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Die Hausboot-Detektei - Tödlicher Stoff E-Book

Amy Achterop

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Beschreibung

Fünf Hobby-Detektive. Eine strickbegeisterte Oma. Ein gefährliches Exportgeschäft. Amsterdam ist ein teures Pflaster. Findet auch Kaatje Hommel. Die alte Dame bessert ihre Rente mit dem Verkauf selbst gestrickter Mützen auf. Das läuft wunderbar, bis ihr ein angesehener Unternehmer das Geschäft kaputt machen will. Kurz darauf ist der Mann tot. Arie, Maddie, Jack, Jan und Elin ermitteln und finden bald heraus, dass hinter dem großen Vermögen des Toten ein mindestens ebenso großes Verbrechen steckt. Doch welche Verbindung gab es zwischen ihm und Kaatje? Und was hat der berühmte Modedesigner Bengt Bjerker mit der Sache zu tun? Plötzlich gibt es eine weitere Leiche und die fünf Hobby-Detektive müssen einmal mehr erfahren, dass es manchmal ganz schön schwer ist, sich an das Gesetz zu halten und gleichzeitig das Richtige zu tun. Der dritte Wohlfühl-Krimi mit der Amsterdamer Hausboot-Detektei

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Seitenzahl: 317

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Ähnliche


Amy Achterop

Die Hausboot-Detektei - Tödlicher Stoff

Kriminalroman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Fünf Hobby-Detektive. Eine strickbegeisterte Oma. Ein gefährliches Exportgeschäft.

An einem nebligen Frühlingsmorgen in Amsterdam wird Arie, Inhaber der Hausboot-Detektei, Zeuge, wie ein angesehener Unternehmer überfahren wird. Wiebke, die Tochter des Unfallopfers, ist überzeugt, dass dieser Tod kein Unfall war, und beauftragt die Hausboot-Detektei mit dem Fall. Und tatsächlich stoßen Arie, Maddie, Jack, Jan und Elin auf jede Menge Ungereimtheiten: Welche Verbindung gibt es zwischen dem Toten und Kaatje Hommel, einer alten Dame, die ihre Rente mit dem Verkauf von Strickmützen aufbessert? Was hat ein schwedischer Modedesigner mit der Sache zu tun? Dann gibt es eine weitere Leiche und die fünf Detektive müssen erfahren, dass es manchmal ganz schön schwer ist, sich an das Gesetz zu halten und gleichzeitig das Richtige zu tun.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Amy Achterop alias Heidi van Elderen wollte eigentlich selbst auf ein Hausboot in Amsterdam ziehen. Dann wurde ihr klar, dass man dort zwar Hunde, aber keine Esel und Schafe halten kann. Deshalb genießt die am Niederrhein aufgewachsene Autorin heute nur echte und fiktionale Ausflüge in die Grachtenstadt. Die übrige Zeit lebt sie zusammen mit ihrem niederländischen Ehemann, ihren Kindern und vielen Tieren auf einem kleinen Bauernhof in Schweden.

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Leseprobe

1. Kapitel

2. Kapitel

1

Ein Fettschwanzmaki müsste man sein. Die dürfen sich nämlich nicht nur rund und dick futtern, sie können auch super schlafen, sieben Monate am Stück. Das hat Isa erzählt und gleich ein Exemplar auf Aries graues T-Shirt gemalt. Da liegt er nun mit geschlossenen Augen auf Aries Bauch, der kleine Primat aus Madagaskar, auf einem Hausboot mitten in Amsterdam. Ansteckend wirkt sein unentwegtes Rumschlummern aber leider nicht. Dafür ein wenig angeberisch, genauso wie Hunds zufriedenes Schnarchen, das von nebenan aus der Wohnküche kommt.

Arie Poepjes, früher Polizist, jetzt Detektiv und Experte in Sachen Schlaflosigkeit, versucht, nicht hinzuhören – weder auf Hunds Schnarchen noch auf sein Magenknurren.

Arie seufzt, wälzt sich von einer Seite auf die andere, nimmt schließlich sein Smartphone vom Nachttisch. Mittwoch, der 3. April, 3.57 Uhr, neun Prozent Akku. Das Smartphone braucht dringend Strom, noch dringender braucht er Schlaf.

Möglicherweise könnten Spaghetti mit Sahnesoße helfen, dazu ein kleiner Schlaftrunk. Aber nicht wieder Gute-Nacht-Tee, diese fiese Kräutermischung hat schon am Vorabend nicht funktioniert. Lieber ein Gläschen Rotwein oder Punsch mit Schuss. Darf er nicht: kein Alkohol, keine Kalorienbomben. Jedenfalls nicht, wenn er auf seine Hausärztin hört. »Arie, wir müssen abnehmen«, hat sie gesagt, obwohl in Wahrheit natürlich nur er abnehmen muss. Und auch, dass sein Blutdruck zu hoch sei und seine Leberwerte schon mal besser waren. »Mmmh«, hat Arie geantwortet. Gedacht hat er, dass wir doch sowieso alle einmal sterben müssen, und weiter gemacht wie gehabt. Bis Matts angerufen hat.

 

»Du wirst Opa«, hat Matts gesagt, kurz Luft geholt und »Zweifacher Opa« hinzugefügt. Während Arie sich auf den nächstbesten Stuhl sinken ließ, druckste Matts noch herum, dass das jetzt alles etwas anders sei als geplant, aber dass sie noch vor der Entbindung zurück nach Amsterdam ziehen würden.

»Wie das?«, hat Arie gefragt. Matts war nicht mal mit dem Studium fertig, und Natascha verdiente gerade genug für ihre winzige Bude in Wien. Für das gleiche Geld gab es in der niederländischen Hauptstadt höchstens eine Garage. Und bis sie eine bezahlbare Sozialwohnung bekämen, wären die Kinder schon mit der Grundschule fertig.

Aber es war schon alles geregelt. Die junge Familie würde zu Nataschas Tante ziehen. Die besaß im Norden der Stadt ein altes, großes Haus und fühlte sich sowieso ein wenig einsam.

»Ich kann dann auch gerne mal babysitten«, hat Arie angeboten. Und gleich am selben Tag Kartoffeln mit Salz statt Pommes mit Mayo gegessen.

 

Arie findet, dass er nicht der beste Vater war. Zu oft im Dienst, zu oft nicht richtig bei der Sache. Mit seinen Enkelkindern will er es besser machen. Und dafür muss er fit sein. Sehr fit. Denn wenn es schon anstrengend ist, einen Säugling mit Bauchweh stundenlang auf dem Arm zu schaukeln (das weiß Arie vom Hörensagen), wie anstrengend sind dann erst zwei? Aber er freut sich darauf. Na ja, tagsüber jedenfalls. Dann stellt er sich vor, wie er mit den Zwillingen Lego-Boote baut, mit ihnen Fußball spielt und ihnen mit Hund zusammen das Schwimmen beibringt. Also wenn sie dann ein bisschen älter sind.

Aber jetzt ist es Nacht, und Arie leidet an Schlafmangel. Zwei kleine Menschen gleichzeitig zu betreuen, erscheint ihm völlig unmöglich, ganz egal, wie schlank und fit er ist, noch dazu auf einem Hausboot. Im Kopfkino wechselt Arie einem schreienden Kind die Windeln, während das andere unbemerkt auf die Reling zukrabbelt, über Bord fällt und im eisigen Wasser der Gracht versinkt.

Arie nimmt die Schlafmaske ab und reißt die Augen auf, weil das manchmal hilft, wenn in seinem übermüdeten Gehirn die Schreckgespenster außer Rand und Band geraten. Durch das Bullauge der Lakshmi funkelt ihn eine Straßenlaterne an, in einem Fenster blinkt ein Stern, der aussieht, als wäre er von Weihnachten übrig geblieben. Ganz dunkel wird es in Amsterdam nie, daran hat auch die Energiekrise nichts geändert. Arie starrt auf das Wasser der Gracht hinaus. Immerhin das ist nachtschwarz. Und ganz unbewegt. Vermutlich schläft es.

Arie macht die Augen wieder zu. Irgendwo knirscht es. Dann hört er schwere, schlurfende Schritte, die klingen, als ob ein alter Riese durch die Kombüse tapert. Oder ein verschlafener, riesiger Neufundländer. Alt ist er vielleicht auch schon, der Hund, der Hund heißt und den Arie vor über einem Jahr von seinen ehemaligen Nachbarn adoptiert hat. So genau weiß das niemand, jedenfalls ist Hund schon ein bisschen weiß um die Schnauze und muss in letzter Zeit öfters seine Blase leeren. Jetzt will er aber nicht raus zum Pinkeln, jetzt will er zu Arie ins Bett. Darf er eigentlich nicht. Weil Arie die Idee, ein bisschen Gesellschaft zu haben, ganz schön findet, aber gleichzeitig daran denkt, dass man bei der Hundeerziehung konsequent sein sollte (steht jedenfalls im Ratgeber für Hundebesitzer), tut er einfach so, als ob er schläft.

Hund schnuppert an seiner Hand, dann legt er vorsichtig erst die eine, dann die andere Pfote auf die Matratze. Die Hinterbeine folgen, der Lattenrost ächzt, und 74 Kilo Hund liegen in der Koje. Kopf und Vorderbeine auf Aries Beinen. Das ist ein bisschen schwer, aber es ist auch so gemütlich, dass Arie mindestens eine halbe Stunde glaubt, nun doch einschlafen zu können. Bis sein Handy piept, weil es jetzt wirklich dringend Strom braucht. Wo ist eigentlich das verdammte Ladekabel? Und warum brummt jetzt auch noch sein Kopf?

Arie seufzt, schiebt Hund von seinen Beinen und setzt sich auf die Bettkante. Seine Waden kribbeln, immerhin die sind eingeschlafen. Er gähnt und reibt sich den Nacken. Hund blinzelt, wendet den Kopf ab und schnarcht so demonstrativ weiter, dass sich Arie fragt, ob auch Hunde sich schlafend stellen können. Er schlüpft in die Pantoffeln, zieht den Bademantel über, ein in die Jahre gekommenes Stück aus blau-weiß gestreiftem Frottee, und steckt das Telefon in die Tasche.

Drei Schritte durch das Wohnzimmer, durch die Schiebetür, und er quetscht sich in die Nasszelle, die so klein ist, dass sie ihm schon lange vor seiner Hausärztin zugeflüstert hat, dass weniger Bauch einige Vorteile hätte. Arie spritzt sich kaltes Wasser ins Gesicht und wirft einen Blick in den Spiegel. Sein Haar sieht zerrupft aus und irgendwie grauer als sonst, seine Haut ist zerknittert, die Augen sind klein und gerötet. Schlafmangel hat noch niemanden schön gemacht.

Vier Schritte weiter steht Arie in der Kombüse. Die ist auch klein, bietet aber erstaunlicherweise regelmäßig Platz für vier bis fünf Detektive plus ein bis zwei Besucher, den großen Hund und ein kleines Eichhörnchen – vorausgesetzt, dass sie eng zusammenrücken. Es gibt eine Küchenzeile, auf der sich sonst das Geschirr stapelt. Aber weil er in der Nacht aufgeräumt hat (in der Hoffnung, das würde einschläfernd wirken), liegt hier heute Morgen nur ein Spüllappen neben dem Wasserkocher. Arie stellt diesen an und löffelt Instantkaffee in eine Tasse. »Nicht gut für den Blutdruck, und beim Einschlafen hilft Koffein auch nicht«, hört Arie die Stimme seiner Ärztin im Kopf. »Dafür hilft es gegen Kopfweh«, widerspricht er und wirft dem Pulver zwei Stück Zucker hinterher.

Auf einmal hat Arie das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden, der nicht Hund oder er selbst ist. Kurz nach sechs, zeigt ein Blick auf sein Handy. Keine ideale Zeit, um irgendwo anzurufen. Früher war das einfacher, da hätte er jetzt über Funk mit Wessel oder einem anderen Kollegen von der Frühschicht quatschen können.

Daran will er nicht denken. Besser sucht er sowieso erst einmal das Ladekabel. Auf dem alten Küchensofa liegt es nicht, auch nicht in dem Korb mit Zeitschriften, Spielkarten und Haselnüssen, die vermutlich Fru Gunilla, Jans Eichhörnchen, hier versteckt hat. Arie sucht auf dem Bücherregal und in der Krimskrams-Schublade, schüttet kochendes Wasser in die Kaffeetasse und findet das Kabel schließlich in der Zimmerecke auf der Waschmaschine. Über der Waschmaschine hängt ein heller Baumwollvorhang, auf den Isa mit schwarzem Stoffmalstift die Amsterdamer Skyline, die Lakshmi in der Gracht und Fru Gunilla gezeichnet hat. Darunter steht: Die Hausboot-Detektei. Der Vorhang ist ein echter Hingucker, soll aber vor allem das Whiteboard dahinter verbergen. Auf dem Whiteboard stehen die Regeln der Hausboot-Detektei, und die sehen Kunden besser nicht. Arie grinst, dann setzt er sich mit dem Kaffee auf die Küchenbank, hängt sein Smartphone ans Netz, nimmt zwei Schlucke und denkt daran, dass Elin Ende der Woche zurück nach Amsterdam kommt. Er freut sich darauf, sie wieder im Team zu haben, obwohl die Methoden der Schwedin manchmal etwas, nun ja, etwas unkonventionell sind. Die letzten Monate hat sie, mit kurzer Unterbrechung, in Panama verbracht. Und dort, rechnet Arie aus, ist es gerade Mitternacht. »Vor eins schlaf ich sowieso nie«, hat Elin einmal erzählt.

Heute klingt sie so wach, als hätte sie gerade eine Handvoll Coca-Blätter gekaut. »Arie!«, ruft sie ins Telefon. Es rauscht kurz in der Leitung, dann hört Arie ein Rumpeln und einen spitzen Schmerzensschrei.

»Elin?«

Es raschelt.

»Der blöde Koffer ist vom Bett gerutscht. Aber sag lieber, warum du anrufst: Habt ihr einen neuen Fall, oder kannst du nicht schlafen?«

Arie fühlt sich ertappt. Er macht den Mund auf, um irgendetwas zu sagen, aber heraus kommt nur ein großes Gähnen. Elin lacht. »Hast du es mit Spazierengehen versucht?«

»Ich habe die Küche aufgeräumt, Kräutertee getrunken und Atemübungen gemacht, von denen ich einen Hustenanfall bekommen habe. Außerdem habe ich mir gewünscht, ein Fettschwanzmaki zu sein.«

»Fettschwanzmaki«, wiederholt Elin langsam. Ihr Niederländisch ist verdammt gut, aber eben auch nicht so gut, dass sie alle exotischen Tiernamen kennt. »Ist das was zum Essen?«

»Eine Lemurenart aus Madagaskar. Von November bis März futtern sie sich Speck an. Die restlichen sieben Monate verschlafen sie in ihren Baumhöhlen.«

Elin lacht. »Dann würdest du aber meine Rückkehr verpassen.«

»Stimmt«, sagt Arie. »Andererseits hätte ich bei unserem Wiedersehen im November keine Augenringe und weniger Wampe.«

»Ich mag dich auch mit.«

Das, denkt Arie, ist vielleicht noch besser als Schlaf. »Sollen wir dich vom Flughafen abholen?«

»Ihr seid die Besten.« Elin seufzt zufrieden. »Ich freu mich schon. Auf euch und das Boot und die Stadt und den Frühling.«

»Frühling«, sagt Arie zweifelnd.

»Nicht?«

»Vielleicht, wenn der Regen mal aufhört.«

»Solange es nicht so heiß ist, nehme ich sogar den Regen«, sagt Elin. Dann sagt sie, dass sie jetzt besser weiter packt, weil sie auch noch das Haus putzen muss.

Spazieren gehen, denkt Arie, und trinkt den letzten Schluck Kaffee. Vielleicht gar keine schlechte Idee. Ein bisschen Bewegung an der frischen Luft und dann noch mal für ein Stündchen zurück in die Koje. Er steht auf, streckt sich und stößt mit der Hand ans Bücherregal. »Hund?«, ruft er, während er aus den Pantoffeln und in die Gummistiefel schlüpft.

Hund schlurft heran, seine Schwanzspitze wackelt ein bisschen.

 

Es regnet nicht. Dafür ist die Luft klamm und weiß und so dick, dass Arie kaum bis zur Reling sehen kann. Er ist etwas unheimlich, dieser Dunst vor Sonnenaufgang. Arie muss an den Alfred-Hitchcock-Film denken, den sie, als einen von zahlreichen alten Krimis, kurz nach der Gründung der Hausboot-Detektei angeschaut haben. Zu Schulungszwecken und weil sie sonst wenig zu tun hatten. In dem Film hatte ein Mann im Nebel Londons reihenweise Frauen ermordet. Arie nimmt Hund an die Leine und geht an Land.

Eine merkliche Stille liegt über der Stadt, ganz so, als hätte der Nebel nicht nur die Konturen der Häuser, sondern auch jegliches Geräusch verschluckt. Hund bleibt an einer Ulme stehen und schnüffelt, wer hier heute schon sein Bein gehoben hat. Arie schaut nach oben. Dunkle, winterkahle Äste strecken sich gen Himmel. Auf einem sitzen zwei große Vögel – Krähen vielleicht. Arie fröstelt. Er hätte eine Jacke über den Bademantel ziehen sollen.

Am Ende der Straße tauchen zwei seltsam diffuse Lichter auf. Ein Lastwagen. Und weil der auch beim Näherkommen nur ganz sachte brummt, ist es vermutlich die Müllabfuhr. Die ist nämlich schon vor Jahren auf Elektroantrieb umgestiegen.

Hund kackt auf den Bürgersteig. Arie rümpft die Nase, tütet den Haufen ein und schaut sich nach dem nächsten Mülleimer um. Er sieht keinen, dafür löst sich auf der anderen Straßenseite ein Schatten aus dem Dunkel der Häuserwand. Er bewegt sich im Licht der Straßenlaterne, weichgezeichnet vom Nebel, mit schwebendem Schritt und wallendem Mantel. Die Arme erhoben, macht er einen kleinen Knicks, als würde er Arie zum Tanz auffordern.

»Stopp!«, ruft Arie, aber da tanzt der Schattenmann schon auf die Straße. Bremsen quietschen, Karosserie trifft auf Knochen. Ein dumpfer Schlag, dann ist es still. Arie greift in seine Tasche, erinnert sich, dass das Telefon noch zu Hause am Ladekabel hängt. Er läuft los, Hund trabt an seiner Seite. Die Fahrertür öffnet sich, eine Frau springt raus. Sie und Arie kommen gleichzeitig vor dem Fahrzeug zum Stehen, beugen sich über den Mann auf dem nebelnassen Asphalt.

Der lächelt. Seine Augen sind geschlossen, sein Kopf liegt seltsam schief. Hund legt sich zu dem Mann auf den Boden und schleckt ihm über die Hand. Arie geht in die Hocke, denkt, dass ihm das Gesicht des Mannes bekannt vorkommt, legt ihm Zeige- und Mittelfinger an den Hals, tastet nach seinem Puls. Er findet ihn nicht. Der Mann ist tot.

2

»Keine Kekse«, sagt Oma Kaatje. Sie steht an dem einen Ende des Küchentischs, Robin sitzt am anderen. Seine Hand schwebt über der Keksdose.

»Nur einen?«, fragt er und versucht es mit dem Enkelblick.

Klappt sonst immer. Kaatje Hommel ist niemand, der irgendwen hungern lässt. Aber heute nimmt sie den Gehstock von der Stuhllehne und wirft ihn aus wie eine Angel. Der Rundhakengriff legt sich um die Keksdose, dann zieht Kaatje sie zu sich, einmal quer über den knallgelben Tisch.

»Keinen«, stellt sie klar, nimmt die Dose und kippt ihren Inhalt in den Mülleimer.

Robins Mutter Tineke prophezeit seit Jahren, dass Kaatje bald vollends den Verstand verliert. Schließlich habe schon der alte Hommel, das war Robins Urgroßvater, in der Psychiatrie gesessen. Und Kaatjes Schwester Berta hockte nur wenige Jahre später auf der Kommode und versuchte, ihre Haare mit der Zahnbürste zu kämmen. »Das ist doch alles erblich«, meint Tineke zu wissen. Woraufhin Nico, das ist Robins Vater und Kaatjes Sohn, fragt, ob sie behaupten will, seine Gene seien an allem schuld. Er sagt an allem, meint aber: daran, dass aus unserem Sohn so ein verpeilter Nichtsnutz geworden ist. Hierauf beeilt sich Tineke, »Natürlich nicht« zu sagen, während sie ein perfektes Aber-meine-Schuld-ist-es-sicher-nicht-Gesicht aufsetzt.

Robin gibt nicht viel darauf, was seine Eltern sagen. Oma Kaatje, da ist er sich sicher, wird noch mit ihrer pinken Vespa durch die Stadt brausen, wenn Nico und Tineke schon lange im Altenheim gefüttert werden.

Aber heute stimmt hier irgendetwas nicht. Ihm die Kekse vorzuenthalten, das ist eine Sache. Die Kekse in den Müll zu werfen, eine ganz andere.

»Oma? Wie geht es dir?«

Kaatje rückt ihr Haarband zurecht. »Ranzig«, sagt sie schließlich, ohne ihm ins Gesicht zu schauen.

»Ranzig?«, wiederholt Robin, nicht wirklich schlauer, aber zunehmend besorgt. »Klingt unangenehm. Tut dir etwas weh?«

Kaatje krempelt die Ärmel hoch und zieht eine altmodische Rüschenschürze über ihren bunten Glitzerkaftan. »Nicht ich, Schätzchen. Die Kekse waren ranzig.«

»Ah«, sagt Robin erleichtert, gleichzeitig fühlt er sich auch ein bisschen dumm. Besser, er wechselt das Thema. Über Anouk könnte er sprechen, über die wilde, schöne Anouk, in die er schon heimlich verliebt war, als sie noch die Matheprüfungen von ihm abgeschrieben hat. Nach der Schule hat er sie aus den Augen verloren, bis sie vor gut drei Monaten plötzlich am Postschalter sein Paket entgegennahm. »Arbeitest du jetzt hier?«, fragte Robin, was natürlich eine selten dämliche Frage war. Trotzdem hatte Anouk gelächelt. »Nur nebenher.« In den kommen Wochen war Robin noch öfters zurückgekehrt, um Pakete zu verschicken oder auch um Briefmarken zu kaufen, die er gar nicht brauchte, und plötzlich war das Wunder passiert. Anouk hatte unsagbar süß und ein bisschen schüchtern mit ihrer Haarsträhne gespielt und gefragt, ob er nicht Lust hätte, mit ihr am Wochenende durch die Clubs zu ziehen. Und dann hatten sie getanzt, die halbe Samstagnacht, obwohl Robin doch gar nicht tanzen konnte. Sein Kumpel Elias fragte später, was er genommen hätte und ob er ihm was abtreten könnte.

»Keine Drogen, das ist Liebe«, hatte Robin verkündet.

Leider will Anouk ihre Liebe noch eine Weile geheim halten. »Ich will mir nicht ausmalen, was der Typ mit uns macht, wenn er von der Sache Wind bekommt«, hat sie gesagt. Der Typ, das ist Anouks Ex-Freund. Er ist schon 28, also sechs Jahre älter als Robin und Anouk, fährt ein fettes Motorrad und hat ein Gesicht wie ein Pornostar. Außerdem ist er vorbestraft, weil er im Suff mal einem Türsteher die Nase gebrochen hat.

Also wird Robin über etwas anderes sprechen. Auf der Suche nach einem neuen Thema lässt er seinen Blick durch die Küche schweifen. Draußen ist es heute so trübe, dass nicht mal die Vögel aufgestanden sind. Aber in Kaatjes kleiner Wohnung ist es immer Sommer. Die alte Küche leuchtet gelb, türkis und rosa, an den Wänden hängen bunte Teetassen, Windspiele und Hängepflanzen, im Wohnzimmer singt Bob Marley. Wüsste Robin es nicht besser, er würde glauben, in einer hippen Strandbar in der Karibik zu sitzen und nicht in einer grauen Hochhaussiedlung in Amsterdam. Nur dieser Gehstock stört das Bild. Seit wann liegt der nicht mehr auf dem Schrank?

»Benutzt du den jetzt doch?«

Kaatje zuckt mit den Schultern, während sie eine Packung Eier aus dem Kühlschrank nimmt. »Hast du doch gesehen. Mit so einem Ding kann man super Keksdosen angeln.«

Robin schaut ganz genau hin, als Kaatje zurück zum Tisch läuft, kann ja sein, dass ihr Knie aufmuckt. Aber seine kleine Oma mit den frechen Augen und dem verrunzelten Gesicht hat den üblichen Catwalk drauf, mit den Klamotten eines Flower-Power-Mädchens und der Aura einer Grande Dame: fließend, aufrecht, siegessicher. So als hätte sie nicht erst vor einem Jahr mit gebrochener Kniescheibe im Krankenhaus gelegen.

»Das ist ein klassischer Rundhaken-Gehstock aus echtem Hickory-Holz. Er wurde aus einem Stück gefertigt«, hatte Robins Vater gesagt und das Ding auf die weiße Bettdecke gelegt.

»Besten Dank«, hatte Kaatje gesagt und sich unaufgeregt eine Praline in den Mund geschoben. Sechs Wochen später war der Gips ab und Kaatje auf dem Weg in die Toskana. »Wenn ich schon in die Reha muss, dann wenigstens, wo es schön ist.« Kurz nach ihrem 79. Geburtstag kam sie heim: mit wiederhergestellten Gelenken, einer Kurzhaarfrisur und einer Leidenschaft für Spaghettoni.

»Da haben wir den teuren Gehstock ganz umsonst gekauft«, meckert Tineke bis heute, wenn sie ihre Schwiegermutter besucht. Was sie noch öfter sagt, aber nur wenn Kaatje außer Hörweite ist: »Ich frage mich, wie sie sich das mit ihrer Rente leisten konnte. Acht Wochen in diesem privaten Retreat-Zentrum, das muss ein Vermögen gekostet haben!«

Robin sagt nie etwas dazu. Er will nicht mit seinen Eltern reden – nicht über die Toskana-Reha und schon gar nicht darüber, wie Kaatje ihre Rente aufbessert.

Was er jedoch will, sind Kaatjes Pfannekuchen. »Hungern sollst du natürlich nicht«, sagt sie und schlägt das erste Ei auf. Robin beginnt, einen Apfel zu schälen. Wenig später steht Kaatje am Herd und lässt den zähen Teig von der Kelle in die Pfanne fließen. Es brutzelt, sie verteilt Apfelschnitze, dann taucht sie einen Esslöffel in den Teig und bedeckt jeden einzelnen. »Jedem Äpfelchen ein Mützchen«, singt sie dabei vor sich hin.

Kaatje liebt Mützen. Nicht dass sie häufig welche trägt, sie bevorzugt Bandanas oder lange Seidentücher, die sie zum Turban drapiert. Aber sie strickt sie, in allen möglichen Formen und Farbkombinationen. Warme Pudelmützen aus Alpaka- oder Ziegenwolle, leichte Sommer-Beanies aus bunter Baumwolle, Ballon- und Baskenmützen, Mützen mit Krempelkante und Zipfelmützen mit so extravaganten Mustern, dass sie sogar in Amsterdam auffallen. Kaatje strickt, seit Robin denken kann, aber das mit den Mützen, das hat sie erst später angefangen. Seit gut drei Jahren verkauft sie ihre Kreationen an Bengt Bjerker, den berühmten schwedischen Modedesigner.

»Soll ich gleich wieder ein Paket zur Post bringen?«, fragt Robin. Kaatje lässt den goldbraunen Pfannekuchen auf den Teller gleiten und bestreut ihn mit Zimt und Zucker.

»Das wäre reizend.«

Robin macht gerade zufriedene Schmatzgeräusche, als es an der Wohnungstür klingelt, lange und anhaltend. So klingelt nur einer. Nico Hommel.

Robin schluckt und stöhnt: »Nicht schon wieder.«

»Wir könnten so tun, als wären wir nicht da«, sagt Kaatje, setzt sich aber in Bewegung. Am Ende ist er halt ihr Sohn. Und Robins Vater. Wahrscheinlich verdankt es Nico Hommel an diesem Tag aber auch dem guten alten Bob Marley, dass er nicht vor der Tür stehen gelassen wird. »Sun is shining«, singt er aus dem Lautsprecher und fordert zum Tanz auf, so laut, dass man es noch im Hausflur hören kann.

»Hallo, Mutter.«

Robin kann sich vorstellen, wie sein Vater mit einem scheinbar beiläufigen Blick, aber nicht ohne hochgezogene Augenbrauen den dreckigen Fußboden mustert und dann beschließt, seine ledernen Halbschuhe anzubehalten. »Zu viel Putzen macht mich schwermütig«, sagt Kaatje manchmal. Jetzt sagt sie aber: »Nico, schön, dass du mich in letzter Zeit so oft besuchst.«

»Ist doch klar. Sitzt mein Sohn zufällig auch mal wieder in deiner Küche?«

Robin schiebt sich den Rest des Pfannekuchens in den Mund. Es ist Zeit zu gehen.

»Solltest du nicht in der Uni sein?«

Robin deutet mit seinen Fingern auf die vollgestopften Wangen und kaut demonstrativ.

»Nicht nur Banker, auch Studenten haben Mittagspause«, hilft Kaatje aus. Im Gegensatz zu Nico weiß sie, dass Robins Mittagspause schon vor über drei Monaten begonnen hat.

»Du könntest ja auch mal wieder bei uns vorbeikommen. Deine Mutter vermisst dich.«

Glaube ich nicht, denkt Robin. »Viel zu tun«, lügt er.

»Auch einen Pfannekuchen?«, fragt Kaatje.

»Zu viele Kohlenhydrate«, sagt Nico, und für einen Moment sieht Kaatje aus wie eine Mutter, die sich fragt, was sie in der Erziehung falsch gemacht hat. Obwohl – wenn Robin die Erzählungen richtig deutet, hat Kaatje das mit der Kindererziehung ähnlich gesehen wie mit dem Putzen. Ob sein Vater aus Protest so ein verkniffener Banker geworden ist? Aber vielleicht war das auch was Genetisches, in diesem Fall von der Seite des unbekannten Großvaters. Von dem haben Nico und – zu seinem Leidwesen – auch Robin überhaupt einiges geerbt: das fehlende Rhythmusgefühl, die Kurzsichtigkeit, die sehr feinen blonden Haare, die bei Nico allerdings schon fast alle verschwunden sind, das glatte, ovale Gesicht, den schlaksigen Körper, an dem kein Gramm Fett, aber eben auch kein Muskel haften bleiben will.

»Wie läuft es denn mit dem Studium?«, unterbricht Nico seine Gedanken. Nico tut gerne so, als würde er seine Mittagspause opfern, um bei Kaatje nach dem Rechten zu sehen. Aber der eigentliche Grund für seine häufigen Besuche ist die Tatsache, dass Robin mittags eben bei Kaatje zu finden ist.

Robin zuckt mit den Achseln. »Läuft.«

Nico fixiert ihn mit zusammengekniffenen Augen.

Irgendwann wird er seinen Eltern sagen müssen, dass er das Lehramtsstudium nicht fortsetzen wird, genauso wenig wie das bescheuerte BWL-Studium, das er davor abgebrochen hat. Sie werden klagen, dass er seine Zukunft wegwerfe, und ihm vorwerfen, dass er faul und wankelmütig und noch dazu ein unverbesserlicher Tagträumer sei. Tagträumen ist Robins größtes Talent. Er ist so gut darin, dass er manchmal kaum noch zwischen Wirklichkeit und Illusion unterscheiden kann. In seiner Phantasie weiß er auch ziemlich gut, wie es weitergehen wird: Anouk und er wandern nach Ibiza aus. Dort würden sie ein kleines Bed & Breakfast aufmachen. Oder eine Tauchschule. Obwohl sie dafür wahrscheinlich noch ein bisschen mehr Geld machen müssten.

»Du trinkst doch nicht wieder?«, fragt Nico. Wie so oft, seitdem er Robin einmal aus der Ausnüchterungszelle abholen musste. »Oder andere Drogen? Du wirkst irgendwie high.« Er wirft seiner Mutter einen misstrauischen Blick zu, dann spezifiziert er. »Cannabis?«

Robin schüttelt den Kopf: »Abstinent wie ein Mönch.« Stimmt sogar.

»Und das in seinem Alter«, sagt Kaatje und klingt dabei aufrichtig besorgt. Im Hintergrund singt The Incredible Stringband, dass sie nicht traurig sein werden, bis der Whiskey alle ist. »Oh Lord, how happy I am.«

Nico bemerkt den Gehstock auf dem Tisch. »Benutzt du ihn endlich?«

»Nicht zum Gehen.«

»Sondern?«

Kaatje lächelt. »Nun, so ein Gehstock kann viele Zwecke erfüllen: Er ist eine gute Hilfe, wenn man das Licht einschalten, aber nicht aufstehen will. Er ist nützlich, um ungebetene Gäste in die Flucht zu schlagen, und dann ist er ein unentbehrliches Accessoire beim Stepptanz.«

»Stepptanz?«, fragt Nico. »Sag bloß nicht, dass du jetzt mit Stepptanz anfängst.«

»Das ist eine prima Idee, mein Lieber.« Kaatje stemmt die Hände in die Hüfte und tippt erst mit dem rechten, dann mit dem linken Fußballen auf den Boden. Tock macht es, wenn die Korksohlen ihrer Hausschuhe auf die Fliesen treffen. Kaatje hüpft, stampft mit der rechten, dann mit der linken Ferse auf. Tocktocktock, tocktocktock. Sie wiederholt die Bewegungen, wird schneller, bis es klingt, als würde ein Pferd durch den Wald galoppieren. Am Ende dreht sie sich einmal um die eigene Achse, lüftet einen unsichtbaren Hut und deutet eine Verbeugung an.

Robin klatscht in die Hände und pfeift.

Kaatje lächelt erst ihn, dann ihren Sohn an, die Wangen ganz rosig. »Mir fehlen noch die richtigen Schuhe. Aber den passenden Stock und Talent habe ich schon mal.«

»Deine Nachbarn werden sich freuen«, brummt Nico und zieht sein Smartphone aus der Innentasche seines Jacketts. Nachrichten lesen ist seine liebste Übersprungshandlung und überhaupt sein liebster Zeitvertreib.

»Um Himmels willen«, ruft Nico plötzlich, auf seinem Gesicht spiegelt sich Entsetzen. »Willem Bot ist tot.«

»Muss man den kennen?«, fragt Robin.

Sein Vater dreht das Telefon um, so dass Robin das Foto eines Mannes mit stechenden blauen Augen und grauen Schläfen sieht. »Einer der erfolgreichsten und vermögendsten Unternehmer der Stadt. Er war einer meiner besten Kunden, ein ausgesprochen netter Mann.«

»Fraglich«, sagt Kaatje und nimmt eine dickbauchige Tonkanne vom Regal.

»Ach ja?«, fragt Nico mit scharfer Stimme.

»Wusste schon Balzac: Hinter jedem großen Vermögen steht ein großes Verbrechen«, sagt Kaatje. »Noch jemand griechischen Bergtee?« Robin nickt. »So alt sieht dieser Willem gar nicht aus. Wie ist er denn gestorben?«

»Vor ein Müllauto gelaufen«, sagt Kaatje leichthin und wirft eine Handvoll getrockneter Blätter und Blüten ins heiße Wasser. Sie hat die Nachricht also auch schon gelesen.

Nico vertieft sich wieder in den Artikel. »Scheiß Elektroautos, sage ich ja die ganze Zeit. Die hört man kaum, und wenn so ein Nebel ist wie gestern, sieht man sie auch nicht.« Er steckt das Handy ein und erhebt sich. »Dann muss ich mal wieder. Irgendjemand muss hier schließlich das Geld verdienen. Soll ich dich an der Uni absetzen, Robin?«

Geld ist ein gutes Stichwort, denkt Robin. Er macht wohl auch mal besser, dass er loskommt. »Danke, sehr nett, aber ich habe noch ein bisschen Zeit bis zur nächsten Vorlesung. Da bringe ich noch für Oma ein Paket zur Post.« Und vorher muss er nach Hause, um der Sendung noch etwas hinzuzufügen. Aber diesen Teil erzählt er weder seinem Vater noch seiner Oma.

3

Isa wirft den Löffel hin. Er rutscht quer über den Tisch, dann scheppert er auf den Boden, Teig spritzt auf die weißen Fliesen. Maddie Hornix schaut ihre Schwester an. Isas Unterlippe zittert, ihr Gesicht ist gerötet. Ein falsches Wort von der Kernschmelze entfernt, denkt Maddie. Das sieht Falih, der dafür sorgt, dass im Café Anders alles einigermaßen rund läuft, offenbar ähnlich. Er steht auf und geht aus der Küche. Vermutlich, um zu zählen, wie viele Gäste von einer 120-Dezibel-Heulattacke erschreckt werden könnten. Möglicherweise will er aber auch einfach kurz einen Moment Ruhe haben. Ebenso verständlich, schließlich war Isa schon den ganzen Vormittag so drauf. Sonst hätte er Maddie ja gar nicht angerufen.

Das Café Anders liegt in einer kleinen Seitenstraße im Jordaan, früher das Armenviertel, aber seit einigen Jahren einer der angesagtesten Wohnbezirke der Stadt. Außer Falih arbeiten hier fast ausschließlich Menschen, die sonst nirgendwo einen Job bekommen hätten. Weil sie ein bisschen langsamer denken, zappeliger oder trauriger sind als andere, nicht lesen oder schreiben können, Drogenprobleme haben oder auf der Straße leben. Serviert werden alkoholfreie Getränke und kleine Gerichte. Die Gäste zahlen, was sie wollen. Das reicht aus, um den Laden am Laufen zu halten und dem Team ein monatliches Taschengeld zu zahlen. Isa arbeitet hier seit gut zwei Jahren, seitdem sie mit zwanzig zu Maddie in die Stadt gezogen ist. Sie mag den Job, oder wohl besser: mochte.

»Küchenarbeit ist doof«, klagt Isa nämlich nun, während die erste Träne über ihre Wange rollt. Wie immer, wenn sie aufgeregt ist, spricht sie besonders laut und so langsam, dass man mitschreiben könnte.

Nicht mit den anderen zum Flughafen fahren zu können, um Elin abzuholen, ist noch viel doofer. Denkt Maddie, die es gewohnt ist, sich um ihre Schwester kümmern zu müssen. Sie sagt es aber nicht, weil das alles gerade nur noch schlimmer machen würde. Stattdessen schiebt sie die Teigschüssel und das Muffin-Blech in die Tischmitte und reicht Isa ein Stück Küchenpapier, damit sie sich die Nase putzen kann. Vorne legt Falih Musik auf, irgendwas Chilliges mit Gitarre, ein bisschen lauter als sonst.

»Willst du tauschen?«, bietet Oskar an, der am anderen Ende des Tisches sitzt und Erdbeeren schneidet.

Isa schüttelt den Kopf.

Oskar nimmt zwei Erdbeerhälften, legt sie wieder zu einem Ganzen zusammen und steckt sie sich in den Mund.

»So eine Sauerei«, keift eine Frau, die aussieht wie eine große, traurige Krähe. Sie trägt eine schwarze Kochmütze, auf der in rosa Buchstaben Elsje steht. Maddie hat sie hier noch nie gesehen. Jetzt steht sie neben ihr, in der Hand hält sie einen blauen Putzlappen, aus dem das Wasser auf den Boden tropft.

Isa steht auf, zieht ihre Schürze aus, knüllt sie zusammen und wirft sie auf den Stuhl. Dann greift sie in die große Tasche ihres bunt karierten Hemdkleides und zieht Janneke, ihren Stoffhasen, hinaus.

»Geht ihr?«, fragt Falih, der zurück in die Küche kommt.

»Ja«, sagt Isa. »Und wir kommen auch nicht wieder.«

»Isa«, beginnt Maddie, obwohl sie gar nicht weiß, wie sie weitermachen soll. Ist aber auch so schon zu viel. »Nicht sauer sein«, heult Isa auf und beginnt zu schluchzen.

Falih nimmt Elsje den Putzlappen aus der Hand, sagt etwas, das Maddie nicht versteht, und hält dann Oskar davon ab, die restlichen Erdbeeren zu essen.

»Tschüs, Isa«, sagt Oskar.

»Würdest du lieber vorne im Café arbeiten statt in der Küche?«, versucht Maddie.

»Nein«, ruft Isa aus. »Ich hör hier auf.«

»Gut, dann macht hier niemand mehr Dreck«, ruft Elsje quer durch die Küche.

Isa umarmt Oskar, dann nimmt sie ihre Jacke vom Haken und geht.

»Scheiße«, murmelt Maddie und schaut Falih an. Ihr Blick fragt: Fällt dir nicht noch was ein? Falih zuckt mit den Schultern. Sorry, alles schon versucht. Zugegeben, ganz unerwartet kommt Isas Ausbruch nicht, sie sagt schon länger, dass sie sich im Café Anders langweilt. Kurz plagt Maddie das schlechte Gewissen. Hätte sie besser zugehört, hätte sie das heute hier vielleicht verhindern können. Aber, Mann, sie kann sich doch auch nicht immer um alles kümmern.

Die Tür fällt ins Schloss.

»Vielleicht braucht sie einfach ein paar Tage Pause«, sagt Maddie zu Falih und klingt dabei optimistischer, als ihr zumute ist.

»Vermutlich braucht sie einfach einen neuen Job«, sagt Falih. »Mode machen.«

Als ob Maddie das nicht wüsste. Seit Jahren kreiert Isa aus alten Flohmarktfunden und Stoffresten neue wilde, fröhliche Kleider, die sie selbst und inzwischen auch Maddie trägt. Außerdem zeichnet sie wunderbar. Im vergangenen Jahr hat Maddie Isa deshalb geholfen, sich an den Modeschulen der Stadt zu bewerben. Aber es gab nur Absagen, wobei nicht feststeht, ob das an Isas eigensinnigen Kreationen lag oder daran, dass sie nicht lesen und nur einen Satz schreiben kann.

»Das ist nicht so einfach«, sagt Maddie deshalb nun.

»Ich weiß«, sagt Falih.

»Wenn Isa Modedesignerin wird, werde ich Supermodel«, gackert es aus der Raumecke. Maddie wirft dieser Elsje einen so bösen Blick zu, dass die sich erschrocken die Hand vor den Mund hält.

 

Isa sitzt draußen auf der Bordsteinkante und streichelt Janneke. Hinter ihr lehnt Maddies altes Hollandrad an der roten Hauswand. Isas Wangen sind vor Aufregung noch rosa, aber sie weint nicht mehr. Das ist das einzig Gute an ihren Gefühlsausbrüchen: In der Regel sind sie schnell vorbei.

Maddie setzt sich neben sie, der Boden ist kalt, aber immerhin trocken. »Und jetzt?«

»Jetzt arbeite ich nicht mehr im Café Anders«, sagt Isa und deutet nach oben. »Schau mal, da kommt die Sonne raus.«

Maddie blickt nach oben. Mitten im großen Grau liegt plötzlich eine leuchtend blaue Insel, die zusehends größer wird. »Was willst du denn stattdessen machen?«

»Weißt du doch.«

Maddie überlegt, ob das hier ein guter Moment ist, um Isa an all die Absagebriefe zu erinnern, die zu Origami-Tieren gefaltet auf ihrer Wohnzimmer-Fensterbank stehen.

Als hätte Isa ihren Gedanken erraten, sagt sie trotzig: »Coco van Bell war auch nie auf der Modeschule.«

»Coco Chanel«, verbessert Maddie automatisch. Diesen Floh hat Juanita ihr ins Ohr gesetzt. »Die konnte aber auch ohne ihre Schwester zurechtkommen.«

Isa überlegt einen Moment. Dann fragt sie: »War Cocos Schwester auch Detektivin?«

Maddie seufzt.

»Ich kann auf dem Hausboot nähen, während ihr Fälle löst.«

»Kein Platz.«

»Dann bleibe ich bei Juanita. Sie muss doch die nächsten Monate nicht so viel zur Uni. Hat sie gesagt.«

Juanita ist Maddies beste Freundin und Nachbarin, auch wenn Juanita in letzter Zeit ziemlich oft bei Jan im Bauwagen ist. Trotzdem: Das könnte funktionieren, für die nächsten Wochen jedenfalls. Juanita mag Isa, und Maddie kann sich schon denken, wie sie auf Isas Kündigung reagieren wird: »Das wurde auch höchste Zeit!«

Isa rückt ein Stückchen näher an ihre Schwester ran und fasst sie am Arm.

»Müssen wir im Blekenbergplein erzählen, dass ich keinen Job mehr habe?«

Blekenbergplein, das sagen die Schwestern, wenn sie ihre Eltern meinen, die zwanzig Kilometer nördlich der Hauptstadt in Haarlem wohnen, in der Blekenbergplein Nummer 15. Sie schämen sich für ihren Nachzügler, obwohl sie das natürlich so nie sagen würden. »Wir haben immer alles für unsere Tochter getan«, sagen sie stattdessen. Und: »Jahre unseres Lebens haben wir geopfert, um dem Kind Lesen beizubringen.« Für Maddie schämen sie sich ebenfalls, das teilen sie ihr oft und gerne mit. »Wie sollen wir das unseren Freunden denn erklären, dass nicht mal unsere normale Tochter es geschafft hat, einen anständigen Beruf und Familie zu haben?« Dann schlagen sie vor, dass Isa wieder zurück nach Haarlem ziehen könnte, dort gebe es schließlich auch eine Behindertenwerkstatt. Und Maddie hätte Zeit, sich einen ordentlichen Job zu suchen und einen Mann, der ihr die Flausen aus dem Kopf treiben und mit ihr eine Familie gründen würde.

Maddie fällt auf, dass sie, bis auf einen schrecklichen Pflichtbesuch an Weihnachten, schon ewig nicht mehr im Blekenbergplein waren. So schnell will sie das auch nicht ändern.

»Wir erzählen das erst, wenn du das willst. Von mir aus auch überhaupt nicht«, sagt sie zu Isa.

»Wenn ich meine erste Modenschau habe«, kichert Isa.

Modenschau klingt gut, denkt Maddie. Und völlig utopisch. Sie verzieht das Gesicht, als sie daran denkt, wie viele Tränen noch fließen werden, falls Isa wirklich versucht, mit ihren Entwürfen Geld zu machen.

»Bist du böse auf mich, weil du Elin nicht vom Flughafen abholen kannst?«

»Ein bisschen.« Maddie schaut auf die Uhr. Kurz vor zwei, vielleicht hievt Elin in diesem Augenblick schon ihre Koffer vom Gepäckband, während Arie, Jan und Jack am Gate stehen. »Du hättest wenigstens noch einen Tag mit dem Kündigen warten können.«

»Ging nicht«, sagt Isa. Dann hellt sich ihre Miene auf: »Aber zur Begrüßungsparty aufs Hausboot schaffen wir es noch.«

»Wir?«

Isa nickt. »Keine Party ohne Isa.«

Wider Willen muss Maddie grinsen. Sie steht auf, klopft sich den Dreck von der Hose und reicht Isa die Hand, um sie hochzuziehen.

Ein paar Minuten später sind sie unterwegs – Janneke liegt, in eine kleine Decke gewickelt, im Weidenkörbchen, das vorne am Lenkrad hängt, Isa sitzt auf dem Gepäckträger, und Maddie radelt.

Es ist eine Fahrt mit Rückenwind, durch die engen Gassen des Viertels, in dem an diesem Freitagmittag so wenig los ist wie sonst nur am frühen Morgen. Vorbei an hohen, schmalen Backsteinhäusern, Blumenkästen mit bunten Tulpen, Fahrrädern. Als sie über die erste Brücke fahren, ist das graue Einerlei der letzten Wochen endgültig einem blauen Himmel gewichen. Weiße Puschelwolken spiegeln sich im Wasser der Gracht, ein Schwanenpaar sonnt sich am Straßenrand, und einigen Bäumen wächst der zarte hellgrüne Frühlingsflaum.

Gut zwei Kilometer und vier Brücken weiter biegen die Schwestern in die Raamgracht ein.

»Da ist sie«, ruft Isa und lockert ihren Griff um Maddies Taille, um auf ein schwarzes Boot mit gelb-rotem Aufbau zu zeigen. Das hat Arie vor einigen Jahren von seinem Onkel geerbt. Jetzt ist es sein und Hunds Zuhause und das Hauptquartier der Hausboot-Detektive. Und die sind jetzt endlich wieder vollzählig.