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Mysteriöse Charaktere und schicksalhafte Wendungen erzeugen in diesem Schauspiel unheimliche Spannung.Komtess Juliane Adelaide lebt ein zurückgezogenes Leben, nachdem ihr geliebter Bruder in den Befreiungskriegen ums Leben kam, und findet Trost im Harfenspiel. Als zwei Zwillingsbrüder auftauchen, die mit Julianes Bruder einst Seite an Seite kämpften, verändert sich ihr Leben schlagartig.-
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Seitenzahl: 108
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Gerhart Hauptmann
Schauspiel
Saga
Die goldene Harfe
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1933, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726957037
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Zeit: drittes Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts.
Musiksälchen zu ebener Erde in einem alten reichsgräflichen Schloß. Türen ins Innere, Glastür und Fenster auf die Parkterrasse. Schöner Frühsommertag Mitte Juni. Bereits vor Enthüllung der Szene hört man Harfenspiel: Beethovens »Ruinen von Athen«. Komteß Juliane beendet das Spiel an einer goldenen Harfe. Jutta sitzt mit lässigen Händen am Pianoforte.
Komtess Julianelegt die Hände in den Schoß. Glaube mir, ich habe, seit ich denken kann, keine so große Freude gehabt. Wie mögen nur Papa und Mama meinen Wunsch erkannt haben: diese herrliche Erardsche Pedalharfe?! Ich könnte das Essen, Trinken und Schlafen vergessen über dem göttlichen Instrument.
Jutta. Sie leben ja schon meistens von nichts, Komteß, und die Nächte verbringen Sie auch mit Lesen.
Komtess Juliane. Maestro Gherardini, dein Vater, sagt, nicht nur in Irland und England, sondern auch im alten Germanien war die Harfe ein Heiligtum. Man belegte den mit den schwersten Strafen, der die Hand eines Harfenspielers verletzt hatte.
Jutta. Haben Sie gehört, Komteß Juliane, daß drüben zwei Gäste angekommen sind?
Komtess Juliane. Es ist mir, als ob ich ein Posthorn gehört hätte. Aber was hat das auch zu bedeuten, da ja doch täglich bei Papa und Mama Gäste aus und ein gehen. Der Adel ist aus den Städten auf die Schlösser zurückgekehrt, da gibt es ein ewiges Hin- und Herschwärmen. Du weißt ja, ich habe bei den Eltern meine Freiheit von diesem zeitraubenden Treiben längst durchgesetzt. – Aber zeige mir bitte nun endlich, wie man hier die Pedale behandelt.
Jutta. Geselligkeit, sagen Sie, ist zeitraubend. Doch darf man sich wohl, wie Sie es tun, so von aller Gesellschaft ausschließen?
Komtess Juliane. Schon gut – dein altes Lied, mein Kind.
Jutta. Eine Lieblichkeit, eine Schönheit, eine Anmut, in holder Jugend blühend wie Sie: ist es da nicht fast sündhaft, der Welt ihren Anteil daran hart und fühllos vorzuenthalten?
Komtess Juliane. Was ist denn geschehen? was ist dir passiert, Jutta? ich meine, daß du heut gar nicht recht bei der Sache bist.
Jutta. Das wüßte ich eigentlich selber nicht. Oder es müßte das Posthorn sein und der Postwagen, der vor der großen Freitreppe hielt, als ich vorüberging, und die beiden Kavaliere, die ausstiegen. Es könnte schon sein, daß zwei solche Gestalten das Herz eines armen Mädchens höher schlagen zu machen imstande sind.
Komtess Juliane. Dummchen, kommen wir trotzdem zur Sache. Schöne Männer sind bei unserem Landadel keine Seltenheit. – Sind das die Noten, die du bestellt hattest? Sie berührt ein Notenpaket.
Jutta. Cherubini, Gravon, Bach, Kurtenbergh, Rameau, Maestosi – was das Herz begehrt.
Komtess Juliane. Jutta, ich werde fortan nichts anderes tun – der Himmel möge es mir vergeben! – als mit dieser Harfe Abgötterei treiben: Haß ist eine neue Empfindung für mich, doch fürchte ich fast, sie könnte auftauchen, wenn jemand den Versuch machen würde, mich von meiner Harfe abzulenken.
Jutta. Hassen Sie mich nur nicht, meine angebetete süße Komteß, wenn ich, bevor wir unsere Übungen gewissenhaft fortsetzen, nur diese Frage noch an Sie richte: Haben Sie eine Vermutung, wer diese beiden zum Verlieben schönen Männer sein könnten?
Komtess Julianelegt hilflos die Hände in den Schoß. Lauf hin und frage, frage, wenn du es wissen willst. Lauf, und dann komm gesammelt wieder.
Jutta. Ich möchte es wirklich tun, Komteß. Wenn Ihr Auge die beiden Herren auch nur gestreift hätte, Sie wären ebenso außer dem Häuschen wie ich. So möchte ich mir Ihren Bruder, den Grafen Heinz-Herbert, vorstellen.
Komtess Juliane. Höre: versuche nur nie, dir vorzustellen, was mir dereinst der Inbegriff allen Lichtes und des ewigen Frühlings gewesen ist. Seine Bilder sind nur des Schattens Schatten.
Jutta. Sie widmen sich in rührender Andacht dem Andenken Ihres Bruders, Komteß: soll man sich aber deshalb für blind erklären, wenn man einmal die Sonne gesehen hat?
Komtess Juliane. Heinz hat mich auf seinen Knien gewiegt. Er ist mir alles in allem gewesen – du weißt ja, wie Papa und Mama von tausend anderen Sorgen beansprucht sind.
Jutta. Mag sein . . . doch kann ihn nicht Träne noch Trauer zurückrufen. Verharschte Wunden immer wieder zum Bluten bringen ist vielleicht kein Tun, das Gott gefällig ist.
Komtess Juliane. Meine kleine kluge Freundin Jutta, die fast stündlich um mich ist, kennt mich, wie es scheint, trotzdem nicht.
Jutta. Sie sind sehr fromm. Mein Vater sagt, es sei keine echte Frömmigkeit, die traurig macht und gegen die Freuden der Welt verschließt, und zwar, da Gott selbst ganz Freude wäre.
Komtess Juliane. Ich habe mich vor der Welt nicht verschlossen, sondern nur vor der mir fremden Welt. Ich bin heiter und keineswegs traurig, Jutta, wobei mir allerdings das Erdenleben nur ein Tor zum höchsten Ziele ist. Ich wünsche mir nicht einmal den Bruder zurück, der den Heldentod auf dem Schlachtfeld gefunden hat: es kann kein schöneres Ende geben. Und wenn er mir durch die Pforte des Ruhmes ins Jenseits vorangegangen ist: einst werd' ich ihm sicher dorthin nachfolgen. – Heben wir also die Unterrichtsstunde auf, wenn du heute dazu nicht in der rechten Stimmung bist.
Jutta. Erlaucht der Herr Reichsgraf sind auf der Terrasse, ich glaube, Komteß, auf dem Wege hierher.
Komtess Juliane. Papa kommt sicher die Harfe betrachten, die er noch nicht gesehen hat.
Reichsgraf Waldemar tritt ein.
Reichsgraf Waldemar. Weißt du, wer da ist, mein gutes Kind?
Komtess Juliane. Nein. Jutta sagt, die Postkutsche habe zwei Herren gebracht, allerdings.
Reichsgraf Waldemar. Sie hat recht gesehn. Und wer sind wohl die Herren?
Komtess Juliane. Du fragst mich zuviel. Ich wüßte nicht, wann sich mein Gedächtnis mit zwei besonderen Kavalieren beschäftigt hätte.
Reichsgraf Waldemar. O doch, Juliane, sinne nach.
Komtess Juliane. Meinst du, daß ich diesen beiden irgendwo schon begegnet bin? Dann müßte das wohl recht weit zurückliegen.
Reichsgraf Waldemar. Du meinst, bevor dein eingezogenes Leben begann. Allerdings, du bist noch ein Kind gewesen. Und doch haben dir diese beiden Jünglinge damals den tiefsten Eindruck gemacht. Du hast bitterlich um sie geweint und geklagt, Juliane: du mußtest noch einmal aus dem Bett genommen und zu deiner Mutter gebracht werden.
Komtess Julianewird bleich, faßt nach dem Herzen. Dann können es nur die beiden Grafen von Saltern gewesen sein, bevor sie zusammen mit Heinz-Herbert ins Feld zogen.
Reichsgraf Waldemar. Ja, ebendie. Zwei schöne sporenklirrende Jünglinge, kühn wie dein Bruder und todgeweiht. Sie waren Lützows Freischar verschworen.
Komtess Juliane. Friedrich-Alexis! Friedrich-Günther! und Bruder Heinz!
Reichsgraf Waldemar. Du kannst dir denken, daß Mama glücklich ist.
Komtess Juliane. Und mich, Papa, macht dieser Besuch, der mich vollkommen überrascht, fassungslos. Irgendwie waren die beiden für mich nur, wie Heinz-Herbert, als längst Dahingeschiedene vorhanden.
Reichsgraf Waldemar. Du wirst dich sogleich überzeugen, wie sprühend heiter, wie sprühend lebendig sie sind.
Komtess Juliane. Erst muß ich mich sammeln. Ihr müßt mir Zeit lassen. Nämlich, Papa, – sie geht unruhig auf und ab – gerade weil du sagst, daß sie sprühend lebendig sind, empfinde ich den Verlust Heinz-Herberts, als ob du erst eben die Nachricht davon gebracht hättest.
Reichsgraf Waldemar. Ich wollte dir ganz gewiß einen Schmerz nicht zufügen. Im Gegenteil wollte ich dich erfreuen, denn die beiden Freunde unseres geliebten Toten sind wirklich die allererfreulichste Gegenwart. Du wirst dich sammeln, du wirst dich ermannen – es tut mir unendlich leid, wenn ich vielleicht ein wenig unüberlegt in das Heiligtum deiner still versponnenen Welt eingedrungen bin.
Komtess Juliane, wie vorher. Sieben Jahre und mehr sind durch deine Worte hinweggenommen. Ich sehe vor mir drei heiter lachende, sporenklirrende Jünglinge und weiß zugleich, daß sie Opfer sind, weiß, sie reiten davon, in die Schlacht, in den Tod. Und nun – Heinz-Herbert hebt mich zuerst empor – ich schluchze und weine unter glühenden Küssen. Der zweite, der dritte tut ebenso, und ich weine und schluchze am Halse des einen, am Halse des andern, wie ich am Halse des Bruders geschluchzt habe. Und dann sind sie fort und bleiben fort und – »Heute noch auf stolzen Rossen, morgen durch die Brust geschossen«, singt ein Gärtner, der unter meinem Fenster Rosen okuliert . . .
Reichsgraf Waldemarnimmt sie an sich, streichelt sie. Sei ruhig, beruhige dich, mein Kind: ich werde dich vorderhand entschuldigen. Er küßt sie auf die Stirn und geht ab. Komteß Juliane erliegt fassungslosem Weinen.
Jutta, indem sie zu ihr fliegt. Es ist eine heilsame Krise, Komteß. Glauben Sie mir, die Wiederkehr dieser beiden Brüder . . . ich ahne, wieviel sie für Ihr Gemüt bedeuten wird. Hat nicht Ihr Bruder, haben nicht diese Männer kühn dem Tod ins Gesicht gesehn? – Tun Sie das gleiche mit dem Leben!
Komtess Juliane. Kleine Jutta, ich fürchte mich . . .
Ein Saal im gleichen Schloß. Zweiflügelige, weitgeöffnete Glastüren verbinden mit einer Terrasse. Bemooste Sandsteinplastiken, Barockstil, schmücken die Balustrade. Dahinter die Baumwelt des alten Parks. An einem Pianoforte sitzt Gherardini. Ihm zur Seite steht Graf Friedrich-Alexis. Reichsgräfin Anna lehnt in einem Sessel am Teetisch. Graf Friedrich-Günther hat in formeller Art in ihrer Nähe Platz genommen. Gräfin Ludmilla besorgt den Teetisch. Sulzer dienstbereit im Hintergrund.
Graf Friedrich-Alexis, von Gherardini auf dem Pianoforte begleitet, singt mit schönem Bariton das Lied.
Du Schwert an meiner Linken,
was soll dein heitres Blinken?
Reichsgräfin Anna, nach Beendigung des Vortrags. Sie nennen eine wirklich herrliche Stimme Ihr eigen, teurer Graf.
Gherardini. Und diese Schule und Verve zugleich! Nur der Freiheitskämpfer von einst kann diese Körnerschen Schlachtengesänge so vortragen.
Reichsgräfin Anna, indem sie Tee schlürft. Ist nicht der arme Dichter auch gefallen?
Graf Friedrich-Günther. Bei einem Dorfe unweit Gadebusch, und wahrscheinlich durch eine deutsche Kugel.
Reichsgräfin Anna. Armes Deutschland – nicht wahr, meine liebe Ludmilla? –, wie zersplittert, wie zerrissen, wie zerfallen es doch noch immer ist! Wofür haben wir unsre Kinder geopfert, unsre Söhne dahingegeben, diesen korsischen Usurpator verjagt, wenn Bruderkriege Deutscher gegen Deutsche noch immer drohen, noch immer möglich sind?! – Wann sahen Sie Heinz-Herbert zum letztenmal?
Graf Friedrich-Günther. Neben mir, mit gezücktem Säbel, zu Pferde. Es war in. der gleichen Gegend, bei Gadebusch. Dann verlor ich ihn aus den Augen.
Gherardinirezitiert pathetisch.
Vater, ich rufe dich!
Brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze . . .
Reichsgräfin Anna. Können Sie mir sagen, liebe Gräfin, wo der Reichsgraf bleibt?
Gräfin Ludmilla. Ich glaube, Seine Erlaucht wollten Komteß Juliane persönlich von dem Besuch unterrichten, der gekommen ist.
Graf Friedrich-Alexis, mit Frische. Wir sind Philosophen, mein Bruder und ich. Wir haben einander das Wort gegeben, uns dem Leben mit entschlossenem, ja mit heiterem Mut zu stellen, wie und wo es immer ist. So trauern wir auch nicht um Kameraden, die dem Leben den Zoll des Todes gezahlt haben. Aber wir leben mit ihnen in der Erinnerung. Wir wollen Ihnen erzählen, Erlaucht, und immer wieder Ihnen erzählen, wie viele frohe und glückliche Stunden wir mit Heinz-Herbert verbracht haben. Damit leisten wir seiner Mutter, der Mutter eines Helden, und diesem selbst am besten den Zoll der Dankbarkeit.
Graf Friedrich-Günther. Wir sind drei Jahre fern von der Heimat gewesen: seit wir wieder deutschen Boden unter den Füßen haben, ist unser Kamerad mehr als sonst um uns. Als die Extrapost uns durch das badische Ländchen trug, in der Ferne zur Linken das Vogesenblau, unter uns die Rheinebene, der Frühling und diese unendlichen Wiesen, darüber das weiße Gewölk der Obstblüte, da fühlte ich, fühlten wir: jeder Grashalm spricht deutsch, jeder Grashalm ist eine deutsche Zunge! Und da spürten wir wieder doppelt, was die große und bunte Welt da draußen vielleicht ein wenig übertäubt haben mochte: warum und wofür wir uns eingesetzt hatten.
Graf Friedrich-Alexis. Günther hat recht, es ist ein Mysterium. Die Seele . . . es ist nicht wahr! sie ist nicht Luft: sie hat nicht nur Flügel, sie hat auch Wurzeln. Es klingt paradox, aber sie verlernt das Fliegen, Erlaucht, wenn sie ihre Wurzeln aus der Muttererde nimmt.
Gherardini, mit Klavierbegleitung, forsch. Und darum sangen wir damals, als man uns diese Muttererde geraubt hatte und wir sie zurückerobern wollten – singt.
Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
ins Feld, in die Freiheit gezogen.
Reichsgraf Waldemar tritt ein und erhebt, das laute Wesen beschwichtigend, die Hand.
Reichsgräfin Anna, in die entstandene Stille. Was ist mit Juliane?
Reichsgraf Waldemar