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Altern will gelernt sein, sagt der Tübinger Philosoph Otfried Höffe. Umfassend behandelt er auch die ökonomischen, medizinischen, juristischen und sozialen Aspekte des Themas und fragt sehr konkret nach den Voraussetzungen, um in Würde glücklich altern zu können. Das Buch richtet sich unmittelbar an die Betroffenen und behandelt auch die Themen Sterben und Tod. «Was du als Kind nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Älteren zu!» Mit dieser Goldenen Regel formuliert Otfried Höffe eine ebenso einfache wie überzeugende Sozialethik des Alters. Er wendet sich gegen die Übermacht der Ökonomie und die Dominanz negativer Altersbilder. Auf die Drohkulisse der «alternden Gesellschaft» antwortet er mit der Perspektive der «gewonnenen Jahre» und gibt auch praktische Ratschläge wie «die vier L»: Laufen, Lernen, Lieben und Lachen arbeiten der Altersschwäche entgegen und verhelfen nicht nur zu Wohlbefinden, sondern auch zu einem beträchtlichen körperlichen, geistigen, sozialen und emotionalen Kapital. Denn was die Erfahrung lehrt, das hat die Forschung längst bestätigt: dass man die dem Alter entgegenwirkenden Kräfte zu einem erheblichen Teil bei sich und in sich selbst findet.
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OTFRIED HÖFFE
Die hohe Kunst des Alterns
Kleine Philosophie des guten Lebens
C.H.BECK
Zum Buch
«Was du als Kind nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem Älteren zu!» Mit dieser Goldenen Regel formuliert Otfried Höffe eine ebenso einfache wie überzeugende Sozialethik des Alters. Umfassend behandelt er in dieser Anleitung zum Älterwerden auch die ökonomischen, medizinischen, juristischen und sozialen Aspekte des Themas und fragt sehr konkret nach den Voraussetzungen, um in Würde glücklich altern zu können.
Höffe wendet sich gegen die Übermacht der Ökonomie und die Dominanz negativer Altersbilder. Auf die Drohkulisse der «alternden Gesellschaft»antwortet er mit der Perspektive der «gewonnenen Jahre» und gibt auch praktische Ratschläge: Die «vier L» Laufen, Lernen, Lieben und Lachen arbeiten der Altersschwäche entgegen und verhelfen nicht nur zu Wohlbefinden, sondern auch zu einem beträchtlichen körperlichen, geistigen, sozialen und emotionalen Kapital. Denn was die Erfahrung lehrt, das hat die Forschung längst bestätigt: dass man die dem Alter entgegenwirkenden Kräfte zu einem erheblichen Teil bei sich und in sich selbst findet.
Über den Autor
Otfried Höffe lehrte u.a. in Fribourg, Zürich, Sankt Gallen und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet. Bei C.H.Beck erschienen zuletzt: Geschichte des politischen Denkens. Zwölf Porträts und acht Miniaturen (2016) und Kritik der Freiheit. Das Grundproblem der Moderne (2015).
Vorwort
1. Erste Annäherung
Das Thema wiedergewinnen
Gegen die Übermacht der Ökonomie
Drei philosophische Altersdiskurse
Arist-o-crates: Zur Kooperation von Philosophie und Medizin
Der Ruf nach medizinischer Ethik
Zur Gliederung
2. Wider die Macht negativer Altersbilder
Bilder statt Stereotype
Zwei Pole: Alterslob und Altersschelte
Frühgeschichte
Griechische Medizin
Von Francis Bacon zu Pablo Casals
Ein Blick in die Fremde
3. «Alternde Gesellschaft» oder «gewonnene Jahre»?
Zunehmende Lebenserwartung
Kalendarische Altersgrenzen sind fragwürdig
Bleibende Frische
Altersfreundliche Diskurse
4. Gesellschaftspolitische Aufgaben
Das sozialethische Leitgebot
Die Berufswelt ändern
Eine neue Bildungswelt
Altersfreundliche Lebensräume
5. Vorbilder für eine Alterskunst
Cicero: Eine frühe Altersstudie
Zwischenspiel: Shakespeare, Goethe und Hegel
Arthur Schopenhauer: Heiterkeit – in Grau
Jacob Grimm: Vom Glück des Älterwerdens
Ernst Bloch: Zeit der Ernte
Authentisch: Auch im Alter «Ich selbst sein»
6. In Würde glücklich altern
Altern will gelernt sein
Ratschläge der Lebensklugheit: «Die vier L»
Sozialethische Gebote
Die Goldene Regel der Altersethik
Weitere gerontologische Gebote
Muster eines Lernprozesses
7. Hochbetagt: Alterskunst in der Geriatrie
Selbstachtung, Selbstbestimmung und kreatives Altern
Facettenreiche Hilfe
Das Alter ist keine Krankheit, die Altersheilkunde eine Disziplin des Lebens
Wirtschaftlichkeit kontra Ethik
Ausbildung und Forschung
Krankenversorgung
Ein Nachwort zur Demenz
8. Wenn es zum Sterben kommt 1: Das Lebensende planen?
Die Sterblichkeit nicht verdrängen
Zum Beispiel Boëthius’ Trost der Philosophie
Systematische Überlegungen
Sieben Strategien
Grundmuster des Sterbens
Zwei abschließende Bemerkungen
9. Wenn es zum Sterben kommt 2: Um eine Kultur des Abschiednehmens bitten
Die soziale Aufgabe
Vier Dimensionen
Medizin und mehr
Ein Blick auf die Religionen
Alterssuizid: Dürfen, sollen Ärzte helfen?
Sterben lassen
10. Demokratische Aspekte der Lebens- und Alterskunst
Literatur
Personenregister
Für Evelyn,seit 50 Jahren mein Vorbild für Lebenskunst
Lange Zeit fand das Thema des Alters und Alterns in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit. Seit einiger Zeit hat sich die Situation geändert, häufig angestoßen durch den vorher verdrängten demographischen Wandel. Endlich, muss man sagen, stellen sich sowohl Fachbücher und Abhandlungen als auch Zeitungsessays und literarische Texte wieder der Aufgabe, über die hier einschlägige Beziehung der Generationen zueinander und über die dabei möglichen persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Chancen, Gefahren und Konflikte nachzudenken. Die Philosophie meldet sich aber immer noch kaum zu Wort. In ihren vielbändigen Nachschlagewerken taucht das Stichwort «Alter», im Englischen «age», nicht einmal auf.
Philosophen besitzen hier zwar kein Sonderwissen, sondern bedienen sich lediglich der allen Menschen gemeinsamen Vernunft und der ebenfalls allen zugänglichen Erfahrung. Für beides bringen sie jedoch eine methodische Übung mit. Überdies können sie aus der an Begriffen, Argumenten und Problembewusstsein reichen Tradition schöpfen. Früher, insbesondere in der Antike, war nämlich das Themenfeld vom Alter und Altern ein respektabler Gegenstand. «Über das Alter», in der lange dominanten Philosophie-Sprache, dem Lateinischen, «De senectute», war ein klassischer Titel für philosophische oder der Philosophie nahe Überlegungen. Später jedoch verdrängt die Philosophie dieses Thema, obwohl der lebensweltliche Anlass bleibt: Menschen altern und haben nicht selten Schwierigkeiten, sich mit dieser Phase ihres Lebens auseinanderzusetzen, vielleicht sogar anzufreunden.
Zu den Gründen des philosophischen Desinteresses gehört ein radikaler Perspektivenwechsel: Die Pflichtenethik, auch deontologische Ethik genannt, hat den Bereich der Philosophie, in dem die «Philosophie des Alters» vornehmlich behandelt wurde, die Philosophie als Lebenskunst, zunächst entmachtet, später vollständig beiseitegeschoben. Hinzu kommt eine Verengung vieler Debatten auf Begriffsklärung und Prinzipientheorie. Dabei scheut man den für eine Philosophie des Alters unabdingbaren Blick in die Erfahrung, sowohl in die Lebenserfahrung als auch in die einschlägigen Erfahrungswissenschaften. Mit dieser Studie versuche ich, die größere Themenweite wiederzugewinnen. Es versteht sich, dass dieser Versuch die professionellen Altersdiskurse zur Kenntnis nimmt. Da und dort kann sie diese aber um einige weniger behandelte Gesichtspunkte und Methoden erweitern oder die schon bekannten anders gewichten.
Erste Ansätze habe ich vor eineinhalb Jahrzehnten unter dem Titel «Gerontologische Ethik. Zwölf Bausteine für eine neue Disziplin» veröffentlicht. Bei der Mitarbeit in einer interdisziplinären Akademiengruppe «Altern in Deutschland» konnte ich mich in eine Fülle weiterer Erfahrungen einarbeiten. Nachdem ich in den letzten Jahren aus verschiedenen Anlässen zu Vorträgen oder Stellungnahmen gebeten wurde, entstand der Wunsch, die verschiedenen Überlegungen in einen sachlichen Zusammenhang zu bringen und wo erforderlich thematisch und methodisch abzurunden.
Meine Leitfrage lautet: Gibt es im Rahmen der Lebenskunst eine Kunst des Alters und Alterns? Hat diese Kunst, geht die Frage weiter, zwei Seiten, eine personale und eine soziale Seite, die freilich ineinander greifen dürften? Und hat diese Kunst nicht einzuschließen, womit alles Leben, auch das menschliche, endet: das Sterben mitsamt dem Tod? Gibt es also oder braucht es zumindest als Ergänzung eine Kunst oder Kultur des Sterbens, die, wo erforderlich, auch einschlägige Fragen einer Pflichtenethik aufgreift?
Da wir alle, wenn wir nur offen durchs Leben gehen, vieles vom Alter und Altern kennen, darf niemand glauben, hier etwas grundsätzlich Neues vortragen zu können. Diese Studie sucht keine Neuentdeckungen, eher unternimmt sie eine phänomenale Erkundungsreise, die möglichst viele Aspekte in den Blick nimmt, da und dort freilich auch eigene Akzente setzt.
Wieder darf ich meinen vorbildlichen Mitarbeitern danken, dieses Mal besonders Dr. Moritz Hildt für kluge Kommentare und Peter Königs für Hilfe beim Literaturverzeichnis, dem Personenregister und der Fahnenkorrektur.
Tübingen, im Herbst 2017
Otfried Höffe
Zu jedem Lebewesen gehört das Altern, das schließlich ins Sterben mündet. Menschen machen hier keine Ausnahme, trotzdem nehmen sie in der Natur eine Sonderstellung ein. Denn sie wissen um das Altern, erleben es in der Jugend an Eltern, Lehrern und Großeltern, später an sich selbst, weshalb sie früher oder später darüber nachdenken.
Altern und Alter sind also für den Menschen biologische Phänomene, die zugleich erlebt und erlitten, bald beschleunigt, bald auch gebremst werden und in jedem Fall ein existentielles Gewicht haben. Da sie die Berufs- und Arbeitswelt mitbetreffen, haben sie ebenso eine wirtschaftliche, weil sie das Gesundheitswesen beeinflussen, sowohl eine politische als auch eine medizinische, pharmazeutische und medizintechnische Seite. Weil ältere Menschen altersgerecht wohnen und barrierefrei in Gebäude und Wohnungen gelangen wollen, hat das Thema zudem eine Architekturseite, schließlich, weil es den Menschen in seinen gesellschaftlichen Beziehungen beeinflusst, eine soziale Seite.
Für all diese Facetten ist eine hohe Kunst des Alters und Alterns, folglich auch eine Theorie der Alterskunst gefordert. Dabei meint «Kunst» keine künstlerische Tätigkeit, sondern ein Können, ein Know-how, das ein Kennen und Wissen, ein Know-that, einbezieht und sowohl rechtliche als auch moralische Verbindlichkeiten nicht ausschließt. Hier wie andernorts beansprucht die Philosophie keine Sonderfähigkeit. Denn jedem Bürger zugänglich, ist sie ihrem Wesen nach ein demokratisches Unterfangen, das sich der allen Menschen gemeinsamen Vernunft bedient und auf eine ebenfalls allen zugängliche Erfahrung zurückgreift. Freilich bringt die Philosophie außer ihrer Fähigkeit zu methodischem Vorgehen auch die Kenntnisse einer an Begriffen, Argumenten und Problembewusstsein reichen Tradition mit. Gegenüber dem Alter reicht diese von Platon und Aristoteles über die Stoa, Cicero und die europäische Moralistik etwa mit Bacon und Schopenhauer bis zu modernen Autoren wie Ernst Bloch.
Es genügt freilich nicht, nur philosophische Zeugnisse zu Rate zu ziehen. Ebenso wichtig sind Texte der Medizingeschichte und Hinweise der religiösen und der säkularen Lebensweisheit. Schließlich darf man weder die bildende Kunst noch die große Literatur vergessen: Die einschlägige Tradition ist weit.
Die zu erneuernde philosophische Alterskunst beginnt mit dem Veto gegen eine heute drohende Engführung: Gesellschaft und Politik überlegen, wie man die Älteren möglichst wirksam zunächst in die Berufs- und Sozialwelt, später in die Welt von Alten- und Pflegeheimen integriert. Oft stillschweigend, nicht selten ausdrücklich nehmen sie dann Nutzen-Kosten-Analysen vor, gerichtet auf die Berufswelt, das Gesundheitswesen, nicht zuletzt die Rentenversicherung. Auf diese Weise wird das Themenfeld nur in funktionaler Hinsicht, zudem nicht selten in ökonomistischer Verkürzung erörtert: Wie bleiben die Menschen möglichst lange in das Erwerbsleben eingebunden? Und: Wie lassen sich die Kosten einer späteren Betreuung minimieren?
Der Einspruch gegen diese thematische Verkürzung setzt bei der Beobachtung eines zunehmend ökonomischen Denkens an, das sich auf eine sogar vierdimensionale Ökonomisierung beläuft:
Als erstes breiten sich ökonomische Absolventen in Tätigkeitsfelder aus, die bislang von Juristen oder einschlägigen Fachleuten geleitet wurden. Und in der Leitung von Pflegeheimen und Krankenhäusern erhalten kaufmännische Direktoren mehr und mehr Gewicht.
Weiterhin wächst die Macht der von Gefühlen entleerten ökonomischen Sprache, deren schlechtes Deutsch ihre Herkunft aus der anglophonen Management-Sprache verrät. Der Ausdruck «Effizienzpakt» steht schönfärberisch für «Kostenstopp» und «redundant machen» für «kündigen». Altersheime und Krankenhäuser gelten als Betriebe, die es nicht mehr mit Heimbewohnern oder Patienten, sondern mit Kunden zu tun haben. Die Angestellten schließlich zählen nicht mehr als (unentbehrliche) Mitarbeiter, sondern als ein so weit wie möglich einzusparender Kostenfaktor.
Noch gravierender als die, polemisch zugespitzt, «ökonomievergiftete» Sprache ist die zugrunde liegende Zunahme der BWL-Mentalität. Sie beginnt bei der Fragmentierung komplexer Aufgaben, setzt sich im Diktat des Rotstifts fort und endet nicht bei der Forderung, «genug Geld einzuspielen» und die «Bettenrendite» zu erhöhen. Am zynischsten manifestiert sich diese Denkweise in der Rede vom «sozialverträglichen Frühableben». Die Folge war vorhersehbar: Der allgegenwärtige Spardruck verschlechtert, was in der Altersheilkunst, der Geriatrie, und in Altersheimen besonders wichtig ist: die persönliche Zuwendung.
Nicht zuletzt wird, viertens, eine so sensible Aufgabe wie die Betreuung von Pflegebedürftigen öffentlich ausgeschrieben, als ob es sich um ein Gewerk für den Bau einer Straße oder eines Bürogebäudes handle.
Diese Beobachtungen sollen keinesfalls Fragen der Wirtschaftlichkeit für belanglos erklären. In seiner meisterhaften Erzählung «Die Nase» lässt zwar der russische Schriftsteller Nikolai Wassiljewitsch Gogol einen Arzt mit Entrüstung sagen, er habe keine finanziellen Interessen. Richtig ist, dass dem Wesen ärztlicher und pflegerischer Tätigkeit, dem Helfen und Heilen, die dem Geld unterworfene Wirtschaftlichkeit fremd ist. Trotzdem kann sich nur, wer geerbt oder glücklich spekuliert hat, die von Gogol erzählte Entrüstung leisten. Die gewöhnlichen Ärzte und Heimleitungen müssen ein Auskommen suchen; weder die geriatrische Abteilung einer Klinik noch ein Seniorenstift können sich auf Dauer rote Zahlen erlauben.
Schließlich dürfen die Gesamtkosten des Gesundheitswesens nicht beliebig steigen, so dass man eine Knappheit finanzieller und personeller Mittel nie ausschließen kann. Dass deshalb selbst in einem relativ großzügigen Gesundheitswesen wie dem von West- und Nordeuropa etliche Wünsche offen bleiben, erkennt eine philosophische Alterskunst schon wegen des anthropologischen Gesetzes der Knappheit – während die letzte Vorgabe aller Wirtschaft, die Erde, begrenzt ist, sind die menschlichen Begehrlichkeiten unbegrenzt – als unvermeidlich an:
Patienten wünschen sich sofortige Hilfe, müssen in Wirklichkeit aber warten: in der Sprechstunde, auf den Notarzt, auf ein Spenderorgan oder den Operationstermin. Und wenn ein Patient an der Reihe ist, drängt der nächste nach: Die Zuwendungszeit von Ärzten und Pflegepersonal ist in der Regel kürzer, als es sich der Patient, zumal der hochbetagte, wünscht.
Dass Fragen der Wirtschaftlichkeit notwendig sind, rechtfertigt aber nicht deren Übermacht. Gegen die skizzierte Ökonomisierung braucht es eine Gegenmacht, gegen die Kultur der Rentabilität eine Gegenkultur, die dem wirtschaftlichen Denken das Recht auf den Vorrang abstreitet.
Unsere Gesellschaft gibt ihren Mitgliedern das Recht, in allen Phasen ihrer Biographie, folglich auch im Alter, sich zu entfalten und dabei ein gelungen-glückliches Leben zu suchen. Für dessen notfalls einklagbaren Rahmen hat sie sich sogar auf die Grund- und Menschenrechte und als deren Leitgedanken auf die Menschenwürde verpflichtet. Deshalb braucht man funktionale Betrachtungen – sie mögen im Fall einer gründlichen Erörterung «funktionale Altersdiskurse» heißen – nicht aufzugeben, vor allem nicht, wenn man deren Verkürzung auf das Erwerbsleben entkommt. Allerdings nehmen funktionale Altersdiskurse einen den Betroffenen weithin fremden Blick ein, den man genau deshalb, als Fremdblick, zu relativieren hat. Öffnet man sich daher der Innenansicht der Betroffenen, dem Blickwinkel der Älteren selbst, so treten seitens der Philosophie normative Fragen in den Vordergrund, weshalb philosophische Altersdiskurse vornehmlich zur Ethik gehören.
Für sie hat die Philosophie im Lauf ihrer reichen Geschichte vier Grundmodelle entwickelt: eine Ethik des glücklich-gelungenen Lebens, eine Ethik moralischer Anforderungen, eine Ethik «kollektiven Wohls», nicht zuletzt die Moralkritik. Für jedes dieser Modelle gibt es eine herausragende Gestalt: Für das erste Muster, den Eudaimonismus («Glück» heißt im Griechischen «Eudaimonia»), ist Aristoteles mit seiner Nikomachischen Ethik maßgeblich. Für das zweite Modell, die Pflichtenethik, oft Deontologie, nämlich «Lehre des Schicklichen und Gesollten», genannt, gibt Immanuel Kant mit seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten das Vorbild ab. Für die Ethik des maximalen Gesamtwohls (Kollektivwohls), für das «größte Glück der größten Zahl», den Utilitarismus, hat John Stuart Mill mit seiner gleichnamigen Schrift den größten Einfluss entfaltet. Schließlich ist der bedeutendste Vertreter für die Moralkritik Friedrich Nietzsche, etwa mit der «Streitschrift» Zur Genealogie der Moral.
Eine Ethik des Alters und des Alterns – man mag sie eine gerontologische Ethik nennen – kann auf alle vier Modelle zurückgreifen. Gegen das dritte Muster, den Utilitarismus, tauchen zwar grundsätzliche Bedenken auf, denn das Prinzip des maximalen Gesamtwohls widerspricht der Innenansicht der Einzelnen und ihrer unveräußerlichen Rechte. Trotzdem kann es etwa bei Fragen einer Impfpflicht von Bedeutung sein. Wichtiger sind aber die drei anderen Modelle: