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Studienarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (Deutsche Philologie), Veranstaltung: Seminar "Faust. Zugänge", Sprache: Deutsch, Abstract: „So schreitet in dem Bretterhaus / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus, / Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle / Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“ (V. 241 f.) Bereits dieses Eingangszitat aus dem Vorspiel auf dem Theater des Faust I von Johann Wolfgang von Goethe verdeutlicht die ungemeine Fülle an zu erkundenden Räumen, Plätzen und Orten innerhalb des Bühnenwerkes. Straßen, Stuben, Gärten, sakrale wie weltliche oder gar heidnisch-okkulte Schauplätze – sie alle finden ihren Platz im Drama des ewig strebenden Faust. In ihnen wird monologisiert, reflektiert und ebenso agiert wie interagiert. Doch welche Bedeutungen besitzen die vorhandenen Räume für die in ihnen geschehenden Handlungen und die in ihnen agierenden Figuren? Welche semantischen Beziehungen lassen sich zwischen einzelnen Szenen bzw. Szenengruppen konstatieren? Entstehen letztlich die Handlungen 'lediglich' durch mögliche Überschreitungen räumlicher oder sozialer Grenzen? Auf diese Fragen soll der vorliegende Text den Versuch einer Antwort wagen, wobei keineswegs der gesamte Faust, nicht einmal der gesamte erste Teil, sondern lediglich eine der wesentlichen Handlungen im Zentrum stehen soll: Die Handlung um Faust und Margarete, genannt Gretchen. Hierfür soll die Theorie der Raumsemantik nach Lotman auf die Gretchenhandlung angewendet werden, um mögliche (raum)semantische Bezüge innerhalb des Handlungsverlaufes ausmachen und darstellen zu können. Hierzu soll zunächst in einem theoretischen Abschnitt sowohl die Raumsemantik nach Lotman erläutert als auch an einem Beispiel veranschaulicht werden. Anschließend folgen Aussagen zur Gretchenhandlung und ihrem Inhalt innerhalb des Faust I. Im Zentrum des Textes soll ein raumsemantischer Streifzug durch die Gretchenhandlung stehen, dessen Ziel es sein ist, anhand beispielhafter Szenen semantische Beziehungen gemäß der Theorie von Lotman zu beschreiben und durch Sekundärliteratur zu belegen. An die Betrachtungen raumsemantischer Art schließt sich eine Betrachtung der Gretchenhandlung unter dem Aspekt der Grenzüberschreitungen an. Schließlich werden die durch diesen Text erlangten Einsichten noch einmal zusammenfassend und abschließend formuliert. Einsichten in ein Thema, möglicherweise aber auch neue Einsichten in alte, seit langem bestehende Räume.
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Vorbemerkungen
2.1 Raumsemantik nach Lotman
2.2 Handlung als Grenzüberschreitung
3 Inhalt der Gretchenhandlung innerhalb des Faust I
3.1 Position innerhalb des Faust I
4 Raumsemantische Betrachtungen innerhalb der Gretchenhandlung
4.1 Stadt, Garten, Natur – eine raumsemantische Trias?
4.2 Privatheit und Öffentlichkeit als raumsemantische Opposition
5 Grenzüberschreitungen im Verlauf der Gretchenhandlung
5.1. Faust
5.2 Margarete / Gretchen
6 Schlussbemerkungen
7 Literaturverzeichnis
„So schreitet in dem Bretterhaus / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus, / Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle / Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ (V. 241 f.[1])
Bereits dieses Eingangszitat aus dem Vorspiel auf dem Theater des Faust I von Johann Wolfgang von Goethe verdeutlicht die ungemeine Fülle an zu erkundenden Räumen, Plätzen und Orten innerhalb des Bühnenwerkes. Straßen, Stuben, Gärten, sakrale wie weltliche oder gar heidnisch-okkulte Schauplätze – sie alle finden ihren Platz im Drama des ewig strebenden Faust. In ihnen wird monologisiert, reflektiert und ebenso agiert wie interagiert. Doch welche Bedeutungen besitzen die vorhandenen Räume für die in ihnen geschehenden Handlungen und die in ihnen agierenden Figuren? Welche semantischen Beziehungen lassen sich zwischen einzelnen Szenen bzw. Szenengruppen konstatieren? Entstehen letztlich die Handlungen 'lediglich' durch mögliche Überschreitungen räumlicher oder sozialer Grenzen?
Auf diese Fragen soll der vorliegende Text den Versuch einer Antwort wagen, wobei keineswegs der gesamte Faust, nicht einmal der gesamte erste Teil, sondern lediglich eine der wesentlichen Handlungen im Zentrum stehen soll: Die Handlung um Faust und Margarete, genannt Gretchen. Hierfür soll die Theorie der Raumsemantik nach Lotman auf die Gretchenhandlung angewendet werden, um mögliche (raum)semantische Bezüge innerhalb des Handlungsverlaufes ausmachen und darstellen zu können.
Hierzu soll zunächst in einem theoretischen Abschnitt sowohl die Raumsemantik nach Lotman erläutert als auch an einem Beispiel veranschaulicht werden. Anschließend folgen Aussagen zur Gretchenhandlung und ihrem Inhalt innerhalb des Faust I. Im Zentrum des Textes soll ein raumsemantischer Streifzug durch die Gretchenhandlung stehen, dessen Ziel es sein ist, anhand beispielhafter Szenen semantische Beziehungen gemäß der Theorie von Lotman zu beschreiben und durch Sekundärliteratur zu belegen.[2] An die Betrachtungen raumsemantischer Art schließt sich eine Betrachtung der Gretchenhandlung unter dem Aspekt der Grenzüberschreitungen an. Schließlich werden die durch diesen Text erlangten Einsichten noch einmal zusammenfassend und abschließend formuliert. Einsichten in ein Thema, möglicherweise aber auch neue Einsichten in alte, seit langem bestehende Räume.
Lotman entwickelt innerhalb seiner Monographie Die Struktur literarischer Texte durch die Theorie der Raumsemantik eine Methode, welche mittlerweile nicht nur in der Literaturwissenschaft, sondern auch in der Literaturdidaktik Beachtung und Anwendung findet[3] – nicht zuletzt ob ihrer recht großen Plausibilität und Anwendbarkeit auf nahezu jede Form literarischer Texte.
In Lotmans Theorie werden Räumen innerhalb literarischer Texte nicht nur Merkmale und Beschreibungen zugewiesen, welche sich ausschließlich im räumlich-geographisch bzw. topographischem Rahmen bewegen. Vielmehr werden die jeweiligen Räume mit Bedeutung versehen, es wird eine Semantisierung der Räume bezüglich verschiedenster Bedeutungsebenen (bspw. sozial, religiös, politisch usw.) vorgenommen.[4] Meist geschieht dies durch das Aufzeigen und Beschreiben von möglichen semantischen Oppositionen innerhalb der in einem literarischen Text vorhandenen Räume. Lotman führt diese Gegenüberstellung von Oppositionen folgendermaßen aus:
„Die Begriffe 'hoch-niedrig', 'rechts-links', 'nah-fern', 'offen-geschlossen', 'abgegrenzt-nicht abgegrenzt' (…) erweisen sich als Material zum Aufbau von Kulturmodellen mit keineswegs räumlichen Inhalt und erhalten die Bedeutung: 'wertvoll-wertlos', 'gut-schlecht', 'eigen-fremd', 'zugänglich-unzugänglich', 'sterblich-unsterblich' und d[er]gl[eichen].“[5]
Lotman lädt somit die eigentlich bloßen räumlichen Begriffe mit weiteren Bedeutungen auf, welche dem Kontext der jeweiligen literarischen Texte entsprechen. Dies geschieht nicht zuletzt, da er die „Sprache räumlicher Relationen als eines der grundlegenden Mittel zur Deutung der Wirklichkeit“[6] erachtet. Hierbei wird deutlich, dass das von ihm beispielhaft gewählte Paar 'oben-unten' nicht allein als ein räumliches, sondern auch als eine Gegenüberstellung sozialer Unterschiede ('arm-reich'), ja sogar, im Sinne einer sakralen Semantisierung ('Himmel-Hölle') gelesen resp. verstanden werden kann. Dieses Verfahren der Semantisierung von Räumen scheint sich bei einer Beschäftigung mit einem Drama wie GoethesFaust ob der Vielzahl vorhandener Räume als hilfreich zu erweisen. Noch vielschichtiger gestaltet sich Lotmans Theorie der Raumsemantik jedoch, wenn „der Raum des Textes von einer Grenze in zwei Teile geteilt wird und jede Figur zu einem dieser Teile gehört“[7]. Dann nämlich erst vollzieht sich nach Lotman eine Handlung: Beim Zustandekommen einer Grenzüberschreitung.
Der Aspekt der Grenzüberschreitung als handlungskonstituierendes Element literarischer Texte mag auf den ersten, flüchtig erfolgenden Blick banal und nur allzu einleuchtend erscheinen, stellt jedoch einen komplexeren Aspekt dar als zunächst vermutet. Zunächst stelle man sich vor, dass zwei Figuren innerhalb des Textraumes durch eine Grenze voneinander getrennt seien. Hervorhebenswert ist hierbei, dass es sich keinesfalls um eine rein räumliche Grenze handeln muss, wie es bspw. im Vorfeld der berühmten Balkon-Szene in ShakespearesRomeo und Julia der Fall ist[8]: