Das 6.Semesterprotokoll - Nataly Ritzel - E-Book

Das 6.Semesterprotokoll E-Book

Nataly Ritzel

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Beschreibung

Literarischer Essay, der, ausgerüstet mit Fundstücken aus dem Nachlass des Dr. Wolfgang Ritzel und voller verwegener Mutmaßungen über das Leben des Hermann Ritzel, im Polareis der Metaphysik verschollen, zu einer Lektüre der Phänomenologie der Sprache aufbricht. Als Karte dient ein Seminar von Martin Heidegger "Vom Wesen der Sprache", gehalten im Sommer 1939, zu dem Wolfgang Ritzel als frischgebackener Dr. phil. mit dem 6. Semesterprotokoll einen Beitrag geleistet hat, bevor er, wie andere Seminarteilnehmer, zur Front einrückte.

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Das 6. Semesterprotokoll, angefertigt von Dr.Wolfgang Ritzel während des Oberseminars „Vom Wesen der Sprache“ – Zu Herders Abhandlung „Über den Ursprung der Sprache“ abgehalten von Martin Heidegger im Sommer-Semester 1939

Inhaltsverzeichnis

Biographische Vorbemerkungen

Die Übung

Anhang

Bibliographie

Beim Kongress „Heidegger et les juifs“ im Februar 2015 in Paris hielt Prof. D. Dahlstrom (Boston) einen Vortrag, der unter dem Titel „Heidegger, Scholem and the Nothingness of revelation“ angekündigt war. Der Videovortrag ist auf Youtube unter dem Titel „Colloque „Heidegger et les juifs“ – Daniel Dahlstrom et Anthony Steinbock“ anzusehen.

Christopher Perrin hielt im Anschluss daran einen Vortrag über eine mögliche Verbindung von „Heidegger et Rosenzweig“.Der erscheint in der Seitenliste gleich darauf.

Mir war während des Vortrags von Prof. Dahlstrom ein Buch heruntergefallen und in gewisser Weise, versuche ich, immer noch, es aufzuheben. Womit ich sagen will, dass ich nicht versuche, den Gedankengang der Herren Dahlstrom oder Perrin zu untermauern oder zu widerlegen, oder anderweitig nutzbar zu machen –

Aber es liegt etwas in ihren Überlegungen, dass dieses Buch immer weiter von mir wegtreibt.

Um – mein – wohlgemerkt – MEIN Problem näher zu erläutern würde ich gerne auf die Vorlesung Heideggers über Herders preisgekrönte Schrift „Vom Ursprung der Sprache“ zu sprechen kommen. Die Schrift Herders entstand 1770, Heideggers Vorlesung im SS 1939 und die Darlegungen von Dahlstrom sind (spätestens) aus dem Jahr 2015 ebenso wie meine „Recherche-Ergebnisse“, die noch dazu den Nachteil haben, dass sie auf einem sehr wackeligen Untergrund stehen. Deshalb schicke ich gleich vorweg, dass sich ein Quellenanhang (zitierte Briefe, Tagebücher, unveröffentlichte Jugenderinnerungen etc) hinten am Ende des Artikels findet.

Nun weiß ich natürlich nicht, ob ich mit meiner historisch- fragwürdigen, teils sehr biografischen Vorgehensweise etwas zu der Argumentation und dem Ansatz der beiden Herren beitragen kann – aber ich habe es, vielleicht, in dieser Hoffnung getan.

Doch bevor ich es wage, mich der Philosophie Heideggers zu nähern, möchte ich zuerst die 6.Semestermitschrift lesen. Aus dem einfachen Grund: Ich kenne nämlich – oder besser: ich kannte den Verfasser. Das Seminarprotokoll beginnt auf S. 179 des 85. Bandes der deutsche Heidegger Gesamtausgabe „Vom Wesen der Sprache“ mit dem Satz : „Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache ist geleitet von der Einsicht in den Zusammenhang von Vernunft und Sprache, von ratio und oratio.“

Mein Hauptproblem, wie ich gleich vorwegnehmen möchte, ist dabei die Persönlichkeit des Schreibers – präziser: die Rekonstruktion seiner Persönlichkeit. Der Protokollant ist Dr. Wolfgang Ritzel.

Und obwohl oder gerade weil seine Zusammenfassung von Heidegger angenommen wurde und von den Herausgebern im 35. Band der Heidegger Gesamtausgabe abgedruckt wurde, versehen mit dem Klappentext: „Damit ist Gelegenheit gegeben, neben dem Denker Heidegger auch dem Lehrer über die Schulter zu schauen“ - meine ich, dass dieses Protokoll zuviel von der Person des Protokollanten an sich hat und zuwenig von der Ausdrucksweise Heideggers.

Das liegt sicherlich daran, dass mir die Beschäftigung mit Heidegger HINTER dem Protokollanten verschwindet, so wie einer tief sitzenden Kamera das Katheder des Redners aus dem Blick rutscht, verdeckt von einem simplen Schreibpult.

Oder es mag daran liegen, dass der Schatten, den der Lehrer auf den Schüler wirft – in gewisser Weise auch der Schatten ist, in den der Schüler die Lehre seines Lehrers stellt –

Kurz, es geht auch um Heideggers Paideia, um das Höhlengleichnis in einem entfernteren Sinn. Dazu an anderer Stelle mehr.

Doch verglichen mit den Stichworten, die unter Kapitel X. SPRACHE – FREIHEIT – WORT Punkt 60. “Freiheit und Wort“ auf S.75 als Stichworte Heideggers, den Ausführungen des Herausgebers zufolge:

„Das Wesen der Freiheit – aus Wesen der Wahrheit des Seyns; aus dem gleichen Ab-grund: das Wesen des Wortes.“

die hinüberführen in die 6. Mitschrift des Dr. Wolfgang Ritzel :

„Damit ist aber die Vernunft nicht nur ein von aussen angelegter Massstab – sie ist vielmehr inneres Prinzip menschlicher Wirksamkeit, insofern diese Wirksamkeit im Dienste der Aufgabe des Selbstvollzuges, der Selbstverwirklichung der Vernunft steht.“

„Mit der Aktualisierung des Selbstbewusstseins,d.h. mit dem bewussten Einschlagen der Richtung aller menschlichen Kräfte auf sich selbst und damit auf den Selbstvollzug der Vernunft ist aber die Freiheit gefordert.“ S.186

„Es ist damit das neue Problem gestellt: In welchem inneren Zusammenhang steht das Wesen der Freiheit mit dem Wesen der Sprache?“

Scheint mir in diesem Verhältnis von VORTRAG – Zuhören – ABSCHRIFT, das Verhältnis von HÖREN und ABSCHREIBEN mehr von der Ausdrucksweise und der Vorstellungskraft des Wolfgang Ritzel zu enthalten, so wie eine Waage sich, unterschiedlich beladen, zu einer Seite mehr neigen kann. Diese Hinzufügung sagt nichts aus, wenn man von der bildhaften Verwendung des Wortes „abwägen“ absieht. Und da ich kein akademischer Leser bin, kein philosophisch geschulter Leser von akademischen Graden ,einerseits ,und aber andererseits – die Skizzen, Stichworte, Erläuterungen Heideggers in diesem Band NICHT von einer Hand redigiert wurden NOCH von einer erläuternden Hand mit Anmerkungen versehen, werden Sie mir vielleicht erlauben, mein destruktives Lesevergnügen weiter in Szene zu setzen.

(Um mich über meinen Irrtum – und sein Umfeld ein bisschen besser zu informieren, habe ich mir die anderen Protokolle angeschaut und das 6. Protokoll mit den anderen Semestermitschriften verglichen. So beispielsweise mit der 7. Semestermitschrift:

„Im Feststellen eines Gegenstandes als eines identischen vollzieht der Mensch in der Reflexion das Feststellen des Gegenstandes in seinem Verhältnis zu sich selbst“

oder davor zur 5.Semestermitschrift (S.178):

„Die Monade Mensch wird durch die Kenntnis der notwendigen Wahrheiten auf sich selbst gerichtet und kann „Ich“ sagen. In diesem Sinne hat diese Stufe Selbstbewusstsein, Reflexion““).

Es scheint nichts Auffallendes , Abweichendes an diesen Sätzen zu sein, die aus dem Zusammenhang gerissen, doch etwas von Reflexion enthalten, von Feststellung, Gegenstand und Selbstbewusstsein.

„Freiheit:

Nicht mehr eingenommen von einer Umnahme.“

Beweglich gegen...., aber solche „Beweglichkeit“ doch auch innerhalb einer Benommenheit.

Das blosse „Los“ von .... führt höchstens zur Zerstörung des Lebewesens.

Freiheit muss daher einen anderen Wesensgrund haben. Man sagt (negative und positive Freiheit unterscheidend): ....“

Nun mag mein Eindruck daher rühren, dass sich Wolfgang Ritzel während seiner Studien über - und seiner intensiven Beschäftigung mit Kant einen Sprachduktus angeeignet haben kann, den er nicht ablegen kann, vor allem, da er nicht „heideggern“ will. Und das unter keinen Umständen. Heidegger, sagte er, mochte das nicht. Damit will ich nicht sagen, dass Wolfgang Ritzel Heidegger usurpiert - eher ließe sich sagen, er bricht den Gedankengang ab.

„In dieser auch das Gegenstandsbewusstsein begründenden rückläufigen Richtung entspringt damit das Selbstbewusstsein; in ihr ist die Möglichkeit angelegt, nicht nur zu erkennen, zu fühlen, zu wollen, sondern darum zu wissen, dass man erkenne, fühle, wolle. Der Mensch in seinem Bezug zum Seienden steht somit schon immer in einer weiteren Beziehung, der auf sein eigenes Sein.“

(...)

„Die Entstehung der Sprache aus und gemäß ihrem Ursprung. Daher weist Herder diese Erklärung der Sprachentstehung – etwa aus dem Moment der Nachahmung - gerade von der nunmehr gewonnenen und gesicherten Position aus ab.“

Das was ich übergangen habe, ist das, was vorliegt:

„Er (der Mensch - NR) steht zudem mit dem einen Bezug zum seienden als solchen gründenden Sprachvermögen auf einem Punkte, auf dem alle bisherigen Erklärungen des menschlichen Sprachvermögens überhaupt erst einsetzen, die denn auch voraussetzen, was freilich bereits vorliegt.“

Kurz, die Freiheit des Hörens und die Freiheit, die irgendwo im Verstehen liegt, mal grob gesagt und grob unphilosophisch zusammengefasst, auch Thema „ist“ der Vorlesung Heideggers über Herders Text, die .....

und hier bitte eine grosse Leerstelle...

beginnt hier. Die „Freiheit“, bitte.

Wolfgang Ritzel hat 1937 „Über den Wandel der Kantauffassung“ bei Riehl, Wundt, Cohen und Bauch promoviert, im Dezember 1937 bei Bauch die Thesen verteidigt – aber sie nur auszugsweise publizieren können.

Das geplante Kapitel über Heideggers Kant-Interpretation, das noch im Frühjahr 1936 anvisiert worden war, ließ Wolfgang Ritzel nach offenbar heftigen Diskussionen fallen. (Brief vom 5.März.1937 an seine Mutter:

„Dass ich über Driesch arbeitete, das ist sehr lange her und war in einem ganz anderen Zusammenhang. Das war die Arbeit über das „Ich denke“, die mir Schulemann gegeben hatte; in der Dissertation handelt es sich um Riehl, dann, und zwar fast in erster Linie um Cohen (das hab ich Dir aber doch erzählt!), um Bauch und drittens nicht wie ursprünglich geplant um Heidegger, sondern um Max Wundt, der mehr in einer Linie mit den andern dreien liegt. Weißt Du, der Plan mit der Karlsruher I.-H. ist gar nicht so dumm, wenn ich fertig bin, bin ich auch so weit, dass ich mich ohne Schulgemeinschaft mit den sogenannten Titanen befassen kann, abgesehen davon, dass die wenigen, die wirklich solche sind, außer Bauch, der wenigstens Ansätze dazu macht, einer zu sein, und die noch in Deutschland sind, keine Schulgemeinschaft im Sinne der Universitätsarbeit mehr leiten. Weder Hartmann noch gar Heidegger sind Titanen. Freilich ist es gut sich mit ihnen zu befassen, aber das nur in wissenschaftlicher Form. Und das geht nach ihren Büchern fast besser, als in ihren Seminaren,: denn nicht nur Heidegger, sondern auch Hartmann verstehen unter philosophischer Führung heftigste und meist erfolgreiche Unterdrückung der freien und selbst- bzw. nur der Sache verantwortlichen wissenschaftlichen-Meinungsbildung ihrer Schäflein. “

und wie ich annehme, auch nach ausführlicheren Diskussionen mit seinem Onkel Otto Risse, Radiologie, bis 1933 Assistent am Institut von De Hevesy - der, so wird es unter der Hand berichtet, Heidegger auch persönlich nahestand (private Mitteilung). Otto Risse’s Tochter Suse, Kusine von Wolfgang Ritzel, wird später Eugen Fink, den damaligen Assistenten Edmund Husserls heiraten.

Nun kann ich vom Protokollanten schlecht auf den Vortragenden schließen, und von einem einzigen Protokoll noch schlechter auf die Aussage und das Theoriengebäude, das es trägt. Dass ich es trotzdem tue, mag daran liegen, dass ich die Einstellung des Protokollanten zum wissenschaftlichen Vortrag und zur Lehre kenne, dessen „Ausgezeichnetsein vor allen anderen“, dessen Exzellenzanspruch Wolfgang Ritzel früh festhält:

“Von der Kunst der Rede“ ist ein Textentwurf von Dr.Wolfgang Ritzel aus den „dunklen Jahren“ irgendwann zwischen 1938 – 1944 eingeordnet, abgeheftet mit vergilbten maschinengeschriebenen anderen Artikeln, von denen einige erkennbar die Urbilder sind, eingereichte Manuskripte für Artikel, die später, allerdings erst ab 1943 im Völkischen Beobachter abgedruckt wurden.

„Die Kunst der Rede“, jedenfalls laut WR bezeichnet ein Hierarchiegefälle vom Redenden zum Hörenden sowohl räumlich: von der Kanzel - dem Rednerpult zum Hörenden -

als auch geistig, indem der Hörende eben nicht nur nicht weiß, was der Redner sagen wird, sondern auch in der „Unerhörtheit“ des Vorgetragenen – eben weil außer dem Redner niemand um die vorzutragende besondere Sache weiß, macht der Vortrag Sinn und bezeichnet die eigentümliche geistige Leistung, die sich noch dazu in einem einzigartigen Moment abspielt – der nicht abgebrochen werden kann und nicht umgedreht.

Man kann, schreibt WR, einen Vortrag nicht unterbrechen durch Fragen noch kann der Vortragende Sätze solange wiederholen, bis sie alle aufgeschrieben haben....und alles aufgeschrieben wurde.

Ob ich nun, da ich mir erlaube, den Vortrag Heideggers in einen Abgrund des Hörenden hineinzuverlegen –

den Vortrag Heideggers in den Vortex seiner Zeit, von nationalsozialistischen Sprach – und Redekultur geprägt ,zu sich selbst in einen VERTIGE – einen Vortex versetze - weiß ich nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich meinen Gedankengang zu Ende führen kann, der sich an den Bruchstücken der Argumentation des Dr. Wolfgang Ritzel entlang tastet, von dem nichts das auf merkwürdig dynamischen Problem in der Sprache hinzudeuten scheint, welches mich interessiert, das Problem der Sprache welche man von ihrem entwicklungsgeschichtlichen, semantischen, und logischem Ursprung loskoppelt.

Sorry, ich argumentiere unsauber und unpräzise – vorallem was das Problem des Ursprungs von kategorialem Denken und Strukturen in der Sprache angeht – das sich hier unterscheidet von Herders Analyse des Ursprungs der Sprache.

Und ich sollte ebenso warnend wie entschuldigend hinzusetzen, dass es ein ganz wesentliches Merkmal meiner Sprachverwendung ist, völlig offensichtlichen Fehlern in der Beschreibung einen Sinn zuzuweisen, einen deiktischen, nein, aber einen hinweisenden: sie markieren eine Abbruchgrenze.

Etwas VOR dem Fehler, VOR einer unzureichenden Behauptung, VOR einer Ahnung und Falschem Urteil - etwas, das im Sprechen der Sprache, ein Es, das ihr in ihr von etwas anderem zukommt, aber das man nicht POSITIV oder NEGATIV fassen kann, sondern etwas, das mich dazu bringt etwas NEUES zu denken, beispielsweise, oder, beispielsweise, einem anderen zuzuhören.

Das Problem ist, dass ein Bruch von dieser Vernunft, diesem Logos zu dem inneren und äußeren Merkmalen des Lautes zieht, wie ein Haarriss, der immer tiefer reicht –

und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weder einem Leser noch einem Zuhörer erklären kann, worum es mir geht.

Diese meine Überzeugung kann ich, muss ich aber nicht weiter begründen – das gehört nicht hierher –

Aber es genügt vielleicht, wenn ich meinen Gedankengang nicht im positiven assertativen Sinne behaupte, sondern im negativen Sinne darlege: zeige, was nicht war.

Dazu, wie schon gesagt, müssen Sie mir erlauben, weiter an meinem Protokollanten dran zu bleiben – immer in der Gefahr, den kleineren für den größeren zu nehmen.

Im Schreiben anzuhalten -

Um sich in einem Rückgriff kurz der Dinge zu versichern, die der Protokollant weiß, die er bis dahin gelernt oder aufgenommen und verarbeitet hat – (Ein Postdoc weiß mehr als ein Studienanfänger, er kann mehr aus dem Vortrag erschließen als ein ganz junger Abiturient) - erlaube ich mir in zwei kurzen Absätzen, die eigentlich noch einige Kapitel der Ausarbeitung erfordern würden, den Studiengang und die philosophische Entwicklung des Schreibers darzustellen.

Im Wintersemester 1933/34 schreibt sich Wolfgang Ritzel zuerst in Breslau ein. Von den Theologischen Vorlesungen besucht er NICHT Gogarten, sondern ein Seminar über die Königsbücher. Das Hebräicum, das er für die Theologie benötigt, lässt ihn zwar schwer büffeln, zwingt ihn aber zu einer Änderung seines Studienplans: Er „rasselte“ im Mai des Sommersemesters 1934 durch die Hebräisch-Prüfung und musste umdisponieren.Vielleicht kann man ihm zugute halten, dass er es zumindest versucht hat... Im Herbst 1933 und als SA-Mann, Hebräisch zu lernen....

In Erinnerung beliebt es ihm zu behalten und in Erinnerung bleiben wird aber sein Seminarbesuch bei Moritz Löwi.

Ob ihm dieses Seminar bei Löwi damals auch so wichtig war, weiß ich nicht, zumindest ist es mit den Jahren wichtig geworden, so dass er sich in seinen Jugendaufzeichnungen daran erinnerte (im Anhang ein Auszug, den ich bereits dem Richard Hönigswald-Archiv zur Verfügung gestellt habe).

1934 muss er das Studium für Arbeitsdienst und SA-Dienst unterbrechen

„Sonntag, den 26. November.

Liebe Mutter!

Die lassen sich Zeit – ich weiß immer noch nicht, in welchen Sturm ich komme! Übrigens schönen Dank für deine Synagogenkarte! – Am Mittwoch war ein sehr feines Kirchenkonzert – aber die Kirche war nicht geheizt, und wir froren wie die Schneider. Ich habe Hochbetrieb – jetzt hab‘ ich eine schriftliche Arbeit auf über „Platons Stellung zur Dichtkunst“ auf bis Februar. Ich werde mir hier das Material zusammenstellen und es zu Hause – wenn mich die S.A. nicht über Weihnachten in ein Lager steckt – ausarbeiten. – Sehr nette Menschen hat es hier.

Es gehen so allerlei Gerüchte um von wegen nötigem Staatsexamen vor der Promotion und so ähnliches (angeblich um der Titelsucht zu steuern, und weil Herr Rust Schulmann sei); ich will mir jedenfalls mal die badischen, wohl auch thüringischen Verordnungen ansehen. – Das Buch von Driesch, über das ich referieren muss, gefällt mir zwar gar nicht; aber ich überlege mir trotzdem heftig, ob ich nicht 1 oder 2 Semester nach Leipzig soll – Bauch u. Heidegger sind doch die eigentlichen Großen nicht trotz allen Getues des letzteren; und wenn ich mich habilitieren will, brauch‘ ich so ein Aushängeschild. Abgesehen davon, dass mich Driesch, wenn ich mich gut zu ihm stellte, selbst wieder förderte.“

Dass Driesch, als Pazifist, im Winter 1933 bereits nicht mehr lehren durfte, scheint dem jungen Studenten unbekannt zu sein - aber vielleicht deutet sich hinter der unauffälligen Naivität hier ja ein Code an, ein Sprachcode der Wissbegierde, der dem „Sowohl - Als auch“ entsprechen will

Hier entlehne ich ein wenig der politischen und philosophischen Biographie des ehemaligen Breslauer Professors Siegfried Marck, um eine Haltung zu kennzeichnen einer, vermutlich riskanten und kritisierbaren „Offenheit“ für politische Extreme und Gegnerschaften, Vermittlungsbereitschaft sowie eine äußerst angreifbare intellektuelle „Ambiguität“.....

Eine wirkliche Bekanntschaft mit dem Breslauer Pazifisten, der bereits im Januar 1933 über Freiburg in die Schweiz fliehen musste, ist aber erst ab 1950 nachweisbar (zumindest in Briefen des W. Ritzel) und in einer nachträglichen Widmung der Zweitfassung seiner Dissertation.

Darum dient mir diese Vermutung nur als Arbeitshypothese und als Ermahnung: offenkundige Naivität nicht unbedingt als Tölpelei und Unwissenheit zu nehmen.

Im Wintersemester 1934/35 hat es den Anschein, er habe in Freiburg studiert, so das Tagebuch seiner Großmutter Mathilde Fath – eine Erinnerung, die hingegen 1996 Wolfgang Ritzel völlig fehlt, als er seinen Lebensrückblick verfasst, ebenso wie ein Besuch auf dem Reichsparteitag in Nürnberg; an den er mit seiner Tante Hildegard Fath teilnahm, die seit Oktober 1933 in den Diensten von Rudolf Hess (Privatsekretärin) stand.

Im WS 1935/ 36 wechselte WR an die Universität Jena und bezog Quartier in der Beethovenstrasse 9 bei der Familie des Studiendirektors Carl Theil.

Carl Theil, nach der kurzen Biographie von John, im Volpius Verlag erschienen, war ein Freund und Mitarbeiter von Martin Buber und Franz Rosenzweig gewesen, als Studiendirektor der klassischen Philologie für Latein und Griechisch jedoch schon ab 1933 mit Berufsverbot gestraft, was seinen reformpädagogischen Tätigkeiten in sozialistischen und lebensreformerischen Schulen , so der thüring‘schen Volkshochschule, eine Ende setzte.. Seine vielfältigen Versuche, in der Verlagswelt unterzukommen, oder aber im Ausland (Schweiz) eine neue Schule in seinem, reformpädagogischen Ansatz zu gründen - schlugen sämtlich fehl.