, sich nach Mount Eagle zu begeben, wo Fräulein Trixie ihr Lager aufgeschlagen hat, um sie im Auge zu behalten, bis unser Geschäft abgemacht ist. Sharkey & Snippit haben nämlich scharfe Augen und Ohren und sind verschwiegen wie das Grab. Kein Mensch kann wissen, ob sie Lunte gerochen haben oder nicht. Aber daß sie in fortwährender Verbindung mit Fräulein Trixie stehen, ist sicher. Wenn Sie nach Irland gehen, bekommen Sie vielleicht dort einen Einblick in die Karten, denn Fräulein Trixie ist ebenso lebhaft und mitteilsam, als jene beiden zugeknöpft sind.«
»Das ist mir nicht klar. Sie brauchen doch bloß Ihr eigenes Geheimnis zu bewahren; das Spiel der andern zu durchschauen hat für Sie keinen Zweck.«
»Doch, doch! Und wir rechnen auf Ihre Hilfe. Nicht wahr. Sie werden uns beistehen? Die Kosten kommen gar nicht in Betracht. Wir möchten nur, daß Sie – Herein, herein!«
Ein winziges Händchen hatte angeklopft. Jetzt ging die Wohnstubentür langsam auf und ein kleines, hübsches, etwa siebenjähriges Mädchen erschien auf der Schwelle. Goldene Locken fielen ihr wie eine Mähne über die Schultern, ihre Blauäuglein blitzten schelmisch, und reizende Grübchen spielten in den rosigen Wangen. Beim Anblick des fremden Mannes wollte sie die Flucht ergreifen, aber Herr Warmington rief ihr freundlich zu: »Komm nur her, Flora!« worauf sie schüchtern ins Zimmer trat.
»Dies ist Ihre Klientin, Herr Beck. Gib dem Herrn ein Händchen, Flora; er will viel für dich tun und dein guter Freund sein.«
Ein richtiger Instinkt mochte wohl der süßen kleinen Fee verraten haben, daß Beck alle Kinder liebhatte. Sie kletterte auf seine Kniee und spitzte ihr Mäulchen zu einem Kuß. »Danke schön,« sagte sie, »nicht wahr, es ist eine große Puppe?« darauf beschränkte sich offenbar ihr Begriff von Freundschaft. »Ich habe sieben Kinder und einen hübschen Negerjungen,« plauderte sie weiter, »aber gar keine Mama dazu. Weißt du, ich selber habe auch keine Mama, sie ist tot in der Erde und in den Himmel gegangen. Aber Papa wird immer für mich sorgen.«
Herr Warmington lächelte gutmütig, während Beck mit seiner großen starken Hand, die so ungeschickt aussah und doch weicher war als manche Frauenhand, das dichte Goldhaar der Kleinen streichelte. »So, Flora,« sagte ihr Onkel, »jetzt lauf fort und quäle Herrn Beck nicht länger. Du darfst dir eine Traube und zwei Biskuite vom Tisch mitnehmen, Schätzchen. Dann geh und spiele weiter. Mach auch die Tür hübsch hinter dir zu.«
Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um. »Vergiß auch die Mama für meine Kinder nicht!« rief sie Beck mit warnend erhobenem Fingerchen zu. Und Tags darauf kam wirklich eine große Puppe für Fräulein Florence Burton aus dem Spielzeugladen an.
Die Tür schloß sich hinter dem weißen Kleidchen mit dem blauen Gürtel und dem goldenen Lockenhaar. »Ich will gehen,« sagte Beck entschlossen, »obgleich ich noch nicht weiß, was ich dort nützen kann. Es würde mir Freude machen, wenn ich im stande wäre, der niedlichen Kleinen einen Dienst zu erweisen.«
»Die Adresse der betreffenden Dame,« versetzte Warmington hocherfreut, »ist Hotel Royal in Mount Eagle, Grafschaft Clare. Das Hotel liegt dicht am Seestrand und etwa dritthalb Meilen von dem Städtchen entfernt.«
»So will ich machen, daß ich noch mit dem Blitzzug fortkomme, der in drei Viertelstunden abfährt. Von morgen an ist meine Adresse: ›Herrn Jerome Blood-Smith, Hotel Royal, Mount Eagle.‹ Schicken Sie mir eine Depesche, wenn Sie etwas zu sagen haben; ich werde auch telegraphieren.« –
Nach den ersten Tagen ihrer freiwilligen Verbannung in die Grafschaft Clare fühlte sich Fräulein Trixie Mordant recht abgespannt. Die leidenschaftlichen Gefühlsergüsse ihres ältlichen Verehrers fand sie ebenso einförmig als trübselig. »Fünftausend Pfund im Jahr wären weitaus nicht genug, wenn das ewig so fortgehen sollte,« murmelte das unromantische Fräulein Trixie, während sie den acht Seiten langen Brief zusammenballte und in den Kamin warf. »Nach der Hochzeit wird's anders werden.« Sie lächelte traumverloren, wenn sie an die lustigen kleinen Soupers dachte, die sie mit ihren Verehrern nach der Vorstellung einzunehmen pflegte. Diese Erinnerung machte ihr den jetzigen Zustand noch unerträglicher. Sie saß im Wohnzimmer in einem großen Lehnstuhl, hatte die Füße heraufgezogen und schaute mit unzufriedenen Blicken auf das blaue Meer hinaus, das sich in breiter Fläche bis zum Horizont ausdehnte. Nichts zu tun und keinen Menschen zur Unterhaltung, das war ihr Unglück. Im Hotel waren einige Prediger abgestiegen und ein reisender Engländer mit seiner steifen Gemahlin nebst drei wohlerzogenen Töchtern, doch diesen war die lebenslustige Trixie in ihrem schicken Radelanzug nur ein Gegenstand des Schreckens und des Abscheus. »Hätt' ich nur jemand, der mit mir über die Einfaltspinsel lacht, dann war's doch zum Aushalten!« seufzte sie voller Verzweiflung; dabei schweiften ihre Blicke von dem Meer, das vor ihr lag, nach dem Tennisplatz zur Linken und siehe da, das Schicksal hatte ihren Wunsch erfüllt und ihr Flehen sollte erhört werden.
Ein junger Mann, dessen auffallender Anzug auf einen Artisten der Spezialitätenbühne schließen ließ, schlenderte mit dem Jakett in der Hand auf dem Platz herum. Die roten und gelben Streifen seiner knappanliegenden Flanelljacke strahlten in der Mittagssonne; auf seinem flachsfarbenen Haupthaar saß ein rundes Strohhütchen, dessen Band in allen Regenbogenfarben schillerte; ein blonder Schnurrbart verhüllte seinen breiten Mund und aus dem runden Gesicht sprach fade Geistlosigkeit. Fräulein Trixie spürte sogleich eine Seelenverwandtschaft und ihr Herz schlug ihm warm entgegen. Fünf Minuten später wanderte sie auch in einem cremefarbenen kurzen Wollkleide, braunen Schuhen und durchbrochenen seidenen Strümpfen auf dem Tennisplatz umher. Als sie dem jungen Mann dort begegnete, wurde sie ganz verwirrt und warf ihm nur einen schüchternen Blick unter ihren langen Augenwimpern zu, als er es wagte, sie anzureden.
Trotzdem waren sie nach ein paar Minuten schon mitten im lebhaftesten Tennisspiel; nach ein paar Stunden nannten sie einander »Trix« und »Jer«, als hätten sie sich von klein auf gekannt, und schon nach den ersten Tagen war der Gigerl sterblich verliebt in das muntere Fräulein und folgte seiner Angebeteten überall hin wie eine große Bulldogge. »Er ist ganz nach meinem Geschmack,« schrieb sie an ihre Busenfreundin, Myrtle Monmorency vom Apollotheater, »Fein herausstaffiert, spart sein Geld nicht, ist ein so grüner Junge, wie man sich's kaum vorstellen kann, und ganz vernarrt in mein liebes Ich. Wir amüsieren uns zusammen wie die Götter, zum Entsetzen der alten Duckmäuser hier am Ort. Es kommt aber keiner dabei zu Schaden.«
So führte denn Fräulein Trixie ihren Jüngling wohin sie wollte, und er war glücklich, wenn er ihr dienen und ihrem Wink gehorchen durfte. Sie spielten Tennis miteinander, machten Ausflüge auf dem Fahrrad oder stolzierten zusammen am Seegestade entlang. Es war komisch und dabei fast traurig anzusehen, wie der kräftige junge Mann, der ein so albernes Gesicht machte, wenn seine großen, runden Augen vor Liebe strahlten, sich von der reizenden Theaterprinzessin so gänzlich umgarnen ließ.
»Morgen wollen wir zusammen baden gehen,« sagte sie zu ihrem Gefährten, der im Wohnzimmer des Hotels neben ihr auf dem Sofa saß. »Stellen Sie sich doch nicht, als wären Sie eben aus dem Mond gefallen; für den Schwimmanzug werde ich schon sorgen ... Na, was gibt's denn schon wieder? – Herein!«
Es war ein Telegramm für Fräulein Mordant. Ein Ausruf entfuhr ihren rosigen Lippen, während sie es las, dann zerriß sie ärgerlich das Papier und warf die Stücke in den leeren Torfkasten, der neben dem jetzt unbenützten Kamin stand. »Ach, das hätte ich nicht tun sollen!« rief sie gleich darauf erschrocken. »Der alte Sharkey hat mir's noch ganz besonders ans Herz gelegt, ich solle vorsichtig sein. Holen Sie mir die Fetzen wieder, Jer; Sie sind ja so'n guter Kerl.« Herr Jerome Blood-Smith steckte sofort seinen ganzen Kopf bis zu den Schultern in den Torfkasten, zog ruhig ein altes Telegramm aus der Tasche und riß es hinter dem Kasten verborgen in Stücke, ehe er Fräulein Trixies Papierfetzen herausnahm.
Sie zündete darauf ein Streichholz an und verbrannte die Stücke, die er ihr gab, in dem leeren Kamin. Eine halbe Stunde später machte Jerome Blood-Smith in seinem Schlafzimmer bei verschlossenen Türen ein Zusammensetzspiel aus dem zerrissenen Telegramm. Als es ausgebreitet auf dem Tisch lag, las er folgendes: »Entdecke eben, daß Freunde der Kleinen Gesetzesantrag beim Parlament durchbringen, ihren Besitz zu sichern. Hoffe ihnen Schnippchen zu schlagen. Müssen Erbvertrag beschleunigen. Hat der Alte eingewilligt? Sharkey.«
Er hatte kaum fertig gelesen, da sah er auch schon Fräulein Trixie auf ihrem Fahrrad über den Rasenplatz vor dem Hotel dahinjagen. Im Nu war er draußen auf seinem Rad und hinter ihr drein. Eine Viertelmeile vor dem Postamt hatte er sie eingeholt. »Machen wir 'ne Tour zusammen?« fragte er.
»Erst muß meine Depesche fort sein. Sie hat Eile und den Dummköpfen im Hotel könnt' ich sie nicht anvertrauen.«
»Warum haben Sie mich nicht geschickt?«
»Sie waren verschwunden. Ich dachte. Sie hätten sich schlafen gelegt. Na, jetzt bin ich jedenfalls hier, also ist's einerlei.« Behende glitt sie vor dem Postamt von ihrem Rad herunter und trat ins Telegraphenbureau, während Jerome Blood-Smith dienstfertig an der offenen Tür bei den Fahrrädern stehen blieb.
Der Telegraph war noch einer von den alten Apparaten die durch gewissenhaftes Ticken die Buchstaben der Depesche angeben. Daß Jerome Blood-Smith dies Ticken verstand, war eines seiner vielen Talente, durch die er sich in einem andern Lebensberuf auszeichnete. So hörte er denn die Botschaft heraus, die lautete: »Sharkey & Snippit, Rechtsanwälte, London – Schicken Sie Erbvertrag umgehend. Der Alte hat versprochen zu unterschreiben. – Mordant.«
Als die Drahtantwort abgeschickt war und Fräulein Trixie zum Bureau hinaussegelte, stand ihr Verehrer draußen in stummer Bewunderung. Sie wollte sich ausschütten vor Lachen über sein einfältiges Gesicht und tat in ihrer übermütigen Laune, als wolle sie ihm mit der Fußspitze sein Strohhütchen vom Kopfe stoßen, was ihr ein leichtes gewesen wäre. »Haha, Jer, Sie Mondkalb; sperren Sie doch nicht so den Schnabel auf, sonst halten die Leute am Ende Ihren Mund für den Briefkasten.«
Als sie zusammen den Abhang hinabradelten, fiel Herrn Blood-Smith plötzlich etwas ein. »Donnerwetter, ich wollte ja auch ein Telegramm vom Stapel lassen,« rief er. »Bitte, fahren Sie langsam, Trix. In einer Minute bin ich wieder hier.«
»Schon recht,« gab sie lachend zurück. »Grüßen Sie Ihr Liebchen von mir und sagen Sie, ich sei nicht eifersüchtig.«
Er wandte sein Rad auf dem steilen Abhang um – gar kein leichtes Kunststück – und jagte nach dem Postamte zurück. »Sie wissen alles, Eile tut not!« meldete er Herrn Warmington.
Dann folgte er wieder auf seinem Rad Fräulein Trixies Spuren. Unterdessen wurde in London das Spiel um den hohen Einsatz einer Jahresrente von fünftausend Pfund mit Eifer und Vorsicht betrieben. – – – –
Im Hause der Lords war das Gesetz über die »Freiwillige Zuwendung« glücklich durch alle drei Lesungen gelangt. An jenem Montag, als Herrn Blood-Smiths Depesche wie eine Bombe in Warmingtons Bureau eingeschlagen hatte, stand es gerade unter verschiedenen andern Gesetzesanträgen auf der Tagesordnung im Hause der Gemeinen. Es war daher kein Wunder, daß der gutherzige Rechtsanwalt sich in fieberhafter Aufregung befand. »Seien Sie nur ganz außer Sorge, werter Herr,« sagte Sir Robert Ridley, der Kronanwalt, mit dem Warmington während der Mittagspause in der Halle auf und ab ging, »Ihr Freund – wie heißt er doch? – Beck – muß auf dem Holzweg sein. Es weiß kein Mensch etwas von unsern Absichten. Sie sollen sehen, wir bringen das Gesetz heute abend noch durch, und dann hat Fräulein Trixie Mordant das Nachsehen.«
Die Parlamentsmitglieder hatten ihre Sitze wieder eingenommen; der Sprecher gebot Ruhe und der Sekretär schickte sich an, die auf der Tagesordnung stehenden Gesetzesanträge zu verlesen. Es ist der interessanteste, aber auch der sonderbarste Vorgang im Hause der Gemeinen; denn jedes Mitglied kann durch die Worte: »Ich erhebe Einspruch!« die Verhandlung über den vorliegenden Gegenstand hindern. Das Haus war an jenem Abend nur schwach besetzt; aber jedes einzelne Mitglied, das für oder gegen einen Antrag stimmen wollte, befand sich auf dem Posten, Zuerst ging alles glatt und einige Gesetze wurden glücklich durchgebracht; dann aber wandte sich das Blatt plötzlich.
»Das Gesetz gegen Verfolgung Andersgläubiger.«
»Ich erhebe Einspruch!«
»Das Lebensmittelfälschungsgesetz.«
»Ich erhebe Einspruch!«
»Das Gesetz über den ambulanten Milchverkauf.«
»Ich erhebe Einspruch!«
»Das Gesetz über den Vogelschutz.«
»Ich erhebe Einspruch!«
»Das Gesetz über Lohnerhöhung für die Straßenkehrer.«
Als keine Stimme dagegen laut wurde, lüftete das Mitglied, das den Antrag eingebracht hatte, seinen Hut, wie es die Parlamentssitte heischt, wenn eine zweite Lesung gewünscht wird. »Die Frage ist, ob über dieses Gesetz die zweite Lesung erfolgen soll,« verkündete der Sprecher.
»Ich erhebe Einspruch!«
Der Antragsteller beruhigte sich jedoch hierbei nicht. »Mit gütiger Erlaubnis des Hauses möchte ich das ehrenwerte Mitglied bitten, nicht auf seinem Einspruch zu beharren. Das Gesetz findet bei allen Parteien des Hauses Unterstützung. Es würde nicht nur für eine höchst verdienstvolle Arbeiterklasse die größte Wohltat sein, sondern auch dem Publikum im allgemeinen zu gute kommen. Deshalb ersuche ich das geehrte Mitglied angelegentlich –«
»Ich erhebe Einspruch!«
»Hol' Sie der Henker!« Der Ausdruck war im ganzen Hause vernehmbar; nur der Sprecher hatte wohlweislich taube Ohren. »Ruhe, Ruhe!« rief er, um dem schallenden Gelächter Einhalt zu tun. »Das Gesetz über freiwillige Zuwendungen.«
Der Kronanwalt Ridley lüftete seinen Hut. »Die Frage ist, ob die zweite Lesung dieses Gesetzes erfolgen soll. Ich bitte die Herren, mit Ja oder mit Nein zu stimmen.«
»Also Ja hat die Mehrheit,« verkündete der Sprecher, als alles still blieb.
Nun wurde die zweite Lesung der einzelnen Paragraphen vorgenommen und ohne Anstand beendet. Warmington, der seinen Platz unter der Zuschauergalerie hatte, strahlte vor Entzücken. Während sich der Sprecher abermals erhob, um die dritte Lesung zu beantragen, kam der Kronanwalt Hardy mit einem offenen Brief in der Hand eilig den Gang herunter und nahm nicht weit von Ridley seinen Platz ein.
»Die Frage ist, ob die dritte Lesung des Gesetzes erfolgen soll,« rief der Sprecher.
»Ich erhebe Einspruch!« tönte es kurz und scharf wie ein Pistolenschuß aus Hardys Munde.
»Vielleicht würde mein ehrenwerter und gelehrter Freund erwägen –« begann Ridley.
»Ich erhebe Einspruch!« rief der andre noch lauter als zuvor.
»Aber ich möchte das geehrte Mitglied doch bitten –«
»Ruhe! Ruhe!« unterbrach ihn der Sprecher. »Das Gesetz über den Fahrradverkehr,«
Von dem Gesetze über »Freiwillige Zuwendungen« durfte an jenem Abend nicht mehr die Rede sein.
»Warum in aller Welt haben Sie das getan?« fragte Ridley seinen Freund Hardy, als sie kurz darauf zusammen das Haus verließen.
»Sharkey hat mich darum gebeten. Ich konnte es ihm nicht gut abschlagen; bekomme immer einen Haufen Arbeit von ihm. Sein Brief wäre um ein Haar zu spät gekommen. In der nächsten Minute hätten Sie das Gesetz glatt durchgebracht.«
»Es ist jammerschade. Wissen Sie denn überhaupt, um was es sich dabei handelt?«
»Ich? Bewahre.«
»Hier ist die Abschrift des Gesetzes. Werfen Sie nur einen Blick darauf.«
»Kurz und bündig. Es scheint alles in Ordnung. Die Bestimmung über ›Freiwillige Zuwendungen‹ hätte schon längst geregelt werden sollen. Was hat den alten Sharkey nur geplagt, daß er mich angestiftet hat, Einspruch zu erheben?«
»Das kann ich Ihnen sagen.« Und er erzählte ihm die ganze Geschichte mit wenigen Worten.
Hardy pfiff ärgerlich vor sich hin. »Es tut mir herzlich leid, lieber Kollege,« sagte er: »Sharkey sollte sich schämen, daß er mir zumutet, sein schmutziges Zeug zu waschen. Dergleichen soll nicht wieder vorkommen, das verspreche ich Ihnen,«
»Besten Dank. Aber ich fürchte, Ihre Reue kommt zu spät. Der alte Sharkey wird uns schwerlich Zeit und Gelegenheit geben, einen zweiten Versuch anzustellen.« –
Um nächsten Morgen war Fräulein Trixie Mordant im fernen Mount Eagle schon frühzeitig auf und befand sich in großer Unruhe. Sie stand bereits vor dem Telegraphenbureau, als es geöffnet wurde, der unvermeidliche Jerome Blood-Smith natürlich dicht neben seiner Angebeteten. Die Botschaft, die der Vielgetreue in seinen ziemlich großen Ohren ticken hörte, während er an der Tür die Fahrräder bewachte und Fräulein Therese drinnen im Telegraphenbureau stand, lautete: »Alles nach Wunsch. Dritte Lesung gestern verhindert. Snippit fährt mit dem Frühzug nach Rathcool ab und bringt Erbvertrag zur Unterschrift. Sharkey.«
»Hurra!« jubelte Fräulein Trixie seelenvergnügt, als ihr das geschriebene Telegramm von dem höflichen Beamten eingehändigt wurde. Als sie jedoch, das Papier seelenvergnügt in der Hand schwingend, hinauseilte, sah sie nur noch den Rücken von Jerome Blood-Smith, der, über die Lenkstange seines Fahrrades gebeugt, den Hügel hinauf ins Hotel zurückjagte.
»Du meine Güte,« rief sie verwundert aus, »was ist denn dem Einfaltspinsel in die Krone gefahren? Vielleicht hat ihn eine Wespe gestochen. Und ich war gerade auch in der Laune, ihm ein bißchen aufzukratzen. Fünftausend Pfund Rente und ein Schloß, und alles nur meinem eigenen Scharfsinn zu verdanken? Es ist wirklich kolossal. Die Herzoginnen der Grafschaft werden sich umgucken. Ich muß jetzt ganz allein einen Extraritt auf dem Rad machen und tüchtig ausgreifen, um mir Luft zu schaffen, sonst platze ich.«
In seinem verschlossenen Zimmer saß unterdessen Herr Beck – denn der war er jetzt wieder, trotz seines blonden Schnurrbartes und seiner rosigen Wangen – und hatte das Kursbuch und eine große Eisenbahnkarte von Irland auf seiner Bettdecke ausgebreitet. Nachdem er gewisse Züge mit dem Blaustift angestrichen hatte, bezeichnete er auf der Karte einen Punkt der Südbahn am Anfang der steilsten Senkung, die auf der ganzen Linie vorkommt, wo die Landstraße diese mittels einer Brücke kreuzt. Dieser Punkt lag genau in der Mitte zwischen zwei Stationen. Bei der drittnächsten Station weiterhin schloß sich die Rathcool- und Knockcrany-Zweigbahn mit schmaler Spurweite an, die etwa dreißig Meilen lang war und in Rathcool endigte. Der Blitzzug fuhr um acht Uhr abends an dem bezeichneten Punkt vorbei und traf auf der Station Knockcrany den letzten Zug der Zweigbahn. Der nächste Lokalzug fuhr erst am andern Tage um halb drei Uhr nachmittags ab und kam um ein Viertel auf fünf in Rathcool an.
Nun maß Beck sorgfältig mit dem Zirkel die Entfernung zwischen dem mit Blaustift markierten Punkt auf der Karte und Mount Eagle in der Grafschaft Clare und berechnete die Meilen nach dem Maßstab.
»Etwas über hundert Meilen,« murmelte er. »Die Zeit würde hinreichen; aber verdammt gefährlich ist die Geschichte und so gesetzwidrig als nur möglich. Doch meinetwegen. Ich habe den Gerichten mein Lebtag so oft beigestanden, daß sie mir auch einmal etwas zu gute halten können. Auch führt ja Herr Blood-Smith den Streich aus und nicht Paul Beck. Für die niedliche kleine Flora ist es aber die allerletzte Chance. Also nur frisch ans Werk!«
Sobald sein Entschluß gefaßt war, verlor er keine Zeit mit Vorbereitungen. Er zog einen leichten, einfachen Radfahreranzug von dunkler Farbe an, in dem seine Arm- und Beinmuskeln mächtig hervortraten. An der Lenkstange befestigte er einen starken, mit Riemen versehenen Sack, der nichts enthielt, als zwei Blechkannen mit Brennöl für die Fahrradlampe und Schmieröl zum Einfetten der Reibungsstellen, Das war Herrn Becks ganzes Gepäck. Er wickelte die beiden vollen Kannen sorgfältig in ein paar von den großen seidenen Taschentüchern, die Blood-Smith gehörten, und stopfte sie dann in den Sack.