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Im 17. Jahrhundert reichte ein Wort, um den Tod zu bringen … Ihre Großmutter wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt, der geliebte Lehrer vor ihren Augen hingerichtet. Auch auf Maria fällt der schreckliche Verdacht: Ist die ebenso willensstarke wie scharfzüngige Tochter des Braumeisters eine Hexe? Es gibt nur einen, der sie schützen könnte: Hermann Cothmann, Bürgermeister und fanatischer Hexenjäger. Gegen seinen Willen findet er Gefallen an der schönen jungen Frau – doch als sie sich ihm widersetzt, kennt seine Rachesucht keine Grenze. Er will, dass sie leidet. Er will, dass sie brennt. Und er ahnt nicht, welches zarte Band Maria und den Henker der Stadt verbindet … »Emotional, ungefiltert und sehr direkt.« Schaumburger Zeitung Eine mutige junge Frau auf der Flucht vor dem Schicksal ihrer Vorfahren – der mitreißende historische Roman aus der Zeit der Hexenverfolgung für Fans von Ursula Neb und Andrea Schacht.
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Seitenzahl: 598
Über dieses Buch:
Ihre Großmutter wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt, der geliebte Lehrer vor ihren Augen hingerichtet. Auch auf Maria fällt der schreckliche Verdacht: Ist die ebenso willensstarke wie scharfzüngige Tochter des Braumeisters eine Hexe? Es gibt nur einen, der sie schützen könnte: Hermann Cothmann, Bürgermeister und fanatischer Hexenjäger. Gegen seinen Willen findet er Gefallen an der schönen jungen Frau – doch als sie sich ihm widersetzt, kennt seine Rachesucht keine Grenze. Er will, dass sie leidet. Er will, dass sie brennt. Und er ahnt nicht, welches zarte Band Maria und den Henker der Stadt verbindet …
Inspiriert von der wahren Lebensgeschichte von Maria Rampendahl, der letzten Frau, die im nordrhein-westfälischen Lemgo als Hexe angeklagt wurde, erzählt Bettina Szrama eine ebenso erschütternde wie fesselnde Geschichte aus einer dunklen Zeit: »Emotional, ungefiltert und sehr direkt.« Schaumburger Zeitung
Über die Autorin:
Bettina Szrama wurde 1952 in Meißen geboren. Obwohl sie ihre Liebe zum Schreiben schon früh entdeckte, war sie lange als Dipl.-Agraringenieurin in landwirtschaftlichen Führungspositionen tätig. Nach dem Fall der Mauer studierte sie Literatur an der Axel Andersson Akademie in Hamburg. Bereits während ihres Studiums begann sie mit dem Schreiben und etablierte sich fortan als Journalistin und Autorin. Beim internationalen Schriftstellerwettbewerb »WRITE MOVIES« in Hollywood wurde sie mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Heute lebt und schreibt die Autorin in Magdeburg.
Bettina Szrama veröffentlichte bei dotbooks die historischen Romane »Die Hure und der Meisterdieb«, »Die Hexe und der Henker«, »Die Novizin und die Hexenjäger« und »Die Konkubine des Teufels«.
Die Website der Autorin: autorin-bettinas-schatzkiste.jimdofree.com/
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Die Autorin hat sich von wahren Begebenheiten und Personen inspirieren lassen: Trotzdem ist dieses Buch keine Biographie und kein Sachbuch, sondern ein Roman, und der überwiegende Teil der geschilderten Ereignisse sind frei erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, die nicht der Phantasie der Autorin entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.
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eBook-Neuausgabe September 2017, November 2024
Copyright © der Originalausgabe 2011 Hermann-Josef Emons Verlag
Copyright © der Neuausgabe 2017, 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Boiko Olga und eines Gemäldes von Hugo Ulli
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts/fe)
ISBN 978-3-96148-186-6
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Bettina Szrama
Die Hexe und der Henker
Historischer Roman
dotbooks.
Für Erwin Lange,der mir bei meiner Recherche und beim Schreiben stets den Rücken frei gehalten hat. Ohne ihn wäre dieser Roman nicht zustande gekommen.
Da ich in meinem Roman die Originalnamen verwendet habe, kommt es mitunter zu Doppelnamen wie Maria Rampendahl und Maria Vieregge. Zur besseren Orientierung werden im Folgenden die Hauptpersonen aufgeführt.
Maria Rampendahl –angeklagte HexeCurd Rampendahl –Deche der Brauereizunft und Ratsherr, Marias VaterCatharina Rampendahl –MariasMutterMargaretha und Ilsabein Rampendahl –SchwesternJohann Caspar Rampendahl – Chirurg und Bruder (angeblich von Mutter und Tochter vergiftet)Henrich Rampendahl – BruderHermann Hermessen – Chirurg und späterer Ehemann von MariaAnton Hermessen – Bruder von Hermann und Ehemann von MargarethaPeter Grönspan – Lehrjunge bei den RampendahlsDavid Claussen d.Ä. – Henker, Geliebter MariasJohann Vieregge – Knochenhauer/KaufmannMaria Vieregge – Tochter von Johann und verehelicht mit Curd BlattgersteHeinrich Kerckmann – Bürgermeister von LemgoHermann Cothmann – Günstling und Nachfolger Heinrich KerkmannsAndreas Koch – ev.Luth. Pfarrer von LemgoJohannes Berner – StadtsekretärBarthold Krieger – StadtsekretärElisabeth Rullmann – Tochter des Ratsherrn Henrich RullmannHeinrich Roleman – AdvokatHeinrich Kaufmann – Onkel von Maria RampendahlElisabeth Kaufmann – Cousine von Maria RampendahlHans Koch und Jürgen Echtner – NachbarnDiedrich Stockmeyer und sein Weib Catharina Böndel – NachbarnChristoph Stockmeyer – ihr SohnMagd Grete und eine HebammeHermann Beschoren und dessenEhefrau Margarethe Hake – hingerichtetes SchulleiterpaarWitwe Böndel – Mutter des Advokaten und Ratsmannes Arnoldt Spruthe, hingerichtet wegen Hexerei
Edle, GroßEhr und Tugendreiche Frau Mutter, meine hochgeehrte frau Schwägerin.Von hießigem Process ist dieses zu berichten, dass vorgestern der eine geraume Zeit in hafft gesessene Schulmeister iustificiert worden. Er wurde vffm marckt auff einen wagen gesezt, einmahl mit gluenden Zangen, vnd nachgehends vnterwegs noch zweymahl gerissen, furm Thor endhauptet, vnd vffs feuer geschmissen vnd verbrant. Er stelte sich sehr geherzt zum tode an, vnd hatt mann ihn nicht einmahl schreyen hohren (...)Lembgo, den 28. Septembris Ao. etc. 1654Meiner hochgeehrten Frau Mutter, Dienstergebener vnd allzeit bereitwilliger Diener, Jacob Heinrich Zutterig
Laut erklangen die Glocken von St. Nikolai, als die ersten Schaulustigen zum Marktplatz stürmten, um sich die besten Plätze zu sichern. Die Menschen waren das gewöhnt, denn in Lemgo läuteten häufig die Glocken. Entweder war gerade wieder einmal ein Ratswechsel angesagt, oder der hohe Herr Bürgermeister und Blutrichter Heinrich Kerckmann ließ auf dem Marktplatz Aufsässige und lästige Verwandte als Hexen und Zauberer hinrichten. Für diesen Tag, den Samstag vor Pfingsten 1654, hatte sich der Richter etwas ganz Besonderes ausgedacht, um seine Untertanen Zucht und Ordnung zu lehren. Denn er, der mächtigste Mann Lemgos, war schon lange in Amt und Würden, viel zu lange, um nicht zu wissen, dass seine Macht zu Ende ging. Er würde ein Exempel statuieren müssen, um sich seinen Ruf als christlicher Ritter der – ach so sehr – im Argen liegenden Welt zu wahren, seinen Ruf als ein Mann der Tat, der weder Tod noch Teufel fürchtete.
Vor dem Rathaus waren die Zimmerleute bereits geschäftig dabei, die Tribüne für das hochherrschaftliche Gericht zu errichten. Die Menschen auf dem staubigen Platz gafften sie ungläubig an, als sähen sie das riesige Holzgerüst, von welchem der Richter nachmittags um vier das längst feststehende Urteil verkünden würde, zum ersten Mal. Mit offenen Mündern zogen sie die Hüte und Mützen, bevor sie sich rundherum niederließen. Um sich die Langeweile bis zum Nachmittag zu vertreiben, hatten sie Stühle, Verpflegung, Bier und ihre Kinder mitgebracht. Bald steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten: »Hast du es auch gehört, Nachbar? Es soll die spektakulärste Hinrichtung aller Zeiten werden. Auf dem Weg zur Sandkuhlen vor dem Ostertore wird Meister David dem vermaledeiten Schulmeister das Fleisch vom Leibe reißen. So hat es der hohe Richter angeordnet. Welch ein Leid! Aber er hat es nicht besser verdient, der Hurensohn. Darf man sich gegen den hohen Rat auflehnen und unseren Kindern, Gott beschütze sie, anstelle von Recht und Gehorsam das Zaubern lehren? Gott stehe ihm bei, dem Schulmeister Hermann Beschoren.«
Als gegen Mittag die letzten Zuschauer aus allen Himmelsrichtungen zum Marktplatz drängten, brodelte es bereits wie auf einem Volksfest. Händler und Schmiede hatten ihre Pferdewagen in den Straßennischen der einzelnen Bauernschaften abgestellt und ihre Stände aufgebaut. Tücher aus feinstem Leinen in leuchtenden Farben, seidene Garne und Goldgeschmeide verlockten Hausfrauen zum Kauf. Lustige Holzpuppen, vom Spaßmacher bis zur brennenden Hexe, erfreuten die Kinderherzen, während man sich die hungrigen Bäuche füllte und es sich bei Bier und Gebratenem gut gehen ließ. Bald waren Unzählige zu dem Spektakel zusammengekommen, weit mehr als zur Prozession der Heiligen Drei Könige. In Trauben hockten sie auf Mauervorsprüngen und Dächern, hingen in Scharen in den Bäumen und drängten sich in den Türen der Häuser, begierig, endlich mit einer besonders grausamen Hinrichtung für ihre Geduld belohnt zu werden.
Abgeschirmt von diesem Spektakel, stand im Schutze der düsteren Rathausmauern vor dem hohen Fenster weit über ihren Köpfen ein einzelner Mann. Seine Schultern waren wie unter einer schweren Last gebeugt, doch seine Augen über der gebogenen Nase und dem energischen Kinn verfolgten wachsam das Geschehen auf dem Marktplatz. Der Blutrichter Heinrich Kerckmann war alt geworden, ein Schatten seiner selbst. Ein krummer Mensch, der es nicht verwinden konnte, dass er es in all den vielen Jahren seiner Alleinherrschaft nicht geschafft hatte, die Stadt von ihrem größten Feind, dem Teufel, zu befreien. Seit ihm sein Ansehen bei Hofe die Blutgerichtsbarkeit für die Stadt Lemgo eingebracht hatte, jagte er den Beelzebub unerbittlich und stellte sich ihm mit grausamer Härte entgegen. Alles, was man sich bis über die Landesgrenzen hinaus über Kerckmann erzählte, stimmte. Mit scharfem Blick verfolgte er jede Auseinandersetzung seiner Untertanen, und schon ein belangloser Streit zwischen Nachbarn am Gartenzaun oder auch nur ein unüberlegtes Schimpfwort waren für ihn klare Beweise teuflischen Unwesens. Bekam er den Unglücklichen dann in seine Gewalt, ließ er nichts unversucht, den Teufel mittels grausamer Folter aus ihm herauszulocken, um schließlich als stolzer Sieger eines ungleichen Kampfes hervorzugehen und die körperliche Hülle den Flammen zu übergeben.
Der Rechtsgelehrte und Assessor beim Hofgericht Doktor Heinrich Kerckmann mordete und betete dabei in der Hoffnung, dass die Seelen noch auf der Folterbank vor Gott Vergebung fänden. Weder unterschied er zwischen Arm und Reich, noch nahm er Rücksicht auf kirchliche oder verwandtschaftliche Bande. Die Quelle seiner unumschränkten Macht war einzig Gott, für dessen Vertreter auf Erden er sich hielt. Nur seiner Autorität beugte er sich.
Im Spiegel der Glasscheibe erschien ein Gesicht. Ein junges, fast noch knabenhaftes Antlitz und doch mit ersten untrüglichen Spuren grausamer Härte und Entschlossenheit, das von pechschwarzen Locken eingerahmt wurde. Der Henker David Claussen war leise hinter Kerckmann getreten.
»Euer Hochwohlgeboren, soll ich mit der Prozedur beginnen, oder wollen wir noch etwas warten?«
Augen hat er, so finster wie die rabenschwarze Nacht, dachte Kerckmann bei sich. Allein mit der energischen Kraft, die aus ihnen funkelt, könnte er sämtlichen vergreisten Ratsmitgliedern das Fürchten lehren. Oh, wie er sie hasste, die Mitglieder des hohen Rates, insbesondere die Vertreter der Zünfte, die sich bestens darauf verstanden, sich seinen Anweisungen zu widersetzen und teuflischen Ausschweifungen hinzugeben. Mit einem Mann wie dem jungen David an der Seite könnte er ein Imperium erschaffen und dem Hexenglauben endgültig den Garaus machen. Doch seine Finger zitterten bereits, und seine einstige Kraft war in den letzten Jahren geschwunden. Er seufzte. Auch das Altern war eine Erfindung des Teufels.
»Gehe Er und hole Er den Schulmeister«, murmelte er, ohne den Blick vom Marktplatz zu wenden. Im Hintergrund hörte er, wie sich schwere Schritte langsam entfernten. Als Kerckmann den jungen Henker aufrecht über den Marktplatz zum Schinderkarren laufen sah, leuchteten seine Augen voller Stolz. Einen solchen Scharfrichter wie den jungen David gab es weit und breit kein zweites Mal. Die Nachbarstädte, selbst Graf Adolph, liehen ihn sich manchmal gegen gutes Geld aus. Der Mann hatte goldene Hände, und solange Kerckmann lebte, wollte er die seinen über ihn halten und es ihm an Arbeit nicht mangeln lassen. Für seine Treue würde er ihn reich belohnen, und mächtig wollte er ihn machen, so mächtig, dass seine Feinde schon bei der Erwähnung seines Namens erzitterten. Denn die Gegner seiner gottgewollten Ordnung waren zahlreich und hielten sich im Verborgenen. Trotzdem kannte er sie alle. Die jungen aufstrebenden Bürger und die Zünfte, zu denen der verhasste Bürgermeister Kleinsorge und der Deche Rampendahl gehörten. Weltverbesserer, die nur darauf warteten, ihn aus seinem hohen Amt zu drängen.
Während der Richter über seine Feinde nachdachte, herrschte auch im Hause des Cordt Rampendahl wenig Anlass zu ausgelassener Fröhlichkeit. Der Deche der Bäcker- und Brauerzunft hatte den Knechten befohlen, das Tor zur Diele zu schließen. Selbst die wuchtigen Fensterläden vor den mit Buntglas verzierten Scheiben wurden hastig verriegelt. Das Vorderhaus, in dem gewöhnlich rege Geselligkeit herrschte, wenn Cordt und seine Frau an die Nachbarn selbst gebrautes Bier ausschenkten, schien verwaist. Cordts Ehefrau Catharina hatte den Mägden befohlen, kein Vieh zu schlachten und die Kochtöpfe kalt zu lassen. Dem traurigen Anlass gemäß behielt sie sich vor, zum Mittagsmahl Weizenbrot und Salz zu reichen. Mit dieser Geste wollte die Familie Rampendahl ihrem langjährigen Freund, dem Schulmeister Beschoren, gedenken und Gott, den Allmächtigen, um Gnade für seine verirrte Seele bitten. Cordt hatte für alle Familienmitglieder, Knechte, Mägde und auch für die Kinder, deren helles Lachen ansonsten tagtäglich durch die Räume hallte, Einkehr und Besinnlichkeit angeordnet.
Der Hausherr selbst saß in der kaminbeheizten Stube im oberen Speicher des Hinterhauses und starrte mit grimmiger Miene in sein Bier, das vor ihm auf dem Stubentisch stand. Sein Gesichtsausdruck mahnte den Gast, der ihm gegenübersaß, zur Vorsicht. Denn Vorsicht war alle Tage geboten, da dem Dechen nur allzu schnell das ungezügelte Temperament durchging und er gern die Wortgewalt der Zunge mit der Schlagkraft seiner Fäuste verwechselte.
Heute sprach aus Cordts Miene seine Stimmung, ahnte er doch, weshalb der Pfarrer von St. Nikolai, ein Freund des Hauses, zu dieser Stunde bei ihm eingekehrt war. Sein Bäckerjunge Peter gehörte zu den achtzehn verurteilten Hexenkindern des Schulmeisters.
Verdrießlich führte Cordt die Kanne zum Mund und nahm einen kräftigen Schluck von dem gelben, leicht verderblichen Gerstensaft. Als er ihn mit Schwung wieder absetzte, ergoss sich ein Teil des Gebräus auf das Lederwams, das seinen gewaltigen Brustkorb bedeckte. Unwillkürlich rieb seine Hand, kräftig und breit und von winzigen roten Härchen bedeckt, über das speckige Tuch. Dabei bemerkte er, dass Hochwürdens Kanne noch voll war.
»Sauft, Andreas!«, forderte er ihn auf. »Gott, der Herr, wird's Euch schon nachsehen.« Doch der junge Pastor mit dem feinen Gesicht aus Milch und Honig drehte den Rosenkranz zwischen den schmalen Fingern und schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
Der Deche – mit der Kraft und Urwüchsigkeit eines Brauers – konnte es nicht verstehen, dass jemand sein gutes Bier ausschlug. »Mit Messwein kann ich Euch nicht dienen, Hochwürden«, schnaufte er beleidigt, zog dabei die dichten Brauen über der breiten Nase zusammen und wartete auf eine Reaktion.
Aber Andreas starrte immer noch auf das Jesusbild über dem Kamin und hielt die Hände mit dem Rosenkranz im Schoß gefaltet. Das prunkvolle Jesusgemälde im prächtigen Goldrahmen spiegelte die Verbundenheit des Hauses Rampendahl zu St. Nikolai wider. Obwohl Cordt wohlhabend war und sich zur intelligenten Oberschicht zählte, hasste er allzu überflüssigen Luxus und legte Wert auf die Bescheidenheit des einfachen Mannes. Einzig eine kleine Ausnahme gab es dabei: einen schweren Ahorntisch mit prunkreichen Ornamenten, nachgestaltet dem Luxus des französischen Hofes. Alle anderen Möbel waren praktisch in die dicken Steinwände eingelassen. Wände, von Cordts Vater Ludeke mit eigenen Händen erbaut, die der Vergänglichkeit trotzten, kühl im Sommer und warm im Winter waren. Die Kanne an den Lippen und den Blick auf den Pfarrer gerichtet, versuchte er von Neuem, Hochwürdens Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er gab seiner Stimme einen freundlichen Ton.
»Wollt Ihr mich nicht endlich an Eurer Zwiesprache mit dem Herrn teilhaben lassen, lieber Andreas?«
Diesmal schreckte der Geistliche aus seiner Versunkenheit auf und sah Cordt mit braunen Augen fragend an. Das Talglicht auf dem Tisch flackerte und belebte die regelmäßigen Züge. Es verlieh ihnen eine seltsame Ähnlichkeit mit denen auf dem göttlichen Gemälde. Fasziniert von der Erscheinung, schlug Cordt unwillkürlich das Kreuz vor der Brust. Die Ehre, mit Hochwürden an einem Tisch zu sitzen, ließ ihm vor Stolz die Brust schwellen. Noch dazu saß der Herr Jesus Christus nicht zum ersten Mal in Gestalt des Pfarrers an seinem Tisch und soff sein Bier. Andreas war ein Sohn Gottes aus Fleisch und Blut, der furzte und sich des Öfteren in der Nase popelte. Was für eine Ehre für Cordts Haus! Er legte die Stirn in krause Falten und betrachtete erst Andreas' lange Locken, die sich sanft um die hohe Stirn wellten, und dann dessen schmales Gesicht mit den sanften, melancholischen Augen, deren feiner Leidenszug ihn spontan an den Gottessohn hatten denken lassen. Er fragte sich, ob der Herr diese Ähnlichkeit wohl so gewollt hatte, als Andreas endlich zu einer Antwort ansetzte: »Entschuldigt die Unhöflichkeit, Deche, aber meine Gedanken weilten wohl ein wenig zu lange bei den Hexenkindern.«
»Dann ehrt es mich, dass ich Eure Aufmerksamkeit jetzt wieder habe«, grinste Cordt. »Dem Herrn sei Dank, dass meine Tochter Maria nicht zu den achtzehn beklafften Kindern gehört«, knurrte er erleichtert. Wochenlang hatte er um das älteste Töchterchen, seinen Augenstern, gebangt und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um es vor den Stadtbütteln zu schützen.
Andreas runzelte die dichten Brauen über der fein geschnittenen Nase. Der eben noch würdevolle Blick verdunkelte sich und ruhte zweifelnd auf dem breiten Gesicht seines Gastgebers. »Frohlockt nicht zu früh, Deche. Unter den Ratsmännern geht das böse Gerücht umher, dass mein Beichtkind, die göttliche Maria, als Einzige vom Schulmeister das Zaubern gelernt haben soll. Die Hexenjäger werden jeden ihrer Schritte mit Argusaugen überwachen.«
Cordt wusste allzu gut, dass Andreas nur das aussprach, was auch er insgeheim befürchtete, dennoch riefen dessen Worte tiefen Unwillen in ihm hervor. Auf seine Älteste ließ er nichts kommen. Sie war sein Fleisch und Blut und ganz aus seinem Holz geschnitzt.
»Beim Beelzebub! Der Teufel soll die hohen Herren holen, doch stattdessen säuft er mit ihnen aus einer Kanne. Schlimm genug, dass sie meine Mutter Salmeke als Hexe beklafften und auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Jetzt strecken sie ihre gierigen Krallen auch noch nach meiner Rosenblüte Maria aus. Aber ich schwöre bei Gott: Mein Kind bekommen sie nicht. Ich werde Maria vor ihnen zu schützen wissen. Was für eine Sünde, ein unschuldiges Kind aufgrund haltloser Gerüchte als Hexe zu beschimpfen. Sie werfen uns vor, meine Mutter habe ihre Enkelin unter der Folter als Hexe beklafft. Gemeinsam mit ihr soll sie sich beim Hexentanz vergnügt und obendrein die Äcker unfruchtbar gemacht haben. Ein altes Weib und ein unmündiges Kind. Eine infame Lüge! Genauso gut hätte Salmeke meine Äcker vor dem Ostertore verhexen können. Und doch sind sie die fruchtbarsten weit und breit.«
Cordt hatte sich in Rage geredet. Mit vor Eifer geröteten Wangen beugte er sich über den Tisch. Hinter vorgehaltener Hand wisperte er: »Ich sage Euch etwas, Hochwürden: Meine Mutter Salmeke war nicht die Hure Luzifers, wie ihr vorgeworfen wurde, und ich muss es ja wissen. Eher war sie eine sehr willkommene Beute für die hohen Herren, da sie ohne Schutz dastand, als mein Vater Ludeke, Gott hab ihn selig, uns verließ. Es ist doch allgemein bekannt, dass der ehrwürdige Richter Kerckmann und seine Hexenjäger wie die Geier hinter reichen alten Witwen her sind, um sich selbst zuerst die Beutel zu füllen.«
»Wem sagt Ihr das?« Insgeheim stimmte Andreas dem Dechen zu, doch als Geistlicher hielt er es für seine Pflicht, seine Zunge zu zügeln. »Aber versündigt Euch nicht, Gevatter. Den Teufel nehmt lieber nicht zu oft in den Mund, sonst wird man auch Euch mit ihm noch in Verbindung bringen.«
Großspurig winkte Cordt ab und blähte die Backen auf. »An mich trauen sich die Halsabschneider nicht heran. Lieber vergreifen sie sich an schutzlosen Weibern.« Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Kanne und bekreuzigte sich. »Zuerst die Mutter, dann die Tochter. Aber um sich mit einem Mann auseinanderzusetzen, hinter dem eine starke Zunft steht, dafür sind sie zu feige.«
Eine große braune Schabe krabbelte unbeholfen über den Tisch. Sie hatte an der Bierlache genippt und ging nun im Zickzack ihrer Wege. Cordt blickte ihr hinterher und fing sie, als sie von der Kante zu stürzen drohte, blitzschnell mit der Hand auf. Umständlich hielt er sie in die Höhe und betrachtete interessiert das zappelnde Tier zwischen seinen Fingern. »Was glaubt Ihr, Hochwürden, ob der Schulmeister wohl sehr leiden muss?«, fragte er nach einer Weile des Schweigens.
Obwohl Andreas angeekelt das Gesicht verzog, empfand er gleichzeitig Mitleid für die Schabe, die auch ein Geschöpf Gottes war. »Der Hohe Rat hat angeordnet, den Schulmeister zur allgemeinen Abschreckung mit Zangen zu reißen. Die Prozedur wurde in Lemgo bisher nur bei Mördern angewendet.«
»Könnte man Meister David nicht dazu überreden, den Schulmeister vorher von seinen Qualen zu erlösen?« Cordt deutete mit der Hand die Bewegung des Halsabschneidens an.
Ratlos hob Andreas die Schultern unter der Soutane. »Eure Frau Mutter, Gott möge ihr verzeihen, hatte das Glück, vor dem Brennen von Meister David durch das Messer erlöst zu werden. Ob der Henker auch dieses Mal dazu bereit ist, das weiß nur der Allmächtige. Solche Ausnahmen genehmigt lediglich der Hohe Rat, und der handelt im Auftrage Gottes.«
Er bekreuzigte sich und grinste verschwörerisch. »Man munkelt, Eure älteste Tochter habe die Gabe, den Henker mit ihrer Schönheit zu bezaubern und zu einer solch barmherzigen Gnade zu überreden.«
Cordt erwiderte das Grinsen. Ja, sein rothaariges Töchterchen, sein leuchtender Juwel, das war schon eine! Eine, die keine Furcht kannte, nicht einmal vor dem Henker. Eine, die das Herz auf dem rechten Fleck trug. Genau wie er. Sie war eine echte Rampendahl.
In die Soutane kam plötzlich Leben. Anscheinend hatte Andreas die Unterhaltung durstig gemacht, denn er schien es sich anders überlegt zu haben. Kurz entschlossen schürzte er die Ärmel, griff zur Kanne und prostete dem Dechen lächelnd zu. Er führte das volle Gefäß an seine Lippen und ließ das Bier die Kehle hinunterlaufen.
Verblüfft beobachtete Cordt den zuckenden Adamsapfel. Hochwürden schluckte wie ein durstiges Pferd und setzte erst wieder ab, als die Kanne bis auf den Grund geleert war. Er wischte sich schon mit dem Ärmel den Schaum von den Lippen, doch Cordt starrte noch immer mit offenem Mund auf den Krug in seiner Hand. Er kannte den jungen Pfarrer als aufgeschlossenen und streitbaren Gesellen, der mit Gottes Hilfe die Ungerechtigkeit der weltlichen Herren von der Kanzel aus scharf verurteilte, aber den Gelüsten des Magens und der Kehle eher enthaltsam gegenüberstand. Diese Seite an ihm war neu.
»Catharina!«, brüllte Cordt Rampendahl, als er die Sprache wiedergefunden hatte und Andreas zufrieden rülpste. »Für unseren Gast noch eine Kanne Bier!« Anerkennend klopfte er ihm auf die Schulter. »Einen guten Zug habt Ihr am Leib, Hochwürden!«
Den kläglichen Rest, auf dem inzwischen mehrere Fliegen schwammen, schüttete er in die Flammen des Kamins, sodass das Feuer hoch aufloderte. »Was Maria, meine Schöne, betrifft, so muss ich Euch recht geben«, kam er wieder auf seine Tochter zu sprechen. »Bevor sie Meister David mit ihrem Liebreiz gefangen nahm, habe ich versucht, ihn bei einer Kanne Bier zu überreden, meiner Frau Mutter die Qualen des Feuertodes zu ersparen. Er kann den Reuter genauso gut halten, wie er das Schwert führt. Meine Hochachtung vor dem Scharfrichter! Doch meinem Anliegen wich er aus und berief sich immer wieder auf den Hohen Rat. Erst der Anblick meiner wunderschönen Marien hat ihn umgestimmt. Manchmal frage ich mich, ob es daran lag, dass er Kinder über alles liebt oder dass mein Töchterchen vielleicht doch über seltsame Kräfte verfügt.«
Das Bier tat seine Wirkung. Andreas' Gesicht begann zu glühen. Mahnend hob er den Finger. »Meister David liebt auch die fleischlichen Begierden. Eure Älteste ist noch ein Kind, wenn auch ein liebliches«, erwiderte er leise. In seiner Stimme schwang Sorge mit. »Ich möchte nicht hoffen, dass er bereits das Weib in ihr erkannt hat. Schließlich weiß sie noch nichts vom blutigen Handwerk des Henkers und von den gottlosen Gelüsten eines heißblütigen Mannes, wie David Claussen einer ist. Sicherlich hat Gott sie erhört und ihr die richtigen Worte in den Mund gelegt, mit denen sie sein Herz betörte. Doch der Henker ist nicht nur mit Kraft, sondern auch mit teuflischer Schönheit gesegnet, die, ähnlich wie die Luzifers, durchaus Einfluss auf ein heranwachsendes Mädchen haben kann. Ein Mann wie David, stark wie ein Bär, mit dem Blick eines Adlers und dem Leumund des Ehrenmannes, könnte durchaus die Phantasie Eurer lieblichen Tochter beflügeln. Dennoch ist er der Henker und insgeheim gefürchtet, weil er in gewissen Dingen ebenso wenig Gnade kennt wie sein Herr, der hohe Richter und Bürgermeister Heinrich Kerckmann.«
Er erinnerte sich der Jahre, als sie und David gemeinsam die Knüppelschule besucht hatten, doch nachdem die Kinderzeit nun schon lange hinter ihnen lag, sprach er Davids Namen mit dem gleichen Respekt aus wie die meisten in Lemgo. Kein Scharfrichter in der Umgebung hatte so jung mit dem blutigen Handwerk begonnen wie der kühne und geheimnisvolle David, der nach dem frühen Tod seines Vaters bereits mit neunzehn Jahren das erste Mal das Schwert geführt hatte – mit der gleichen Perfektion und der gleichen Unerbittlichkeit wie erfahrenere, ältere Henker. Seitdem fürchtete man nicht nur den Meister, der sein blutiges Handwerk vollendet beherrschte, sondern auch seinen Schüler, der mit der Obrigkeit seine Geschäfte abwickelte und die bedingungslose Unterstützung des Blutrichters Kerckmann genoss.
Cordt erriet die Gedanken des Pfarrers. »Donner, Beelzebub und Pestwurz! Ich werde meiner Blume diese Phantasien schon austreiben. Vielleicht werden sie ihr auch von allein vergehen, wenn sie erst begreift, wie gnadenlos David unseren alten Schulmeister auf Befehl der hohen Herren tötet. Weshalb lässt Gott so ein Ungemach überhaupt zu?«
»Da nützen auch Flüche nichts, Deche Rampendahl. Damit versündigt Ihr Euch nur. Meister David ist den hohen Herren verpflichtet. Er ist unbestechlich und liebt sein Handwerk wie Ihr das Eure. Wenn er und Gott uns nicht helfen, dann müssen wir es eben selbst tun.« Gespannt beobachtete er Cordt, der sich nachdenklich hinter den Ohren kratzte.
Die Worte aus dem Mund des geistlichen Freundes verwirrten den Brauer. Sie stellten seine Grundsätze auf den Kopf. »Wollt Ihr damit sagen, dass Gott es billigt, was die hohen Herren da tun?«
»Vielleicht ist selbst Gott nicht unfehlbar.« Andreas bekreuzigte sich. Seine Miene blieb ernst. Es war nicht zu erkennen, was hinter der hohen Stirn vor sich ging.
In diesem Moment erinnerte er Cordt an dessen Vetter, den Bürgermeister. Überhaupt empfand er es als seltsam, dass ein Pfarrer, von dem jeder in der Stadt wusste, dass er mit zwei hohen Kämmerern verwandt war, solch unchristliche Ansichten pflegte – dennoch begrüßte er sie mit einem breiten Lächeln. Wer, wenn nicht sie, die Jungen, vermochten den Machenschaften der Ratsherren schon Einhalt zu gebieten?
Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, als er von Catharina unterbrochen wurde. »Und wie sollten wir uns Eurer Meinung nach ohne die Hilfe des Herrn behelfen? Ihr sagt ja selbst, dass der Hohe Rat im Auftrage Gottes handelt.«
Mit zwei Kannen Bier unterm Arm stand sie in der Tür und hatte Andreas' letzte Worte mit angehört. Sie stellte die Krüge auf den Tisch, wischte sich die Hände an der Schürze ab und setzte sich neben ihren Mann auf die Bank. Mit flinker Hand goss sie dem Pfarrer Bier nach und lehnte sich dann vertraulich an Cordts breite Schulter. Dass sie ihren kräftigen rotblonden Dechen noch genauso liebte wie damals, als sie noch Catharina Bohne, die Tochter des reichen Magisters und Chirurgus Johann Bohne, gewesen war, stand ihr in das schöne Gesicht geschrieben. Ihre runden Wangen glühten, ihre grünen Augen blitzten. Höflich lüftete Andreas das Gesäß und deutete mit einem leichten Kopfnicken seine Verehrung an.
»Euer Ehemann weiß eine aufstrebende Zunft hinter sich. Er ist zwar oftmals etwas ungestüm, aber ein kluger Kopf. Die Zünfte vertrauen ihm und wollen ihn im Rat sehen. Dort wäre er für uns eine große Hoffnung und könnte unsere Ziele erfolgreich durchsetzen.«
Mit großen Augen folgte Catharina den Ausführungen des Predigers, bevor sie den Mund öffnete. Cordt kannte ihre spitze Zunge, und mit ihren smaragdgrünen Augen, den vollen roten Lippen, dem kunstvoll hochgesteckten dunkelbraunen Haar unter dem weißen Spitzenhäubchen und dem mit Goldfäden durchwirkten Tuch, das über dem prallen Busen leicht spannte, war sie für ihn eine immerwährende Verlockung, eine nie versiegende Begierde. Fünf herrliche Kinder hatte diese Liebe bisher hervorgebracht.
»Aber wie soll Cordt den Hexenjägern denn Einhalt gebieten? Schließlich haben wir doch alle Ratsmitglieder gegen uns, und die Verurteilten sind stets rechtmäßig der Zauberei überführt worden.« Schnell bekreuzigte sie sich. »Habt Ihr etwa keine Furcht vor bösen Heimsuchungen?«
»Natürlich habe ich wie alle Leute in Lemgo vor Unholden und Hexen Furcht. Davor, dass sie meinem Weibe und meinen Kindern etwas Böses antun oder dass sie mein Vieh verhexen. Aber ich höre auf Gott, der mir tagtäglich versichert, dass unter uns Sünden begangen werden, die nicht alle des Teufels Werk sind. Dass die Hexen bekämpft werden müssen, das steht schon in der Bibel, nur sollten die Herren einen Hexenprozess den Rechten gemäß behutsam führen, um dabei keinen Irrtümern zu erliegen.«
Ein Junge mit blondem Haar, so hell wie reife Ähren, trat mit einer silbernen Platte in den Händen durch die Tür. Er verbeugte sich und setzte das Tablett, auf dem frisch gebackenes Brot dampfte, auf dem Tisch ab, um auf die Weisungen seines Meisters zu warten.
»Setz dich zu uns, Peter, und iss etwas von dem Brot«, befahl ihm Cordt und brach sich mit den Fingern einen Kanten ab.
Der schmächtige Junge senkte den Blick und ließ sich gehorsam ihm gegenüber nieder. Unschlüssig knetete er die Bäckermütze zwischen seinen Fingern. Auf dem blassen, mit Sommersprossen übersäten Kindergesicht lag deutlich der Ausdruck von Angst. Der Junge kannte sein Schicksal, vertraute aber noch auf die Hilfe seines Herrn, der mit vollen Backen brummte: »Das ist mein Bäckerjunge Peter. Er ist ein sehr gelehriger Schüler und ganz bestimmt kein Hexenkind.«
Catharina strich dem Jungen beruhigend die blonden Locken aus der Stirn. Ihr schönes Gesicht überzog eine leichte Röte, als sie ihrem Mann beipflichtete. »Peter ist ein guter Junge. Ich hoffe, dass Gott ihm beisteht, wenn sie ihn holen kommen. Seit Jahren ist er der liebste Gespiele unserer Töchter.«
Stufen knarrten, aus der Diele erklang lautes Kindergeschrei, und im gleichen Moment schob sich ein groß gewachsenes Mädchen mit schmalen, biegsamen Hüften und langen schlanken Beinen durch die Tür. Hinter ihr sträubte sich ihre jüngere Schwester aufs Heftigste und schlug wütend mit der freien Faust auf die Hand ein, die sie festhielt. Doch das größere Mädchen mit den unergründlichen Augen, so blau wie der Grund des Meeres, störte sich nicht daran.
»Margaretha hat mir schon wieder eine Puppe zerrissen!«, schimpfte es und warf eine Puppe aus Seide und Vliesflicken auf den Tisch. Aus dem hellen Stoffrumpf ragte büschelweise das Stroh. »Hier, Vater! Seht selbst und straft sie gebührend!« Ihre Augen verschleuderten Blitze, auf den Wangen glänzten Tränenspuren.
»Wollt ihr Mädchen nicht zuerst Hochwürden begrüßen?« Catharina griff nach der kleineren Margaretha und zog die Protestierende energisch zu sich auf den Schoß. Das Mädchen zappelte und versuchte sich zu befreien. Beruhigend strich Catharina ihrer Tochter über den nussbraunen Scheitel. Die Achtjährige hatte ihr rundes Gesicht und die grünen Augen geerbt und ließ sich nur schwer besänftigen. Erst als Hochwürden ihr mit erhobenem Finger drohte, verbarg sie das Gesicht an der Brust der Mutter und bohrte schmollend mit dem Finger in der Nase.
Die ältere Maria schien einen Augenblick lang zu überlegen, bevor sie züchtig die Augen senkte und vor Hochwürden artig einen Knicks andeutete.
Andreas lächelte gnädig auf sie hinab und schlug über ihr das Kreuz. Dann fasste er ihr sanft mit den Fingern unter das Kinn und hob ihren Kopf an, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. »Kennst du die Geschichte von Kain und Abel, mein Kind?« Er staunte immer wieder über den seltsamen klaren Ausdruck in ihren blauen Augen.
Maria nickte schuldbewusst und hauchte einen Kuss auf die Gebetsschnur, die er ihr darreichte. Sie war ganz das Abbild ihres Vaters, zugleich aber von solch zarter Gestalt, dass man sie eher für einen jungen Burschen hätte halten können, wären da nicht die langen Haare gewesen, die ihr bis zur Hüfte wallten.
»Du bist ein schönes Mädchen. Schön wie die heilige Magdalena. Aber du bist auch ungehorsam wie ein ungebändigtes Pferd und ungestüm wie dein Vater. Dabei bist du die Ältere und solltest deiner Schwester gegenüber Nachsicht üben. Du willst doch nicht im Fegefeuer enden?«
»Fegefeuer oder Scheiterhaufen, was macht das schon für einen Unterschied, Hochwürden?«
Mit einer solchen Schlagfertigkeit aus dem hübschen Mund hatte Andreas nicht gerechnet. Überrascht und zugleich erschrocken zog er seine Hand zurück und wechselte einen vielsagenden Blick mit Cordt.
»Das Kind führt eine spitze Zunge. Woher nimmt es solche ungefälligen Worte?« Gleichfalls hob er Marias Arm und besah sich stirnrunzelnd ihren von rotblauen Kratzern und Schürfstellen übersäten Ellbogen.
»Aus der Knüppelschule«, knurrte Cordt. »Die Leute hetzen ihre Teufelsbälger auf mein Töchterchen. Es ist ein wahres Glück, dass die Maria nicht auf den Mund gefallen ist.«
Maria bemerkte das Interesse, das ihr entgegengebracht wurde, und fühlte sich in ihrem kindlichen Stolz bestärkt. Rasch nutzte sie die Gelegenheit. »Keinen Fuß mehr setze ich in Lindemanns Haus«, zeterte sie wütend. »Seitdem die hohen Herren meinen Schulmeister mit Ruten geschlagen haben, behaupten alle, auch ich sei eine Hexe, und der Schulmeister habe mir das Zaubern beigebracht. Sie bewerfen mich mit Pferdeäpfeln und verbieten mir, Gottes Wort mit ihnen an einem Tisch zu lernen.«
Cordt drohte ihr spielerisch mit dem Finger. »Ich habe aber auch gesehen, wie du die Tochter vom Knochenhauer Vieregge an den Haaren gerissen hast. Und mit ihrem Bruder bist du auch nicht gerade zimperlich umgegangen.«
Statt eine Antwort zu geben, verzog Maria das Gesicht, stampfte wütend mit dem Fuß auf und suchte gekränkt nach den passenden Widerworten.
»Versündige dich nicht der Lüge, Jungfer Maria«, kam Andreas ihr zuvor. »Natürlich darfst du weiterhin gemeinsam mit den anderen Kindern das Wort Gottes lernen. Dafür werde ich sorgen.« Er schmeichelte ihr, indem er hinzufügte: »Ich habe gehört, dass du von allen Kindern am besten schreiben und lesen kannst. Noch besser sogar als dein Vater, der erst kürzlich die vorteilhafte Küsterstelle ausgeschlagen hat, die ich ihm angeboten habe, weil er so gut rechnen kann.« Breit grinste er in Cordts Richtung, der ein verdutztes Gesicht machte.
Augenblicklich hellten sich Marias Züge wieder auf. »Ihr seid so gütig, Hochwürden«, hauchte sie über seine Hand. Als sie ihren Kopf wieder hob, entfuhr ihren Lippen jedoch ein leiser Aufschrei, und sie flüchtete sich erschrocken in Andreas' Arme. Aus den weiten Falten seiner Soutane heraus starrte sie gebannt den Stadtsekretär Johannes Berner an, der in der Begleitung zweier Stadtdiener bisher unbemerkt den Raum betreten hatte.
Die Überraschung zeichnete sich deutlich auf den Gesichtern der Anwesenden ab, denn Berner war dafür bekannt und gefürchtet, ohne Voranmeldung aufzutauchen. Er hielt sein Verhalten für eine von Gott vorbestimmte Notwendigkeit, nahm man doch dadurch den Zauberern die Möglichkeit zur Flucht oder konnte sie gar während der Ausübung ihres teuflischen Handwerks überführen. Ohne sich an der allgemeinen Verblüffung zu stören, näselte er auf neumodische Art: »Deche Rampendahl, auf Beschluss des Hohen Rates habt Ihr uns das Kind Grönspan auszuliefern, wenn Ihr Euch nicht der Zauberei mitschuldig machen wollt!«
Ohne Aufforderung trat Berner in die Stube, während seine etwas zu eng stehenden Augen blitzschnell die Umgebung nach einem möglichen Fluchtweg absuchten. Befriedigt, nichts dergleichen entdeckt zu haben, stürzte er sich sogleich auf den Jungen und deutete mit einer Kopfbewegung den Stadtdienern an, seinem Beispiel zu folgen und notfalls, sollte sich der Deche weigern, den Jungen herauszugeben, auch Hand anzulegen.
Cordt erholte sich als Erster von der Überraschung. Stumm und äußerlich gelassen hatte er sich Berners Forderung angehört und war vor seinem Bier sitzen geblieben. Doch als der Junge in seiner Angst von der Bank sprang und hinter dem breiten Rücken seines Meisters Schutz suchte, erhob er sich ruckartig. Mit auf den Tisch gestützten Fäusten und nach vorn geneigtem Oberkörper demonstrierte er dem herausgeputzten Berner die Macht des Hausherrn und starrte ihm in das gepuderte Gesicht. Obwohl Berner mit dem Eindringen in sein Haus seine Befugnis weit überschritten hatte, wahrte Cordt die Höflichkeit des Gastgebers. Ernst wies er dem Stadtsekretär den freien Stuhl neben dem Pfarrer zu und gab Catharina ein Zeichen, einen Krug für ihn zu füllen. »Bei einem Schluck Bier lässt es sich gleich besser verhandeln.«
Doch Berner winkte ab und schob den Krug mit der Stockspitze von sich. Aus den Augenwinkeln heraus erfasste er lauernd die anwesenden Personen und bedachte, nachdem er sich kurz bekreuzigt hatte, den Pfarrer mit einem ironischen Lächeln. Während er seinen dürren Oberkörper wegen eines Venenleidens auf einen goldverzierten Stock stützte, spielte er den Überraschten und schnarrte süffisant: »Ihr hier, Hochwürden? Ich hatte Euch bei den Delinquenten im Turm vermutet.«
Andreas deutete mit dem Kopf einen Gruß an und zuckte dabei gelassen mit den Schultern. Auch wenn Berner die rechte Hand Kerckmanns war und zudem der meistgehasste Mann in Lemgo, ihn vermochte er nicht zu beeindrucken.
»Meine Schäfchen, die Gottes Beistand benötigen, sind überall, hoher Herr!«
Berner maß Andreas mit einem seltsamen Blick aus seinen grauen Vogelaugen und schoss dann mit einer Lebendigkeit herum, die dem dürren Mann niemand zugetraut hätte. Mit auf den Bäckerjungen gerichtetem Stock befahl er: »Gefangen nehmen!«
Als die Knechte sich anschickten, den Befehl auszuführen, erhob Cordt dröhnend seine Stimme. »Ihr dringt in mein Haus ein, hoher Herr, und denunziert meinen Bäckerjungen?«, vermochte er seine Wut nur mühsam zurückzuhalten. »Er ist noch ein Kind und hat sich keines Vergehens schuldig gemacht. Will der Hohe Rat jetzt etwa auch Kinder brennen?« Schnell zog er den Jungen hinter der Bank hervor und drehte ihn so, dass er ihm zu Angesicht stand.
»Überzeugt Euch selbst!« Cordt fasste dem Kind mit der freien Hand unter das Kinn und hob seinen Kopf, sodass ihn der Junge ansehen musste. Mit gerunzelter Stirn suchte er in den blauen Augen etwas, das wie der Leibhaftige aussah und ihm verriet, dass diese junge Seele verloren war. Doch er fand nichts als hilflose Angst. »Kommt so etwa der ›schwarze Kerl‹ daher? Mit solch unschuldigen Kinderaugen?« Er untermauerte seine Frage, indem er den Jungen ein Stück in Berners Richtung schob, der diesen Moment zu nutzen wusste und nach dem Jungen griff.
Doch Cordt zog Peter blitzschnell aus dessen Reichweite und schob ihn in Andreas' Arme. Schützend stellte er sich vor die beiden. »Ich verlange eine Erklärung, Amtmann Johannes Berner«, donnerte er. »Euer Verhalten ist nicht rechtens!«
»Und Eures, Deche Rampendahl, bestätigt mir, dass der Junge ein Zauberer ist. Der Teufel in ihm ist bereits im Begriff, Gewalt auch über Euch zu erlangen.« Lange schon stand Johannes Berner in städtischen Diensten, viel zu lange, um sich von dem jungen Dechen einschüchtern zu lassen. Im Gegenteil. Er war dem Quertreiber Rampendahl weitaus überlegen und würde ihn anders anpacken. An seiner empfindlichsten Stelle. Ein falsches Lächeln legte sich auf das starre, geschminkte Gesicht.
»Euch ist bekannt, dass der Schulmeister Beschoren achtzehn Kindern das Zaubern lehrte und dass zu diesen Besagten auch Jungfer Maria zählt? Gerade um Eurer Tochter willen solltet Ihr nicht unbesonnen handeln. Zudem ist Eure Mutter Salmeke eine gebrannte Hexe und, soweit es mir zu Ohren kam, Jungfer Margaretha das Mündel des gleichfalls der Zauberei bezichtigten Eheweibes des Schulmeisters.«
Die mit Bedacht gewählten Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Deche wurde um eine Farbnuance blasser, vergaß seinen christlichen Anstand und ballte hinter dem Rücken die Fäuste. »Gleich hau ich ihm eins in seine blasierte Fresse«, zischte er wütend über die Schulter zu Andreas gewandt. Dann spürte er, wie jemand an seinem Rock zupfte.
Es war Peter. Vor Angst schlotternd und mit grenzenloser Panik in den weit aufgerissenen Augen, flehte der Junge: »Bitte, Meister, lasst mich mitgehen. Sicher wird sich alles aufklären, und Gott wird über mein Schicksal wachen.«
Die Worte berührten Cordt, zeugten sie doch von der Verbundenheit des Jungen zu seiner Familie. Er würde sich lieber opfern, als damit rechnen zu müssen, dass seinem Meister durch ihn ein Ungemach widerfuhr. Gerührt strich er Peter mit der Hand über die blonden Locken, doch gleichzeitig reifte in ihm ein Entschluss.
»Ich gebe den Jungen nicht heraus. Ihr müsst ihn Euch schon holen«, brüllte er und stellte sich vor ihn, der hinter seinem breiten Rücken vor Berners Zugriff sicher war. Dann zog er den Degen. Mit einer Stimmgewalt, die selbst den Stadtsekretär zusammenzucken ließ, schleuderte Cordt ihm entgegen: »Herr, verschwindet augenblicklich aus meinem Haus und betretet es nie wieder! Und lasst Euch nicht einfallen, Hand an meine Tochter zu legen!«
Mit einem Aufschrei flüchtete sich Catharina zu den Mädchen hinter den Kamin und schickte, auf Gott vertrauend, einen hilflosen Blick zu Hochwürden.
Andreas spürte ihre Hilflosigkeit und erfasste rasch die Situation. Einen solchen Ungehorsam würde Berner nicht ungestraft hinnehmen. Er musste Cordt mit Gottes Hilfe zur Umkehr bewegen. Obwohl sich seine Züge aschfahl von der dunklen Soutane abhoben, gebot er dem Jungen leise, sich nicht von der Wand wegzubewegen, und trat dann beherzt zwischen Berner und Cordt. Beschwörend hob er die schmalen Hände. »Versündigt Euch nicht vor Gott, meine Herren, und belegt den Streit gütlich!« Mahnend berührte er Cordts Hand, die leicht zitternd den Degen auf Berner gerichtet hielt: »Zügelt Euer Temperament, Deche, und denkt an Eure Familie.«
Doch Cordt schnaubte wie ein verwundeter Stier. Die Einwände des Freundes erreichten seine Ohren nicht, geschweige denn seinen Verstand. Wie eine lästige Puppe schob er Andreas zur Seite und ließ Berner warnend die Spitze des Degens durch die Seide des Überrocks spüren.
Berner wurde abwechselnd rot und blass und schob trotzig das spitze Kinn nach vorn. Er schwitzte so stark, dass sich die Schminke in schmalen Rinnsalen löste und sich mit der dick aufgetragenen Puderschicht vermischte. Dennoch wusste der kleine schmächtige Mann in den lächerlichen Absatzschuhen und mit dem steifen Filzhut um die städtische Macht hinter sich und wich keinen Zoll zurück. Aus seinem Gebaren sprachen Macht und Gnadenlosigkeit. Er feixte Cordt frech ins Gesicht, doch seine Hände zitterten sichtbar. Die Unverfrorenheit des Dechen erlaubte ihm nun, auch die Jungfer Rampendahl zu denunzieren. Listig ergriffen seine Finger die Degenspitze. Er schwitzte noch stärker, als die scharfe Klinge die Innenfläche seiner Hand einritzte, ließ aber seinen Widersacher, der ihn entschlossen zurückdrängte, nicht einen Augenblick aus den Augen. Etwa auf Höhe des Kamins griff er plötzlich mit der anderen Hand hinter sich und erfasste Marias Arm. Noch ehe Cordt begriff, was geschah, entriss er Catharina das Kind. Zum Entsetzen der Anwesenden presste er Maria an sich und schwenkte frohlockend ihren Arm.
»Was sagt Ihr nun, Meister Rampendahl?«, fragte er lauernd. »Wollt Ihr mich noch immer aufspießen, oder kommt Ihr nicht umhin zu bekennen, dass dies die Male des Leibhaftigen sind?«
Triumphierend, endlich einen Beweis teuflischer Macht in seinen Händen zu halten, präsentierte er Marias Verletzungen und schaute reihum in die erschrockenen Gesichter.
»Sie ist eine Schülerin ihres Hexenmeisters, der auf dem Friedhof Kinderleichen ausgrub, sie verbrannte und deren Asche mit klein geschnittenen Kinderherzen zu einer geheimen Zaubersalbe vermischte. Mit ihr bestrichen er und seine Zauberlehrlinge Rachen und Rücken der Kühe, auf dass deren Milch für ewig versiege. Dies belegen die Male an ihrem Arm nur allzu deutlich!«
Zähneknirschend senkte Cordt den Degen. Er hatte den Stadtsekretär unterschätzt.
»Teufel, Ihr lasst sofort meine Tochter los, oder Ihr werdet an höherer Stelle von mir hören!.
»Ihr droht mir mit dem Grafen?« Berner verzog verächtlich die Mundwinkel.
Cordt sah ein, dass Berner auf diese Weise nicht beizukommen war. »Eines Tages werde ich Euch im Rat gegenübersitzen, Johannes Berner. Vergesst nie, dass Eure Tage und die Eures Herrn, des Blutrichters, gezählt sind. Wenn Ihr dann noch die Kraft dazu habt, bringt Euren dürren Hals ja vor mir in Sicherheit, verdammter Leuteschinder!« Auffordernd deutete er mit der Degenspitze zur Tür. »Gott wird Euch für Eure Sünden strafen. Ich werde mir meinen Bäckerjungen zurückholen. Und wenn Ihr jetzt nicht augenblicklich Eurer knochiges Hinterteil aus meiner Stube schafft ...«, drohte er und spürte, wie Berners eingefrorenes Grinsen sein Blut erneut in Wallung versetzte. Gleichfalls starrte er voller Angst auf seine Tochter, die in Berners Armen nach Luft ringend heiser röchelte.
»Euer Hochwohlgeboren, gern will ich Reue und Buße tun. Der Herr ist mein Zeuge, die Wunden stammen von den bösen Kindern aus Lindemanns Haus, nicht vom Teufel!« Sie richtete die hervorquellenden Augäpfel flehentlich auf den Vater und beschwor ihn mit ihrem Blick, vernünftig zu handeln.
Verblüfft lockerte Berner die Umklammerung. Augenblicklich erkannte Maria ihre Chance, entwand sich seinem Griff und flüchtete sich in die Arme des Vaters, wo sie befreit aufatmete. Dann drehte sie dem verhassten Mann das Gesicht zu und richtete trotzig die blauen Augen auf ihn: »Der Schulmeister hat uns die Vorteile von Kräutern gelehrt und uns gezeigt, wie man daraus Tee gegen Husten und Salbe gegen Läuse zubereitet. Gott ist mein Zeuge, daran ist nichts Frevelhaftes. Er ist kein Zauberer, und ich bin keine Hexe. Aber Ihr, Herr, Ihr seid es, der den Teufel im Leibe trägt!«
Berner wurde dunkelrot. Seine geschminkten Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Dieses dumme kleine Luder wagte es tatsächlich, sich ihm, Johannes Berner, entgegenzustellen? Entrüstet schnappte er nach Luft und griff sich mit einer Hand an die Brust. Aber die Schwäche währte nur einen Augenblick, dann atmete er tief durch und gab den Knechten das Zeichen zum Eingreifen.
Als hätten die Stadtdiener nur darauf gewartet, schulterten sie ihre Flinten und richteten sie drohend auf Vater und Tochter. Der Deche schäumte erneut vor Wut. Brüllend warf er sich ihnen entgegen, doch ein harter Schlag mit dem Gewehrkolben vor die Brust beförderte ihn zurück an die Wand. Er strauchelte, dann quoll Blut aus seinem Mundwinkel. Catharina schrie leise auf und stürzte zu ihm. Die Demütigung hatte seine Züge dermaßen verzerrt, dass sie das Schlimmste befürchtete. Weinend schlang sie die weißen Arme um seine breiten Schultern, um ihn vor weiteren Dummheiten zu bewahren. Während er sich mit dem Handrücken das Blut vom Gesicht wischte, machte Cordt tatsächlich Anstalten, sich wieder auf Berner zu stürzen.
Andreas hatte die Szene aus dem Hintergrund erschrocken mit verfolgt. Er war kein Pfarrer der ängstlichen Sorte, ganz im Gegenteil: Im Ernstfall vermochte er sogar meisterhaft den Degen zu schwingen. In manchen Dingen forderte der Herr zwar Zurückhaltung von ihm, doch diese galt nur so lange, wie sich ein Freund nicht in ernsthaften Schwierigkeiten befand. Als er Cordt auf dem Boden liegen sah, schickte er mit den Augen ein Vaterunser zur Deckenwölbung, bekreuzigte sich und beschloss, die ihm von Gott gegebenen Fäuste einzusetzen. Er raffte das untere Ende des Gewandes und warf sich den Knechten mutig vor die Lunten. »Ihr guten Leute, versündigt Euch nicht!«, donnerte er auf sie ein. »Und fürchtet Gottes Zorn, denn Ihr begeht Unrecht, wenn Ihr auf unschuldige Kinder schießt!« Sein Kiefer arbeitete nervös, seine Fäuste zuckten heftig. Notfalls würde er seine Schäfchen mit dem Leben verteidigen.
Als die Stadtknechte unschlüssig zu Berner traten, nutzte Andreas den Augenblick. »Soweit mir bekannt ist, bringt Ihr den Jungen mit den anderen Kindern nach Detmold in die Anstalt. Dort erwartet sie göttliche Bekehrung, habe ich recht?«, schmetterte er Berner mit fester Stimme entgegen. »Aber was ist das für eine Bekehrung, wenn er in ein paar Jahren dennoch hingerichtet wird, weil die Kinder dazu angehalten werden, sich gegenseitig zu verleumden? Und was geschieht mit ihm, wenn er die harten Torturen in der Anstalt lebend übersteht? Er ist jedermanns Freiwild und würde letztendlich doch als Hexer auf dem Scheiterhaufen enden. Warum versündigt Ihr Euch nicht gleich an den Kindern und tötet sie, in Gottes Namen?« In seinen Augen loderte ein gewaltiges Feuer, aus dem wütende Funken auf Berner übersprangen. »Ich schwöre Euch, Gottes Zorn wird über Euch kommen wie einst über König Herodes!«
Der Stadtsekretär, der selbst in panischer Angst vor dem Teufel lebte, wich erschrocken vor dem tobenden Geistlichen zurück. »Ihr wollt mir diktieren, wie ich mein Amt auszuüben habe, Hochwürden?«, fauchte er gefährlich leise, besann sich dann aber eines Besseren. Nicht umsonst war er ein städtischer Angestellter. Der Vergleich aus der Bibel besänftigte ihn. Drohend wies er mit knochigem Finger auf Cordt. »Diese Schmach werde ich Euch und Eurer vorlauten Tochter niemals vergessen, Rampendahl. So wahr ich jetzt vor Euch stehe, das schwöre ich. Und Ihr, Hochwürden, seid gewiss, dass wir Eure Kirche fortan genauestens im Auge behalten.« Berner winkte den Knechten, die den sich sträubenden Jungen bei den Armen packten und in ihre Mitte nahmen. Zum Abschied schwang Berner noch einmal drohend seinen Stock, dann tippelte er leicht gebeugt hinter den Knechten her.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis seine hölzernen Schritte in der Diele verklungen waren, dann lag andächtige Stille über dem Raum. Niemand traute sich, das Wort zu erheben, bis Cordt nach Maria Ausschau hielt.
»Wo ist meine goldgelockte, tapfere Maria?« Suchend ließ er seinen Blick umherschweifen, während er Eheweib und Töchterchen Margaretha fester an die breite Brust zog. Ihre zarten Körper wärmten ihn durch das Hemd, und er spürte ihr erleichtertes Zittern nach der überstandenen Angst. Trauer und Hilflosigkeit überfielen ihn.
»Wo bist du, Herr und Hirte, unser Erlöser und Beschützer?« Fragend forschte er in Andreas' Gesicht. Einige Sekunden lang versanken die Blicke der Männer ineinander, dann senkte der Geistliche stumm die Lider. Zweifel verdunkelten seine Züge und nagten an seiner Seele. Unerträglich, dass er seinem Freund Cordt in dieser schweren Stunde nicht ein einziges Wort des Trostes spenden konnte. Er selbst suchte Beistand beim himmlischen Vater und beugte das Knie vor dem heiligen Gemälde. Wandelte er denn noch auf dem Wege des Herrn, oder beschritt er bereits den sündigen Pfad des Zweifels? »Welche Sünde, Herr, kann so schwer wiegen, dass du mir deine Hilfe verweigerst?«, betete er verhalten über die gefalteten Hände. »Herr, ich bitte dich, lass es nicht zu, dass die junge Saat sinnlos vernichtet wird.«
Er zog die Kapuze tief in die Stirn, segnete Cordts Stube und griff nach der noch halb gefüllten Kanne Bier, die er an die Lippen setzte. Cordt hörte ihn laut schlürfen, doch plötzlich drehte er ihm das von der Kapuze verdeckte Gesicht zu und spie den Rest Bier auf den gewichsten Boden. »Es ist nicht rechtens, dass Hexen und Unholde ihr Unwesen treiben und Trunksucht und Maßlosigkeit unsere Stadt beherrschen. Aber Gott verlangt von uns, dass wir uns nicht scheuen, unsere Stimme zu erheben gegen die Richter, welche nichts taugen und sich auf Gott herausreden, wenn durch ihre Fehler Unschuldige gerichtet werden.«
Cordts Mund stand vor Staunen noch immer offen, als Andreas, erschrocken über die eigenen Worte, dem Dechen den Krug in die Hand drückte und eilig an ihm vorbei durch die Tür schritt.
Während Berner wütend die Stube verließ, war Maria unbemerkt an den Stadtdienern vorbeigeschlüpft und zu der Kammer im vorderen Giebel gelaufen, die sie sich mit Margaretha und der jüngsten Schwester Ilsabein teilte. Sie riss die unterste Lade vom Schrank auf und wühlte zwischen den Kleidern, Seidenstrümpfen und Spitzen. Als sie gefunden hatte, wonach ihre Finger so eifrig suchten, kniete sie sich hin und drückte den Gegenstand aufatmend an ihre Brust. Es war ein kleines, schwarz eingebundenes Buch mit goldenen Lettern. In ihm las sie immer dann, wenn sie Gottes Beistand benötigte. Im gleichen Augenblick spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Erschrocken blickte sie in die funkelnden Augen Margarethas.
»Du weißt, dass dies mein Buch ist. Der Schulmeister hat das Buch vom wahren Christentum mir geschenkt, nicht dir.«
Maria fühlte sich ertappt und suchte nach einer plausiblen Erklärung. »Es war die Schulmeisterin, die es dir gegeben hat, nicht er.«
»Auch das gibt dir nicht das Recht, in meinen Sachen herumzuschnüffeln. Du versündigst dich.« Margaretha hatte die Hände ausgestreckt: »Gib es mir zurück, Maria.«
»Nein, niemals!« Maria hatte sich von den Knien erhoben, verbarg das Buch listig hinter dem Rücken und wich langsam vor Margaretha zurück.
»Nicht du warst seine Schülerin, sondern ich. Von Rechts wegen ist es somit mein Buch. Es gehört mir!« Energisch behauptete sie ihren Besitz und stampfte zur Bekräftigung theatralisch mit dem Fuß auf.
Die Geschwister stritten sich tagtäglich mindestens ein Mal. Immer gab die kleinere Margaretha zuerst nach, da sie von ruhigerem Gemüt war. Auch diesmal neigte sie den Kopf zur Seite und fragte mit kindlich ernster Miene: »Müssen wir uns eigentlich um das Buch streiten? Wir sind doch Schwestern. Du bist die Ältere, also erlaube ich dir auch, es zuerst zu lesen!«
Maria hielt das Buch noch immer hinter dem Rücken und zog sich nun rückwärts zum Bett zurück. Mit angezogenen Beinen ließ sie sich auf der seidenen Bettdecke nieder und überlegte, ob sie Margarethas Sinneswandel trauen konnte. Ohne die Schwester aus den Augen zu lassen, begann sie zwischen Spitzenkissen und den selbst genähten Puppen aus Brokat und bunten Perlen durch die Buchseiten zu blättern. Bedächtig zeichnete sie mit dem Finger die schwarze Schrift nach und buchstabierte laut, die Zunge vorwitzig zwischen die leicht geöffneten Lippen geschoben, bis Margaretha vor Ungeduld zu ihr auf das Bett sprang und sie im gleichen Augenblick den Atem der jüngeren Schwester an ihrem Ohr verspürte.
»Eigentlich benehmen wir uns wie zwei kleine Teufel. Dabei sollten wir auf Vater hören und zusammenhalten. Wir haben uns doch lieb, und ich will nicht, dass die Büttel dich wegholen wie den Peter.«
Mit kindlichem Gespür hatte Margaretha erkannt, dass nicht das Buch der Grund des Streits war, sondern Marias verletzte Seele. Sie bekam Angst um ihre ältere Schwester und strich ihr unbeholfen mit den Fingern durch das lange goldrote Haar. Die Berührung sollte sie trösten, doch Maria lehnte ihre Wange mit einem Schluchzer an ihre Schulter.
Durch Margarethas Worte waren die Geschehnisse für Maria wieder real geworden. Ihre azurblauen Augen füllten sich mit Tränen. Mit wundem Herzen dachte sie an den Freund, mit dem sie ihr bisheriges Leben verbracht hatte, dessen glühende Blicke stets ihr und nicht der Knochenhauer-Maria gegolten hatten, die ihn so schändlich verraten hatte. Als sie an den Schulmeister dachte, ihren gütigen Lehrer, überwältigte sie die Trauer. »Wie recht du hast, Margaretha«, seufzte sie weinerlich.
Sie warf das Buch auf das Bett und schlang die weichen Arme um den Hals der Schwester. Dann brach der Schmerz in einem Tränenstrom aus ihr heraus, und sie wimmerte leise. »Die Büttel haben ihn geschlagen, bis er blutete, und ihn gegen die Wand gestoßen. Alle Kinder mussten mit ansehen, wie er hilflos vor ihren Füßen auf dem Boden kroch und nach seiner Brille suchte, und haben ihn dabei verspottet und mit Füßen getreten. Aber er ist doch unser lieber Schulmeister gewesen! Immer hat er mich gelehrt, ehrfürchtig zu Gott, unserem Herrn, zu beten und seine Gebote zu achten. Ich habe Gott angefleht, als sie ihn in schweren Ketten und blutend aus Lindemanns Diele führten, aber er hat mich nicht erhört. Warum? Wo hat sich dieser Gott versteckt, der zulässt, dass man jetzt seine Schreie aus dem Turm bis auf den Marktplatz hinunter hört?«
Margaretha blickte ihr mit geröteten Augen überrascht ins Gesicht. Ihr besonnenes Wesen gestattete es ihr bisweilen, der Älteren Ratschläge zu erteilen. »Der Hohe Rat ist Gott, sagen alle ...«
»Der Hohe Rat kann nicht gleich unserem Herrn sein. Wäre es so, so würde Gott all unsere Freunde töten.«
»In der Bibel steht, es gäbe einen Gott und einen Teufel. Der Hohe Rat jagt alle Hexen und Teufel und wird dabei von Meister David unterstützt. Der Henker hat auch unsere Großmutter getötet, und alle sagen, er sei der Teufel!. Hastig wischte sich Margaretha mit dem Handrücken die Tränenspuren von den Wangen. Die Frage war schwierig und erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.
»Wieso glaubst du den Leuten diese Teufelslüge?« Bei der Erwähnung des Scharfrichters blitzten Marias Augen plötzlich auf, und sie vergaß ihren Kummer. Das Gespräch nahm eine neue Wendung und begann sie abzulenken. Rasch rutschte sie höher in die Kissen und setzte sich der Schwester mit verschränkten Beinen gegenüber. Gespannt hing sie an deren Lippen. »Meister David ist doch nur der Henker.«
»Aber er sieht aus wie der Teufel, und die Leute schreien gar furchtbar, wenn sie mit ihm zusammen im Hexenturm sind.«
Erschrocken presste ihr Maria die Hand auf den Mund. »Über den Turm zu sprechen, hat uns der Vater verboten«, wisperte sie und schaute ängstlich zur Tür. »Außerdem glaube ich nicht, dass Meister David der Teufel ist. In Wirklichkeit ist er sanft und wunderschön, der Teufel aber ist hässlich und stinkt.«
»Und woher weißt du so viel über Meister David?« Margaretha bekam runde Augen. Argwöhnisch nahm sie wahr, wie Marias Wangen zu glühen begannen.
»Weil ich mit ihm gesprochen habe.«
»Duuu ...?« Erschrocken zog Margaretha ihre Hände zurück und rückte von der Schwester ab. »Aber der Henker ist unrein! Eine böse Krankheit wird dich heimsuchen, und alle werden dich meiden.«
»Das hat dir die Mutter erzählt. Der Vater sagt immer, Meister David sei ein echter Saufkumpan, und beim Kindermachen würde er sich mächtig anstrengen.«
Plötzlich war es still in der Kammer geworden. Nur das leise Knabbern einer Maus war zu hören. Auf Margarethas rundem Gesicht spiegelte sich der schulmeisterliche Ausdruck einer Erwachsenen. Wie immer, wenn sie über etwas nachdachte, bohrte sie sich mit der Fingerspitze in der Nase. Kritisch beäugte sie Maria. »Du bist in ihn verliebt, gib es zu«, unterbrach sie dann die Stille.
Maria war bis in die Spitzen ihrer Haare dunkelrot angelaufen und versuchte, dem Blick der Schwester auszuweichen. Nervös nestelte sie an der Spitze der Überdecke. »Ich bin nicht in ihn verliebt«, druckste sie herum, »aber meiner Meinung nach hat er unsere Großmutter von den Qualen des Feuertodes erlöst.«
»Und deshalb glaubst du, dass er in dich verliebt ist?«
»Ich bin das erste Mädchen, dem der Henker zärtlich über die Wange gestrichen hat. Und er hat zu mir gesagt, dass ich die schönste Jungfer sei, die ihm je begegnet ist.« Schwärmerisch blickte sie zu dem seidenen Betthimmel hinauf. Noch heute spürte sie die langen Haare des wilden Mannes auf ihrer Haut, und genau wie damals, als sie ihm mit flinken Händen die am Pferdeknauf verfangenen Haare entwirrt hatte, rief die Erinnerung daran ein seltsames Kribbeln in ihr wach. Ein Kribbeln, das so süß und angenehm war wie frisch gewonnener Honig und sie schwindlig machte. Sie konnte ihn einfach nicht vergessen. Träumerisch rief sie sich das männliche Gesicht mit den feurigen Augen ins Gedächtnis. Zu lange loderte das Geheimnis bereits wie ein Feuer in ihr. Wenn sie jetzt nicht darüber sprach, würden die Flammen sie unweigerlich verzehren. Sie ergriff Margarethas Hände. »Hast du ihn denn je von Nahem gesehen, so nah, wie ich ihn vor mir sah?«
»Bisher erblickte ich ihn nur in der Sandkuhlen. Meistens verbarg er seine bösen Augen hinter einer Maske.«
»Eben.« Maria faltete die Hände über der Brust. Ihr Blick verklärte sich. »Ich allein habe sein wildes Gesicht gesehen mit der hohen edlen Stirn und den vollen sinnlichen Lippen, von denen alle Weiber dieser Stadt träumen. Er ist stark wie ein Löwe und hat Muskeln wie ein Bär.«
Maria erinnerte sich lächelnd der sanften Träume, die ihr kindliches Herz wie keimende Pflänzchen umgarnten. Seit jener Begegnung ließ Davids Bild sie nicht mehr los. Vom Herrgott und ihrem Vater einmal abgesehen, war er der erste Mann, den sie anbetete. Die Burschen in ihrem Alter dagegen weckten ihr Interesse kaum. Ganz anders verhielt es sich mit der Maria vom Knochenhauer. Die älteren Buben in der Knüppelschule verdrehten sich nach ihr die Augen, und in der Dunkelheit drückte sich das frühreife Luder bereits mit ihnen in der Nähe des Hexentanzplatzes umher und ließ sich von ihnen auf den Mund küssen.
»Jetzt ist aber genug mit der dummen Schwärmerei!« Noch ehe Maria begriff, was ihr geschah, hatte Margaretha sie plötzlich mit beiden Händen an den Haaren gepackt und schüttelte sie heftig. Sie konnte der Begeisterung für den Scharfrichter nicht das Geringste abgewinnen und versuchte, die Schwester energisch zum Schweigen zu bringen. »Vielleicht vergleichst du ihn noch mit einem edlen Herrn? Meister David ist ein blutrünstiges Scheusal. Nicht umsonst warnt uns die Mutter immer vor ihm. Such dir lieber einen gleichaltrigen Burschen, den du anhimmeln kannst!«
Der eben noch so harmonische Frieden zwischen den Geschwistern war jäh zerstört worden. Mit verzerrten Zügen presste Maria die Hände gegen Margarethas Brust und stieß sie gekränkt von sich. Dann stand sie mit gerunzelten Brauen und schmalen Augen über der Schwester und fauchte verletzt: »Ich werde dir beweisen, dass Meister David kein Scheusal ist. Ich gehe zu ihm und bitte ihn um Gnade für unseren Schulmeister. So wie damals bei der Hinrichtung der Großmutter.«