Orfé's Breakpoint - Nataly Ritzel - E-Book

Orfé's Breakpoint E-Book

Nataly Ritzel

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Beschreibung

Orfé Breakpoint. Theaterstücke aus den Jahren 1995 bis 2012. Pinède - Die Kiefern. Orfés Breakpoint. Der Winkeladvokat. Ives und der Unbekannte.

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Inhaltsverzeichnis

Die Kiefern

pinède

Orfés Breakpoint

Der Winkeladvokat

Ives

DIE KIEFERN

Nataly Ritzel edition Faubourg Galerie

35 rue Eugène Carrière

75018 Paris

DIE PERSONEN:

mignon, der junge Mann (sein) Vater

der Antisemit, auch genannt A-gay (der Bruder)

Scardanelli

zwei oder drei Faune (Transvestiten) - die Erzähler

die Kleptomanin

1.AKT

Äpfel

das angeschwemmte, angespülte Obst

Meeresäpfel -

les femmes jalouses

zerstampft in den Fluten.

Jemand, der am Meeresstrand entlangläuft

vom Tosen der Brandung,

von den Spuren der AGAPE verfolgt.

Narrateur:

Scardanelli von weitem, durch das Wasser schlendernd

Scardanelli:

Aphrodites Versagen

den Hengsten des Meeres Pflaster Stein Beton

Todessehnsucht und

Illusionsspiegelung

Das Problem ist doch, dass hier keine Handlung

möglich scheint: einer kann entweder in den eigenen

Phantasiegesetzen verloren gehen - oder er handelt

hier sehr wohl, weil andere den eigenen

Illusionsgesetzen NICHT gehorchen

und mit Traurigkeit muss man die Konsequenzen

tragen

Traurigkeit, die das Ufer (erreicht),

Narrateur:

Champagnermonolog Scardanellis

SCARDANELLI:

Du musst dein Leben ändern

Vielleicht erkennt man den Grad der Verwesung, der

moralischen Verrottung -

wie jenen an seinem Glück

Ist das Leben Sterben ist die LIEBE eine Imitation,

bestenfalls, die aber andere

sterben lässt .

Narrateur:

Kommentar von weitem

Scardanelli

Die psychotische Umkehr einer idyllischen Idee

NARRATEUR:

Szenenbeschreibung Strasse

Die Provokation einer männlichen Hure.

Die Bedrohung, die von einem

Transvestiten ausgeht

(eine Gruppe von jungen Männern umringt eine

Transe) Springmesser, die in Handflächen blühen,

töten, um die Ehre, die Männlichkeit

wiederherzustellen:

Gewalt, die kein “unpräzises” Umsichschlagen ist.

Gewalt als männliches viriles Mittel der

Selbstbehauptung.

Scardanelli der auf den jungen Mann trifft, in

Gegenwart des Antisemiten.

Der junge Mann, der im Gemenge Scardanelli eins

aufs Maul schlägt:

“Deine nihilistische Poesie und “Menschlichkeit” ist

eine, die totgemacht zu werden verdient.”

Der Antisemit, der sich von der Gruppe löst, entfernt

sich von der Schlägerei

entwickelt die merkwürdigen Thesen des Antisemiten

Antisemit:

Was gibt es da schon zu verstehen, wenn einer sich

nicht erinnern will.

Man stelle sich vor - da stünde mein Vater

und ich sagte:

Wär schön gewesen, man hätte mal mit seinem

Nazivater ein Wörtchen reden können -

(das ist doch albern, wer tut so was) -

und ich sage noch: Vater, es hätte mir gutgetan, wenn

du dich gefreut hättest,

dass ich nach SACHSENHAUSEN gegangen bin

weil ich mal sehen wollte, wo du gearbeitet hast,

wo du jeden Tag in dein Schreibbüro gegangen bist. Vater,

wenn du dich gefreut hättest.

Es wäre schön gewesen, wenn du mal zuhören

würdest.

Was soll ich mir Mühe geben. Meines Vaters Mund zu küssen.

Was soll ich mir Mühe gaben, zu verstehen, was bei

jemandem im Kopf abgeht - bei jemandem, der

vergisst, damit er nicht unangenehme Fragen gestellt kriegt.

‘ sgeht mir am Arsch vorbei.

Narrateur:

Scardanelli der sich verteidigt:

Die Feigheit, die - das plaisir des Nihilisten ist

(Scardanelli lacht und tritt ins Leere)

die Schlägerei eine Clownssequenz

Scardanelli spielt Irre: einen Bettler ignorierend

(stürzt und schlägt auf den Bettler ein)

(Scardanelli fliegt und tritt ins Leere)

Scardanelli:

Der hermetische Nebel.

Die Traurigkeit hinter einer

mythenerschaffenden Lust

Menschenbäume und dazwischen:

das Prokrustesbett

der hoch und auseinanderschnellenden Kiefer

der Demütigung nachfolgende Verführung

in den Traum.

Narrateur:

Szenenbeschreibung

Bois de Boulogne - M° Terminus

Baustelle Ganymed.

Der Flugapparat ist nichts anderes als ein schnelles

Auto, ein Mercedes, im Bois

geparkt, bewacht von der Melancolie eines 15-jährigen Knabens

Im Schatten des Waldes und seiner dunklen Stämme

gleicht die Silhouette des Jungen den Formen eines Satyren.

Strassenstrich. Bois de Boulogne. M° - Terminus Der Vater zwischen den Bäumen - zwischen den “Nutten”;

Der Vater:

Wo ist mein Sohn?

Ich will nicht dass er das macht, dass er sich hier

prostituiert.

Narrateur:

Mignon, in einer beschäftigten “Amnesie”.Der Vater imitiert ein Jiddisches, von ihm selbst so erfunden

Der Vater:

(Weisstduich hab gradso nachgedenkeltïber mïch ... und da kam mir die Idee des Opfers, die Idee aber verdreht, andersrum.

Mignon:

Ich kann jetzt nicht.

Vater: Höre.

Ich fühl mich, als ob man mir ein Scheckheft

gestohlen hätte.

Einer, der mich am Hals gepackt hält -

aber alles was du anbringst, taugt nix. Es reicht nicht.

Ich bin das Opfer hier.

Hör zu, hör auf - hör auf diese pseudogriechischen

Posen anzunehmen - sist albern. Es ist einfach lächerlich.

Mignon halb gebrüllter Spott, halb gebrüllter Lacher.

Schau sie dir doch an, schau dich doch um: kein

einziger hier ist echt - (und siehst du) das ist

degradierend. Das ist demütigend.

Vater: Halts Maul

Mignon:

Ah - haben sie dich schlecht behandelt?

Vater: Ich hab die Lösung.

Ich hab den Dummen gefunden, das Schwein gefunden,

den Idioten, der für einen Idioten die Haut zu Grabe

trägt - nicht schlecht was?

Das Schwein, das nicht GUT für uns ist - das uns

verboten ist, das Opfertier und seine zum

Himmelschreienden Füsse - hastes verstanden?

Aber du magst es ja - deine Haut zu Markte zu tragen.

Was geht die mein verletztes Feingefühl an.

Narrateur:

Mignon zuckt die Achseln.

Vater Hab ich mirs doch gedacht -

(er flüstert dem Jungen ins Ohr)

(-)Um weniger Zeit mit dem Verrat an mir zu

verbringen -

Gerade darum heisst es stark sein.

mignon Warum den Juden? EINen? DEN?

Narrateur:

Der Vater hinter einem Baum stehend (unsichtbar).

Der mignon, der im Autoscheinwerferlicht steht.

Der Vater schnellersprechend Böschungsweise aufwärts

Der Vater:

Was interessierts mich, ob du nun zuhörst oder nicht,

du kleines durchgeficktes Arschloch.

Narrateur:

Mignon - von einem Kunden angegangen,

angeleuchtet.

Der Vater

Was mich das kostet -

Narrateur:

Mignon kommt wortlos allein zurück.

Vater: In welchem Ton sprichst du denn zu mir.

Mignon:

Was kann ich denn dafür? Machts dir was aus - dem

Vater mit dem Du kommen, den intimen Details

meiner stand-ups, meiner Hinterdentürenliebschaften?

Vater:

Der kleine Arsch, der von der Substanz her doch

nichts anderes als ein kleines kriminelles Arschloch ist

- er weigert sich.....

Er verweigert, schau an -

Mignon:

Wenn ich s richtig sehe, ists die zähneknirschende

mühsame Moral, die sich einen ganzen ROMAN

erfindet von der Biographie grausam und traurig der

anderer -

Du erfindest alles, dein Leben, das Leben der anderen -

du manipulierst alles und jeden

du bedienst dich immer und überall -

Er erinnert mich an den Krieg -

die entsetzlich verstümmelte Erinnerung ....

von Hass ....

Mignon

Ich versuche dir gerade, wieder, wiedermal Respekt

beizubringen

dir von meinen Schwierigkeiten zu berichten, meines

Kindseins

meiner vaterlosen Aufzucht

Der Vater

Was geht die Vergangenheit einen

Vergesslichen an?

Einen, der nie wusste, wos hinging

Der Wald und die nächtlichen Luftangriffe, Russen

und die Sentimentalität der Grossen der Erwachsenen,

die Nostalghie gereifter Gefühlswelten.

Mignon

Das erinnert mich an was - Hast hungern müssen im

Krieg. Als kleines Kind.

Vater: Soll man nicht drüber spotten.

der junge Mann:

Du bist total selbstgerecht. Du gefällst dir in deiner

ANGEBLICHEN UNSCHULD. Du benutzt deine

Kriegskindheit, um Alkoholismus und Wutanfâlle der

letzten dreissig Jahre im Voraus abzubüssen

Vater:

Büsse ich? war mir nicht bewusst.

Narrateur:

Szenenwechsel

Wald statt Wohnzimmer

verprügelt ein Vater seinen Sohn wie wahnsinnig

brüllend:

Du verdammtes Arschloch um dann, in der

eingetretenen Stille befriedigt an den Tisch

zurückzukehren, trinkt dort, betrinkt sich

Vater: Was weiss er nich - wie Sterben geht?

Narrateur:

Der Vater, dem Sohn erklärend

Du wirst eines Tages lernen, dass du nicht dein

Vergessen überwinden, sondern, dass du es von

anderen bekommen musst .

Narrateur

Bildbeschreibung

Rückkehr des mignon zwischen den Bäumen zur

Strasse

Vater:

In die Erde Schaufeln Bäume setzen pflanzen

Waldgänger Höhlengleichnisse der Sodomisation

dicht wie ein platonischer Wald -

Hebammenwege hineingefragt.

Die Rückkehr des mignon zwischen den Bäumen zur Strasse

die Jungfräulichkeit des Vaters

in den Spuren des Maskulinen rückwärtslaufend -

die Spiegelung der Bäume im Wasser.

Narrateur:

Begegnung des mignon und des Klienten, später

der Antisemit Bois de Boulogne - M° Terminus

Der mignon, echogelotet vom Antisemiten:

Im Laufen durch die Strassen werden die

Erinnerungen mir schon wieder hochkommen,

die Souvenirs der Homophobie durch die

Jahrhunderte

werden mir kommen

Homophobie Judeophobie

im Laufen durch die Strassen mit dem Geruch von

Urin werde ich mich erinnern

an die Angst und den Horror einer gestohlenen

Kindheit einer totgeschlagenen

kindlichen Unschuld rausgeprügelt

Ein vergewaltigtes Kind

das ist was?

eine Metapher

die Metapher einer obszönen Gesellschaft die über die Jahrhunderte hinweg ihr Wissen ihr Vergessen streift. Obszöne Welt, die nichts ausser REINEN Kindern sehen will

und Mignon:

Aber ich bin rein bin unschuldig

das Martyr de l’homme pur das ist:

meine Unschuld erfuhr noch keine Korrektur, kennt

noch keine Moral

Mignon (der sich wieder fängt)

Vor ein paar Jahren war ich ein kleiner Dieb. Aber dann hab ich damit aufgehört. Bringt nichts ein. Ich hab einen Psychotherapeuten konsultiert und dannwar damit Schluss. Die Lust verging mir. Wer stirbt schon im Schlaf. Es gibt selbst welche, die stört ein Diebstahl nicht im Schlaf. Die Hände, die in ihren Taschen wühlen. Das ist Flaschentonmusik. Hauchen - mit dem feuchten Finger über ein halbvolles Glas fahren

Narrateur

(der Antisemt kommt hinzu)

Antisemit:

Ich suche einen Unberührten

Narrateur

(lacht): Bitte.

Narrateur

Der Antisemit, der einen Unberührten sucht, befragt den mignon, eine Intrige vermutend, seinen Bruder.

Der Antisemit

Das kriminelle kleine Arschloch, mein

BRUDER(herz) -

- nun was ist was springt raus bei der Sache bin ich

drin? Mit dabei?

Sag schon - muss ja auch auf meine Kosten kommen.

Mignon (Schweigen).

Antisemit:

Indem er sich totstellt, wie immer.

Narrateur:

Der Mignon entfernt sich.

Narrateur:

Eine Diskussion zwischen Faun1 und Faun 2

melodie

le plus beau cul - Oedipe inverse

la couleur bleu m’était toujours parue importante

die Farbe Blau schien mir immer bedeutend - ein

blauer Arsch

die Utopie des Androgynen

rouge et jaune: nicht unbedingt Herbst-Brokatmodelle Gelb die Farbe des Neids Rot - der Mund

Szenenbeschreibung Bar

Scardanelli und der Antisemit diskutieren über Melancholie und Unschuld.

Antisemit:

Ich will den Schuldvorwurf nicht mehr haben.

Ich wills nich mehr hören.

Ist nichts alsn Rückstand hypokriter Moral, nichts als

eine schlechte Laune, der Vorwurf, etwas unterlassen

zu haben.

Der Vorwurf, versäumt zu haben - du musst dein

Leben ändern! -

und der Torso sieht dich an.

Der Vorwurf, besser anderes anders getan zu haben,

haben zu können,

die vertane Möglichkeit, die vertane Zukünftigkeit -

eine verbrachte vertane Nacht, die dich um eine

Zukünftige ärmer macht.

Die Jungfäulichkeit ist doch überhaupt kein Thema.

ABSOLUTE REIHNHEIT

was soll denn das? Wir stehen doch mitten drin.

Das ist so niederdrückend, dass das keiner kapiert.

Scardanelli:

Die Melancholie, die einen überfällt, wenn man

bedenkt, was einem angetan wurde - wie man

gezwungen wurde, sich zum Vorgefallenen einer

einzigen, mit siebzehn verbrachten Nacht

zu stellen,

es hat mich hart gemacht.

Antisemit:

Des Schuldvorwurfs wie ein Pfahl im Fleisch -

penetrante Anklage, die nichts mit meinem Leben zu

tun hat, etwas betrifft, was vor meiner Geburt

stattfand - lange davor.

Lange davor: diese Idee einer Kausalitât von

Verantwortung bleibt dumm und gleichgültig, im

besten Sinne pedantisch besserwisserisch.

Ich habe mich befreit - als, mit vierzehn fünfzehn

(Jahren) in den Auseinandersetzungen der Pubertät

ich mich mit der Welt auseinandersetzen musste, mit

meinem So- und Andersein, als ich gleichzeitig meine

Wahl traf meine Bestimmung erkannte: für den Mann.

(DAMALS) Da hab ich mich mit dem Faschismus

auseinandergesetzt. Aber JETZT muss ich das nicht

mehr - ich muss es nicht andauernd tun. Ich muss

mich nicht rechtfertigen.

(Pause)

Ich habe mich befreit - und muss nicht mehr die (alten) Probleme der früheren Schwulenbewegung mit mir herumschleppen.

Scardanelli:

Wenn man die Abgründe bedenkt, in einer einzigen Nacht.

Eine einzige Untreue wiegt nicht diese Melancholie auf. Ich könnte mir (jetzt) - heute abend eine Frau kaufen

aber selbst das würde mich nicht befriedigen.

Eine Frau, die mich betrog, ja, das hab ich schreibend wieder eingefangen.

So stellt man Unschuld wieder her.

Die Unschuld des Gelassenen. Der Männlichkeit.

Antisemit:

So stellt man Unschuld wieder her -

(gefällt mir der Gedanke).

Die Unschuld des bösen oder guten Gewissens die

Unschuld der Lust die Unschuld anders als genähte

Jungfernhäutchen oder die Unschuld durch

den albernen körperlichen Verfall.

Scardanelli

Man rekonstruiert Unschuld durch eine

symbolträchtige Aktion.

Antisemit:

Warum kann er das nicht aushalten, von einem

Manne angefasst zu werden.

Da kann man aus dem Symbolischen mehr rausholen

Sich in eine Situation hineinwehen lassen hineinziehen

hinauswehen als wäre man nicht beteiligt

die Passivitât - ganz andere Seite der Passivität.

Die Unschuld durch Untreue wiederherstellen - aber

Untreue ist nicht Untreue wenn sie ein Neubeginn ist.

Scardanelli (ein wenig verloren)

Ja. Dein Körper. Das ist eine Realität.

(er beginnt zu lachen)

Ich spinne - ich träume, scheints

LIEBEN. “Geliebt-werden” interessiert mich das?

Es gibt nur Langweile zwischen Gott und Menschen.

Der Traum, ein Schicksal zu haben

um endlich einen Steifen zu haben, zu erigieren -

das, das ist die Apokalypse.

Das ist apokalyptisches Scheitern.

Antisemit:

Immer dieses Leiden - im Dunklen - Dämonen dieser

Mitmenschlichkeit - expressionistische Leidensformen

- gehts mal anders.

Es ist die Melancholie, die unbefriedigend ist

Scardanelli:

Natürlich melancholisch.

Antisemit:

So stellt man Unschuld wieder her - gefällt mir

wirklich. Ein Sebastian - ich - jeder Pfeil ein Orgasmus

ach komm komm

Scardanelli

Was verstehst du schon von Melancholie.

Antisemit:

Ich? Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund

Die Melancholie ist nicht Lust? Nicht sinnlich? Wild?

Kein Faun - melancholisch?

Narrateur:

Scardanelli und der selbstbewusste Gay verfallen

im Verlauf des Gesprächs einer Vodkatrunkenheit

(er schlägt in der Erregung dem trinkenden Scardanelli

mit der Faust von unten her das Glas an die Zähne,

der bemüht sich, die Scherben nicht mitzutrinken).

Narrateur:

Szenenbeschreibung

Abendviolett verdunkelnd.

die Utopie des Androgynen. rouge et jaune.

Träume eines Travestiten, der in der façon eines

Philosoph halbangelehnt

mit einer Pobacke auf einem Toilettentisch sitzt in

einem rot ausgeschlagenen Etablissement.

Rouge, sagt Bacon, ist die Farbe der Mundhöhle

und Lenin als Kabarettfigur unter niedrig gespannter

zerrissener Stoffdecke

hinten fiedelt das Orchester

ein Abend, der erst angefangen hat.

Narrateur:

Ein Transvestit, der das Gehen übt und über seinen

Gott nachdenkt,

darüber nachdenkt, was er tut -

über die Gestik befreiter Sexualität, das Nachdenken

über die Herkunft und den Ursprung der

dramatischen Geste, den heiligen Tanz -

Ein dramatisches Problem.

Das double voice das Druntermitsprechen des Gottes.

(den Jupiter- Amphytriontext)

Der Transvestit übt Unschuld.

Bewegungsstereotypen Unschuld (er kann auch

Hanteln stemmen).

Narrateur

Szenenbeschreibung

Boulevard Clichy

Scardanelli, allein auf der Strasse, beobachtet

ein dunkles Schaufenster und schwengt seine

Zigarette

Scardanelli:

Was isn das?

Narrateur:

Immer noch trinkend Scardanelli

Scardanelli:

Du hast keine Ahnung, wie kaputt sie dich gemacht

haben. Was weisst du schon vom Atmen.

Vom Schicksal.

Du hast keine Ahnung.

Narrateur:

Scardanelli (spricht zu einem Schatten hin, allem

Anschein nach eine Frau, eine Nutte)

Scardanelli:

Man muss masturbieren können. Auch vor anderen.

Ich liebe es, wenn du dich masturbierst.

Chorusfragmente des Fauns

Die durch den Tod gingen erfuhren den

Tod als Chance, sich der Liebe zu versichern

Wozu braucht ein Gott Unschuld?

Ist das Leben eine Wanderung

zwischen Eifersucht und Tod

zwischen Halbschlaf und Schlaf

Die Liebe ein Erwachen aus dem schlechten Traum

die EINMAL im Leben getroffene Entscheidung

ABER gegen die Existenz eines anderen.

Erzählt der mignon, sein Hotel verlassend

Mignon:

Wie kämpften wir noch um die Geldbörse, der

Nackte, der hinter mir herrannte, aus dem Schlaf, vom

Dämon der Impotenz hochgerissen

über die eigenen Füsse stürzend rufend: Bleib da Geh

nicht mit verquollenen Augen, gleich dreimal grösser

als in meinem schlimmsten Albtraum

um sein Jackett zu retten, die verstreuten Utensilien

seiner Taschen das Beruhigungsmittel, das er später

nehmen würde. das Valium.

VALIUM! Sicherlich.

Narrateur:

Bildbeschreibung

Abendrot verdunkelnd

in der Spiegelung des Schaufensters

der Himmelsozean.

Kulisse Videoprojektion

Scardanelli auf seiner Weltenreise

stellt sich die Frage nach dem Radikal der Unschuld -

Scardanelli:

EOS die Morgenröte erwarten, EROS und thanatos.

Narrateur:

Szenenbeschreibung

auf dem Boulevard Clichy

Scardanelli, immer noch trinkend.

Scardanelli:

Frage.

Ist eine Nacht wie diese, eine Nacht in der Gott fern

ist, oder eine Nacht, in der Gott nah -

Fiktion Gott - geht nicht ist ein Widerspruch.

Wenn der Gott - was ist schon Gott - mich mit mir

selbst betrügt

im entscheidenden Augenblick wenn ein Mann den

anderen hintergeht -

aber was ist schon Gott in diesem Nadelöhr ein

Albtraum keine Apokalypsis

ein Morgengrau der Bläue

der gefallene Engel -

und an Gleichgültigkeit, an tiefrer Gleichgültigkeit

den Gott übertreffen.

Scardanelli brüllt:

Welch TALENT , welch Genie

welches Opfer welche Masturbation.

Narrateur:

Szenenbeschreibung

im Stil einer Fernseh - Kamerabefragung -

Monitorvideobild der Bewegung Füsse Strasse Abfall

Papier

und die hedonistische Gottsorglosigkeit des

Antisemiten:

Antisemit:

Kann man nich mal sein Vergnügen ungehindert teilen?

Dieser noch nicht mal altruistische Gott

Der kann einem schon die Laune verderben -

aber diese schiefe Menschensohn, dieser

Nurmal-Sterben Gott, der ist das allerletzte

missgestaltetes Mitleiden -

Narrateur:

Der Antisemit allein auf der Strasse

Antisemit:

Katharsis durch Ausschweifung. Na, nur wenn ich richtig durchgefickt bin, gehts mir gut.

Wenn ich keinen Sex hab, na dann werd ich pisselig, richtig schlecht gelaunt, bin erkrampft und stinkig.

Und die Verkrampfungen der Moralischen - aber da werd ich moralisch - versteht doch jeder anders - und ob ICH moralisch sein kann - wenns um meine Interessen geht, weiss ich sehr wohl, was gut ist und was schrecklich. Bitte.

Narrateur:

Fortsetzung Terminus, rue - rue Pigalle.

Scardanelli, nun, im vertraulichen Gespräch mit dem Vater.

Scardanelli:

Ich habe mich noch nicht mal bemüht, jemandem

zu helfen - folglich konnte ich mir dabei auch nicht versagen.

Man muss seine Kräfte einschätzen können.

Es braucht die Frühgebrochenen, die für ihr Leben gezeichnet bleiben.

Die Verschüttgegangenen, die früh Altgewordenen.

Vater:

Könnte man die Unschuld weiter zurückdatieren,

anstelle zu sagen, mit dem Tod des Kriminellen höre die Verfehlung auf.

Zurûckdatieren auf einen Zeitpunkt der – vor dem der

Gene liegt, jenseits von Vererbung.

(Pause)

44’ gabs keinen Soldatenurlaub mehr.

Vielleicht war mein Vater Jude – das -

keiner kann es sagen –

unter diesen Bedingungen –

wer stellt schon solche Fragen?

Wissen möcht mans halt.

Da man möcht schon wissen, obs ein andrer war.

Die Unschuld, sich einen Vater zu denken,

Einen, der nie da war,

ein Idealist von Vater ist schon schlimm, einer, der mit

Leib und Seele dem - Verführer angehangen hat -

aber einer der garnichts ist -

einer, der den Krieg benutzt hat, als eine Möglichkeit,

zu Wohlstand zu kommen - ist ja legitim –

herumzukommen in der Welt, die einzige

Möglichkeit, mal herumzukommen, war doch, zu

reisen mit den Feldzügen nach Italien, nach - Kreta.

ABER den Zeitpunkt einer Zeugung vor zu datieren -

und das Kind lernt, mit diesen Lügen zu leben,

man lernt die SCHLITZOHRIGKEIT -

das ist ja ein Begriff.

Scardanelli

Biste beschnitten?

Vater:

Nee. Aber im Respekt erzogen worden.

was zählt sonst für einen Juden?

Scardanelli steigt auf einen Wagen, predigt vom Autodach (betrunken) Im Respekt erzogen! Im Respekt erzogen!

Vater: Man lernt dort, wo man keinen Druck entgegensetzen

kann, den Druck zu - umgehen, wo man -

weil man zu schwach ist, weil der moralische Druck zu

stark ist indem man ein System erfindet, in dem man

nicht aufgedeckt werden kann - aus allem hat man gelernt.

Und wenn man Karl May gelesen hat,

hat man für die grausame Behandlung der Gefangenen

auch wieder Verstândnis gehabt.

Scardanelli:

Würde gerne wissen, was im Kopf einer Frau vorsichgeht.

Nur im Betrug ermisst sich die Tiefe des Glaubens.

Am Betrug, wenn man allein ist, am Abend, und den

Tisch betrachtet, der Einsamkeit undd des

Küchentisch Verlassenheit.

Vater:

Ich geh ja nicht wie der Franksohn Kletzmerflöte blasend in den Kibbuz.

Man musss einem Sohn NEUTRALITÄT beibringen.

Haltung. Man muss sich selbst ein Bild machen können.

Scardanelli zweifelt.

Vater:

Darum geht es nicht, es geht um approximative

Erfindung, sag ich jetzt mal. Les règles du jeu,

Die Spielregeln.

Narrateur:

Bildbeschreibung

Strassenende Stadtende Asphaltende.

Pelosi in einer Faunkulisse

das Gras der Böschung menschenhoch, Grillen zirpen.

Am Stadtende Asphaltende.

Ein Mercedes fährt über eine am Boden liegende

Masse, einen

Kleiderhaufen mit SCHUHEN.

Jemand steigt aus, geht nach hinten, sieht nach, steigt

wieder ein, fährt nochmal drüber)

Mignon:

Er provozierte mich schlug mich beschimpfte mich

und ich fuhr dreimal

schreiend - mit einer spitzen hohen Stimme,

mir selber fremd

schrie ich, machte mich nass, bepisste mich

schlug ich auf den Gefesselten ein, den Am Boden

Liegenden neben seinem Mercedes.

Mais je suis un ange

Was soll mir der Tod schon ausmachen.

Narrateur:

Szenenbeschreibung

Hafenviertel Bahnhofsviertel Strasse. Vor einem Laden.

Scardanelli und die Kleptomanin lachen.

Bildbeschreibung:

ein gestelltes eingefrorenes Photo, zeigend

die Heiterkeit einer verlogenen Trauer.

delusion play one

Die gefrorene Heimaterde.

Müsste man den Grund für einen Diebstahl an einem toten Mann finden - müsste man auch den Grund des Toten finden

delusion play one play two

Über Utopie und Moral

Die Moral eines Diebstahls. Die Kleptomanin, die über die Wintersonne der Diebesphilosophie spricht (Es gibt immer einen Punkt, von dem aus man unbeteiligt ist, aber sympathisieren kann – Misogynie stört mich nicht.)

Die Kleptomanin, die über das Schenken spricht,

den widerwärtig sentimentalen Charakter des

Schenkenden

Ich hasse dieses sentimentale an mir Anteilnehmen

(die glauben doch tatsächlich, mich in der Hand zu

haben) und wenn man dann tatsächlich die Preise

vergleicht und sieht was das Zeugs wirklich wert ist

delusion play one play three

mignon - Irgendjemanden als den “Juden” nehmen.

jojo play one

wie die Armut kehrt die Illusion des Diebstahls wieder.

recit vom erfundenen Diebstahl, vorgetragen von

der Kleptomanin.

Wie ein Liebender, der einen anderen beschenken will,

keinen anderen Ausweg weiss, als den Beschenkten

des Diebstahls zu bezichtigen.

2.AKT

Narrateur:

Der mignon auf der Suche nach einem

PFANDLEIHHAUS. in der Rückwârtsbewegung

des Vergessens - spiegelbildlich

der Vergessenhabende schlägt um sich -

(schlägt rückwârts laufend in der Zeit umsich)

mignon

Braucht ein Amnestischer Geld, um sich zu erinnern?

Der sich stumm wie ein Bettler an Vorübergehende

anklammert

Zertretende zerbissene Nusschalen Pinienkerne

Sonnenblumenkerne ausspukt

Gedächtnisstützen zwanghaft Knöpfe abreisst

ein hingehaltenes Portemonnaie zerpflückt

sich an (zwei drei) Adressen von Pfandleihhäusern

erinnert

Wissen Sie wo? - muss hier um die Ecke sein, doch an

der Hausnummer bin ich irrgegangen, dort ist

momentan ein SCHUHLADEN, ein Versetztes

zurückzukaufen, ein Schwindel hatte mich unterdessen

ergriffen -

Narrateur:

Bildbeschreibung