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"Die gute Lady Ducayne" ist eine Kurzgeschichte von Mary Elizabeth Braddon, die 1873 veröffentlicht wurde. Die Geschichte erzählt von der jungen Bella Rolleston, die eine Anstellung als Gesellschafterin der uralten, schwer reichen Lady Ducayne findet. Diese lebt in einem abgelegenen Schloss in Italien und bietet ihr ein großzügiges Gehalt und eine luxuriöse Unterkunft. Bella ist zunächst begeistert von ihrer neuen Position. Ihre Chefin ist charmant und großzügig, und sie fühlt sich in ihrer Gesellschaft wohl. Doch das soll sich schnell ändern, als sie beginnt seltsam zu träumen....
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Seitenzahl: 51
Die gute Lady Ducayne
M. E. Braddon
ella Rolleston hatte sich entschlossen, dass ihre einzige Chance, ihr Brot zu verdienen und ihrer Mutter zu einem gelegentlichen Lebensunterhalt zu verhelfen, darin bestand, als Begleiterin einer Dame in die große, unbekannte Welt hinauszugehen. Sie war bereit, zu jeder Dame zu gehen, die reich genug war, um ihr ein Gehalt zu zahlen, und die so exzentrisch war, dass sie sich eine angeheuerte Begleiterin wünschte. Fünf Schillinge, die widerwillig von einem jener Sovereigns abgezogen wurden, die bei Mutter und Tochter so selten waren und so schnell dahinschmolzen, fünf solide Schillinge, waren einer elegant gekleideten Dame in einem Büro in der Harbeck Street, W., übergeben worden, in der Hoffnung, dass eben diese Arbeitsvermittlerin eine Stelle und ein Gehalt für Miss Rolleston finden würde.
Die Arbeitsvermittlerin warf einen Blick auf die beiden halben Kronen, die dort auf dem Tisch lagen, wo Bellas Hand sie hingelegt hatte, um sich zu vergewissern, dass es keine Gulden waren, bevor sie eine Beschreibung von Bellas Qualifikationen und Anforderungen in ein beeindruckend aussehendes Notizbuch schrieb.
»Alter?«, fragte sie barsch.
»Achtzehn, letzten Juli.«
»Irgendwelche Errungenschaften ?«
»Nein, ich bin noch nicht sehr weit gekommen. Wenn ich es wäre, würde ich ein Gouverneur sein wollen - ein Begleiter scheint die niedrigste Stufe zu sein.«
»Wir haben einige hochbegabte Damen als Begleiterinnen oder Anstandsdamen in unseren Büchern.«
»Oh, ich weiß!« plapperte Bella in ihrer jugendlichen Freimütigkeit. »Aber das ist eine ganz andere Sache. Seit ich zwölf Jahre alt bin, kann sich Mutter kein Klavier mehr leisten, und ich fürchte, ich habe vergessen, wie man spielt. Und ich musste Mutter bei der Handarbeit helfen, so dass ich nicht viel Zeit zum Lernen hatte.«
»Bitte vergeuden Sie keine Zeit damit, mir zu erklären, was Sie nicht können, sondern sagen Sie mir bitte, was Sie können«, sagte die Arbeitsvermittlerin, die ihre Feder zwischen zarten Fingern hielt und darauf wartete, zu schreiben. »Können Sie zwei oder drei Stunden am Stück laut lesen? Sind Sie aktiv und geschickt, ein Frühaufsteher, ein guter Wanderer, gutmütig und zuvorkommend?«
»Alle diese Fragen kann ich mit Ja beantworten, außer der Frage nach der Freundlichkeit. Ich denke, ich habe ein ziemlich gutes Temperament, und ich wäre bestrebt, jedem, der für meine Dienste bezahlt, einen Gefallen zu tun. Ich möchte, dass sie das Gefühl haben, dass ich mein Gehalt wirklich verdiene.«
»Die Art von Damen, die zu mir kommt, würde sich nicht um eine gesprächige Begleiterin kümmern«, sagte die Arbeitsvermittlerin ernst, nachdem sie ihr Buch beendet hatte. »Ich habe vor allem mit der Aristokratie zu tun, und in dieser Klasse wird viel Respekt erwartet.«
»Oh, natürlich«, sagte Bella, »aber das ist etwas ganz anderes, wenn ich mit Ihnen spreche. Ich möchte ihnen ein für allemal alles über mich erzählen.«
»Ich bin froh, dass es nur ein einziges Mal sein soll!«, sagte die Arbeitsvermittlerin.
Die Arbeitsvermittlerin war von unbestimmtem Alter, eng geschnürt in ein schwarzes Seidenkleid. Sie hatte einen pudrigen Teint und ein hübsches Büschel fremden Haares auf dem Scheitel. Es mag sein, dass Bellas mädchenhafte Frische und Lebendigkeit eine irritierende Wirkung auf die Nerven hatte, die durch einen achtstündigen Tag in diesem überheizten zweiten Stockwerk in der Harbeck Street geschwächt waren. Auf Bella wirkte die Dienstwohnung mit ihrem Brüsseler Teppich, den Samtvorhängen und -Stühlen und der laut tickenden französischen Uhr auf dem Marmorkamin wie ein luxuriöser Palast, verglichen mit einem anderen zweiten Stock in Walworth, in dem Mrs. Rolleston und ihre Tochter in den letzten sechs Jahren gelebt hatten.
»Glaubst sie, saß sie etwas in ihren Büchern haben, das mir gefallen würde?«, zögerte Bella nach einer Pause.
»Oh nein, ich habe im Augenblick nichts für Sie«, antwortete die Arbeitsvermittlerin, die Bellas halbe Kronen mit den Fingerspitzen geistesabwesend in eine Schublade geschoben hatte. »Sehen Sie, sie sind noch so unreif, viel zu jung, um eine Dame von Rang zu begleiten. Es ist schade, dass sie nicht genug Bildung für eine Kindergärtnerin haben; das wäre besser in ihrem Sinne.«
»Und glaubst sie, dass es sehr lange dauern wird, bis sie mir eine Stelle besorgen können?«, fragte Bella zweifelnd.
»Das kann ich wirklich nicht sagen. Haben Sie einen besonderen Grund, so ungeduldig zu sein - keine Liebesaffäre, hoffe ich?«
»Eine Liebesaffäre!«, rief Bella mit glühenden Wangen. »Was für ein Unsinn! Ich bin in einer Situation, in der meine Mutter arm ist, und ich hasse es, ihr zur Last zu fallen, ich will ein Gehalt, das ich mit ihr teilen kann.«
»Bei dem Gehalt, das Sie in Ihrem Alter und mit Ihren sehr ungebildeten Manieren wahrscheinlich bekommen werden, wird es nicht viel Spielraum zum Teilen geben«, sagte die Arbeitsvermittlerin, die Bellas Pfingstwangen, ihre strahlenden Augen und ihre ungezügelte Lebhaftigkeit immer bedrückender fand.
»Wenn Sie so freundlich wären, mir das Honorar zurückzugeben, könnte ich es vielleicht zu einer Agentur bringen, wo die Verbindung nicht ganz so aristokratisch ist«, sagte Bella, die - wie sie ihrer Mutter bei der Schilderung des Gesprächs erzählte - entschlossen war, sich nicht abspeisen zu lassen.
»Sie werden keine Agentur finden, die mehr für Sie tun kann als meine«, erwiderte die Arbeitsvermittlerin, deren Harpyienfinger nie eine Münze aus der Hand gaben. »Sie werden auf Ihre Gelegenheit warten müssen. Ihr Fall ist eine Ausnahme: aber ich werde Sie im Auge behalten, und wenn sich etwas Passendes ergibt, werde ich Ihnen schreiben. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Das halb verächtliche Neigen des stattlichen, mit geliehenem Haar beschwerten Kopfes deutete das Ende des Gesprächs an. Bella kehrte nach Walworth zurück - sie ging an diesem Septembernachmittag stur jeden Zentimeter des Weges - und »zog« die Arbeitsvermittlerin aus, zur Belustigung ihrer Mutter und der Wirtin, die nach dem Hereintragen des Teetabletts in dem schäbigen kleinen Wohnzimmer verweilte, um Miss Rollestons »Ausziehen« zu beklatschen.
»Du liebe Güte, was für eine Mimik sie hat!«, sagte die Wirtin. »Du hättest sie auf die Bühne gehen lassen sollen, Mama. Sie hätte ihr Glück als Schauspielerin machen können.«