Die Glücksköchin - Stella Conrad - E-Book
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Die Glücksköchin E-Book

Stella Conrad

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Beschreibung

Witzig, turbulent, einfach köstlich: „Die Glücksköchin“ von Stella Conrad jetzt als eBook bei dotbooks. Melina ist Schauspielerin – na ja, zumindest „eigentlich“. Tatsächlich läuft ihre Karriere alles andere als gut und ihre Agentin droht, sie vor die Tür zu setzen. Deswegen stürzt sich Melina mit Feuereifer in das nächste Casting und bekommt prompt den Job: Sie soll die neue Star-Fernsehköchin mimen. Das Problem dabei? Sie kann überhaupt nicht kochen und seit einem Unfall noch dazu weder schmecken noch riechen. Ob der grummelige Koch Luke, der Melina als Coach zur Seite gestellt wird, ihr in dieser vertrackten Lage noch helfen kann? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Glücksköchin“ von Stella Conrad ist ein Lesevergnügen für alle Fans der Bestseller von Sophie Kinsella und Julie Caplin! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 392

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Über dieses Buch:

Melina ist Schauspielerin – na ja, zumindest „eigentlich“. Tatsächlich läuft ihre Karriere alles andere als gut und ihre Agentin droht, sie vor die Tür zu setzen. Deswegen stürzt sich Melina mit Feuereifer in das nächste Casting und bekommt prompt den Job: Sie soll die neue Star-Fernsehköchin mimen. Das Problem dabei? Sie kann überhaupt nicht kochen und seit einem Unfall noch dazu weder schmecken noch riechen. Ob der grummelige Koch Luke, der Melina als Coach zur Seite gestellt wird, ihr in dieser vertrackten Lage noch helfen kann?

Über die Autorin:

Stella Conrad, 1960 in Recklinghausen geboren, lebt an der Nordseeküste. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Köchin (wobei sie backstage sogar Stars wie Tina Turner, Joe Cocker, Depeche Mode, Herbert Grönemeyer und Die Toten Hosen bekochte) arbeitete sie als Veranstalterin, Pressebetreuerin und in einer Schauspielagentur, bevor sie sich dem geschriebenen Wort zuwandte.

Stella Conrad veröffentlichte bei dotbooks bereits »Die Küchenfee«, »Das Glück der Küchenfee«, »Die Tortenkönigin«, »Die Glücksträumerin« und »Der Feind an meinem Tisch«. Ihre Geschichten finden sich auch in den Sammelbänden »Ein Restaurant zum Verlieben«, »Zimt und Zucker für die Liebe«, »Zitronenküsse« und »Ein Café zum Verlieben«.

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eBook-Neuausgabe Februar 2018

Dieser Roman erschien bereits 2016 unter dem Titel Geständnisse einer Fernsehköchin bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Artek 555

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-95824-753-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Stella Conrad

Die Glücksköchin

Roman

dotbooks.

Guten Tag.

Sie kennen mein Gesicht.

Sie lesen meine Bücher.

Sie kochen nach meinen Rezepten.

Ich bin Deutschlands bekannteste und beliebteste Fernsehköchin.

Ich bin Melina, und an mir ist nichts echt – außer meinem Namen.

Prolog

Draußen wartet die Presse, und ich sitze in der Garderobe, hyperventiliere und denke darüber nach, ob ich es mit meinem Anfang-siebter-Monat-Bauch wohl schaffe, mich aus dem Fenster abzuseilen.

Meine Produzenten und meine Agentin haben geschlagene fünfzehn Minuten an meine Tür gehämmert, während ich mir die Ohren zuhielt. Irgendwann haben sie aufgegeben und in ihrer ohnmächtigen Wut auf mich nur noch Verwünschungen durch die geschlossene Tür gebrüllt. Ich kann sie sogar verstehen, denn was ich – ohne jede vorherige Absprache – getan habe, ist unerhört.

Ganz unter uns: Ich könnte mich auf der Stelle übergeben beim Gedanken an die Schlagzeilen, die morgen früh die Tagespresse beherrschen werden.

Vor einer halben Stunde habe ich einen Fernsehpreis abgelehnt. Den Publikumspreis – die größte Anerkennung, die es gibt. Und dann habe ich die Bombe platzen lassen, den größten Fake seit Milli Vanilli.

Dabei hatten sie für die Laudatio extra diesen unglaublich berühmten Koch einfliegen lassen, der dann auch brav alle meine Rekorde aufzählte: die Rekord-Einschaltquoten der Kochshow, die Rekord-Auflage des Kochbuchs, die Rekord-Umsätze meiner Produkte, den Rekord-Bekanntheitsgrad der Marke Melina, der beliebtesten Fernsehköchin Deutschlands.

Melina, Shootingstar und Ausnahmetalent.

Melina, Betrügerin.

Der Preis war ausdrücklich für mich, Melina, nicht für die Sendung, und damit auch nicht für meinen Kochshow-Kollegen Luke.

Ach, übrigens: Haben Sie auch regelmäßig die Sendung gesehen und nach meinen Rezepten gekocht? Sind Sie auch auf mich hereingefallen?

Während der Laudatio dieses unglaublich berühmten Kochs stand ich neben ihm auf der Bühne und versuchte, angemessen überrascht und glücklich auszusehen, während ich mich fast zu Tode schämte. Unten, im Publikum, saßen meine Macher Engelmann und Martz neben meiner stolzen Agentin Hanna, und alle sahen sehr, sehr zufrieden aus mit ihren Dollarzeichen in den Augen. Jetzt würden sie das Produkt Melina noch teurer verkaufen können, denn jetzt war ich auch noch Melina, Fernsehpreisträgerin. Unbezahlbar.

Ich wusste, in Gedanken schrieben sie schon an meiner Biografie, an der von A bis Z erlogenen Geschichte der Autodidaktin Melina Miller, deren außergewöhnliches Talent zufällig auf einer Party entdeckt worden war, und die innerhalb kürzester Zeit diesen märchenhaften Aufstieg geschafft hatte. Und wer weiß – vielleicht könnte man mein angebliches Leben ja sogar verfilmen? In der Hauptrolle: Melina Miller asherself.

Gar nicht so abwegig, schließlich war ich in Wirklichkeit Schauspielerin.

Eine Schauspielerin, die engagiert worden war, eine Köchin darzustellen. Eine Schauspielerin, die sich gegen eine nicht unerhebliche Zahl an Mitbewerberinnen durchgesetzt hatte.

Doch nun greife ich vor. Ich werde Ihnen die Geschichte von Anfang an erzählen; das Ende kennen Sie ja schon.

Draußen, vor meiner Garderobentür, ist es still geworden. Offenbar hat man beschlossen, mich in Ruhe zu lassen, denn wie sähe es schließlich aus, wenn man eine Tür eintreten würde, um eine Schwangere gegen ihren Willen vor die wartende Pressemeute zu zerren? Wie sähe es aus, wenn mir vor Aufregung vor laufenden Kameras die Fruchtblase platzen würde?

Auch Luke hat endlich aufgegeben. Nicht einmal ihn wollte ich zu mir lassen. Der arme Luke, ich habe ihn durch mein Outing mit in den Abgrund gerissen. Und zugleich erlöst aus dieser Schmierenkomödie, in die auch er viel tiefer geraten war als anfangs geplant.

Es ging einfach nicht mehr.

Nun werde ich hier sitzen bleiben und warten, bis diese verdammte Veranstaltung vorbei ist und ich mich aus dem Hintereingang schleichen kann, und wenn es bis morgen früh um sechs dauert. Dann kann ich immerhin sofort die Zeitungen kaufen und alles über den großen Eklat lesen, den mein Geständnis vor laufenden Kameras in einer Live-Sendung ausgelöst hat.

Mein Catering steht unangerührt auf dem Tisch; es ist genug zu essen und zu trinken da, dass ich es hier drin zur Not ein paar Tage aushalten kann. Als Stargast habe ich sogar ein eigenes Klo und muss diesen Raum nicht mal zum Pinkeln verlassen.

Ach, Luke, ich hätte dich ja eingeweiht, wäre mein Geständnis keine spontane Eingebung gewesen, dachte ich, aber du wirst mich verstehen, du musst mich einfach verstehen.

Eigentlich war es sogar ganz lustig. Das Gesicht des berühmten Kochs, zuerst strahlend, dann verständnislos, zuletzt versteinert und weiß vor Wut. Die Stille im Publikum, dann vereinzelter Applaus und leises Gelächter. Der Zorn in den Gesichtern meiner Erfinder, die wahrscheinlich am liebsten auf die Bühne gestürmt wären, um mich zu erwürgen.

Ich habe noch einen Moment lang dagestanden in meinem Traumkleid, das Mimi mir auf den Babybauch geschneidert hatte – natürlich in meinen Farben, Rehbraun und Petrol –, behangen mit geliehenem Schmuck, perfekt geschminkt. Dann habe ich mich umgedreht und bin hinter die Kulissen geflüchtet, vorbei am fassungslosen Moderator, vorbei an Mitarbeitern mit Klemmbrettern im Arm, die aufgeregt in ihre Headsets schnatterten, vorbei an weiteren Laudatoren, die auf ihren Auftritt warteten. Alle haben mich angestarrt, aber ich bin gelaufen und gelaufen, bis ich die Tür meiner Garderobe hinter mir zuknallen und abschließen konnte. Die Tür, an der ein Schild mit meinem Namen hing: Melina Miller.

Ich weiß, ich bin ruiniert. Mein Name wird nie wieder genannt werden ohne einen Zusatz wie Betrug oder angebliche Köchin. Aber das ist mir egal. Ich musste handeln, denn ich war nicht mehr ich selbst. Ich war nur noch eine Marionette. Vielleicht die bestbezahlte Marionette Deutschlands, aber auch das ist irgendwann kein Trost mehr, das können Sie mir glauben. Kein Schmerzensgeld ist hoch genug, wenn man kein eigenes Leben mehr hat.

Kapitel 1Sie haben sich schon immer gefragt, wie das Leben einer Schauspielerin aussieht? Bitte sehr – hier ist die Antwort

»Lernst du schon wieder eine Rolle, die du sowieso nicht kriegst? Du solltest dich lieber um die neuen Gäste an Tisch fünf kümmern. Die sitzen da schon seit mindestens zehn Minuten.«

Ich schlug das Drehbuch zu und drehte mich um. Mike stand hinter mir und grinste höhnisch. Es war natürlich Quatsch, was er erzählte – die neuen Gäste hatten sich gerade erst hingesetzt, das hatte ich sehr wohl registriert.

»Ich bezahle dich nicht dafür, dass du Drehbücher liest, das habe ich dir schon hundertmal gesagt«, fuhr er fort, nachdem er sich lange genug an meiner Verlegenheit geweidet hatte. »Wenn dir das hier zu viel ist, brauchst du es nur zu sagen, Melli. Bei mir stellen sich jeden Tag Dutzende hübscher Frauen vor, die deinen Job haben wollen.« Er stieß sein typisches, meckerndes Lachen aus. »Übrigens fast alle Damen, die eigentlich Schauspielerinnen sind – genau wie du. Nur meist viel jünger.«

Das saß – und das wusste er. Und ich wusste, dass ich einen sehr begehrten Job hatte. Ganz besonders begehrt bei Eigentlich-Schauspielerinnen, denn Mike besaß mit dem Odeon einen Laden, der hier in München gerade schwer angesagt war, und in dem sich bevorzugt Schauspieler und Medienleute zusammenfanden, um sich gegenseitig oder auch nur sich selbst zu huldigen.

Es gab immer wieder Geschichten, Regisseur X oder Dramaturg Y hätte im Odeon ein Ausnahmetalent entdeckt, das sich dort mit Kellnern über Wasser hielt. Manchmal war es nur ein Ausnahmekörper mit Ausnahmetitten, aber auch der Weg durch das Bett eines bekannten Schauspielers oder erfolgreichen Regisseurs galt durchaus als probates Mittel, um bekannt zu werden und Rollen in Serien oder Filmen zu ergattern.

Die Bezahlung war miserabel, aber die Trinkgelder stimmten, denn niemand wollte dort als Geizkragen dastehen oder den Eindruck erwecken, er habe gerade kein Engagement und sei womöglich pleite.

Ich schnappte mein Tablett und ging zu den Neuankömmlingen an den Tisch. Ich hatte sie schon beim Hereinkommen erkannt: die aktuelle Stammbesetzung einer populären Krimiserie aus dem Vorabendprogramm. Am liebsten hätte ich eine Kollegin an den Tisch geschickt, aber es waren alle schon gegangen. Es war kurz vor Feierabend. Ich hatte gerade die zwei Tische abkassiert, die noch besetzt waren, und die Gäste machten bereits Anstalten zu gehen.

»Ah, unsere schöne Melina«, rief Sascha, der Hauptdarsteller, »und das an einem Sonntag! Ich dachte, bei dir gilt das Motto Sonntags … nie.« Er gackerte albern. Seine beiden Kollegen grinsten.

Du solltest mit dem Koks wirklich kürzertreten, dachte ich. Am liebsten hätte ich es ihm mitten ins Gesicht gesagt, aber dann wäre ich meinen Job sofort los gewesen. Mit dem Scherz hatte er mich schon bei unseren gemeinsamen Dreharbeiten genervt, als ich vor einem halben Jahr mal fünf Drehtage in einer Episode dieser Serie gehabt hatte, als Mutter eines kindlichen Mordopfers, die sich blutig am Mörder rächte.

Zuerst war er richtig nett gewesen, vermutlich hatte er sich Chancen bei mir ausgerechnet. Er war ein Schürzenjäger, der zu viel kokste und jede weibliche Gastrolle in der Serie umgehend in seinem Wohnwagen am Set flachlegte. Aber das habe ich erst später erfahren. Er hatte mich nach meinem ungewöhnlichen Namen gefragt und gemeint, Melina Miller klinge wie ein Künstlername. Kein Wunder, denn sein Name, Sascha Gogol, war so unecht wie seine Zähne. In Wirklichkeit hieß er Karl-Heinz Schütrumpf, kaum geeignet für einen jungen, dynamischen Fernsehkommissar. Und ich dumme Kuh hatte ihm prompt von meinen Eltern erzählt, Gudrun und Horst Miller, deren Lieblingsfilm damals Sonntags … nie mit Melina Mercouri gewesen war. Von da an hatte ich mir täglich Anzüglichkeiten anhören müssen, in denen Hafennutten und deren Arbeitszeiten eine zentrale Rolle spielten.

Jetzt saß er als Gast vor mir und wartete darauf, seine Bestellung aufgeben zu können.

»Hallo, zusammen«, sagte ich so freundlich, wie es eben ging, »was darf ich euch bringen?«

»Was hast du denn Schönes anzubieten, Melina?«

Er sprach meinen Namen immer ganz gedehnt aus, Meeee-Liiiii-Naaaaah, und gab seiner Stimme einen genau dosierten süffisanten Beiklang. Am liebsten hätte ich ihm mein Tablett über den Schädel gezogen.

Stattdessen sagte ich: »Möchtet ihr etwas essen? Dann bringe ich euch die Abendkarte.«

Sascha/Karl-Heinz wedelte lässig mit seiner reich beringten Hand. »Bring uns mal ein Fläschchen Champagner, Süße. Von eurem besten, natürlich. Wir feiern heute unser Bergfest. Gegessen haben wir schon, der Sender hat ein astreines Büffet springen lassen, stimmt’s, Jungs?«

Seine Kollegen nickten.

Ihre Namen kannte ich nicht, sie waren erst seit dieser Staffel dabei, junge, glatte Gesichter, austauschbar.

»Einmal Champagner, gern«, sagte ich und ging hinter die Theke, um einen Sektkühler mit Eiswürfeln zu füllen.

Ich brachte die Gläser und den Kübel an den Tisch und holte dann erst den Champagner aus dem Kühlfach. Ich war erleichtert, dass der Korken sich mit einem kaum hörbaren Plopp aus dem Flaschenhals löste und nicht mit einem Riesenknall an die Decke schoss. Sekt- und Champagnerkorken waren meine erklärten Intimfeinde, und ich hatte zu Mikes Ärger schon einige Geschosse quer durch den Laden gejagt. Die meisten Männer fanden das charmant, die Frauen verzogen pikiert ihre bemalten Lippen, und Mike machte jedes Mal ein Fass auf.

Mit der geöffneten Flasche trat ich wieder an den Tisch und schenkte ein.

»Ich habe meinen Jungs hier gerade erzählt, dass unsere schöne Melina (Meeee-Liiii-Naaaah) eine Kollegin von uns ist«, trompetete Sascha/Karl-Heinz quer durch den Raum und zwinkerte Mike zu, der mit verschränkten Armen hinter dem Tresen stand. Große Heiterkeit bei allen. Ich zählte innerlich bis zehn und lächelte.

»Wer weiß – vielleicht dreht ihr ja bald mal wieder gemeinsam?«, rief Mike zurück.

Ich zuckte innerlich zusammen. Musste das sein? Doch bei Kunden, die den teuersten Champagner bestellten, fiel man schon mal den eigenen Servicekräften in den Rücken, wenn man dem Gast damit Zucker in den Hintern blasen konnte.

»Aber nur, wenn sie nicht am Hafen zu tun hat!«, grölte Sascha/Karl-Heinz und wollte sich schier kaputtlachen über seinen genialen Witz.

Die beiden Jungs am Tisch starrten mich an.

Ich starrte mit unbewegtem Gesicht zurück.

»Ach, komm, Melina, sei nicht so humorlos, ich meine das doch nicht böse. Das weißt du doch, oder? Wir haben uns doch so gut (sooo guuuut) verstanden, damals am Set.«

Mir blieb die Spucke weg. Sein Blick, sein Tonfall suggerierten, dass wir etwas miteinander gehabt hätten, damals am Set. Ich machte, dass ich wegkam von diesem Tisch, und ignorierte standhaft das anzügliche Gelächter, das mir bis hinter den Tresen folgte. Dort beschäftigte ich mich damit, die gespülten Gläser zu polieren und ins Regal zu räumen.

»Hast du mal was mit dem gehabt?«, flüsterte Mike prompt.

»Quatsch«, zischte ich zurück. »Komm ja nicht auf die Idee, diesen Blödsinn herumzuerzählen. Sascha ist breit wie tausend Mann, das siehst du ja selbst.«

»Und wenn schon«, sagte Mike achselzuckend, »der Kerl hat gerade eine Pulle Schampus für fünfhundert Euro bestellt, da ist mir ziemlich egal, was ich sehe.«

Er warf einen Blick zu dem Tisch, wo die drei Kerle johlend anstießen und sich feierten. Sascha/Karl-Heinz war eindeutig der Wortführer und demonstrierte seinen jungen Kollegen gerade, wie sich ein echter Star in der großen, weiten Welt zu benehmen hatte. Zumindest schien er zu glauben, dass ein echter Star sich derart aufführte.

Ich war stinksauer. Wofür hielt sich dieser drittklassige Männerdarsteller? Hatte er eine Schauspielschule besucht, so wie ich? Nein. Er hatte jahrelang in einer Soap gespielt, nachdem er zunächst als Model gearbeitet hatte. Die Rolle hatte ihn populär gemacht, weibliche Teenies beteten ihn an. Diese Bekanntheit hatten die Produzenten der Krimiserie ausnutzen und mit ihm jugendliche Zuschauer zu ihrem öffentlich-rechtlichen Sender locken wollen. Seitdem stümperte er sich durch die Serie, die allerdings ungeheuer beliebt war und fantastische Quoten hatte. Er bekam solide, ausgebildete Schauspieler an die Seite gestellt, die ihn stützen mussten und dafür zuständig waren, dass sein mangelndes Talent nicht so sehr auffiel.

Ich hatte es ja selbst erlebt. Die Szenen mit ihm waren der reine Horror. Wieder und wieder musste abgebrochen werden, weil er patzte. Mal stand er nicht auf seiner Position, mal vergaß er seinen Text. Von mir wurde natürlich erwartet, dass ich auch noch bei der vierzehnten Wiederholung wie beim ersten Take losheulte und zusammenbrach, wie es sich für eine Mutter gehörte, die gerade erfuhr, dass ihr siebenjähriger Sohn ermordet aufgefunden worden war. Nie zuvor hatten Dreharbeiten mich derart ausgelaugt. Und er? Lachte, machte Faxen und versicherte ein ums andere Mal, er werde beim nächsten Take ganz bestimmt alles richtig machen, während die Maske mein zerflossenes Make-up erneut herrichtete. Irgendwann war die Szene endlich im Kasten – und jetzt raten Sie mal, wer den Applaus bekam und sich spreizte wie ein Pfau! Kein Wunder, dass die Stammbesetzung einer nach dem anderen aufgegeben hatte. Jetzt hatten sie ihm diese beiden Frischlinge an die Seite gestellt, die sie von der Schauspielschule weg engagiert hatten. Ich konnte den beiden Jungs nur alles Gute wünschen.

Erleichtert hörte ich, dass die angeheiterte Truppe beschloss, noch in die Disco zu fahren und ein paar Hühner klarzumachen. Meinen Segen habt ihr, Jungs, dann habe ich wenigstens endlich Feierabend.

Sascha/Karl-Heinz kam zum Tresen gewankt und ließ seine Kreditkarte in Richtung Mike schliddern. Dann stützte er sich auf seine Ellbogen, warf mir einen Blick zu, den er vermutlich für verführerisch hielt, und raunte: »Na, Melina (Meee-Liiii-Naaaaah), kommst du mit? Wir könnten uns eine lustige Nacht machen, was denkst du?« Er schnalzte mit der Zunge, neigte sich zu mir herüber und flüsterte – und ich spreche hier von einem Bühnenflüstern, das bis in die allerletzte Reihe zu hören war: »Ich hätte da auch noch ein bisschen Pulver für uns zwei Hübschen …«

Großer Gott, glaubte dieser Typ ernsthaft, dass ich diesem Angebot zustimmen würde? Am liebsten hätte ich ihm meine Faust ins Gesicht geschmettert. Ich spürte Mikes Blick im Rücken, als ich sagte: »Vielen Dank, aber ich bin müde.«

»Ach komm, sei keine Spielverderberin, du willst es doch auch«, lallte er und verzog seinen Mund zu einem unvorteilhaften Schmollen.

Du willst es doch auch – ging es vielleicht noch plumper und abgeschmackter?

»Wie gesagt, ich bin müde, Sascha.«

»Macht doch nichts, ich habe ja gesagt, ich habe noch …« Er zwinkerte und klopfte mit dem Zeigefinger an seine Nase.

Großer Gott! Kapierte dieser zugedröhnte Hohlkopf es denn nicht? Meine Hände hatten, ohne dass ich es bemerkt hatte, das Trockentuch zu einem strammen Strick gedreht. Noch ein Wort, und ich würde es um seinen Hals schlingen und …

Da spürte ich Mikes Hand auf meinem Rücken. Er legte die Kreditkarte auf den Tresen und sagte freundlich: »Lass gut sein, Sascha. Melina hat heute hart gearbeitet. Und sie hat vorhin erzählt, sie muss morgen ganz früh raus, nicht wahr, Melina?«

Ich nickte mit zusammengepressten Lippen und schlang den Strick in meinen Händen zu einem festen Knoten. Meine Fingerknöchel waren weiß.

»Blöde Kuh«, zischte Sascha/Karl-Heinz beleidigt und stopfte die Kreditkarte in seine Brieftasche zurück. »Du hättest ein bisschen netter zu mir sein sollen, dann hätte ich dir auch ein Trinkgeld gegeben.« Er torkelte ein paar Schritte zu seinen wartenden Kollegen und drehte sich dann noch einmal zu mir um. »Du verpasst eine ganze Menge, Schätzchen. Du solltest dankbar sein, dass ein Star wie ich sich für dich interessiert. Wer weiß, vielleicht könnte ich ja was für dich tun.«

Mir flogen umgehend die Sicherungen raus. »Raus, du Spinner«, schrie ich, »in der Disco wartet bestimmt schon eine volltrunkene Sechzehnjährige darauf, für einen Star wie dich das Höschen auszuziehen! Am besten hinter irgendeiner Mülltonne im Hinterhof, denn da gehörst du hin!«

Ich hatte mich allerdings umsonst verausgabt, denn die Jungs waren längst zur Tür hinaus.

Mike gackerte. »Du kannst froh sein, dass der Laden leer ist, sonst hätte ich dich jetzt leider feuern müssen.«

»Was? Dieser kleine Drecksack darf mich ungestraft anmachen und beleidigen? Das kann nicht dein Ernst sein!«

»Melli, Melli …« Mike schüttelte belustigt den Kopf. »Du musst in solchen Situationen ruhig bleiben. Sascha mag ein Drecksack sein, aber er hat mir den heutigen Umsatz mal eben um fünfhundert Euro erhöht.«

»Genau das ist der Punkt, Mike: Er hat dir fünfhundert Euro mehr beschert, ich durfte mich nur beleidigen lassen. Irgendwie nicht fair, oder?«

Aber Mike lachte nur. Für ihn war die Diskussion damit beendet.

Kapitel 2Auch nicht ganz einfach: Wenn der Liebste ein gefeierter Bühnenstar ist (und nicht nur eigentlich Schauspieler)

Als ich an dem Abend nach Hause kam, hörte ich schon im Hausflur Stimmen, Gelächter und Musik aus unserer Wohnung. Na, super, Fabian hatte mal wieder Besuch.

Ich warf die Tür hinter mir ins Schloss und streifte die Schuhe von den Füßen. Wie schön wäre es gewesen, mich einfach nur auf die große, weiche Couch im Wohnzimmer zu werfen, noch einmal meinen Text zu repetieren und mich mental auf mein Casting am nächsten Tag einzustellen. Das konnte ich mir jetzt wohl abschminken.

Ich zog meinen Mantel aus und hängte ihn zu den mir unbekannten Jacken an der Garderobe. Enttäuscht verabschiedete ich mich von dem Plan, ein heißes Bad zu nehmen – ich konnte schlecht das Badezimmer mit Beschlag belegen, solange wir Besuch hatten.

Wie aufs Stichwort flog die Wohnzimmertür auf und ein kicherndes Mädchen kam herausgestolpert, gefolgt von Gelächter und der Aufforderung, sich ja zu beeilen. Sie hätte mich fast über den Haufen gerannt, weil sie nach hinten guckte, aber dann drehte sie sich um und sah mich.

Das Mädchen stoppte abrupt, zeigte mit dem Finger auf mich und sagte: »Wer sind Sie denn?« (Sie siezte mich!) Dann wandte sie sich in Richtung Wohnzimmer und rief: »He, Fabsi, da ist eine fremde Frau in deinem Flur!«

Während ich noch mit der Tatsache klarzukommen versuchte, dass sie meinen Freund Fabian Fabsi nannte, kam mein Liebster schon aus dem Raum und fragte: »Eine fremde Frau?«

Als er mich sah, hellte sein Gesicht sich auf. »Aber das ist meine Freundin, Claire. Das ist doch keine fremde Frau!«

Das Mädchen – Claire – starrte verblüfft von Fabian zu mir und wieder zurück. »Deine Freundin«, sagte sie lahm. Die Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen.

»Ja, genau, meine Freundin Melina.«

Fabian legte einen Arm um mich und zog mich an sich. Mit der freien Hand gab er Claire einen Klaps auf den Po, der nur unvollkommen von einer stramm sitzenden Hüftjeans bedeckt wurde. »Los, du wolltest doch aufs Klo. Lass dich nicht aufhalten.«

Claire warf ihm einen wütenden Blick zu und stöckelte ins Bad. Sie schloss die Tür etwas lauter als nötig.

»Na, da ist jetzt aber jemand enttäuscht«, murmelte ich an Fabians Brust.

»Ich bin es jedenfalls nicht«, sagte er grinsend und küsste mich.

Sofort schmolz ich dahin. Fabians Küsse brachten mich immer zum Dahinschmelzen.

Plötzlich ließ er mich los. »Du, ich habe noch ein paar Freunde mitgebracht. Wir hatten heute Probe und wollten noch ein bisschen quatschen. Du bist doch nicht sauer?«

Im Wohnzimmer zersplitterte Glas, gefolgt vom Kreischen einer Frau und männlichem Gelächter.

»He, benehmt euch, sonst muss ich die nächsten drei Wochen auf der Couch schlafen!«, rief Fabian. Er küsste mich wieder. »Komm, setz dich doch zu uns. Wir haben so viel Spaß.«

Ich schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Ich muss noch meinen Text lernen. Ich habe morgen um elf ein Casting, habe ich dir doch erzählt.«

Er runzelte angestrengt die Stirn. »Hast du? Ach ja, richtig, hatte ich total vergessen.« Er lächelte strahlend. Sein Bühnenlächeln, das bis in die letzte Reihe gleißte. »Du weißt doch, Schatz, wenn ich eine neue Rolle probe, kriege ich nichts mehr mit.«

Oh ja, Schatz wusste nur zu genau, schließlich lebte Schatz nicht erst seit gestern mit Fabian Fechner, dem glänzenden Star am örtlichen Schauspielhaus, zusammen. Er probte ständig für irgendwelche Hauptrollen, und wenn er nicht probte, stand er auf der Bühne und wurde vom begeisterten Publikum umjubelt.

»Ich setze mich in die Küche«, sagte ich, »ist nicht schlimm.«

Natürlich war das gelogen. Es war schlimm. Nicht nur, dass ich in unserer Wohnung kein ruhiges Plätzchen finden würde, nein, es hatte mir einen Stich versetzt, dass mein Casting für ihn so unglaublich unwichtig war.

»Das ist meine Melina«, strahlte er. Wieder schloss er mich fest in die Arme. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich liebe«, flüsterte er mir ins Haar.

Claire marschierte an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Fabians Augen klebten an ihrem Hintern.

»Ich werd’ dann mal wieder …«, sagte er, schlenderte zurück ins Wohnzimmer und schloss mit einem Winken die Tür hinter sich.

Ich nahm meine Umhängetasche und betrat die Küche. Sie sah aus wie der Schauplatz eines blutigen Mordes. Offenbar hatte die muntere Truppe nach der Probe Hunger gehabt und Nudeln mit Tomatensauce gekocht. Hatten die keinen Topf benutzt, sondern die Sauce direkt auf der Herdplatte zubereitet? Verkrustete Tomatensauce auf dem Herd, getrocknete Tomatensauce auf Arbeitsplatte und Fußboden. Ein großes Sieb mit einem Klumpen verklebter, kalter Spaghetti in der Spüle. Ein Stück Parmesan lag vergessen neben der Käsereibe, Teller mit Speiseresten und schmutzigem Besteck standen auf dem Tisch.

Ich spielte kurz mit dem Gedanken, alles so zu lassen, wie es war, und mich ins Schlafzimmer zurückzuziehen. Aber das Schlafzimmer war direkt neben dem Wohnzimmer, und die Wände waren nicht besonders dick. Auch das Arbeitszimmer war keine Option, das lag auf der anderen Seite der Partyzone. Die Küche hatte immerhin den Vorteil, dass es dort ruhig war.

Also ergab ich mich meinem Schicksal, räumte den Tisch ab, kratzte die Essensreste in den Mülleimer und spülte ab. Gleichzeitig kochte ich mir eine Kanne Apfeltee, stellte die Kanne auf ein Stövchen und ließ den Tee ein paar Minuten ziehen. Zum Schluss wischte ich die Tischplatte sauber, nahm meine Lieblingstasse aus dem Schrank, goss mir Tee ein und ließ mich endlich in den gepolsterten Lehnstuhl, meinen Stammplatz, fallen.

Die Wanduhr zeigte mir, dass es bereits kurz nach zwei Uhr morgens war, eigentlich viel zu spät, um noch zu lernen. Aber ich hatte keine Wahl. So kaputt, wie ich war, würde ich es niemals schaffen, nach ein paar Stunden Schlaf aufzustehen, um mich dann noch mit dem Text zu beschäftigen. Eigentlich beherrschte ich meine Rolle längst, doch es gehörte zum Ritual, am Abend vor dem Casting noch einmal alles durchzugehen.

Ich schlug das Drehbuch auf.

Es war ein Polizeiruf, und man hatte mich für die Episodenhauptrolle angefragt, die in der Folge richtig präsent sein würde. Das bedeutete ganze elf Drehtage neben der Creme der deutschen Schauspieler. Ich wollte diese Rolle unbedingt haben, vielleicht war sie meine letzte Chance, einem größeren Publikum und Produzenten aufzufallen. Ich sollte eine Frau spielen, die einen Mord beobachtet hatte, was der Mörder allerdings wusste. Verfolgungsjagden, Drama, Panik – eine Traumrolle also.

Ich schlürfte meinen Tee und vertiefte mich in den Text. Von der kleinen Spontanparty im Wohnzimmer bekam ich nicht viel mit, außer wenn jemand auf die Toilette musste und an der geschlossenen Küchentür vorbei durch den Flur stolperte.

Die Rolle, für die ich in wenigen Stunden vorsprechen würde, war eine alleinlebende Frau Anfang dreißig, ein bisschen verhuscht und scheu, die nachts aus ihrem erleuchteten Fenster sieht, wie vor dem Haus ein Mann direkt unter einer Laterne absichtlich überfahren wird. Sie steht starr vor Schreck, der Mörder schaut zufällig hoch und macht eine Geste, als würde er eine Pistole in ihre Richtung abfeuern, dann läuft er weg. Sie ruft die Polizei, erzählt von dem Mann, und es ist klar, dass der Mörder versuchen wird, sie ebenfalls zu töten. Sie erhält Polizeischutz, kann ihren Beruf als Dozentin nicht mehr ausüben, ohne sich in Gefahr zu bringen. Obwohl sie bewacht wird, bedroht der Mörder sie am Telefon. Im furiosen Finale wird sie in letzter Sekunde von der Kommissarin gerettet. Diese Rolle bot einer Schauspielerin die Möglichkeit, alle Facetten ihres Könnens zu zeigen.

Meine Agentin hatte mich bekniet, beim Casting alles zu geben und mir die Chance nicht zu versauen. Das hatte mich richtig wütend gemacht. Was dachte sie von mir – dass ich ungewaschen und unvorbereitet zum Vorsprechen antanzen würde? Wie lange kannten wir uns schon? War ich jemals undiszipliniert gewesen? Bei dem Gedanken an diese Szene stieg wieder Groll in mir auf.

Nie hatte ein Regisseur oder ein Produktionsleiter Grund dazu gehabt, sich über mich zu beschweren. Ich war stets pünktlich und perfekt vorbereitet. Noch nie hatte jemand am Set auf mich warten müssen oder hatte ich eine Aufnahme verpatzt. Und dann höre ich: »Versau es nicht.«

Ich bemerkte, dass ich meine Hände zu Fäusten geballt hatte. Aufpassen, Melina, entspannen, ruhig atmen. Das kannst du jetzt am allerwenigsten gebrauchen, dass dein Ärger dich den wertvollen Schlaf kostet.

Ich horchte auf, als ich die Wohnungstür hörte, danach Getrampel im Treppenhaus. Endlich waren sie weg, und ich konnte ins Bett gehen.

Als ich den Kopf aus der Küchentür streckte, war mir sofort klar, dass ich mich zu früh gefreut hatte, denn aus dem Wohnzimmer drangen noch immer Musik und Stimmen. Egal. Es war mittlerweile nach drei, und wenn ich am nächsten Morgen einigermaßen zivil aussehen wollte, brauchte ich unbedingt etwas Schlaf. Einer Frau von Mitte dreißig sah man an, wenn sie unausgeschlafen war, und das konnte ich einfach nicht riskieren.

Ich blies das Teelicht aus, klappte das Drehbuch zu und ging ins Badezimmer. Ich versäumte es nie, mich abends sorgfältig abzuschminken und mein Gesicht dick einzucremen.

Im Spiegel schaute mich ein müdes Gesicht an. Ich ging näher heran und fand einige silberne Haare in meinem schwarzen Schopf. Auch das noch. Diese paar konnte ich auszupfen, aber in Zukunft würde ich regelmäßig färben müssen; niemand besetzte eine Mittdreißigerin mit grauen Haaren.

Auf dem Weg ins Schlafzimmer begegnete ich Fabian, der ziemlich angeheitert war.

»Gehst du pennen?«, nuschelte er und stützte sich an der Wand ab.

Ich nickte. »Bitte, weck mich nicht, wenn du ins Bett kommst, ja? Ich brauche unbedingt Schlaf, damit ich morgen früh …«

»Ja, ja, ich weiß, dein Casting«, unterbrach er mich ungalant. »Weißt du was? Ich schlafe auf der Couch im Arbeitszimmer, dann störe ich dich nicht.«

»Super Idee«, sagte ich. »Könntet ihr vielleicht ein bisschen leiser sein? Die Musik …«

Wieder ließ er mich nicht ausreden. »Zu Befehl, Generalin. Ich werde ein braver Junge sein, versprochen.« Er drehte sich um und torkelte zurück ins Wohnzimmer. »He, Leute, die Generalin sagt, wir sind zu laut. Madame braucht ihren Schönheitsschlaf.«

Ein Mädchen – Claire? – kicherte albern.

Ich unterdrückte meinen Ärger, holte aus der Küche eine Tasse Tee und das Drehbuch und ging ins Schlafzimmer.

Dort öffnete ich das Fenster einen Spalt weit und stellte den Wecker auf halb neun, das sollte reichen. In T-Shirt und Slip schlüpfte ich unter die Decke. Durch die Wand drang Stimmengemurmel und leise Musik. Gott sei Dank hatte ich Ohrenstöpsel am Bett liegen, die mir schon oft gute Dienste geleistet hatten. Ich steckte sie mir in die Ohren, und die Geräusche aus dem Nebenzimmer verstummten. Erst jetzt merkte ich, wie erschöpft ich war, sogar zu erschöpft, um wegen des Vorsprechens aufgeregt zu sein.

Am nächsten Morgen kam es mir so vor, als hätte ich schon geschlafen, bevor mein Kopf das Kissen berührt hatte.

Kapitel 3Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen: Wie kommen Schauspieler eigentlich zu ihren Rollen?

Ich korrigiere mich: Am nächsten Morgen kam es mir so vor, als hätte ich keine Sekunde geschlafen, als der Wecker um halb neun klingelte. Horror.

Unvorstellbar, dass ich in zweieinhalb Stunden hundertprozentige Leistung bringen sollte. Am liebsten hätte ich mir die Decke über den Kopf gezogen, und nach mir die Sintflut.

Ich riss mich zusammen und quälte mich aus dem Bett. Als ich die Gardinen zurückzog, sah ich, dass es regnete – das perfekte Wetter für meine Stimmung. Bis um elf musste sich aber zumindest meine Laune grundlegend geändert haben.

Auf dem Weg ins Bad warf ich einen Blick ins Wohnzimmer und fand – wie erwartet – Chaos vor. Überquellende Aschenbecher, leere Chipstüten, Jointkippen in Blumentöpfen, Flaschenscherben in einer klebrigen Pfefferminzlikörlache, halbvolle und leere Gläser, ein großer Rotweinfleck auf meinem geliebten Sofa, den es gestern Nachmittag noch nicht gegeben hatte, außerdem überall auf dem Fußboden verstreute CDs. Ein Vorhang war halb heruntergerissen – was hatten die bloß veranstaltet?

Offensichtlich stand mir heute Nachmittag eine Putzschicht ins Haus, denn bevor Fabian freiwillig einen Besen in die Hand nahm, würde eher die Hölle einfrieren.

Das hatte sich einfach so bei uns eingebürgert, ohne dass wir je darüber gesprochen hatten: Er hatte viel mehr zu tun als ich und verdiente wesentlich mehr Geld – und ich war fast den ganzen Tag zu Hause und glich die ungleiche Verteilung unserer Anteile an Lebenshaltungskosten und Miete durch Hausarbeit aus. Normalerweise machte mir das nichts aus, aber heute Morgen fühlte ich mich zur Putze degradiert.

Ich schloss die Wohnzimmertür, damit ich das Elend nicht mehr sehen musste. Ich hatte momentan andere Prioritäten.

Während ich mir ein Bad einlaufen ließ, musterte ich mich im Spiegel. Die unbarmherzige Wahrheit im Licht heller Glühbirnen war, dass ich blass und zerknittert aussah, erste Fältchen um die Augen hatte und vielleicht mal über einen Besuch beim Schönheitschirurgen nachdenken sollte. Zumindest rechnete ich damit, dass meine Agentin Hanna mir genau das bald nahelegen würde. Bei dem Gedanken runzelte ich automatisch die Stirn, und spätestens das halbe Dutzend Querfalten würde ihr ein halbes Dutzend Argumente für ein paar Botox-Spritzen liefern.

Von Fabian war noch nichts zu hören oder zu sehen – wenn man vom Schnarchen absah, das aus dem Arbeitszimmer drang.

Ich stieg in die Wanne, ließ mich ins heiße Wasser gleiten und schloss die Augen. Ich hätte auf der Stelle wieder einschlafen können, aber mehr als zehn Minuten hatte ich für meinen Badespaß nicht zur Verfügung. Schließlich musste ich noch meine Haare waschen und frisieren, mich schminken – für den heutigen Zweck auf keinen Fall auffällig, sondern dezent – und mir genau überlegen, was ich anziehen wollte, denn auch meine Kleidung sollte der Rolle angepasst sein.

Knapp zwei Stunden später hielt mein Taxi vor dem Eingang der Casting-Agentur. Ich war gespannt, wie viele Mitbewerberinnen ich treffen würde, denn natürlich wurden wir nicht alle für den gleichen Zeitpunkt einbestellt, sondern im Viertelstundentakt. Ich stieg die Treppen in den zweiten Stock hoch und ignorierte den Aufzug. Die Assistentin der Castingchefin bat mich, noch im Wartebereich Platz zu nehmen.

»Melina! Du auch hier? Lange nicht gesehen«, rief Lucie Rothbusch schon von Weitem und stand aus dem Sessel auf, um mich zu umarmen. Küsschen rechts, Küsschen links.

»Hey Lucie. Treffen wir uns mal wieder bei einem Casting, was?«, sagte ich lahm und trat schnell einen Schritt zurück.

Wir kannten uns kaum, aber in dieser Branche begegnete man sich halt immer mal wieder, auf Premieren, bei Partys oder eben bei Vorsprechterminen. Ihre Umarmung war mir unangenehm, aber mit dieser in der Medienwelt weit verbreiteten Unsitte hatte ich mich wohl oder übel arrangiert. Kaum dass man mal zufällig neben jemandem an der Theke gestanden hatte, wurde man umarmt und behandelt, als sei man seit Urzeiten dick befreundet. Ich fand das schrecklich, aber wenn man sich diesem sorgfältig gepflegten Ritual entzog, galt man schnell als eigenbrötlerisch und schüchtern – kein gutes Image in einem Beruf, der einen zwingt, sich ständig in irgendwelchen immer neu zusammengewürfelten Teams zurechtzufinden.

Lucie musterte mich von oben bis unten – sie machte nicht einmal den Versuch, dies diskret zu tun.

»Wow, toll siehst du aus«, sagte sie schließlich, »du bist schon ganz in der Rolle, oder?« Sie schlug die Hand vor den Mund und rief, scheinbar erschrocken: »Oh, habe ich da was falsch verstanden? Sollte die Frau schon über vierzig sein? Dann bin ich ja völlig unpassend angezogen!«

Bist du doch sowieso immer, dachte ich.

Lucie hatte trotz ihrer Mitte dreißig (offiziell: 27) einen Hang zu jugendlichen Outfits. Kurze Röcke, enge Hosen, hohe Hacken, Hingucker-Dekolleté (Silikon), wallendes Blondhaar (Extensions), schwellende Lippen (Hyaluronsäure). Und wenn ich mir ihre Nase so anguckte … Hatte die nicht beim letzten Mal irgendwie anders ausgesehen? Also war die Nase jetzt auch falsch.

Ganz unter uns: Ich fragte mich, warum zwei so unterschiedliche Typen wie Lucie und ich für ein und dieselbe Rolle eingeladen wurden. Nach welchen Kriterien gingen die Besetzungsbüros vor? Wie können Lucie, die kurvenreiche, laszive Blondine, und ich, schmal und dunkel, miteinander in einen Wettbewerb treten? Hatte der Regisseur gesagt: »Völlig egal, wie die aussieht – Hauptsache, sie kriegt es irgendwie hin«?

Ich hatte auf Lucies Einlassung zu meinem Outfit, einem rehbraunen Hosenanzug, jedenfalls nur freundlich gelächelt und mich in den Sessel neben ihr fallen lassen. Ich versuchte, mich zu sammeln und dabei ihr permanentes Geplapper zu ignorieren. Die letzten Partys, dieser sagenhafte neue Hairstylist, ohne den nichts mehr ging, angebliche Angebote für angebliche Riesenprojekte, international natürlich.

Red du nur, dachte ich und schaltete ab. Ihre Taktik kannte ich zur Genüge: Da wurde vor dem Casting alles versucht, die Mitbewerberin zu irritieren, zu demotivieren, aus dem Konzept zu bringen. Nicht mit mir, Püppchen, dich spiele ich allemal an die Wand.

Die Tür zum Allerheiligsten öffnete sich, und die Chefin geleitete eine weitere Aspirantin für die begehrte Rolle zum Ausgang. »Die Entscheidung fällt spätestens morgen Nachmittag«, hörte ich sie sagen, bevor sie sich zu uns umdrehte und Lucie zu sich winkte.

Ich formte ein tonloses »Toi toi toi«, wie es sich unter Kollegen gehörte. Von mir aus hätte sie aus dem nächstbesten Fenster fallen können.

Zehn Minuten später stand sie wieder vor mir. »Du sollst reinkommen«, zwitscherte sie, »viel Glück.«

»Danke, dir auch«, zwitscherte ich zurück.

Umarmung, Küsschen rechts, Küsschen links.

Ich atmete tief durch, setzte ein strahlendes Lächeln auf und ging hinein.

Eine Viertelstunde später war es vorbei. Ich hatte einige Szenen gespielt, die die Besetzungschefin mit einer Kamera aufgezeichnet hatte. Der Text saß bombensicher, ich hatte Emotionen gezeigt, war auf Kommando verzweifelt, wütend und verängstigt gewesen. Mehr hatte ich nicht tun können. Morgen Nachmittag würde ich wissen, ob ich die Rolle bekäme.

Als ich auf die Straße trat, regnete es immer noch in Strömen. Diesmal verkniff ich mir ein Taxi und ging zur U-Bahn. Auf dem Hinweg war es mir wichtig gewesen, nicht wie ein begossener Pudel zum Vorsprechen aufzutauchen, aber jetzt war ein Taxi rausgeworfenes Geld, das ich nicht hatte.

In der U-Bahn brütete ich vor mich hin. Wie üblich traf mich von Zeit zu Zeit ein Die-kenne-ich-doch-Blick, mal flüchtig und scheu, mal unverhohlen starrend. Kein Wunder, war ich doch schon in so ziemlich jeder Fernsehserie aufgetaucht, die es gab. Mal fünf Drehtage bei Wilsberg, mal drei Tage beim Großstadtrevier oder sieben in einem Tatort.

Damit konnte man sich eine Zeitlang recht gut über Wasser halten, aber für eine Hauptrolle, womöglich in einem Kinofilm, hatte es nie gereicht.

Ich hatte durchaus schon Castings für große Rollen durchlaufen und war nicht nur einmal unter den letzten drei oder vier Kandidatinnen gewesen. Mal war dann doch ein anderer Typ gefragt, mal war ich zu jung, mal zu alt, mal zu klein, mal zu groß. Mal passte ich nicht zum männlichen Hauptdarsteller, weil man sich in letzter Minute für einen schwarzhaarigen und doch nicht für den blonden Kollegen entschieden hatte (Merke: Das Hauptdarstellerpaar hat nie die gleiche Haarfarbe!). Vielleicht reichte es am Ende für die Schwester von oder die Freundin von, und das von war dann ein angesagter weiblicher Soapstar oder auch eine Sängerin mit Piepsstimme und ohne Talent, die jemanden an ihrer Seite brauchte, der wirklich spielen konnte.

Das war der Grund, warum Leute mich anstarrten und sich fragten, woher sie mich kannten. Ich hatte mich daran gewöhnt und gelernt, diese Blicke zu ignorieren.

Kapitel 4Irgendwer muss ja aufräumen, wenn eine Kinderparty außer Kontrolle geraten ist …

Zu Hause hatte sich noch immer nichts gerührt. Als ich ins Bad ging, musste ich meinen ersten Eindruck korrigieren: Die Klobrille stand oben, also war Fabian zumindest einmal kurz auf gewesen.

Ich schlüpfte in Jeans und T-Shirt – in der Partyzone wartete Arbeit auf mich. Als ich mich in unserem verwüsteten Wohnzimmer umsah, war das einer dieser Momente, in denen ich heilfroh war, dass ich keinen Geruchssinn und so gut wie keinen Geschmackssinn mehr hatte, denn ich wollte mir nicht einmal vorstellen, wie es hier stinken musste.

Ach, hatte ich noch nicht erwähnt, dass ich nichts rieche und kaum etwas schmecke – und warum das so ist?

Vor ein paar Jahren, bei einem Engagement am Theater, hatte ein Bühnenarbeiter vergessen, eine Klappe im Bühnenboden ordentlich zu schließen, und bei den Proben bin ich in dieses Loch gefallen. Vier Meter tief. Schädel-Hirn-Trauma. Nicht lebensbedrohlich, aber als ich wieder aufwachte, war es passiert. Die Ärzte sagten, das könne man nicht behandeln, es ginge irgendwann vorbei – oder auch nicht. Super.

Zuerst fand ich es gar nicht so schlimm. Erst nach und nach erschloss sich mir, was es bedeutet, nichts riechen und schmecken zu können. Das Gute daran: Mundgeruch, zu viel Rasierwasser oder Parfum beim Gegenüber, jegliche Form von Mief oder Gestank spielte keine Rolle mehr. Körpergeruch zum Beispiel. Und da begann das Problem: Ich nahm natürlich auch meinen eigenen Körpergeruch nicht mehr wahr, verstehen Sie?

Seither duschte ich bis zu zweimal täglich, aus Angst, ich könnte nach Schweiß riechen, ohne es zu merken. Ich warf sämtliche Parfums und parfümierte Körperpflegemittel in den Müll und ersetzte sie durch geruchsneutrale Produkte, aus Angst, ich könnte meinen Lieblingsduft derart überdosieren, dass alles um mich herum ohnmächtig zusammenbräche.

Klingt halb so wild? Aber ich konnte auch junge Blätter und die ersten Blumen im Frühling nicht mehr riechen, oder dieses Aroma aus Glühwein, Lebkuchen und Räucherstäbchen, das den Bummel über einen Weihnachtmarkt ausmachte. Allerdings hatte ich auch kein Problem mehr damit, mein Gewicht zu halten. Ehe Sie mich darum beneiden: Es schmeckt alles gleich – und damit gleich uninteressant.

Haben Sie sich je Gedanken darüber gemacht, wie wichtig die Nase beim Essen ist? Der süße Duft einer Erdbeere, das würzige Aroma frischer Kräuter, eine Scheibe Parmaschinken auf frischem Brot, die subtile Geschmackskomposition einer Portion Tiramisu … Da das alles für mich geschmacksneutral war (oder allenfalls ganz schwach süß oder salzig), machte mir Essen überhaupt keinen Spaß mehr. Natürlich erinnerte ich mich noch daran, wie ein Apfel schmeckte, ein Döner oder ein Milchkaffee, aber die Erinnerung ist kein Ersatz, glauben Sie mir. Ich hätte genauso gut von Kranwasser und Haferschleim leben können.

Schon vor meinem Unfall hatte ich mit Kochen nicht viel am Hut gehabt, aber seither nahm ich noch seltener einen Kochlöffel in die Hand. Wie auch? Ich konnte weder würzen noch abschmecken, ich merkte nicht, wenn etwas anbrannte, ich roch nicht, wenn Lebensmittel verdorben waren. Das ist übrigens die größte Gefahr bei dieser Diagnose: dass Sie verdorbene Lebensmittel essen, weil die Nase nicht mehr als Alarmsystem funktioniert.

Dennoch war mir bewusst genug, wie unser Wohnzimmer gerade stinken musste, um sofort das Fenster aufzureißen. Ich sah mich um. Du liebe Güte, was für ein Chaos. Wie nach einer Party von Teenagern, die zum ersten Mal in Papis Partykeller feiern durften. Was hatten die hier bloß veranstaltet? Flaschendrehen mit Kampftrinken? Kegeln mit Bierflaschen? Eine Kissenschlacht? Auf dem Bildschirm des Fernsehers stand Hier kommt nur Dreck raus, geschrieben mit dunkelrotem Lippenstift. Vielen Dank auch. Für jemanden, der sein karges Geld mit Fernsehrollen verdiente, eine wirklich nützliche und wichtige Information.

Gott sei Dank fand ich in der Abstellkammer einen Pappkarton, den ich für die Scherben und die kaputten Flaschen benutzen konnte. Ich leerte die Aschenbecher, sammelte die Gläser ein und brachte sie in die Küche, wischte den Boden um den Teppich herum und schrubbte eine halbe Stunde lang verbissen am Rotweinfleck auf meiner mittelgrauen Couch, bis ich schließlich resigniert aufgab. Ich nahm mir vor, einfach einen schönen Überwurf zu besorgen. Zum Schluss holte ich den Staubsauger, denn der Teppich und sämtliche Sitzmöbel waren übersät mit Chipskrümeln und Zigarettenasche.

»Musst du so einen Lärm veranstalten?«

Fabian stand im Türrahmen und kratzte sich in seinen Boxershorts zwischen den Beinen. Er hatte schreien müssen, um den Staubsauger zu übertönen. Er kniff die Augen gegen die Helligkeit zusammen, seine halblangen, blonden Haare hingen ihm zerzaust ins Gesicht, und trotzdem sah er aus wie ein griechischer Gott.

Dieser Mann war sogar dann noch attraktiv, wenn er wie der letzte Prolet vor meinen Augen in seiner Unterhose wühlte. Er war der klassische Märchenprinz, der jugendliche, romantische Liebhaber, auf der Bühne umweht von herzzerreißender Tragik, wenn er als Romeo seine hoffnungslose Liebe zu Julia beklagte. Kein Wunder, dass ihm Verehrerinnen in Scharen hinterherliefen.

Verehrerinnen wie Claire von letzter Nacht, die vermutlich Schauspielschülerin war. Für diesen hoffnungsvollen Nachwuchs war Fabian – ich korrigiere mich: Fabsi – so etwas wie ein Brad Pitt des Theaters, und jede Einzelne hoffte, seine Angelina zu werden. Vielleicht war Claire auch nur eins von diesen Groupies, die am Bühneneingang herumlungerten oder in Szeneläden darauf lauerten, dass die jungen Bühnenstars endlich auftauchten.

»Du hast mich geweckt«, fügte er vorwurfsvoll hinzu, als ich den Staubsauer abgestellt hatte.

»Musst du nicht sowieso gleich zur Probe?«

Er schüttelte den Kopf. »Erst heute Abend.« Er zog geräuschvoll die Nase hoch und kratzte sich am Kopf. »Ich geh dann mal duschen. Machst du mir einen Kaffee?« Ohne meine Antwort abzuwarten, schlurfte er in Richtung Badezimmer.

Ich saugte zu Ende, holte noch die Leiter, um die herausgerissenen Gardinenröllchen wieder auf die Schiene zu fädeln (hatten die Tarzan gespielt und die Gardinen als Liane benutzt?), dann ging ich in die Küche und befüllte die Kaffeemaschine. Während der Kaffee röchelnd und blubbernd in die Kanne rann, spülte ich Gläser und Aschenbecher.

Plötzlich wurde ich von hinten von Fabians nackten Armen umschlungen. Er presste sein Gesicht in meinen Nacken und flüsterte: »Mein fleißiges Lieschen, wenn ich dich nicht hätte …«

Dann würdest du in deinem eigenen Müll ersticken oder hättest ein anderes fleißiges Lieschen, dachte ich und drehte mich zu ihm um. Sein Haar war nass, und er trug lediglich ein Badetuch um die Hüften. Wie gern hätte ich jetzt meinen Geruchssinn gehabt, um an seinem frisch geduschten Körper zu schnuppern.

Er holte zwei Tassen aus dem Schrank und schenkte uns Kaffee ein, bevor er sich an den Küchentisch setzte und sagte: »Komm, lass den Scheiß jetzt liegen und erzähl mir von deinem Casting.«

Der Fürst hatte also gute Laune und geruhte, sich für meine beruflichen Aktivitäten zu interessieren.

Ich trocknete mir die Hände ab, setzte mich in den Lehnstuhl und trank einen Schluck Kaffee. Einfach nur heiß und ein kleines bisschen bitter.

»Ich habe Lucie beim Casting getroffen.«

»Diese Stümperin«, murmelte Fabian verächtlich und verzog den Mund. »Die kann dir ja wohl nicht das Wasser reichen.«

»Das weißt du, und das weiß ich, aber sie ist blond und sie hat Titten. Und eine neue Nase, wenn ich richtig gesehen habe.«

»Muss ich unbedingt drauf achten, wenn sie wieder mal versucht, sich mir an den Hals zu werfen.« Er gackerte.

»Tu das.«

Er sah mich neugierig an. »Eifersüchtig?«

Ich schüttelte den Kopf. »Auf Lucie? Nie im Leben. Höchstens darauf, dass sie mehr Rollen abstaubt, als ich fassen kann.«

»Meine liebe Melina, wie oft muss ich es noch sagen: Fernsehen ist scheiße, da verschwendest du dein Talent. Komm zurück zum Theater. Wenn du willst, rede ich mal mit dem Intendanten.« Er beugte sich über den Tisch und nahm meine Hand. »Wäre doch schön, wir zusammen auf der Bühne …«