Die Geschichte, die vom Stift erzählte - Nataly Ritzel - E-Book

Die Geschichte, die vom Stift erzählte E-Book

Nataly Ritzel

0,0

Beschreibung

Die Geschichte, die vom Stift handelte, den ein Mann mir schenkte, als er mir von den bevorstehenden Ereignissen nine eleven nicht berichten wollte. Die Vorgeschichte zu einem nicht veröffentlichten Romanwerk über einen französischen Islamisten- Prozess. Sie enthält Entlassungsscheine, Vorankündigungen, Notizen, Trailer zum Roman "Prozess der 138 Angeklagten" - und ist - wie "RDMB Exekution" - ein literarisches Zufallsprodukt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 77

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Geschichte des Stiftes

Den ein Mann mir im Jahr 1999 schenkte, als er mir nicht von den bevorstehenden Ereignissen im Jahr nine eleven berichten wollte.

Kein Aleph, aber ein Atemzug.

Ein Atemzug, ein tiefes zitterndes Bedauern.

Mit dem er mir das hölzerne aber sehr elegante, einfache Füller-etui als Geschenk hingehalten hatte.

Albern nicht, die Aufzählung.

Das feine Holz war ganz offensichtlich nicht so viel wert wie ein bescheidenes fernnahöstlich wirkendes silbernes Zigarettenetui, aber es verriet die Mühe, die sich der Mann gegeben hatte beim Aussuchen. Vielleicht war es soviel wert wie ein Bier gewesen.. Und das mit dem Bier war wichtig.

Auch als B.

Als braunes und golden schäumendes Ding. In der Bar in Bologna. 6. Januar 1999. Gegen 10 Uhr 30.

Am sechsten Januar in Bologna war es sehr kalt.

Überhaupt schien mir Bologna – um sechs Uhr dreißig einer der kältesten Hotspots überhaupt Italiens.

Um sechs Uhr war ich angekommen. Eventuell auch 05:52 mit dem Nachtzug aus Berlin, über die Alpen.....

Aufwärtsgebogen wie eine wirre Haarlocke.

Der Fotograf hatte nichts gesagt in dem Moment. Im Gegenteil.

Keck, hatte er gesagt und drückte dann auf den Auslöser. Adrett sollte es sein, avenant, aber nicht zu viel versprechend, ein nettes einfaches Bild darum hatte der damals noch junge Mann jahrelang gebeten...auch ein Beginnen...im zweiten Anlauf...dennschließlich hatten wir uns bei mehreren Treffen in Paris und in Rom verpasst...er schien vergessen zu haben, wie ich nun genau aussah. Das kann vorkommen, wenn man sich nur ein einziges Mal sieht und danach nur noch Briefe tauscht, oder telephoniert. Etliche weitere Rendez-vous waren aus unerfindlichen Gründen nicht zustande gekommen.

Schließlich vermutete ich, er sei gar nicht in dem Land, in dem er zu arbeiten vorgab. Das Treffen in Barbès-Rochechouart nichts weniger als gerade neben an. Mühsam und zeitraubend der Weg nach Anvers, Metrostation, sonst so einfach für jeden dahergelaufenen Touristen. Selbst die rue Myhrra, die Moschee und all die anderen dunklen verwirrenden Läden in den noch verworreneren Gässchen der sogenannten Goutte d’Or im 18. Arrondissement schienen mehr als einen transzendentalen Katzensprung entfernt zu sein. Das kleine Café zwischen 17h und 19h irgendwo zwischen der rue de Dunkerque und der rue Clignancourt. Damit er es nach der Arbeit dahin schaffe, hatte er angedeutet. Aber mir hatten die Leute nicht gepasst, die drumrum standen, die um meinen Tisch herumsaßen.

Wie beschreibe ich annähernd den Zeitpunkt an einem Ort, der nach dem russischen Wort „büstreje“ schneller benannt worden ist? Wie das Warten? Das windzerzauste Haar in den Spiegeln, den verscharrten Raumecken ordnend, die größere Tiefe, weitere Räume vorspiegeln sollen? Und je länger ich mir Cafe und Wein ansehe, während ich auf jemanden warte, der weder Wein noch Kaffee trinkt, desto mehr gehen mir die jungen Männer gegen den Strich, die die Tische um mich herum besetzt halten. So gleichgültig und gelangweilt, als würden Schwule auf den Porno warten, dessen Projektion durch die Anwesenheit Minderjähriger, noch dazu von Mädchen nach hinten verschoben wurde. Kurz: ein verbissener Moment der Aversion, der durch Desinteresse verdeckt wird.

Was ist der genaue Treffpunkt, wenn einer in Mailand am Bahnhof wartet und der andere in Rom termini? Was, wenn das Café bei Barbès legèremment anders heisst?

Dann schauen Sie sich die Leute an, die drumrum sitzen. Es gibt Leute deren Fressen stinken. Und dies schreibe ich hin, auch auf die Gefahr hin, dass mir der Computer wieder abstürzt.

Zuhause fiel die Tür hinter mir und meinem wütenden Schnauben ins Schloss.

Im Raum daneben war das BiepBiep des Anrufbeantworters zu hören.

Er wolle mich einladen.

Offenbar war er schon eine Weile hinter mir hergegangen. Doch meine Gedanken waren so dicht und das Gestrüpp ihrer Schlussfolgerungen so verfilzt, dass ich ihn erst bemerkte, als er mich ansprach.

Auf einen Kaffee – oder irgendwas anderes....

Wir standen vermutlich weithin sichtbar auf Festungswällen, wie auf einer Postkarte sehe ich mich von hinten oben, zögernd... Halbschlafend im Gestrüpp verfangen meiner Gedanken, ich bin dann so verdammt unspontan, geht garnicht. Einen Kopf über mir, krumm, die spöttische Frage.

Ich kann mich kaum mehr an sein Gesicht erinnern, nur an einfache, zerschlissene Kleidung, von und für einen, der nicht viel Geld hat. Eindeutig zu jung.

Ein lachendes, aufgeregtes Bübchen.

Warum soll ein Kind, das noch kein A schreiben kann, schon lernen, wie man ein B schreibt? Fragt ein Koranlehrer den enttäuschten Vater in irgendeiner dämlichen Koranschulanekdote, die mir hier den Sinn des Beginnens verdirbt.

Es ist diese Anlaut-Geschichte.

Nicht mehr e Hauch und doch schon.

So zog ich mein H wieder ein und wieder aus, auf dem Vorplatz, der tiefverschlafend in strengster katholischer Feiertagsruhe vor mir lag.

Es war arschkalt in Bologna.

Ich hatte vergessen, rechtzeitig, vor der Fahrt Geld umzutauschen. Und eine Unterkunft hatte ich auch nicht, würde ich aber finden, da vertraute ich meinem Stern, den zu finden auch nicht schwer gewesen wäre, würde Bologna nicht in einem Hochnebelloch liegen, wie sich mehrere Stunden später herausstellte.

Kurzerhand ging ich einfach gerade aus los, darauf vertrauend, dass ich in einigen Stunden gewärmt dort ankommen würde, wo ich laut Vereinbarung ankommen sollte.

Schliesslich sind selbst fremde Städte nach logischen erfassbaren Prinzipien aufgebaut, die es einem Ortsfremden, der die Sprache nicht kennt, ermöglicht, relativ schnell die Lebensadern des Stadtzentrums zu finden.

Allerdings ist das ziemlich egal, wenn man um sechs Uhr morgens bei minus sechs oder sieben Grad an einem hohen Feiertag durch die Altstadt von Bologna trödelt. Oder hastig durchrennt, auf der Suche nach einem Hotel, schnell und eckig, wie jemand, den es sonst zu sehr friert. Eckig, wie jemand, der müde ist, schlecht ausgeschlafen, steif und unbeholfen nach langer Fahrt. Die Zeit vergeht nicht. Die Zeit steht still. Die Juwelierläden sind gut gesichert, die Schaufensterauslagen nachweihnachtlich leer und bescheiden aber strahlend hell erleuchtet, so dass sich das Verweilen nur der Leere halber schickt. Die strahlende Helle in steinernen Kolonnaden vermittelt den Eindruck satter, erfolgsverwöhnter Bescheidenheit, die sich der Contemplation des Flaneurs nur deshalb anbietet, weil sich beide zufällig am zentralsten Ort der Stadt befinden...Ob die Rolex oder Omega oder Cartier Uhr nun nur deshalb nicht mehr an ihrem Schaufensterplatz weilte, weil man sie vorsichtshalber in den Safe verfrachtet hatte, oder ob aus anderen Gründen, war nebensächlich.

Was sagt auch die An- oder Abwesenheit einer Uhr in den marmornen Kolonnaden einer von Feiertagsruhe gelähmten Stadt aus? Der sechste Januar, der Tag der Ankunft der drei heiligen Könige aus dem Morgenland ist ein zutiefst religiöser Feiertag in Bologna, wie ich zu meinem Bedauern feststellen musste. Kaffee um Sieben schien jedenfalls nicht zu den Dingen zu gehören, die eine tiefreligiöse Hospitalité Gastfreundschaft um sieben Uhr anbietet. Balthasar und Kaspar und Melchior... und der Mohr? Nein?

Waren einen langen Weg gegangen, um Geschenke zu überbringen. Sie hatten sich wahrscheinlich nicht die Auslagen in Sanâa oder Jerusalem angeguckt, um noch schnell was NEUES mitzunehmen, bloß weil B oder C oder M unterwegs was kaputt gemacht hatten. Als meine Füße anfingen zu schmerzen, hielt ich wieder nach einer billigen Absteige Ausschau. Die findet man natürlich NICHT in der Stadtmitte. Gewöhnlich sind die hinterm Bahnhof zu finden. Aus irgendeinem Grund lief ich aber in die andere Richtung.

Sah aus wie die Gegend der Kesselflicker.

Irgendwann gegen acht oder neun Uhr war ich in der

Basilika ....angekommen;

Noch nicht viel los, nur unendlich viele leere Stühle.

Stühle, nicht Gebetsbänke verstellen meine Erinnerung. Fast wars als kämen sie aus einer absurden Theaterinszenierung, da alle die noch nicht Wartenden, noch Schlafenden auf ihren geisterhaft leeren Stühlen saßen.

Und eine gigantische Predigtkanzel.

Vielleicht hatten die zwei Stunden Spaziergang in eisiger Luft nach einer schlecht durchschlafenen Nacht in einem Sitzabteil meine Sinne leicht verschoben –

Bei mir ist das andauernd der Fall, selbst meine engsten Freunde würden mir kein Hasch anbieten, oder irgendein anderes Dope aus Angst, ich gerate gänzlich außer Kontrolle,

Aber diese fettbäuchige Kanzel, deren offenes Maul Ihres Predigers harrte, schien mir – ganz in niederländischer Manier ein unförmiges Karpfenmaul auf Stelzen über dem Stühlemeer lauernd, ganz die Kreatur der giftigen Dünste von Weihrauch und Mutterkorn - voller kleiner schwarzer Blasen, die sich zu dicklichen pelzigen Matronen aufplustern, schwarzen rundbäuchigen Signoras.

Eine von ihnen – heruntergeplumpst – oder sachte vom kalten Windzug, der in dieser kalten Basilika herrschte, in eine Ecke geweht, zögernd, trudelnd, angezogen von dem kleinen Ort, an dem herzenswarme Kerzenluft langsam, stetig, vergehend strahlte. Es schien mir, das kleine Bläschen Signora hätte sich dort zweigeteilt und festgeklammert, schließlich braucht ein altes Fräulein auch ein bisschen Wärme, an der sie herumhantieren darf nach Belieben, und ein Mann hätte sich dazugesellt, während ich noch schockiert die niederländische Scheußlichkeit von Stühlemeer und Walfisch betrachtete, aus der die Leere weiter schwarz blubberte. Vielleicht schienen mir auch die Colonnaden urplötzlich erfüllt von nun erwachten, trägen Massen, Paaren, Dreiergruppen, die sich festtäglich und ernst gewandet , langsam, LANGSAM nach vorne schoben und schließlich begannen, draußen durch die Colonnaden zu rollen, begleitet von ihren schwarz gekleideten dicklichen Signori, pummelig, drall wie schwarze Luftballons zwischen Knie und Kniehöhe von der eigenen Drallheit gehalten hüpfend, doch ihr Gewicht, die kalte Luft und die eisigen Atemwinde verhinderten wohl, dass sie über Bauchnabel und die Bauchnabelhöhe von einmeterzehn hinaussprangen, so trudelten sie streng geradeaus durch das Geschäftsviertel. Ihr verächtlich verzogener, verächtlich fröhlicher Mund blies kaum sichtbare Luftbläschen an die steinernen Aquariumswände, la Bourgeoisie elle-même, erwacht zeigt kaum mehr als glotzende Herablassung angesichts der gähnend leeren