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Heinrich von Treitschke's Werk "Die Gründung des Deutschen Zollvereins" ist ein Meisterwerk der deutschen Geschichtsschreibung. In einer präzisen und detailreichen Darstellung beschreibt von Treitschke die historischen Ereignisse, die zur Gründung des Deutschen Zollvereins führten. Sein klarer und sachlicher Stil macht das Buch zu einem wichtigen Werk für jeden, der sich für die deutsche Geschichte interessiert. Von Treitschke gelingt es, komplexe politische Zusammenhänge verständlich darzulegen und dem Leser einen tiefen Einblick in die Entstehung des Zollvereins zu gewähren. Das Werk von Treitschke ist in seinem historischen Kontext von unschätzbarem Wert und liefert wichtige Einsichten in die Entstehung und Entwicklung des modernen Deutschlands.
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Ein Quellenbuch mit Urkunden, Briefen und sonstigen Aktenstücken zur Geschichte des Deutschen Zollvereins dürfte auf allgemeines Interesse kaum rechnen und müßte bei der Länge der Zeit, über die sich die Verhandlungen hinschleppten, nur ein kümmerlicher Torso sein, der niemand gefiele. Dagegen darf die klassische Darstellung, die Heinrich v. Treitschke in seiner Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert dieser größten Schöpfung der Friedensregierung Friedrich Wilhelms III. gewidmet hat, selbst den Wert einer Quelle beanspruchen, da sie auf einem umfassenden Studium aller in Betracht kommenden Akten und Briefwechsel beruht, von denen die wenigsten der wissenschaftlichen Forschung bisher durch den Druck zugänglich gemacht sind.
Im folgenden sind die in Betracht kommenden Kapitel der Deutschen Geschichte mit geringen Auslassungen, die vom Leser wohl nirgends als Lücken empfunden werden dürften, mit freundlich gewährter Erlaubnis der Verlagsbuchhandlung zu einer Einheit zusammengefaßt und wirken in dieser Form fast wuchtiger als in der Verstreuung über drei dicke Bände, wie sie der chronologische Aufbau des alle Seiten des deutschen Lebens umspannenden Werkes mit sich bringt. Sie reden eine so eindringliche Sprache von einer jammervollen Vergangenheit deutschen Kleinlebens, daß man nur wünschen kann, daß die Stimme des tapferen Rufers im Streit für nationale Einigung auch weiterhin gehört werde, nachdem ihn selbst schon seit Jahren der kühle Rasen deckt.
Leipzig, 19. Mai 1913.
Horst Kohl.
In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die Umgestaltung des alten preußischen Akzisewesens wenig geschehen; man hatte sich begnügt, dem flachen Lande mehrere städtische Steuern aufzulegen und in Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaren gegen eine Akzise von 8 1⁄3 Prozent des Wertes zu gestatten. Daneben bestanden in den alten Provinzen noch 67 verschiedene Tarife, nahezu 3000 Warenklassen umfassend; außerdem die kursächsische Generalakzise im Herzogtum Sachsen, das schwedische Zollwesen in Neuvorpommern, in den Rheinlanden endlich seit Aufhebung der napoleonischen Douanen ein schlechterdings anarchischer Zustand. Und diese unerträgliche Belästigung des Verkehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotischen Geldwesen zeigte sich die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Posen und Pommern mußten 48, in den Provinzen links von der Elbe 71 fremde Geldsorten amtlich anerkannt und tarifiert werden. Schon längst bemerkte der König mit Besorgnis, wie schwer der gesetzliche Sinn des Volkes durch die Fortdauer des überlebten Prohibitivsystems geschädigt wurde. Seit die bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande sich ansiedelten, nahm der Schmuggel einen ungeheuren Aufschwung. Im Jahre 1815 versteuerte jeder Materialwarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund Kaffee.
Auch die unhaltbaren Verhältnisse an der Ostgrenze mahnten zu rascher Tat. Sobald Preußen, Polen und Rußland im März 1816 zu Warschau wegen der Ausführung des Wiener Vertrages vom 3. Mai 1815 zu verhandeln begannen, stellte sich bald heraus, daß Hardenberg in Wien von dem Fürsten Czartoryski überlistet worden war. Die scheinbar so harmlosen Bestimmungen des Vertrags über die freie Durchfuhr und den freien Verkehr mit den Landeserzeugnissen aller vormals polnischen Landschaften legten dem preußischen Staate fast nur Pflichten auf, da sein Gebiet das Durchfuhrland bildete. Um der Abrede buchstäblich zu genügen, hätte Preußen seine polnischen Provinzen von dem übrigen Staatsgebiete durch eine Zollinie trennen müssen, während Rußland, dem Vertrage zuwider, seine alte Zollgrenze, die das polnische Litauen von Warschau abschied, unverändert ließ und auch Österreich sich keineswegs geneigt zeigte, seinen polnischen Kronlanden handelspolitische Selbständigkeit zuzugestehen. Die polnischen Unterhändler sahen in dem Vertrage ein willkommenes Mittel, um durch die Ansiedlung von Handelsagenten und Kommissionären ihre nationale Propaganda in Preußens polnische Gebiete hineinzutragen. Sie erdreisteten sich, der Krone Preußen geradezu die unbeschränkte Souveränität über Danzig zu bestreiten, und stellten so übermütige Forderungen, daß der König mit einer entschiedenen Ablehnung antwortete, als Zar Alexander nach seiner Gewohnheit versuchte, die Ansprüche der Polen durch einen zärtlichen Freundesbrief zu unterstützen. Der unerquickliche Verlauf dieser Verhandlungen zwang zu dem Entschlusse, die polnischen Landschaften den übrigen Provinzen des Ostens völlig gleichzustellen. Auf der anderen Seite lehrten die Frankfurter Erfahrungen, daß ein Bundeszollgesetz ganz unmöglich war und Preußen mithin zunächst im eigenen Hause Ordnung schaffen mußte.
Im Jahre 1816 erfolgten die ersten vorbereitenden Schritte. Das Verbot der Geldausfuhr ward aufgehoben, das Salzregal in allen Provinzen gleichmäßig eingeführt; dann sprach die Verordnung vom 11. Juni die Aufhebung der Wasser-, Binnen- und Provinzialzölle als Grundsatz aus und verhieß die Einführung eines allgemeinen und einfachen Grenzzollsystems. Zu Anfang des folgenden Jahres war der Entwurf für das neue Zollgesetz beendigt. Sobald aber von den reformatorischen Absichten des Entwurfs Einiges ruchbar ward, erscholl der Notschrei der geängstigten Produzenten weithin durch das Land. Leidenschaftliche Eingaben der Baumwoll- und Kattunfabrikanten aus Schlesien und Berlin, die doch allesamt unter der bestehenden Unordnung schwer litten, bestätigten die alte Wahrheit, daß die Selbstsucht der Menschen der schlimmste Feind ihres eigenen Interesses ist. Der Lärm ward so bedrohlich, daß der König für nötig hielt, zunächst eine Spezialkommission mit der Prüfung dieser Vorstellungen zu beauftragen. Hier errang die alte friderizianische Schule noch einmal die Oberhand. Der Vorsitzende, Oberpräsident v. Heydebreck, betrachtete als höchste Aufgabe der Handelspolitik »das Numeraire dem Lande zu konservieren«; die Mehrheit beschloß, der Krone die Wiederherstellung des Verbotsystems, wie es bis zum Jahre 1806 bestanden, anzuraten. Aber zugleich mit diesem Bericht ging auch ein geharnischtes Minderheitsgutachten ein, verfaßt von Staatsrat Kunth, dem Erzieher der Gebrüder Humboldt, einem selbstbewußten Vertreter des altpreußischen Beamtenstolzes, der das gute Recht der Bureaukratie oftmals gegen die aristokratische Geringschätzung seines Freundes Stein verteidigte. Mit den Zuständen des Fabrikwesens aus eigener Anschauung gründlich vertraut, lebte und webte er in den Gedanken der neuen Volkswirtschaftslehre. »Eigentum und Freiheit, darin liegt alles; es gibt nichts anderes« — so lautete sein Kernspruch. Als das ärgste Gebrechen der preußischen Industrie erschien ihm die erstaunlich mangelhafte Bildung der meisten Fabrikanten, eine schlimme Frucht des Übergewichts der gelehrten Klassen, welche nur durch den Einfluß des auswärtigen Wettbewerbs allmählich beseitigt werden konnte; waren doch selbst unter den ersten Fabrikherren Berlins viele, die kaum notdürftig ihren Namen zu schreiben vermochten.
Kunths Gutachten fand im Staatsrate fast ungeteilte Zustimmung; es ließ sich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung der Handelsverbote nur die notwendige Ergänzung der Reformen von 1808 bildete. Als das Plenum des Staatsrats am 3. Juli über das Zollgesetz beriet, sprachen die politischen Gegner Gneisenau und Schuckmann einmütig für die Befreiung des Verkehrs. Oberpräsident Merckel und Geh. Rat Ferber, ein aus dem sächsischen Dienste herübergekommener trefflicher Nationalökonom, führten aus, daß dem Notstande des Gewerbefleißes in Schlesien und Sachsen nur durch die Freiheit zu begegnen sei; und zuletzt stimmten von 56 Anwesenden nur drei gegen das Gesetz: Heydebreck, Ladenberg und Geh Rat Beguelin. Am 1. August genehmigte der König von Karlsbad aus »das Prinzip der freien Einfuhr für alle Zukunft«. Nun folgten neue peinliche Verhandlungen, da es anfangs unmöglich schien, die neue Ordnung gleichzeitig in den beiden Hälften des Staatsgebiets einzuführen. Endlich, am 26. Mai 1818, kam das Zollgesetz für die gesamte Monarchie zustande.
Sein Verfasser war der Generaldirektor Karl Georg Maaßen1, ein Beamter von umfassenden Kenntnissen, mit Leib und Seele in den Geschäften lebend, ein Mann, der hinter kindlich anspruchslosen Umgangsformen den kühnen Mut des Reformers, eine tiefe und freie Auffassung des sozialen Lebens verbarg. Aus Cleve gebürtig, hatte er zuerst als preußischer Beamter in seiner Heimat, dann eine Zeitlang im bergischen Staatsdienste die Großindustrie des Niederrheins, nachher bei der Potsdamer Regierung die Volkswirtschaft des Nordostens kennen und also die Theorien Adam Smiths2, denen er von frühauf huldigte, durch vielseitige praktische Erfahrung zu ergänzen gelernt. So ging er auch beim Entwerfen des Zollgesetzes nicht von einer fertigen Doktrin aus, sondern von drei Gesichtspunkten der praktischen Staatskunst. Die Aufgabe war: zunächst in der gesamten Monarchie durch Befreiung des inneren Verkehrs eine lebendige Gemeinschaft der Interessen zu begründen, sodann dem Staate neue Einnahmequellen zu eröffnen, endlich dem heimischen Gewerbefleiß einen mächtigen Schutz gegen die englische Übermacht zu gewähren und ihm doch den heilsamen Stachel des ausländischen Wettbewerbs nicht gänzlich zu nehmen. Wo die Wünsche der Industrie den Ansprüchen der Staatskassen widersprachen, da mußte das Interesse der Finanzen vorgehen; dies gebot die Bedrängnis des Staatshaushalts.
Die beiden ersten Paragraphen des Gesetzes verkündigten die Freiheit der Ein-, Aus- und Durchfuhr für den ganzen Umfang des Staates. Damit wurde die volle Hälfte des nichtösterreichischen Deutschlands zu einem freien Marktgebiete vereinigt, zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft, welche, wenn sie die Probe bestand, sich auch über die andere Hälfte der Nation erweitern konnte. Denn die schroffsten Gegensätze unseres vielgestaltigen sozialen Lebens lagen innerhalb der preußischen Grenzen. War es möglich, Posen und das Rheinland ohne Schädigung ihrer wirtschaftlichen Eigenart derselben wirtschaftlichen Gesetzgebung zu unterwerfen, so war schon erwiesen, daß diese Gesetze mit einigen Änderungen auch für Baden und Hannover genügen mußten. Preußen hatte sich — so sagte Maaßen oftmals — genau die nämlichen Fragen vorzulegen wie alle die anderen deutschen Staaten, welche ernstlich nach Zolleinheit verlangten, und konnte, wegen der Mannigfaltigkeit seiner wirtschaftlichen Interessen, leichter als jene die richtige Antwort finden. Aber die Ausführung des Gedankens, die Verlegung der Zölle an die Grenzen des Staates war in Preußen schwieriger als in irgendeinem anderen Reiche; sie erschien zuerst vielen ganz unausführbar. Man sollte eine Zollinie von 1073 Meilen bewachen, je eine Grenzmeile auf kaum fünf Geviertmeilen des Staatsgebiets, und zwar unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen, da die kleinen deutschen Staaten, die mit dem preußischen Gebiete im Gemenge lagen, zumeist noch kein geordnetes Zollwesen besaßen, ja sogar den Schmuggel grundsätzlich begünstigten. Solche Bedrängnis veranlaßte die preußischen Finanzmänner zur Aufstellung eines einfachen übersichtlichen Tarifs, der die Waren in wenige große Klassen einordnete. Eine umfängliche, verwickelte Zollrolle, wie sie in England oder Frankreich bestand, erforderte ein zahlreiches Beamtenpersonal, das in Preußen den Ertrag der Zölle verschlungen hätte. Durch denselben Grund wurde Maaßen bewogen, die Erhebung der Zölle nach dem Gewichte der Waren vorzuschlagen, während in allen anderen Staaten das von der herrschenden Theorie allein gebilligte System der Wertzölle galt. Die Abstufung der Zölle nach dem Werte würde die Kosten der Zollverwaltung unverhältnismäßig erhöht haben; zudem lag in der hohen Besteuerung kostbarer Waren eine starke Versuchung zum Schmuggelhandel, welche ein Staat von so schwer zu bewachenden Grenzen nicht ertragen konnte.
Auch in der großen Prinzipienfrage der Handelspolitik gab die Rücksicht auf die Finanzen den Ausschlag. Der Staat hatte die Wahl zwischen zwei Wegen. Man konnte entweder nach Englands und Frankreichs Beispiel Prohibitivzölle einführen, um diese sodann als Unterhandlungsmittel gegen die Westmächte zu benutzen und also Zug um Zug durch Differentialzölle zur Erleichterung des Verkehrs zu gelangen; oder man wagte sogleich in Preußen ein System mäßiger Zölle zu gründen, in der Hoffnung, daß die Natur der Dinge die großen Nachbarreiche dereinst in dieselbe Bahn drängen werde. Maaßen fand den Mut, den letzteren Weg zu wählen, vornehmlich, weil der zweifelhafte Ertrag aus hohen Schutzzöllen dem Bedürfnis der Staatskassen nicht genügen konnte. Verboten wurde allein die Einfuhr von Salz und Spielkarten; die Rohstoffe blieben in der Regel abgabenfrei oder einem ganz niedrigen Zolle unterworfen. Von den Manufakturwaren sollte ein mäßiger Schutzzoll erhoben werden, nicht über 10 Prozent, ungefähr der üblichen Schmuggelprämie entsprechend. Die Kolonialwaren dagegen unterlagen einem ergiebigen Finanzzolle, bis zu 20 Prozent, da Preußen an seiner leicht zu bewachenden Seegrenze die Mittel besaß, diese Produkte wirksam zu besteuern.
Dies freieste und reifste staatswirtschaftliche Gesetz des Zeitraums wich von den herrschenden Vorurteilen so weit ab, daß man im Auslande anfangs über die gutmütige Schwäche der preußischen Doktrinäre spottete. Den Staatsmännern der absoluten Monarchie fällt ein undankbares entsagungsvolles Los. Wie laut preist England heute seinen William Huskisson3, one of the world's great spirits; alle gesitteten Völker bewundern die Freihandelsreden des großen Britten. Der Name Maaßens aber ist bis zur Stunde in seinem eigenen Vaterlande nur einem engen Gelehrtenkreise vertraut. Und doch hat die große Freihandelsbewegung unseres Jahrhunderts nicht in England, sondern in Preußen ihren ersten bahnbrechenden Erfolg errungen. Das wiederhergestellte französische Königtum hielt in dem Tarife von 1816 die strengen napoleonischen Prohibitivzölle gegen fremde Fabrikwaren hartnäckig fest. Die Selbstsucht der Emigranten fügte noch schwere Zölle auf die Erzeugnisse des Landbaues, namentlich auf Schlachtvieh und Wolle, hinzu. Auch in England war nur ein Teil des Handelsstandes für die Lehren der Verkehrsfreiheit gewonnen. Noch stand der Grundherr treu zu den hohen Kornzöllen, der Reeder zu Cromwells Navigationsakte4, der Fabrikant zu dem harten Prohibitivsysteme; noch urteilte die Mehrzahl der Gebildeten wie einst Burke5 über Adam Smith: solche abstrakte Theorien sind gut genug für das stille Katheder von Glasgow6. Erst das kühne Vorgehen der Berliner Staatsmänner ermutigte die englischen Freihändler, mit ihrer Meinung herauszurücken. Auf das »glänzende Beispiel, welches Preußen der Welt gegeben«, berief sich die freihändlerische Petition der Londoner City, welche Baring im Mai 1820 dem Parlamente übergab. An Preußen dachte Huskisson, als er seinen berühmten Satz aufstellte: »Der Handel ist nicht Zweck, er ist das Mittel, Wohlstand und Behagen unter den Völkern zu verbreiten« und seinem Volke zurief: »Dies Land kann nicht still stehen, während andere Länder vorschreiten in Bildung und Gewerbefleiß«.
Den freihändlerischen Ansichten der preußischen Staatsmänner genügte das neue Gesetz nicht völlig. Man ahnte im Finanzministerium wohl, daß der weitaus größte Teil des Zollertrags allein von den gangbarsten Kolonialwaren aufgebracht werden und die Staatskasse von anderen Zöllen nur geringen Vorteil ziehen würde. Aber man sah auch, daß jedem Steuersystem durch die Gesinnung der Steuerpflichtigen feste Schranken gezogen sind; die öffentliche Meinung jener Tage würde der Regierung nie verziehen haben, wenn sie den Kaffee besteuert, den Tee frei gelassen hätte. Maaßen verwarf jede einseitige Begünstigung eines Zweiges der Produktion, er rechnete auf das Ineinandergreifen von Ackerbau, Gewerbe und Handel und betrachtete die Schutzzölle nur als einen Notbehelf, um die deutsche Industrie allmählich zu Kräften kommen zu lassen. Schon bei der ersten Revision des Tarifs im Jahre 1821 tat man einen Schritt weiter im Sinne des Freihandels, vereinfachte den Tarif und setzte mehrere Zölle herab. Während das Gesetz von 1818 für die westlichen Provinzen einen eigenen Tarif mit etwas niedrigeren Sätzen aufgestellt hatte, fiel jetzt der Unterschied zwischen den Provinzen hinweg; die Zollrolle von 1812 bildete in Form und Einrichtung die Grundlage für alle späteren Tarife des Zollvereins.
Derweil der Staatsrat diese Reform zum Abschluß brachte, erging sich die unreife nationalökonomische Bildung der Zeit in widersprechenden Klagen. Die Massen meinten die Verteuerung des Lebensunterhalts nicht ertragen zu können, die Fabrikanten sahen »dem englischen Handelsdespotismus« Tür und Tor geöffnet und bestürmten den Thron abermals mit so verzweifelten Bittschriften, daß der König, obwohl selbst mit Maaßens Plänen ganz einverstanden, doch eine nochmalige Prüfung des schon unterschriebenen Gesetzes befahl. Erst am 1. September 1818 wurde das Zollgesetz veröffentlicht, erst zu Neujahr 1819 traten die neuen Grenzzollämter in Tätigkeit. Am 8. Februar 1819 erschien das ergänzende Gesetz über die Besteuerung des Konsums inländischer Erzeugnisse, wonach nur Wein, Bier, Branntwein und Tabaksblätter einer Steuer unterlagen, die ohne unmittelbare Belästigung der Verzehrer von den Produzenten zu erheben war.
Die neue Gesetzgebung hielt im ganzen sehr glücklich die Mitte zwischen Handelsfreiheit und Zollschutz. Nur nach einer Richtung hin wich sie auffällig ab von den Grundsätzen des gemäßigten Freihandels: sie belastete den Durchfuhrhandel unverhältnismäßig schwer. Der Zentner Transitgut zahlte im Durchschnitt einen halben Taler Zoll, auf einzelnen wichtigen Handelsstraßen noch weit mehr — sicherlich eine sehr drückende Last für ordinäre Güter, zumal wenn sie das preußische Gebiet mehrmals berührten. Die nächste Veranlassung zu dieser Härte lag in dem Bedürfnis der Finanzen. Preußen beherrschte einige der wichtigsten Handelsstraßen Mitteleuropas: die Verbindung Hollands mit dem Oberlande, die alten Absatzwege des polnischen Getreides, den Verkehr Leipzigs mit der See, mit Polen, mit Frankfurt. Man berechnete, daß die volle Hälfte der in Preußen eingehenden Waren dem Durchfuhrhandel angehörte. Die erschöpfte Staatskasse war nicht in der Lage, diesen einzigen Vorteil, den ihr die unglückliche langgestreckte Gestalt des Gebiets gewährte, aus der Hand zu geben. Überdies stimmten alle Kenner des Mautwesens überein in der für jene Zeit wohlbegründeten Meinung, daß nur durch Besteuerung der Durchfuhr der finanzielle Ertrag des Grenzzollsystems gesichert werden könne. Gab man den Transit völlig frei, so wurde dem Unterschleif Tür und Tor geöffnet, ein ungeheurer Schmuggelhandel von Hamburg, Frankfurt, Leipzig her geradezu herausgefordert, das ganze Gelingen der Reform in Frage gestellt. Die unbillige Höhe der Durchfuhrzölle aber und das zähe Festhalten der Regierung an diesen für die deutschen Nachbarlande unleidlichen Sätzen erklärt sich nur aus politischen Gründen. Der Transitzoll diente dem Berliner Kabinett als ein wirksames Unterhandlungsmittel, um die deutschen Kleinstaaten zum Anschluß an die preußische Handelspolitik zu bewegen.
Von jenem Traumbilde einer gesamtdeutschen Handelspolitik, das während des Wiener Kongresses den preußischen Bevollmächtigten vorgeschwebt hatte, war man in Berlin längst zurückgekommen. Die Unmöglichkeit solcher Pläne ergab sich nicht bloß aus der Nichtigkeit der Bundesverfassung, sondern auch aus den inneren Verhältnissen der Bundesstaaten. Hardenberg7 wußte, daß der Wiener Hof an seinem altväterlichen Provinzialzollsystem nichts ändern wollte und seine nichtdeutschen Kronländer einem Bundeszollwesen schlechterdings nicht unterordnen konnte. Aber auch das übrige Deutschland bewahrte noch viele Trümmer aus der schmählichen kosmopolitischen Epoche unserer Vergangenheit. Noch war Hannover von England, Schleswig-Holstein von Dänemark abhängig, noch stand Luxemburg in unmittelbarer geographischer Verbindung mit dem niederländischen Gesamtstaate. Wie war ein gesamtdeutsches Zollwesen denkbar, so lange diese Fremdherrschaft währte? Auch die Verfassung mehrerer Bundesstaaten bot unübersteigliche Hindernisse. Die preußische Zollreform ruhte auf dem Gedanken des gemeinen Rechts. Wer durfte erwarten, daß der mecklenburgische Adel auf seine Zollfreiheit, der sächsische auf die mit den ständischen Privilegien fest verkettete Generalakzise verzichten würde, so lange die ständische Oligarchie in diesen Landen ungestört herrschte? Wie war es möglich, die preußischen Zölle, welche die Einheit des Staatshaushalts voraussetzten, in Hannover einzuführen, wo noch die Königliche Domänenkasse und die ständische Steuerkasse selbständig nebeneinander standen? Das Zollwesen hing überdies eng zusammen mit der Besteuerung des inländischen Konsums; nur wenn die Kleinstaaten sich entschlossen, das System ihrer indirekten Steuern auf preußischen Fuß zu setzen oder doch dem preußischen Muster anzunähern, war eine ehrliche Gegenseitigkeit, eine dauernde Zollgemeinschaft zwischen ihnen möglich. Und ließ sich solche Opferwilligkeit erwarten in jenem Augenblick, da der Rheinbund und das Ränkespiel des Wiener Kongresses den selbstsüchtigen Dünkel der Dynastien krankhaft aufgeregt und jeder Scham entwöhnt hatten? Selbst jene Staaten, denen redlicher Wille nicht fehlte, konnten gar nicht sofort auf die harten Zumutungen eingehen, welche Preußen ihnen stellen mußte, um sich den Ertrag seiner Zölle zu sichern. Man mußte, so gestand Eichhorn8 späterhin, sich erst orientieren in der veränderten Lage, die nationalökonomischen Bedürfnisse des eigenen Landes und die zur Deckung der Staatsausgaben notwendigen Opfer überschlagen; bevor man hierüber ins Klare gekommen, konnte man sich von einer gemeinsamen Beratung keinen Erfolg versprechen, am wenigsten von einer Beratung für ganz Deutschland am Bundestag.
Wie die Dinge lagen, mußte Preußen selbständig vorgehen, ohne jede schonende Rücksicht für die deutschen Nachbarn. Unter den gemütlichen Leuten herrschte die Ansicht vor, Preußen solle die Binnengrenzen gegen Deutschland offen halten und allein an den Grenzen gegen das Ausland Zölle erheben. Der kindische Vorschlag hätte, ausgeführt, jede Grenzbewachung unmöglich gemacht, die finanziellen wie die volkswirtschaftlichen Zwecke der Zollreform völlig vereitelt. Selbst eine mildere Besteuerung deutscher Produkte war unausführbar. Gerade die deutschen Kleinstaaten mit ihren verzwickten, mangelhaft oder gar nicht bewachten Grenzen mußten der preußischen Staatskasse als die gefährlichsten Gegner erscheinen. Ursprungszeugnisse, von solchen Behörden ausgestellt, boten den genauen Rechnern der Berliner Bureaus keine genügende Sicherheit. Jede Erleichterung, die an diesen Grenzen eintrat, ermutigte den Unterschleif, so lange nicht eine geordnete Zollverwaltung in den kleinen Nachbarstaaten bestand. Noch mehr: gewährte Preußen den deutschen Staaten Begünstigungen, so griff das Ausland unfehlbar zu Retorsionen9, und der Staat wurde allmählich in ein Differentialzollsystem hineingetrieben, das den Absichten seiner Staatsmänner schnurstracks zuwiderlief. Differentialzölle erschienen dem Finanzministerium noch weit bedenklicher als Schutzzölle, da diese den Verkehr belasteten zugunsten der einheimischen, jene zum Vorteil der ausländischen Produzenten.
Es war nicht anders: sollte das neue Zollsystem überhaupt ins Leben treten, so mußten alle nichtpreußischen Waren zuvörderst auf gleichem Fuß behandelt werden. Allerdings wurden dadurch die deutschen Nachbarn sehr hart getroffen. Sie waren gewohnt, einen schwunghaften Schmuggelhandel nach Preußen hinüber zu führen; jetzt trat die strenge Grenzbewachung dazwischen. Die Zollinien an den Grenzen der neuen Provinzen störten vielfach altgewohnten Verkehr. Das Königreich Sachsen litt schwer, als die preußischen Zollschranken dicht vor den Toren Leipzigs aufgerichtet wurden. Die kleinen rheinischen Lande sahen nahe vor Augen das beginnende Erstarken der preußischen Volkswirtschaft; was drüben ein Segen, ward hüben zur Last. Begreiflich genug, daß gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft Preußens die Mißstimmung überhand nahm. Auch die Einrichtung der Gewichtszölle war für die deutschen Nachbarstaaten unverhältnismäßig lästig, da das Ausland zumeist feinere, Deutschland gröbere Waren in Preußen einzuführen pflegte.
Indes, wenn es nicht anging, den Kleinstaaten sofort Begünstigungen zu gewähren, so war doch die Zollreform von Haus aus darauf berechnet, die deutschen Nachbarn nach und nach in den preußischen Zollverband hineinzuziehen. »Die Unmöglichkeit einer Vereinigung für den ganzen Bund erkennend, suchte Preußen durch Separatverträge sich diesem Ziele zu nähern« — mit diesen kurzen und erschöpfenden Worten hat Eichhorn zehn Jahre später den Grundgedanken der preußischen Handelspolitik bezeichnet. Die Zerstückelung seines Gebietes zwang den Staat, deutsche Politik zu treiben, machte ihm auf die Dauer unmöglich, sich selbst genügsam abzuschließen, seine Verwaltung zu ordnen ohne Verständigung mit den deutschen Nachbarlanden. Ein großer Teil der thüringischen Besitzungen Preußens, 41 Geviertmeilen, mußte vorderhand aus der Zollinie ausgeschlossen bleiben. Es war eine unabweisbare Notwendigkeit, die Zollschranken mindestens so weit hinauszuschieben, daß das gesamte Staatsgebiet gleichmäßig besteuert werden konnte. In dem Zollgesetz selber (§ 5) war die Absicht erklärt, durch Handelsverträge den wechselseitigen Verkehr zu befördern. Die harte Besteuerung der Durchfuhr gab diesem Winke fühlbaren Nachdruck. Noch bestimmter sprach sich Hardenberg über die Absicht des Gesetzes aus, schon ehe es in Kraft trat. Als die Fabrikanten von Rheidt und anderen rheinischen Plätzen den Staatskanzler um Beseitigung der deutschen Binnenzölle baten, gab er die Antwort (3. Juni 1818): die Vorteile, welche aus der Vereinigung mehrerer deutscher Staaten zu einem gemeinschaftlichen Fabrik- und Handelssystem hervorgehen können, seien der Regierung nicht unbekannt; mit steter Rücksicht hierauf sei der Plan des Königs zur Reife gediehen. »Es liegt ganz im Geiste dieses Planes, ebensowohl auswärtige Beschränkungen des Handels zu erwidern, als Willfährigkeit zu vergelten und nachbarliches Anschließen an ein gemeinsames Interesse zu befördern«. Ebenso erklärte er den Elberfeldern: die preußischen Zollinien sollten dazu dienen, »eine allgemeine Ausdehnung oder sonstige Vereinigung vorzubereiten«.
Damit wurde deutlich angekündigt, daß der Staat, der seit langem das Schwert des alten Kaisertums führte, jetzt auch die handelspolitischen Reformgedanken der Reichspolitik des sechzehnten Jahrhunderts wieder aufnahm und bereit war, der Nation nach und nach die Einheit des wirtschaftlichen Lebens zu schaffen, welche ihr im ganzen Verlaufe ihrer Geschichte immer gefehlt hatte. Er dachte dies Ziel, das sich nicht mit einem Sprunge erjagen ließ, schrittweis, in bedachtsamer Annäherung, durch Verträge von Staat zu Staat zu erreichen. Mars und Merkur sind die Gestirne, welche in diesem Jahrhundert der Arbeit das Geschick der Staaten vornehmlich bestimmen. Das Heerwesen und die Handelspolitik der Hohenzollern bildeten fortan die beiden Rechtstitel, auf denen Preußens Führerstellung in Deutschland ruhte. Und diese Handelspolitik war ausschließlich das Werk der Krone und ihres Beamtentums. Sie begegnete, auch als ihre letzten Ziele sich späterhin völlig enthüllten, regelmäßig dem verblendeten Widerstande der Nation. Im Zeitalter der Reformation war die wirtschaftliche Einigung unseres Vaterlandes an dem Widerstande der Reichsstädte gescheitert; im 19. Jahrhundert ward sie recht eigentlich gegen den Willen der Mehrzahl der Deutschen von neuem begonnen und vollendet.
Im Kampfe gegen das preußische Zollgesetz hielten alle deutschen Parteien zusammen, Kotzebues Wochenblatt so gut wie Ludens Nemesis. Vergeblich widerlegte J. G. Hoffmann10 in der Preußischen Staatszeitung mit überlegener Sachkenntnis das fast durchweg wertlose nationalökonomische Gerede der Presse. Dieselben Schutzzöllner, die um Hilfe riefen für die deutsche Industrie, schalten zugleich über die unerschwinglichen Sätze des preußischen Tarifs, der doch jenen Schutz gewährte. Dieselben Liberalen, die den Bundestag als einen völlig unbrauchbaren Körper verspotteten, forderten von dieser Behörde eine schöpferische handelspolitische Tat. Wenn Hoffmann nachwies, daß das neue Gesetz eine Wohltat für Deutschland sei, so erwiderten Pölitz, Krug und andere sächsische Publizisten, kein Staat habe das Recht, seinen Nachbarn Wohltaten aufzudrängen. Alberne Jagdgeschichten wurden mit der höchsten Bestimmtheit wiederholt und von der Unwissenheit der Leser begierig geglaubt. Da hatte ein armer Höker aus dem Reußischen, als er seinen Schubkarren voll Gemüse zum Leipziger Wochenmarkt fuhr, einen Taler Durchfuhrzoll an die preußische Maut zahlen müssen — nur schade, daß Preußen von solchen Waren gar keinen Zoll erhob. Auch die Sentimentalität ward gegen Preußen ins Feld geführt; sie findet sich ja bei den Deutschen immer ein, wenn ihnen die Gedanken ausgehen. Da war gleich am ersten Tage, als das unselige Gesetz in Kraft trat, ein Zollbeamter zu Langensalza von einem gothaischen Patrioten im Rausche heiligen Zornes erstochen worden; der Mann hatte sich aber selbst entleibt. Da hieß es wehmütig, König Friedrich Wilhelm hege wohl menschenfreundliche Absichten, aber »finanzielle Rücksichten vergiften die besten Maßregeln«; für die harte Notwendigkeit dieser finanziellen Rücksichten hatte man kein Auge. Die ersehnte Einheit des deutschen Marktes — darüber bestand unter den liberalen Patrioten kein Streit — konnte nur gelingen, wenn die bereits vollzogene Einigung der Hälfte Deutschlands wieder zerstört wurde.
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. II, 211 ff. — Die Anmerkungen sind vom Herausgeber beigefügt.
1.
Geb. 23. August 1769, gest. 2. November 1834.
2.
Adam Smith, geb. 1723, gest. 1790, ist als der Begründer der neueren Nationalökonomie zu betrachten; er vertrat die Lehre, daß es in wirtschaftlichen Dingen Aufgabe des Staates sei, das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte durch Beseitigung entgegenstehender Hemmnisse zu fördern.
3.
Geb. 11. März 1770, gest. am 15. September 1830 an den schweren Verletzungen, die er sich bei Eröffnung der zwischen Liverpool und Manchester erbauten Eisenbahn dadurch zuzog, daß er beim Einsteigen unter die Räder fiel. Im Ministerium Canning war er Staatssekretär für die Kolonien.
4.
Die Navigationsakte vom 9. Oktober 1651 gestattete die Einfuhr von Waren aus Afrika, Asien und Amerika nur unter englischer Flagge, die Einfuhr von europäischen Waren nur durch englische Schiffe oder Schiffe des erzeugenden Landes. Damit wurde der holländische Zwischenhandel ausgeschaltet. Erst 1849 wurde die Akte aufgehoben.
5.
Edmund Burke, geb. 1729, gest. 9. Juli 1797, hervorragender englischer Politiker und Staatsmann.
6.
Adam Smith war von 1751 ab eine Reihe von Jahren als Professor der Logik und der Moral an der Universität zu Glasgow tätig.
7.
Karl August, Fürst von Hardenberg, geb. 31. Mai 1750, gest. 26. Nov. 1822, seit Juni 1810 bis an seinen Tod preußischer Staatskanzler.
8.
Joh. Albrecht Friedrich Eichhorn, geb. 2. März 1779, gest. 16. Januar 1856, war als Direktor der zweiten Abteilung des Ministeriums des Äußeren besonders für die Entwicklung des Zollvereins tätig. Von 1840–48 kämpfte er als Kultusminister für die Erhaltung der kirchlichen Rechtgläubigkeit gegen die freiheitlichen Bestrebungen der Lichtfreunde.
9.
Zwangsmaßregeln.
10.
Joh. Gottfr. Hoffmann, geb. 19. Juli 1765, gest. 12. November 1847, hervorragender Nationalökonom und Begründer der wissenschaftlichen Statistik.
Alles historische Werden entspringt der beständigen Wechselwirkung zwischen dem bewußten Menschenwillen und den gegebenen Zuständen. Wie die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die Willenskraft eines großen, die Zeichen der Zeit verstehenden Mannes verwirklicht werden kann, so finden auch die Sünden und Irrtümer der Politiker ihre Schranke an dem Charakter der Staaten, an der Macht der Ideen, die sich im Verlauf der Geschichte angesammelt haben. Schwer hatte die Krone Preußen gefehlt, als sie in Karlsbad11 sich den lebendigen Kräften des jungen Jahrhunderts entgegenstemmte; und doch war dieser Staat modern von Grund aus, er konnte sich der neuen Zeit nicht gänzlich entfremden und begann eben jetzt eine Reform seines Haushalts, welche ihn befähigte, in seiner wirtschaftlichen Entwicklung alle anderen deutschen Staaten zu überflügeln. Nachgiebig bis zur Selbstvergessenheit war Hardenberg in Teplitz12 allen Wünschen Österreichs entgegengekommen, der Glaube an die unbedingte Interessengemeinschaft der beiden Großmächte beherrschte ihn ganz und gar; und doch war der Gegensatz der beiden Mächte in einer alten Geschichte begründet und, so lange die Machtfrage der deutschen Zukunft ungelöst blieb, durch menschlichen Willen nicht mehr beizulegen. Fast in dem nämlichen Augenblicke, da der Berliner Hof sich gänzlich der Führung Österreichs zu überlassen schien, tat er wieder einen Schritt vorwärts auf den Bahnen der friderizianischen Politik und begann die deutschen Nachbarlande in seine Zollgemeinschaft aufzunehmen. Es war ein winziger, nach dem Maße der Gegenwart fast lächerlicher Erfolg, aber der unscheinbare Beginn einer Staatskunst, welche die deutschen Staaten durch das Band wirtschaftlicher Interessen unlösbar an Preußen ketten und die Befreiung von Österreich vorbereiten sollte.
Seit das preußische Zollgesetz in Kraft gesetzt und den kleinen Nachbarn zunächst nur durch seine Härten fühlbar wurde, erhob sich überall mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauten, und es begann eine leidenschaftliche Agitation für die deutsche Handelseinheit, der Vorläufer und das Vorbild der späteren Kämpfe um die politische Einheit. Die ganze Nation schien einig in einem großen Gedanken; gleichwohl gingen die Ansichten über die Mittel und Wege nach allen Richtungen auseinander, und das einzige, was retten konnte, der Anschluß an die schon vorhandene Einheit des preußischen Marktgebietes, ward in unseliger Verblendung so lange verschmäht, bis schließlich nur die bittere Not das Unvermeidliche erzwang.
Gleich nach dem Frieden begann eine regelmäßige Einwanderung in das verarmte Preußen einzuströmen, etwa halb so stark als der Überschuß der Geburten; sie bestand überwiegend aus jungen Leuten der deutschen Nachbarschaft, die in dem Lande der sozialen Freiheit ihr Glück suchten. Als nunmehr die Binnenzölle in der Monarchie hinwegfielen, da ließen sich die Vorteile, welche der preußische Geschäftsmann aus seinem ausgedehnten freien Markt zog, zumal an den Grenzplätzen bald mit Händen greifen: so siedelte ein Teil der Bingener Weinhändler auf das preußische Ufer der Nahe über, da die Preise in Preußen oft dreimal höher standen als auf dem überfüllten hessischen Markte. Das Beamtentum der kleinen Höfe war noch gewöhnt an das Zunftwesen, an die Erschwerung der Niederlassung und der Heiraten, an die tausend Quälereien einer kleinlichen sozialen Gesetzgebung; von der Überlegenheit der preußischen Handelspolitik ahnte man hier noch gar nichts. Manchem wohlmeinenden Beamten in Sachsen und Thüringen erschienen die preußischen Steuergesetze als eine überflüssige fiskalische Härte, weil sein eigener Staat für das Heerwesen nur Geringes leistete, also mit bescheidenen Einnahmen auskommen konnte. So entstand unter dem Schutze der kleinen Höfe an den preußischen Binnengrenzen ein Krieg aller gegen alle, ein heilloser Zustand, von dem wir heute kaum noch eine Vorstellung haben. Das Volk verwilderte durch das schlechte Handwerk des Schwärzens. In die zollfreien Packhöfe, welche überall dem preußischen Gebiete nahe lagen, traten alltäglich handfeste braune Gesellen, die Jacken auf Rücken und Schultern ganz glatt gescheuert, manch einem schaute das Messer aus dem Gürtel; dann packten sie die schweren Warenballen auf, ein landesfürstlicher Mautwächter gab ihnen das Geleite bis zur Grenze und ein Helf Gott mit auf den bösen Weg. Der kleine Mann hörte sich nicht satt an den wilden Abenteuern verwegener Schmuggler, die das heutige Geschlecht nur noch aus altmodischen Romanen und Jugendschriften kennt. Also gewöhnte sich unser treues Volk die Gesetze zu mißachten. Jener wüste Radikalismus, der allmählich in den Kleinstaaten überhand nahm, ward von den kleinen Höfen selber gepflegt: durch die Sünden der Demagogenjagd wie durch die Frivolität dieser Handelspolitik.
Als die Urheber solchen Unheils galten allgemein nicht die Kleinstaaten, die den Schmuggel begünstigten, sondern Preußen, das ihn ernsthaft verfolgte; nicht jene Höfe, die an ihren unsauberen fiskalischen Kniffen, ihren veralteten unbrauchbaren Zollordnungen träge festhielten, sondern Preußen, das sein Steuersystem neu gestaltet und gemildert hatte. Unfähig, die Lebensbedingungen eines großen Staates zu verstehen, stellten die kleinen Höfe alles Ernstes die Forderung, Preußen müsse jene reiflich erwogene, in alle Zweige des Gemeinwesens tief einschneidende Reform sofort wieder rückgängig machen, noch bevor sie die Probe der Erfahrung bestanden hatte — und halb Deutschland stimmte dem törichten Ansinnen zu.
Außerhalb der preußischen Beamtenkreise wagten in diesen ersten Jahren nur zwei namhafte Schriftsteller das Werk Maaßens unbedingt zu verteidigen. Der unermüdliche Benzenberg13 bewährte in seinem Buche »über Preußens Geldhaushalt und neues Steuersystem« wieder einmal seinen praktischen Takt. Im Verkehr mit Hardenberg hatte er gelernt, den Staatshaushalt von oben, vom Standpunkt der Regierenden zu betrachten. Er wußte, daß jede ernsthafte Kritik eines Steuersystems beginnen muß mit der Frage: welche Ausgaben dem Staate unerläßlich seien? — einer Frage, die von den meisten Publizisten jener Zeit gar nicht berührt wurde. So gelingt ihm nachzuweisen, daß Preußen seiner Zolleinkünfte nicht entbehren könne. Er scheut sich nicht, das Wehrgesetz und die neuen Steuergesetze als die größten Wohltaten der jüngsten Epoche Friedrich Wilhelms III. zu loben; er verlangt, daß man sie gegen jeden Widerstand aufrecht halte, fordert die Nachbarstaaten auf, der Einladung des Königs zu folgen und mit Preußen wegen gegenseitiger Aufhebung der Zölle zu verhandeln. Dem Traumgebilde der Bundeszölle geht er hart zu Leibe. Er richtet an F. List14 (August 1819) einen offenen Brief und fragt, wie denn der Bundestag, »der keine Art von Legislation hat«, eine solche Reform schaffen oder gar die Zollverwaltung leiten solle? und sei denn die Aufhebung der Binnenmauten möglich ohne gleichmäßige Besteuerung des inneren Konsums? Die Stimme des nüchternen Mannes verhallte in dem allgemeinen Toben; war er doch längst schon den Liberalen verdächtig, weil er ein offenes Auge für die Eigenart des preußischen Staates besaß.
Auch einer der tüchtigsten Kaufleute Deutschlands, E. W. Arnoldi in Gotha15, begrüßte das preußische Zollgesetz schon im Januar 1819 als den ersten Keim eines Vereins aller deutschen Staaten. Nur herzhaft eingeschlagen in die dargebotene Hand: — so sprach er sich im Allgemeinen Anzeiger aus — Preußen stellt ja den Grundsatz der Gegenseitigkeit an die Spitze seines Gesetzes und erklärt sich bereit zu Verträgen mit den Nachbarn. Der treffliche Mann hatte einst in Hamburg noch zu den Füßen des alten Büsch16 gesessen und sich dort eine freie Ansicht vom Welthandel gebildet, welche der binnenländischen Kleinlebigkeit der Mehrzahl seiner Standesgenossen noch ganz fremd war. Ihn wurmte die kindliche Unmündigkeit dieser Geschäftswelt, die so gar nichts tat, um sich das Joch einer widersinnigen Handelsgesetzgebung vom Nacken zu schütteln. Schon seit Jahren trug er sich mit dem Gedanken eines Bundes der deutschen Fabrikanten zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen. Dann stiftete er in seiner Vaterstadt unter dem Namen Innungshalle eine Handelskammer und eine rasch aufblühende Handelsschule. Endlich fand er ein weites Gebiet fruchtbarer Tätigkeit in dem Versicherungswesen, das noch ganz in der Botmäßigkeit des Auslandes stand. Fast an allen größeren deutschen Plätzen unterhielt der mächtige Londoner Phönix seine Agenturen und beutete die Deutschen durch unbillige Prämien aus, da die kleinen heimischen Versicherungsgesellschaften, die in einzelnen Städten des Nordens bestanden, ihre Wirksamkeit auf die Vaterstadt beschränkten. Da wendete sich Arnoldi (1819) an die Nation mit der Frage, wie lange sie noch ihr Geld in die englische Sparbüchse legen wolle, und entwarf den Plan für eine deutsche, das gesamte Vaterland umfassende, auf Gegenseitigkeit beruhende Feuerversicherungsbank. Zwei Jahre darauf trat diese Anstalt zu Gotha ins Leben, der erste Anfang der großartigen Entwicklung unseres nationalen Versicherungswesens. Der allgemeine Haß gegen Englands Handelsherrschaft kam dem kühnen Unternehmer zustatten. Überall im Binnenlande schalt man auf England und die Hansestädte, die den Süddeutschen nur als englische Kontore galten; der wieder erwachende Napoleonskultus und die französischen Sympathien der Liberalen des Südens wurden durch solche erregte Stimmungen gefördert. Über die Waffen freilich, welche den deutschen Gewerbefleiß vor einer erdrückenden ausländischen Mitwerbung sichern konnten, hatten die wenigsten auch nur nachgedacht. Nur soviel schien allen unzweifelhaft, daß sämtliche neu eingeführte Zölle sofort wieder aufgehoben und die im Artikel 19 der Bundesakte verheißene Verkehrsfreiheit durch den Bundestag angeordnet werden müsse.