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In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Felseneck trug seinen Namen zu Recht. Am Rande eines steil abfallenden Felsens erbaut, glich es mit seinen vielen Türmen und Zinnen mehr einer alten Trutzburg als einem Schloss. Ein gewundener Weg, gerade noch befahrbar, führte an der anderen Seite des Berges durch dichten Felseneckschen Mischwald zum Schloss hinauf. Ließ man die Bäume dann endlich hinter sich, so sah man sich einer abweisenden Mauer aus dicken Quadern gegenüber. Das Spitzbogentor darin aus eisenhartem Eichenholz war gewöhnlich fest verschlossen und gewährte nur selten einem Fremden den Zutritt. Innerhalb der festen Mauern indes befand sich ein lieblicher Park. Uralte Kastanienbäume und gewaltige Blutbuchen, deren Zweige bis tief auf den Boden reichten, standen in großen Abständen auf sattgrünem Rasen. Rosen und bunte Sommerblumen blühten auf den vielen Rabatten. An den Schlosswänden kletterten Efeu, blaue Glyzinien und wilde Kletterrosen in allen Farbschattierungen empor. Rosenumrankt war auch der alte Zugbrunnen in der Nähe der breiten Eingangstür. Die Bewohner des Schlosses zeigten sich selten in den Dörfern und kleinen Städten drunten, und so war es kein Wunder, dass viel Sonderbares über das Schloss und seine Besitzer geredet wurde. Spukgeschichten wurden in der Dämmerung in Stuben und Kammern erzählt, und so mancher berichtete allen Ernstes, hier und da einen seltsam fahl leuchtenden Lichtschein auf den Zinnen gesehen zu haben, während andere von ganz und gar unirdischem, grässlichem Geheul zur Geisterstunde in Vollmondnächten zu berichten wussten. Wer immer an der Schlossmauer aus diesen oder jenen Gründen vorübergehen musste, der schlug hastig ein Kreuz, betete ein Vaterunser und beeilte sich, den unheimlichen Wald zu verlassen. Im Schloss droben hatte man von alledem keine Ahnung. Dort gingen die Tage gleichmäßig dahin und gleichmäßig waren auch die Sorgen, mit denen die Besitzer sich zu plagen hatten. Viel Geld kostete die Erhaltung des alten Besitzes, und so hatten nach und nach die meisten Nutzflächen verkauft werden müssen. Besser war es dadurch nicht geworden, fehlte es jetzt doch auch an dem Geld, das die Ernten von jenen nun verkauften Feldern eingebracht hätten. An diesem schönen Sonntag im Mai war es noch stiller im Schloss als gewöhnlich. Die beiden letzten Bediensteten aus einer ehemals großen Schar gingen bedrückt auf Zehenspitzen umher. Eine Totenruhe lag über dem Schloss.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Alexandra von Waldenburg war schon lange nicht mehr so glücklich und zufrieden gewesen wie jetzt. Sie seufzte. Ja, wenn dieses Wenn nicht wäre. Sie war glücklich mit Mike, der es, wie auch immer, doch tatsächlich fertiggebracht hatte, sie von diesem Stalker zu befreien, der sich wie ein lästiges Geschwür, wie eine Klette, in ihr Leben geschlichen hatte. Auf Waldenburg lief es rund. Sie fand sich immer mehr in ihr neues Leben als Chefin des Hauses Waldenburg ein und sie fand Gefallen daran, mehr noch, sie war glücklich und stolz, dass ihr Vater sie zu seiner Nachfolgerin bestimmt hatte. Wenn doch bloß endlich der Streit mit ihrem Bruder Ingo vorbei wäre, der nicht nur ihr Leben belastete, sondern viel mehr noch das Leben ihrer Eltern, ganz besonders das ihrer Mutter. Und da war noch ihre Freundin Liliane, die sich durch ihr törichtes Verhalten selbst ins Abseits gekickt und sich um ihr Glück mit Dr. Lars Dammer gebracht hatte. Die Beziehung zu dem erfolgreichen jungen Arzt war zwar immer ein wenig problematisch gewesen, und es hatte ein ewiges Auf und Ab gegeben, aber die beiden hatten ihre Krisen immer wieder gemeistert, waren sogar miteinander verlobt gewesen, und die Hochzeit hatte unmittelbar bevorgestanden. Warum nur hatte Lil es so sehr auf die Spitze getrieben? Wenn man sich mit einem so engagierten Arzt wie Lars einlässt, dann muss man einfach wissen, dass das Privatleben erst an zweiter Stelle kommt. Doch das hatte die Trennung nicht herbeigeführt. Robby, Lilianes geschiedener amerikanischer Ehemann war plötzlich aufgetaucht, was an sich nicht schlimm war, auch nicht, dass Lil ihn in ihrer Wohnung beherbergt hatte. Aber warum, zum Teufel, hatte ¬Liliane ihren Verlobten und ihren Ex nicht miteinander bekannt gemacht? Und warum war sie so weit gegangen, Lars damit zu drohen, mit Robby sofort etwas anzufangen, wenn er in Boston eine Vertretung annehmen würde? Und dann hatte sie allem die Krone aufgesetzt, indem sie gesagt hatte, dass Robby eh der bessere Liebhaber sei. So ein Schwachsinn, sie hatte es einfach so dahergesagt, obwohl genau das Gegenteil der Fall war. Obwohl Liliane ihre allerbeste Freundin war, konnte Alexandra verstehen, dass Lars die Verlobung gelöst hatte und nichts mehr mit Lil zu tun haben wollte. Und jetzt war das Jammern und Wehklagen bei Lil groß, sie war unglücklich, weinte und wollte Lars um jeden Preis wiederhaben.
Felseneck trug seinen Namen zu Recht. Am Rande eines steil abfallenden Felsens erbaut, glich es mit seinen vielen Türmen und Zinnen mehr einer alten Trutzburg als einem Schloss. Ein gewundener Weg, gerade noch befahrbar, führte an der anderen Seite des Berges durch dichten Felseneckschen Mischwald zum Schloss hinauf. Ließ man die Bäume dann endlich hinter sich, so sah man sich einer abweisenden Mauer aus dicken Quadern gegenüber. Das Spitzbogentor darin aus eisenhartem Eichenholz war gewöhnlich fest verschlossen und gewährte nur selten einem Fremden den Zutritt.
Innerhalb der festen Mauern indes befand sich ein lieblicher Park. Uralte Kastanienbäume und gewaltige Blutbuchen, deren Zweige bis tief auf den Boden reichten, standen in großen Abständen auf sattgrünem Rasen. Rosen und bunte Sommerblumen blühten auf den vielen Rabatten. An den Schlosswänden kletterten Efeu, blaue Glyzinien und wilde Kletterrosen in allen Farbschattierungen empor. Rosenumrankt war auch der alte Zugbrunnen in der Nähe der breiten Eingangstür.
Die Bewohner des Schlosses zeigten sich selten in den Dörfern und kleinen Städten drunten, und so war es kein Wunder, dass viel Sonderbares über das Schloss und seine Besitzer geredet wurde. Spukgeschichten wurden in der Dämmerung in Stuben und Kammern erzählt, und so mancher berichtete allen Ernstes, hier und da einen seltsam fahl leuchtenden Lichtschein auf den Zinnen gesehen zu haben, während andere von ganz und gar unirdischem, grässlichem Geheul zur Geisterstunde in Vollmondnächten zu berichten wussten. Wer immer an der Schlossmauer aus diesen oder jenen Gründen vorübergehen musste, der schlug hastig ein Kreuz, betete ein Vaterunser und beeilte sich, den unheimlichen Wald zu verlassen.
Im Schloss droben hatte man von alledem keine Ahnung. Dort gingen die Tage gleichmäßig dahin und gleichmäßig waren auch die Sorgen, mit denen die Besitzer sich zu plagen hatten. Viel Geld kostete die Erhaltung des alten Besitzes, und so hatten nach und nach die meisten Nutzflächen verkauft werden müssen. Besser war es dadurch nicht geworden, fehlte es jetzt doch auch an dem Geld, das die Ernten von jenen nun verkauften Feldern eingebracht hätten.
An diesem schönen Sonntag im Mai war es noch stiller im Schloss als gewöhnlich. Die beiden letzten Bediensteten aus einer ehemals großen Schar gingen bedrückt auf Zehenspitzen umher. Eine Totenruhe lag über dem Schloss. Und der Tod war es auch, der unsichtbar am Bett des alten Grafen stand.
Weich gebettet lag Hubert von Felseneck in seinen Kissen, er atmete mühsam. Die kräftige Adlernase wirkte jetzt sonderbar spitz, und sein Gesicht war bleich und eingefallen. Nur in seinen Augen war noch Leben. Die Vorhänge aus schwerem Samt waren halb zugezogen, damit das Licht den Sterbenden nicht störe.
Neben dem Bett kniete schluchzend eine schlanke Gestalt. Blondes Haar fiel aufgelöst über Schultern und Nacken.
»Papa, du darfst jetzt nicht von mir gehen. Du kannst mich doch nicht einfach verlassen.«
»Weine nicht«, flüsterte der Sterbende und versuchte seiner zitternden Stimme Festigkeit zu geben. »Wir Felsenecker waren immer stolz auf unsere Fähigkeit, Schicksalsschläge ungebeugt hinzunehmen. Nimm den Kopf hoch und sieh den Tatsachen ins Gesicht. Und Tatsache ist nun einmal, dass wir alle eines Tages dahingehen müssen.«
»Aber doch nicht jetzt schon, Papa.«
»Ob jetzt oder später, was ändert das?«
»Ich brauche dich, Papa.«
Der alte Graf in seinen Kissen verzog mühsam das faltige Gesicht zu einem Lächeln. »Wenn es danach ginge, Kind, so fände ich wohl niemals meine Ruhe. Ich bin müde geworden, Steffi, ich gehe gern von hinnen. Ich fühle, meine Zeit ist abgelaufen. Und es ist gut so. Nur dass ich dich allein zurücklassen muss in dieser Welt voller Neid und Gier und Geltungsstreben, das macht mir Kummer. Du bist noch so jung. Viel zu spät wurdest du mir geboren. Aber ich vertraue auf das Felsenecksche Blut in dir.«
»Papa«, wimmerte das junge Mädchen verzweifelt an seinem Bett, »sprich nicht so viel. Es tut dir nicht gut.«
»Du wirst dein Leben meistern, Steffi, ich verlange es von dir. Die Frauen aus unserem alten Geschlecht standen zu allen Zeiten ihren Mann, sie standen stets wie ein Fels in der Brandung des Lebens. Auch du wirst das tun! Du wirst dich niemals unterkriegen lassen, Steffi. Versprich es mir.«
»Ich werde mir alle Mühe geben, Papa«, schluchzte das junge Mädchen.
»Das genügt mir nicht. Versprich es mir!«
»Ich verspreche es dir, Papa.« Die junge Komtess schlug beide Hände vor das Gesicht und weinte bitterlich.
»Und versprich mir, Schloss Felseneck niemals aus deiner Hand zu geben, versprich mir, es niemals an einen dahergelaufenen Emporkömmling zu verkaufen. Oh, ich weiß, man wartet schon auf meinen Tod. Schlösser sind bei den Reichen in Mode gekommen, seit die alten, adligen Familien verarmten. Sie werden bald angelaufen kommen mit ihrem gierig zusammengerafften Geld und meinen, nun, da sie alles erreicht hätten in ihrem Leben, fehle ihnen nur noch ein Schloss zu ihrem vollkommenen Glück. Darunter tun sie es nicht. Sie glauben, mit ihrem schmutzigen Geld alles kaufen zu können, Schlösser und Burgen ebenso wie die Würde der Menschen, die heute noch darin leben wie zuvor die lange Reihe ihrer Ahnen. Als könne der Glanz des alten Adels ein wenig auf sie abfärben. Der Gedanke, ein solcher Mensch könne einmal am Kamin in der Halle sitzen, ein obskures Getränk neben sich, weil ihm die feine Zunge fehlt, die ihm den guten, edlen Wein zu einem Genuss werden ließe, macht mich ganz elend. Nur Blut von unserem Blut soll in diesen Mauern leben, nur Menschen aus Felseneckschem Geschlecht sollen durch die Zimmer und Säle von Schloss Felseneck wandern. Niemals darfst du Schloss Felseneck in fremde Hände geben, Steffi. – Niemals! Versprich mir auch das! Ich werde sonst keine Ruhe in meinem Grab finden.«
Stärker noch schluchzte das Mädchen, das Steffi hieß. Unmöglich erschien es ihr, die Forderungen des Vaters zu erfüllen. Schwach fühlte sich Steffi und so entsetzlich hilflos. Das gewaltige Schloss erschien ihr schon jetzt wie ein Klotz am Bein. Womit sollte sie es erhalten? Wovon auch nur die dringendsten Reparaturen bezahlen? Das Schloss brachte ihr kein Geld ein, seine Erhaltung aber erforderte Unsummen.
»Steffi, hast du mich nicht verstanden?« Der alte Graf wurde unruhig. Seine Hände glitten über die Decken, begannen rastlos zu zupfen, und Steffi erkannte, dass der Tod nahe war.
»Steffi!«, rief der alte Mann angstvoll.
»Doch, Papa, ich habe dich verstanden«, sagte Steffi da mühsam.
»Versprich es mir, Steffi, hörst du? Es ist das Einzige, worum ich dich in meiner Sterbestunde bitte. Behalte das Schloss, auch wenn es dir schwerfällt. Ich fühle es, ich sehe es, es wird dir Glück bringen. Noch nie wurde eine Frau auf Felseneck unglücklich. Auch du wirst es nicht werden.«
Ich werde die Erste sein, dachte Steffi kummervoll. Sie war jung und modern und ging nicht mit Scheuklappen vor den Augen durch das Leben.
»Sei ganz ruhig, Papa«, murmelte sie und streichelte seine unruhigen Hände. Und unter ihrer sanften Berührung wurden sie still.
»Versprich es mir, Steffi.«
»Ich verspreche dir auch das, Papa«, sagte Steffi mit schwerem Herzen, nicht überzeugt davon, das Richtige zu tun.
Das Gesicht des alten Grafen entspannte sich endlich und wurde ganz friedlich. »Ich danke dir, mein Kind«, flüsterte er heiser. »Ich weiß, du wirst dein Versprechen halten. Du bist eine echte Felseneck, stark und mutig, und noch nie brach ein Felsenecker sein Wort. Auch du wirst es nicht tun.« Seine Stimme war leiser und leiser geworden, und die letzten Worte musste Steffi erraten.
»Papa!«, rief sie erschrocken, als er verstummt war.
Vom Bett her kam keine Antwort mehr. Hubert von Felseneck war heimgegangen zu seinen Vätern, ganz still, ganz friedlich. Ein Lächeln schien auf seinen Zügen zu liegen.
Sekundenlang starrte Steffi fassungslos den Vater an, dann aber sprang sie auf die Füße und rannte aus dem dunklen Zimmer. Grelles Sonnenlicht fiel durch hohe Fenster in den Flur, und für einen Augenblick kniff Steffi geblendet die Augen zusammen. Dann aber rief sie laut: »Hermi, Alfons! Wo seid ihr denn? Ist der Arzt denn immer noch nicht gekommen?«
»Doch, doch! Ich bin ja schon da. Ein alter Mann kann doch nicht fliegen«, kam eine brummige Stimme von der Treppe her, die ins untere Stockwerk führte. Und gleich darauf wurde auch die rundliche Gestalt des Doktors sichtbar. »Nun mal nicht so aufgeregt«, schnaufte er. »So schlimm wird es schon nicht sein. Ihr Herr Vater ist zäh. Wünschte, ich wäre ebenso.«
Aber dann war es doch so schlimm. Der Arzt drückte dem Toten die Augen zu, putzte umständlich seine Brillengläser und besann sich endlich darauf, Steffi sein Beileid auszusprechen.
Steffi ließ es über sich ergehen, stumm vor Trauer und Schmerz. So schnell konnte dergleichen gehen, so plötzlich? Sie konnte und wollte es nicht glauben.
Allein stand sie nun auf der Welt, ganz allein. Und vor ihr stand eine Aufgabe wie ein steiler Fels, der zu erklimmen war. Und sie wusste nicht, ob sie es jemals schaffen würde.
Der Arzt musterte sie verstohlen und voller Mitgefühl. »Was soll jetzt geschehen, Komtess? Werden Sie das Schloss verkaufen? Sie werden es auf die Dauer ja doch nicht halten können. Wenn Sie verkaufen wollen, ich wüsste da vielleicht jemanden, der …«
Steffi gab sich einen Ruck. Sie warf den blonden Kopf stolz in den Nacken. »Nein, ich werde nicht verkaufen«, sagte sie fest. »Seit Jahrhunderten ist das Schloss im Besitz meiner Familie und so wird es auch bleiben.«
»Hm«, sagte der Doktor zweifelnd und legte den Kopf nachdenklich ein wenig schief, »das wird Ihnen schwerfallen. Der alte Kasten schluckt nichts als Geld, und das haben Sie ja wohl nicht.«
»Lassen Sie das bitte meine Sorge sein«, sagte Steffi sehr kühl, sehr von oben herab. Was ging es ihn an, wie sehr sie litt und wie unpassend sie seine Bemerkungen am Totenbett ihres Vaters fand?
Der Doktor griff verstimmt nach seinem Hut. Hochnäsig war sie auch noch, diese bettelarme Komtess. Nun, sie würde mit der Zeit schon kleiner werden. Erheblich kleiner sogar. Der Gedanke befriedigte den Arzt.
»Wo werden Sie Ihren Vater begraben?«
»Mein Vater wird in der Gruft unter der Schlosskapelle beigesetzt, Herr Doktor«, entgegnete Steffi mit der Haltung, die ihr von frühester Jugend auf anerzogen worden war, mit dem Erfolg, dass der Arzt sie nun endgültig für hochmütig hielt.
»Wie Sie wollen«, sagte er beleidigt. »Dann brauchen Sie meine Hilfe ja nicht mehr.«
»Nein.«
»Na ja, dann kann ich ja wohl gehen.«
Steffi gab keine Antwort. Stumm schaute sie auf den Vater, und ihr Herz war schmerzerfüllt.
»Die Rechnung für die letzten drei Monate schicke ich Ihnen dann zu, Komtess.«
»Ich bitte darum«, sagte Steffi gefasst, obwohl sie im Augenblick noch nicht wusste, wovon sie die bezahlen sollte. Aber das ging den Doktor nichts an. Jedenfalls jetzt noch nicht. Er würde es noch früh genug erfahren. Steffi war versucht, die Hände vor das Gesicht zu schlagen und bitterlich zu weinen, aber sie hielt sich tapfer aufrecht und keine Träne rann über ihre blassen Wangen.
»Also dann, auf Wiedersehen, Komtess.«
»Leben Sie wohl, Doktor. Alfons wird Sie hinausgeleiten.«
Und dann war der Arzt fort, dann konnte Steffi endlich ihrem Schmerz nachgeben und sich laut aufweinend über das Bett des Vaters werfen. Was sollte sie nur tun, was sollte sie nur anfangen ohne ihn, den Strengen und doch so Gütigen?
Steffi kam sich in diesem Augenblick entsetzlich verlassen vor.
Und sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
*
Der Doktor war schon lange fort und noch immer war es oben totenstill.
Am Fuß der breiten Freitreppe, die von den oberen Stockwerken hinab zur Halle führte, stand ein älteres Paar mit besorgten Gesichtern.
»Wenn sie sich nur nichts antut in ihrem Schmerz«, murmelte die weißhaarige Frau, die über einem dunkelblauen Kleid eine makellos weiße Schürze trug, über die ihre Hände jetzt unruhig strichen.
»Unsere kleine Komtess doch nicht!«, entrüstete sich Alfons, dessen Bekleidung ihn unschwer als »Mädchen für alles« auswies.
»Weiß man’s? Sie hing doch so sehr an dem Herrn Grafen.«
»Ja, sie hat ihn sehr geliebt.«
»Mein Gott, dieses Elend aber auch«, jammerte die alte Frau plötzlich los. »Was soll nun bloß werden aus der Komtess und dem Schloss? Sie kann doch nicht …«
»Schrei hier nicht so rum, Hermine. Du bist in einem Trauerhaus.«
»Das weiß ich. Deshalb mache ich mir doch Sorgen um Steffi.«
»Ich ja auch, aber deswegen brülle ich noch lange nicht hier herum. Wenn die kleine Komtess das nun hört.«
»Soll sie doch!«
»Wieso?«
Hermine antwortete nicht. Sie starrte die Treppe hoch, als könne sie mit ihren Wünschen das junge Mädchen dort oben erscheinen lassen.
»Also, ich halte das nicht mehr aus«, sagte sie schließlich energisch. »Ich gehe jetzt hinauf und sehe nach dem Rechten.«
»Das darfst du nicht.«
»Wer sollte mir das verbieten? Du etwa?« Hermine warf den Kopf in den Nacken.
Alfons verzichtete darauf, eine Antwort zu geben. Die Zeiten waren längst vorüber, in denen Hermine sich von ihm etwas hätte verbieten lassen. Er begnügte sich damit, bedenklich mit dem Kopf zu wackeln.
Hermine sah gar nicht hin. Sie setzte gerade den Fuß auf die unterste Stufe, als oben Steffi erschien. Ungewohnt ruhig und sittsam kam sie die Treppe herab. Sie sah die beiden Getreuen da unten stehen und versuchte ein Lächeln. Es misslang kläglich.
»Ihr wisst wohl schon …?«, begann sie und brach gleich darauf wieder ab, weil ihr die Stimme nicht gehorchen wollte.
»Arme Steffi«, sagte Hermine mitleidig.
Steffi ging zu ihr und legte ihren blonden Kopf an die Schulter der Älteren. Sie weinte nun doch wieder. »Was soll nur aus uns werden, Hermi?«
Hermine nahm sich energisch zusammen. Es nützte niemandem, wenn sie jetzt alle zusammen in Wehklagen ausbrachen. Davon wurde nichts anders, schon gar nicht besser.
»Zuerst setzt du dich einmal, Steffi«, sagte sie bestimmt. »Und dann hörst du auf zu weinen. Dein Vater würde dein Klagen nicht gern sehen, wenn er noch lebte. Es ist jetzt auch nicht die Zeit dazu. Zu vieles muss geschehen, zu vieles muss bedacht werden. Du stehst jetzt ganz allein da, Steffi. Alle Last liegt auf deinen Schultern. Ich sage das nur ungern, aber was nützt es dir, wenn du die Augen vor den Schwierigkeiten verschließt?«
Steffi schluckte ein paarmal heftig, folgte Hermine aber gehorsam zu einem Sessel und ließ sich hineindrücken. Sie zog die Knie an und schlang ihre Arme darum. Stumm schaute sie eine Weile auf den Boden zu ihren Füßen nieder. Wie sie so dasaß, wirkte sie unglaublich jung und zerbrechlich, und Hermine zog sich das Herz vor Mitleid zusammen.
Alfons war den beiden gefolgt, stand nun in einiger Entfernung und machte Hermine verzweifelte Zeichen, murmelte dabei unentwegt etwas vor sich hin. Hermine wurde schließlich aufmerksam.
»Was ist denn, Alfons?«, fragte sie mit hochgezogenen Brauen. »Was redest du dauernd vor dich hin? Sprich laut und vernünftig oder halte deinen Mund.«
»Ich meine ja nur«, wagte Alfons beleidigt zu bemerken.
»Was meinst du nur?«
Er verdrehte verzweifelt die Augen zur Decke. So resolut Hermine auch war, manchmal erschien sie ihm doch ein wenig begriffsstutzig wie eben jetzt. »Ich meine, du kannst die Komtess jetzt nicht mehr länger einfach mit Steffi anreden«, sagte er dann aber doch vernehmlich. »Sie ist jetzt unsere Herrschaft und …«
»Papperlapapp!«, sagte Hermine grob. »Ich habe an Steffi Mutterstelle vertreten, seit ihre Mutter im Kindbett starb. Ich war ihre Amme und später ihre Erzieherin. Steffi war mir immer wie ein eigenes Kind. Daran ändert auch der Tod vom Herrn Grafen nichts.« Sie legte mütterlich den Arm um Steffis Schultern.
Steffi sah zu Hermine auf. »Ach, Hermi, ich komme mir so hilflos vor. Immer hat Papa für alles gesorgt, sich um alles gekümmert. Jetzt liegt er da oben, so fremd im Tod. Ich kann es noch immer nicht fassen.«
»Ich weiß, Kindchen«, sagte Hermine mütterlich. »So was ist immer schwer. In deiner Lage ganz besonders. Du hast nicht einmal mehr Zeit, um deinen Vater in Ruhe zu trauern, das ist das Schrecklichste von allem.«