Die großen Klassiker der russischen Literatur (30+ Titel in einem Buch) - Fjodor Michailowitsch Dostojewski - E-Book

Die großen Klassiker der russischen Literatur (30+ Titel in einem Buch) E-Book

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die großen Klassiker der russischen Literatur (30+ Titel in einem Buch)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Inhalt: Igorlied (Heldenepos - Übersetzung von Rainer Maria Rilke) Erinnerungen der Kaiserin Katharina die Große von ihr selbst geschrieben Eugen Onegin (Alexander Sergejewitsch Puschkin) Die Pique-Dame (Alexander Sergejewitsch Puschkin) Boris Godunow (Alexander Sergejewitsch Puschkin) Ein Held unserer Zeit (Michail Lermontow) Schuld und Sühne (Fjodor Michailowitsch Dostojewski) Die Brüder Karamasow (Fjodor Michailowitsch Dostojewski) Der Idiot (Fjodor Michailowitsch Dostojewski) Väter und Söhne (Iwan Sergejewitsch Turgenew) Krieg und Frieden (Leo Tolstoi) Anna Karenina (Leo Tolstoi) Auferstehung (Leo Tolstoi) Vater Sergius (Leo Tolstoi) Die toten Seelen (Nikolai Gogol) Der Mantel (Nikolai Gogol) Taraß Bulba (Nikolai Gogol) Oblomow (Iwan Gontscharow) Die Lady Makbeth des Mzensker Landkreises (Nikolai Leskow) Figura (Nikolai Leskow) Der versiegelte Engel (Nikolai Leskow) Wolodja (Anton Pawlowitsch Tschechow) Die Dame mit dem Hündchen (Anton Pawlowitsch Tschechow) Drei Schwestern (Anton Pawlowitsch Tschechow) Onkel Wanja (Anton Pawlowitsch Tschechow) Christ und Antichrist Trilogie: Julian Apostata + Leonardo da Vinci + Peter und Alexej (Dmitri Mereschkowski) Der Wald rauscht (Wladimir Galaktionovich Korolenko) Der Stachel des Todes (Fjodor Sologub) Drei Menschen (Maxim Gorki) Nachtasyl (Maxim Gorki)

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Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Leo Tolstoi, Alexander Sergejewitsch Puschkin, Nikolai Gogol, Michail Lermontow, Anton Pawlowitsch Tschechow, Iwan Sergejewitsch Turgenew, Iwan Gontscharow, Maxim Gorki, Nikolai Leskow, Fjodor Sologub, Wladimir G. Korolenko, Dmitri Mereschkowski, Katharina die Große

Die großen Klassiker der russischen Literatur (30+ Titel in einem Buch)

Übersetzer: Rainer Maria Rilke, Alexander Eliasberg, Hans Moser, Hermann Röhl, Korfiz Holm, Theodor Commichau
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-6522-3

Inhaltsverzeichnis

Igorlied
Erinnerungen der Kaiserin Katharina die Große von ihr selbst geschrieben (Katharina die Große)
Eugen Onegin (Alexander Sergejewitsch Puschkin)
Die Pique-Dame (Alexander Sergejewitsch Puschkin)
Boris Godunow (Alexander Sergejewitsch Puschkin)
Ein Held unserer Zeit (Michail Lermontow)
Schuld und Sühne (Fjodor Michailowitsch Dostojewski)
Die Brüder Karamasow (Fjodor Michailowitsch Dostojewski)
Der Idiot (Fjodor Michailowitsch Dostojewski)
Väter und Söhne (Iwan Sergejewitsch Turgenew)
Krieg und Frieden (Leo Tolstoi)
Anna Karenina (Leo Tolstoi)
Auferstehung (Leo Tolstoi)
Vater Sergius (Leo Tolstoi)
Die toten Seelen (Nikolai Gogol)
Der Mantel (Nikolai Gogol)
Taraß Bulba (Nikolai Gogol)
Oblomow (Iwan Gontscharow)
Die Lady Makbeth des Mzensker Landkreises (Nikolai Leskow)
Figura (Nikolai Leskow)
Der versiegelte Engel (Nikolai Leskow)
Wolodja (Anton Pawlowitsch Tschechow)
Die Dame mit dem Hündchen (Anton Pawlowitsch Tschechow)
Drei Schwestern (Anton Pawlowitsch Tschechow)
Onkel Wanja Wanja (Anton Pawlowitsch Tschechow)
Christ und Antichrist Trilogie: Julian Apostata + Leonardo da Vinci + Peter und Alexej (Dmitri Mereschkowski)
Der Wald rauscht (Wladimir Galaktionovich Korolenko)
Der Stachel des Todes (Fjodor Sologub)
Drei Menschen (Maxim Gorki)
Nachtasyl (Maxim Gorki)

Igorlied

Heldenepos
Inhaltsverzeichnis

(Übersetzung von Rainer Maria Rilke)

Wie wäre es, Brüder, wenn wir anfingen, nach den alten Überlieferungen die schwere Geschichte vom Zuge Igors zu erzählen, vom Zuge des Igor Swjatoslawitsch. Anfangen aber wollen wir das Lied nach den Bylinen unserer Zeit, nicht nach der Erfindung Bojans. Wenn der Seher Bojan einem ersinnen wollte ein Lied, breitete er sich aus und war in den Bäumen, war auf der Erde als grauer Wolf und als Adler, blaugrau, unter den Wolken. Und sooft er dessen gedachte, was man erzählt aus vergangenen Zeiten von Zwietracht, ließ er zehn Falken los auf eine Herde von Schwänen: der Schwan, den der erste Falke berührt, hob zu singen an, sang den greisen Jaroslaw, sang Mstislaw den Tapferen, der den Rededja zerhieb vor dem Kasogerheer, oder er sang Roman den Schönen Swjatoslawitsch. Doch nein, Brüder, Bojan ließ nicht zehn Falken los auf eine Schar Schwäne; er warf seine erlauchten Finger in lebendige Saiten: die rauschten zum Ruhme der Fürsten.

Und nun, Brüder, geht unsere Geschichte von dem alten Wladimir zu dem Gegenwärtigen über, zu Igor, der seinen starken Verstand scharfschliff an seinem mannhaften Herzen und voll kriegerischen Geistes seinen mutigen Völkern voran in das Land der Polowzer zog durch die russische Erde.

Da blickte Igor suchend zur klaren Sonne auf und sah: sein ganzes Heer war durch ein Dunkel verdeckt vor der Sonne. Und es sagte Igor zu seinem Gefolge: »Brüder und liebe Gefolgschaft! Lieber zerhauen werden denn gefangen. Auf unsere mutigen Pferde hinauf, daß wir den dunkelblauen Don zu sehen bekommen.« Denn die Lust fiel den Fürsten an, zu versuchen den großen Don, und die Sehnsucht war stärker in ihm als das Zeichen des Himmels. »Ich will« – ruft er, »einen Speer brechen mit euch, Russen, auf fernem polowzischem Feld. Meinen Kopf will ich hinlegen oder aus meinem Helme trinken vom Don.« – O Bojan, Nachtigall uralter Zeit! sängest du diese Völker, hinhüpfend, du Nachtigall, durch walddichte Gedanken, auffliegend im Geiste unter die Wolken und herabsinkend, Nachtigall, auf beide Hälften dieser Zeit, – auf trojanischer Fährte hinrasend durch Felder und Berge hinan, – so sängest du also das Lied des Igor, des Enkels von Oleg: »Der Sturm hat nicht Falken getragen weit über die Felder hin: Dohlen jagen in Zügen zum großen Don.« Oder du sängest, Bojan, wahrsagender Enkel des Weles: »Pferde wiehern die Sula entlang; Kiew erklingt vom Ruf, und Hörner hallen in Nowgorod.«

Die Feldzeichen stehn in Putiwl. Igor erwartet Wsewolod. seinen lieben Bruder. Und der lichte Stier Wsewolod spricht zu ihm also: »Einziger Bruder mein, du mein einzig liebes Licht, Igor. Wir sind beide Swjatoslawitschi. Laß also satteln. Bruder, deine tüchtigen Pferde; meine aber sind dir bereit und stehen noch unter Sattel bei Kursk. Meine Männer kennst du als Helden: unter Trompeten entbunden, unter Helmen erzogen, mit dem Speerende genährt -: so sind sie. Wege und Hohlwege wissen sie; ihre Bogen sind gespannt, ihre Köcher aufgedeckt, ihre Säbel geschliffen; sie selbst aber jagen, grauen Wölfen gleich, in den Feldern, – Ehre sich selber suchend und dem Fürsten den Ruhm.«

Da stieg der Fürst Igor in den goldenen Steigbügel und ritt über das freie Feld. Die Sonne vertrat ihm mit Dunkel den Weg; die Nacht aber, aufstöhnend in Unwettern, machte ihm die Vögel wach, der Tiere pfeifendes Schreien scheuchte sie in Scharen auf. Heulend erhob der Drache sich über die Bäume hin und zwang fremde Länder in seinen Schrei: die Wolga, die Landstriche am. Meer und die Sula entlang, Sudak und Korsun und dich, Götzen von Tmutorakan. Und die Polowzer zogen auf unfahrbaren Wegen an den großen Don. Ihre Wagen kreischten in der halben Nacht wie Schwäne, die sich verflogen haben.

Igor hält mit dem Heere am Don. Und schon ist sein Untergang bereitet als Fraß den Vögeln des Waldes; aus den Schluchten drängen sich drohend die Wölfe; die Adler mit ihrem Schrei locken die Tiere auf Knochen, und die Füchse bellen die blutroten Schilde an. Und du, russische Erde, du bist schon hinter den Hügeln.

Lange lagert die Nacht. Zögernd erhebt sich die Morgenröte; das Feld ist von Nebeln verhüllt. Schon schallen die Nachtigallen nicht mehr, und gesprächig erwachen die Krähen. Die russischen Tapferen haben die Felder weithin mit purpurnen Schilden bedeckt, da sie Ehre suchten sich selbst und Ruhm für den Fürsten.

Am Freitag, seit Morgen schon, traten sie unter sich die polowzischen heidnischen Haufen, und als sie sich dann, wie Pfeile, im Felde zerstreuten, rissen sie an sich die schönen polowzischen Mädchen und mit ihnen Gold und Brokat und köstliche Samte. Aus Mänteln, Umwürfen, Pelzen von Schaffell und tausend bunten bemalten polowzischen Stoffen begannen sie Brücken zu türmen über Sümpfe und Unrat. Aber die purpurne Fahne, das weiße Banner, die roten Feldzeichen und den Speer von gediegenem Silber nahm Swjatoslawitsch, der Tapfere, für sich. Doch schläft auf dem Felde des Oleg mannhafte Nestbrut. Weit ist sie hergeflogen. Und ist doch nicht zu Unrecht geboren gewesen, nicht für Gierfalken und Raubvögel und für dich nicht, Nachtrabe, polowzischer Heidenhund! — Gsa macht sich wie ein grauer Wolf davon und Kontschak ihm nach auf den großen Don zu.

Am anderen Tage, ganz früh, ruft ein blutiges Morgenrot das Licht aus. Schwarze Wolken steigen vom Meer; vier Sonnen gilt's zu verhüllen; und in den Wolken hängen zitternd die bläulichen Blitze, ungeduldig, ein großes Gewitter zu sein mit Regen und Pfeilen vom Don her. Dort irgendwo werden polowzische Helme mit Speeren zerbrochen und mit Säbeln zerhauen, dort, wo der Kajala-Fluß eingeht in den Don. O russische Erde, und du bist schon hinter den Hügeln.

Aber sieh da! Die Winde, die Enkel des Stribog, kommen mit Pfeilen vom Meer auf die Völker Igors. Die Erde steht auf, und blind gehen die Flüsse. Rauch fällt herab, und die Fahnen stammeln. – Polowzer ziehen heran vom Don und vom Meer, und schon haben sie die russischen Scharen umgeben von allen Seiten. Mit Geschrei erfüllen die Söhne des Teufels das Feld, die Russischen aber decken es zu mit blutroten Schilden. Wsewolod, weißer Stier, da stehst du im Streit, Pfeile spritzend weit in die Feinde. Du klirrst in den Helmen mit deiner damaszenischen Klinge, und wo vorbeisprang der Stier, aufleuchtend an goldener Haube, da liegen Heidenköpfe, und es gehen Helme entzwei unter stählernem Hieb, unter deinem Hieb, Wsewolod, du weißer Stier! Und wie kann der einer Wunde gedenken, Brüder, der alles vergessen hat: Rang und Leben und die Stadt Tschernigow und den goldenen väterlichen Thron und seiner viellieben schönen Glebowna heimatliches Herzblut?

Es waren die trojanischen Zeiten, und die Jahre Jaroslaws sind vorübergegangen; es waren die elegischen Kriege, die Kriege des Oleg Swjatoslawitsch. Dieser Oleg schmiedete ein Aufruhrsschwert und ging als ein Sämann von Pfeilen über das russische Land. Er stieg in seinen goldenen Bügel zu Tmutorakan, und das Klirren davon klang, fernher, zu dem Sohn des Jaroslaw, dem großen Wsewolod; zwar hielt in Tschernigow Wladimir (Monomach) sich die Ohren zu, aber Boris, des Wjatscheslaw Sohn, riß dieser Ruf vor das Todesgericht; legte ihn hin auf die traurig grüne Uferwiese, den jungen mutigen Prinzen, als einen Vorwurf für Oleg. Und von demselben verhängnisvollen Rasen ließ Jaropolk seinen Vater aufheben und brachte ihn auf seinen schweren Pferden nach Kiew zur heiligen Sofia. Damals unter Oleg, aus dem Geschlechte des Grames, damals ward Zwietracht gesäet und gedieh. Das Leben der Enkel des Dashdbog sank hin, und in den Kämpfen der Fürsten lebten die Menschen nur eine kleine Zeit. Selten sangen damals Pflüger sich an auf russischer Erde, um so öfter riefen die Raben zum Teilen der Leichen, und die Krähen kamen ins Gespräch an ihrem Versammlungsort, von wo sie ausflogen zum Fraß. Das war in dieser Schlacht, und in diesem Kriege war das, und man hat niemals von einer solchen Schlacht gehört.

Vom Morgen zum Abend und vom Abend zum Morgen fliegen die stählernen Pfeile, die Säbel dröhnen unter den Helmen, und die harten Speere zerkrachen auf fremdem Feld, tief im polowzischen Land. Die schwarze Erde unter den Hufen war mit Gebeinen besäet und begossen mit Blut: was konnte da anderes wachsen als Leid für das russische Land.

Was braust dort, was brüllt dort so früh vor Tag? ... Igor wälzt seine Heere dahin: ihm tut der liebe Bruder wohl leid – Wsewolod. Einen Tag schlugen sie sich und einen zweiten Tag, und am dritten Mittag sanken die Fahnen Igors. Dort am Ufer der schnellen Kajala nahmen zwei Brüder Abschied; dort reichte der Blut-Wein nicht mehr, dort hoben die tapferen Russen das Mahl auf: die Werber waren unter den Tisch getrunken, und sie selber legten sich hin für das russische Land. In Mitleid bog sich das Steppengras, und die Bäume hingen vor Trauer.

Und da, Brüder, begann eine ungute Zeit; in der Einöde lag begraben die russische Macht, und das Unrecht stand auf in den Kräften der Enkel des Dashdbog. Als eine Jungfrau betrat es trojanisches Land, mit Schwingen gleich denen des Schwans schlug es das blauende Meer und erregte den Don und störte auf das Gedächtnis reicherer Zeiten. Aber die Zwietracht der Fürsten war ihr Untergang unter den Heiden. Da sprach zum Bruder der Bruder: Dieses ist mein und das auch, – und es begannen die Fürsten von Geringem zu sagen, daß es groß sei, und sie reizten gegeneinander den Aufruhr. Und die Heiden stürzten von allen Seiten herbei mit Siegen ins russische Land. 0 weit verflog unser Falke sich, die Vögel vor sich herjagend ans Meer. Aber des mannhaften Igor Heere stehn nicht mehr auf. Karina heult über sie, die große Klagefrau, und (die den Toten vorangeht) Shelja jagt durch das russische Land und streut Leichenasche weithin aus ihrem glühenden Horn. Und die russischen Frauen brachen in Tränen aus und in die Klage: »Nun erreicht unsere lieben Männer kein Erinnern mehr, kein langes Nachdenken hilft uns zu ihnen hin, und unsere Augen werden sie nicht mehr sehn. Und dieses Gold und Silber, das wird erst recht nicht wieder zusammenkommen.«

Kiew stöhnte vor Trauer, Brüder, und Tschernigow vor Unheil. Kümmernis goß sich aus über das russische Land; ein tiefer Gramfluß ging mitten durch russische Erde. Aber die Fürsten reizten den Aufruhr gegeneinander. Und die polowzischen Unchristen stürzten von allen Seiten mit Siegen ins russische Land und erzwangen sich Zins, ein Eichhörnchen von jedem Hof. Diese beiden kühnen Swjatoslawitschi, Igor und Wsewolod, weckten wieder die Lüge auf, die eben erst zu Schlafe gebracht hatte ihr Vater, Swjatoslaw, der Furchtbare, der große Kiewer Fürst. Wie ein Gewitter war er, wenn er niederging mit seinen starken Scharen und Stahlschwertern; er brach ein über das polowzische Land und zerstampfte Hügel und Hänge; Flüsse und Seen rührte er auf und trocknete Bäche und Sümpfe. Und von der Meerbucht, mitten aus der Polowzer ehernstem Kernheer wie ein Sturmwind riß er sich den verfluchten Kobjak-Khan ... Und es fiel der Kobjak in der Stadt Kiew, in Swjatoslaws Thronsaal.

Und Deutsche und Venezianer, Griechen und Slawen singen Swjatoslaws Ruhm; aber sie tadeln den Fürsten Igor, weil er Reichtümer einstampfte in das polowzische Flußbett und die Kajala vollgoß mit russischem Gold. Dort siedelte Fürst Igor aus dem goldenen Sattel in die Pritsche des Knechts. Mutlosigkeit schlug sich in die Städte, und alle Froheit ging ein.

Swjatoslaw aber sah diese Nacht ein trübes Traumbild auf den Bergen zu Kiew. »Gegen Abend«, erzählte er den Bojaren, »lag ich auf bloßen Brettern, und man deckte eine schwarze Decke über mich; bläulichen Wein schöpfte man mir, darin Gift war. Und aus den leeren Köchern heidnischer Polowzer schüttete jemand schwere Zahlperlen mir auf die Brust und tat zärtlich mit mir. Aber oben auf meiner goldgedeckten Halle fehlte das Firstholz. Und die ganze Nacht seit Abend krächzten rauchgraue Raben; und zwischen den Wällen von Pleskow war eine Waldschlucht; die aus Kiew aber waren schon ans Meer gegangen ...« Und die Bojaren sprachen zum Fürsten: »Fürst, der Sinn davon ist die Trauer. Da sind diese zwei Falken fortgeflogen von des Vaters goldenem Thron, um die Stadt Tmutorakan zu suchen oder aus dem Helme zu trinken vom Don. Aber schon haben unchristliche Säbel den Falken die Flügel zerschlagen, und sie selbst liegen in eisernen Lagern. Dunkel war es am dritten Tag: zwei Sonnen verfinsterten sich, es erloschen die beiden roten Planeten, und mit ihnen vergingen zwei Monde im Dunkel: Oleg und Swjatoslaw; sie sind ertrunken im Meer, große Dreistheit einflößend dem Khane. – Dunkel hat das Licht abgelöst am Kajala-Fluß, und die Polowzer haben sich ausgebreitet über das russische Land gleich einer Pantherbrut. Tadel hat sich erhoben über das Loblied, über den Willen ist die Gewalt gekommen, und der Drache hat sich herab auf die Erde gestürzt. Da fangen die schönen Mädchen der Goten am Gestade des blauen Meeres zu singen an, klirrend von russischem Gold; sie singen die Tage des Bus und hätscheln den Rächer des Scharo-Khan... Doch wir, dein Gefolge, sind fremd allem Frohsinn!« Da entfiel dem großen Swjatoslaw goldene Rede, von Tränen erschimmernd; er redete also: »O meine Söhne Igor und Wsewolod! Früh seid ihr aufgebrochen, das polowzische Land mit eueren Schwertern zu schlagen und Ruhm zu suchen euch selber; aber nicht ehrenvoll habt ihr gesiegt, nicht in Ehren habt ihr das heidnische Blut verschüttet. Euere mannhaften Herzen freilich sind eingeschmiedet in Rüststahl und von Verwegenheit hart; aber was habt ihr mit meinem grauen Haupte gemacht! Ich sehe nicht mehr Jaroslaws, meines starken, glänzenden, heerreichen Bruders, mächtige Völker: Die Streiter von Tschernigow, die Moguten, die Tatranen, die Schelbiren, die Toptschaken und Rewuger und Olberer ... ohne Schilde, mit Weidmessern nur und Geschrei überwanden sie Heere, dröhnend vom Ruhme der Väter. Ihr aber sprächet bei euch: Wir sind uns Männer genug. Wir wollen allein tragen den Ruhm, der jetzt kommt, und den alten Ruhm teilen zwischen uns beiden.

O ist es ein Wunder, Brüder, wenn da ein Alter selbst jung wird! Wenn der Falke gemausert hat, zaust er hoch oben die Vögel und läßt kein Unrecht ans Nest. Nun aber stehn mir keine Fürsten mehr bei, und das ist das Arge. Die Zeiten sind anders geworden. Da schrein sie in Rimow unter polowzischen Säbeln, und in Wladimir der Fürst schreit unter Wunden; Trübsal und Trauer dem Sohn des Gleb!«

Großer Fürst Wsewolod (Groß-Nest), fliegt dir nicht von fern der Gedanke zu, deines Vaters goldenen Thron zu beschützen: denn du kannst mit deinen Rudern Muster in die Wolga weben und mit deinen Helmen ausschöpfen den Don. Wärest du hier, so wäre eines Weibes Gefangenschaft eine Scheidemünze wert und ein Gefangener ein Marderfell; aber du hast auch zu trockener Schlacht lebendige Bogen: des Gleb waghalsige Söhne.

Und du, David, und mutiger Rurik, seid ihr nicht gewohnt, im Blute zu treiben mit eueren goldenen Helmen? Brüllen euere Reiter nicht auf wie Stiere, wenn stählerne Säbel sie wundschlagen, verloren im Felde? – Steigt in die goldenen Bügel, ihr Herren, für diese gekränkte Zeit, für das russische Land und für den verwegensten Sohn Swjatoslaws, für die Wunden Igors.

Osmomysl Jaroslaw, Fürst von Galitsch, hoch herrschest du auf deinem goldgetriebenen Thronsitz. Deine eisernen Völker stützen die karpatischen Berge und wehren dem König den Weg; du schließest die Tore des Dunai, und deine Riesenheerhaufen ziehn in den Wolken dahin. Dein ist bis an den Dunai alles Gericht. An deines Zornes Strom liegen die Länder, und Kiews Tor ist wie deine eigene Tür. Von deiner Väter goldenem Thron aus triffst du die Sultane über die Länder hin. So triff du, Herr, den Kontschak, den heidnischen Hund, triff für das russische Land und für den verwegensten Sohn Swjatoslaws, für die Wunden Igors.

Und Roman und du, Mstislaw, ihr Wagemutigen! Kühne Denkart wahrlich trägt eueren Sinn. Hoch fürwahr schwebt ihr im Wagnis dahin, dem Falken gleich, der den Flug aufspannt über den Winden und sich voll Grimm auf den Vogel wirft und ihn bewältigt. Eiserne Brustpanzer sieht man unter eueren lateinischen Helmen. Von ihnen hat schon die Erde gedröhnt und sehr viele Länder: khanische Länder, Litwer, Jatwäger und Dermelen, und die Polowzer selbst warfen die Speere von sich und hielten die Köpfe unter diese stahlharten Schwerter.

Aber dem Fürsten Igor vergeht schon das liebe Licht, und nicht zum Guten fallen die Blätter ab von den Bäumen. An der Ros und an der Sula haben sie sich schon in die Städte geteilt, und des mannhaften Igor Heer steht nicht wieder auf... Der Don schreit nach dir, Fürst, und ruft alle Fürsten zum Sieg auf.

Die tapferen Olgowitschi sind gerüstet zum Kampf!... O Ingwar und Wsewolod und aus dem Hause Mstislaws die drei: wie ein sechsflügeliger Vogel aus schönem Geschlecht. Nicht mit Siegen habt ihr gewürfelt um die Gewalt. Wo sind euere goldenen Helme, euere polnischen Lanzen und Schilde von Purpur? Schließt die Ebene zu mit dem Gittertor euerer geschliffenen Speere, dem russischen Lande zulieb und für den verwegensten Sohn Swjatoslaws, für die Wunden Igors.

Schon nicht mehr als silberner Fluß kommt die Sula nach Perejaslawl, und die Dwina rinnt grausig wie ein polowzischer Morast durch der Heiden Geheul. Und gerade erst spielte Isjaslaw Wassilkowitsch mit seinen geschliffenen Schwertern auf litauischen Helmen; er erschlug des Wseslaw, seines Ahnherrn, Ruhm, und er selber ward unter den roten Schilden von litauischen Schwertern erschlagen im blutigen Gras; da lagen sie beide, Sterbende, er und der Ruhm, welcher sprach: »Deine Gefolgschaft, Fürst, decken mit ihren Flügeln die Vögel zu, und die Tiere trinken ihr Blut.« Und da war sonst kein Bruder des Brjatschislaw und kein anderer aus dem Hause Wsewolod. Er allein verlor die Seele seines mannhaften Leibes; wie eine Perle fiel sie heraus durch die Ringe der goldenen Halsberge. — Die Stimmen schlugen nieder wie Rauch, die Froheit sank hin; in Gorodno nur hob man die Hörner hoch.

O Jaroslaw und alle ihr Enkel des Wseslaw, laßt euere Fahnen fallen, gürtet ab euere geschlagenen Schwerter. Schon seid ihr zu weit fortgetrieben vom Ruhme des Ahnherrn. Ihr zuerst habt Heiden gelockt auf russische Erde und in das Gebiet des Wseslaw mit euerer Zwietracht. Aus den Zanken der Fürsten kam schließlich die Züchtigung auch vom polowzischen Lande.

Im siebenten Jahrhunderte trojanischen Alters loste um seine Geliebte Wseslaw. In seine Schenkel nahm er das Pferd und raste vor Kiew und rührte mit seinem Speer an den goldenen Kiewer Thron. Und zur halben Nacht verließ er die in Belgrad und warf sich hinaus als ein grimmiges Tier, sich im dämmernden Blau verwandelnd. Und wieder am Morgen stieß er die Sporen in sein Pferd, stand vor Groß-Nowgorod und riß seine Tore auf; er zerbrach den Ruhm Jaroslaws und jagte – wieder ein Wolf – von Dudutok her an die Nemiga.

An der Nemiga breiten sie Köpfe wie Garben aus; sie dreschen mit Dreschflegeln aus Stahl. Leben legen sie auf die Tenne, und wie die Kornschwinger tun, worfeln sie aus den Leibern die Seelen. Nicht mit Körnern waren der Nemiga blutige Ufer besäet; ihre Saat waren die Gebeine russischer Söhne. Fürst Wseslaw war den Leuten ein Richter und ein Verweser den Fürsten; aber bei Nacht war er ein Wolf und trieb sich umher. Von Kiew erreichte er noch vor den Hähnen Tmutorakan und überholte als Wolf den gewaltigen Chors. Ihm läuteten sie am Morgen die Glocken zur Frühmesse in der heiligen Sofia von Polozk, und er hörte in Kiew den Klang. Eine wahrsagende Seele war er in einem heldischen Leib, aber oft auch ein Dulder von Unglück. Für ihn hat viel früher schon der Seher Bojan gesprochen den sinnvollen Spruch: Sei gewandt, sei schnell, schneller denn alle Vögel im Flug, – du überholest doch nicht Gottes Gerichte.

O weinen muß über dich, russische Erde, wer deiner ersten Zeiten gedenkt und der früheren Fürsten. Jenen alten Wladimir hätte man nicht anschmieden dürfen im Innern der Kiewer Berge. Nun sind seine Fahnen verteilt und gehören David und Rurik; aber bei ihnen zerflattern sie, jede für sich.

.... Da hört man die Stimme der Jaroslawna. Einem einsamen Kuckuck gleich klagt sie seit Morgengraun. »Fliegen will ich«, sagt sie, »wie ein Kuckuck den Dunai entlang! Meinen Ärmel von Biberpelz will ich hineinhalten in den Kajala-Fluß; auswaschen will ich dem Fürsten die blutigen Wunden seines grausamen Leibes.«

Jaroslawna weint seit Morgengraun in Putiwl auf den Mauern und spricht: »O Wind, Wind, – Herr, warum wehst du so sehr? Warum mit deinen leichten Flügeln treibst du die Pfeile des Khans zu meines Geliebten Kriegsheer? War es dir nicht genug, hoch unter den Wolken zu wehn und Schiffe zu schaukeln auf blauem Meer? Warum, Herr, hast du mein Frohsein verweht über das Grasland hin?«

Jaroslawna weint seit Morgengraun in Putiwl, der Stadt, auf den Mauern und spricht: »Dnepr, du Held, du durchschlugst dir die steinernen Berge im polowzischen Land. Du trugst liebkosend auf dir Swjatoslaws Kähne hinein in das Heer des Kobjak; nun trage zärtlich, Herr, auch den Gatten mir zu, daß ich ihm nicht ans Meer muß Tränen schicken im Morgengraun.«

Jaroslawna weint seit Morgengraun in Putiwl auf den Mauern und spricht: »Helle du, überhelle Sonne! Du bist allen warm und gut. Herrin, warum legst du glühend dein Licht auf die Mannen meines Gemahls? ... Durst hat ihnen im wasserlosen Land die Bogen gedörrt, und Niedergeschlagenheit schließt ihnen die Köcher zu...«

Zur halben Nacht erhob sich das Meer. Wassersäulen wanderten wolkig darüber hin. Gott zeigt dem Fürsten Igor den Weg aus polowzischem Land nach der russischen Erde, zu seines Vaters goldenem Thron. Es war nach dem Abendrot. Igor schläft... Igor wacht trotzdem; Igor mißt in Gedanken das Feld vom großen Don bis an den kleinen Donez. Owlur pfeift über dem Fluß, als rief er ein Pferd, dem Fürsten zum Zeichen... Und schon ist Fürst Igor nicht mehr da! In Freude rief er laut auf; dumpf hallte die Erde nach, und es rauschte das Gras. Unruhe entstand in den polowzischen Zelten... Aber der Fürst Igor entlief als Wiesel ins Schilfrohr und schwamm, weiß, als Reiherente über das Wasser. Er warf sich auf sein flüchtiges Pferd, sprang nackt, als grauer Wolf, ab von ihm, jagte zu den Fluren des Donez und flog als Falke durch den Nebel dahin, sich Schwäne erlegend und Enten zum Frühstück, Mittagbrot und Nachtmahl. Wahrend Igor Falke war und flog und Owlur unten als Wolf dahinraste, von sich abschüttelnd den eisigen Tau, jagten die anderen ihre raschen Pferde zuschanden.

Und es sprach Donez, der Fluß: »O Fürst Igor! Groß ist deine Herrlichkeit, groß der Haß des Kontschak und groß die Freude der russischen Erde.« Und Igor sprach: »O Donez, groß ist deine Herrlichkeit, weil du zärtlich auf den Wogen den Fürsten getragen hast, weil du ihm grünendes Gras hingebreitet hast auf deinen silbernen Rändern und ihn bekleidet hast mit warmen Nebeln im Schatten deiner grünen Uferbäume; weil du ihn in Schutz genommen hast: als Wildente auf dem Wasser, als Möwe über den Wellen und auf den Winden als Falken.« ... Man erzählt von dem Stugna-Fluß, daß er anders sei. Seine mageren Wellen verschlangen die fremden Bäche, und er grub sich Kanäle unter dem Buschwerk und schloß in ihnen den fürstlichen Knaben Rostislaw ein, nah bei des Dneprs traurigen Ufern. Und es weinte Rostislaws Mutter über den jugendlichen Prinzen Rostislaw; alle Blumen waren kleinmütig vor Mitleid, und die Bäume hingen aus Trauer zur Erde.

Das ist nicht Elsterngeschwätz: Gsa und Kontschak verfolgten Igor. Da krächzten die Raben nicht, verstummt waren die Krähen und das Schwatzen der Elstern; nur die Klettervögel kletterten, und klopfend wiesen die Spechte den Weg an den Fluß; Nachtigallen sangen selig den Morgen.

Da flüsterte Gsa dem Kontschak: »Fliegt der alte Falke zu Nest, so schießen wir den jungen mit unseren goldenen Pfeilen.«

Und es antwortete Kontschak dem Gsa: »Fliegt der alte Falke zu Nest, so fangen wir den jungen mit einem schönen Mädchen.«

Und es flüsterte Gsa dem Kontschak: »Wenn wir ihn fangen mit einem schönen Mädchen, dann bleibt uns weder der junge Falke noch die junge Schöne, und wir können Vögeln nachjagen auf polowzischem Feld.«

Es sang Bojan auch von den Tagen Swjatoslaws, der Sänger der uralten Zeiten Jaroslaws und Olegs: »Fürstengeschlecht, schwer mag es dir sein, Haupt ohne Schulter, aber auch dir ist es schwer, Leib ohne Haupt.« So war es dem russischen Lande schwer ohne Igor. Nun steht die Sonne hell in den Himmeln: Fürst Igor ist wieder auf russischer Erde. Am Dunai singen die Mädchen, und es wehn ihre Stimmen über das Meer hin nach Kiew. Igor reitet über Boritschow zum heiligen Bilde der pirogoschtschischen Muttergottes. Und die Gegenden freuen sich, und die Städte sind froh.

Gesungen ist den alten Fürsten ihr Lob; nun singet die jungen: Heil Igor Swjatoslawitsch, Heil Wsewolod, weißer Stier, Wladimir, des Igor Sohn, Heil! Gegrüßt seien die Fürsten und ihre Gefolgschaften, die für die Christenheit streiten gegen ungläubige Horden. Heil den Fürsten und ihren Gefolgschaften, Heil!

Erinnerungen der Kaiserin Katharina die Große von ihr selbst geschrieben

(Katharina die Große)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.
Motto
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebtes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Nachtrag aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Anhang.
Brief Katharinas II. an Poniatowski.
Einige Briefe des Großfürsten Peter.

Vorwort.

Inhaltsverzeichnis

Während rings in Europa Throne zu versinken drohten, erhob sich hoch im Norden an den Ufern der Newa einer zu ungeahnter Größe, zu unermeßlicher Pracht, und eine Frau, eine Deutsche, führte mit geschickter Hand die Staatszügel des mächtigen Zarenreichs. Stolz legte sich ihr der Purpur um die weißen Schultern, der seit Generationen durch Ströme von Blut gefärbt zu sein schien.

Mehr als ein Jahrhundert ist verflossen, seitdem sich das Grab Katharinas II., der »nordischen Semiramis«, geschlossen, doch weder Zeit noch Ereignisse haben das Interesse verwischen können, das ganz Europa an dieser bewunderungswürdigen, außergewöhnlichen Frau mit dem Doppelwesen von Mann und Weib genommen. Ja, mit der Zahl der Schriften über sie stieg auch die Bewunderung für ihre selbsterworbene Größe. Denn nichts hatte sie ererbt, sondern ganz aus eigener Kraft ist sie zu jener Höhe gelangt, von der sie vierunddreißig Jahre lang auf ihr Volk, ihre Russen, herabblickte.

Vor ihr, seit dem Zerreißen der Traditionen, seit der vollkommenen Trennung des Volkes vom Staate, dieses armen, halbwilden russischen Volkes, das sich ängstlich und scheu in seinen elenden Dörfern verbarg, seit der Reform Peters I., waren Staatsstreiche und Palastrevolutionen an der Tagesordnung gewesen, und nach ihrem Tode schien es, als sollte es wieder so werden. Welch seltsame Epoche! Abends vor dem Schlafengehen wußten die Einwohner von St. Petersburg nicht, unter wessen Regierung sie am nächsten Morgen erwachen würden. Allerdings kümmerte dies die Bevölkerung wenig, oder gar nicht; das Drama spielte sich nur in den engeren Hofkreisen ab, und allein die Staatsbeamten hatten bei einer solchen Thronumwälzung für ihr Wohl und Wehe zu hoffen, oder zu fürchten. Das Volk, der Pöbel, jauchzte, wenn es ihm befohlen wurde, dem neuen Herrscher zu und spie dem alten ins Gesicht, den es noch am vorhergehenden Tage »Väterchen« genannt, für den es in seinen Kirchen den Segen des Himmels erfleht hatte. Was war das russische Volk? Nichts als eine große, leicht lenkbare, in tiefster Unwissenheit verharrende Menschenmasse, die zum ersten Male im Jahre 1812 aus ihrer fast tierischen Niedrigkeit erwachte, um sich einem Feinde, der das Land zu verwüsten drohte, entgegenzuwerfen.

Seit dieser Zeit aber haben Ereignisse, Kultur und Intelligenz das russische Volk erstarken lassen und aufgeklärt. Der Moment, wo es mit energischem Willen auch noch die letzten Spuren einer harten, langen Knechtschaft abschütteln wird, ist nicht mehr fern. Das ganze große russische Reich ist in seinen Grundfesten erschüttert, es bedarf nur eines letzten kräftigen Stoßes, um es völlig zu stürzen. Dann wird auf seinen Trümmern ein neues erstehen, wo die Sonne der Freiheit dem russischen Volke zum ersten Male leuchtet.

Und während unsere Nachbarn diesen Kampf um ihre Freiheit kämpfen, wird es von nicht geringem Interesse sein, das Leben an einem russischen Kaiserhofe vor mehr als hundert Jahren zu verfolgen, das freilich in unserer Zeit einen wesentlich andern Aspekt hat.

Die Memoiren der Kaiserin Katharina II., eins der interessantesten Dokumente, die wir über die russische Geschichte besitzen, wurden ihrem Sohne, dem Kaiser Paul I., einige Stunden nach dem Tode seiner Mutter in einem versiegelten Kuvert überreicht. Dieses Kuvert enthielt auch einen Brief Alexis Orloffs, des Hauptbeteiligten an der Thronbesteigung Katharinas, in welchem er der neuen Kaiserin mit zynischen Worten, trunken vom Wein, die Ermordung ihres Gemahls, Peters III., meldete. Paul I. sprach zu keinem Menschen von dem Manuskript seiner Mutter, außer zu seinem intimen Freund, dem Fürsten Alexander Kurakin, der heimlicherweise eine Abschrift davon nahm. Später, zwanzig Jahre nach dem Tode Kaiser Pauls, verschafften sich auch Alexander Turgenjeff und Fürst Michael Woronzow Abschriften von dem Exemplar Kurakins. Unter der Regierung des Zaren Nikolaus indes wurden alle vorhandenen Abschriften polizeilich eingezogen, worunter sich auch eine von der Hand des berühmten russischen Dichters Puschkin befand. Das Original selbst ließ Nikolaus, nachdem er es gelesen, mit dem großen Staatssiegel versehen und in den kaiserlichen Archiven sorgfältig verwahren.

Alexander Herzen, der diese Memoiren herausgegeben, berichtet, daß er zum ersten Male von den Aufzeichnungen Katharinas durch den Lehrer Alexanders II., Konstantin Arsenjeff, erfahren habe, der 1840 die Erlaubnis erhalten hatte, viele geheime Dokumente aus der Zeit Katharinas II. zu lesen.

Als dann während des Krimkrieges die kaiserlichen Archive nach Moskau gebracht wurden, verlangte Alexander II. ebenfalls das Manuskript zu lesen, und seitdem kursierten wieder einige Abschriften in Rußland. Nach einer derselben hat Herzen, der berühmte russische Publizist und Freidenker, die Erinnerungen der Kaiserin Katharina veröffentlicht, über deren Echtheit kein Zweifel herrschen kann. Sollte aber dennoch ein solcher bestehen, so wird er bald verschwinden, wenn man nur einige Seiten darin gelesen hat. Das Werk trägt unverkennbar den Stempel der Wahrheit und ist voll von interessanten Einzelheiten aus dem Privat-und Eheleben Katharinas, die nur sie und niemand anders wissen konnte; sie läßt den Leser bis in die geheimsten Winkel ihres Schlafzimmers blicken.

Die Zeit hat der Frische dieser kaiserlichen Bekenntnisse nichts von ihrem Reize genommen, und die Welt der Abenteurer, Intriganten und Glücksritter eines Hofes, der äußerlich glänzend, im Innern faul war, kann nicht drastischer veranschaulicht werden.

Man sieht Katharina hier entstehen, man sieht, wie sie Stufe für Stufe auf dem steilen Wege zu einem glänzenden, mit fast orientalischer Pracht umgebenen Thron emporklimmt, um einst als Katharina die Große oben anzulangen.

Jung, unerfahren, von Haus aus einfach erzogen, kam die kleine Prinzessin Sophie von Anhalt-Zerbst 1744 auf Befehl der Kaiserin Elisabeth mit ihrer Mutter nach Moskau. Wie ein armseliges Aschenbrödel, mit einem Dutzend Hemden, einigen dürftigen Kleidern und einer Aussteuer, der das Bettzeug fehlte, langte sie dort an. Des tieferen Grundes dieser Reise war sie sich noch nicht bewußt, und erst allmählich, durch die glänzenden Empfänge in den russischen Städten, begriff sie, warum sie hier war. Sie sollte einst als Gemahlin Peters III. die russische Kaiserkrone tragen! Und schon regte sich in der Fünfzehnjährigen das Herrscherfieber des Winterpalastes.

Ihr zwei Jahre älterer prinzlicher Bräutigam, ein blöder, kindischer Junge, der schon von seinem zehnten Jahre an dem Trunke ergeben ist, läßt sie vollkommen kalt, aber die Krone von Rußland nicht. Ehrgeizig trachtet sie nach ihrem Besitz und ist entschlossen, komme was da wolle, sich dieselbe nicht entgehen zu lassen. Mit feinem weiblichen Instinkt ist sie sich bald bewußt, daß sie, um ihren Platz zu behaupten, nicht die Zuneigung des Großfürsten, nicht das Wohlwollen der regierenden Kaiserin, wohl aber die Liebe und das Interesse des russischen Volkes gewinnen müsse. Dazu gehört aber vor allem die Kenntnis des Idioms der Russen und die Annahme des orthodoxen griechischen Glaubens.

Fast spielend lernt sie die russische Sprache und ist so eifrig dabei, daß sie sogar in den kalten Winternächten aufsteht, um die von ihrem Lehrer aufgegebenen Vokabeln auswendig zu lernen. Ueberhaupt hat sie in dieser Zeit einen bewunderungswürdigen Studiendrang. Sie verschlingt alle Bücher, ohne Wahl allerdings, gute und schlechte, wie sie ihr gerade unter die Hände kommen. Ihre Lage aber ist keineswegs glücklich. Auf der einen Seite ihre neidische, zänkische Mutter, die sie wie ein kleines Schulmädchen behandelt, sie ohrfeigt und ihr die Kleider, die man ihr geschenkt, wegnimmt, um sie für sich zu gebrauchen; auf der andern die Kaiserin Elisabeth, ein rohes, eifersüchtiges, ränkesüchtiges Weib, das jeden ihrer Schritte bewacht, jedes ihrer Worte anders auslegt und ihre Umgebung nach Belieben, ohne sie zu fragen, verabschiedet. Und zwischen diesen beiden wenig sympathischen Charakteren der fast idiotische, betrunkene Großfürst, ihr Gemahl, der ihr ohne Scham alle seine Liebesabenteuer erzählt.

Als Großfürstin und Gemahlin Peters war die Lage Katharinas in jeder Beziehung erniedrigend. Neben dem gemeinsamen Schlafzimmer, und nur durch eine Bretterwand getrennt, hält er einen stinkenden Hundestall und dressiert seine Meute; in seinem Wohnzimmer hängt er eine Ratte auf und bezeichnet dies als eine kriegsgesetzliche Handlung, denn die Ratte habe es gewagt, eine Schildwache aus Zunder, womit der Großfürst täglich spielte, aufzufressen. Als drastisches Exempel sollte die Rattenleiche drei Tage im Zimmer hängen bleiben. Ein anderesmal, als er wie gewöhnlich unmenschlich betrunken ins Schlafzimmer kommt, wo seine Frau schon im Bett liegt, stellt sich Katharina, als ob sie fest schliefe, weil sie es satt ist, fortwährend seine Maitressengeschichten mit anzuhören. Er schreit und tobt, aber sie hört nicht. Da weckt er sie mit Faustschlägen und geht dann fluchend weg. Und die arme junge Frau weint die ganze Nacht.

Peter spielte leidenschaftlich gern mit Puppen und anderm Tand und benutzte, da man ihm tagsüber aufpaßte, die Nächte dazu. Wohl oder übel mußte auch Katharina, die zu jener Zeit noch mit ihrem Gemahl das Bett teilte, sich an diesen kindischen Vergnügungen beteiligen. Und geduldig ließ sie alles über sich ergehen.

Aber es sollte noch schlimmer kommen! Man fängt an, sie systematisch zu verderben. Man macht ihr den Vorwurf, daß sie keine Kinder bekommt; und als es sich herausstellt, daß die Schuld nicht an ihr liegt, läßt man ihr durchblicken, eine Großfürstin habe, wenn es sich um das Wohl des Landes handele, nicht die Tugend als erstes in die Wagschale zu werfen. Man geht weiter! Ihre Oberhofmeisterin, die als sittenstreng bekannte Madame Tschoglokoff, läßt ihr die Wahl zwischen zwei Kammerherrn: Leon Narischkin und Sergius Soltikoff, weil sie gemerkt hat, daß Katharina besonders einen von ihnen – welchen weiß sie nicht bestimmt – nicht ungern sieht. Und als die Großfürstin auf die Frage ihrer Anstandsdame: »Wenn ich nicht irre, so ist es Narischkin?« lebhaft mit »Nein, nein« antwortet, da ruft diese zynisch aus: »Nun, so ist es eben der andere!« Und er war es! Katharina macht nun kein Hehl mehr aus ihrem Verhältnis zu dem schönen Sergius. Sie liebt ihn ja auch wirklich, liebt wohl zum ersten Male. Sie läßt sogar in ihren Erinnerungen durchblicken, daß Soltikoff der Vater ihres Sohnes Paul ist.Diese Tatsache war schon zu ihren Lebzeiten, also lange vor Bekanntwerden Ihrer Erinnerungen in Hofkreisen bekannt.

Nachdem aber die Grenzen des Wohlanständigen einmal überschritten sind, wirft sie sich neuen Leidenschaften in die Arme. »Wenn man gefällt,« sagt sie mit einem fatalistischen Anflug in ihren Memoiren, »so ist der erste Teil der Verführung schon vollzogen, und der zweite kommt leicht dazu.« Sergius Soltikoff bekommt einen Nachfolger: Graf Poniatowski, der später von ihr zum König von Polen gemacht wird. Seine äußere Erscheinung, obwohl ebenfalls edel, konnte zwar nicht mit der glänzenden Schönheit Sergius' konkurrieren, aber er besaß mehr innern Gehalt, war ganz Weltmann und außerordentlich unterrichtet. Dieser Verbindung schreibt man die Geburt ihrer Tochter Anna zu. Und nun fliegt Katharina aus einem Arm in den andern, bis sie sich schließlich, nur ihrer maßlosen Sinnlichkeit folgend, ohne Wahl einem jeden, der ihr gerade gutdünkt, hingibt.

Aber merkwürdig, diese Frau, die so wenig ihre menschlichen Schwächen beherrschen konnte, die tiefer als die geringste ihrer Untertaninnen sank, wenn sie mit ihren Günstlingen wüste Gelage feierte, blieb in der Oeffentlichkeit immer die stolze, achtunggebietende Herrscherin, eine kluge, geistreiche Frau, die ihrem Lande, wie keine andere, eine Zukunft sicherte. Neben den Orgien, die sie zu feiern liebte, vergaß sie doch nie die Pflege ihres Geistes. Bis an ihr Lebensende hat sie unermüdlich gelernt. Dicke Bände hat sie durchgewälzt, mit den bedeutendsten Gelehrten, Dichtern, Schriftstellern und Philosophen ihrer Zeit ist sie in Beziehungen und Briefwechsel gestanden, Voltaire, Diderot und Grimm waren ihre vertrauten Ratgeber. Sie hat Paläste gebaut, Schulen, Kirchen, öffentliche Anstalten errichtet, und das heutige Rußland verdankt viele seiner Gebäude und Einrichtungen allein ihr, der großen Katharina, der einstigen kleinen deutschen Prinzessin von Anhalt-Zerbst.

Leider brechen die Aufzeichnungen der Kaiserin gegen Ende des Jahres 1759, also zwei Jahre vor ihrer Thronbesteigung, plötzlich ab. Verschiedene Leute behaupten, es seien noch Notizen vorhanden gewesen, die zu einer Weiterbearbeitung und Fortsetzung des Manuskriptes gute Dienste hätten leisten können, aber Paul habe dieselben verbrannt. Wieviel daran Wahres ist, hat bis jetzt noch nicht ermittelt werden können, da jeder Beweis dafür fehlt. Um indes den Leser auch mit den späteren Ereignissen, die nach dem Tode Elisabeths das Land erschütterten, einigermaßen bekannt zu machen, haben wir uns entschlossen, Bruchstücke aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff, der über die damaligen russischen Verhältnisse best unterrichteten Frau, am Schlusse des Werkes anzufügen. Ihre Berichte über das Leben am Hofe Katharinas und Peters, der freilich nur kurze Zeit den Titel eines Kaisers trug, sind nicht weniger interessant, als die Aufzeichnungen der Kaiserin selbst, denn sie lebte längere Zeit in engster Intimität mit Katharina.

Man wird sich zwar wundern, daß ihre Erzählung der Ereignisse, besonders was den Tod Peters, die Thronbesteigung Katharinas und den Charakter des Großfürsten betrifft, nicht immer mit den Berichten der Kaiserin von Rußland übereinstimmen. Aber die Ursache davon ist nicht schwer zu erraten. Katharina leugnet direkt in einem Briefe an Poniatowski, was sie bei ihrer Thronbesteigung der Fürstin Daschkoff verdankte. Warum? Weil sie das ganze Verdienst an diesem Ereignis Alexis Orloff, ihrem Geliebten, zukommen lassen wollte. Die Fürstin Daschkoff hingegen hebt sich allzusehr empor, und ihre weibliche Eitelkeit reißt sie zu Behauptungen hin, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Gewiß aber ist, daß sie großen Anteil an der Thronumwälzung des Jahres 1763 gehabt hat, wenn auch die Orloffs die Leiter des Ganzen waren. Ueber den Tod Peters sind heute so ziemlich alle Zweifel gehoben, und in dieser Beziehung kommt der Bericht der Fürstin Daschkoff der Wahrheit näher, als das, was Katharina in ihrem Brief an Poniatowski darüber schreibt.

Die Mémoires de Catherine II., écrites par elle-même sind mitunter in einem ziemlich ungelenken, abgerissenen Stil geschrieben, für den zum Teil die verschiedenen Abschreiber des Originalmanuskriptes verantwortlich sein mögen. Soweit es mir angebracht erschien, habe ich diese Stilhärten in der Uebersetzung beibehalten.

G. Kuntze.

Motto

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Nicht immer ist das Glück so blind, wie man es sich vorstellt. Es ist oft das Resultat wohlberechneter Maßnahmen, die, von der Allgemeinheit unbemerkt, den Ereignissen vorausgegangen sind. Besonders aber ist es das Ergebnis persönlicher Eigenschaften, des Charakters und der Handlungen.

Um dies etwas mehr verständlich zu machen, komme ich zu folgendem Schluß:

Eigenschaften und Charaktere sollen vorherrschen, die Handlungsweise in zweiter Linie kommen, Glück oder Unglück aber den Schluß bilden.

Zwei merkwürdige Beispiele davon sind:

Peter III.

Erstes Kapitel.

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Peter III. und seine Eltern. – Sein Vormund, der Bischof Adolf Friedrich von Lübeck. – Seine Erzieherin Holstein. – Elisabeth I. bestimmt ihn zu ihrem Thronerben. – Meine erste Begegnung mit Peter III. – Seine Erziehung und seine Beschäftigungen in Rußland. – Meine Ankunft mit meiner Mutter in Moskau. – Der Vizekanzler Bestuscheff-Rjumin. – Geständnisse des Großfürsten gegen mich. – Meine Lehrer in Moskau. – Ich erkranke an einer Brustfellentzündung. – Unvernunft meiner Mutter. – Der Großfürst beachtet mich weniger als vorher. – Reise nach dem Kloster Troitza. – Der Marquis de La Chétardie. – Man isoliert uns. – Ich erhalte einen Hofstaat. – Der achtsitzige Wagen. – Zänkereien und Bosheiten zwischen meiner Mutter und dem Großfürsten.

Die Mutter Peters, eine Tochter Peters I., starb zwei Monate nach seiner Geburt an der Schwindsucht in der kleinen Stadt Kiel in Holstein; vielleicht aber war es auch der Kummer, sich dorthin versetzt zu sehen und so unglücklich verheiratet zu sein, der sie dahinraffte. Herzog Karl Friedrich von Holstein, der Neffe Karls XII., Königs von Schweden, und Vater Peters III., war ein schwacher, häßlicher, kleiner, kränklicher und armer Fürst. Er starb im Jahre 1739 und ließ seinen ungefähr elfjährigen Sohn unter der Vormundschaft seines Vetters Adolf Friedrich, des Bischofs von Lübeck, Herzogs von Holstein und späteren infolge des Friedens von Abo auf die Empfehlung der Kaiserin Elisabeth erwählten Königs von Schweden zurück. Die oberste Leitung der Erziehung Peters III. war den Händen des Oberhofmarschalls Brummer, eines geborenen Schweden, anvertraut. Unter dessen Befehlen standen der Oberkammerherr Berkholz und vier Kammerherren, von denen zwei – Adlerfeldt, der Verfasser einer Geschichte Karls XII., und Wachtmeister – Schweden, die beiden andern – Wolf und Madfeld – Holsteiner waren. Man erzog den Prinzen für den schwedischen Thron an einem, für das Land, in welchem er sich befand, zu großen Hofe, der in verschiedene Parteien gespalten war. Diese haßten sich gegenseitig bitter. Eine jede von ihnen suchte sich des Geistes des jungen Prinzen, den sie bilden sollten, zu bemächtigen und folglich auch ihm die Abneigung gegen die ihnen entgegenstehenden Persönlichkeiten einzuflößen. Der Prinz haßte Brummer im tiefsten Innern seines Herzens und liebte keinen in seiner Umgebung, weil alle ihm unbequem waren.

Seit seinem zehnten Jahre schon zeigte Peter III. eine starke Neigung zum Trunk. Man zwang ihn von frühester Jugend an bei den meisten Festlichkeiten und Vorstellungen bei Hofe gegenwärtig zu sein und verlor ihn weder Tag noch Nacht aus dem Auge. Die einzigen, die er während seiner Kindheit und der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Rußland liebte, waren zwei alte Kammerdiener: der Livländer Kramer und der Schwede Rumberg. Letzterer, ein ungebildeter und roher Mensch, der unter Karl XII. Dragoner gewesen war, war ihm der angenehmste. Brummer und folglich auch Berkholz, der alles nur mit den Augen des ersteren ansah, waren natürlich dem prinzlichen Vormund und Regenten ergeben, während alle andern mit diesem und mehr noch mit seiner Umgebung unzufrieden waren.

Als die Kaiserin Elisabeth im Jahre 1741 den russischen Thron bestiegen hatte, schickte sie den Kammerherrn Korf nach Holstein, um ihren Neffen Peter zu holen, den der Prinzregent sofort in Begleitung des Oberhofmarschalls Brummer, der Kammerherren Berkholz und Decken abreisen ließ. Die Freude der Kaiserin bei seiner Ankunft war groß. Bald darauf begab sie sich zu ihrer Krönung nach Moskau, fest entschlossen, den Prinzen zu ihrem Thronerben zu erklären; vorher aber mußte er zur griechisch-katholischen Religion übertreten. Die Feinde des Oberhofmarschalls Brummer, namentlich der Großkammerherr Graf Bestuscheff und Graf Nikita Iwanowitsch Panin, der lange Zeit russischer Gesandter in Schweden gewesen war, behaupteten, überzeugende Beweise in Händen zu haben, daß Brummer, seitdem er die Kaiserin entschlossen sah, ihren Neffen zu ihrem Nachfolger zu erklären, sich ebenso sehr bemühte, Geist und Herz seines Zöglings zu verderben, als er früher bestrebt gewesen war, ihn der schwedischen Krone würdig zu machen. Ich selbst aber habe stets an dieser Abscheulichkeit gezweifelt und geglaubt, daß die Erziehung Peters III. ein Widerstreit unglücklicher Verhältnisse gewesen sind. Im folgenden werde ich erzählen, was ich gesehen und gehört, und schon daraus wird sich vieles bisher Unverständliche aufklären.

Ich sah Peter III. zum ersten Male im Jahre 1739, als er elf Jahre alt war, in Eutin bei seinem Vormund, dem Fürstbischof von Lübeck, einige Monate nach dem Tode seines Vaters, des Herzogs Karl Friedrich. Der Fürstbischof hatte seine ganze Familie bei sich versammelt, um seinen Zögling einzuführen. Meine Großmutter, die Mutter des Fürstbischofs, und meine Mutter, die Schwester desselben, waren zu diesem Zwecke mit mir, die ich damals zehn Jahre zählte, nach Hamburg gekommen. Auch Prinz August und Prinzessin Anna, die Geschwister des prinzlichen Vormundes und Regenten von Holstein, waren anwesend. Bei dieser Gelegenheit hörte ich im Familienkreise davon sprechen, daß der junge Herzog zum Trunke neige und ihn seine Umgebung nur mit Mühe verhindern könne, sich bei Tische zu betrinken. Er sei starrköpfig und jähzornig, liebe seine Umgebung und besonders Brummer sehr wenig; im übrigen aber fehle es ihm nicht an Lebhaftigkeit, obgleich er ein kränkliches und ungesundes Aussehen habe. Und in der Tat, er war sehr blaß, außerordentlich mager und von schwächlicher Konstitution. Diesem Kinde wünschte seine Umgebung das Ansehen eines fertigen Menschen zu geben, zu welchem Zwecke man ihn unaufhörlich belästigte und ihn unter einem Drucke hielt, der ihm jene Falschheit einpflanzen mußte, die seitdem den Kern seines Charakters bildete.

Bald nach seiner Ankunft in Rußland folgte dem holsteinischen Hofe eine schwedische Gesandtschaft, um sich von der Kaiserin ihren Neffen zur Nachfolge auf den schwedischen Thron auszubitten. Aber Elisabeth, die schon, wie oben bemerkt, ihre Absichten durch die Friedenspräliminarien von Abo erklärt hatte, antwortete dem schwedischen Landtage, sie habe ihren Neffen zum Erben des russischen Thrones ernannt und halte sich strikt an die Präliminarien von Abo, welche für Schweden den Prinzregenten von Holstein zum Kronerben bestimmten.

Peter III. wurde also zum Erben Elisabeths und Großfürsten von Rußland erklärt, nachdem er sein Glaubensbekenntnis, dem Ritus der griechischen Religion gemäß, abgelegt hatte. Zum Lehrer erhielt er den nachmaligen Erzbischof von Pleskow, Simon Theodorski. Der Prinz war im strengsten und intolerantesten lutherischen Ritus getauft und erzogen worden. Da er schon von Kindheit an stets jedem Unterricht abgeneigt war, habe ich von seiner Umgebung sagen hören, daß man in Kiel die größte Mühe gehabt, ihn an Sonn-und Festtagen in die Kirche zu führen, sowie ihn die Pflichten der Andachtsübungen erfüllen zu lassen. Auch bei Simon Theodorski soll er sich durch Mangel an religiösem Gefühl ausgezeichnet haben. Besonders aber war Seine kaiserliche Hoheit darauf bedacht, über jeden Punkt zu streiten, und oft wurde seine Umgebung herbeigerufen, um den heftigen Zänkereien ein Ende zu machen, oder sie zu mildern. Endlich, nach vielen Verdrießlichkeiten, unterwarf er sich dem Willen seiner Tante, obgleich er, sei es nun aus Vorurteil, Gewohnheit oder Widerspruchsgeist, oft merken ließ, daß es ihm lieber wäre, nach Schweden zu gehen, als in Rußland zu bleiben. Er behielt Brummer, Berkholz und seine holsteinische Umgebung bis zu seiner Verheiratung bei sich. Nur der Form halber hatte man ihm noch einige andere Lehrer beigegeben: Isaak Wessedowski für die russische Sprache, der indes zuerst sehr selten und später gar nicht mehr kam, ferner Professor Stehlein, der ihn Mathematik und Geschichte lehren sollte, im Grunde aber mit ihm spielte und ihm als Hanswurst diente. Der fleißigste Lehrer war der Balletmeister Laudé, der ihn das Tanzen lehrte.

In seinen inneren Gemächern beschäftigte sich der Großfürst anfangs mit nichts anderem, als ein paar Bediente, die ihm als Kammerdiener beigegeben waren, exerzieren zu lassen. Er gab ihnen Grad und Rang und degradierte sie nach Belieben. Es war die reinste Kinderei. Ueberhaupt war er sehr kindisch, obgleich er schon sechzehn Jahre zählte.

Am 9. Februar des Jahres 1744, als der russische Hof in Moskau war, kam ich mit meiner Mutter dort an. Der russische Hof war damals in zwei große Parteien gespalten. An der Spitze der einen, die sich aus ihrem Verfall zu erheben begann, stand der Vizekanzler Graf Bestuscheff-Rjumin. Er wurde weit mehr gefürchtet als geliebt, war ein äußerst intriganter und argwöhnischer Mensch, fest und unerschrocken in seinen Grundsätzen, ziemlich tyrannisch, ein unversöhnlicher Feind, aber Freund seiner Freunde, die er nur verließ, wenn sie selbst ihm den Rücken kehrten; übrigens schwierig im Umgang und oft kleinlich. Er stand an der Spitze der auswärtigen Angelegenheiten. Da er die Umgebung der Kaiserin zu bekämpfen hatte, war er vor der Reise nach Moskau ein wenig im Nachteile, begann sich aber bald zu erheben. Er hielt es mit den Höfen von Wien, Sachsen und England, und meine und meiner Mutter Ankunft war ihm daher nicht angenehm, denn sie war das geheime Werk der ihm feindlich gesinnten Partei. Obgleich die Feinde des Grafen Bestuscheff sehr zahlreich waren, so zitterten doch alle vor ihm. Er hatte vor ihnen den Vorteil seiner Stellung und seines Charakters voraus, der ihn weit über die Politiker der Vorzimmer erhob.

Die Bestuscheff entgegengesetzte Partei stand auf seiten Frankreichs, seines Schützlings Schweden und des Königs von Preußen. Der Marquis de La Chétardie war ihre Seele, und die von Holstein gekommenen Hofleute waren ihre Matadore. Sie hatten Lestocq, einer der Hauptbeteiligten an der Revolution, welcher die Kaiserin Elisabeth auf den russischen Thron gebracht hatte, für sich gewonnen, und dieser war einer der ersten Vertrauten der Kaiserin. Seit dem Tode der Kaiserin Katharina I. war er Elisabeths Leibarzt gewesen, hatte der Mutter sowie der Tochter große Dienste geleistet, und es fehlte ihm weder an Geist, noch Schlauheit und Intrige, aber er war schlecht und von finsterem und bösem Charakter. Alle jene Fremden unterstützten diese Partei und drängten besonders den Grafen Michael Woronzow vor, der ebenfalls an der Revolution teilgenommen und Elisabeth in der Nacht, als sie den Thron bestieg, begleitet hatte. Sie hatte ihm die Nichte der Kaiserin Katharina I., Gräfin Anna Karlowna Skawronski, zur Frau gegeben, welche in der Nähe der Kaiserin Elisabeth erzogen und ihr sehr ergeben war. Auch Graf Alexander Rumianzoff, der Vater des Marschalls, stand auf seiten dieser Partei. Er hatte den Frieden von Abo mit Schweden unterzeichnet, einen Frieden, bei dem Bestuscheff wenig zu Rate gezogen worden war. Außerdem zählten sie den Generalprokurator Trubetzkoi, sowie die ganze Familie dieses Namens und folglich auch den Prinzen von Hessen-Homburg, der eine Prinzessin Trubetzkoi geheiratet hatte, zu ihren Anhängern. Obgleich damals sehr angesehen, war der Prinz von Hessen-Homburg eigentlich nichts durch sich selbst; sein ganzes Ansehen verdankte er nur der zahlreichen Familie seiner Frau, deren Vater und Mutter damals noch lebten, und von denen besonders die Mutter großen Einfluß auf den russischen Thron hatte.

Die übrige Umgebung der Kaiserin bestand damals aus der Familie Schuwaloff. Diese hielt in jeder Beziehung dem Oberjägermeister Razumowski das Gleichgewicht, der für den Augenblick der erklärte Günstling war.

Graf Bestuscheff wußte von ihnen Nutzen zu ziehen, aber seine Hauptstütze war der Baron Tscherkassoff, Kabinettssekretär der Kaiserin, der schon im Kabinett Peters I. gedient hatte. Er war ein roher und starrköpfiger Mensch, der Ordnung und Gerechtigkeit wollte und alles im gewohnten Gange zu halten wünschte. Der Rest des Hofes stellte sich auf die eine oder die andere Seite, je nach seinen persönlichen Interessen und Ansichten.

Wie es schien, freute sich der Großfürst über die Ankunft meiner Mutter und über die meinige sehr. Während der ersten Tage bewies er mir, der fast Fünfzehnjährigen, viele Aufmerksamkeiten. Aber während dieses kurzen Zeitraumes sah und begriff ich nur zu gut, daß er sich aus der Nation, über die er zu herrschen bestimmt war, sehr wenig machte, an seinem lutherischen Glauben festhielt, seine Umgebung nicht liebte und sehr kindisch war. Ich schwieg meist und hörte ihm zu, was mir sofort sein Vertrauen gewann. Dabei erinnere ich mich, daß er mir unter anderem auch sagte, was ihm am meisten an mir gefalle, sei, daß ich seine Cousine wäre und er mit mir als seiner Verwandten rückhaltslos sprechen könne. Darauf erzählte er mir, daß er in eine der Ehrendamen der Kaiserin verliebt sei, die nach dem Unglück ihrer Mutter, einer Madame Lapukin, welche nach Sibirien verdammt worden war, den Hof hätte verlassen müssen. Er habe sehr gewünscht, sie zu heiraten, sei aber jetzt fest entschlossen, sich mit mir zu vermählen, weil es seine Tante befehle. Errötend hörte ich diese verwandtschaftlichen Mitteilungen an und dankte ihm für sein vorzeitiges Vertrauen; aber im Grunde meines Herzens betrachtete ich mit Erstaunen seine Unvorsichtigkeit und den Mangel an Urteil über viele Verhältnisse.

Zehn Tage nach meiner Ankunft in Moskau, es war an einem Sonnabend, begab sich die Kaiserin ins Kloster Troitza, während der Großfürst bei uns in Moskau blieb. Man hatte mir schon drei Lehrer gegeben: Simon Theodorski, um mich in der griechischen Religion zu unterrichten, Basil Abaduroff für die russische Sprache und den Ballettmeister Laudé für den Tanz. Um schnellere Fortschritte in der russischen Sprache zu machen, stand ich des Nachts auf und lernte, während alles schlief, die mir von Abaduroff gegebenen Hefte auswendig. Da mein Zimmer warm war und ich keine Erfahrungen hinsichtlich des Klimas hatte, unterließ ich es, mir Schuhe und Strümpfe anzuziehen und studierte so wie ich aus dem Bett kam. In der Folge wurde ich nach vierzehn Tagen von einer Brustfellentzündung befallen, die mich hinwegzuraffen drohte. Sie begann am Dienstage nach der Abreise der Kaiserin mit einem Schüttelfroste, als ich mich eben angekleidet hatte, um mit meiner Mutter beim Großfürsten zu Mittag zu speisen. Nur mit Mühe erhielt ich von meiner Mutter die Erlaubnis, mich zu Bett zu legen. Als sie vom Diner zurückkehrte, fand sie mich fast besinnungslos, fieberhaft heiß und mit einem unerträglichen Schmerz in der Seite. Sie glaubte, ich würde die Pocken bekommen, schickte nach Aerzten und forderte, daß sie mich demgemäß behandelten. Die Aerzte behaupteten, man müsse mir zur Ader lassen, sie aber verweigerte ihre Zustimmung, weil man, wie sie sagte, durch Aderlaß ihren Bruder in Rußland an den Pocken habe sterben lassen, und sie wolle nicht, daß mir dasselbe geschähe. Die Aerzte und die Umgebung des Großfürsten, welche die Pocken nicht gehabt hatten, schickten nun einen genauen Bericht über den Stand der Dinge an die Kaiserin, während ich im Bette lag, umgeben von meiner Mutter und den Aerzten, die miteinander stritten, bewußtlos, im hitzigsten Fieber und mit einem Schmerz in der Seite, der mir furchtbare Leiden verursachte und Seufzer entriß, wofür meine Mutter mich schalt und von mir verlangte, daß ich meine Leiden geduldig ertrage.

Endlich am Sonnabend Abend um sieben Uhr, also am fünften Tage meiner Krankheit, kam die Kaiserin aus dem Kloster Troitza zurück. Sowie sie ihren Wagen verlassen hatte, begab sie sich in mein Zimmer, wo sie mich ohne Besinnung fand. Mit ihr kamen der Graf Lestocq und ein Wundarzt, und nachdem sie den Rat der Aerzte gehört, setzte sie sich selbst auf den Rand meines Bettes und befahl, mir sofort zur Ader zu lassen. In dem Augenblick, wo dies geschah, kam ich wieder zu mir und sah mich, als ich die Augen öffnete, in den Armen der Kaiserin, welche mich stützte. Siebenundzwanzig Tage schwebte ich zwischen Leben und Tod, während man mir sechzehnmal zur Ader ließ, und bisweilen viermal an einem Tage. Meine Mutter durfte kaum noch mein Zimmer betreten. Sie widersetzte sich fortwährend gegen diese häufigen Aderlässe und behauptete öffentlich, man wolle mich umbringen. Schließlich aber begann sie sich doch zu überzeugen, daß ich die Pocken nicht bekommen würde. Die Kaiserin hatte die Gräfin Rumianzoff und mehrere andere Damen zu mir geschickt, und es schien, als ob man dem Urteile meiner Mutter mißtraue. Endlich öffnete sich der innerliche Abszeß an meiner rechten Seite durch die Bemühungen des portugiesischen Arztes Sanches. Ich brach ihn aus, und von diesem Augenblick an kehrte mein Bewußtsein vollkommen zurück. Sofort aber bemerkte ich, daß das Benehmen meiner Mutter während meiner Krankheit ihr die Mißbilligung aller zugezogen hatte. Als sie mich sehr krank sah, wollte sie einen lutherischen Pastor zu mir rufen lassen, und man sagte mir später, daß man einen Augenblick, wo ich bei Bewußtsein war, benutzte, mir diesen Vorschlag zu machen, daß ich jedoch antwortete: »Wozu? schickt lieber nach Simon Theodorski; mit diesem will ich gerne sprechen.« Man holte ihn, und er sprach mit mir in Gegenwart der Anwesenden auf eine Weise, die jedermann befriedigte. Dies machte einen sehr guten Eindruck auf die Kaiserin und den ganzen Hof.

Aber noch ein anderer kleinerer Umstand schadete meiner Mutter sehr. Um Ostern ließ sie mir eines Morgens durch eine Kammerfrau sagen, ich möchte ihr einen blauen, silberdurchwirkten Stoff abtreten, den mir mein Onkel bei meiner Abreise nach Rußland geschenkt hatte, weil ich großen Gefallen daran fand. Ich ließ ihr erwidern, es stehe ganz bei ihr, ihn zu nehmen, obgleich ich ihn sehr liebe, weil ihn mir mein Onkel, als er gesehen, daß er mir gefalle, geschenkt habe. Da nun die Personen meiner Umgebung merkten, daß ich meinen Stoff nur ungern hergab, und bedachten, wie lange ich zwischen Leben und Tod geschwebt, und seit wie wenigen Tagen ich mich erst etwas besser fühlte, besprachen sie unter einander die Unklugheit meiner Mutter, einem sterbenden Kinde das geringste Vergnügen zu mißgönnen, während sie, statt diesen Stoff an sich zu reißen, ihn lieber gar nicht hätte erwähnen sollen. Man erzählte den Vorgang der Kaiserin, die mir auf der Stelle mehrere reiche und prächtige Stoffe schickte, unter andern auch einen blauen silberdurchwirkten. Meiner Mutter jedoch schadete dies bei ihr ungemein, und man beschuldigte sie, weder Zärtlichkeit noch Schonung für mich zu empfinden, während meiner Krankheit hatte ich mich daran gewöhnt, die Augen geschlossen zu halten, so daß man glaubte, ich schliefe; dann sprachen die Gräfin Rumianzoff und die andern Damen unter sich, was sie auf dem Herzen hatten, wodurch ich viele Dinge erfuhr.

Als es mir ein wenig besser ging, brachte der Großfürst den Abend im Zimmer meiner Mutter zu, welches auch das meinige war. Er und alle andern schienen das größte Interesse an meinem Zustande zu nehmen, und die Kaiserin hatte sogar oft Tränen in den Augen. Endlich, am 21. April 1744, meinem fünfzehnten Geburtstage, war ich imstande, zum ersten Male nach dieser schrecklichen Krankheit in Gesellschaft zu erscheinen.

Ich glaube, man war über meinen Anblick nicht sehr erbaut. Ich war mager wie ein Skelett geworden, war gewachsen, aber mein Gesicht und meine Züge hatten sich verlängert, die Haare fielen mir aus und ich war totenbleich. Ich selbst fand mich zum Erschrecken häßlich und konnte meine Züge kaum wiedererkennen. Die Kaiserin schickte mir auch deshalb einen Schminktopf und befahl mir, etwas Rot aufzulegen.

Mit dem Beginne des Frühlings und des schönen Wetters hörte die uns vom Großfürsten bewiesene Teilnahme auf. Er zog es vor, spazieren zu gehen oder in der Umgebung von Moskau zu schießen. Zuweilen jedoch aß er mit uns zu Mittag oder zu Abend und setzte dann seine kindischen Geständnisse gegen mich fort, während seine Umgebung sich mit meiner Mutter unterhielt. Diese empfing sehr viel Besuch und es fanden bei ihr häufig Unterredungen statt, welche den nicht daran Beteiligten äußerst mißfielen. Besonders war dies bei dem Grafen Bestuscheff der Fall, dessen Feinde sich bei uns versammelten, unter andern auch der Marquis de La Chétardie, der damals zwar noch keine offizielle Stellung im Staate einnahm, aber schon seine Beglaubigungsschreiben als Gesandter des französischen Hofes in der Tasche hatte.

Im Mai begab sich die Kaiserin wieder ins Kloster Troitza, wohin der Großfürst, ich und meine Mutter ihr folgten. Schon seit einiger Zeit begann die Kaiserin meine Mutter mit großer Kälte zu behandeln, und die Ursache davon sollten wir bald im Kloster Troitza erfahren. Eines Nachmittags, als der Großfürst in unserem Zimmer war, trat die Kaiserin plötzlich ein und forderte meine Mutter auf, ihr in das anstoßende Gemach zu folgen. Graf Lestocq begleitete sie beide, während der Großfürst und ich uns unterdessen ans Fenster setzten. Die Unterredung dauerte sehr lange. Endlich sahen wir den Grafen Lestocq heraustreten, der im Vorübergehen sich dem Großfürsten und mir näherte, und als er uns lachen sah, sagte: »Diese große Heiterkeit wird bald ein Ende haben.« Und dann, gegen mich gewandt, fuhr er fort: »Sie haben weiter nichts zu tun, als Ihr Gepäck in Ordnung zu bringen, denn Sie werden sofort nach Hause zurückkehren.« Als der Großfürst wissen wollte, weshalb, antwortete Lestocq: »Das werden Sie später erfahren.« Dann ging er hinaus, um seinen mir unbekannten Auftrag auszurichten, uns, den Großfürsten und mich, unsern Gedanken über das eben Gehörte überlassend. Die Bemerkungen des Großfürsten waren in Worten, die meinigen in Gedanken. Er sagte: »Aber wenn Ihre Mutter Fehler begangen hat, so haben Sie doch nicht auch welche begangen,« worauf ich ihm erwiderte: »Meine Pflicht ist, meiner Mutter zu folgen und zu tun, was sie mir befiehlt.« Uebrigens sah ich deutlich, daß er mich ohne großes Bedauern verlassen haben würde, was mich betraf, so war er mir bei seiner Sinnesart ziemlich gleichgültig, aber die Krone von Rußland war es mir nicht. – Endlich öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und die Kaiserin trat mit hochrotem Gesicht und erzürnter Miene heraus. Meine Mutter folgte ihr mit geröteten und tränenerfüllten Augen. Als wir uns beeilten, von der ziemlich hohen Fensterbank, auf die wir uns gesetzt hatten, hinabzuspringen, mußte die Kaiserin lächeln, küßte uns beide und ging. Nachdem sie sich entfernt hatte, erfuhren wir allmählich, um was es sich handelte.

Der Marquis de La Chétardie, der früher – oder besser gesagt, bei seiner ersten Gesandtschaftsreise nach Rußland – die Gunst und das Vertrauen der Kaiserin in hohem Maße besessen hatte, sah sich bei seiner zweiten Reise in seinen Hoffnungen getäuscht. In seinen Reden zwar mäßigte er sich, seine Briefe aber waren voll der bittersten Galle. Man hatte sie geöffnet und entziffert, in ihnen die Einzelheiten seiner Unterhaltungen mit meiner Mutter und vielen andern Personen über die Zeitverhältnisse und zwar in einem der Kaiserin ungünstigen Sinne entdeckt, und es war der Befehl erteilt worden, den Marquis de La Chétardie, der so wenig Diplomatie gezeigt, des Landes zu verweisen. Man nahm ihm den St. Andreasorden und das Porträt der Kaiserin, ließ ihm indes alle sonstigen Kostbarkeiten, die er einst von ihr zum Geschenk erhalten. Ich weiß indes nicht, ob es meiner Mutter gelang, sich vor der Kaiserin zu rechtfertigen, aber aus unserer Abreise wurde nichts. Meine Mutter jedoch wurde stets mit großer Zurückhaltung und Kälte behandelt. Es ist mir unbekannt, was zwischen ihr und de La Chétardie vorgefallen war, aber ich erinnere mich, daß er sich eines Tages an mich wandte und mich beglückwünschte, mein Haar mit Bändern