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Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Die Strahlen der Frühlingssonne fielen durch hohe Fensterbögen, verfingen sich in zartem durchsichtigem Tüll hinter blitzenden Scheiben und malten zitternde Kringel auf die leuchtenden Farben des heiter gemusterten Teppichs, der den Boden des eleganten Damensalons im Palais von Roussillon bedeckte. Feine alte Möbel aus Rosenholz im Stil des Rokoko standen an Wänden, an denen Bilder scharfgeschnittener, edler Männergesichter und sanfter, schöner Frauenantlitze in kostbaren Rahmen hingen. Mitten im Raum, auf einem mit heller Seide bezogenen Rokokosofa saß eine schlanke Frauengestalt unbestimmbaren Alters. Ihre Figur glich in ihrer Zierlichkeit und Anmut der eines jungen Mädchens. Die Züge des zarten Antlitzes waren ebenmäßig und edel, und reiches Blondhaar mit dem Schimmer goldenen Blütenhonigs war auf dem Kopf einer Krone gleich aufgesteckt. Über großen Augen von sonderbar intensivem Blau spannten sich hohe Brauenbögen. Unzweifelhaft war die Marquise Christina de Roussillon eine der schönsten Frauen, die von den Strahlen der Sonne zärtlich geküßt wurden, und man hätte sie in der Tat noch für sehr jung halten können, wäre der Ausdruck warmer Güte nicht gewesen und hätte die tiefe Menschlichkeit in ihren Augen ihrem Antlitz nicht einen Hauch von Reife gegeben, die einem sehr jungen Menschenkind noch nicht zu eigen sein konnte, ohne daß dies Christina de Roussillon etwas von ihrer bezaubernden Schönheit zu nehmen vermocht hätte. Eine starke Anziehungskraft ging von der reizenden Erscheinung aus, und wer einmal in diese tiefblauen Augen gesehen hatte, der konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden und mußte sie einfach gern haben. Christina de Roussillon trug an diesem frühen Vormittag ein schlichtes Hemdblusenkleid aus haselnußfarbener Wildseide. Den einzigen Schmuck bildete eine kostbare Brillantbrosche am Aufschlag. Dennoch wirkte sie unerhört elegant und vornehm. Sie hielt sinnend einen Brief in ihren schmalen Händen, und ihr zartes Antlitz trug jetzt einen Zug von tiefer Besorgnis zur Schau. Da war nun also eingetreten, was sie so viele Jahre gefürchtet hatte. Einen Augenblick lang erwog Christina, den verhängnisvollen Brief einfach zu vernichten und alles so zu belassen, wie es nun einmal jetzt war, aber sogleich wies sie diesen Gedanken wieder weit von sich. Sie hatte einmal ein Versprechen gegeben, und sie mußte es halten, so schwer es ihr auch fallen mochte. Zögernd streckte die Marquise die Hand aus und ergriff ein Glöckchen aus Silber mit kunstvoller Ziselierung. Gleich darauf erscholl ein heller Silberklang. Geräuschlos öffnete sich daraufhin im Hintergrund eine Tür. Eine ältere Dame, in starre dunkelblaue Seide gekleidet, trat ein und näherte sich langsam der Marquise. »Du, Helene?«
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Die Strahlen der Frühlingssonne fielen durch hohe Fensterbögen, verfingen sich in zartem durchsichtigem Tüll hinter blitzenden Scheiben und malten zitternde Kringel auf die leuchtenden Farben des heiter gemusterten Teppichs, der den Boden des eleganten Damensalons im Palais von Roussillon bedeckte.
Feine alte Möbel aus Rosenholz im Stil des Rokoko standen an Wänden, an denen Bilder scharfgeschnittener, edler Männergesichter und sanfter, schöner Frauenantlitze in kostbaren Rahmen hingen.
Mitten im Raum, auf einem mit heller Seide bezogenen Rokokosofa saß eine schlanke Frauengestalt unbestimmbaren Alters.
Ihre Figur glich in ihrer Zierlichkeit und Anmut der eines jungen Mädchens. Die Züge des zarten Antlitzes waren ebenmäßig und edel, und reiches Blondhaar mit dem Schimmer goldenen Blütenhonigs war auf dem Kopf einer Krone gleich aufgesteckt. Über großen Augen von sonderbar intensivem Blau spannten sich hohe Brauenbögen.
Unzweifelhaft war die Marquise Christina de Roussillon eine der schönsten Frauen, die von den Strahlen der Sonne zärtlich geküßt wurden, und man hätte sie in der Tat noch für sehr jung halten können, wäre der Ausdruck warmer Güte nicht gewesen und hätte die tiefe Menschlichkeit in ihren Augen ihrem Antlitz nicht einen Hauch von Reife gegeben, die einem sehr jungen Menschenkind noch nicht zu eigen sein konnte, ohne daß dies Christina de Roussillon etwas von ihrer bezaubernden Schönheit zu nehmen vermocht hätte.
Eine starke Anziehungskraft ging von der reizenden Erscheinung aus, und wer einmal in diese tiefblauen Augen gesehen hatte, der konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden und mußte sie einfach gern haben.
Christina de Roussillon trug an diesem frühen Vormittag ein schlichtes Hemdblusenkleid aus haselnußfarbener Wildseide. Den einzigen Schmuck bildete eine kostbare Brillantbrosche am Aufschlag. Dennoch wirkte sie unerhört elegant und vornehm.
Sie hielt sinnend einen Brief in ihren schmalen Händen, und ihr zartes Antlitz trug jetzt einen Zug von tiefer Besorgnis zur Schau.
Da war nun also eingetreten, was sie so viele Jahre gefürchtet hatte.
Einen Augenblick lang erwog Christina, den verhängnisvollen Brief einfach zu vernichten und alles so zu belassen, wie es nun einmal jetzt war, aber sogleich wies sie diesen Gedanken wieder weit von sich.
Sie hatte einmal ein Versprechen gegeben, und sie mußte es halten, so schwer es ihr auch fallen mochte.
Zögernd streckte die Marquise die Hand aus und ergriff ein Glöckchen aus Silber mit kunstvoller Ziselierung. Gleich darauf erscholl ein heller Silberklang.
Geräuschlos öffnete sich daraufhin im Hintergrund eine Tür. Eine ältere Dame, in starre dunkelblaue Seide gekleidet, trat ein und näherte sich langsam der Marquise.
»Du, Helene?« fragte Christina überrascht. »Ich habe nach Jean geläutet. Du weißt, ich würde dich niemals mit der Glocke zu mir rufen.«
»Ich hatte das Gefühl, dir nahe sein zu müssen«, gab Helene de Ravoux ruhig zurück. »Wenn dir meine Anwesenheit jedoch unerwünscht ist…«
»Aber nein, bitte bleib!«
Helene de Ravoux setzte sich umständlich in einen Sessel in der Nähe Christinas. Dann faßte sie diese schärfer ins Auge.
»Ist es nun eingetreten, Christina?«
Die Marquise senkte den Kopf und antwortete nicht. Was gab es da auch noch zu antworten?
»Was willst du tun, Christina?« Es klang gespannt und unruhig.
Die Marquise hob die schmalen Schultern.
»Was bleibt mir weiter übrig, als zu erfüllen, was ich einst versprach.«
»Du solltest es dir gründlich überlegen, Christina.«
»Das sagst du mir, die du mir in allem Lehrmeisterin warst, Helene? Wer anders als du hat mich denn gelehrt, ein Versprechen unter allen Umständen zu halten?«
Helene de Ravoux nagte an der Unterlippe.
»Ein Versprechen darf nicht bindend sein, wenn es Unglück für die Menschen heraufbeschwört«, entgegnete sie dann langsam.
»Das ist bisher durch nichts bewiesen.«
»Doch, Christina, weil du nicht imstande sein wirst, das zu halten, was man dir abverlangt hat. Du wirst mit der Lüge auf den Lippen leben müssen für lange Zeit, vielleicht sogar für immer.«
»Ich weiß es, Helene, ich habe es auch damals gewußt.«
»Aber nicht bis zur letzten Konsequenz durchdacht. Dir war die Lüge zeit deines Lebens verhaßt, Christina. Du wirst an der Lüge zerbrechen, und wozu soll das gut sein? Viel Zeit ist seither vergangen, und es ist noch sehr die Frage, ob man dir auch heute dieses unselige Versprechen abgerungen hätte, das dich zwingen will, die Heimat zu verlassen.«
Die Marquise de Roussillon erhob sich und trat mit gefalteten Händen an eines der hohen Fenster. Von der Gardine halb verborgen sah sie hinab auf den herrlichen Park.
Frühlingsblumen streckten ihre Köpfchen der Sonne entgegen. Rote Tulpen, unterpflanzt mit leuchtendblauen Vergißmeinnicht, flammten auf, umrahmt von ganzen Rabatten sattgelber Stiefmütterchen.
Minutenlang sah die Marquise auf dieses heitere Bild hinaus, bevor sie sich mit einem leichten Seufzer wieder ins Zimmer zurückwandte.
»Ich habe nicht das Recht, Angelika für alle Zeiten an mich zu fesseln. Ich versprach, sie nach Rothenstein zu bringen, wenn es an der Zeit sei. Der Tag ist gekommen, ich kann es nicht ändern.«
»Und du glaubst wirklich, es wird gut für Angelika sein? Du glaubst, es wird sie glücklicher machen? Du liebst Angelika doch und hast mehr für sie getan, als zu deinen Pflichten gehörte. Du hast ihr alles gegeben, was man einem Menschen nur schenken kann, nicht nur an Äußerlichkeiten, auch an Liebe. Du hast ihr dein ganzes Leben geopfert.«
»Sprich nicht vom Opfer, Helene, Angelika ist mein Kind. Wie könnte ich anders, als sie zu lieben und für sie dazusein. Sie ist mein ganzes Glück.«
»Sollte es für eine schöne junge Frau, wie du es bist, nicht noch ein anderes, größeres Glück geben als das der Mutterliebe allein?«
»Ich habe niemals etwas vermißt, Helene. «
»Weil du nur für Angelika lebtest, ich weiß es. Ich habe Prinzessin Angelika von Herzen gern, dennoch habe ich es oft bedauert, daß du ihretwegen bisher alle Bewerber um deine Hand zurückgewiesen hast. Dieses liebreizende Kind ist dir selbst zum Fluch geworden.«
»Sprich nicht so, Helene, ich will es nicht hören! Außerdem widersprichst du dir.« Die Marquise lächelte fein.
*
»Du weißt«, sagte Christina de Roussillon wenig später zu Angelika, »daß dein Großvater in Deutschland der Fürst von Rothenstein war.«
»Ich weiß, Mama«, erwiderte das zierliche schwarzhaarige Mädchen. »Weshalb fragst du?«
»Dein Großvater hat dich zu seiner Universalerbin eingesetzt. Dir gehört also Rothenstein, und um es für dich in Besitz zu nehmen, müssen wir dorthin fahren.«
»Aber ich kenne es nicht.«
»Du wirst es kennenlernen, Angelika. Es ist deine Heimat.«
»Nein, Mama, meine Heimat ist Roussillon. Hier bin ich geboren, und hier möchte ich leben. Ich möchte dich niemals verlassen.«
»Roussillon wird deine zweite Heimat bleiben, Angelika. Und verlassen wirst du nicht sein, da ich dich ja begleiten werde. «
»Du wirst bei mir bleiben auf Rothenstein?«
»Natürlich, Angelika. Du bist nach dem Gesetz des Landes, in dem Rothenstein liegt, noch nicht mündig. Deine Geschäfte dort müssen also vorläufig noch von mir abgewickelt werden.«
*
»Du lieber Himmel!« Cäcilie Gräfin von Seebach ließ sich entsetzt in einen Sessel sinken. »Das hat uns gerade noch gefehlt.«
Sie war eine ältere, ein wenig hagere Person, und man sagte ihr eine scharfe Zunge nach. Einige harte Linien um ihren Mund zeugten von einer gewissen Verbitterung, und Eingeweihte wollten wissen, es rührte daher, daß es ihr bisher nicht gelungen sei, bei Hofe zugelassen zu werden.
In der Tat war etwas Wahres daran. Sie hatte sehr gehofft, daß sich das ändern würde, wenn Michael erst einmal Fürst auf Rothenstein geworden war. Hatte sie so lange Geduld haben müssen, so kam es auf die zwei fehlenden Jahre auch nicht mehr an, zumal man Grund hatte, anzunehmen, daß die rechtmäßige Erbin von Rothenstein gar nicht oder nicht mehr existierte. Alle Nachforschungen waren seit Jahren im Sande verlaufen.
Und nun dies!
Sie ließ das Telegramm sinken und sah bis ins Innerste erschüttert zu ihrem Gatten auf.
Richard von Seebach starrte in das flackernde Kaminfeuer und antwortete nicht.
»So sage doch endlich etwas, Richard!« fuhr Cäcilie ärgerlich auf. »Du willst mir doch nicht einreden, es sei dir gleichgültig, daß man diese Angelika, an deren Existenz wir alle hier nicht so recht geglaubt haben, uns endlich gefunden hat.«
»Was ereiferst du dich nur so, Mama«, drang eine warme Männerstimme aus dem Hintergrund, und aus dem Halbdunkel trat eine schlanke aufrechte Männergestalt hervor.
Der junge Graf Michael von Seebach glich in manchem seiner Mutter. Von ihr hatte er die hochgewachsene Gestalt und das volle dunkle Haar.
Von ihr hatte er auch eine gewisse Zielstrebigkeit und seinen eisernen Willen. Die Augen jedoch waren ganz die seines Vaters, doch fehlte ihnen die Kälte.
»Wie soll ich mich da wohl nicht ereifern, Michael. Begreifst du denn nicht, was da auf uns zukommt?«
»Niemand weiter als die zukünftige Fürstin auf Rothenstein, Mama. Ich kann es mit dem besten Willen nicht anders sehen.«
»Und es ist dir völlig gleichgültig, daß du Rothenstein verlieren wirst?« fuhr Richard von Seebach dazwischen.
»Gott, Papa, wir Seebachs sind doch auch nicht gerade die Ärmsten. Ich habe es immer als ein wenig unrecht empfunden, daß wir bereits auf Rothenstein leben, als gehöre es uns.«
»Wir sind vom Nachlaßgericht eingesetzt worden. Man hat dort offenbar auch nicht mehr an die Existenz dieser sagenhaften Angelika de Roussillon geglaubt.«
»Das weiß ich ja, aber niemand kann etwas gegen sein Empfinden. Und ich habe mich hier eigentlich niemals heimisch gefühlt. Auf Seebach ist mir wohler, einfach weil ich weiß, dort gehöre ich hin.«
»Nun, du hättest auch hierher gehören können«, sagte Cäcilie, »aber der Besitz allein ist es ja nicht, was die Sache so unangenehm macht. Bedenke doch nur die Lage, in die wir kommen! Unsere gesellschaftliche Stellung wird bis in ihre Grundfesten erschüttert werden. Man wird uns nicht mehr einladen, man wird uns schneiden…«
»Das wirst du mir schon näher erklären müssen. Ich vermag nicht einzusehen, was das Eintreffen eines Kindes auf Rothenstein mit unserer immerhin recht gefestigten gesellschaftlichen Stellung zu tun haben soll.«
Cäcilie und Richard von Seebach warfen sich einen Blick zu.
»Mein Gott«, sagte Cäcilie darum langsam, »was ist da schon groß zu erklären. Christina gilt für die Gesellschaft schon seit langem als tot, da man niemals wieder etwas von ihr hörte. Ihr plötzliches Auftauchen hier wird natürlich alte Geschichten wieder aufleben lassen. Es war den Rothensteinern schon damals nicht angenehm, mit gewissen Dingen in Zusammenhang gebracht zu werden.«
»Christina von Rothenstein? Ich meine: Christina de Roussillon? Sie kommt also mit hierher?«
»Natürlich!« brummte Richard von Seebach und warf ergrimmt seinen Zigarrenstummel in das Kaminfeuer. Dann kam er näher.
»Ich weiß von Christina eigentlich recht wenig«, bemerkte Michael nachdenklich und ließ sich an der Seite seiner Mutter nieder. Ungerührt stopfte er sich dabei eine Pfeife. »Eigentlich nicht mehr und nicht weniger, als daß sie die einzige Tochter des Fürsten von Rothenstein ist und früh nach Frankreich geheiratet hat. Fürst Leopold war nie sehr gesprächig, wenn die Rede auf seine Tochter kam.«
»Er hatte Grund, sich nicht an sie zu erinnern.«
Graf Michael war ein nüchtern und sachlich denkender junger Mann und hielt seine Eltern in mancher Hinsicht für reichlich antiquiert.
Trotzdem packte ihn jetzt eine gewisse Neugier.
Die Mutter tat gerade so, als habe Christina ein Verbrechen begangen, zumindest in ihren Augen, und er war nun doch interessiert, Näheres darüber zu erfahren. Immerhin sollte er Christina, die er ja wohl als Tante betrachten mußte, bald gegenüberstehen, und selbst er hätte doch gern gewußt, welche Haltung er ihr gegenüber einnehmen mußte.
»Was hat Christina denn nun eigentlich verbrochen, Mama? Es hat doch wenig Sinn, wie die Katze um den heißen Brei herumzugehen. Wie sind wir überhaupt mit ihr verwandt?«
»Um etliche Ecken, Michael. Die Verwandtschaft ist auf jeden Fall weitläufig genug, um uns notfalls von Christina und deren Tochter distanzieren zu können. Ich glaube jedenfalls kaum, daß es Christina gelingen dürfte, in der Gesellschaft hier Fuß zu fassen.«
»Das ist noch nicht so sicher«, brummte Graf Richard vor sich hin, »sie hat nicht schlecht geheiratet.«
»Wenigstens nicht unter ihrem Rang«, meinte Cäcilie hochmütig.
»Sei froh.«
»Richard, ich bitte dich. Du nimmst die Sache ja schon fast ebenso gleichgültig hin wie Michael. Bei ihm kann ich das vielleicht noch verstehen, aber nicht bei dir, der du doch weißt, wie streng die Gesellschaft urteilt und wie wenig sie vergißt «
»Bitte, wollt ihr mir nicht endlich erklären, was man Christina de Roussillon vorzuwerfen hat?«
»Gar nichts«, sagte Richard von Seebach ernstlich wütend, »das ist es ja gerade. Mit Tatsachen kann man sich auseinandersetzen, aber was willst du gegen ein Gerücht tun, von dem du nicht weißt, wieviel Wahrheit es enthält und wieviel Lüge? Dagegen ist man machtlos, aber die Gesellschaft registriert es und ist vorsichtig. Sie stößt eher einen Unschuldigen aus ihren Kreisen aus, als daß sie einen möglicherweise Schuldigen in ihrer Mitte dulden würde. Das ist es, was deine Mutter beschäftigt. Und das ist es im Grunde wohl auch, was Christina in ihrer Jugend fortgetrieben hat.«
*
»Es ist sonderbar«, sann Angelika laut vor sich hin. Sie saß, in ein bezauberndes hellblaues Wollkostüm gekleidet, in einem Abteil Erster Klasse tief in die weißen Polster gelehnt und schaute versonnen aus dem Fenster auf die vorbeifliegende Landschaft. Ein schickes hellblaues Hütchen thronte auf dem schwarzen Haar. Am Revers trug sie eine brillantbesetzte Brosche in Form eines Käfers, am Finger den Ring, den der Marquis de Roussillon ihr als letztes vor seinem frühen Tod geschenkt hatte.
Ihr gegenüber saß Helene de Ravoux, Puck, den kleinen Rauhhaardackel, auf dem Schoß, da er sonst immer wieder versuchte, aus dem Abteil zu entwischen. Neben Angelika saß Christina.
In einem Wagen Zweiter Klasse fuhren noch einige Zofen mit, auf die weder Christina noch Angelika bei aller sonstigen Bescheidenheit hatten verzichten wollen, waren sie an deren freundliche Dienste doch allzusehr gewöhnt und wußten sie doch nicht, welcher Art Personal sie auf Rothenstein erwartete. Immerhin hielt Christina es nicht für gänzlich ausgeschlossen, daß man sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen würde.
»Was ist sonderbar?« fragte Christina ein wenig abwesend.
Sie hatte am Abend zuvor noch einmal das große Album durchgesehen und die vielen Fotos von Rothenstein und seinen Bewohnern sehr aufmerksam betrachtet, ja, sich gewissermaßen jedes einzelne Gesicht und jedes einzelne Zimmer eingeprägt. Dann hatte sie stundenlang über einem alten Bauplan des gewaltigen Schlosses von Rothenstein gebrütet und war schließlich völlig übermüdet schlafen gegangen.
»Daß ich mir meinen Großvater, den Fürsten Leopold von Rothenstein, so gar nicht vorstellen kann.«
»Du hast ihn stets nur auf Bildern gesehen. Da ist es sehr schwer, sich von einem Menschen eine lebendige Vorstellung zu machen.«
»Das mag wahr sein. Was war er für ein Mensch? Erzähle mir von ihm, Mama, bitte.«
»Nun, er war ein sehr aufrechter Mann von großer Willensstärke. Seine hervorstechendsten Wesenszüge waren wohl sein unbändiger Stolz und sein übersteigertes Ehrgefühl. Eine Beleidigung vergaß er niemals. Seine Ehre war ihm heilig und bedeutete ihm mehr als alles andere auf der Welt. Im übrigen aber galt er als warmherziger und edler Charakter.«
»Wie eigenartig du das sagst, Mama. Er galt… Es klingt, als hättest du deinen eigenen Vater gar nicht persönlich gekannt. «
Christina schoß eine tiefe Röte in die Wangen, ihr erschrockener Blick traf sich mit dem mahnenden von Helene de Ravoux, die unbehaglich hin und her zu rutschen begann.
»O nein«, sagte Christina da rasch. »Aber es ist für eine Tochter wohl immer schwer, den Vater objektiv zu beschreiben. Man greift unwillkürlich auf die Urteile der Umwelt zurück. Es geschieht ganz unbewußt und hat nichts zu bedeuten.«
*
Die Rothensteiner Wagen standen bereits zehn Minuten vor Eintreffen des Zuges am Bahnhof. Da man wußte, daß Christina mit einigem Gefolge kam, hatte man entsprechend vorgesorgt.
Cäcilie war auf Rothenstein geblieben. Man hatte sich mit allem einigermaßen abgefunden. Am Bahnhof waren Graf Richard und der junge Graf Michael und warteten.
Fauchend und prustend lief der Zug ein. Abteiltüren öffneten sich. Reisende stiegen aus, von Angehörigen mehr oder weniger stürmisch begrüßt.
Richard und Michael standen auf dem Bahnsteig und schauten sich die Augen aus nach einer Dame, die dem Bild einer Französin entsprechen mochte, und einem halbwüchsigen Kind.
Aber kein Kind entstieg dem Wagen Erster Klasse. Die Menschen verliefen sich bereits. Nur an einer Stelle des Bahnsteigs sammelte sich eine Menge Leute. Dort waren ein paar junge Damen aus einem anderen Abteil auf den Wagen der Ersten Klasse zugeeilt, begleitet von einem distinguiert aussehenden Herrn mit sonderbarem Haarschnitt. Koteletten, dachte Michael ein wenig amüsiert, wie altmodisch, und die Zwirnhandschuhe in ihrem schneeigen Weiß erinnern sehr an die Handschuhe des Butlers auf Rothenstein.
Er sah zu, wie die vier ein paar Damen aus dem Wagen Erster Klasse halfen. Eine grauhaarige Dame erschien zuerst. Ihr folgte eine bezaubernd schöne Frau, deren Alter schwer zu schätzen war. Graziös kam sie die Stufen herunter, gekleidet in ein elegantes marineblaues Kostüm. Ihr Haar schimmerte selbst im Dämmerlicht des überdachten Bahnsteigs golden auf. Michaels Augen hingen wie gebannt an ihr.
Dann aber schweifte sein Blick ab, gefesselt von einer Erscheinung, wie sie ihm noch nie begegnet war.
Eine junge Dame war in der Wagentür aufgetaucht, zierlich und anmutig, gekleidet in helles Blau, das zu ihrem fast schwarzen Haar in wunderbarem Kontrast stand. Ihr pikantes Gesichtchen war von unbeschreiblicher Süße und Reinheit. Sie hielt einen Rauhhaardackel im Arm, der alle Anstrengungen machte, ihr zu entwischen.
Michael wandte keinen Blick von der Erscheinung; er hatte seine Umwelt vollständig vergessen und wußte nicht mehr, weshalb er überhaupt hierhergekommen war.
Statt dessen zermarterte er sich das Gehirn, wie er die Bekanntschaft dieses zauberhaften Wesens dort drüben machen konnte, ohne aufdringlich zu erscheinen; denn daß sie der ersten Gesellschaft angehörte, stand außer Zweifel.
Durch seinen Vater wurde Michael unsanft aus seinen Träumen gerissen.
»Christina scheint nicht gekommen zu sein«, bemerkte er. »Das ist mehr als unangenehm. Wir können hier nicht gut die nächsten Züge abwarten.«
»Es wird uns kaum etwas anderes übrigbleiben, Vater«, meinte Michael ein wenig abwesend.
Von der Menschengruppe drangen fremde Laute zu ihnen herüber.
Ein wilder Verdacht durchzuckte Michael. Ein wenig atemlos fragte er: »Wie alt ist Prinzessin Angelika eigentlich, Vater?«
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