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Die Hausboot-Detektei - Tödlicher Genuss E-Book

Amy Achterop

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Beschreibung

Der erste Fall für die Hausboot-Detektei. Fünf notorische Pechvögel ermitteln in Amsterdam. Arie, Maddie, Jack, Jan und Elin suchen noch nach ihrem Platz im Leben. Und finden ihn auf einem alten Hausboot, wo sie eine Detektei gründen, um sich den Fällen zu widmen, auf die die Polizei keine Lust hat.  Auf dem Deck bauen sie Tomatenpflanzen an, genießen die Amsterdamer Grachtenidylle im Liegestuhl, trinken an trüben Tagen Irish Coffee mit viel Whiskey und ordentlich Sahne und schauen zusammen alte Miss Marple-Filme. Die Hobby-Detektive sind also bestens vorbereitet für ihren ersten Auftrag, der sie in die Gastro-Szene der Stadt führt, wo ein kulinarischer Wettstreit zwischen zwei Sterneköchen entbrannt ist. Die Detektei soll ein Rezept ausspionieren, als plötzlich eine Wasserleiche gefunden wird: ausgerechnet der berühmte Sommelier Henk Perenboom. Welche Verbindung gibt es zwischen den drei Feinschmeckern, und wer täuscht wen? Fest steht jedenfalls: Gemeinsam schlagen sich die Detektive gar nicht schlecht. Der erste Wohlfühl-Krimi mit der Amsterdamer Hausboot-Detektei

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Seitenzahl: 389

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Amy Achterop

Die Hausboot-Detektei– Tödlicher Genuss

Kriminalroman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Arie, Maddie, Jack, Jan und Elin suchen noch nach ihrem Platz im Leben. Und finden ihn auf einem alten Hausboot, wo sie eine Detektei gründen, um sich den Fällen zu widmen, auf die die Polizei keine Lust hat. Auf dem Deck bauen sie Tomatenpflanzen an, genießen die Amsterdamer Grachtenidylle im Liegestuhl, trinken an trüben Tagen Irish Coffee mit viel Whiskey und ordentlich Sahne und schauen zusammen alte Miss-Marple-Filme als Vorbereitung auf ihren ersten Fall. Der lässt nicht lange auf sich warten: Als der kulinarische Wettstreit zweier Sterneköche tödlich endet, ermitteln die Detektive undercover …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Ihren ersten Amsterdam-Besuch verdankt Amy Achterop alias Heidi van Elderen einer vergessenen Straßenkarte und einem hoffnungslos schlechten Orientierungssinn. Das war 1999. Die 1980 am Niederrhein geborene Autorin verliebte sich auf Anhieb in die Stadt und kehrt seitdem regelmäßig zurück, oft begleitet von ihrem niederländischen Ehemann. Gelebt hat Heidi van Elderen auch schon in Portugal und Neuseeland, ist inzwischen aber mit ihrer Familie auf einem kleinen Bauernhof in Schweden sesshaft geworden.

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Leseprobe

1. Kapitel

2. Kapitel

1

Maddie schaut lieber weg. Sollte man nicht, hat ihr Anwalt gesagt, nicht, wenn man auf der Anklagebank sitzt. Aber die Fenster sind so groß, der Himmel über Amsterdam so weit. Knallblau ist er plötzlich, mit ein paar leuchtend weißen, lächelnden Wölkchen. Ausgerechnet heute. Wochenlang war da oben nur graue Suppe. Zwischen den Grachten und Gassen trieb sich ein bissiger Nordostwind herum, und all die zu vielen Touristen blieben schön in den Museen. Kann man bei diesem Wetter natürlich vergessen. Maddies Füße kribbeln, sie will los, Isa abholen. Vom Gericht bis zum Café Anders braucht sie mindestens eine halbe Stunde, mit Touristen-Slalom sicher zehn Minuten mehr. Isa hält es schlecht aus, wenn sie zu spät kommt.

 

Jemand räuspert sich. Es ist der Richter. »Mevrouw Hornix, wir warten auf Ihre Antwort.«

Maddie zuckt zusammen, wendet den Blick vom Fenster ab. Warum schauen sie alle an? Vermutlich soll sie etwas sagen. Nur was bloß? Ihr fällt ein, dass das schon immer in ihren Schulzeugnissen stand: Maddie ist oft nicht bei der Sache, lässt sich leicht ablenken und neigt zum Tagträumen.

»Entschuldigung, aber könnten Sie bitte Ihre Frage wiederholen?«

Richter Cornelis Vermeer reckt seinen faltigen Hals mit dem kleinen, fast kahlen Kopf nach vorne, und Maddie findet, dass er aussieht wie diese uralte Landschildkröte im Artis mit dem gütigen Blick. Dann lässt Vermeer seine Lesebrille auf die Nasenspitze rutschen, nimmt Maddie ins Visier und gibt ihr noch eine Chance, Reue zu bekennen: »Würden Sie es wieder tun?«

 

Maddie mustert den Nebenkläger. Ruben Visser, ein schmächtiger Grundschulrektor kurz vor dem Ruhestand, mit müden Augen und einem gemeinen Zug um die Lippen. Eigentlich, denkt sie, müsste er auf der Anklagebank sitzen, nicht sie. Und seine Frau gleich mit.

Mit Mechteld Visser fing vor zwei Monaten auf dem Dappermarkt nämlich alles an, beziehungsweise: mit Mechteld Vissers bunt geblümtem Seidentuch. Das entdeckte Isa in der Menge und stürmte los. »Wunderschönst«, rief sie immer wieder, streckte ihre Hand nach dem Tuch aus und streichelte den Stoff.

Manchmal macht Isa so was. Isa ist Maddies kleine Schwester, zehn Jahre jünger als sie, im Juni wird sie einundzwanzig. Sie trägt gerne ausgefallene Kleider vom Flohmarkt, auch mal mehrere übereinander, und träumt davon, Modedesignerin zu werden. Sie hat Pausbäckchen, ein glucksendes Kinderlachen und immer Janneke, ihren Stoffhasen, dabei. Wer auch nur ein Gramm Herz im Leib hat, erkennt auf zehn Meter Entfernung, dass Isa niemandem etwas Böses will.

 

»Sie ist mir quasi an die Kehle gesprungen«, hat Mechteld Visser in der Verhandlung gesagt und dabei publikumswirksam ihre Stimme zittern lassen. Richter Vermeer hat leicht den Unterkiefer vorgeschoben und mit dem Kinn gewackelt. Er kann die Vissers auch nicht ausstehen, glaubt Maddie. Wie sollte er auch, nachdem er schon Isa kennengelernt hat? Isa muss nicht bei der Verhandlung aussagen, weil sie das zu sehr aufregen würde und weil Maddie geständig ist.

Sie war auf dem Dappermarkt hinter Isa her, nahm sie bei der Hand und entschuldigte sich bei der sichtlich aufgebrachten Frau. Mechteld Visser zupfte ihr Tuch zurecht und musterte Isa mit hochgezogener Oberlippe. »Sie können sie hier nicht einfach frei rumlaufen lassen, Sie müssen besser auf sie aufpassen«, belehrte sie Maddie.

»Du hast Lippenstift an den Zähnen«, sagte Isa freundlich. »Aber das Rosa passt schön zum Tuch.«

Mechteld Visser schnappte nach Luft, ihr Mann trat dazwischen. »Komm, wir gehen, Schatz!« Dabei streckte er den Arm aus, so als müsse er Isa und Maddie auf Abstand halten. »Mit der Pränataldiagnostik von heute wäre das nicht passiert«, sagte er zu seiner Frau – leise, aber doch so laut, dass Maddie es hören konnte. Sie kann es immer noch hören, während sie Visser anschaut. Wie schon auf dem Markt merkt sie jetzt, wie sich die Wut in ihr ausbreitet wie ein Feuer im ausgetrockneten Laubwald.

»Ein sehr hässlicher Satz«, hat auch Richter Vermeer befunden. »Falls er denn wirklich gesagt wurde.« Genau das streitet das Ehepaar Visser allerdings ab. Und Isa kann sich nicht erinnern. Wie auch, sie versteht nicht mal, was Pränataldiagnostik überhaupt ist. Aber um den Satz geht es hier sowieso nur am Rande. Eigentlich geht es darum, dass Maddie kurzerhand Ruben Vissers abwehrend ausgestreckten Arm ergriffen und den Rektor mit einem Überschlag auf den Boden befördert hat.

Maddie kann so etwas, sie ist Krav-Maga-Trainerin. Nein, sie war Krav-Maga-Trainerin. Max, ihr Boss, hat sie nach der Anzeige wegen Körperverletzung rausgeworfen. »Was soll man denn mit einer Kontaktkampf-Ausbildung anfangen, wenn man nicht mal seine kleine Schwester verteidigen darf?«, hat Maddie argumentiert. Geholfen hat das nicht. Dabei ist Ruben Visser bis auf einen kleinen Schrecken (er sagt: ein großer Schrecken, wegen dem er bis heute schlecht schläft) und ein paar blauen Flecken (der Arzt sagt: kleinere Prellungen) gar nichts passiert.

Richter Cornelis Vermeer klopft mit seinem Kugelschreiber auf den Tisch. »Mevrouw Hornix?«

Ruben Visser schaut sie an, er verzieht den Mund spöttisch. Maddie kennt diesen Gesichtsausdruck von ihrem Vater.

»Vermutlich würde ich es wieder tun«, sagt sie.

 

Ruben Vissers Unterkiefer verrutscht. Damit hat er nicht gerechnet. »Unerhört«, entfährt es Mechteld Visser im Zuschauersaal.

Der Richter seufzt, schiebt mit dem Zeigefinger die Brille hoch und notiert etwas. Maddies Anwalt schnaubt, sackt ein wenig in sich zusammen und klappt kopfschüttelnd ihre Akte zu.

Nur einer im Gerichtssaal lächelt zufrieden: Ex-Commissaris Arie Poepjes. Genau so jemand wie Maddie hat in seinem Team noch gefehlt.

2

Eine halbe Stunde später ist Maddie draußen. Ein bisschen vorbestraft, das schon, und mit der ärgerlichen Auflage, ein Antiaggressionstraining zu absolvieren. Aber noch gerade rechtzeitig, um Isa fast pünktlich von der Arbeit abzuholen.

Sie schließt ihre zwei Fahrradschlösser auf und wickelt sie um die Sattelstange. Maddie mag ihr altes Hollandrad, auch wenn es manchmal quietscht, nachdem es zu lange in der Kälte gestanden hat. Es ist so blau wie der Aprilhimmel über ihr, hat eine riesige Klingel, die man noch eine Straße weiter hört, einen stabilen Gepäckträger für Isa und am Lenker einen kleinen, aus Weiden geflochtenen Fahrradsitz für Janneke.

Maddie schaut noch einmal zum Gerichtsgebäude, diesem riesigen Glaskasten, der hinter den Fahrradständern in der Sonne glitzert. Maddie schiebt ihr Rad ein Stück zurück, dreht es herum, steigt auf und will losfahren. Geht aber nicht, weil da plötzlich ein Mann steht.

»Hallo, ich bin Arie.«

»Du bist mir im Weg«, sagt Maddie. Er kommt ihr irgendwie bekannt vor.

»Kann ich kurz mit dir reden?«

Groß, breit und ein bisschen abgerissen sieht er aus. Tränensäcke, graue Haut, aufgeplatzte Äderchen. Das Hemd spannt über dem kugeligen Bauch. Ansonsten eher der kantige Typ, um die fünfzig, nicht unsympathisch.

»Ich muss los«, sagt Maddie und fährt mit einem Schlenker an ihm vorbei. Er hüpft ein Stück zur Seite und dann ihr nach. Gibt es das? Der Kerl joggt neben ihr her. Maddie schaltet einen Gang höher, ihr altes Rad läuft sich warm.

»Ich habe einen Job für dich«, sagt Arie, während er jetzt rennen muss. Er spricht in normalem Plauderton, keine Spur von Keuchen. Jetzt weiß sie wieder, wo sie ihn schon einmal gesehen hat: bei der Verhandlung im Zuschauersaal. Entweder will er sie für eine Schlägertruppe anheuern oder er macht einen schlechten Scherz. Maddie wirft ihm einen schnellen Seitenblick zu. Viel Ahnung hat sie davon nicht, aber eigentlich sieht er nicht wie ein Gangster aus. Auch nicht wie der Chef einer Security-Firma. »Sehr witzig«, sagt sie, gibt noch mehr Gas, so viel wie geht, mit all den Leuten, den Daumen am Schlägel. Da vorne ist schon der Vondelpark, in dem sich wie erwartet die Touristen drängeln. Tringelingeling macht die Klingel, und ein paar Frauen springen ins Gras. Um die nächste Gruppe, grauhaarige Pärchen, die aussehen, als wären sie auf Durchreise zum Himalaya mit ihren roten Funktionsjacken und klobigen Wanderschuhen, macht sie einen großen Bogen, wobei sie fast mit einem deutschen Schäferhund zusammenstößt. Sein Herrchen schreit etwas, das sie nicht mehr versteht.

»Nur eine Minute«, sagt jemand von links.

Dieser Arie ist tatsächlich immer noch da. Ziemlich fit für einen, der so fertig aussieht. »Ziemlich fit«, sagt Maddie mit ungewollter Anerkennung in der Stimme.

»Berufskrankheit«, grinst Arie. Immerhin ist er inzwischen rot im Gesicht. Maddie drosselt das Tempo ein bisschen. Sie will ja auch nicht, dass er gleich umkippt.

»Was für ein Beruf?«, fragt sie.

»Polizei.«

Maddie tritt vor Schreck auf die Rückbremse. Hinter ihr ist eine junge Frau mit einem dieser Lastenräder unterwegs, darin zwei Kinder, ein Kasten Bier und eine große Stoffgiraffe. Sie schafft es gerade so auszuweichen, bringt aber dadurch zwei Inlineskater ins Straucheln. Die Kinder kichern. »Fucking tourists«, schimpft ein Mann.

»Sorry«, ruft Maddie allen hinterher. Dann steigt sie ab. Irgendwie hat sie das Gefühl, dass das hier lustig werden könnte. »Ein Job bei der Polizei wäre natürlich perfekt für mich«, sagt sie.

»Die sind ein bisschen kleinlich in puncto Führungszeugnis. Meine neue Detektei nicht.«

»Detektei?«, sagt Maddie und zieht die letzte Silbe in die Länge. »Als was würde ich denn da arbeiten?«

»Als Detektivin, was sonst?«

»Natürlich«, sagt Maddie, dann schaut sie ihn genauer an. Der sieht aus, als ob er das ernst meint.

»Am Montag fangen wir an, mit dir zusammen wären wir zu viert. Training on the Job. Es gibt allerdings noch keine Aufträge.«

Das wurde ja immer besser. »Warum glaubst du, ich wäre eine gute Detektivin? Ich kann nur Leute auf die Matte legen.«

»Kein schlechter Anfang«, meint Arie. Dann legt er eine Hand auf seinen Bauch. »Ich habe meistens ein gutes Gespür für Leute.«

»Berufskrankheit?«

»Vermutlich.«

Maddie grinst, aber nur kurz. »Warum bist du nicht mehr bei der Polizei?«

Arie schaut zu zwei Möwen hinüber, die um ein Fischbrötchen streiten. »Mir war mal nach etwas anderem«, sagt er.

»Sicher«, sagt Maddie und verdreht die Augen. Arie ist ein schlechter Lügner. Sie hätte gedacht, dass Polizisten das besser können. Aber deshalb haben sie ihn sicher nicht rausgeschmissen.

»Okay«, murmelt Arie nach einigen Metern zerknirscht und steckt die Hände in die Jackentaschen, als sei ihm trotz des ganzen Gerennes kalt. »Meine Frau…«, beginnt er und unterbricht sich. »Spielt das überhaupt eine Rolle?«

Die Frage ist so blöd, dass Maddie beschließt, nicht darauf zu antworten. Sie sind schon auf der Prinsengracht. Überall stehen Pärchen, die sich beim Knutschen vor dem Kanal fotografieren. Maddie überlegt gerade, dass sie vielleicht doch einfach weiterfahren soll. Dieses ganze verliebte Getue geht ihr sehr auf die Nerven. Außerdem wartet Isa. Aber dann seufzt Arie. »Ich bin früher nach Hause, weil unser Hochzeitstag war. Sie lag im Bett, mit meinem besten Freund. Ex-Bester-Freund und Ex-Kollege.«

Er legt zehn Schweigesekunden ein, eine große graue Möwe fliegt dicht vor ihren Köpfen vorbei. Sie trägt ein Fischbrötchen im Schnabel.

»Ich habe ihm meine Knarre an den Kopf gehalten.«

Maddie kickt mit ihrem Turnschuh ein paar Steinchen ins Wasser. »Warum nicht ihr?«

Das, denkt Arie Poepjes, ist die erste vernünftige Frage, die ihm jemand in diesem Zusammenhang gestellt hat. Eine gute Antwort fällt ihm trotzdem nicht ein. »Keine Ahnung. Er lag oben.«

»Und dann war der Job weg?«

»Job, Frau, Freund, Haus«, zählt Arie auf und klingt so verzweifelt, dass Maddie ihm noch einen prüfenden Seitenblick zuwirft. Er sieht gar nicht aus wie ein Bulle, auch nicht wie ein Ex-Bulle. Eher wie ein alter ramponierter Seebär, der gerade mit ansehen musste, wie sein Schiff untergeht.

»Ich habe aber noch ein Boot in der Raamgracht«, sagt Arie. »Im Februar von einem Onkel geerbt. Da soll auch erst mal die Detektei sein. Und einen Hund habe ich seit kurzem auch.«

»Auch vom Onkel geerbt?«

»Nein, von einem früheren Nachbarn bekommen. Seine Frau wollte ihn nicht mehr im Haus haben. Er sabbert, haart und manchmal beißt er wohl.«

Maddie mag Hausboote und Hunde. Einen neuen Job braucht sie auch bald, wenn Isa und sie in der Wohnung bleiben wollen.

»Am Montag?«

»Montag um zehn«, sagt Arie.

»Ich überleg’ es mir«, sagt Maddie und tritt in die Pedale.

3

Isa sitzt vor einem Brettchen mit unregelmäßig gewürfelten Möhren und weint, als Maddie endlich das Café Anders betritt. »Du bist zu spät«, sagt Falih. Er steht hinter der Bar und poliert gerade Gläser. Das Café Anders liegt in einer kleinen Seitenstraße im Jordaan, seit einigen Jahren eines der angesagtesten Viertel der Stadt. Hier arbeiten Menschen, die sonst niemand haben will. Menschen, die ein bisschen langsamer denken oder so schnell, dass sie selbst nicht mehr folgen können. Die versuchen, von Drogen oder von der Straße wegzukommen. Oder solche, bei denen der Körper nicht kooperiert, oder die seit Jahren keinen Job mehr hatten.

Es gibt alkoholfreie Getränke und kleine Gerichte, belegte Brote und Salate, so was. Die Gäste zahlen, was sie wollen. Das ist oft weniger, als sie in den hippen Cafés in der Nachbarschaft ausgeben müssten. Aber es kommt genug zusammen, um Isa und den anderen ein monatliches Taschengeld auszahlen zu können. Nur Falih bekommt ein richtiges Gehalt, ohne ihn würde der Laden aber auch nicht laufen. »Unser Normalo«, nennen die anderen ihn.

»Ach weiß ich gar nicht«, sagt Falih dann. Er ist ein ziemlich guter Typ, findet Maddie. Auch wenn er jetzt so streng guckt.

 

»Tut mir leid«, sagt Maddie und nimmt Isa in den Arm.

»Ich dachte schon, du musst ins Gefängnis«, schnieft Isa. Viele Tränen und ein bisschen Rotz tropfen auf Maddies Jacke.

»Nix Gefängnis. Ich habe vielleicht einen neuen Job.« Maddie packt Isas Rucksack, Isa nimmt ihren Hasen auf den Arm. Sie winken Falih zu, Maddie ruft: »Danke und bis Montag.« Erst als sie draußen stehen, hält Isa kurz mit dem Schluchzen inne und fragt: »Neuer Job?«

Maddie beugt sich vor und flüstert ihr ins Ohr: »Als Detektivin.«

Isa wischt sich die Tränen weg und strahlt. Sie kann das wie das Amsterdamer Wetter: von Regen auf Sonne in zwei Sekunden, zack. »Detektivin«, ruft sie.

»Psst«, macht Maddie. »Soll noch keiner wissen.«

Isa nickt eifrig und schnallt Janneke auf dem kleinen Fahrradsitz vorne am Lenker an. Maddie holt den Fahrradhelm aus Isas Rucksack und setzt ihn ihrer Schwester auf den Kopf. Isa zupft sich ein paar karamellfarbene Haarsträhnen aus dem Gesicht, setzt sich auf den Gepäckträger, schlingt die Arme um Maddie und ruft »Hüha!«

Maddie wiehert und fährt los, Isa lacht.

Einige Straßenkreuzungen später piekst sie ihr in die Rippen. »Janneke friert!«

Maddie kneift die Augen zusammen und radelt schneller. Sie will wirklich nach Hause. Etwas Warmes essen, obwohl sie nicht weiß, ob sie außer Lakritz und Mayonnaise noch etwas im Haus haben. Heiß duschen, Isa ins Bett bringen, irgendeinen albernen Film anschauen und ganz lange schlafen.

»Sie erkältet sich«, jammert Isa in diesem weinerlichen Ton, der ganz schnell ins Heulen umschlagen kann.

Stoffhasen können sich nicht erkälten, denkt Maddie und weiß sofort, dass sie diesen Satz nicht aussprechen kann, ohne gemein zu klingen. Sie seufzt, hält an und wartet fünf Minuten, bis Isa aus ihrem Rucksack den kleinen roten Wollpullover gekramt, Janneke abgeschnallt, angezogen und wieder angeschnallt hat.

 

Seit knapp einem Jahr wohnen Maddie und Isa im alten Stadtzentrum. Maddie kann es immer noch nicht fassen, dass sie die Wohnung bekommen haben, noch dazu zu einem halbwegs bezahlbaren Preis. Fünfunddreißig Quadratmeter unterm Dach, mit Blick auf die Gracht. Sie steigen ab, Isa hält die Tür auf, und Maddie schiebt das Rad in den Hausflur. Von außen sieht das zwei Fenster breite braun-weiße Haus mit dem geschwungenen Giebel aus, als wäre es aus Pfefferkuchen. Drinnen müffelt es wie ein alter Spüllappen. Das kommt von den schimmeligen Ecken und manchmal auch aus der Wohnung vom alten Onno im zweiten Stock.

»Ich bin müde«, sagt Isa nach den ersten fünf Treppenstufen und bleibt stehen. »Ich auch«, sagt Maddie, legt Isa eine Hand auf den unteren Rücken und schiebt sie, bis sie vier Stockwerke höher vor ihrer Wohnungstür stehen.

Hier riecht es besser, viel besser.

Isa drückt Janneke an ihre Brust, hebt die Nase und schnüffelt. Dann lächelt sie, und ihr rundes Gesicht wird noch ein bisschen runder. »Juanita!«

 

Juanita ist die Nachbarin aus der dritten Etage und Maddies beste Freundin. Tagsüber studiert sie Architektur, abends und nachts verhaut sie Männer, die ihr dafür Geld geben. Jetzt wirbelt Juanita zu kubanischen Salsaklängen durch Maddies und Isas Wohnschlafküche, von der kleinen gelben Kochzeile zum Couchtisch aus alten Holzpaletten und zurück. Ihre schwarzen Locken hüpfen über der knittrigen Leinenlatzhose, und es sieht aus, als ob sie tanzt, obwohl sie gleichzeitig Teller, Platten und dampfende Schüsseln balanciert. Lachs mit Mangosalsa, Süßkartoffeln, Maniokbrot, gegrillte Kochbananen mit Currymarinade. »Die tollste Juanita der Welt«, ruft Isa und hilft ihr, alles auf den kleinen Tisch zu quetschen.

Maddies Augen werden feucht. So ist das mit der Liebe, manchmal bringt sie einen zum Heulen.

Juanita drückt ihr drei Küsse auf die Wangen, legt ihr einen Arm um die Schulter und dirigiert sie zum Sofa. »War es schlimm, Chica?«

»Ich muss zum Antiaggressionstraining.«

»Sie wird Detektivin. Maddie, die Meisterdetektivin. Aber es ist noch geheim«, ruft Isa und schmeißt erst ihre Jacke, dann die Socken und zum Schluss auch Jannekes Pulli in eine Zimmerecke. Juanita hat die Heizung aufgedreht. Karibische Temperaturen zum karibischen Essen.

Nun zieht sie ihre fein gezupften Augenbrauen hoch, ihre dunklen Augen werden groß wie Tischtennisbälle.

»Vielleicht«, sagt Maddie.

»Wo?«, fragt Juanita.

»Aries Hausboot. Keine Ahnung, der war früher mal Bulle und heute im Zuschauersaal.«

Juanita schiebt ihr kleines, rundes Kinn nach vorne und schaut schräg nach oben. Das macht sie oft, wenn sie nachdenkt – als würden die Antworten vom Himmel fallen. »Groß, kantig, Anfang fünfzig, sieht ein bisschen kaputt aus?«

»Passt.«

»Arie Poepjes«, sagt Juanita und lässt sich auf ein großes buntes Sitzkissen fallen. Sie lebt erst seit anderthalb Jahren in Amsterdam, kennt aber die halbe Stadt.

»Ein Kunde?«, fragt Maddie, während sie den Fisch auf den Teller verteilt. Sie hofft es nicht.

Juanita schüttelt den Kopf. »Arie ist schwer in Ordnung. Er hat schon ein paarmal Kolleginnen aus der Patsche geholt.«

»Dem Lover seiner Frau hat er eine Knarre an den Kopf gehalten.«

»Der Lover war Aries Freund«, sagt Juanita mit ihrer »Was will man machen«-Stimme.

Dann wechselt sie das Thema. »Ein neuer Job! Das musst du feiern!«

»Mach ich doch gerade«, sagt Maddie und spießt mit der Gabel ein Stück Süßkartoffel auf. »Mit einem Festessen.«

»Wann bist du das letzte Mal ausgegangen?«, fragt Juanita, obwohl sie die Antwort kennt, schließlich ist sie diejenige, die bei Isa bleibt, wenn Maddie abends weggeht. Das letzte Mal ist tatsächlich länger her, denkt Maddie, gut drei Monate. Sie hatte versucht, sich den Weihnachtsbesuch bei den Eltern schön zu trinken. »Mein Kopf tut immer noch weh«, sagt sie.

Isa baut auf einem Stück Maniokbrot einen Turm aus Kochbananen und hebt ihn mit beiden Händen hoch. Er schwankt, kurz bevor sie ihn in den Mund schieben kann, fällt er runter. Isa lacht und isst die Bananen vom Sofa. Maddie holt einen feuchten Waschlappen. Auf dem Weg zum Badezimmer schwingt sie probehalber ihre Hüften.

»Beim Bahnhof hat doch dieser neue Laden aufgemacht. Soll ziemlich gut zum Tanzen sein«, ruft ihr Juanita hinterher.

Kurz darauf wischt Maddie erst Isa die Hände, dann dem Kamel auf dem Sofa-Überwurf die Curry-Flecken ab. Sie hat schon Lust, mal wieder rauszukommen. Sie könnte ihren neuen grünen Rock anziehen, den sie im Herbst im Secondhandladen gefunden und seitdem noch nie getragen hat. Andererseits…

»Wir wissen doch gar nicht, ob aus dem Job was wird. Noch hat dieser Arie keine Aufträge, und ich habe keinen Vertrag. Es wäre vernünftiger, wenn ich mir diese Detektei am Montag wenigstens mal anschaue, bevor ich feiern gehe.«

»Falsch!«, ruft Juanita. »Sofort feiern, das ist vernünftig. Falls es dann doch nicht klappt, hattest du wenigstens einen schönen Abend.«

Gegen Juanitas Logik kommt man schwer an. Maddie lacht. »Okay, ich werde ausgehen und mich prächtig amüsieren.« Dann fällt ihr noch was ein. »Musst du heute nicht arbeiten?«

»Erst um zwei.«

»Um zwei? Das ist doch krank.«

Juanita zuckt mit den Schultern. »Das ist es ja sowieso.«

 

Um neun Uhr verlässt Maddie die Wohnung. Isa liegt da schon im Bett und schläft, Juanita sitzt am Paletten-Couchtisch und zeichnet etwas für die Uni. Als Maddie ihr Fahrrad durch den Flur Richtung Haustür schiebt, wünscht sie sich für einen kurzen Moment, sie wäre doch geblieben, in ihrer kleinen, sicheren Höhle, mit den beiden Menschen, die sie am liebsten mag.

Aber dann tritt sie hinaus in den Amsterdamer Abend. Das Licht der Straßenlaternen und Häuser spiegelt sich in den Grachten, das Wasser klatscht leise gegen Bootswände, irgendwo in den Gassen trommelt jemand auf der Djembé, die Luft riecht nach Frühling und Abenteuer. Nie ist die Stadt schöner als nach Einbruch der Dunkelheit, denkt Maddie, als sie die Herengracht entlangradelt.

»Scheiße«, denkt sie zwei Sekunden später, als vor ihr plötzlich eine Autotür aufgeht. Sie reißt das Lenkrad rum, rammt einen Fuß auf den Boden und kommt mit zitternden Knien zum Stehen.

»Hey, kannst du nicht besser aufpassen, du blöde Tussi?!«, schreit ein Mann vom Fahrersitz der dunklen Limousine. Maddie merkt, wie ihr die Wut in die Muskeln schießt. Sie schaut den Mann an. Er fängt ihren Blick auf, beugt sich hastig vor, schließt die Autotür, verriegelt sie von innen und schaut starr geradeaus. Ein Schisser ist er also auch noch, denkt Maddie.

»Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt?«

Es ist der Portier des Waldorf Astoria, der sie da von der Seite anspricht. Er trägt Uniform und einen kunstvoll gestutzten grauen Bart und sieht ehrlich besorgt aus.

Maddies Körper entspannt sich ein wenig. »Danke, nichts passiert.« Sie deutet auf das Auto. »Aber ich glaube, Ihr Gast hat einen ziemlichen Schrecken bekommen.«

Dann steigt sie auf ihr Rad und fährt weiter.

4

Das ist noch einmal gut gegangen, denkt Maarten van Lockhorst. Wäre schade um die Tür gewesen. Durch die Windschutzscheibe sieht er das Rücklicht dieser irren Radfahrerin immer kleiner werden, schließlich verschwindet es ganz. So eine kleine graue Maus mit grünem Rock. Scheiße, mit diesem Blick eben hat sie ihm fast ein bisschen Angst eingejagt. Aber nur fast. Ein Maarten van Lockhorst kennt keine Furcht.

Im Spiegel prüft er den Sitz seiner Haare, viele sind es ja nicht mehr. Dann nimmt er seinen Mantel und steigt aus. Der Portier steht schon neben der Motorhaube, van Lockhorst lässt den Autoschlüssel in seine ausgestreckte Hand fallen. »Sie sollten die Straße hier für Radfahrer sperren lassen, bevor noch ein Auto zu Schaden kommt«, sagt er und denkt: am besten die ganze Stadt.

 

Kurz darauf betritt Maarten van Lockhorst das Hotel.

Vor der edlen Lounge mitten in der Lobby kommt ihm eine Kellnerin entgegen. Sein Blick fällt auf ihre Bluse. Die sind neu, denkt er. Neu und richtig geil – billig war das sicher nicht.

»Guten Abend, Meneer van Lockhorst. Ihre Gäste sind schon da«, begrüßt sie ihn.

Maarten nickt. Natürlich sind Gabriel Petit und Femke Baas, die beiden exklusivsten Caterer der Stadt und seit Jahren erbitterte Konkurrenten, bereits eingetroffen. Wenn sie pünktlich waren, und davon geht er aus, schon vor einer halben Stunde. Van Lockhorst lässt die Leute gerne ein bisschen warten. Doch jetzt bereut er es, dass er so spät gekommen ist. Er hätte zu gerne ihre dummen Gesichter gesehen, als sie begriffen haben, dass er sie beide hergebeten hat.

 

Van Lockhorst bestellt das teuerste Getränk auf der Karte, einen alten französischen Cognac, dann schreitet er zu der Sitzgruppe am Fenster.

Gabriel Petit, ein 45-jähriger Halbfranzose und Chef des C’est Magnifique!, hampelt auf einem der blauen Sofas herum wie ein Siebenjähriger nach einem zu langen Schultag. Er fährt sich durch die unverschämt vollen Haare, holt sein Smartphone aus der Sakkotasche, steckt es – ohne einen Blick darauf zu werfen – in die andere, rutscht hin und her und wackelt mit seinen dürren Beinen. Ihm schräg gegenüber sitzt Femke Baas, die allerdings so souverän aussieht, als ob ihr der Laden hier gehört. Das gefällt Maarten, auch wenn er findet, dass sie dicker ist, als eine Frau sein sollte.

 

Er gibt erst Femke, dann Gabriel die Hand. »Ich hoffe, ihr musstet nicht zu lange warten.«

»Kein Problem, Maarten. Wir begreifen nur nicht, warum …«, beginnt Gabriel. Van Lockhorst hebt die Hand. »Später«, heißt das. Gabriel Petit versteht und schweigt.

Die Kellnerin bringt ein Tablett mit einem riesigen Cognac-Schwenker. Maarten van Lockhorst lässt sich in den beigen Sessel zwischen den Sofas fallen und nimmt einen Schluck. Als er das Glas abstellt, bemerkt er, dass seine Gesprächspartner stilles Wasser trinken. Mädchen, denkt er.

Er beginnt: »Meine Tochter Jasmijn heiratet. Die Feier soll am ersten Juniwochenende auf dem Kasteel de Haar stattfinden.«

»Herzlichen Glückwunsch«, sagt Femke.

Gabriel klatscht in die Hände. »Das ist ja wunderbar.«

»Das wird sich noch zeigen«, sagt Maarten van Lockhorst und denkt an seinen Schwiegersohn. Erste Wahl ist Lucas van Heerdt ja nicht. Immerhin, ein Investmentbanker, also jemand, der etwas von Geld versteht und nicht allzu viele Skrupel hat. Vielleicht könnte Lucas eines Tages sogar in die Firma einsteigen. Da hätte er bei Jasmijns letztem Freund, dem Violinisten ohne nennenswerte Einkünfte, nicht im Traum dran gedacht. Als moralisch verwerflich bezeichnete der das Familienunternehmen. »Wenn wir keine Waffen herstellen, dann tut es jemand anderes«, erwiderte van Lockhorst. Und: »Wenn Leute wie ich nicht so viele Steuern zahlen würden, wäre das Konzerthaus wahrscheinlich schon abgerissen worden.«

Natürlich war das vergebens gewesen. Manche Leute sind einfach nicht zugänglich für vernünftige Argumente. Insofern ist Maarten über Lucas van Heerdt gar nicht mal unglücklich. Trotzdem wäre ihm ein Schwiegersohn mit ähnlichem familiären und finanziellen Hintergrund lieber gewesen. Er hatte schon ein Auge auf Gerhard de Graaf geworfen, ein cleverer Junge, dessen Familie große Anteile einer bekannten Brauerei und unzählige Immobilien gehören. Ins Ölgeschäft sind sie auch eingestiegen. Er hatte da große Kongruenzen gesehen. Aber gut, man konnte nicht alles haben. Die Zeiten, in denen die Väter die Ehemänner ihrer Töchter aussuchten, waren eben vorbei.

»An wie viele Gäste habt ihr denn gedacht?«, unterbricht Femke seine Gedanken.

»Wir wollen das in kleinem Kreis feiern. Insgesamt etwa 150 Leute.«

»Maarten, 150 Leute, ich bitte dich! Dazu brauchen wir doch keine zwei Cateringunternehmen. Das letzte Mal, als ich für dich gekocht habe, haben wir sicher doppelt so viele verköstigt«, plappert Gabriel Petit drauflos. Maarten van Lockhorst fragt sich nicht zum ersten Mal, wie dieser Mann solch ein erfolgreiches Unternehmen führen kann. Femke Baas ist da professioneller. Sie wartet ab, was er zu sagen hat. Nur etwas schmallippig wirkt sie für seinen Geschmack, vielleicht nimmt sie ihm übel, dass er auch Gabriel eingeladen hat. Sie soll sich nicht so haben, denkt Maarten. Konkurrenz belebt das Geschäft, und immerhin geht es um einen riesigen Auftrag. Wer auf einer Hochzeit der Familie van Lockhorst, einer der reichsten Familien der Stadt, das Catering übernimmt, wird nicht nur sehr viel Geld verdienen, sondern auch auf Jahre gut gefüllte Auftragsbücher haben.

»Für meine Tochter ist mir das Beste gerade gut genug«, unterbricht er Petit. »Es soll in jeglicher Hinsicht eine Hochzeit werden, über die die Amsterdamer Upper Class noch lange spricht. Nicht zu überkandidelt, wir sind ja nicht in Hollywood, aber trotzdem legendär, wenn ihr versteht, was ich meine.«

Femke und Gabriel nicken. Maarten sieht ihnen an, dass sie keine Ahnung haben.

»Hast du dir schon Gedanken über das Menü gemacht?«, fragt Femke.

»Feine, nicht zu schwere Sommerküche. Es soll schließlich keiner fett werden. Außerdem möchte ich meinem Ruf als Feinschmecker gerecht werden und den Gästen in mindestens einem Gang eine ganz neue kulinarische Köstlichkeit servieren. Etwas Ausgefallenes, das sie noch nie gegessen haben.«

»Fantastique! Das klingt nach dem perfekten Auftrag für das C’est Magnifique!« Gabriel Petits Stimme überschlägt sich ein wenig – vielleicht vor Eifer, oder aber aus Freude über den geglückten Reim. »Mir fällt da sofort eine Menge ein. Ein leichter Sommersalat mit weißem Trüffel zum Beispiel. Und zur Hochzeitstorte eine Tasse Black Ivory Kaffee. Das ist der neueste Schrei aus Thailand, ein ganz besonderer …«

»Ich weiß schon«, winkt Maarten van Lockhorst ab. »Erst fressen Elefanten Kaffeekirschen und das, was sie davon wieder auskacken, wird zu Kaffee gemahlen und überteuert verkauft. Eklige Angelegenheit.«

Femke, die Petits Ausführungen mit hochgezogenen Augenbrauen gelauscht hat, schlägt ein Bein über das andere und streicht ihr knielanges graues Kleid glatt. »Ich finde, wir sollten auf eine Mischung aus Understatement und purem Luxus setzen, das hat Klasse.«

»Was schlägst du also vor?«, fragt van Lockhorst.

»Pizza«, sagt sie feierlich.

»Pizza?«, fragen Maarten und Gabriel Petit einstimmig zurück.

»Pizza! Das klingt jung und frech und wird auf so einer Menükarte ganz sicher mehr ins Auge fallen als weißer Trüffel oder Kaviar vom weißen Stör. Letzteren könnten wir aber benutzen, um die natürlich glutenfreie Pizza zu belegen. Kaviar, Hummer und – ganz wichtig – Blattgold. Das enthält null Kalorien, ist ein optisches Highlight und passt ganz wunderbar in das Schlossambiente.«

 

Maarten van Lockhorst gähnt demonstrativ. Da trifft man sich mit den besten Caterern der Stadt und alles, was sie vorschlagen, hätte man auch selber im Forbes-Magazin nachlesen oder auf der nächsten Golfpartie erfahren können. »Null Kalorien, aber leider auch null Geschmack«, sagt er. »Abgesehen davon wird Blattgold-Pizza schon seit Jahren in New York serviert, das solltet ihr eigentlich besser wissen als ich.«

 

Femke Baas verzieht keine Miene, aber van Lockhorst hört, wie sie nach Luft schnappt, während zu seiner Rechten Gabriel Petit mit einem kleinen Seufzer ausatmet. Eine Sekunde später redet er auch schon wieder los: »Was hältst du von gegrillten Heuschrecken? Insekten sind …«

Maarten van Lockhorst verzieht das Gesicht. Er will nicht wissen, was Gabriel über diesen unsäglichen Trend zu sagen hat. Wie ein Polizist hebt er die Hand. »Neue kulinarische Köstlichkeiten habe ich gesagt. Neue!« Von den benachbarten Sitzgruppen schauen einige Leute herüber, er hat wohl ein wenig lauter gesprochen.

Gabriel wischt sich über die Stirn. »Du meinst, wir sollen ein völlig neues Gericht erfinden?«

»Genau, neu. Soll ich es buchstabieren?«

»Die Hochzeit soll am ersten Juniwochenende stattfinden, richtig?«, fragt Femke nach. »Jetzt ist es schon April.«

»Anfang April. Ist das ein Problem?«

»Unter Umständen«, sagt Femke.

»Auf keinen Fall«, sagt Gabriel und unterstreicht seine Aussage mit beflissentlichem Kopfschütteln. Maarten van Lockhorst betrachtet den Caterer. Er kennt ihn als quirligen, höflichen Mann. Aber heute wirkt er nervös und fast schon unterwürfig. Ob er in finanziellen Schwierigkeiten steckt? Egal, seiner Motivation wäre das ja nur zuträglich. Ihm fällt noch etwas ein: »Um die Weinauswahl braucht ihr euch übrigens nicht zu kümmern. Das wird Henk Peerenboom übernehmen, sobald das Menü steht.«

Femke Baas nickt und lächelt endlich mal. »Sehr gute Wahl. Peerenboom ist der Beste.«

Das weiß van Lockhorst, aus diesem Grund hat er den bekannten Sommelier ja engagiert. Zugesagt hat Henk Peerenboom zwar noch nicht, genau genommen hat er sich noch gar nicht gemeldet, seit ihm seine Sekretärin vor drei Tagen eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen hat. Wahrscheinlich wird er sich auch darum noch selber kümmern müssen, denkt Maarten, aber alles zu seiner Zeit.

»Wir treffen uns also in fünf Wochen wieder, zum Testessen. Danach entscheide ich, welches Gericht meinen Gästen serviert wird.«

»Und der Gewinner dieses Testessens bekommt den Zuschlag für das gesamte Hochzeitscatering?«, fragt Femke.

»So ist es«, sagt Maarten. »Geld spielt keine große Rolle.«

Mit großem Vergnügen betrachtet er den Blick, den sich die beiden Caterer zuwerfen – wie zwei Gladiatoren, bevor sie in die Arena steigen. Die Leute unterschätzen völlig, wie langweilig das Leben ist, wenn man so reich ist wie er. Aber dieser kleine Wettkampf, den er da gerade initiiert hat, verspricht, ausgesprochen unterhaltsam zu werden.

 

Femke Baas und Gabriel Petit verabschieden sich bald. Natürlich, sie wollen zurück in ihre Küchen.

»Lasset die Spiele beginnen«, sagt Maarten van Lockhorst, mit sich und der Welt zufrieden, und bestellt noch einen Cognac.

5

Maddie tanzt, bis es ihr auf der Tanzfläche zu voll wird. Dann geht sie an die Bar und trinkt ein Bier. Ihr Körper schwingt noch ein bisschen nach, die Bässe wummern in ihrem Bauch, ihr T-Shirt klebt am Rücken. Das mit dem Ausgehen war eine gute Idee.

An der Bar stehen auch Max, ihr ehemaliger Chef, und seine Freundin. Keine drei Meter von ihr, getrennt nur durch eine Gruppe betrunkener Engländerinnen. Maddie hebt die Hand zum Gruß und lächelt. Max schaut schnell weg, nimmt vom Barkeeper zwei Gin Tonics entgegen und schiebt seine Freundin zu den Clubsesseln. Maddie beißt sich auf die Unterlippe. Eben beim Tanzen war es ihr egal, dass sie alleine hier ist. Aber jetzt sehnt sie sich nach Freunden.

Jemand tippt ihr auf die Schulter. Sie dreht sich um und schaut hoch. Maddie ist 1,63 Meter groß, lebt aber in einem Land voller Riesen. Da macht man das irgendwann automatisch, mit dem Hochschauen. Sie sieht in ein junges, glattrasiertes Gesicht, mit einer langen,geraden Nase und ersten Andeutungen von Geheimratsecken. »Hi«, sagt der Mann. Er sieht aus wie ein Immobilienmakler, aber weniger verdächtig. Außerdem sammelt er gleich ein paar Pluspunkte, weil er sie nicht mit einer schwachsinnigen Pick-up Line angesprochen hat.

»Hi«, sagt sie und lächelt.

»Kannst du ein Stück rücken? Meine Freundin und ich würden gerne was bestellen.«

Oh, denkt Maddie. »Klar«, sagt sie, trinkt ihr Bier aus und stürzt sich wieder in die Menge. Sie schließt die Augen und beginnt zu tanzen, bis sie sich eins fühlt mit den wilden Rhythmen.

»Hey, du«, lallt ihr ein Mann ins Ohr. »Hast du Wasser in den Beinen?«

Maddie öffnet die Augen. Neben ihr tanzt er, kaum größer als sie, dafür mit doppelt so vielen Muskeln. Er kommt ganz nah an ihr Ohr. »In deiner Nähe schlägt nämlich meine Wünschelrute aus.«

Igitt, denkt Maddie. »Igitt«, sagt sie.

Hinter dem Kerl stehen ähnlich muskulöse Männer und lachen. Nicht auszuschließen, dass da im örtlichen Bodybuilderverein eine Wette läuft. So ein Pech, denkt Maddie, die hat er jetzt eindeutig verloren.

»Ach komm, man wird doch noch ein bisschen flirten dürfen, oder? Ich finde dich wirklich richtig süß, weißt du?«, probiert er als Nächstes und legt einen Arm um ihre Taille. Maddie schaut ihn an, bis er den Arm wieder wegnimmt. Schnell geht das, sie kann das ganz gut mit diesem gar nicht süßen Blick. Seine Clique lacht lauter, einer ruft: »Ej, Timo, die Kleine hat keinen Bock auf deinen Pimmel.«

Das kann Timo nicht so gut aushalten. »Bist du frigide, oder was?«, schnauzt er.

»Seit gerade eben schon«, sagt Maddie.

Timo zieht ab, seine Kumpel klopfen ihm auf die Schulter.

 

Maddie zieht auch ab, sie will nach Hause. Sie holt ihre Jacke von der Garderobe, kramt den Schlüsselbund aus der Tasche, verlässt den Laden und geht über die Straße zu ihrem Fahrrad. Das heißt, zu dem Brückengeländer, an dem sie ihr Fahrrad vor nicht mal zwei Stunden mit zwei Schlössern angekettet hat. Jetzt hängt an der Kette nur noch ein einzelnes Rad. Das andere Schloss, das megateure, das sie immer am Rahmen festmacht, haben sie geknackt. Es ist nicht das einzige. Neben ihrem alten Hollandrad-Reifen steht der eines Mountainbikes, bei dem haben sie sogar die Speichen verbogen. Traurig sehen sie aus, diese einsamen Räder. Sie streckt die Hände aus und streicht den beiden Reifen über die schwarzen Profile.

 

»Jetzt fühlt es sich schon besser«, sagt eine tiefe Stimme hinter ihr. Holländisch mit englischem Akzent, eine hinreißende Kombination.

»Sie sahen so aus, als könnten sie ein bisschen Trost gebrauchen«, sagt Maddie und dreht sich um. Ebenfalls hinreißend, beschließt sie nach anderthalb Sekunden. Braune, wuschelige Haare, die im Schein der Straßenlaterne golden schimmern, bernsteinfarbene Augen, ein schiefes Lächeln. Ein Gesicht wie ein kleiner, frecher Kater.

 

»Trost ist immer gut«, sagt der Mann auf der Brücke und streckt ihr die Hand hin. »Ich bin Jack und das ist mein Fahrrad. Beziehungsweise der Rest davon.«

»Ich bin Maddie.« Maddie greift nach seiner Hand und schüttelt sie. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich bis in die Schulter aus. Huch, denkt sie und lässt die Hand schnell wieder los. Sie deutet auf ihr Rad. »Das war meins. Ich habe es sehr gemocht.«

Eine Weile stehen sie nebeneinander und schauen an, was ihnen von ihren Fahrrädern noch geblieben ist. »So ein Mist«, sagen beide gleichzeitig. Sie schauen sich an und lachen. Dann schließen sie ihre Kettenschlösser auf, hängen sie sich um den Hals und nehmen die Räder in die Hand. Sie laufen in die gleiche Richtung, manchmal rollt Jack sein Rad neben sich her wie ein neues Spielzeug.

»Es ist schon das zweite, das sie mir in diesem Jahr geklaut haben. Statistisch gesehen sollte ich jetzt also ein bisschen Ruhe haben«, sagt er.

»Ich hatte meins unglaubliche vier Jahre lang, es war so ein himmelblaues Omarad. Ich dachte schon, dass das einfach keiner klaut.«

Zwei Frauen mit Pferdeschwanz radeln ihnen auf der anderen Straßenseite entgegen. »Hi Doktorandus«, ruft die eine. »Lange nicht gesehen«, die andere. Jack winkt, sie radeln weiter.

»Die kenne ich vom Studium, schon ewig her«, erklärt Jack.

»Medizin?«

»Tiermedizin.«

Ein Tierarzt, wie spannend, denkt Maddie. Aber dann sagt Jack etwas, das sie noch spannender findet. »Ich würde gerne mein Picknick mit dir teilen.«

»Picknick?«

Er greift über seine Schulter und klopft auf den Rucksack, der in der Tat ziemlich prall gefüllt ist. »Im Frühling sollte man stets ein Picknick dabeihaben.«

Originell, denkt Maddie. Sie sagt: »Natürlich«, und es klingt ironischer, als sie es meint. Jack schaut sie an und lacht. »Jetzt glaubst du, dass ich ein bisschen … wie sagt man? … dass ich ein bisschen nicht alle Schrauben im Schrank habe?«

Dieser Akzent. Und wie hübsch Niederländisch auf einmal ist, wenn jemand es so charmant durcheinanderbringt. »Nicht alle Tassen im Schrank«, grinst Maddie. »Ich überlege noch.«

»In Wirklichkeit habe ich heute Abend einfach eingekauft und dann einen alten Freund besucht, er wohnt hier ganz in der Nähe. Und jetzt habe ich Hunger.« Er hebt das Rad mit den verbogenen Speichen hoch und fügt hinzu: »Kommt sicher vom Schock.«

»Ich mag Picknicks«, sagt Maddie.

Sie finden eine Bank mit Blick auf die Gracht und packen aus. Apfelsaft, Baguette, Käse, Oliven, Essiggurken und kleine Tomaten. Mandelschokolade zum Nachtisch. Zahnpasta und Rasierseife, die stopft Jack zurück. Eine Packung Teelichter, von denen stellt Jack zwei auf die Bank zwischen ihnen und zündet sie an. »Candlelight-Dinner«, sagt er und schaut Maddie in die Augen. Maddie schaut zurück. Diesmal kribbelt es bis in die Zehenspitzen. Und im Bauch, was ist da eigentlich in ihrem Bauch los? Huch, denkt Maddie wieder. Aber auch: wie großartig.

 

Fast zwei Stunden später, pünktlich um Viertel vor zwei, laufen Maddie und Jack Hand in Hand im muffelnden, schiefen Pfefferkuchenhaus die Treppen rauf. Maddie weiß nicht genau, wie es so schnell so weit kommen konnte, aber sie hat sich schon lange nicht mehr so leicht gefühlt. »Meine Schwester wohnt bei mir, aber sie hat ein eigenes Zimmer«, sagt sie auf dem Weg vom zweiten in den dritten Stock. »Prima«, sagt Jack und hält ihre Hand.

 

Juanita hat schon für Maddie das Schlafsofa ausgeklappt und sich umgezogen – heute Nacht trägt sie ihr Amazonen-Outfit: eine enge rote Korsage, darüber eine brave karierte Bluse, schwarze Lederstiefel und Reithosen. Ihre Haare hat sie zu einem strengen Knoten im Nacken festgesteckt, ihre Augen und Lippen sind stark geschminkt. Als Maddie und Jack ins Wohnzimmer kommen, räumt sie gerade ihre Zeichensachen weg. »Jack, das ist Juanita. Juanita, das ist Jack«, sagt Maddie.

»Bist du Maddies Schwester?«, fragt Jack.

»Nein, Isa ist Maddies Schwester. Sie schläft schon lange«, sagt Juanita und zeigt auf die Tür neben der Küchenzeile.

Sie schaut auf die Uhr. »Die Arbeit ruft.«

Jacks Blick fällt auf Juanitas Reitstiefel.

Juanita nimmt eine lange Gerte vom Sofa und lässt sie einmal probehalber gegen das Leder knallen.

»Ziemlich spät fürs Dressurtraining«, sagt Jack.

»Dieses Jahr sind die Weltmeisterschaften in Tokyo. Um die Pferde auf die Zeitumstellung vorzubereiten, reiten wir jetzt immer nachts unter Flutlicht«, sagt Juanita mit todernster Miene. Jack nickt, ebenso ernst. Um nicht laut loszuprusten, geht Maddie schnell in den Flur zurück und zieht ihre Schuhe aus.

Juanita zupft sie am Ärmel und zieht sie in die Nische zwischen Wohnungstür und Maddies Kleiderschrank.

»Der ist gefährlich, Chica«, wispert sie, legt eine Hand auf ihre Brust und tut so, als würde sie sich das Herz rausreißen.

»Mit Herzensbrechern kann ich umgehen«, flüstert Maddie. Juanita wirft ihr einen »Wir wissen es doch beide besser«-Blick zu.

 

In Liebesdingen läuft es bei Maddie eher so mittelmäßig. Als Isa vor drei Jahren bei ihr eingezogen ist, ist Joris ausgezogen.

»Kein normaler netter Mann wird sich langfristig auf dich einlassen, solange deine geistig behinderte Schwester bei dir wohnt«, sagt Maddies Mutter.

»Er muss nicht normal sein. Nett reicht«, sagt Maddie dann, und an dieser Stelle wird sie wütend: »Isa ist nicht geistig behindert, sie ist nur ein bisschen anders.«

Manchmal hat sie Angst, dass ihre Mutter recht hat. Die Männer wollen sich ja meist nicht mal mittelfristig auf sie einlassen. Ob das an Isa liegt oder an ihr? Sie weiß es nicht.

Maddie wäre gerne ein bisschen mehr wie Juanita – minus ihren Nebenjob. Juanita will keine Beziehung, sie hat nicht so verrückt altmodische Träume vom Heiraten und Kinderkriegen.

»Ich muss los, Chica. Hab’ viel Spaß und pass’ auf dich auf«, sagt sie jetzt, drückt Maddie an sich und geht.

 

»Vielleicht sollte ich mit Juanita noch einmal länger über ihre Pferde sprechen. Wegen der Vorbereitung auf die Zeitverschiebung. Da könnte man sicher auch homöopathisch was machen«, sagt Jack, als Maddie zurück ins Wohnzimmer kommt. »Weißt du, in welchem Stall sie trainiert?«

»Ähm …«, beginnt Maddie. Dann sieht sie, wie Jacks Mundwinkel zucken.

Sie knufft ihn in die Seite. Er fängt an zu lachen. »Die Weltmeisterschaften werden dieses Jahr in den USA ausgetragen. Aber ansonsten war die Geschichte große Klasse.«

Maddie lacht auch und findet Jack gleich noch ein bisschen besser. Weil er sich nicht so leicht für dumm verkaufen lässt und offenbar ziemlich entspannt ist.

»Willst du was trinken?«, fragt sie.

»Später«, sagt Jack. Dann küsst er sie.

 

Draußen grölen ein paar Betrunkene, sie kehren von ihrer Kneipentour in die Airbnb-Unterkünfte zurück. Ein Auto hupt, jemand dreht die Musik zu laut auf, ein anderer brüllt etwas durch die Nacht, ein Hund bellt. Ganz normale Amsterdamer Nachtgeräusche, aber heute klingen sie anders. Vielleicht liegt es daran, dass sie selber genug Krach machen. Am lautesten ist die Schlafcouch. Mit ihren alten Sprungfedern quietscht sie sich gerade die Tonleiter hoch. Stört Maddie auch nicht. Sie schaut im diffusen Licht in Jacks Augen, spürt seine Haut auf ihrer, und durch ihren Körper schwappt dieser wunderbare Hormoncocktail aus Oxytocin und Adrenalin. So muss es im Himmel sein, denkt Maddie, weil man so berauscht von Sex und Glück eben keine intelligenteren Sachen denken kann. In einem Himmel mit Heulsirenen.

 

Jack erstarrt für den Bruchteil einer Sekunde, dann liegt er nicht mehr auf, sondern neben ihr, bis zum Kinn unter der Decke verschwunden. Die Heulsirene steht am Fuß des Sofas. Isa. »Jemand hat Janneke geklaut«, schnieft sie und deutet mit dem Finger auf Jack. »Er war’s.«

»Du hast nur schlecht geträumt«, versucht Maddie sie zu beruhigen. »Das ist meine Schwester Isa«, sagt sie zu Jack. Sie würde sich gerne in die Decke einwickeln, aber es ist nur eine da und die hält Jack fest. Also schwingt sie sich nackt vom Schlafsofa, zieht ihren Slip an und schlüpft in das nächstbeste T-Shirt, das auf dem Boden liegt.

Isa starrt auf Jacks nackten Fuß, dann haut sie probeweise darauf. »Gib Janneke zurück!«

Jack zieht den Fuß weg. »Wer ist Janneke?«

»Isas Stoffhase«, sagt Maddie und packt Isas Hände. Manchmal hat ihre Schwester ein verdammt schlechtes Timing. »Ich bin gleich wieder da«, sagt sie über die Schulter zu Jack. Dann bringt sie Isa in ihr Zimmer. Es ist klein, aber es ist ihr eigenes. Mit einem großen rosafarbenen Himmelbett, über dem weiße Lichterketten leuchten. Vor dem Fenster steht eine große Kiste mit Stoffresten, daneben ein kleiner Schreibtisch und der Kleiderschrank.

 

Maddie schiebt Isa zum Bett. Ihr Nachthemd ist durchgeschwitzt, hoffentlich wegen des Traumes und nicht, weil sie Fieber bekommt.

»Jack ist ein Freund. Du darfst ihn nicht hauen«, sagt sie und nimmt einen frischen Schlafanzug aus dem Schrank.

»Er ist ein Dieb«, ruft Isa trotzig und setzt sich auf die Bettkante, den Pyjama auf ihrem Schoß. Eine große Träne rollt ihr über die Wange.

Hör auf!, will Maddie schreien, aber weil das alles nur noch schlimmer machen würde, kriecht sie lieber unter Isas Bett. Dort liegen Stifte und zwei Malbücher, eine Packung Taschentücher, ein aus Stoffresten geflochtenes Haarband, drei Staubmäuse und ein alter angegrauter Stoffhase. Sie packt Janneke an ihrem langen Ohr und zieht sie hervor.

Isa wischt sich mit dem Ärmel durchs Gesicht und lächelt. »Janneke!«

Musste ja sowieso in die Wäsche, denkt Maddie und hilft Isa, sich umzuziehen. Eigentlich kann sie das alleine, aber nicht nachts um drei nach einem schlechten Traum.

»Liest du mir noch eine Geschichte vor?«, fragt Isa, als sie endlich wieder unter der Decke liegt.

»Es ist viel zu spät für Geschichten«, sagt Maddie.

»Aber ihr wart eben noch ganz schön wach«, sagt Isa, rollt sich dann aber ohne zu quengeln auf der Seite ein und schließt die Augen.

 

Maddie geht zurück in die Wohnschlafküche. »Sorry, manchmal träumt Isa schlecht«, sagt sie.