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Träume aus Sahne und Schokolade: Der turbulente Liebesroman »Die Tortenträumerin« von Erfolgsautorin Stella Conrad jetzt als eBook bei dotbooks. Gibt es ein Erfolgsrezept für die Liebe? Die Konditorin Pauline weiß genau, dass Hochzeitsvorbereitungen für viele Paare superstressig sind – und sie mit traumhaften Kreationen alle Wogen glätten kann: Ihre Cinderella-Torte hat noch jede »Bridezilla« in eine glückliche Braut verwandelt, und mit ihren Buddha-Küchlein zaubert die Küchenfee selbst den strengsten Schwiegermüttern ein Lächeln ins Gesicht. Stets an Paulines Seite ist dabei ihr bester Freund Vicky, der mit seiner Blumendeko für kleine Wunder sorgt. Aber als er ihr nun den charmanten Gärtner Lasse vorstellt, passiert das Unerwartete: Pauline, die doch für alle Verliebten ein Fels in der Brandung sein muss, hat plötzlich selbst Herzklopfen! Wie soll sie sich denn da auf ihren Job konzentrieren … und zu wie viel Chaos wird das führen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die romantische Komödie »Die Tortenträumerin« von Bestseller-Autorin Stella Conrad ist ein Lesevergnügen für alle Fans der Romane von Julie Caplin und der TV-Show »Das große Backen«! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 404
Über dieses Buch:
Gibt es ein Erfolgsrezept für die Liebe? Die Konditorin Pauline weiß genau, dass Hochzeitsvorbereitungen für viele Paare superstressig sind – und sie mit traumhaften Kreationen alle Wogen glätten kann: Ihre Cinderella-Torte hat noch jede »Bridezilla« in eine glückliche Braut verwandelt, und mit ihren Buddha-Küchlein zaubert die Küchenfee selbst den strengsten Schwiegermüttern ein Lächeln ins Gesicht. Stets an Paulines Seite ist dabei ihr bester Freund Vicky, der mit seiner Blumendeko für kleine Wunder sorgt. Aber als er ihr nun den charmanten Gärtner Lasse vorstellt, passiert das Unerwartete: Pauline, die doch für alle Verliebten ein Fels in der Brandung sein muss, hat plötzlich selbst Herzklopfen! Wie soll sie sich denn da auf ihren Job konzentrieren … und zu wie viel Chaos wird das führen?
Über die Autorin:
Stella Conrad, 1960 in Recklinghausen geboren, lebt an der Nordseeküste. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Köchin (wobei sie backstage sogar Stars wie Tina Turner, Joe Cocker, Depeche Mode, Herbert Grönemeyer und Die Toten Hosen bekochte) arbeitete sie als Veranstalterin, Pressebetreuerin und in einer Schauspielagentur, bevor sie sich dem geschriebenen Wort zuwandte.
Als eBook veröffentlichte Stella Conrad bei dotbooks bereits ihre heiteren Liebesromane »Die Küchenfee«, »Das Glück der Küchenfee«, »Die Tortenkönigin«, »Die Glücksträumerin«, »Der Feind an meinem Tisch« und »Die Glücksköchin«. Ihre Geschichten finden sich auch in den Sammelbänden »Ein Restaurant zum Verlieben«, »Zimt und Zucker für die Liebe«, »Zitronenküsse« und »Ein Café zum Verlieben«.
Als Print-Ausgabe ist bei dotbooks »Die Tortenkönigin« erschienen.
Die Website der Autorin: www.roman-manufaktur.de/
Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/romanmanufaktur/
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Originalausgabe September 2022
Copyright © der Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)
ISBN 978-3-98690-359-6
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Stella Conrad
Die Tortenträumerin
Roman
dotbooks.
»Weißt du, was das Schlimmste für mich wäre?«, frage ich und weiß genau, dass ich meinem besten Freund damit auf die Nerven gehe, denn er ist beschäftigt.
Außerdem: Was soll man auf so eine Frage antworten?
»Nein, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, du wirst es mir gleich sagen«, erwidert Vicky folgerichtig, während er konzentriert einen silbrig glitzernden Amor ins kitschig-süßliche Gesteck einfügt, an dem er gerade arbeitet. Obwohl er noch drei Wochen in der Zukunft liegt, bereitet er sich bereits jetzt auf den Valentinstag vor und fertigt im Akkord Gestecke an, von denen keines ohne Putten, Herzchen am Stiel oder eben winzige Amor-Figürchen mit Flügelchen sowie Pfeil und Bogen auskommt. Na ja, wer’s mag … Aber das spielt keine Rolle, denn offensichtlich hat er Kundschaft dafür, sonst würde er keinen Vorrat anlegen.
»Wenn Max Recht behielte«, sage ich. »Das wäre das Allerschlimmste. Das wird er mir bis ans Sterbebett ständig unter die Nase reiben.«
»Nichts Neues also«, murmelt Vicky und gibt dem Amor einen letzten Stupser. Dann richtet er sich auf und sieht mich an. »Du hast diesen Kurs gemacht, obwohl Max ihn für überflüssig hielt. Na und? Dein Bruder stand noch nie unter dem Verdacht, besonders innovativ zu denken, oder? Aber du hast dich entschieden, in die Bäckerei einzusteigen, also hast du dich auch für Max entschieden. Du musstest damit rechnen, dass ihr bei einigen Dingen unterschiedlicher Meinung sein werdet. Lebe damit, okay?«
Also, das habe ich mir anders vorgestellt. Vickys Reaktion, meine ich. Schließlich bin ich hier, um mir von ihm bestätigen zu lassen, dass Max eine verdammte Nervensäge ist.
Wozu habe ich diesen sündhaft teuren Kurs bei dem berühmten Konditor denn wohl gemacht? Für die gemeinsame Bäckerei!
Und was ist der Dank?
Das andauernde Genörgel von Max.
Mit den Ellenbogen lümmele ich auf Vickys Arbeitstisch und schweige schmollend vor mich hin. Er nimmt das Gesteck hoch und begutachtet es von allen Seiten. Seinem Stirnrunzeln nach zu urteilen, ist er noch längst nicht zufrieden mit dem, was er sieht.
»Gib mir mal zwei von den silbernen Herzen rüber«, sagt er und streckt die Hand aus, ohne das Gesteck aus den Augen zu lassen.
Ich reiche ihm zwei von den walnussgroßen Herzen an, die auf einen Draht montiert sind. Vicky starrt weiterhin auf das Gesteck, um den optimalen Platz dafür zu finden. Mehrmals schwebt seine Hand über einer Stelle, dann zieht er sie wieder zurück.
Das nervt mich ungemein, und ich verliere die Geduld. »Man kann es auch übertreiben. Steck sie doch einfach irgendwo rein«, keife ich.
Das ist nicht nur unfair, sondern auch ein großer Fehler, wie ich umgehend merke.
Vicky mustert mich empört. »Einfach irgendwo reinstecken? Spinnst du? Ich bin doch kein besoffener Malle-Tourist, der ein Betthäschen für eine Nacht sucht!«
Ich muss lachen, was in dieser Situation äußerst unklug ist.
»Du findest das lustig, Pauline?«, fragt er lauernd.
»Oh … äh … nein …«, stammle ich, wohlwissend, dass es für Schadensbegrenzung längst zu spät ist.
Viktor stemmt die Hände in die Seiten. »Vielleicht sollte ich mich mal an deinen Arbeitstisch stellen und dir empfehlen, die Marzipanrosen einfach irgendwo auf die Hochzeitstorte zu klatschen. Symmetrie? Egal. Gesamteindruck? Scheiß doch drauf. Egal.«
Verdammt, ich habe meinen allerbesten Freund beleidigt. Das zu sagen, war gemein von mir, denn Vicky nimmt seinen Beruf genauso ernst wie ich den meinen. Beide betrachten wir uns als Künstler – er mit seinem Blumenschmuck, ich mit meinem Gebäck.
»Vicky, es tut mir leid«, sage ich zerknirscht, aber er ist unversöhnlich. Für den Moment jedenfalls.
»Ich glaube, ich brauche jetzt ein wenig Ruhe zum Arbeiten«, erwidert er schmallippig. »Von diesen Gestecken will ich heute noch mindestens zehn Stück machen.«
»Ich könnte dir helfen, wenn du willst.«
Hochmütig hebt er die Brauen. »Und riskieren, dass du alles irgendwohin steckst? Vielen Dank. Man sieht sich.«
Es gibt nichts zu beschönigen: Das ist ein Rauswurf.
»Wie schön, Pauline. Ich habe mir gerade einen Tee …« Maja stockt, als in diesem Moment lautes Heulen einsetzt. »Setz dich doch schon mal. Ich bin gleich bei dir«, fügt sie hinzu und sprintet ins Kinderzimmer, um den Ursprung des Streits zu ergründen.
Ich schlendere in die Küche. Auf dem blankgescheuerten Holztisch steht auf einem Stövchen eine Kanne mit Tee, und ich hole zwei Becher aus dem Küchenschrank.
Auch Maja kenne ich seit meiner Schulzeit. Sie, Viktor und ich waren jahrelang ein unzertrennliches Kleeblatt. Jetzt ist sie verheiratet und Mutter zweier Mini-Despoten, die gerade um die Weltherrschaft zu kämpfen scheinen. Ich höre ihre ruhige Stimme immer im Wechsel mit gekreischten gegenseitigen Vorwürfen ihrer kleinen Söhne, dann entspannt sich die Sache langsam.
Sie kommt zu mir in die Küche und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Fürsorglich gieße ich ihr Tee ein, während sie sagt: »Irgendwann setze ich die beiden an einer Autobahnraststätte aus. Sollen sich andere Leute mit ihnen abplagen.«
»Niemals würdest du das tun. Du würdest für sie sterben, wenn es sein müsste.«
Sie nippt an ihrem Tee und zuckt dann mit den Schultern. »Ja, vermutlich würde ich das wohl, oder? Aber manchmal könnte ich sie …«
»Nein, könntest du nicht. Nie im Leben. Und das wissen sie auch.«
Maja seufzt. »Das ist ja das Schlimme. Wird Zeit, dass der erste in die Schule kommt.«
»Im Sommer ist es ja endlich so weit.«
»Hm.«
Wir nicken uns zu und trinken den Tee, bis sie plötzlich ausruft: »Das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt! Heiner hat einen neuen Kollegen. Du, der ist supernett. Den musst du unbedingt kennenlernen, ich finde, ihr würdet super …«
Innerlich rolle ich mit den Augen.
Wieder ein Typ, mit dem Maja mich zu verkuppeln versucht. Der Ablauf ist immer der gleiche: Sie lädt zu einem Essen ein – wahlweise zu einer Gartenparty oder einem Grillabend –, und dann habe ich irgendeinen Kerl an der Backe kleben, dem sie sonst welche Märchen über meine Einzigartigkeit erzählt hat und der ihrer Ansicht nach super zu mir passt.
Eine Einschätzung, die ich noch kein einziges Mal zu teilen vermochte, beim besten Willen nicht.
Aber Maja, meine überglücklich verheiratete Freundin, möchte auch mich glücklich sehen, das ist ihr erklärtes Ziel. Es bekümmert sie, dass ich – mittlerweile Anfang 30, also praktisch nicht mehr vermittelbar – seit einigen Jahren Single bin.
Dass ich damit ganz entspannt und überdies zuversichtlich bin, irgendwann den Mann fürs Leben zu treffen, hindert sie nicht daran, dem Schicksal auf die Sprünge helfen zu wollen.
»… und ich dachte, wir machen mal ein ganz zwangloses Abendessen«, plappert sie weiter. »Vicky könnte auch kommen, obwohl, nein, lieber nicht, vielleicht denkt der Kollege sonst, du bist mit Vicky zusammen …«
Prompt pruste ich den Tee quer über den Tisch. Sofort springe ich auf und hole einen Lappen, um die Bescherung aufzuwischen.
»Wer das denkt, ist sowieso nichts für mich, weil er Tomaten auf den Augen hat. Vicky und ich? Vicky und irgendeine Frau? Ich bitte dich.«
Tatsächlich hat Vicky nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich nicht für Frauen interessiert.
»Außerdem bin ich bei ihm gerade in Ungnade gefallen«, füge ich hinzu. »Gerade vorhin hat er mich rausgeworfen.«
»Ach, deshalb bist du hier? Um dich über Vicky zu beschweren?«
»Nein, über Max.«
Sie stößt ein Geräusch aus, das irgendwo zwischen bedauerndem Brummen und genervtem Schnauben liegt. Eindeutig überwiegt das Schnauben.
Dann sagt sie in einem Ton, als würde sie mit ihren streitenden Söhnen reden: »Du kennst ihn doch. Versöhne dich endlich damit.«
»Damit, dass er mir ständig unter die Nase reibt, wie bescheuert meine Idee ist, mich auf außergewöhnliche Hochzeitstorten zu spezialisieren? Und damit, dass die dämliche Judith ins gleiche Horn tutet und sich ungefragt einmischt? Was geht sie das überhaupt an?«
»Sie ist seine Frau und arbeitet in der Konditorei. Natürlich geht es sie etwas an. Wahrscheinlich muss auch sie sich sein Genöle darüber anhören. Abends, nach Feierabend. Und genau wie du wünscht sie sich, dass das aufhört.«
»Ach, die Arme. Da hätte ich einen Tipp für die beiden: Sie sollten mich einfach machen lassen. Was verlange ich denn schon? Will ich, dass nichts anderes mehr angeboten wird als schräge Hochzeitstorten? Nein. Ich will mit ihnen das Sortiment erweitern! Aber Max verweigert mir strikt, die Torten auf unsere Website zu setzen. Er will die Stammkundschaft nicht verschrecken, sagt er. Was die denn wohl denken sollen, wenn wir plötzlich knallbunte Torten im Angebot haben, sagt er.«
»Ich weiß.« Maja lächelt. »Wir sprachen schon darüber. Ungefähr dreitausend Mal. Und ich kenne jedes eurer Argumente in- und auswendig. Ich könnte problemlos Max oder dich bei euren Streitigkeiten ersetzen.«
Herrje. Sie hat natürlich recht.
Genauso, wie Max mir mit seiner Leier auf den Keks geht, müssen sich meine Freunde immer wieder meine Beschwerden über ihn anhören. Ich bin nicht besser als er. Kein Stück.
Trotzdem fällt es mir schwer, den Jammer-Modus zu verlassen. Zu schwer.
»Aber was soll ich denn machen?«
Sie lächelt so sanftmütig, als wäre sie von nachgerade göttlichem Geist erfüllt. »Lass ihn meckern. Streite nicht mehr mit ihm. Versöhne dich mit der Situation. Mit Worten wirst du ihn nicht überzeugen können. Irgendwann wirst du einen Auftrag bekommen, bei dem du deine Kunst zeigen kannst. Nicht nur dem Auftraggeber, sondern auch ihm.«
»Wer bist du – Buddha?« Ich runzle die Stirn. »Warum versöhnt er sich nicht mit dem, was ich gern möchte? Warum muss ich nachgeben?«
»Gar nichts musst du. Aber du könntest zur Abwechslung mal die Klügere sein, die nachgibt. Hör doch einfach auf, ihn damit zu bedrängen. Hab Geduld. Und wenn du merkst, dass es in dir brodelt, geh spazieren und lass dir vom Nordseewind den Kopf freiblasen. Oder noch besser: Trainiere für einen Marathon, damit du deine Aggressionen loswirst.«
»Warum muss ich immer …«
Sie hebt die Hand, um mich zu unterbrechen. »Nichts für ungut, aber du klingst wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Fürchterlich. Kein Wunder, dass Max genervt ist. Noch einmal: Er wird nicht plötzlich deiner Meinung sein, nur weil du lange genug auf ihn eingelabert hast, Pauline. Niemals. Er wird nicht plötzlich sagen: O mein Gott – du hast recht! Wie konnte ich nur so dumm sein? Das wird niemals passieren. Ich kenne deinen Bruder, er ist genauso stur wie du. Also macht ihr entweder damit weiter, gegeneinander zu kämpfen, oder einer von euch hisst die weiße Flagge.«
Noch immer bin ich nicht überzeugt. »Soll ich ihm etwa sagen, dass er gewonnen hat?«
Maja schüttelt den Kopf. »Natürlich nicht. Du hörst einfach damit auf, das Thema immer und immer wieder anzusprechen. Herrje, sogar dich selbst müsste es doch mittlerweile halb zu Tode langweilen.«
Sie mustert mich abwartend. Mein Gesicht scheint Bände zu sprechen, denn sie grinst und fährt fort: »Das mit der Rivalität zwischen euch wird wohl nie aufhören. Ihr hattet diese Revierkämpfe schon im Kindergarten.«
»Es geht keineswegs um einen Revierkampf. Es geht darum, dass ich leidenschaftlich für etwas brenne, während Max sich in einem weichen Nest zusammengerollt hat und schläft. Ich will doch nur, dass er …«
Wieder reißt sie die Hand hoch, und ich verstumme.
»Du willst missionieren«, sagt sie streng. »Aber nicht jeder will missioniert werden. Du kannst niemanden zu seinem oder ihrem Glück zwingen.«
Ach was, denke ich griesgrämig, und das von der Frau, die mich mit immer neuen Kerlen an einen Tisch setzt, um mich zu verkuppeln.
Interessant, dass ausgerechnet sie dieses Argument benutzt.
Maja steht auf und verschwindet ins Kinderzimmer, um einen erneut ausgebrochenen, lautstarken Streit zu schlichten; vielleicht ist es auch die Fortsetzung der letzten Auseinandersetzung.
Ist das immer so mit Geschwistern?
Müssen sie streiten?
Hat die Natur das so angelegt, weil vielleicht – früher einmal – sich nur der Stärkste und Lauteste im Rudel durchsetzen konnte und so eine Überlebenschance hatte?
Ich kann mich jedenfalls an keine Zeit erinnern, in der Max und ich nicht gestritten hätten. Stets haben wir argwöhnisch kontrolliert, dass der andere nicht bevorzugt wurde – oder was wir darunter verstanden. Sie wissen schon: Ist sein Stück Kuchen größer? Sind ihre Weihnachtsgeschenke besser?
So was in der Art halt.
Wie Kinder eben sind.
Und das, obwohl unsere Großeltern, bei denen wir aufgewachsen sind, wirklich immer auf gleiche Behandlung geachtet haben. Wenn ich mir heute vorstelle, wie sehr wir sie mit unseren ständigen Zwistigkeiten genervt haben müssen … der reine Terror.
Wir haben bei ihnen gelebt, weil unser Vater, der als internationaler Unternehmensberater tätig ist, ständig kreuz und quer durch die Weltgeschichte reist, und meine Mutter mit ihm. Für uns Kinder hätte das bedeutet, zwar die Welt kennenzulernen, aber auch alle paar Jahre oder manchmal auch Monate den Wohnort und damit gleichzeitig die Schule wechseln zu müssen. Unsere Eltern und unsere Großeltern beschlossen also, dass Max und ich in einem stabilen Umfeld besser aufgehoben sind, und ich halte das bis heute für eine gute Entscheidung.
Zu unseren Geburtstagen oder zu Weihnachten brachte der Paketbote uns stets exotische Geschenke, wenn unsere Eltern es nicht schafften, persönlich zu kommen.
Leider hat sich dieser kindliche Konkurrenzkampf zwischen uns nie wirklich gelegt. Klar, es gab Phasen relativen Friedens, aber da wir ein gemeinsames Geschäft betreiben, liegen überall Minen, auf die einer von uns treten kann. Sogar an der Frage, wie viele Erdbeeren auf ein Törtchen gehören, entzünden sich leidenschaftlich geführte Auseinandersetzungen.
Ob Maja recht hat? Soll ich einfach mal die Klügere sein? O Mann, das würde Max irritieren.
Wenn das kein Grund ist, auf ihren Rat zu hören, dann weiß ich auch nicht …
Ich überlasse Maja ihren häuslichen Verpflichtungen und setze mich ins Auto, um an den Strand zu fahren.
Jetzt, Ende Januar, weht ein steifer Wind, also ziehe ich die Wollmütze über die Ohren und tief ins Gesicht. Der Strand ist menschenleer, die Strandkörbe sind längst für den Winter eingelagert. Graue Wolken jagen in Höchstgeschwindigkeit über den Himmel. Die winterlichen Sturmfluten haben Treibholz, Tanghaufen und anderes Zeug an den Strand gespült.
Die Hände in den Parkataschen vergraben, stapfe ich am Flutsaum entlang. Es ist Ebbe, und Möwen trippeln durchs Watt, um nach Snacks zu suchen. Obwohl doch nun wirklich genug für alle da ist, streiten sich einzelne Exemplare kreischend und flügelschlagend um leckere Fundstücke.
Ich bleibe stehen und beobachte sie.
Vor mir liegt eine schier endlose Fläche voller Wattwürmer, Muscheln, Krebse und dergleichen – das Büffet ist also eröffnet. Und doch ist der Ablauf immer der gleiche: Eine Möwe findet etwas und pickt daran herum, und sofort kommt eine andere angerannt, weil sie es haben will.
Das Ergebnis: Gezeter, Geschrei und fliegende Federn.
Wie Max und ich, denke ich plötzlich, wir verhalten uns auch so blöd. Es ist Raum genug, dass jeder sich entfalten kann. Dass Max sich nicht weiter entwickeln möchte, als er es bereits ist, muss mich ja nicht weiter stören, oder? Wenn Max zufrieden mit dem ist, was er hat – gut so. Seine Entscheidung. Aber trotzdem finde ich gemein, dass ich meine Ideen nicht auf der Website publizieren …
Stopp, Pauline Westermann, rufe ich mich streng zur Ordnung. Auch dafür wird sich eine Lösung finden. Mit Gelassenheit. Oder irgendwas in der Art.
Ich gehe weiter und genieße den Wind, gegen den ich mich stemmen muss. Ja, die Böen fordern mir einiges an Kraft ab, aber umso leichter wird der Rückweg sein, wenn der Wind mich anschiebt.
Wie nichtig sind doch Max’ und meine Streitereien angesichts der stoischen Wucht der Elemente. Das Wasser kommt und geht wieder, Tag für Tag, Monat für Monat, seit Ewigkeiten und bis in alle Ewigkeit. Eine Möwe fliegt heran und steht über mir im Wind. Sie beäugt mich, dann kackt sie mir zielsicher auf die Schulter und fliegt weiter.
Klar, musste ja so kommen.
Um mich herum zig Quadratkilometer Leere, und ich kriege was ab, typisch.
Für einen Moment bin ich wie erstarrt, dann fange ich an zu fluchen. Ich bücke mich, greife ein nasses Algenbündel und versuche unbeholfen, den weißen Klecks abzuwischen, was mir natürlich nur sehr unvollkommen gelingt.
Noch immer Verwünschungen zischend, lasse ich die Algen fallen.
»Sonst noch irgendwer? Auf mir ist noch Platz!«, brülle ich aufs Watt hinaus und breite einladend die Arme aus.
Ein paar der Möwen heben die Köpfe und sehen desinteressiert zu mir herüber, dann picken sie weiter im Schlick herum.
»Was ist los mit euch? Traut ihr euch nicht? Klar, aus dem Hinterhalt, das könnt ihr Mistviecher!«
Der Wind schiebt ein älteres Ehepaar – der Kleidung nach Touristen – an mir vorbei, das mich entgeistert anstarrt, dann einen wissenden Blick tauscht und noch einen Zahn zulegt, um möglichst rasch außer Reichweite dieser Irren zu kommen, die am Strand steht und Möwen anschreit.
Man weiß ja nie.
Friesen sollen ja merkwürdige Menschen sein.
Schlagartig wird mir bewusst, wie bescheuert ich mich aufführe. Ich fange an zu lachen, und das Ehepaar, dem der Wind mein Gelächter hinterherträgt, dreht sich panisch nach mir um, bevor es in leichten Trab verfällt.
Jetzt aber hurtig, mit verrückten Friesen ist wirklich nicht zu spaßen.
Um sie nicht noch mehr zu erschrecken, lasse ich ihnen einen Vorsprung, bevor ich mich in ihrer Richtung auf den Rückweg mache. Ich schlendere am Flutsaum entlang und bücke mich von Zeit zu Zeit, um ein verlassenes Schneckenhaus aufzuheben, das einem Einsiedlerkrebs zu klein geworden ist. Die andere Option ist leider, dass eine Möwe das schützende Haus geknackt hat, um sich den Krebs zu holen.
Nun ja, Natur funktioniert halt so: fressen und gefressen werden.
Wie auch immer, ich mag Schneckenhäuser und sammle sie in einem großen Setzkasten. Die wenigsten von ihnen sind intakt, aber das stört mich nicht, ganz im Gegenteil. Ich mag es, wenn ich die innere Struktur der Häuser erkennen kann.
Zwölf eingesammelte Schneckenhäuser später gehe ich über den Deich zurück zum Parkplatz. Noch einmal bleibe ich stehen und blicke über die weite Fläche des Watts bis zum Horizont, der heute mit dem Himmel zu einer diffusen grauen Linie verschmilzt. Maja hatte recht: So ein Spaziergang tut gut und reinigt die Gedanken. Ich bin bereit dazu, mit Max nicht mehr zu streiten. Ich werde die Klügere sein.
Ich muss mich beeilen, denn ich werde in der Backstube erwartet.
»Herrgott – ist das so schwer? Kannst du nicht einfach die Torte so machen, wie sie hier abgebildet ist?« Max tippt wie besessen auf das laminierte und in einen Ordner geheftete Foto einer 08/15-Hochzeitstorte und fährt fort: »Mach doch bitte einmal kommentarlos das, was ein Kunde bestellt hat! Nur ein einziges Mal!«
Ach, nur einmal, und dann darf ich wieder machen, was ich will?, denke ich.
So viel zu meinen guten Vorsätzen, die Klügere zu sein und mit Max nicht mehr zu streiten. Das heißt: Noch handelt es sich nicht um einen Streit. Ich habe lediglich vorgeschlagen, das verstaubte Design der Torte ein wenig aufzupeppen, und mein Bruder ist sofort ausgeflippt.
Er hat die Stimme erhoben, nicht ich.
Klar, ich hätte meine Klappe halten können, aber es ist einfach aus mir rausgeplatzt. Diese langweiligen Torten hängen mir kilometerweit zum Hals raus. Weiß, zwei- oder allenfalls dreistöckig – das gilt schon als verwegen – und mit Marzipanrosen besetzt. Obendrauf zwei doofe Püppchen und fertig.
Warum nicht mal Lilien als Deko? Oder eine andere Farbe für die Torte? Oder ein Spitzenmuster aus Zuckerguss? Oder, oder, oder. Ich bin voller Ideen, und das nicht erst, seit ich den Kurs besucht habe.
Aber auf diesem Ohr ist Max stocktaub. Die Standard-Torten werden seit Menschengedenken so angeboten und so bestellt, das reicht ihm. Die Vorstellung, unser Angebot zu erweitern, erschreckt ihn zutiefst.
Was würden die Kunden sagen?
Würden sie denken, er wäre verrückt geworden?
Dergleichen Fragen beschäftigen ihn, was ich natürlich nicht verstehen kann. Er hat schon nicht verstanden, warum ich diesen teuren Kurs gemacht habe, um ein paar der Dinge zu lernen, die heutzutage von guten Konditoren erwartet werden. Seit unser Opa uns die Konditorei übergeben hat, stemmt Max sich verbissen gegen jede Veränderung, sei sie auch noch so winzig – und damit meine ich nicht nur diese stinklangweiligen Hochzeitstorten.
Weihnachtliche Motivtorten mit Schneemännern und Marzipantannen zum Fest der Liebe? Undenkbar.
Österlich-buntes Gebäck mit lustigen Hasen? Bloß nicht.
Aber ich habe mir etwas vorgenommen und bin wild entschlossen, meine neue Taktik auszuprobieren.
»Du hast recht, Max. Ich werde dich damit nicht mehr nerven«, sage ich also, um den Dampf aus dem Kessel zu nehmen.
Er glotzt mich erst verständnislos, dann misstrauisch an. »Was soll das denn jetzt?«, fragt er.
»Gar nichts«, erwidere ich ruhig. »Der Kunde möchte diese Torte, der Kunde kriegt diese Torte. Mein persönlicher Geschmack ist vollkommen irrelevant.«
Das beruhigt ihn keineswegs, ganz im Gegenteil. Er runzelt die Stirn, und ich kichere innerlich, weil ich genau weiß, wie sehr ihn mein Verhalten verunsichert. Nach außen wahre ich den Schein neutraler Gelassenheit.
»Bist du auf Droge?«, fragt er.
Ich schüttele den Kopf. »Diese Frage überhöre ich mal besser«, sage ich mit mildem Tadel und wende mich dem Arbeitstisch zu, um mit meiner Aufgabe zu beginnen.
In meinem Rücken spüre ich, dass er noch immer verdattert dasteht, aber dann höre ich Schritte und das leise Schwingen der Tür zur Backstube, als er den Raum verlässt.
Innerlich balle ich die Siegerfaust. Ich bin ziemlich stolz auf mich, um ehrlich zu sein.
Und ich bin gespannt, wie lange ich durchhalte.
Nicht sehr lange, wie bereits der nächste Tag zeigt. Allerdings ist nicht Max mein Kontrahent, sondern seine Göttergattin Judith, die sich in alles einmischt, auch wenn sie mit der Leitung der Konditorei eigentlich nichts zu tun hat. Okay, sie ist diejenige, die vorne im Verkauf mit der Peitsche knallen darf, aber das ist auch schon alles. Aber wehe, jemand kommt ihrem kostbaren Max zu nahe, dann wird sie zur Löwin.
So auch jetzt.
Sie kommt in die Backstube gefegt und baut sich vor mir auf, die Hände in die Seiten gestemmt, die Löckchen zitternd vor Empörung.
Ihr Gesicht ist hochrot, und sie faucht: »Was bezweckst du mit diesem Psychoterror?«
Vor Verblüffung fällt mir glatt der Rührlöffel in den Topf mit der flüssigen Kuvertüre. »Auch dir einen schönen Tag«, erwidere ich, als ich mich wieder gesammelt habe. »Wovon sprichst du bitte?«
Sie mustert mich von oben bis unten, als wäre ich eine Kakerlake oder dergleichen. »Tu nicht so harmlos. Du weißt genau, was ich meine.«
Während ich den Löffel aus der Schokolade fische, zähle ich innerlich langsam bis zehn. Dann sage ich: »Es ist, als würdest du in irgendeiner Fremdsprache reden, die ich nicht beherrsche, Judith. Bitte erleuchte mich. Was willst du mir mitteilen?«
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt mit sichtlicher Missbilligung den Kopf. »Deine Frechheit ist unglaublich. Max ist vollkommen durcheinander.«
»Der Arme. Was hat er denn?«
»Tu doch nicht so!«, faucht Judith. »Du weißt haargenau, was ich meine!«
Ich seufze und zähle noch einmal bis zehn. Dann ein weiteres Mal. Zur Sicherheit legte ich weitere zehn innerliche Zähler drauf, bevor ich erwiderte: »Nein, Judith, das weiß ich nicht. Warum ist Max vollkommen durcheinander? Und ich warne dich: Sag nicht noch einmal, dass ich weiß, wovon du redest, sonst werde ich stinksauer.«
»Na, das wäre ja mal was ganz Neues, dass du stinksauer wirst. Bist du das nicht meistens?«, höhnt sie. »Wovon ich rede? Von deinem merkwürdigen Verhalten natürlich. Auf einmal tust du so geschmeidig. Da steckt doch was dahinter! Du planst doch irgendwas. Du willst uns in Sicherheit wiegen, und dann machst du hintenrum irgendetwas, dem wir niemals zustimmen würden.«
Wir? Da überschätzt sich jemand aber ganz gewaltig …
Da ich nicht sofort antworte, wiederholt sie: »Da steckt doch was dahinter! Max kannst du vielleicht hinters Licht führen – mich nicht.«
So dürften Kriege entstehen, denke ich, hin- und hergerissen zwischen meinen guten Vorsätzen einerseits und andererseits dem dringenden Bedürfnis, ihren mageren Putenhals mit beiden Händen zu umfassen und dann ganz fest zuzudrücken.
Ich atme tief durch. »Nichts steckt dahinter. Ich will einfach nicht mehr mit Max streiten. Das ist alles. Einer muss ja mal damit aufhören. Der Klügere gibt nach, davon hast du bestimmt schon einmal gehört.«
Sie geht in die Luft wie ein Korken, der aus einer gut geschüttelten Champagnerflasche fliegt. »Willst du damit sagen, dass Max der Dümmere von euch beiden ist? Unverschämtheit!«
Ups. Das habe ich tatsächlich gesagt, irgendwie und zwischen den Zeilen. Aber ich habe es nicht so gemeint, ehrlich.
»Judith, es tut mir leid, das wollte ich damit nicht sagen, wirklich nicht. Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt. Nimmst du meine Entschuldigung an?«
Sie ist völlig baff und weiß offenkundig nicht, wie sie reagieren soll. Dieses Gespräch verläuft derart fern ihrer Erwartungen, dass sie völlig hilflos ist.
Habe ich mich jemals zuvor bei ihr entschuldigt?
Nein, ganz bestimmt nicht.
Schließlich wirft sie den Kopf in den Nacken und stolziert aus der Backstube.
Gut so, dann muss ich sie nicht rauswerfen.
Keine fünf Minuten später kommt Max und will wissen, was ich mit Judith angestellt hätte, sie sei weinend aus dem Laden gestürmt.
Mit Engelszungen rede ich auf ihn ein, dass ich gar nichts gemacht habe. Es sei vielmehr so, dass ich mich bei ihr für unbedachte Worte entschuldigt hätte.
»Was hast du?«, fragt er fassungslos.
Okay, soll auch er meine Friedensrede hören.
»Ich will keinen Streit mehr, Max. Das vergiftet auf Dauer das Arbeitsklima. Lass uns friedlich miteinander sein, ja?«
Er forscht in meinem Gesicht nach Zeichen dafür, dass ich alles nur sarkastisch meine, aber er findet keine, das weiß ich.
»Na gut«, sagt er schließlich, »das ist ganz in meinem Sinne. Aber ich bin mal gespannt, wie lange der Friede hält.«
Du hast keine Ahnung, Bruder, wie gespannt ich bin, denke ich, als ich ihn umarme. Friede? Wohl eher ein Nichtangriffspakt zwischen zwei verfeindeten Mächten. Aber ich bin entschlossen, durchzuhalten.
Und wenn ich etwas will, dann ziehe ich das durch.
Meistens jedenfalls.
Und neben dem gerade geschlossenen Frieden will ich verrückte Torten kreieren. Wie sich beides durchsetzen lässt, muss sich erst noch herausstellen.
»Ich bin gelassen und klug, ich bin gelassen und klug, ich bin gelassen und klug«, murmele ich, während ich mich an die Arbeit mache.
Sieht so aus, als hätte ich ein neues Mantra.
Kann sein, dass ich für eine Zeitlang einen leeren Blick bekomme, wenn ich innerlich mein Mantra rezitiere. Es ist nämlich so, dass mein Bruder mich immer so seltsam ansieht, wenn ich es tue. Was in seiner Gegenwart ziemlich häufig der Fall ist, um ehrlich zu sein. Also: Wann immer wir in eine Situation geraten, die Streitpotenzial hat – also ständig –, reiße ich mich jetzt zusammen und denke »Ich bin klug und gelassen, ich bin klug und …«
Und sobald ich das Gefühl habe, dass mein Blutdruck sich normalisiert hat, tauche ich wieder im Hier und Jetzt auf und schenke Max ein Lächeln. Manchmal nicht ganz einfach, aber bisher hat es geklappt, und ich bin sehr stolz auf meine Selbstbeherrschung.
Am Nachmittag von Tag zwei meiner neuen, gelassenen Existenz klingelt mein Handy. Überrascht sehe ich Vickys Konterfei auf dem Display.
Überrascht bin ich deshalb, weil es das Protokoll verlangt, dass ich mich bei ihm entschuldige, wenn er mal wieder wegen irgendetwas beleidigt ist, das ich gesagt habe.
Wie man sieht, beschränkt sich meine nagelneue Strategie zur Vermeidung von Streitigkeiten ausschließlich auf Max und Judith. Davon, dass meine Friedensmission Allgemeingültigkeit haben soll, hat niemand etwas gesagt. Zu mir jedenfalls nicht. Außerdem: Man muss ja nicht gleich übertreiben. Mir reicht für den Moment vollkommen, mich Max und Judith gegenüber zusammenzureißen.
Diesmal wollte ich ihn eigentlich noch einen oder zwei Tage zappeln lassen, bevor ich mich vor ihm in den Staub werfe, aber nun kommt er mir offenbar zuvor.
Ich nehme das Gespräch an und frage sofort: »Willst du dich entschuldigen, weil du mich rausgeworfen hast?«
Shit, das wollte ich mir eigentlich verkneifen, aber nun ist es raus.
Verdutztes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Aha, dies ist also kein Entschuldigungs-Anruf.
»Das hättest du wohl gerne«, faucht Vicky dann. »Weißt du, ich kann auch gleich wieder auflegen. Verdammt, du kannst einem wirklich die Laune vermiesen.«
»Tut mir leid, Schatz. Was gibt es denn?«
»Eigentlich hast du es ja nicht verdient …«, brummelt er und verstummt erneut.
Jetzt bin ich richtig neugierig, was er vermutlich erreichen wollte. »Was? Was habe ich nicht verdient? Was Gutes? Sag schon! Lass mich nicht betteln, Vicky.«
»Na gut. Also: Ich habe da eine Kundin, und sie braucht …« Er macht eine Kunstpause, die mich fast um den Verstand bringt, und schreit dann: »Eine wirklich spektakuläre, abgefahrene Hochzeitstorte! Und ich habe dich empfohlen!«
Wir kreischen ein bisschen um die Wette, dann frage ich: »Was meinst du mit abgefahren? So richtig abgefahren? Oder bloß knallrote Marzipanrosen statt rosafarbener?«
»Ab-ge-fah-ren, wenn du verstehst, was ich meine.«
Nein, das verstehe ich nicht, denn ich warte noch immer auf nähere Informationen. Soll die Torte mit Mett gefüllt sein? Oder elf Etagen haben?
»Also«, fährt Vicky fort, »das Motto lautet ›Märchenhochzeit‹, und sie will …«
Im Hintergrund bimmelt seine Ladenglocke. Ich höre ihn leise mit jemandem sprechen, dann sagt er zu mir: »Ich muss auflegen, Pauline. Kannst du zu mir in den Laden kommen? Dann erkläre ich dir alles. Bis später, ja?«
Ohne meine Antwort abzuwarten, legt er auf.
Da ich keine festen Arbeitszeiten habe, kann ich sofort zu Vicky aufbrechen. Manchmal habe ich schon mittags Feierabend, dann wieder erst spät abends. Das hängt immer davon ab, was gerade zu tun ist.
Vor Weihnachten, zum Beispiel, wenn Dutzende Stollen oder Hunderte Stutenkerle gebacken werden müssen, sieht es mit Freizeit natürlich eher mau aus. Jetzt befinden wir uns in einer ruhigen Phase.
Ich stürze in Vickys Laden, zappelig vor Neugier. Dann bremse ich abrupt, denn mein bester Freund ist in ein Kundengespräch vertieft. Normalerweise stört es mich nicht, da ich mich gerne in seinem kleinen Reich umsehe.
Er betreibt einen Blumenladen, verkauft aber auch viel Deko. Oder ist es umgekehrt? Hat er einen Dekoladen, in dem man auch Blumen bekommt?
Überall zwischen der blühenden Pracht steht hübscher Schnickschnack herum oder präsentiert sich in verschnörkelten Metallregalen, was dazu führt, dass Kunden sich überdurchschnittlich lange dort aufhalten.
So auch jetzt: Die aktuell anwesende Kundin wünscht zu einer bereits ausgesuchten Vase den perfekten Strauß, denn das Ensemble soll ein Geschenk zu einem besonderen Anlass sein, wie ich aufschnappe. Ich beglückwünsche mich, dass ich den Auswahlprozess der Vase nicht auch noch durchleiden muss, da er bereits stattgefunden hat. Am besten gucke ich einfach nicht hin und höre einfach nicht zu. Dazu kommt, dass Vicky umdekoriert hat, seit ich zum letzten Mal hier war.
Ich schlendere an den Regalen entlang, während hinter mir immer neue Blumen-Arrangements ausprobiert, ausschweifend diskutiert und wieder verworfen werden. Natürlich höre ich sehr wohl zu: Weiße und rosa Rosen oder doch lieber Lilien? Schleierkraut – ja oder nein? Oder wie wäre es mit Calla? Hyazinthen vielleicht … aber nein, dieser viel zu starke Duft. Einige Zweige mit roten Beeren dran … hm … die passen nicht zu den Rosen, die es bereits in die engere Auswahl geschafft haben. Andererseits: Wie wäre es mit Tulpen? Die wiederum würden sich hervorragend mit den rustikalen Ästen vertragen …
Wäre ich ein Vulkan, würde ich jetzt drohende Aschewolken ausstoßen. Am liebsten würde ich eingreifen, ein paar Rosen in das filigrane Porzellangefäß stopfen und dann die Kundin höflich, aber bestimmt zur Tür hinausschieben.
Aber nein, das passt nicht zu meinem neuen, gelassenen Ich. Mal abgesehen davon, dass ich mir Vickys Reaktion darauf nicht einmal vorstellen möchte.
Also übe ich mich in Geduld und inspiziere ausgiebig eine flache Schale, in der Vicky einige glitzernde Hirsche, zwei kleine Zimmertannen, winzige Pilze und frisches Moos zu einer charmanten Waldszene arrangiert hat.
Hübsch. Sehr hübsch.
Vor meinem geistigen Auge erscheint das von mir nachts heimlich umdekorierte Schaufenster der Bäckerei, in dem eine Hochzeitstorte im Wald-Design steht, umgeben von Vickys Dekoration … Mann, das wäre ein Ding. Auch Förster heiraten schließlich, oder? Aber dann schiebt sich Max’ Gesicht ins Bild, dazu seine vor Wut überschnappende Stimme, die Vermutungen über den Grad meiner geistigen Verwirrung anstellt.
Der schwierige Auswahlprozess am Tresen scheint sich dem Ende zuzuneigen, man hat sich offenbar geeinigt. Ich stelle mich dazu und beobachte zusammen mit der Kundin, wie Vicky mit ein paar Handgriffen aus botanischen Einzelteilen – drei langstieligen, rosa Tulpen, einem filigranen Birkenzweig, zwei rosa Ranunkeln und einem Farnwedel – in der Vase einen Strauß arrangiert, dessen atemberaubende Schlichtheit selbst Ikebana-Wettbewerbe in Japan gewinnen könnte.
»Übrigens«, sagt Vicky zu der Kundin, als er fertig ist und das Arrangement mit Wolken von Zellophanfolie umhüllt, »falls Sie mal eine besondere Torte benötigen …« Er deutet mit dem Kinn auf mich.
Die Kundin, eine ältere Dame, wendet sich mir zu und mustert mich neugierig. »Ach, Sie sind Zuckerbäckerin? Das ist ja reizend!«
Zuckerbäckerin … das klingt nett, finde ich. Irgendwie altmodisch, genauso altmodisch wie das Wort ›reizend‹.
»Meine Enkelin heiratet in einigen Monaten«, fährt sie fort, »und sie ist verzweifelt auf der Suche nach einer Konditorei, die ihre … nun ja … etwas speziellen Wünsche erfüllen kann.«
Sofort bin ich ganz Ohr. »Spezielle Wünsche? Was stellt sie sich denn vor?«
Die Dame wiegt den Kopf. »Auf keinen Fall eine klassische Hochzeitstorte. Aber so sind sie halt, die jungen Leute. Saskia – meine Enkelin – ist immer ganz blass geschminkt und trägt nur schwarze Kleidung. Also, eigentlich sind die Kleider sehr hübsch, wenn auch irgendwie aus dem letzten Jahrhundert. Und ihr Liebster … manchmal bin ich ganz verwundert, dass er keine Vampirzähne hat.«
Vicky und ich wechseln einen Blick. Eine Gothic-Hochzeit … oh, die würde uns verdammt Spaß machen.
Ich fummle eine Visitenkarte aus meiner Tasche – die habe ich immer dabei, man weiß ja nie, wo man potenzielle Kunden trifft – und reiche sie der Dame. Sie nimmt und studiert sie aufmerksam, dann sagt sie: »Ach, die Bäckerei kenne ich. Aber ich hätte nie gedacht, dass dort auch so spezielle Wünsche erfüllt werden.«
Wird Zeit, dass sich das ändert, denke ich. »Mein Bruder und ich betreiben das Geschäft gemeinsam. Und ich bin für die speziellen Wünsche zuständig.« Ich mache einen albernen, kleinen Knicks. »Sollte Ihre Enkelin interessiert sein, soll sie nach Pauline fragen. Das bin ich.«
»Fräulein Pauline, die Zuckerbäckerin. Das klingt bezaubernd.« Sie lächelt mich strahlend an. »Ich werde Sie Saskia besonders ans Herz legen. Herr Viktor würde Sie sicherlich nicht empfehlen, wenn er von der Qualität Ihrer Arbeit nicht überzeugt wäre.«
Herr Viktor – also Vicky – lächelt strahlend und schmalzt: »Erst recht nicht einer so guten und geschmackssicheren Kundin wie Ihnen. Und im Team sind Pauline und ich unschlagbar, gnädige Frau.«
Die Kundin nickt. »Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, Herr Viktor. Nicht den allergeringsten.«
Sie bezahlt, nickt uns zum Abschied anmutig zu und verlässt den Laden.
Vicky hebt die Hand, und wir klatschen ab.
»Ich sehe einen weiteren Auftrag am Horizont!«, tiriliert er wie ein irrer Wellensittich und macht hinter seinem Tresen ein paar Tanzschritte. »Dammdidammdidamm …« Plötzlich hält er inne und sieht mich an. »Sag mal – freust du dich denn gar nicht?«
»Doch, aber momentan mehr so nach innen. Wenn wir den Auftrag im Sack haben, tanze ich mit dir einen Pas de deux, versprochen. Dann werden wir zu Pauline Pavlova und Viktor Nurejew.« Ich mache eine kurze Kunstpause und füge hinzu: »Warum bin ich hier?«
Vicky patscht sich mit der Hand vor die Stirn. »Genau! Ich habe dich ja wegen Cinderella angerufen!«
»Cinderella?«, frage ich blöde, dann fällt mir ein, dass er bei seinem Anruf von einer Märchenhochzeit gesprochen hatte.
Vicky nickt eifrig. »Ja, die Kundin will so eine Disney-Trickfilm-Glitzerhochzeit, aber mit allem Zinnober.«
»Das beantwortet meine nächste Frage. Es geht also nicht um Cinderella in ihrer Sack-und-Asche-Phase. Schade eigentlich. Dazu hätte ich ein paar echt hübsche Ideen: graue Torte, Aschekrümel, gute Linsen, schlechte Linsen … oder waren es Erbsen, die sie sortieren musste?«
Vicky biegt sich vor Lachen und winkt dann schnaufend ab. »Schräge Ideen hast du ja, das muss ich dir lassen.«
»Wieso schräg? Das gehört doch auch zu Aschenputtel, oder etwa nicht?«
»Aber die Hochzeit mit dem Prinzen fand statt, nachdem er sie aus ihrem elenden Dasein erlöst hatte«, erwidert Vicky. »In einem traumhaften Kleid …«
»… das vermutlich aus elf Quadratkilometern Tüll besteht und mit zwölf Millionen Glitzersteinen bestickt ist«, falle ich ihm ins Wort.
»Allerdings irrst du dich in diesem Fall; das tut es nämlich nicht.« Er hebt den Finger. »Aber wenn es so wäre, müsste deine Torte natürlich ebenfalls aussehen wie aus Tüll und Glitzersteinen. Meine Deko übrigens auch. Aber wie gesagt: dem ist nicht so. Sie orientiert sich an dem neuen Spielfilm, in dem Cinderella zur Hochzeit Elfenbein trägt. Elfenbein und schmal geschnitten. Na ja, untenrum dann doch nicht mehr so schmal. Mit farbigen Blumen bestickt.«
»Och«, sage ich verblüfft, denn ich habe tatsächlich damit gerechnet, dass die Braut in etwas Bauschigem, das an einen Kaffeewärmer erinnert, daherkommen würde. Und dann: doch nicht bauschig. Unfassbar.
Da kann man mal sehen, wie sehr die Zeichentrickfilme von Disney bestimmte Bilder geprägt haben.
»Genau«, erwidert er, »och. Und diesen Farben wird sich mein Deko-Konzept anpassen. Am besten, du guckst dir den Film an.«
Ach herrje. »Wenn es unbedingt sein muss.«
»Es muss, meine Liebe. Sonst hast du ja keine Ahnung, wovon wir reden.«
»Lass mich raten: Darin kommt auch eine Hochzeitstorte vor, und sie will eine Kopie davon.«
Ich merke, die Vorstellung macht mich stinkig. Ich will keine Kopie von irgendwas machen, ich will eigene Ideen entwickeln. Dass Farben vorgegeben sind, stört mich nicht, aber ich will keine …
Vicky unterbricht meine Gedanken. »Eben nicht! Aber bisher konnte kein Konditor mit dem überzeugen, was er vorzuschlagen hatte.«
Natürlich nicht. Jedenfalls nicht, wenn es Konditoren vom Schlage meines fantasielosen Bruders waren, von denen es gottseidank jede Menge gibt. Wofür ich ja insgeheim dankbar bin, denn genau in diesem Defizit liegt meine Chance.
»Okay. Und wann soll diese Märchenhochzeit stattfinden?«, frage ich.
»Wann wohl? Am Valentinstag natürlich.«
Natürlich – was frage ich eigentlich so blöd? Bis dahin sind es gerade mal noch drei Wochen. »Das ist aber reichlich kurzfristig.«
Vicky zuckt mit den Schultern. »Weiß ich selbst, Schatz. Aber eine bessere Chance konnte ich dir auf die Schnelle nicht herzaubern. Was meinst du? Ich habe übermorgen einen Termin mit ihr, und ich habe versprochen, dass du dabei sein wirst. Mit Vorschlägen für ihre Torte.«
»Das war aber reichlich verwegen von dir, mein Lieber. So einfach über mich und meine Zeit zu bestimmen …«
Aber was rede ich da eigentlich?
Natürlich bin ich dabei. Ich wäre ja blöd, wenn ich nicht zugreifen würde.
Er sieht mich bittend an, und ich nicke.
Man kann es ja mal versuchen.
Max gegenüber werde ich den Vielleicht-Auftrag natürlich vorerst nicht erwähnen. Es gibt – noch! – keinen Grund, schlafende Hunde zu wecken.
Als ich an diesem Abend zu Hause bin, gehe ich erst einmal ins Internet, um mir dieses Cinderella-Zeugs anzusehen. Was Vicky als Elfenbein bezeichnet hat, scheint mir eher ein helles Gelb zu sein. Genscher-Pullunder-Gelb, um genau zu sein. Ich kichere haltlos, denn die Verbindung zwischen einer pompösen Hochzeit und Genschers Pullunder scheint mir dann doch etwas zu gewagt. Aber es ist diese seltsame Farbe, die die Assoziationen hervorruft.
Eigentlich ist das Kleid vom Schnitt her ganz hübsch, aber die Blüten in Hellblau, Rosa und Gelb an Saum und Schleppe finde ich schrecklich. Die Schleppe sieht aus wie eine dieser fürchterlichen gesteppten Tagesdecken fürs Schlafzimmer, die mal modern waren. Diese Dinger mit Volants rund um das Bett, zu denen es passende Zierkissen gab – die allerdings alles, aber bestimmt keine Zierde waren.
Wie auch immer.
Ich hole meinen Skizzenblock und beginne mit ersten Entwürfen. Oder besser: ersten, rohen Ideen. Bestimmt soll die Torte mehrstöckig sein, davon gehe ich fest aus. Aber durch die Verzierung kann ein- und dasselbe Grundmodell vollkommen unterschiedlich aussehen: elegant, verspielt, pompös …
Ich halte inne und frage mich, aus welchen Blumen ihr Brautstrauß bestehen wird – wenn doch das Kleid eine farbige Blumenstickerei hat …? Aber zur Klärung gibt es ja den Termin übermorgen, und bis dahin kann ich mich noch auf ein paar farbneutrale Entwürfe beschränken.
Ich zeichne so vor mich hin, als es an meiner Haustür klopft. Übrigens wohne ich in einem flachen Anbau hinter dem Haus, in dem nicht nur mein Bruder nebst Gattin residiert, sondern sich auch die Bäckerei befindet.
Im Licht der Lampe über der Tür erkenne ich selbst durch die geriffelte Milchglasscheibe, dass Irmtraud draußen steht, unsere Nachbarin. Sie ist kugelrund, stets guter Laune und der Flirt meines Großvaters Franz.
Ich öffne, und sie sagt: »Moin, Pauline. Hast du ein paar Minuten für mich?«
Für Irmtraud habe ich immer ein paar Minuten Zeit, egal, was ich gerade mache. In der Küchennische brühe ich uns einen Tee auf, und als ich die Kanne zum Tisch bringe, ist sie damit beschäftigt, sich meine Entwürfe anzusehen.
Sie sieht zu mir hoch und lächelt. »Sehr hübsch. Für eine echte Hochzeit oder nur so als Idee?«
Irmtraud kennt natürlich die diesbezüglichen Probleme, die ich mit Max habe. Früher einmal gehörte die Bäckerei unserem Großvater, der überglücklich war, in Max und mir innerhalb der Familie gleich zwei Nachfolger zu finden. Mein Vater hatte diese Option niemals auch nur für eine Minute in Erwägung gezogen, Wirtschaftswissenschaften studiert und war als Unternehmensberater in der Welt unterwegs – seit Max und ich einigermaßen flügge waren, begleitet von unserer Mutter. Wir wuchsen also im ersten Stock dieses Hauses bei den Großeltern auf, liebevoll betreut von unserer Oma, die leider vor einigen Jahren verstorben ist. Umso schöner ist es, dass Opa in Irmtraud eine neue Gefährtin gefunden hat.
»Nein, ein echter Auftrag«, antworte ich, setze mich zu ihr an den Tisch und schenke Tee ein. »Vielleicht jedenfalls, das wird sich noch rausstellen. Übermorgen, wenn ich die potenzielle Kundin treffe.«
»Ach, das würde mich aber für dich freuen.«
Ich rolle mit den Augen. »Und mich erst. Aber ich lasse die Korken lieber nicht vorschnell knallen, hinterher wird nichts draus.«
»Max weiß also noch nichts davon?«
»Gott bewahre. Stell dir vor, ich erzähle ihm jetzt davon und dann kommt kein Auftrag zustande. Nee, nee, lass mal. Seinen Triumph erspare ich mir.«
Vorsichtig nippt sie am heißen Tee. »Dein Opa steht hinter dir, das weißt du hoffentlich«, sagt sie dann.
Ja, das weiß ich. Allerdings mischt Opa sich nie direkt in die Auseinandersetzungen ein, was ich manchmal bedaure. Sehr sogar.
Irmtraud hat mir angesehen, was ich denke, und fügt hinzu: »Franz hat sich eine Sache fest vorgenommen, als er euch die Bäckerei übergeben hat: dass er sich vollkommen raushalten wird, was das Geschäft betrifft. Und da ist er konsequent.«
Ich verziehe das Gesicht. »Leider. Manchmal wünsche ich mir schon ein bisschen Unterstützung.«
»Das sagst du jetzt, und ich verstehe dich. Aber es ist doch viel befriedigender, den Skeptiker durch Qualität und Erfolg zu überzeugen, als ihn mithilfe von Franz zu überstimmen, oder? Hab Geduld, Pauline. Du wirst deinen Weg machen, da bin ich sicher. Zumal, wenn ich diese wunderbaren Entwürfe sehe. Du bist eine Künstlerin, und das wird Max auch noch merken. Eines Tages.« Lächelnd schüttelt sie den Kopf. »Dass Geschwister so unterschiedlich sein können, finde ich ganz erstaunlich. Max, der beinahe ängstlich vor jeder Veränderung und jedem Risiko zurückscheut … und dann du, so quirlig und voller Ideen.«
Ich will nicht mehr über Max und seinen Starrsinn reden, also sage ich: »Was führt dich eigentlich zu mir?«
Sie setzt die Tasse ab und erstrahlt. »Ich möchte deinem Opa eine Freude machen und will dich fragen, ob du vielleicht eine Idee hast.«
Mir geht das Herz auf, wenn ich sie so von innen heraus leuchten sehe. Das ist das für alle sichtbare Zeichen ihrer Liebe zu ihm.
Es muss schön sein, so verliebt zu sein, denke ich und bin ein bisschen neidisch. Ich möchte auch mal wieder verliebt sein.
Mit meiner Empfehlung im Gepäck, Opa mit einem Tagesausflug auf eine der ostfriesischen Inseln zu überraschen, verabschiedet Irmtraud sich wieder.
Plötzlich habe ich das Bedürfnis, mit meiner Mutter zu sprechen. Ich sehe auf die Uhr – es ist neun Uhr abends. In Boston, wo meine Eltern sich gerade aufhalten, ist es sechs Stunden früher, also Nachmittag. Vielleicht habe ich ja Glück, und sie ist zu Hause.
Ich wähle ihre Nummer, und nach dreimaligem Klingeln erscheint ihr Gesicht auf dem Monitor meines Laptops.
»Paulinchen!«, ruft sie sichtlich erfreut.
»Mama«, erwidere ich, »wie geht es euch?«
Ich lasse sie erzählen und lausche ihrer warmen, freundlichen Stimme, die über ihr momentanes Leben in Boston, der wohl europäischsten Städte Amerikas, berichtet.
»Und wie geht es dir, mein Mädchen?«, fragt sie dann. »Wie läuft es mit deinem Bruder?«
»Mir geht es gut«, erwidere ich. »Stell dir vor: Wahrscheinlich habe ich meinen ersten Auftrag für eine Hochzeitstorte ergattert.«
Ich erzähle ihr von der geplanten Cinderella-Hochzeit; wohlwissend, dass spektakuläre Torten in Amerika längst nicht mehr ungewöhnlich sind. Ich halte meine ersten Entwürfe vor die Kamera.
»Die sind ja großartig!«, sagt sie. »Endlich kannst du deiner Fantasie freien Lauf lassen! Was sagt Max denn dazu?«
Unwillkürlich verziehe ich den Mund. »Was ihn angeht, liegt noch ein wenig Überzeugungsarbeit vor mir, fürchte ich. Er mag die vertrauten Pfade nicht verlassen.«
»Soll ich mal mit ihm reden?«
Gott bewahre – das würde er mir übelnehmen. Er soll nicht denken, dass ich mich bei unseren Eltern über ihn beschwert habe.
»Ach nein, das ist nicht nötig, Mama. Ich möchte, dass Max und ich aus eigener Kraft zu einem Arrangement finden, mit dem wir beide leben können. Außerdem ist Opa auf meiner Seite.«
Meine Mutter lächelt liebevoll. »Geht es ihm gut?«
»Bestens. Irmtraut hält ihn fit.«
»Das ist schön, Liebes. Grüß bitte alle von uns. Wir vermissen euch.«
»Wir euch auch. Und gib Papa einen Kuss von mir, ja?«
Sie verspricht es, und wir legen auf.
Innerlich fühle ich mich ganz warm. Es ist und bleibt etwas Besonderes, mit Mama zu sprechen.