DIE HÖLLE - Richard Neely - E-Book

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Richard Neely

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Beschreibung

Ihre erste gemeinsame Nacht war der Himmel auf Erden - doch dann begann die Hölle: Sie - ein attraktives Starlet - er, ein erfolgloser Drehbuchautor - beide in Hollywood, beide auf der Suche nach dem Schlüssel zum großen Erfolg. Doch da ist noch ein Dritter: Der Ehemann der Aktrice - psychisch krank und seit Jahren in Behandlung, aber ohne Erfolg.

Sie flieht nach San Francisco - und das Verhängnis nimmt seinen Lauf...

 

Der Thriller Die Hölle von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1978; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1979 (unter dem Titel Flucht in die Hölle). Dieser klassische, düstere Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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RICHARD NEELY

 

 

Die Hölle

 

 

 

 

 

 

 

Apex Crime, Band 251

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE HÖLLE 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Ihre erste gemeinsame Nacht war der Himmel auf Erden - doch dann begann die Hölle: Sie - ein attraktives Starlet - er, ein erfolgloser Drehbuchautor - beide in Hollywood, beide auf der Suche nach dem Schlüssel zum großen Erfolg. Doch da ist noch ein Dritter: Der Ehemann der Aktrice - psychisch krank und seit Jahren in Behandlung, aber ohne Erfolg.

Sie flieht nach San Francisco - und das Verhängnis nimmt seinen Lauf...

 

Der Thriller Die Hölle von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1978; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1979 (unter dem Titel Flucht in die Hölle). Dieser klassische, düstere Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.

  DIE HÖLLE

 

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Das erste Mal sah ich Carol Nolan am Bahnsteig der New Yorker Hochbahnstation Third Avenue, der sich in Beverly Hills in Kalifornien befand. Die Hochbahn war direkt hinter dem Kassen- und Anmeldeschalter des Filmgeländes der Twentieth Century Fox und eines von den wenigen Überbleibseln der riesigen Außenbauten für den Film Hallo, Dolly. Ich war aus beruflicher Neugier hingegangen, um mir die Bauten anzusehen - vielleicht konnte ich sie bei meinem Drehbuch verwenden, ebenso wie die nachgebauten Ziegel-Fassaden Manhattans, die ich kurz zuvor besichtigt hatte.

Carol Nolan stand an den Gleisen und schaute hinaus auf das flache, smogverdüsterte Land, als nehme sie das alles gar nicht richtig wahr. Sie war ziemlich groß und mager und wie die schnellen kleinen Nutten kostümiert, die am Sunset Strip auf den Strich gehen: eine rote Bluse, die die Brüste nach oben drückte und damit besonders betonte; ein Minirock, der sich knallig um ihren Hintern spannte; und kniehohe, schwarze Lederstiefel, die einen reizvollen Kontrast bildeten zu ihren Oberschenkeln mit dem deutlichen Bronzeton des Körper-Make-ups. Ihr Gesicht sah aus wie das einer allzu stark geschminkten Hollywoodleiche: die Augen dick mit dunklem Mascara bemalt; der Mund mit Lippenstift weit über die Lippengrenze hinaus beschmiert; das pechschwarze Haar mit Zementspray behandelt, damit sich die Enden nach oben drehten. Eine Schauspielerin, dachte ich sofort - aber eine, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.

Neben ihr eine Frau von unbestimmbarem Alter. Die Gestalt in dem hübschen, blauen Kleid war straff, und ihre rosige Gesichtshaut spannte sich faltenlos über die Backenknochen. Doch die Augen unter dem graumelierten Haar zeigten einen klugen, wissenden Ausdruck, der die scheinbare Jugend Lügen strafte. Fünf und vierzig, auf dreißig zurechtgemacht, dachte ich, nach mindestens einer kleinen Gesichtsoperation.

Sie stand am Rand des Bahnsteigs und schaute die Gleise entlang - die nach wenigen Metern endeten -, als erwarte sie im nächsten Moment das Rattern der Räder zu hören. Zweimal warf sie einen kurzen Blick auf Carol, lächelte ihr fröhlich-scherzhaft zu. Aber Carol reagierte nicht darauf.

»Ich hab’ gehört, die Bahn ist in der Fourteenth Street entgleist. Wir werden zu spät zur Arbeit kommen.«

Bis dahin schien keine der beiden Frauen mich auch nur bemerkt zu haben. Carol Nolan wollte mich sogar jetzt noch nicht bemerken. Aber ihre Begleiterin lächelte mich nun schuldbewusst an, als hätte ich sie bei einem Streich ertappt.

»Hoffentlich ist das nicht verboten«, sagte sie. »Aber ich...«

»Wenn Sie den Eintritt bezahlt haben, ist alles okay«, erwiderte ich.

»Ich konnte einfach nicht widerstehen.«

Also musste sie eine Touristin sein, keine Agentin oder PR-Managerin, wie ich zunächst angenommen hatte.

»Ich erinnere mich noch gut, wie ich vor Jahren mit dem Taxi unter den Gleisen durchgefahren bin; in New York natürlich«, sagte sie. »Ich hab’ gefürchtet, wir würden gegen einen der Pfeiler krachen.«

Auch ich erinnerte mich an die Hochbahn, weiß Gott! Die Wohnung, in der ich geboren wurde, lag keine fünfzehn Meter von dieser grässlichen Konstruktion entfernt; unsere Zimmer waren genau auf einer Ebene mit den Gleisen. Man legte die Betten damals ans Fenster zum Lüften, und meine Mutter stützte sich oft mit den Ellbogen darauf und sah den vorüberfahrenden Zügen zu. In den heißen, feuchten Nächten kletterte ich mit dem Kissen unterm Arm hinaus, um auf einem Absatz der Feuerleiter zu schlafen, und wurde dabei oft von Betrunkenen und Randalieren geweckt, die auf dem Bahnsteig herumbrüllten oder Flaschen aus dem fahrenden Zug warfen. Noch Jahre später, als wir längst nach Westen, nach Missoula in Montana, gezogen waren, wo mein Vater den Gemischtwarenladen seines Bruders übernommen hatte, hörte ich im Traum das Zischen, Rattern und Quietschen der Hochbahn, Türen, die zugeschmettert wurden, das Tuten des Signalhorns.

»Das ist alles abgerissen worden, nachdem ich von New York wegging«, sagte ich.

»Ach, dann kommen Sie also auch aus New York.«

»Ja - aber das ist lange her. Bei Ihnen vermutlich auch.«

»Ich habe nie in New York gewohnt; ich war nur ein häufiger Besucher, damals.« Sie schaute mich scharf an. »Sind Sie Schauspieler? Habe ich Sie schon mal im Film gesehen?«

Die Frage war mir schon öfters gestellt worden, und seit längerer Zeit fühlte ich mich nicht mehr geschmeichelt, wenn ich sie wieder einmal hörte. Ich fand, dass ich mich durch mein dichtes schwarzes Haar, die regelmäßigen Züge und die Sonnenbräune nur etwas weniger als andere von den Burschen unterschied, die man täglich scharenweise über den Hollywood Boulevard schlendern sehen konnte.

»Ich bin Schriftsteller. Ich schreibe gerade ein Drehbuch für die Fox.«

»Wie interessant!« Sie hätte sich kaum beeindruckter geben können, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich Warren Beatty sei.

Wir wurden durch einen gedämpften Schrei unterbrochen. Ich drehte mich um und sah, dass Carol Nolan an die Sperre getreten war und sich am Geländer festhielt, während sie hinunterschaute auf die tiefer liegende Straße.

»Es ist Tom«, sagte sie zu ihrer Begleiterin, die blitzschnell neben sie getreten war.

Ich näherte mich den beiden und beobachtete die Szene. Ein großer, schlanker Mann stand steif da und stritt mit dem Wachmann im Pförtnerhaus neben dem Tor. Aus dem Redeschwall verstand ich nur ein Bruchstück. »...anzeigen wegen Insubordination.«

»Bleib hier, Carol«, sagte die ältere Frau. »Das erledige ich.« Sie ging, und wir hörten, wie ihre Schuhe die Holztreppe hinunterklapperten.

Der Wachmann war aus der Pförtnerloge gekommen. Seine Rechte bewegte sich an die Hüfte und umfasste den Kolben seiner Schusswaffe. Er sagte etwas, das seinen Angreifer veranlasste, ein paar Schritte zurückzutreten und die Hände hinter dem Kopf zu verschränken wie ein Gefangener. In diesem Augenblick näherte sich ein Lincoln Continental dem Tor und wurde hindurchgewinkt. Der Fahrer war Danny Cole, mein Agent, mit dem ich später zu einem gemeinsamen Mittagessen verabredet war.

Danny parkte den Wagen und schritt dann majestätisch zurück zur Pförtnerloge; dabei ragte sein Vollbart würdevoll nach vorn. Die Frau mit dem graumelierten Haar sprach mit dem Wachmann. Danny verbeugte sich höflich vor ihr, hörte eine Weile zu, redete dann ebenfalls mit dem Wachmann. Der zuckte mit den Schultern, nickte und bellte einen Befehl. Der Gefangene ließ die Arme sinken und stand noch ein paar Sekunden steif da. Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort auf den Absätzen um und marschierte davon.

Ich wandte mich zu Carol um. Sie war verschwunden.

Als ich nach unten ging, standen Danny und die andere Frau ein paar Meter von der Pförtnerloge entfernt und waren in eine Diskussion verstrickt. Er führte die Frau in Richtung auf ein Tonaufnahmestudio, während ich in mein Chevy-Coupe stieg und über die Hauptstraße fuhr, um meine Verabredung mit Joe Harvey, dem Drehbuchredakteur, einzuhalten.

Kein Mensch war auf der Straße, und die niedrigen Gebäude zu beiden Seiten schienen ausgestorben zu sein. Das war typisch für das neue Hollywood, wo man die Geschäftspolitik im Hinblick auf Kinofilme - und im Gegensatz zu den Fernsehproduktionen - mit einem Wort beschreiben konnte: Kürzung. Es gab natürlich Ausnahmen. Wenn man ein wirklich heißes Paket zusammenbrachte - ein spannendes Buch, einen berühmten Regisseur und ein paar Spitzenstars -, dann hatte man immerhin eine gewisse Chance, dass sich in einem der Studios wieder etwas regte. Ich erfüllte nur die erste der genannten Bedingungen - ein Drehbuch, das zumindest mir sehr interessant vorkam. Dennoch blieb ich optimistisch. Der Produzent, der die Handlung und das Buch genehmigt hatte, war berühmt genug, um sich genau den Regisseur engagieren zu können, den er dafür haben wollte.

Wie berühmt, das wurde auf luxuriöse Weise durch den Wagen symbolisiert, neben dem ich meinen Chevy parkte. Es war ein silbergrauer Rolls-Royce, den ihm der Aufsichtsrat zum Dank für den sensationellen kommerziellen Erfolg seines letzten Films geschenkt hatte. Ich stieg aus dem Chevy und achtete darauf, dass meine Tür dabei nicht den Lack des Rolls beschädigte. Vor mir erhob sich ein zweistöckiges Herrenhaus mit einer Säulenhalle und einem spanischen Schindeldach - ein Relikt aus jenen Tagen, als die Filmzaren ihr Selbstbewusstsein stärkten mit Büros, die aussahen wie vornehme Country-Clubs. Breite Steintreppen, flankiert von schmiedeeisernen Geländern, führten hinauf zur Doppeltür mit Milchglasfüllungen. Ich ging hindurch und über die breite, sandstrahlgeblasene Holztreppe hinauf in den ersten Stock - wo ich wieder vor einem Zeichen der Hochachtung des Aufsichtsrats gegenüber dem Produzenten stand - vor einer Tür, die mit Goldfolie plattiert war. Nicht mit Goldbronze bemalt - nein, belegt mit echtem Gold, wie es in den Kellern von Fort Knox zu liegen pflegte.

Ich hätte mich mit all dem, was dieses Gold symbolisierte, zufrieden gegeben: mit der Prunkvilla in Beverly Hills, dem Strandhaus in Santa Monica oder Malibu, dem Swimming-Pool und den Tennisplätzen, den offiziellen Premieren, dem Tisch in Chasens Restaurant, den Banketten in New York und Europa. Unnötig, hier auch noch den Begriff Frauen hinzuzufügen -, und wenn man mit den Leuten vom Film auf gutem Fuß stand, gab es immer eine Schar heiratsfähiger Mädchen, die sich um einen drängte.

Mein erster Schritt auf der Leiter nach oben bestand aus drei Schritten über den breiten Korridor - zur Tür des Büros von Joe Harvey.

Er saß mit einem abgeschriebenen Bleistiftstummel über einer Manuskriptseite, als ich sein manuskriptüberladenes Büro betrat. Ohne aufzusehen, streckte er mir die freie Hand entgegen, während er mit der anderen auf dem Blatt herumschmierte. Ich sah, dass es sich um mein Manuskript handelte. Harvey war ein kleiner, untersetzter Mann Mitte Dreißig mit dünnem Haar und einem runden, blassen Gesicht, vor dem die Gläser einer randlosen Brille funkelten. Wir waren seit mindestens fünf Jahren gut befreundet - seit damals, als wir beide das Fach Drehbuch und Dramatik an der Universität von Los Angeles, der UCLA, belegt hatten.

Ich setzte mich in den Besuchersessel. »Was hast du da gerade rausgestrichen?«

»Die Szene, wo der Kerl auf dem Weg zur Grand Central Station verfolgt wird. Zwei ganze Seiten.«

»Mir hat das gefallen. Ich finde, es erhöht die Spannung.«

Er rieb sich mit den Zeigefingern die Stellen, wo die randlose Brille endete. »Mir auch, Mike. Aber wir müssen das Buch auf hundertdreißig Seiten straffen. Und ich bin noch neun Seiten von diesem Soll entfernt. Das Budget, du verstehst?«

Ich stöhnte. »Sagt denn niemand: Hört zu, wir wollen diesen Film so gut wie möglich machen, also brauchen wir mehr Geld?«

»Doch. Aber inzwischen hat sich einiges geändert. Momentan sind wir nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Dollar mehr zu fordern.«

»Geändert? Zum Teufel, ihr seid hier doch das gewinnträchtigste Studio in der gesamten Filmwirtschaft!«

»Nachdem letzten Vierteljahresbericht, ja. Aber die Einnahmen gehen seitdem zurück. Das Studio hat zur Zeit drei Knüller laufen, aber wer kann schon im Kaffeesatz lesen und Vorhersagen, ob es auch finanzielle Knüller werden?«

»Wenn man sich die Erfolge der letzten Zeit anschaut, könnte man glauben, dass die Bosse genügend Vertrauen haben, um...«

»Es gibt immer noch größere Bosse.«

»Wen meinst du damit?«

»Die Geldgeber, die Burschen, die in Wirklichkeit bestimmen, was getan wird und was nicht. Die können den gesamten Aufsichtsrat feuern, und das dauert nicht länger als ein einziger Lunch im Clubraum. Sowas kommt immer wieder mal vor.«

»Joe, das klingt ganz so, als würdest du damit rechnen, dass hier demnächst ein Erdbeben stattfindet.«

Er zupfte an seiner Unterlippe, drehte sich in seinem Sessel herum und schaute hinaus auf den ehemals großen, freien Platz des Filmgeländes, der inzwischen an eine Baugesellschaft verkauft worden war. Als er sich wieder mir zuwandte, ballte sich seine Pfand zur Faust.

»Ich werde dir was verraten, Mike. Aber du musst mir versprechen, dass du es niemandem erzählst, nicht mal dem Priester bei der Beichte.«

Ich versprach es ihm. 

»Es geht das Gerücht um, dass wir demnächst ein neues Regime bekommen.«

»Zum Teufel - und warum?«

»Wer weiß? Politik. Personelle Konflikte. Vielleicht haben sich die Geldgeber auch nur in einen Außenstehenden verliebt, der ihr neuer Präsident werden soll. Und der neue Präsident wird sein eigenes Kabinett mitbringen, genau wie in Washington. Wenn der gegenwärtige Häuptling geht, gehen auch seine Indianer mit ihm.«

Ich schaute unbehaglich auf eine Kopie meines Manuskripts, die auf dem Schreibtisch lag. Die Aufschrift des Studios und des Produzenten waren weit weniger deutlich zu lesen als die Worte Drehbuch von Michael Devlin. Ich strich mit dem Finger über die Plastikfolie, die den blauen Umschlag schützte.

»Und was wird dann aus dem hier?«

»Das kann ich nicht sagen, Mike. Aber dein Manuskript ist eines von der Art, wie sie die Geldleute mögen - ein Film, der auch eine Handlung hat, eine Handlung, die sie verstehen, und deren Realisation nicht die Welt kostet. Es ist vielleicht kein zweiter Pate, aber die Möglichkeit, dass du damit baden gehst, ist praktisch gleich null.«

Ich konnte nur hoffen, dass er recht hatte. Wenn mir dieser Film durch die Lappen ging, hatte ich keine andere Wahl mehr. Dann musste ich zurück zu den Werbefilmen fürs Fernsehen. Seit fast fünf Jahren schrieb ich nun an diesen Miniaturdramen, in denen Rückenschmerzen, Hämorrhoiden, lose Gebisse, laufende Nasen, Schuppen auf dem Kragen und verstopfte Abflüsse die Hauptrolle spielten. Eine Weile hatte es mir sogar Spaß gemacht. Die Leute, mit denen ich zusammenarbeitete, waren immer zu einem Jux aufgelegt gewesen, und im Studio hatte stets eine aufgeregte, fast spannende Atmosphäre geherrscht. Die Dreharbeiten ließen mich glauben, dass man dabei viel Handwerkliches lernen konnte, aber das Endergebnis machte mich allmählich krank. Es war alles so verdammt trivial.

Nein, wahrhaftig, ich wollte nicht zurück zu den Werbespots. Nicht mehr, seit Harvey mir gesagt hatte: Wenn du erst einmal einen erfolgreichen Film geschrieben hast, wird sich dein ganzes Leben verändern. Jedes Studio in Hollywood wird sich um eine Zeile von dir reißen. Und dann geht es um die wirklichen großen Honorare, nicht um das Trinkgeld, das sie dir für deinen ersten Film angeboten haben.

»Na schön, dann machen wir uns mal an die neue Überleitung«, sagte er jetzt.

»Eine - Überleitung?«

Er zwinkerte mir zu. »Ja. Wie ich schon sagte - wir brauchen eine Überleitung von der vorausgegangenen Szene zur übernächsten - nachdem ich die Verfolgungsjagd gestrichen habe. Hörst du mir überhaupt zu, Mike?«

Ich grinste. »Ich glaube, ich war gerade abwesend. Ich dachte daran, was passiert, wenn...«

»Ach, hör schon auf, dir Gedanken zu machen. Tut mir leid, dass ich es gesagt habe. Es wird schon alles gut werden. In fünf oder sechs Monaten sitzt du dann im Kino, knabberst Popcorn und kommst dir wie ein großer Zauberer vor.«

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Selbst bei den vielen Gästen und dem dämmerigen Licht des Wilshire-Brown Derby-Restaurants hatte ich keine Mühe, Danny Cole an der Bar zu sichten. Er hatte sich selbst einmal als neunzig Prozent Haare beschrieben, was eine Untertreibung zu sein schien, als ich seinen zottigen Hinterkopf im rosa Licht der Bar erblickte. Graugesprenkelte Locken fielen ihm auch bis über die Augenbrauen und die Ohren, bedeckten seine Wangen, sein Kinn, den Hals, und wenn man noch den dichten Schnauzbart hinzuzählte, war von seinem Gesicht nicht viel mehr zu sehen, als die leuchtenden Augen, die edel geschnittene Nase und der freundliche, fröhliche Mund.

Und den dehnte er jetzt zu einem breiten Grinsen, während er sich mit einer Frau unterhielt, die den Hocker neben ihm besetzt hielt. Als ich nähergekommen war und ihm auf die Schulter tippte, drehte er sich rasch herum und schaute mich spöttisch-bedauernd an. »Michael, ich muss mich entschuldigen. Ich nahm an, du hattest gesagt, dass wir uns zum Mittagessen treffen. Aber offensichtlich hast du gemeint, zum Abendessen.«

»Tut mir leid, Danny. Ich hab’ mich total verfranzt.«

»Ich auch, wie du siehst.« Er hob sein Glas. »Ich wurde von diesen beiden Damen auf angenehmste Weise mit Beschlag belegt.«

Ich hatte bisher die zweite Frau nicht wahrgenommen, die zu seiner Linken saß. Meine Augen hatten sich noch nicht völlig an das schwache Licht hier drinnen gewöhnt, aber ich sah helles Haar, ein schmales Gesicht mit hohlen Wangen, und, als sie mit langsamen Bewegungen an ihrem Drink nippte, eine betont gleichgültige Pose. Jetzt wandte ich mich der anderen zu, die mir direkt ins Gesicht schaute.

Danny stand auf und strich sich die Revers seines modischen Anzugs glatt. »Darf ich Ihnen meinen Freund und Klienten, Michael Devlin, vorstellen - er ist einer der großen Verwirklicher der kinematographischen Künste.«

»Ich weiß«, sagte die Frau neben ihm. »Er schreibt gerade das Drehbuch zu einem Film.« Sie grinste mich an. »Ich bin Claire Holloway.«

Es war die Frau, mit der ich auf dem New Yorker Bahnsteig gesprochen hatte.

»Ihr kennt euch schon?«, fragte Danny.

»Von der Fox«, erklärte ich. »Wir haben Eisenbahn gespielt.«

Danny schaute uns entgeistert an, sagte jedoch: »Dann kennst du wohl auch schon...« Er wandte sich der anderen Frau zu, die uns jedoch nicht mehr als einen gelangweilten Blick schenkte.

»Ich fürchte, nein.«

»Carol Nolan«, sagte sie und wandte sich wieder ihrem Drink zu.

»Aber natürlich haben Sie sie gesehen«, sagte Claire. »Sie war zusammen mit mir auf dem Bahnsteig.«

Carol hatte jetzt ein beiges Kostüm an, ein dezentes Make-up aufgelegt, und ihr Haar, über dem sie zuvor eine Perücke getragen hatte, fiel in blonden, weichen Locken bis auf die Schultern.

»Mein Gott, haben Sie sich verändert«, staunte ich.

Sie lächelte nicht und sagte kein Wort. Sie tat überhaupt nichts.

»Carol war zu Probeaufnahmen«, sagte Claire. »Sie hat die Rolle bekommen.«

»Das musste gefeiert werden!«, rief Danny. »Und diese Bar war dafür genau der richtige Ort!« Er erklärte, dass er Claire durch das Studiogelände geführt hatte, nachdem ihnen von Carol das freudige Ereignis mitgeteilt worden war.

»Ich habe Sie beim Pförtner gesehen«, sagte ich. »Was war denn da los?«

»Ach, nur ein Missverständnis.«

Claires Gesicht zog sich nervös zusammen. »Das war mein Sohn. Eine Familienangelegenheit - über die ich jetzt und hier nicht sprechen möchte.« Sie beendete das Thema, indem sie sich nachdrücklich nach allen Seiten umschaute. »Die Gesichter hier sind genau dieselben wie in der Polo Lounge.«

»Hollywood besteht nun einmal aus lauter austauschbaren Einzelheiten«, sagte Danny. »Genau wie bei General Motors.«

Ein Mann neben Carol stand auf und ging weg, also nahm ich auf dem freigewordenen Hocker Platz. Danny bestellte noch eine Runde, dann nahm er einen Hundertdollarschein aus seiner Brieftasche, faltete ihn der Länge nach und stellte ihn wie ein längliches Zelt auf die Theke. Es gehörte offensichtlich zu seinem Image als großer Agent. Claire warf einen leicht amüsierten Blick auf die Banknote. Ich nahm an, man brauchte etwas mehr als nur Geld, um sie zu beeindrucken.

»Ich gratuliere«, sagte ich zu Carol. »Was ist es denn für eine Rolle?«

Sie nahm eine etwas verbogene Zigarette aus einem zerknittertet} Päckchen, und ich gab ihr Feuer. »Ich bin eine Hure vom Times Square«, sagte sie.

Ich lachte. »Eine große Rolle?«

»Ich bin höchstens eine Minute lang zu sehen.«

Die Drinks kamen, und sie stocherte mit dem Strohhalm auf den Eiswürfeln herum. Ich stellte fest, dass ihre Fingernägel bis zur Fingerkuppe abgebissen waren.

»Audrey Hepburn spielte in ihrem ersten Film noch nicht mal eine halbe Minute lang«, sagte ich. »Und Sie wissen ja, was aus ihr geworden ist.«

»Ja«, sagte sie trocken. »Sie hat Mel Ferrer geheiratet.«

»...und ist ein Star geworden.«

»Und dann hat sie sich wieder scheiden lassen.«

Ihr Ton klang mokant, als würde sie sich über meine Versuche, sie zu ermutigen, lustig machen. Ich war ein wenig verärgert. »Einen Schauspieler geheiratet, von einem Schauspieler geschieden - die großartige Karriere von Audrey Hepburn.«

Sie neigte den Kopf zur Seite und schaute mich zum ersten Mal richtig an. »Ich fürchte, ich bin ein bisschen schwieriger«, sagte sie.

»Ja, vielleicht. Ich hab’ gedacht, das sollte eine Feier werden.«

»Das mit der Feier war Claires Idee.«

»Und was war Ihre Idee?«

»Ich wollte nach Hause gehen und schlafen.«

Sie drückte langsam ihre Zigarette aus und wandte dabei den Blick nicht von meinem Gesicht. Dann begann sie überraschenderweise zu weinen. Nicht, dass sie schluchzte. Nicht, dass sich ihr Busen hob und senkte. Sie verzog nicht einmal das Gesicht dabei. Die Tränen traten einfach in ihre Augen und liefen ihr über die Wangen. Sie wandte den Kopf ab, neigte ihn über ihr Glas und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab.

Ich reichte ihr eine Serviette aus dem Spender auf der Theke. Hinter mir hörte ich Claire verführerisch lachen, als Danny ihr über eine berühmte Gestalt aus dem Leben von Hollywood berüchtigte Dinge verriet.

Carol atmete tief ein, wandte sich mir zu - und überraschte mich aufs Neue: Sie lächelte. Nicht traurig oder schuldbewusst, sondern wie ein Kind, das eben eine Belohnung erhalten hat.

»Wenigstens darf ich auch ein paar Worte sprechen«, sagte sie.

Ich fragte mich, ob ich mir das mit den Tränen nur eingebildet hatte. »Ich fürchte, jetzt komm’ ich nicht mehr mit.«

»Ich meine, in dem Film.« Sie senkte die Stimme und verkündete mit theatralischem Nachdruck: »Carol Nolan spricht!«

Die Veränderung war unwahrscheinlich. Dieses Mädchen kam mir vor wie eine Rauschgiftsüchtige, die endlich die ersehnte Spritze bekommen hat. Vermutlich hatte sich in diesem Augenblick die Spannung des Vorsprechens gelöst. Und der Alkohol hatte sie ein wenig aus dem Gleis geworfen.

»Und was spricht Carol Nolan?«

»Sie macht einen großen, dunkelhaarigen Mann an, der sie gemustert hat, und fragt: He, Baby, hast du Lust, mit mir zu bumsen? Der Mann ist perplex und ergreift die Flucht.«

»Ach? Aber warum hat er Sie dann erst gemustert?«

»Es stellt sich heraus, dass er ein Rabbi ist.«

»Oh, nein!«

»So steht es im Drehbuch.«

»Vielleicht geht er woanders hin, wo es koscheres Fleisch gibt?«

Wir lachten, vergnügten uns über den Unsinn. Ihre Augen schimmerten wie flüssige Schokolade, und ihr voller Mund wurde so breit, dass auf ihren Wangen kleine Grübchen entstanden. Ich fühlte die Aufregung, die mich immer ergriff, wenn ich eine mir bis dahin unbekannte, attraktive Frau kennenlernte, aber zugleich fühlte ich mich unerhört wohl, als hielte ich mich für bedeutend interessanter als jede Figur, die ich mir für meine Drehbücher ausdenken konnte.

Eine neue Runde wurde serviert, und Carol fragte mich nach dem Drehbuch, andern ich schrieb, ließ sich auch meinen Namen noch einmal sagen, damit sie ihn auf dem Vorspann erkennen könne. »Michael Devlin«, sagte sie. »Das klingt nach einem irischen Revolutionär. Einem sehr freundlichen Revoluzzer, nehme ich an.« Sie brauchte nicht viel nachzuhelfen, und ich berichtete ihr von meiner Kindheit in den Slums von New York, von meinen Eltern, die noch immer den Gemischtwarenladen in Montana führten, über meinen Start beim Fernsehen, meinen Ehrgeiz, richtige Filme zu machen, und zwar so, wie ich mir das vorstellte - sie brachte mich geradezu auf Touren.

»Sie sind ja schrecklich ehrgeizig«, sagte sie nach einer Weile.

»Ich fürchte, das ist heutzutage ein unanständiges Wort. Aber was ist denn so schlecht daran, wenn man ehrgeizig ist?«

»Nichts - wenn Sie das tun, was Ihnen Spaß macht.«

Erst jetzt fiel mir auf, dass sie mir noch gar nichts über sich selbst berichtet hatte. Vielleicht hatte ich ihr einfach keine Gelegenheit dazu gegeben. Ich sagte: »Und was ist mit Ihnen? Tun Sie das, was Ihnen Spaß macht?«

»Nein.«

Ich fürchtete, sie würde wieder in ihre Gleichgültigkeit verfallen, daher fragte ich rasch: »Und was wünschen Sie sich?«

Sie antwortete ein bisschen traurig: »Nichts weiter als ein bisschen Leben.«

Danny stand plötzlich hinter uns. »Ihr beiden zauberhaften Menschen seht aus wie ein apropos.«

Carol lächelte mich an. Fast scheu, dachte ich.

»Claire kommt gleich zurück. Sie muss nur rasch telefonieren.«

Angst war auf Carols Gesicht zu erkennen. »Ruft sie selbst an, oder hat man sie ausgerufen?«

»Ausgerufen. Claire Holloway-das klingt sehr musikalisch. Haben Sie es denn nicht gehört?«

»Nein. Wer ruft denn an?«

Ehe Danny antworten konnte, kam Claire schon zurück. Ihr Gesicht war verschlossen, und selbst in dem schwachen, schmeichelnden Licht sah sie älter aus als draußen im hellen Tageslicht.

»Carol«, sagte sie mit gepresster Stimme, »wir müssen gehen. Sofort.«

Carol rutschte vom Barhocker. »Was ist passiert?«

Ich stand ebenfalls auf und trat zusammen mit Danny ein paar Schritte zur Seite, um den beiden Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen zu geben. Aber unwillkürlich strengte ich die Ohren an, um möglichst jedes Wort mitzubekommen. Claire packte Carol am Oberarm und redete mit panischer Intensität auf sie ein. Plötzlich, auf einen Satz hin, den ich verstanden hatte, setzte mein Herz einen Takt lang aus. Carol riss den Kopf zurück.

Dann wandte sich Claire uns beiden zu. »Es tut mir leid. Es ist mein Sohn. Er ist schwer verletzt. Ich muss sofort ins Krankenhaus zu ihm.«

»Ich fahre Sie hin«, sagte ich.

»Danke, aber mein Wagen steht in der Garage, ein paar Häuser weiter.«

Ich schaute Carol an. Sie biss sich in den Zeigefinger, wollte etwas sagen, zuckte dann aber nur mit den Schultern und schüttelte hilflos den Kopf.

Wir begleiteten die beiden hinaus auf die Straße. Danny gab Claire seine Karte und sagte, wenn er ihr irgendwie helfen könne, solle sie ihn ungeniert anrufen. Ich fragte Carol, ob wir uns wiedersehen könnten. Sie schaute mich verwirrt an und antwortete: »Ich weiß nicht, ich weiß ja nicht einmal, was ich...« Der Satz blieb unvollendet. Gleich danach waren sie weg.

»Das war zweifellos die kürzeste Affäre meines Lebens«, sagte Danny. Er strich sich über den Bart und plusterte sich auf wie ein viktorianischer Premierminister. »Nun gut - ich habe ihren Namen. Und ihren Personenstand - sie ist Witwe. Eine schöne Frau, schön - und, wie ich fürchte, völlig emanzipiert.«

Wir standen auf dem Gehsteig, bis wir einen dunkelroten Cadillac sahen, der aus der Garage in den Wilshire Boulevard einbog und in unsere Richtung fuhr. Wir winkten dem Wagen zu, als er an uns vorbeikam, aber die beiden Frauen starrten geradeaus und sahen uns nicht.

»Ein Pech, das mit dem Jungen«, sagte Danny. »Aber wenigstens hat er nicht diesen schönen Cadillac zu Schanden gefahren.«

Ich sah ihn an. »Hat sie dir gesagt, dass er einen Autounfall hatte?«

»Nein. Das hab’ ich nur angenommen.«

»Er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten«, sagte ich.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Als ich an diesem Abend die Zeitung aufschlug, sah ich zu meinem Erschrecken ein Foto von Claire Holloway. Darunter stand: Die Mutter des Opfers beim Verlassen des Krankenhauses. Ich setzte mich auf die Couch und las den Artikel.

 

EHEMALIGER VIETNAM-GEFANGENER BEGEHT SELBSTMORDVERSUCH

 

Thomas Starret, ein ehemaliger Air Force-Pilot und Gefangener der Nordvietnamesen, hat sich heute kurz vor Mittag in seinem Apartment in North Hollywood die Pulsadern aufgeschnitten.

Danach rief er die Polizei an, die ihn kurz darauf in das Los Angeles General Hospital brachte, wo er behandelt wurde und sich mittlerweile außer Lebensgefahr befindet.

Starret, 27, ist der Sohn von Claire Holloway aus Beverly Hills und ihrem ersten Mann Victor Starret, einem vermögenden Finanzier, der sich 1952 mit einer Schusswaffe das Leben nahm. Seit damals hat Mrs. Holloway dreimal geheiratet, sich zweimal scheiden lassen und trägt den Namen ihres dritten Ehemannes, der 1972 nach einem Herzanfall gestorben ist.

Starret kam erst im Februar 1973 in die Vereinigten Staaten zurück, mit dem ersten Kriegsgefangenentransport aus Vietnam, der hier in Kalifornien eintraf. Im Januar 1974 musste er zu einer psychiatrischen Behandlung in eine Klinik eingewiesen werden, die er im März desselben Jahres wieder verlassen konnte.

Mrs. Holloway sieht sich nicht in der Lage, einen Kommentar über den nervlichen Zustand ihres Sohnes zu geben, erklärt aber, dass er in den letzten Monaten nicht unter der Aufsicht eines Psychiaters gestanden hat.

 

Da es inzwischen Mitte August war, musste Starret nach seiner Entlassung im März knapp fünf Monate auf freiem Fuß gewesen sein. Was konnte in dieser kurzen Zeit geschehen sein, das ihn zu seiner Verzweiflungstat trieb?

Ich betrachtete das Zeitungsfoto von Claire Holloway. Das melierte Haar erschien völlig grau; die Züge um ihren Mund waren tiefe Furchen. Jetzt wurde mir klar, dass sie an die fünfzig sein musste - mit einem Sohn von siebenundzwanzig!

Ich mixte mir einen großen Wodka mit Tonic und nahm ihn zusammen mit meinem Manuskript hinaus auf die Terrasse. Das Haus, eine Konstruktion aus kalifornischem Redwood und Glas, lag auf einem bewaldeten Hügel unterhalb des Mulholland Drive und gewährte einen schönen Ausblick auf Hollywood. An klaren Abenden wie diesem konnte ich die Sonne sehen, die orangerot im Pazifik versank. Ich streckte mich auf einer Liege aus, schlug das Manuskript auf - und sah das Gesicht von Carol Nolan vor mir.

Was war Besonderes an ihr? Schließlich war meine Begegnung mit ihr doch eine völlig alltägliche Sache gewesen. Eine ziemlich eigenartige Frau, die ich an einer Bar kennengelernt hatte; ein Tränenausbruch, verursacht vom Alkohol. So etwas erlebten Hunderte von Menschen jeden Abend in den Kneipen rund um den Sunset Strip, wo man leicht Bekanntschaften schloss. Vielleicht gehörte Carol zu diesen Leuten. Aber irgendetwas in mir sagte, dass das nicht stimmen konnte. Ein Mensch, der so sehr von seinen Launen abhängig war, musste ein Einzelgänger sein. Das machte sie natürlich begehrenswert - während sie andere Männer zurückwies, hatte sie doch zumindest ein gewisses Interesse an mir gezeigt.

Es gab genügend Frauen, die mir diese Carol ersetzen konnten. Genau gesagt, drei, und sie waren alle in erster Linie auf ihre berufliche Karriere bedacht. Jede wusste von den anderen, aber es gab keine Eifersucht, kein Besitzenwollen und, Gott sei Dank, kein hemmendes Schuldgefühl.

Aber waren sie wirklich resistent gegen die romantische Liebe? Ich konnte diese Frage nicht beantworten, konnte sie nicht einmal für mich selbst beantworten. Was ich bisher praktiziert hatte, war das Prinzip des Vergnügens ohne Schuldgefühle, ohne Reue. Betörung vielleicht, gegenseitige erotische Sensationen - ja. Mehr wollte, mehr brauchte ich nicht. Die Arbeit, der Ehrgeiz - das waren Dinge, die in meinem Leben zählten.

Mit Mühe richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das Manuskript, wurde aber gleich danach vom Telefon unterbrochen. Ich nahm drinnen im Wohnzimmer den Hörer ab. Meine Knie gaben nach, als ich die Stimme erkannte.

»Michael?«

»Carol! Gerade habe ich an Sie gedacht.«

»Das ist nett.« Sie ließ eine Pause entstehen, ehe sie hinzufügte: »Eigentlich rufe ich wegen Claire an.«

»Claire?« Ich fühlte einen Stich der Enttäuschung.

»Ja. Mr. Cole hat im Krankenhaus hinterlassen, sie möchte ihn anrufen. Sie hat es versucht, konnte ihn aber nicht erreichen. Ich dachte, er ist vielleicht bei Ihnen.«

»Nein, und ich weiß auch nicht, wo er ist.«

»Dann gebe ich Ihnen Claires Nummer, und Sie können sie Mr. Cole geben. Eine Nummer, die nicht im Telefonbuch steht.«

Sie nannte sie mir, und ich schrieb sie auf.

»Ich habe den Bericht in der Zeitung gelesen«, sagte ich. »Wie geht es ihrem Sohn?«

»Körperlich besteht keine Gefahr. Seelisch - ich weiß nicht. Claire trifft sich zur Zeit mit seinem Arzt.«

»Hoffen wir das Beste. Hören Sie, Carol - ich möchte Sie sehr gern wiedersehen.«

Schweigen.

»Haben Sie gehört? Ich sagte...«

»Ja, ich habe es gehört. Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Jetzt nicht.«

»Sie können nicht - oder Sie wollen nicht?«

»Ich kann nicht. Claire braucht mich. Ich bin ihre beste Freundin.«

»Dann also morgen, oder übermorgen?«

Erneutes Schweigen.

»Sagen Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich rufe Sie an«, drängte ich.

»Ich habe kein Telefon. Noch nicht. Ich bin eben erst ausgezogen und suche mir eine neue Wohnung.«

»Dann rufen Sie mich an, sobald Sie Zeit haben. Ich arbeite zu Hause und bin meistens hier zu erreichen.«

»Wir werden sehen.« Ehe ich sie noch einmal drängen konnte, sagte sie: »Goodbye, Michael«, und legte auf.

Ich fragte mich, warum sie mich angerufen hatte und nicht Claire. War es nur Wunschdenken von mir, dass sie sich vorgedrängt hatte, um unsere Beziehungen nicht wieder einschlafen zu lassen? Aber es war vermutlich nicht mehr als eine der kleinen Gefälligkeiten, die sie ihrer Freundin tun wollte. Dennoch - der Klang ihrer Stimme hatte meinen Wunsch verstärkt, Carol so bald wie möglich wiederzusehen.