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Als religionswissenschaftlicher Begriff bezeichnet Gnosis verschiedene religiöse Lehren und Gruppierungen des 2. und 3. Jahrhunderts, aber auch früherer Vorläufer und steht für ein religiöses Geheimwissen, das die Gnostiker nach eigenem Verständnis von der übrigen Menschheit abhebt. Seit dem 2. Jahrhundert liegen Zeugnisse von Gegnern über diese Bewegung vor, die durch Erkenntnis (die Bedeutung des griechischen Wortes "Gnosis") die Erlösung aus einer feindlichen Welt zu erreichen meint. Neben diesen Zeugnissen existieren noch eine große Anzahl von Originaltexten, die im ägyptischen Wüstensand gefunden wurden und den Reichtum der gnostischen mythologischen Erzählungen aufzeigen. In den Quelltexten werden die wichtigsten gnostischen Lehrer und Systeme offenbar. Darüber hinaus rufen sie auch wichtige Fragen hervor: Gab es eine gnostische Religion? Hatten die Gnostiker ihre eigenen Riten? Was war die Rolle der Frau in der Gnosis? Wie verhalten sich Gnosis und Christentum bzw. Gnosis und antike Philosophie? Dieses Buch versammelt nicht nur die Antworten der modernen Gnosisforschung auf diese Fragen, sondern erläutert die bedeutsamsten Elemente der gnostischen Mythologie — Götterwelt, die Entstehung der Welt, die Erlösung durch Erkenntnis, der Fall der Weisheit—und illustriert dies anhand einer Textauswahl.
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Seitenzahl: 365
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Dr. Johanna Brankaer, Jahrgang 1977, hat klassische Philologie, Philosophie, Byzantinistik, Theologie und Orientalismus studiert. Die Promotion in Philosophie erfolgte 2004 an der Freien Universität Brüssel zum Thema „Die Rezeption der Philosophie in Ägypten in der Spätantike“. Es folgten Forschungssemester an der Humboldt-Universität in Berlin und der Friedrich Schiller-Universität in Jena. Derzeit arbeitet sie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an einem „Lexikon gnostischer Mythologumena“. Diverse Publikationen und Aufsätze über gnostische Schriften: mit H.-G. Betghe „Codex Tchacos“ (2007), „Coptic. A Learning Grammar“ (2010).
Zum Buch
Als religionswissenschaftlicher Begriff bezeichnet Gnosis verschiedene religiöse Lehren und Gruppierungen des 2. und 3. Jahrhunderts, aber auch früherer Vorläufer und steht für ein religiöses Geheimwissen, das die Gnostiker nach eigenem Verständnis von der übrigen Menschheit abhebt. Seit dem 2. Jahrhundert liegen Zeugnisse von Gegnern über diese Bewegung vor, die durch Erkenntnis die Erlösung aus einer feindlichen Welt zu erreichen meint. Neben diesen Zeugnissen existieren noch eine große Anzahl von Originaltexten, die im ägyptischen Wüstensand gefunden wurden und den Reichtum der gnostischen mythologischen Erzählungen aufzeigen. In den Quelltexten werden die wichtigsten gnostischen Lehrer und Systeme offenbar. Darüber hinaus rufen sie auch wichtige Fragen hervor: Gab es eine gnostische Religion? Was war die Rolle der Frau in der Gnosis? Wie verhalten sich Gnosis und Christentum bzw. Gnosis und antike Philosophie? Dieses Buch versammelt nicht nur die Antworten der modernen Gnosisforschung auf diese Fragen, sondern erläutert die bedeutsamsten Elemente der gnostischen Mythologie und illustriert dies anhand einer Textauswahl.
Johanna Brankaer
Die Gnosis
Johanna Brankaer
Die Gnosis
Texte und Kommentar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012
Lektorat: Dr. Paul Metzger, Bensheim
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
nach der Gestaltung von Thomas Jarzina, Köln
Bildnachweis: laif GmbH, Köln
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0058-7
www.marixverlag.de
Vorwort
Der Begriff „Gnosis“
Irenäus und die Gnosis
Die Gnosisforschung vor dem Fund der Originaltexte von Nag Hammadi
Messina: Gnosis und Gnostizismus
Die Gnosis in der neueren Forschung
Grundzüge gnostischer Mythologie
Das Pleroma und der Kosmos
Die Sophia
Die Schöpfung und die Paradiesgeschichte
Die Gnostiker in der Welt
Die Quellen
Die Originalliteratur
Die häresiologische Literatur
Gnostische Lehrer
Simon Magus
Menander
Saturninus/Saturnilos
Basilides
Valentin
Die Valentinianer
Postscriptum
Die Sethianische oder klassische Gnosis
Die Figur des Seth
Die Sethianer in den Berichen der Häresiologen
Die Sethianer in der modernen Fachliteratur
Gab es eine gnostische Religion?
Gab es eine gnostische „Kirche“?
Gnostische Riten
Gnosis und Christentum
Mehrheitskirchliche Gnosisbekämpfung
Gab es eine vorchristliche Gnosis?
Gnosis als christliches Experiment
Gnosis und Philosophie
Frauen in der Gnosis
Subversive Frauen
Die Weiblichkeit in gnostischer Perspektive
Konkrete Frauen in gnostischen Gruppierungen
Epilog
Gnostische Texte
Ptolemäus, Brief an Flora
Der Brief an Rheginus (NHC I,4)
Das Apokryphon des Johannes (BG 2) (Auswahl)
Die Hypostase der Archonten (NHC II,4)
Die dreigestaltige Protennoia (NHC XIII,1)
Der Brief des Petrus an Philippus (NHC VIII,2)
Das Evangelium nach Maria (BG 1)
Die Erzählung über die Seele (NHC II,6) (Auswahl)
Das Evangelium nach Thomas (NHC II,2) (Auswahl)
Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes („Ägyptisches Evangelium“) (NHC III,2) (Auswahl)
Die Drei Stelen des Seth (NHC VII,5) (Auswahl)
Allogenes (NHC XI,3) (Auswahl)
Apokalypse des Petrus (NHC VII,3)
Das Evangelium nach Judas (CT 3) (Auswahl)
Literaturverzeichnis
Glossar
Es ist nicht einfach, ein allgemeines Buch über die Gnosis zu schreiben. Über viele Teilgebiete der Gnosisforschung gibt es kaum einen Konsens. Wir haben zwar zahlreiche Quellen, die uns aus einer Außenperspektive über die Gnosis ab dem 2. Jh. n.Chr. informieren. Dazu haben wir auch ungefähr 60 gnostische Originaltexte aus Manuskripten ab dem 4. Jh. n.Chr. (Die Texte als solche sind freilich zumeist älter.) Trotzdem wissen wir ziemlich wenig über dieses Phänomen.
Gnosis bedeutet Erkenntnis. Die Erkenntnis steht zentral in verschiedenen Systementwürfen der Antike. Erkenntniserwerb war ein Ziel der Philosophie, aber auch einiger christlicher Theologen. Das Streben nach Erkenntnis, nach Gnosis, kennzeichnet auch die Gnostiker1. Diese Erkenntnis betrifft das eigene Sein in der Welt und die Existenz einer wahren Gottheit, weit über dem Schöpfergott erhaben, und die Lichtwelt, die bei ihm existiert.
Es gibt keine abgegrenzte, klar definierbare Religion, die wir Gnosis nennen. Die Gnosis ist ein vielförmiges Phänomen und daher auch in vieler Hinsicht unfassbar. Über die Sozialgeschichte der Gnosis wissen wir z.B. fast nichts. Da ihre Schriften häufig von mythologischer Art sind, enthüllen sie uns höchstens in indirekter Weise etwas über das Leben, die Organisation, die Praxis der Menschen, die diese Texte benutzt und gelesen haben. Die Gnosis hatte keine eigene Dogmatik, keinen exklusiven Kanon von autoritativen Schriften, keine Lebensregel, keine Ämter, usw.
Auch über die Bedeutung des Begriffes „Gnosis“ gibt es keine Einigkeit in der Forschung. Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition des Phänomens Gnosis. Die Gnosis ist ein Phänomen besonderer Art, es ist keine eigentliche Religion. Vielleicht ist es nur eine Tendenz, die wir bei verschiedenen Denkern und in verschiedenen Schriften finden.
In diesem Buch beschränken wir uns auf das Phänomen Gnosis wie es in Zeugnissen des 2. und 3. Jh. n.Chr. fassbar ist. Spätere religiöse Gruppierungen, die auch eine gnostische Komponente haben, wie der Manichäismus, der Mandäismus oder z.B. die Katharer, sind hier nicht im Blick. Man könnte natürlich sagen, dass die Gnosis erst im Manichäismus zu einer wirklichen Religion geworden ist, aber der Manichäismus hatte andererseits auch viele nicht-gnostische Komponenten. Auch die Vorgeschichte der Gnosis, über die es keinen wissenschaftlichen Konsens in der Forschung gibt, wird hier nicht behandelt.
Dieses Buch ist ein Versuch, das Phänomen Gnosis aus verschiedenen Perspektiven zu beschreiben. Wie erscheint die Gnosis in den Originaltexten, wie erscheint sie in den Schriften der Ketzerbekämpfer, also ihrer Gegner? Wie erscheint sie in den mythologischen Erzählungen? Was lehrten die gnostischen Lehrer? Welche gnostischen Gruppierungen gab es? Wie verhielten sich Gnosis und Christentum, wie verhielten sich Gnosis und Philosophie? Hatte die Frau eine besondere Rolle in der Gnosis?
Ein wichtiges Thema dieses Buches ist das Gleichgewicht der Inkulturation und der Abgrenzung der Gnosis. Die Gnosis wird hier in ihrem hellenistischen und frühchristlichen Kontext gesehen. Die Gnosis war kein Fremdkörper in der spätantiken Kultur, denn sie war in ihrer kulturellen Umwelt fest verwurzelt. Genau diese Verwurzlung macht es so schwierig, sie als eigenständiges Phänomen zu umschreiben. Dass sie aber als Teil der antiken und christlichen Kultur erscheint, ist eine wichtige Erkenntnis, die weite Teile dieses Buches bestimmten.
Ich möchte mich bei Prof. Dr. Manuel Vogel bedanken, weil er bezüglich dieses Buches an mich gedacht hat.
Ich möchte mich auch bei Prof. Dr. Hans-Gebhard Bethge bedanken. Er war so freundlich, die ersten Entwürfe der Texte zu lesen und stets schnell seine Bemerkungen und Vorschläge zu sprachlichen Verbesserungen zur Verfügung zu stellen.
Auch bei Prof. Dr. Jürgen Wehnert möchte ich mich bedanken. Er hat in sehr kurzer Zeit noch wichtige Partien dieses Buches durchgelesen.
Schließlich möchte ich mich bei den Menschen vom Marix-Verlag bedanken, besonders bei Frau Miriam Zöller, Frau Nicole Ehlers und Dr. Paul Metzger.
Am Ende dieses Bandes findet sich ein Glossar mit dem technischen Vokabular.
1 Mit dem Terminus „Gnostiker“ werden hier sowohl Gnostikerinnen als auch Gnostiker bezeichnet.
Der Begriff „Gnosis“ hat eine lange Geschichte bzw. Wirkungsgeschichte. Die ältesten Zeugnisse finden wir in den Schriften der Ketzerbekämpfer. Diese bezeugen sowohl die Bezeichnung „Gnosis“ für die Bewegung als auch die Bezeichnung „Gnostiker“ (gnostikos) für bestimmte Anhänger der Gnosis. In der Neuzeit wurde der Terminus „Gnostizismus“ eingeführt, der seit dem Kongress von Messina im Jahr 1966 für die Bewegung, die die Häresiologen „Gnosis“ nannten, angenommen wurde. Seit dem Ende des 20. Jh. ist der Begriff „Gnosis“ selbst in Frage gestellt. Daraufhin hat sich eine Diskussion über die Frage entwickelt, ob man den Terminus „Gnosis“ überhaupt noch verwenden soll. Wenn wir ihn doch noch benutzen, so sollten wir ihn neu umschreiben bzw. definieren.
Irenäus wurde in der ersten Hälfte des 2. Jh. in Kleinasien geboren, wo er ein Schüler des zu den „apostolischen Vätern“ zählenden Polykarp war, der nach Irenäus ein Schüler des Apostels Johannes war. Um 177 war er wahrscheinlich schon Bischof von Lyon in Gallien, nachdem sein Vorgänger Photinus das Martyrium erlitt. Um 180 hat er seine „Entlarvung und Widerlegung der fälschlich so genannten Erkenntnis (Gnosis)“ in fünf Büchern verfasst. Dieses Werk ist auch unter dem lateinischen Namen Adversus Haereses („Gegen die Häresien“) bekannt. Gnostiker hat er in seiner eigenen Gemeinde kennengelernt, obwohl er wahrscheinlich auch während eines Aufenthalts in Rom über sie Kenntnisse bekommen hat. Er hat sich dabei wahrscheinlich auch auf ein älteres, verlorengegangenes Werk des christlichen Philosophen Justin, der in Rom lehrte, bezogen.
Dass Irenäus sein Werk gegen die fälschlich so genannte Erkenntnis schrieb, impliziert, dass seine Gegner ihre eigene Lehre als „Erkenntnis“, Gnosis auf Griechisch, verstanden. Das war in der Antike nicht so außergewöhnlich. Sowohl griechische Philosophen als auch christliche Lehrer beanspruchten eine besondere Erkenntnis. Neu ist aber, dass Personen mit dem Adjektiv gnostikos („gnostisch“) bezeichnet werden. Irenäus benutzt diese Terminologie nicht für alle Gnostiker, sondern nur für bestimmte Gruppen. Die Kategorie „Gnosis“ wurde aber für alle gnostische – und einige jetzt nicht mehr als gnostisch angesehene – Systeme und Denker benutzt.
Wir beginnen diese Übersicht mit Adolf von Harnack (1851-1930), dem berühmten Berliner Kirchengeschichtler und Theologen. Er hat die Gnosis als „akute Hellenisierung des Christentums“ gesehen2. Es geht um einen Versuch, das Christentum in eine absolute Religion in hellenistischem Geist zu wandeln. Die Gnosis ist nach seiner Meinung ein grundsätzlich christliches Phänomen mit folgenden Grundzügen: Es gibt einen Unterschied zwischen dem wahren Gott und dem Schöpfergott des AT. Das Böse wurde als eine physische Macht gesehen, der Materie inhärent, die als ewiges und unabhängiges Prinzip dargestellt wurde. Es wird zwischen dem himmlischen und dem menschlichen Christus unterschieden. Die Aufgabe Christi ist das Wiedervereinigen dessen mit Gott, was von Gott durch Kontakt mit der Materie getrennt ist. Nur die spirituellen Menschen können die heilbringende Erkenntnis (Gnosis) empfangen und erlöst werden. Die Idee einer körperlichen Auferstehung wurde verworfen zugunsten der Sicht, dass die Gnostiker schon in der Welt ihrem Wesen nach unsterblich sind. Die Gnostiker kannten nur zwei Arten ethischen Verhaltens, strikten Asketismus oder Libertinismus. Wie die Häresiologen Hippolyt und Tertullian war von Harnack der Meinung, dass die Gnosis von der griechischen Philosophie beeinflusst wurde.
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