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Die Hausboot-Detektei – Tödlicher Grund E-Book

Amy Achterop

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Beschreibung

Fünf Hobby-Detektive. Eine tote Whistleblowerin. Keine Zeit zu verlieren Auch das sorgloseste Faulenzen an Deck muss irgendwann ein Ende haben. Es ist Herbst in Amsterdam. Und ohne Heizöl wird es sogar auf dem schönsten Hausboot ungemütlich. Die Auftragslage ist mau. Bis ein vermeintlich langweiliger Fall die Hobby-Detektive ordentlich herausfordert: Ihre Auftraggeberin wird plötzlich tot aufgefunden und entpuppt sich als Whistleblowerin. Die angesehene Expertin für den Rohstoffabbau in der Tiefsee stand kurz davor, ihre Firma in den Ruin zu jagen. Mord? Arie, Maddie, Jack, Jan und Elin recherchieren: Mit der Rohstoffgewinnung im Ozean lässt sich viel Geld machen. Und zwar auf Kosten der Umwelt. Finden die Detektive gar nicht gut, und so wird das Aufklären dieses Todesfalls zur wahren Herzensangelegenheit. Der zweite Wohlfühl-Krimi mit der Amsterdamer Hausboot-Detektei

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Seitenzahl: 312

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Ähnliche


Amy Achterop

Die Hausboot-Detektei – Tödlicher Grund

Kriminalroman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Fünf Hobby-Detektive. Eine tote Whistleblowerin. Keine Zeit zu verlieren

Auch das sorgloseste Faulenzen an Deck muss irgendwann ein Ende haben. Es ist Herbst in Amsterdam. Und ohne Heizöl wird es sogar auf dem schönsten Hausboot ungemütlich. Die Auftragslage ist mau. Bis ein vermeintlich langweiliger Fall die Hobby-Detektive ordentlich herausfordert: Ihre Auftraggeberin wird plötzlich tot aufgefunden und entpuppt sich als Whistleblowerin. Die angesehene Expertin für den Rohstoffabbau in der Tiefsee stand kurz davor, ihre Firma in den Ruin zu jagen. Mord?

Arie, Maddie, Jack, Jan und Elin recherchieren: mit der Rohstoffgewinnung im Ozean lässt sich viel Geld machen. Und zwar auf Kosten der Umwelt. Finden die Detektive gar nicht gut, und so wird das Aufklären dieses Todesfalls zur wahren Herzensangelegenheit.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Ihren ersten Amsterdam-Besuch verdankt Amy Achterop alias Heidi van Elderen einer vergessenen Straßenkarte und einem hoffnungslos schlechten Orientierungssinn. Das war 1999. Die 1980 am Niederrhein geborene Autorin verliebte sich auf Anhieb in die Stadt und kehrt seitdem regelmäßig zurück, oft begleitet von ihrem niederländischen Ehemann. Gelebt hat Heidi van Elderen auch schon in Portugal und Neuseeland, ist inzwischen aber mit ihrer Familie auf einem kleinen Bauernhof in Schweden sesshaft geworden.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

Leseprobe

1. Kapitel

2. Kapitel

1

Das Meer sieht aus, als müsse es gleich spucken. Gelbgrün, mit dreckigen Schaumkronen, wirklich zum Kotzen.

Tessa geht es nicht besser. Sie sitzt auf einem Sofa in Zandvoort, in einem Apartment mit Seeblick. Es ist stickig und stinkt nach Lavendel, das Sofa ist so weich, dass es den Bandscheiben sicher nicht guttut. Ihr ist heiß, ihr ist schlecht, und wenn sie rülpst, schmeckt es nach Galle und Butterkeksen. Ihrer Mutter gefällt das. Das merkt Tessa schon daran, wie beschwingt Anne durchs Wohnzimmer läuft, mit flatterndem Blumenkaftan und schwabbelnden Oberarmen, ein Lächeln im Gesicht. Sie stellt eine Tasse Kamillentee auf den Couchtisch, zupft am Spitzendeckchen, sackt neben Tessa in die Polster und mustert sie von der Seite.

 

»Ganz grau bist du«, sagt Anne mit dieser warmen Stimme, mit der sie sonst nur mit ihren Orchideen spricht.

Tessa ahnt, was jetzt kommt. Und wirklich, einen Sekundenbruchteil später tätschelt Anne Tessas gewölbten Bauch. »Ich habe es gleich gewusst, als du reingekommen bist. So schlecht sehen nur Schwangere aus.«

»Und überarbeitete Wissenschaftlerinnen mit Blähbauch.« Tessa schiebt die Hand der Mutter zur Seite.

»Kein Baby? Bist du sicher?«

»Kein Baby, ganz sicher«, bestätigt Tessa und denkt: So schlimm ist es nicht, Hormonspirale sei Dank.

Alles andere ist schon schlimm. Ihre Freundin Lieke hat sie schon ewig nicht mehr gesehen. Mit ihrer Beziehung zu Luuk stimmt irgendetwas nicht und sie kann nicht einmal genau sagen, was. Und dann die Sache mit der Firma. Ist es nicht Wahnsinn, was sie vorhat? Eigentlich weiß sie, dass es das einzig Richtige ist, trotzdem hat sie Skrupel, wird von Zweifeln und schlaflosen Nächten geplagt. Manchmal stellt sie sich vor, wie Hugo gucken wird, wenn er herausfindet, dass sie ein doppeltes Spiel gespielt hat. Dann wird ihr ganz schlecht. So fühlen sich sicher auch Whistleblower, kurz bevor sie eine ganze Regierung hochgehen lassen. Dabei wird sie Hugo nicht mal verpfeifen, sich nicht mit firmeninternen Geheimnissen an die Öffentlichkeit wenden, sondern der Welt eine Forschungsarbeit präsentieren, die Deep Sea Treasures die Existenzgrundlage entziehen wird.

Tessa schlürft den heißen Tee und schiebt den Gedanken an die Arbeit so gut es geht beiseite.

»Na ja, vielleicht ist es sowieso besser, wenn ihr zuerst heiratet«, sagt Anne mit gespielter Fröhlichkeit. »Heutzutage ist es ja gar nicht mehr so selten, dass Frauen das erste Kind erst mit 36 oder später bekommen.«

Tessa denkt, dass sie besser in Amsterdam geblieben wäre. Sie schaut wieder aus dem Fenster, damit sie nicht sehen muss, wie der Mund der Mutter vor Enttäuschung klein und hart wird.

»Habt ihr denn schon einen Termin? Immerhin ist schon Oktober.«

Über der Nordsee kreisen zwei Möwen. Oder sind es Plastiktüten?

»Vielleicht eine romantische Winterhochzeit in kleinem Rahmen? Ein bisschen kurzfristig, aber das würden wir hinbekommen. Den Kuchen könnte ich backen. Ich habe jetzt schon mehr als einmal gehört, dass mein Erdbeerkuchen besser schmeckt als alles, was man bei der Konditorei bekommt.«

Anne legt eine Sprechpause ein. Vermutlich, denkt Tessa, um ihr Zeit zum Applaudieren zu geben. Für die Idee mit der Winterhochzeit und natürlich für die unvergleichlichen Backkünste.

Tessa applaudiert nicht. Ach, Luuk. Der lustige, aufregende Luuk, wegen dem ihr Körper monatelang so viel Dopamin ausgestoßen hat, dass sie manchmal Angst hatte, den Verstand zu verlieren. Luuk, mit dem sie den besten Sex ihres Lebens hat. Luuk, der erste Mann, der sich für ihre Arbeit interessiert. Luuk, ihr Verlobter. Seit einigen Wochen aber eben auch Luuk, dem sie nicht mehr richtig traut. Warum? Weiß sie selbst nicht. Er schwört, dass er treu ist, und nichts weist darauf hin, dass er lügt: An seinen T-Shirts kleben keine langen blonden Haare, er schläft immer zu Hause, er versteckt sein Handy nicht vor ihr. Trotzdem wird sie dieses Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmt.

 

»Jetzt sag doch auch mal was«, drängt Anne.

Tessa stellt die Teetasse zurück auf den Couchtisch und öffnet den obersten Knopf ihrer Jeans. »Es dürfte sehr schwierig sein, im Winter an leckere frische Erdbeeren zu kommen.«

Anne zieht die Luft zwischen den Zähnen ein, dass es nur so zischt. »Diesen seltsamen Sinn für Humor, den hast du aber nicht von mir.«

Das ist wahr, denkt Tessa. Hätten ihre Mutter und sie den gleichen Humor, wären sie möglicherweise besser miteinander ausgekommen.

»Du kommst überhaupt sehr nach deinem Vater.« Anne sagt das leichthin, aber es ist nur der Auftakt einer Tirade, die Tessa allzu gut kennt. Anhören muss sie sich die Klagen über den Vater, der immer nur die Arbeit im Kopf hatte, bis ihm ein Dachziegel auf denselben gefallen war, heute nicht.

Denn plötzlich verstummt Anne und legt ihren Kopf schief: »Ich glaube, dein Handy vibriert.«

»Stimmt«, sagt Tessa, macht aber keine Anstalten aufzustehen. Sie kann sich schon denken, wer da anruft. Dann doch lieber die Vater-Tirade.

Anne hievt sich aus dem Sofa und hechtet zur Fensterbank, wo Tessas Handtasche zwischen den Blumentöpfen liegt. »Vielleicht ist es Luuk.«

»Mama, lass es liegen.«

Anne kramt das Telefon aus der Tasche, während sie zurück zum Sofa eilt. »Hugo Beekhof«, liest sie laut vom Display ab. »Das ist doch dein Boss.«

Tessa nimmt das Telefon und geht dran, aber nur, weil sie Sorge hat, dass Anne das sonst auch noch tut.

»Tessa, meine Liiiebe!«, flötet Hugo ins Telefon. Tessas linkes Augenlid beginnt unkontrolliert zu zucken. Ihre Mutter sitzt nun wieder neben ihr auf dem Sofa und rückt ihr mit großen Ohren auf die Pelle.

»Ich wollte nur mal hören, wie es dir so geht. Passiert schließlich nicht so oft, dass meine beste Mitarbeiterin krank zu Hause bleibt.«

Tessa steht auf und pupst, nicht mit Absicht, aber sie fühlt sich gleich ein wenig besser. Sie sieht noch, dass Anne ein pikiertes Gesicht macht, wegrückt und nach ihrem Strickzeug greift, dann stellt sie sich ans Fenster.

»Nächste Woche bin ich sicher wieder fit.«

»Gut. Nicht, dass es etwas Ernstes ist.«

»Lieb von dir, dass du dir solche Sorgen um mich machst«, sagt Tessa. Als ob, denkt sie, als ob. Seit sie für ihn arbeitet, gibt es genau zwei Sachen, um die sich Hugo Gedanken macht: den Sitz seiner Haare und die Abbaulizenz. Um das Erste kümmern sich sein Friseur und Haargel von Unilever, für Letzteres braucht er sie.

»Natürlich. Die Gesundheit meiner Mitarbeiter liegt mir sehr am Herzen, das hat oberste Priorität«, rudert Hugo herum.

Tessa hilft ihm nicht. Sie schaut aufs Meer.

Hugo räuspert sich. »Aber, na ja, es ist eben auch so … das Timing, also wie du weißt, sind wir gerade in einer sehr wichtigen Phase, der wichtigsten Phase in der Geschichte unseres Unternehmens, und die Zeit sitzt uns wirklich im Nacken.«

Dein Unternehmen, nicht unseres, stellt Tessa innerlich klar.

»Die Konkurrenz schläft sicher nicht, ich bin sicher, dass Blue Mining bestens vorbereitet zu den Verhandlungen in Lima kommen wird. Und die sind schon in zwei Wochen. Wenn wir die Abbaulizenz für das Peruanische Becken bekommen wollen, müssen wir das Baby also rechtzeitig ans Laufen kriegen.«

Baby, alle sprechen heute über Babys. Obwohl Hugo kein kleines aus Fleisch und Blut meint, sondern ein ziemlich großes aus Stahl. Arbeitstitel: Indiana Jones. Schwachsinniger Name, findet Tessa. Indiana Jones war ein attraktiver Schatzsucher, die Maschine, über die sie hier sprechen, ist ein Monster. Ein Monster, an dessen Erschaffung sie ganz maßgeblich beteiligt war, aber nur, weil sie vor etwas über einem Jahr, als sie bei Deep Sea Treasures angefangen hat, noch keine Alternative sah. Sie war sich sicher, die Maschine wäre unverzichtbar für die Energiewende. Einsatzbereit ist sie schon lange – allerdings nur in ihrem Kopf. Die Pläne auf ihrem Firmencomputer sind unvollständig, den Prototyp, der in der Werkhalle steht, hat sie nicht fertig gebaut. Stattdessen hat sie Hugo vertröstet, hingehalten. Sie fühlt sich dabei jedes Mal schäbig, aber es ist wichtig, schließlich geht es um etwas viel Größeres: »Mach dir mal keine Sorgen, Hugo. Wir sind schon kurz vor dem Ziel.«

»Da bin ich beruhigt«, sagt Hugo mit einem nervösen Lachen. »Dann sehen wir uns am Montag, ja?«

Wenn sie ihre Forschungsarbeit wirklich veröffentlichen will, die, die Hugos Unternehmen in den Konkurs treiben könnte und die sie nur noch Korrektur lesen muss, dann sollte sie das bald tun. »Am Montag.«

»Gute Besserung, meine Liebe. Ich verlasse mich auf dich.«

Hugo legt auf, Tessa fährt sich durch ihre kurzen Haare. Hinter ihrem Rücken klackern Annes Stricknadeln.

»Ich muss los.«

Anne lässt das Strickzeug sinken. »Jetzt schon?«

»Was Dringendes wegen der Arbeit.«

»Ich dachte, du bist diese Woche krankgeschrieben.«

»Manche Sachen können nicht warten.«

Anne seufzt. »Wie soll denn das in Zukunft funktionieren, wenn du erst Ehefrau und Mutter bist?«

 

Kurz darauf steht Tessa vier Stockwerke tiefer auf der Straße. Sie geht die Trompstraat entlang, überquert den Boulevaard Barnard und hat einige Schritte weiter Sand unter den Füßen. Ein Strandspaziergang, bevor sie den Zug nach Hause nimmt, das hilft vielleicht gegen Übelkeit und Gedankenwirrwarr.

Tessa geht Richtung Norden, sie mag diesen Geruch nach Algen mit einer Note von fauligem Fisch. Über ihr graugrüne Wolkenberge, rechts die hohen Apartmenthäuser und Hotels der Stadt, die vielleicht einmal hübsch war, als sie noch vom Fischfang und nicht von Urlaubsgästen lebte. An diesem Tag ist es den Touristen allerdings zu kühl und stürmisch. Die Sonnenliegen sind allesamt weggeräumt, außer Tessa haben sich nur ein Mann mit seinem Dalmatiner und ein junges Pärchen mit seinem bunt gestreiften Lenkdrachen nach draußen getraut.

Unter Tessas Füßen schmatzt der nasse Sand, links von ihr jammert das aufgewühlte Meer mit dem Wind um die Wette. Sie wird das durchziehen. Scheiß auf Hugo, scheiß auf ihren Arbeitsvertrag, scheiß auf das schöne Apartment, das sie sich vermutlich nicht mehr leisten können wird, wenn sie aus der freien Wirtschaft in die Forschung wechselt.

Sie, Tessa Teuling, wird die Tiefsee retten. Oder, na ja, wenigstens dafür sorgen, dass ihre Zerstörung bis auf weiteres verschoben wird. Und ihre Beziehung? Ob sie die auch retten kann? Ein Gemisch aus Unruhe und Eifersucht brandet durch ihren Unterleib, als sie an ihren Verlobten denkt. Es macht sie verrückt, dass sie nicht weiß, wo das herkommt. Sind das normale Verlustängste? Die versponnenen Gedanken einer Kontrollfanatikerin? Oder will ihr Unterbewusstsein sie vor etwas warnen? Sie muss das rausfinden, bevor sie das Wort »Hochzeit« überhaupt noch einmal denkt. Nur wie? Sie kann Luuks Treue wohl kaum mit einem Teststreifen kontrollieren als wäre sie ein pH-Wert. Selbst eine Erbgutanalyse würde ihr nicht weiterhelfen. Denn wenn sie sich richtig erinnert, ist eine Schweizer Studie erst kürzlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht genetisch bedingt ist, ob Säugetiere poly- oder monogam leben.

 

Tessa bleibt stehen und beugt sich zu einem Strahlenkörbchen hinunter. Von den bunten Trogmuscheln gibt es unzählige an den niederländischen Stränden, aber diese eine glänzt sie so an, als hätte jemand hinter der spröden, dünnen Schale eine Kerze entzündet. Plötzlich lächelt Tessa. Sie selbst wird Luuks Treue nicht testen können, aber dafür gibt es ja Profis.

 

Eine Zugfahrt und anderthalb Stunden später geht Tessa Teuling die Raamgracht entlang. Gut geht es ihr immer noch nicht, aber besser. Die Übelkeit hat nachgelassen und ob dem, was sie gerade vorhat, fühlt sie sich so ungewohnt verwegen, als hätte sie sich gerade selbst neu erfunden.

Als sie schließlich vor der Lakshmi steht, wird sie noch einmal unsicher. Vielleicht, weil ihr doch moralische Zweifel kommen. Vielleicht aber auch, weil die Lakshmi so ein abgehalfterter alter Kahn ist. Im Sommer oder an einem sonnigen Herbsttag könnte es hier nett aussehen, mit ein paar Blumen an Deck, Liegen und bunten Hängematten. Aber heute ist alles grau. Die Fassaden der alten Kaufmannshäuser, das Herbstlaub und eben auch dieses Boot, das eindeutig schon bessere Tage erlebt hat. Die Farbe blättert an ein paar Stellen vom Rumpf, die Planken an Deck haben Moos angesetzt, die Reling ist voller Vogelkacke. Da hilft auch nicht, dass das Boot nach einer indischen Glücksgöttin benannt ist.

Etwas unschlüssig steht sie herum, überlegt, ob sie ihren Plan nicht doch wieder verwerfen soll, als sich plötzlich eine feuchte schwarze Nase über die Reling schiebt. Es folgt ein sehr haariges Gesicht mit traurigen Augen und großen Schlappohren. Tessa muss lachen. »Hallo, was bist du denn für ein Hübscher?«

Hinter dem Fellriesen taucht ein zweiter Hüne auf, ein zweibeiniger. »Der Hübsche ist Hund und ich bin Arie.«

Arie Poepjes, das weiß Tessa aus der Zeitung. Sie hat ihn sich anders vorgestellt, eleganter, eine niederländische Sherlock-Holmes-Version. Der echte Arie ist groß und breit, trägt einen abgewetzten blauen Parka, hat ein Gesicht, als wäre er jahrelang zur See gefahren, und sieht insgesamt ähnlich ramponiert aus wie sein Boot. »Willst du zu uns?« Er klingt freundlich.

»Ich glaube schon.«

Arie streckt ihr die Hand hin. »Willkommen an Bord der Hausboot-Detektei.«

2

Eine neue Kundin ist genau das, was die Hausboot-Detektei gerade braucht. Denn seit dem ersten großen Job ist die Auftragslage eher mau. Im August haben Arie, Maddie, Jan und Jack zwei wertvolle entlaufene Zuchtkatzen gesucht und nach drei Tagen im Sarphatipark beim Entenärgern gefunden. Im September sind sie im Auftrag einer alten Dame auf Gespensterjagd gegangen. Eine Woche dauerte es, dann wussten sie, dass für den nächtlichen Spuk im Haus keineswegs ein Poltergeist, sondern der Schwiegersohn verantwortlich war. Er hatte darauf spekuliert, dass die verängstigte Frau ins Heim gehen und ihm und ihrer Tochter das Haus überlassen würde.

Seitdem: nichts.

Jetzt ist es Oktober, im Heizöltank herrscht Ebbe und wenn kein neues Geld in die Kasse kommt, werden Arie und die anderen bald mit Daunenjacken und Heizdecken in der kleinen Kombüse sitzen müssen. An kalten Abenden geht Arie schon jetzt früh zu Bett. Manchmal mit heißem Rumpunsch, aber seltener als er eigentlich möchte, weil er Angst hat, sonst völlig zu versumpfen. Tagsüber reichen zum Aufwärmen noch Jans gute Suppen. Eine köchelt gerade auf dem Herd vor sich hin und verströmt das Aroma von angebratenen Zwiebeln, Knoblauch und frischen Kräutern.

»Riecht lecker hier«, sagt die Besucherin. Arie mag sie sofort dafür, dass sie den Duft kommentiert und nicht den Rest: die dreckigen Tassen in der Spüle, Hunds Pfotenabdrücke auf dem Holzboden, Jack und Maddie, die in dicken Wollpullovern und Jogginghosen auf dem Küchensofa herum lümmeln und nicht mal so tun, als würden sie arbeiten.

»Griechische Bohnensuppe, in fünfzehn Minuten fertig«, sagt Jan, der mit Schürze und Kochmütze am Herd steht. »Willst du eine Portion?«

»Besser keine Bohnensuppe, aber ein schwarzer Kaffee könnte helfen.« Sie nimmt ihre Mütze ab und schüttelt ihre dunkelbraunen, fingerlangen Fransen, die vermutlich immer windzerzaust aussehen. Den gelben Schal und das graue Männerjackett, das sie über dem Rollkragenpullover trägt, lässt sie an. Ist auch besser bei den Temperaturen hier.

Jan füllt den Wasserkocher, Jack klappt seinen Laptop zu und nimmt die Füße von der Küchenbank, Maddie schiebt mit dem Unterarm ein Kartenspiel und ein paar Krümel zur Seite. Arie stellt sie vor: »Das sind meine Kollegen: Jan van Dijk, Maddie Hornix und Jack Addington.« Eine fehlt, denkt er im gleichen Augenblick. Elin Blomgren, die fünfte im Bunde, weilt schon seit Monaten in Panama, weil sie … na ja, weil sie nach dem ersten Auftrag eben mal raus musste.

»Mein Name ist Tessa Teuling«, sagt Tessa Teuling, setzt sich neben Jack auf die Bank und nimmt Maddie auf der anderen Seite des Tisches ins Visier. Maddie schaut ungerührt zurück.

»Bei Wer zuerst blinzelt, hat verloren gewinnt Maddie immer«, sagt Jack nach einigen Sekunden.

Tessa nickt und sagt: »Das könnte funktionieren.« Dann wendet sie den Blick ab und lächelt Jan an, der eine dampfende Tasse vor sie auf den Tisch stellt.

Versteh ich nicht, denkt Arie und kommt fast aus dem Gleichgewicht, weil die Lakshmi einen kleinen Hüpfer macht und sich gleichzeitig Hund an ihm vorbeischiebt. Fünf Leute und ein Neufundländer – da wird es auf so einem Hausboot schnell mal ein bisschen eng. Hund quetscht sich unter den Tisch, dreht sich um die eigene Achse, plumpst auf den Boden und schaut sein Herrchen erwartungsvoll an. Arie besinnt sich, dass er hier so etwas wie der Chef ist, auch wenn er es nicht so nennen würde und die anderen vermutlich auch nicht. Er nimmt einen Stapel Bücher von einem Hocker, legt ihn auf dem Boden ab, und setzt sich. »Was können wir denn für dich tun, Tessa?« Hund legt seinen Kopf auf Aries Fuß.

Tessa trinkt einen Schluck Kaffee. »Es ist so«, beginnt sie, stockt, räuspert sich und fängt von vorne an: »Ich will wissen, ob mein Verlobter treu ist.«

Ach herrje, denkt Arie. Klar, genau das gehört vermutlich zu den häufigsten Aufträgen einer Detektei. Und immerhin haben sie inzwischen ein Auto, einen sehr alten Volvo, bezahlt von dem großzügigen Katzenfinderlohn. Mit Auto ist so eine Observation eindeutig gemütlicher. Aber das ändert nichts daran, dass Arie lieber korrupte Politiker entlarven oder nach einem gestohlenen Kunstwerk suchen würde, notfalls auch noch mal nach Gespenstern.

»Du glaubst also, dass dein Verlobter eine Affäre hat?«, fragt Maddie nach.

»Ich weiß es nicht. Ich möchte aber wissen, ob er mich betrügen würde, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.«

»Wie soll das denn gehen?«, fragt Jan.

»Mit einem Lockvogel«, erwidert Tessa.

»Es wird immer schlimmer«, murmelt Jack. Arie ist der gleichen Meinung, wirft ihm aber trotzdem einen warnenden Blick zu. Jack zuckt mit den Schultern.

»Ich suche eine Frau, die Luuk scheinbar zufällig über den Weg läuft, zum Beispiel im Vondelpark, da ist er nämlich regelmäßig zum Inlineskaten. Sie würde ein Gespräch beginnen, mit ihm flirten und so tun als wäre sie an ihm interessiert. Geht er darauf ein …« Tessa erklärt nicht mehr, was dann passiert, sondern deutet mit dem Finger auf Jans Kopf. »Deine Kochmütze bewegt sich.«

»Fru Gunilla ist aufgewacht.« Jan lüftet die weiße Mütze.

»Auf deinem Kopf sitzt ein Eichhörnchen«, sagt Tessa in einem Ton, in dem sie auch erzählen könnte, dass vor dem Fenster Kühe vorbeifliegen.

»Da sitzt sie gerne, ich glaube wegen der guten Aussicht«, bestätigt Jan. »Heute war sie aber müde vom Waldspaziergang und ist eingeschlafen.«

Fru Gunilla gähnt und widmet sich der Körperpflege. Erst leckt sie ihre Vorderpfoten ab, dann zieht sie die gesäuberten Krallen wie einen Kamm durch ihren buschigen Schwanz. Tessa schaut in ihre Tasse, so, als überlege sie, ob ihr jemand was in den Kaffee gemischt hat.

Maddie kichert. Arie grinst und erklärt: »Fru Gunilla ist als Baby aus dem Nest gefallen. Jan hat sie gefunden und aufgepäppelt. Seitdem ist sie unser Maskottchen.«

»Fru Gunilla, ungewöhnlicher Name«, sagt Tessa.

»Nach der Hobby-Detektivin Gunilla Lund, meist nur Fru Gunilla genannt, das ist eine Figur in einer schwedischen Krimiserie von Elin Blomgren«, sagt Maddie.

Tessa fällt offenbar ein, dass sie nicht wegen zahmer Eichhörnchen auf diesem Hausboot sitzt. »Maddie, du wärst als Lockvogel gut geeignet. Du bist genau Luuks Typ.«

Könnte hinhauen, denkt Arie. Denn die beiden Frauen sehen sich durchaus ähnlich. Zierlich gebaut, androgyne Gesichtszüge und ein Ausdruck in den Augen, der sagt, dass sie sich so schnell nicht unterkriegen lassen. Tessa Teuling wirkt im Gegensatz zu Maddie allerdings ein bisschen abgekämpft. Unter den Augen hat sie dunkle Schatten und ihre Haut ist so blass, als wäre sie den ganzen Sommer lang nicht in der Sonne gewesen. Sorgen, zu viel Arbeit oder beides, tippt Arie.

»Warum fragst du nicht eine Freundin?«, will Maddie wissen.

»Ich habe nur eine und die ist nicht Luuks Typ. Außerdem würde sie so etwas nicht machen – viel zu lieb.«

Jack runzelt die Stirn. »Und warum glaubst du, dass wir so etwas machen? Klar, Detektive beschatten natürlich dauernd potenziell untreue Ehemänner. Aber ein Lockvogel als echter Treuetest … Das ist noch mal was ganz anderes, finde ich.«

Guter Punkt, findet Arie. Obwohl er sich schon denken kann, warum: Tessa hatte bestimmt die Zeitungsberichte nach der Sache rund um das hochkarätige Cateringunternehmen C’est Magnifique! gelesen. Dass sein Team und er damals einen Mordfall aufklären konnten – geschenkt. Hängen geblieben war bei den meisten vermutlich nur, dass die Hausboot-Detektive einen ethisch durchaus bedenklichen Auftrag angenommen hatten.

»Das war so eine spontane Idee«, murmelt Tessa und schaut sich um, als suche sie nach einem Fluchtweg. Sie stutzt, sieht zu Arie hinüber und sagt: »Ich bin eine coole Chica.«

»Ähm, ja«, sagt Arie und denkt: durchgeknallt, diese Tessa ist völlig durchgeknallt. Aber das denkt er nur ganz kurz, dann fällt ihm nämlich ein, dass genau dieser Satz hinter ihm auf dem Whiteboard über der Waschmaschine steht. Es ist eine ihrer fünf Hausregeln.

»Das hier ist eine sehr merkwürdige Detektei«, stellt Tessa fest und aus ihrer Tonlage wird nicht klar, ob sie das nun als Kritik oder als Kompliment meint. Da steht:

Die Hausboot-Detektei

Hausregeln

1.

Die Hausboot-Detektive werden nicht wieder straffällig.

2.

Bei Streit unter Kollegen wird auf Handgreiflichkeiten möglichst verzichtet.

3.

Ich bin eine coole Chica.

4.

Fru Gunilla bleibt.

5.

Wenn doch, lassen wir sie nicht im Stich.

»Ähm, ja«, stammelt Arie gleich noch einmal.

Tessa sieht durchaus belustigt aus. »Habt ihr ernsthaft mal überlegt, Fru Gunilla abzugeben?«

»Eichhörnchen sind keine Haustiere. Abgesehen davon, hat Fru Gunilla hier ziemlich viel Porzellan zerschlagen«, sagt Jack.

Jan rollt mit den Augen.

»Und ihr seid alle vorbestraft?«

»Nur ein bisschen«, sagt Maddie.

»Witzig: Vier Vorbestrafte gründen eine Detektei«, findet Tessa. »Nur auf die coole Chica kann ich mir keinen Reim machen.«

Maddie könnte Tessa jetzt erzählen, dass dieser Satz dort steht, weil es der einzige Satz ist, den ihre Schwester Isa schreiben kann. Und dass Isa 21 ist. Dann würden sich ihre Augen ein bisschen verengen, als eine unausgesprochene Warnung, jetzt bloß nichts Gemeines zu sagen oder mitleidig zu gucken. Zu Aries Erleichterung wechselt Maddie aber einfach das Thema: »Zurück zum Auftrag. Würde es dir als Beweis für seine potenzielle Untreue reichen, wenn Luuk zurückflirtet, oder müsste er mich küssen?«

»Du würdest ihn küssen?«, ruft Jack entsetzt aus. Maddie reagiert mit einem irritierten Blick, Tessa schaut interessiert zwischen den beiden hin und her, bevor sie sagt: »Küssen muss nicht sein. Vielleicht etwas dazwischen. Es reicht, wenn er nicht erzählt, dass er verlobt ist und dir seine Nummer gibt, zum Beispiel.«

Jan krault gedankenverloren Fru Gunillas Nacken. »Würde Luuk dich noch heiraten wollen, wenn er wüsste, dass du ihm so wenig vertraust?«

Plötzlich sieht Tessa Teuling sehr müde und auch ein bisschen traurig aus. Am liebsten würde Arie ihr nun einen Rumpunsch anbieten und eine warme Wolldecke um die Schultern legen.

Wäre beides nicht gut für den professionellen Eindruck, deshalb steht er bloß auf und stellt eine Packung Stroopwaffeln auf den Tisch. Jack und Maddie bedienen sich, Tessa rührt das mit Karamell gefüllte Gebäck nicht an. Stattdessen erzählt sie. Von diesem unguten Gefühl, das sie seit Wochen in der Magengegend spürt, davon, dass sie nicht weiß, ob sie den richtigen Riecher oder einfach ein doofes Eifersuchtsproblem hat. »Ich bin Wissenschaftlerin, ich kann das nicht so gut, mit diesem Bauchgefühl.« Mit einem traurigen Achselzucken fügt sie hinzu: »Das mit der Liebe vielleicht auch nicht.«

»Wer kann das schon?«, sagt Maddie.

Die Hausboot-Detektive jedenfalls nicht, denkt Arie, und er selbst am allerwenigsten. Schnell beugt er sich hinunter, um Hund über seinen großen haarigen Kopf zu streicheln.

»Übernehmt ihr den Auftrag?«, will Tessa wissen.

Jack grunzt unwillig. Schon klar, das ist ein klares Nein. Jan füttert sein Eichhörnchen mit Haselnüssen und macht ein sehr konzentriertes Gesicht dazu. Er möchte sich also raushalten. Arie will sagen: lieber nicht. So eine Detektei wollen sie nun wirklich nicht sein. Andererseits: das Heizöl. Er unterdrückt ein Seufzen und sagt: »Das entscheidet Maddie.«

Alle schauen Maddie an. Maddie sagt: »Bevor ich mich entscheide, will ich diesen Luuk wenigstens mal sehen.«

Kurz darauf hält sie Tessas Handy in der Hand und betrachtet ein Foto. Arie schaut ihr über die Schultern. Abenteuerlustig und ein bisschen verwegen sieht er aus, dieser Luuk Ruis, wie er da barfuß auf einer Wiese sitzt und Gitarre spielt. Dreitagebart, schulterlanges schwarzes Haar und um seine Stirn hat er ein blaues Tuch geschlungen, als würde er gleich noch zum Casting für einen Piratenfilm gehen. Luuk grinst in die Kamera, Maddie grinst zurück.

»Okay, ich mach’s.«

3

Jack lässt Tessa Teuling hinaus und das grimmige Herbstwetter hinein. Ein Windstoß fegt durch die Kombüse, wirbelt einen Stapel unbezahlter Rechnungen auf. Fru Gunilla taucht in der Bauchtasche von Jans Hoodie ab, Arie setzt sich eine Mütze auf, Maddie ruft, er soll zumachen, damit sie nicht endgültig erfrieren. Jack hält sein Gesicht in den Nieselregen. Das Beiboot poltert gegen den Schiffsrumpf, zwischen den Bäumen am Ufer sieht Jack noch einmal Tessas langen Schal flattern, dann ist sie verschwunden. Er schließt die Tür und geht zurück zu den anderen, fest entschlossen, nicht lange zu bleiben, heute nicht und überhaupt. Es wird ihm hier alles zu eng. Aber bevor er geht, will er Suppe essen.

Jack nimmt vier Schüsseln aus dem Schrank, Arie schneidet Brot, Jan stellt den Topf auf den Tisch. Einen Löffel später ist Jack froh, dass er noch geblieben ist.

»Falls das nichts mehr wird mit unserer Hausboot-Detektei, könntest du ein Restaurant aufmachen«, sagt Arie.

»Das wird schon noch«, sagt Jan. Vermutlich hört er selbst, dass er nicht überzeugt klingt. Er fügt hinzu, dass das erste Jahr immer das schwerste sei und dass sie nun ja außerdem wieder einen Auftrag hätten.

Jack überlegt, welche Jobalternativen es für ihn gäbe. Wieder als Ingenieur in einem Büro arbeiten – hier oder in seiner Heimatstadt London? Schwer vorstellbar. Als Ingenieur auf einem Containerschiff anheuern? Schon eher. Allerdings braucht man dafür eine spezielle Ausbildung. Am einfachsten wäre vermutlich, er würde Tellerwäscher in Jans Restaurant werden.

»Glaubt ihr, Tessa geht selbst fremd?«, unterbricht Maddie Jacks Gedanken.

»Wie kommst du darauf?«, fragt Jan.

»Wir fürchten nur, was wir kennen«, sagt Maddie und klingt dabei so, als würde sie auf der Kanzel stehen und die Sonntagspredigt halten.

Arie rutscht vor Schreck die Suppe vom Löffel. Maddie grinst. »Habe ich neulich beim Antiaggressionstraining gelernt.«

»Deine Bewährungsauflage«, erinnert Arie sich.

Gar kein schlechter Gedanke, findet Jack. »Und, hilft es schon?«

»Keine Ahnung, du kannst es ja mal ausprobieren. Ich hab jedenfalls noch einige Gruppensitzungen vor mir.« Maddie reißt ein Stück Brot ab und taucht es in die Suppe.

»Dass Tessa ihren Freund so auf die Probe stellen will, finde ich bedenklich«, sagt Jan. »Aber ansonsten war sie doch sehr sympathisch. Schon, dass sie so offen zugibt, nur eine Freundin zu haben.«

»Das ist aber auch ein bisschen traurig«, findet Maddie.

Jack schaut sie an. »Wie viele Freundinnen hast du denn?«

»Zwei, wovon eine leider sehr weit weg wohnt. Dafür zählt die andere doppelt.«

»Das glaube ich auch«, sagt Jan, es klingt fast ein wenig schwärmerisch. Jack wirft ihm einen Seitenblick zu. Jan hat Juanita, das ist Maddies beste Freundin und Nachbarin, seines Wissens erst einmal flüchtig getroffen. Offenbar hat sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

»Außerdem habe ich noch drei gute männliche Freunde«, sagt Maddie zu Jack.

»Oh, du rechnest mich mit ein. Welch eine Ehre.«

»Eigentlich meinte ich Arie, Jan und Hund. Aber gut, ich will mal nicht so sein: vier gute männliche Freunde also.«

»Na, vielen Dank«, sagt Jack. »Du hast es zwar nicht verdient, aber ich komme zu diesem Treffen trotzdem mit.«

»Zu welchem Treffen?«

»Zu welchem Treffen?«, wiederholt Jack genervt. »Keine Ahnung, wen du in den nächsten Tagen so alles triffst, aber ich meinte das Treffen mit Luuk.«

Maddie sieht ehrlich erstaunt aus. »Willst du ihm einen flotten Dreier vorschlagen, oder was? Ich bin nicht sicher, ob das der Auftragsbeschreibung entspricht.«

Himmel, sie kann ihn in den Wahnsinn treiben, denkt Jack. Vermutlich sollten sie froh sein, dass sie das mit der festen Beziehung nie hinbekommen haben. Wenn er nur nicht so oft an sie denken müsste. »Ich halte mich natürlich im Hintergrund. Aber einer muss auf dich aufpassen. Wir kennen den schließlich gar nicht.«

Maddies Mundwinkel zucken. »Manchmal bist du ja doch sehr süß.«

Das Schlimme ist, dass Jack weiß, dass sie recht hat mit ihrem Spott. Maddie hat lange als Krav-Maga-Trainerin gearbeitet. Sie beherrscht Nahkampftechniken, mit denen sogar das israelische Militär arbeitet, und kann Typen, die doppelt so schwer wie sie sind, ohne sichtbare Anstrengung auf die Matte legen. Er dagegen, nun ja, er hat noch nie jemanden umgehauen und droht ohnmächtig zu werden, wenn er Blut sieht. »Dann geh halt allein.«

»Irgendjemand Rumpunsch? Oder Irish Coffee?«, fragt Arie.

»Vielleicht sollten wir besser darüber nachdenken, wie wir in Zukunft andere Aufträge an Land ziehen können«, schlägt Jan vor.

Arie steht auf und macht Instantkaffee für alle, ohne Whiskey. »Wir könnten versuchen, einen etwas seriöseren Eindruck zu machen.«

Jan lacht. »Du meinst: öfter putzen? Espresso statt Instantkaffee? Jeans statt Jogginghosen? Keine schlafenden Eichhörnchen unter Kochmützen? Ein geheiztes Besprechungszimmer? So was?«

»Zum Beispiel.«

»Klingt langweilig«, sagt Maddie.

»Die Sache hat sowieso einen Haken«, argumentiert Jack. »All das sehen die Leute erst, wenn sie an Bord sind. Sie müssten uns aber schon vorher einen richtigen Auftrag geben wollen.«

»Was macht eigentlich unsere Homepage?«, erkundigt sich Maddie.

»Ich arbeite dran«, sagt Jack, obwohl das höchstens im Ansatz der Wahrheit entspricht.

»Da können wir dann auch unsere Spezialgebiete nennen«, sagt Jan.

Arie stellt die Kaffeetassen auf den Holztisch, in seine schüttet er viel Milch und noch mehr Zucker. »Was sind denn unsere Spezialgebiete?«

»Große Expertise in der Vermisstensuche«, sagt Maddie. Weil Arie fragend die Augenbrauen hochzieht, fügt sie noch hinzu: »Na, wegen der Katzen.«

Jack muss wider Willen grinsen.

Weiter hinten im Boot rumpelt es. »Fru Gunilla«, ruft Jan streng und springt auf. Aus Jans Bauchtasche lugt ein rotbrauner Eichhörnchenkopf mit großen Knopfaugen hervor.

»Sie ist ausnahmsweise unschuldig«, sagt Jack, und Jan setzt sich wieder. »Die Wellen. Da fällt schon mal was um«, erklärt Arie, während Hund einmal durchs ganze Boot tapst, um zu schauen, ob da nicht doch ein Einbrecher ist.

Maddie räumt den Tisch ab und lässt Wasser ins Spülbecken laufen. »Wir könnten uns die Aufträge für den Anfang auch einfach selbst suchen. Zu tun gibt es in dieser Stadt doch wahrlich genug.«

»Zwangsprostitution, Bandenkriminalität, Drogen«, beginnt Jan aufzuzählen.

»Ich dachte eher an Fahrraddiebe«, murmelt Maddie.

»Wenn wir eine große Drogenbande hochgehen lassen, bekommen wir Mega-Presse und vermutlich mehr Aufträge, als wir annehmen können«, sagt Jack begeistert.

Maddie macht ein Zahnschmerz-Gesicht. »Du liest keine Nachrichten, oder?«

Jan betrachtet Fru Gunilla, die gerade auf seiner ausgestreckten Hand balanciert. »Da mache ich doch lieber ein Restaurant auf. Aufregende Aufträge: ja. Sterben: nein.«

Er übertreibt, findet Jack. Arie nicht. Er erzählt, dass zwei seiner Exkollegen aus dem Drogendezernat Ende letzten Jahres erschossen wurden. Die anderen hätten nun rund um die Uhr Personenschutz.

Maddie trocknet sich die Hände ab und schreibt auf das Whiteboard: 6. Aufregende Aufträge: ja. Sterben: nein. »Obwohl … wenn ihr das ernst meint mit dem seriöseren Eindruck, sollten wir die Hausregeln vor dem nächsten Kundenbesuch möglicherweise wegwischen.«

»Möglicherweise sollten wir aber auch einfach dazu stehen, dass wir ein klein wenig schräg sind«, sagt Jan.

Arie kratzt sich am Kopf.

 

Jack schaut auf die Uhr. Kurz vor vier, er wollte doch schon längst weg sein. »Ich muss los«, sagt er, steht auf und zieht seine Regenjacke an. Hund stellt sich schwanzwedelnd an die Tür, er hofft auf einen Gruppenspaziergang. »Später«, vertröstet Arie das Tier, da ist Jack schon halb an Deck.

Er schwingt sich auf sein Fahrrad. Links geht es nach Hause, wenn man das WG-Zimmer in der seelenlosen Hochhaussiedlung am südwestlichen Stadtrand, eine halbe Stunde von der Lakshmi entfernt, denn als Zuhause bezeichnen will. Jack biegt rechts ab. Der Regen ist dichtem Nebel gewichen, einem Gemisch aus Wassertröpfchen und Abgasen. Er fährt ziellos umher, raus aus dem Grachtengordel, am Tropenmuseum vorbei, dann durch den Oosterpark. Viel zu schnell für dieses Wetter tritt er in die Pedale, als könne er so der inneren Unruhe entkommen, dabei weiß er nur zu gut, dass es gegen die nur ein Mittel gibt: weiterziehen, den Job und die Stadt wechseln, am besten gleich das Land. Aber auch das hilft immer nur eine Weile.

 

Zwei Stunden später betritt Jack müde, hungrig und schlechtgelaunt die WG. In der Küche wird gelacht, bis er die Tür öffnet. Seine beiden Mitbewohner, zwei dröge Jurastudenten, schauen ihn genervt an. Mit am Tisch sitzen zwei junge Frauen, die Jack hier noch nie gesehen hat, von der Sorte Puder, Pullunder und Perlohrringe. Auch sie sind verstummt und betrachten ihn mit einer Mischung aus wissenschaftlichem Interesse und Abneigung. Aber vielleicht bildet er sich das auch nur ein, er will nicht ausschließen, dass er heute etwas überempfindlich ist. »Hi und guten Appetit«, sagt er, so freundlich wie er kann, und wirft einen Blick auf die große Platte mit Sushi, die zwischen den vieren steht.

Einer seiner Mitbewohner legt seinen Arm schützend vor die Platte. Jack stellt sich kurz vor, wie sie wohl gucken würden, wenn er sich mit beiden Händen ein paar feine Reisröllchen greifen und sie sich in den Mund stopfen würde. Lustig wäre das schon. Weniger lustig ist, was in seinem Kühlschrankfach ist: ein Stück kalte Pizza im Karton, eine Tüte englischer Weingummis und eine Dose Bier. Er stapelt alles aufeinander. »Ist das etwa dein Abendessen?«, erkundigt sich die mit dem aschblonden Pagenkopf. »Sieht so aus«, sagt Jack, geht in sein Zimmer, in dem gerade mal ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch und drei seit dem Einzug nicht ausgepackte Umzugskartons Platz haben. Aus der Küche hört er Kichern, draußen dröhnt ein Flugzeug vorbei, irgendwo im Haus bellt ein Hund. Er schält sich aus seinen feuchten Klamotten, setzt Kopfhörer auf und kriecht ins Bett. Zu »Djelem Djelem« vom Barcelona Gipsy Klezmer Orchestra belegt er ein Stück Pizza mit Weingummis. Sieht kreativ aus, schmeckt gewöhnungsbedürftig. Aber das Bier ist gut. Er denkt an Maddie und daran, dass sie morgen diesen Luuk treffen wird. »Not my circus, not my monkeys«, ermahnt er sich. Dann trinkt er die Dose leer, schließt die Augen, lauscht der Musik und hofft, dass der Rest dieses lausigen Tages schnell vorbeigehen wird.

4

Rund neuntausend Kilometer weiter westlich, in einem Garten in Los Angeles, hat der Dienstag gerade erst so richtig angefangen.

Hillary Walker räkelt sich wohlig auf der großen Liege am Pool und greift nach ihrem Smartphone. Antonio, ihr junger, knackiger Personal Trainer und seit zwei Jahren auch ihr Lover, legt seinen Kopf auf ihre Schulter, schaut auf das Display und zieht einen Flunsch. »Also, die Frauen, mit denen ich früher geschlafen habe, wollten nach dem Sex eine Zigarette oder eine Zugabe, und nicht Fotos anderer Männer anschauen.«

Hillary winkt ab. »Zigaretten sind schlecht für die Haut.«

»Was du gerade machst, Darling, ist schlecht für mein Herz«, ruft Antonio theatralisch aus, springt auf, geht an den Rand des Pools, fasst sich an die Brust und kippt nach hinten. Platsch.

 

Hillary lacht, während Antonio langsam im türkisfarbenen Wasser nach unten sinkt. Sie glaubt nicht, dass er wirklich eifersüchtig ist. Aber dass er so tut als ob, gefällt ihr. Jetzt taucht er prustend wieder auf und klettert aus dem Becken. Hillary versucht sich zu konzentrieren, kann aber den Blick kaum abwenden von diesem starken nackten Körper. Tropfnass setzt er sich wieder zu ihr, streicht mit dem Zeigefinger über ihr Dekolleté, umkreist ihre linke Brust und fährt langsam ihren Bauch hinunter. »Nicht jetzt.« Hillary schaut gespielt streng. »Hol uns doch mal einen Kaffee, Süßer.«

»Pff«, macht Antonio, wirft sich die schwarzen Strähnen in den Nacken und geht.

Hillary zwingt sich, ihm nicht hinterherzuschauen. Sie ignoriert auch das angenehme Pochen zwischen ihren Beinen und wendet sich wieder dem Handy zu. Es gibt zu tun. Blue Mining