DIE JAPANISCHE GELIEBTE - Richard Neely - E-Book

DIE JAPANISCHE GELIEBTE E-Book

Richard Neely

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Beschreibung

Ist Sinjuko, die liebliche Geisha, für den Amerikaner Scott Welles ein vergessener Traum – oder gefährliche Wirklichkeit?

Eine Frage ohne Antwort – bis man Tina, Scotts Frau, erschlagen in seinem Arbeitszimmer findet. Was hat Catherine, die Adoptivtochter, gehört und gesehen? Und wo ist die japanische Geliebte?

Der Roman Die japanische Geliebte von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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RICHARD NEELY

 

 

Die japanische Geliebte

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 72

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE JAPANISCHE GELIEBTE 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

EPILOG 

 

 

Das Buch

 

Ist Sinjuko, die liebliche Geisha, für den Amerikaner Scott Welles ein vergessener Traum – oder gefährliche Wirklichkeit?

Eine Frage ohne Antwort – bis man Tina, Scotts Frau, erschlagen in seinem Arbeitszimmer findet. Was hat Catherine, die Adoptivtochter, gehört und gesehen? Und wo ist die japanische Geliebte?

 

Der Roman Die japanische Geliebte von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DIE JAPANISCHE GELIEBTE

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

Tokio, 1947

 

 

 

Erstes Kapitel

 

Notizen für einen Roman

 

Der junge amerikanische Soldat und die Japanerin im Kimono - sie war gerade achtzehn - standen auf dem überfüllten Bahnsteig und warteten auf den Zug, der die beiden zu ihr nach Hause bringen sollte. Sie hatte darauf bestanden, dass der Soldat ihre Eltern kennenlernte. Hinter ihnen, auf einem anderen Bahnsteig, hielt gerade ein Zug, der ausschließlich mit Japanern besetzt war. Die Reisenden mussten aussteigen und wurden auf dem Bahnsteig von amerikanischen Sanitätern aus weiten Schläuchen mit DDT bestäubt. Man packte die Japaner am Kragen und schüttete ihnen den weißen Staub in die Halsöffnung ihrer Kleidungsstücke. Die Reisenden ertrugen die Behandlung mit gleichmütiger Geduld. Die Japanerin neben dem Soldaten senkte den Blick und tat so, als würde sie das alles nicht sehen, doch der Soldat fühlte, wie sie litt. Die nur geringe Entfernung zwischen den beiden schien sich meterweit auszudehnen.

Dann ratterte ihr Zug heran, und der Soldat musste seine ganze Kraft aufwenden, um sie in einen der Wagen zu bugsieren, die den Mitgliedern der Besatzungsstreitkräfte vorbehalten waren. Ein halbes Dutzend Soldaten befanden sich bereits in dem Wagen, zwei davon mit ihren japanischen Freundinnen, die Rock und Pullover trugen. Als die kleine Japanerin die beiden erblickte, kuschelte sie sich beruhigt in das Polster und lächelte den Soldaten ein wenig scheu an.

Sie kannten sich nun seit sechs Wochen, und obwohl die Nähe des anderen auf beide sehr erregend wirkte, obwohl sie häufig bewundernde und zärtliche Blicke tauschten, hatte es bisher noch keine intime Berührung zwischen ihnen gegeben. Einmal, als er auf der Ginza eine dick gepuderte, aufgeputzte Japanerin inmitten einer Gruppe von australischen Soldaten sah, hatte er sie gefragt: »Geisha?«

»Nein«, hatte sie geantwortet. »Makura - Bettgeisha.«

So, wie sie es sagte, in einer Mischung aus Trauer und Mitleid, drückte sie zugleich damit aus, dass dies eine Rolle war, die sie niemals würde spielen wollen - auch nicht für ihn. Koibito - Geliebte - vielleicht, aber auf keinen Fall Bettgeisha.

Sie stiegen in der Station Akabane aus und gingen die breiten Steintreppen hinunter auf den kleinen Platz, wo Händler in Holzbuden getrockneten Fisch und kümmerlich aussehendes Gemüse feilboten. Dann weiter über eine enge, gewundene Straße ohne Asphalt, wo jeder ihrer Schritte kleine Staubwolken aufwirbelte, bis zu einer Gruppe von Häuschen aus Holz und Papier, die einander völlig glichen und in zwei parallelen Reihen dicht nebeneinanderstanden. Vor den Häuschen gab es flache Wassergräben, und davor standen Scharen von Frauen, die damit beschäftigt waren, ihre Wäsche oder ihre Kinder zu säubern. Als sie den Amerikaner näher kommen sahen, ließen sie die Arbeit sein und eilten an die Haustüren, lächelten und verbeugten sich. Die Japanerin schaute an ihm hoch und sagte Hazakashii. Verlegenheit.

Sie machten einen großen Schritt über den Graben. Dann nahm sie ihn bei der Hand, als wollte sie ihn ermutigen, und führte ihn an die Seitenfront ihres Hauses. Sie sprach kein Wort, klopfte nicht an oder rief hinein. Dennoch glitt die Schiebetür sacht zur Seite und gab den Blick frei in einen so gut wie leeren Raum. Der Soldat schaute nach unten. Zwei Leute knieten auf dem Boden - ein Mann und eine Frau. Sie hatten die Körper und die Arme nach vorn gestreckt und berührten mit ihren Stirnen die Strohmatte.

Er nahm den kleinen Rucksack ab, den er über der Schulter getragen hatte, und sagte schüchtern guten Abend. »Komban wa\«

Die beiden Knienden beugten sich zurück, richteten ihre Blicke auf ihn, strahlten ihn an, als mache ihnen sein Anblick ungeheures Vergnügen, und riefen wiederholt: »Yoku irasshaimashital! Willkommen! Willkommen! Willkommen!

Dann zogen sie sich zurück, während das Mädchen ihn sachte auf ein Podest niederzog und ihm die Schuhe abnahm. Danach betraten sie einen kleinen, viereckigen Raum, der von einer einzigen Glühbirne erhellt wurde. Sie hing an einer Fassung mit einem grünen Papierschirm von der Decke und beleuchtete eine viereckige, in den Boden eingelassene, vergitterte Feuerstelle, auf der ein dampfender Wasserkessel stand. Mama-san und Papa-san saßen einander gegenüber auf zerschlissenen, roten Kissen. Sie bedeuteten ihm, er solle sich dazwischensetzen. Er kam sich plump und ungeschickt vor, aber er folgte ihrer Einladung. Das Mädchen stellte den Soldaten seinen Eltern vor und sprach dann leise ein paar Sätze Japanisch mit ihnen. Sie schauten die Tochter zuerst mit ernstem Gesicht, doch dann mit wachsender Zustimmung an. Wie die meisten Japaner waren auch die Eltern ziemlich klein, der Vater kaum über einssechzig, die Mutter noch gut zehn Zentimeter kleiner. Der Vater war ein kräftig gebauter Mann mit gut entwickelten Muskeln, aber ohne ein Gramm überflüssiges Fett. Die Arme, die unter den Ärmeln seines Kimonos sichtbar waren, machten einen sehnigen, aber kräftigen Eindruck. Sein graues Haar war kurzgeschnitten, und er trug eine Nickelbrille, was seinem Gesicht mit den schmalen Lippen einen mürrischen Zug verlieh; aber sein Verhalten war eher leutselig und entgegenkommend. Die Mutter, ebenfalls in einen schwarzen Kimono gekleidet, hätte man ein hübsches kleines Püppchen nennen können, wenn man einmal von ihren zu sehnigen, mageren Armen absah - und von ihrem Gesicht, das zwar noch immer Spuren früherer Schönheit zeigte, aber doch schon allzu sehr von Kummer und häufigen Entsagungen gezeichnet war.

Sie goss grünen Tee in weiße, henkellose Tassen, die neben ihr auf einem rotlackierten Tischchen standen. Die Eltern warteten, bis der Gast das erste Mal an dem Tee genippt und sein wohleinstudiertes Oishii - köstlich - herausgebracht hatte, erst dann leisteten sie ihm lächelnd beim Teetrinken Gesellschaft. Danach holte er sein Wörterbuch heraus, und bald gab es ein allgemeines Geschnatter, bestehend aus japanischen und amerikanischen Brocken, vielen Missverständnissen, fröhlichem Gelächter und einem die Sprachbarriere überbrückenden, warmen Gefühl der Verständigung.

Zum Abendbrot aß man eine vereinfachte Version von Tempura und ungeschälten Reis, dazu Fleisch in Sauce aus den Konservendosen, die der Soldat als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Dann, während Mama-san abräumte und fast geräuschlos das Geschirr spülte, machte er dem Mädchen ein Zeichen, und sie brachte aus seinem Rucksack eine Flasche Whisky zum Vorschein. Zuerst tranken die Männer allein und rauchten Zigaretten dazu, die der Amerikaner beisteuerte. Papa-san gab schnalzende Geräusche von sich, die seinem Entzücken über die Großzügigkeit des Gastes Ausdruck verleihen sollten. Er war ein mittlerer Angestellter in einer Seidenspinnerei gewesen, die sich in den letzten Kriegsjahren auf die Herstellung von Fallschirmen umgestellt hatte, doch jetzt, seit der Kapitulation, war er arbeitslos. Als sich die beiden Frauen zu ihnen setzten und sich ganz kleine Mengen Whisky eingossen - wobei Mama-san gierig und voller Genuss an einer Zigarette paffte -, erklärte das Mädchen, dass sie früher in einem anderen, viel größeren Haus gewohnt hatten. »Dann kommen B-Neunundzwanzig«, sagte sie. »Und wumm! Kein Haus mehr da. Kajida! Feuer.« Ihre Eltern verstanden, was sie gesagt hatte, und lachten, damit der Amerikaner es nicht als Kränkung oder Vorwurf empfinden konnte. Er fühlte sich indessen tief beschämt.

Der Bruder des Mädchens kam herein, in einer schwarzen, hochgeschlossenen Montur. Er arbeitete bei der Eisenbahn als Gleisleger und hatte erst jetzt Feierabend machen können. Ein grinsender, gutmütiger Junge von vierzehn Jahren, sehr höflich, voll unverhohlener Bewunderung für den Amerikaner. Er berührte sogar einmal verstohlen den Ärmel seiner Uniform, um den Stoff zu fühlen, und unterhielt sich selbstbewusst in recht fragmentarischem Englisch mit ihm.

Es war nach zehn Uhr, als der Amerikaner sich erhob, um sich von seinen Gastgebern zu verabschieden. Das Mädchen sprach leise und schnell in Japanisch auf seine Eltern ein. Sie schauten einander mit verständnisvollen Blicken an, dann nickten sie mehrmals. »Du bleiben über Nacht«, sagte das Mädchen. »Wir haben anderes Zimmer. Nicht groß, aber gut.«

Das Zimmer, von den übrigen Räumen des Hauses nur durch eine Schiebetür getrennt, war lang und schmal und ging auf die Hinterseite des Hauses hinaus. Das Mädchen machte das Bett: seidenbezogene Steppdecken, die sie auf der Schlafmatte aus Reisstroh ausbreitete. Dann reichte sie ihm einen federleichten, purpurnen Kimono und schaute ihn an, im weichen, schummrigen Licht, das durch die Papierwände aus dem anderen Raum herüberdrang. Ihre Hand streckte sich nach ihm aus und berührte sachte seine Wange. Er wollte sich zu ihr hinunterbeugen, doch sie zog ihre Hand weg und trat einen Schritt zurück. »Ich muss gehen mit Familie sprechen«, sagte sie. Lächelnd schritt sie hinaus.

Er kleidete sich aus und zog den Kimono an, der ihm zwar viel zu kurz, aber weit und bequem geschnitten war. Dann schlüpfte er unter die eine Steppdecke und lauschte den flüsternden Stimmen jenseits der Papierwand. Offensichtlich hielt man da draußen Familienrat. Bald wurden die Lichter ausgeschaltet, und er lag im bleichen Mondlicht da. Er drehte sich von der Trennwand weg, legte seinen Kopf auf die verschränkten Arme, schloss die Augen und dachte an die Japanerin, an ihre leuchtenden Augen, ihre Zartheit, die reizvollsten Formen eines weiblichen Körpers, die er sich vorstellen konnte. Plötzlich hörte er, wie die Trennwand zurückglitt. Er bewegte sich nicht. Eine köstliche Wärme breitete sich an seinem Rücken aus - die Wärme ihrer weichen, zarten Haut. Dann hörte er ihren Atem an seinem Ohr, die kaum hörbaren Worte: »Familie meint okay.«

Er drehte sich um, sah im Halbdunkel, dass ihr Kimono auf dem Boden lag, und sein Arm schloss sich um ihren Körper. »Oh, ja, ja«, sagte er, »es ist takusan - sehr, sehr okay.«

Kein ungeschicktes, hastiges Fummeln, keine zaghaften Bewegungen. Es war, als hätten sie sich auf diesen Augenblick seit langem vorbereitet und seien nun entschlossen, zu zeigen, dass sich diese Vorbereitung gelohnt hatte. Als er schließlich in sie eindrang, als sie den erlösenden Höhepunkt erreichten, als sie einander alles gaben, was ihre Körper vermochten, und sie wie ein einziger, erschöpfter Leib miteinander verschmolzen waren, da wusste er, dass er diese Lust, die sie ihm gewährte, schon seit jeher gekannt haben musste - wenn auch nur in der Phantasie.

Später sagte sie: »Mein erstes Mal«, aber nicht in einem Ton, der zu überzeugen suchte.

Er glaubte ihr, doch seine Neugier war erwacht. »Du warst so - so erfahren...«

»Kiho«, erklärte sie unbefangen. »Japanische Kunst. Und Reden mit Schwester und Mama-san.«

Sie fanden einander ein zweites Mal während der Nacht und noch einmal, während der Morgen graute, und sie zeigte ihm, wie sorgfältig sie die japanische Kunst studiert hatte - und wie erfahren die Schwester und Mama-san sein mussten.

 

Als sie sich das nächste Mal trafen, reichte sie ihm feierlich ein kleines Formular, ausgefüllt und unterschrieben.

»Von Doktor«, sagte sie und wandte ihr Gesicht ab.

Er brauchte ein paar Sekunden, ehe er begriff, dass es sich um das Resultat einer medizinischen Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten handelte. Die Rubrik Negativ war mit roter Tinte abgestempelt.

»Damit du sicher«, sagte sie schüchtern.

Drei oder vier Abende pro Woche fuhr er jetzt mit dem Zug nach Akabane, wo sie auf dem Bahnsteig auf ihn wartete. Er brachte meist zwei Rucksäcke mit, den einen vollgestopft mit Konserven und Lebensmitteln, die ihm der Messesergeant des Mitsubishi-Hauses zugesteckt hatte, wo er offiziell sein Quartier aufgeschlagen hatte, den anderen mit Winterbekleidung der Gis, die jetzt im Juni nicht mehr gebraucht wurde: lange Unterhosen, Pullover, Wollmützen. Ein Freund beim Beschaffungsamt hatte sie ihm überlassen. Die Frauen an den Wassergräben huschten nicht mehr an die Türen, wenn er sich näherte, sondern lächelten und winkten ihm schüchtern zu. Manche riefen sogar: »Komban wa!« Er war ein anerkanntes Mitglied ihrer kleinen Gemeinde geworden. Das Mädchen hing an seinem Arm und strahlte.

Drinnen verstaute man als erstes die Lebensmittel. Den zweiten Rucksack öffnete er selbst und breitete seine Geschenke wie in einem arabischen Bazar auf dem Boden aus. Er hielt sich die Unterhosen an den Körper oder zog sich eine der Wollmützen in die Stirn, machte eine komische Grimasse dazu, und seine Gastgeber schenkten ihm ein dankbares, fröhliches Lachen. Zum Bruder sagte er etwa: »Du färbst alles schwarz - kuroi - damit die M. P. es nicht merkt.« Die Kleidung würden sie ohnehin erst im Herbst und Winter benutzen. Der Gedanke, dass er dann nicht mehr hier sein würde, gab ihm jedes Mal einen Stich.

War es Samstag oder Sonntag, so bereitete sie ihm ein morgendliches Bad - eine recht behelfsmäßige Angelegenheit, denn es gab keine der sonst in japanischen Häusern üblichen, gekachelten Versenkungen im Boden, die als Badewannen dienten. Stattdessen erwärmte sie eimerweise das Wasser auf dem Feuerrost im Wohnraum und brachte es hinaus in den Holzschuppen hinter dem Haus. Dort übergoss sie ihn mit dem Wasser und trat dann zu ihm, nur in ein weißes Baumwollhöschen gekleidet, um ihn mit der Seife aus dem PX einzuseifen. Anschließend spülte sie ihm den Seifenschaum ab und frottierte und massierte seinen Körper, bis er völlig trocken war.

Später arbeitete er häufig mit ihr im Gemüsegärtchen - einem winzigen Fleckchen Erde, dessen Ertrag in keiner Weise der aufgewendeten Mühe entsprach. Nachmittags faulenzten sie im Haus herum, tranken Tee, spielten ein Damespiel oder liebten sich. Danach machten sie häufig einen kleinen Spaziergang.

Er kam sich sehr wichtig vor und fühlte, dass er geliebt wurde. Zugleich war es ihm voll bewusst, dass er niemals dieses wundervolle Gefühl kennengelernt hätte, wenn er nicht selbst dem geliebten Menschen das Gefühl des Geliebtwerdens hätte geben können.

 

 

 

 

  ZWEITER TEIL

 

 

 

 

Sausalito, 1968

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Catherine seufzte tief und legte das gelbe Manuskript vorsichtig neben sich auf das Bett. Sie hatte es noch nicht zu Ende gelesen: sie musste sich erst an das sonderbare Gefühl gewöhnen, dass sie dadurch eigentlich ihren Vater zum ersten Mal richtig kennengelernt hatte. Es gab keinen Zweifel, dass der amerikanische Soldat in den Notizen ihr Vater war - nicht nur, weil er die Geschichte geschrieben hatte, sondern auch weil er sich den Japanern gegenüber in der für ihn ganz typischen Weise verhielt. Es war das rücksichtsvolle Verhalten, das er stets auch ihr gegenüber zeigte.

Sie rutschte weiter nach oben zum Kopfende des Bettes und umarmte ihren kleinen Zoo - den riesigen Stofftiger und den ebenso großen Löwen mit seiner Mähne, die genauso blond war wie die ihre, wenn auch bei weitem nicht so lang. Sie warf einen Blick auf die elektrische Uhr am Nachttisch. Fast fünf Uhr - also noch eine Stunde, bis Tina - Mutter, korrigierte sie sich in Gedanken - vom Tennisclub zurückkommen würde. Mehr als genug Zeit, um ihre ausgeblichenen Blue Jeans und das orangefarbene T-Shirt auszuziehen, ihr Haar zu kämmen, das Pastellkleid überzustreifen, das sie getragen hatte, ehe ihre Mutter mittags weggefahren war, und mit falschem Willkommenslächeln an die Tür zu treten.

Jeden Wochentag musste sie dieses dumme, kleine Betrugsmanöver durchführen, wobei ihr Schuldgefühl durch das Verständnis von Seiten Helens, der Haushälterin, die um zehn Uhr vormittags kam und gegen sechs wieder ging, ein wenig gemildert wurde. Am Wochenende allerdings durfte sie offiziell in Hemd und Jeans herumlaufen, denn dann war auch ihr Vater zu Hause, und sie fuhren zum Fischen oder machten Ausflüge zu Fuß und mit dem Auto zu den einsamen Stränden und in die bewaldeten Hügel der Umgebung der San-Francisco-Bay. Ihre Mutter verbrachte auch die Wochenenden überwiegend im Tennisclub, den ihr Vater hasste, und den sie selbst nur vom Vorüberfahren kannte.

Der Gedanke an ihre Mutter jagte ihr einen leichten Angstschauer über den Rücken, wenn sie sich überlegte, wo sie das

Manuskript und die Fotos gefunden hatte - in einer alten, zerkratzten, grünen Kiste ganz hinten in dem Abstellraum gegenüber dem Schlafzimmer der Eltern. Schon früher war sie einmal dort eingedrungen, mit einer Taschenlampe bewaffnet, und hatte gespielt, sie sei im finsteren Wald und warte auf ihren Retter. Der Traum hatte recht abrupt geendet, als ihre Mutter hereinplatzte, sie schleunigst hinauswarf und sie schrecklich ausschimpfte, weil sie offenbar versuche, sie absichtlich zu ärgern und noch zum Wahnsinn zu treiben!

Aber Langeweile, diese schreckliche Langeweile hatte sie vor kurzem dennoch wieder dort hineingetrieben. Sie hatte ganz oben auf dem Treppenabsatz gestanden und gerade hinuntergehen wollen, um mit Helen eine Tasse Tee zu trinken, als sie merkte, dass die sonst versperrte Tür zu der Abstellkammer einen Spaltbreit offenstand. Ehe es ihr überhaupt bewusst wurde, stolperte sie über Schachteln, stieß sich an alten Möbelstücken und fiel zuletzt beinahe über eine Kiste mit verrostetem Vorhängeschloss, das sich nach einigem Hantieren leicht öffnen ließ. Und da waren sie, die Khakihosen und -hemden, die Mütze, die Uniformjacke - die Kleidung, die ihr Vater getragen hatte, damals, während seiner Militärzeit, als Besatzungssoldat in Japan. Und sie entdeckte, eingehüllt in die Jacke, ein paar zusammengeheftete Blätter mit der Aufschrift Notizen für einen Roman und Fotos von vielen Japanern in Bademänteln - nein, in Kimonos. Sie hatte die Kleidungsstücke schnell wieder in die Kiste gesteckt und das Vorhängeschloss so angebracht, dass es unversehrt aussah. Dann war sie mit ihrem Fund in ihr Zimmer gelaufen.

Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass ihr Vater sich ebenfalls solch eine seltsame Kleidung angezogen hatte. Sie kannte ihn nur in seinen maßgeschneiderten Geschäftsanzügen mit untadelig geknoteter Krawatte, oder bequem gekleidet in einer Sporthose und einem Pullover am Wochenende. Jetzt sah sie ihn auch zum ersten Male in Uniform - auf dem obersten Foto. Er lächelte sie an, mit seinem weichen, liebevollen Blick. Sie stellte fest, dass er sich seit damals nur wenig verändert hatte; vielleicht war sein Gesicht etwas härter geworden, und seine Figur war nicht mehr so schlank. Nachdem er heute dreiundvierzig war, musste er auf dem Foto zweiundzwanzig gewesen sein.

Sie nahm die Handvoll Fotos, die sie bisher nur flüchtig durchgesehen hatte, legte das von ihrem Vater zur Seite und betrachtete das nächste. Vier Japaner, zwei Männer und zwei Frauen, mit ausdruckslosen Gesichtern. Sie wollte es schon nach hinten stecken, als sie eine Notiz auf der Rückseite entdeckte. Papa-san, Mama-san, Sinjuko, Brudda. Brudda? Vielleicht meinte er Bruder, aber er schrieb es so, wie es die Japaner aussprachen. Er hatte schon öfters vorgeführt, wie die meisten Japaner Englisch sprechen. Sie lachte und räkelte sich auf dem Bett, dann stützte sie sich auf die Ellbogen. Langsam und mit wachsendem Interesse schaute sie die Fotos durch und las die kurzen Notizen auf den Rückseiten.

Das Mädchen, das auf dem ersten Bild erschien, war auch auf den meisten anderen zu sehen. Catherine drehte das Bild mit den vier Japanern noch einmal um und las ihren Namen, bemühte sich, ihn richtig auszusprechen. Sinjuko. Sie sah aus wie ein Teenager, sehr hübsch, mit glattem, schwarzem Haar, das ihr fast bis auf die Schultern reichte...

Sinjuko, an der offenen Kochstelle im Fußboden. Sinjuko vor einem japanischen Heiligtum an einem Ort, der Nikko hieß. Sinjuko, die eine riesige Buddha-Statue in Kamakura bewunderte. Sinjuko bei der Teezeremonie. Sinjuko in einem komischen Gefährt, das Gin-Rikscha hieß.

Schließlich entdeckte Catherine ein zweites Foto ihres Vaters. Sie hielt den Atem an. Er stand auf einem schmalen Rost in einem nach der Seite hin offenen Schuppen. Er hatte den Rücken der Kamera zugewendet und grinste über die Schulter nach hinten. Und er war pudelnackt. Auf dem Foto stand: So nehme ich meine tägliche Dusche. Das Wasser kommt aus einem großen Eimer aus Eichenholz.

Genau wie in der Geschichte! Sie fühlte, wie sie sanft errötete. Und Sinjuko, das Mädchen in dem Baumwollhöschen, goss ihm das Wasser über den Kopf. Mama-san, Papa-san und Brudda - das waren die Japaner, die in der Geschichte vorkamen. Zu dumm, dass sie das nicht gleich kapiert hatte.

Sie sortierte die Fotos und suchte alle diejenigen heraus, auf denen Sinjuko zu sehen war. Dann legte sie sie der Reihe nach auf das Bett. Ernst und mit feierlicher Miene prüfte sie das hübsche Gesichtchen. Die dunklen Mandelaugen. Die weißen Zähne, die sie beim Lächeln zeigte. Das seidige Haar. Die aufrechte Haltung. Sie sah aus wie eine japanische Puppe, die Catherine einmal in einem Spielzeugladen gesehen und sehr bewundert hatte. Sie hätte sie damals so gern gekauft, doch Mutter überredete sie zu dieser albernen Barbie-Puppe!

Ihre Gedanken wurden durch das Geräusch eines sich nähernden Wagens unterbrochen. Sie sprang auf und hüpfte zum Fenster, das nach hinten hinausging, und schaute hinunter durch die Äste der immergrünen Eiche, die von der sinkenden Junisonne golden gesprenkelt wurden. Dort unten, wo der Hügel an der Teerstraße ins Flache überging, spielten heute keine Kinder. Die meisten von ihnen verbrachten wohl ihre Sommerferien am Lake Tahoe oder am Russian River. Catherine drückte ihre Nase an die Fensterscheibe und sah, wie ein Sportwagen vorbeiflitzte. Enttäuscht wandte sie sich ab. Nein, es war noch zu früh für Vater! Aber es gab eine Zeit, als er häufig vor Mutter nach Hause kam und Gelegenheit hatte, wundervolle Spiele mit seiner Catherine zu spielen oder ihr aufregende Geschichten zu erzählen. Es gab zwar immer noch Spiele und Geschichten, aber jetzt musste sie bis zum Schlafengehen darauf warten.

Als sie sich wieder dem Bett zuwandte, begannen ihre Augen zu strahlen. Sie nahm das Manuskript und drückte es an die Brust. Jetzt hatte sie eine klare Vorstellung von dem Mädchen in der Geschichte - von Sinjuko.

Sie legte sich aufs Bett und las weiter.

 

 

 

 

Tokio, 1947

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Die Julihitze lag über dem Land, und nachts kamen die Mücken in Riesenschwärmen. Jetzt musste er mit dem Mädchen, den Eltern und dem Bruder im Wohnraum schlafen, denn es gab nicht genügend Moskitonetze für alle Zimmer. Das grüne Netz wurde an der Decke aufgehängt, so dass es drei zeltartige Abteilungen bildete: eine für die Eltern, eine für den Bruder, eine für ihn und das Mädchen.

Eine Woche später wurde wieder einmal Familienrat abgehalten. Der amerikanische Soldat ging hinaus in den Gemüsegarten, während die Japaner drinnen im Wohnraum unter der grünen Lampe die Köpfe zusammensteckten. Bald sah er Mama-san und Papa-san aus dem Haus eilen und die Straße hinunterlaufen. Er ging wieder hinein ins Häuschen. »Papa- san und Mama-san kommen gleich zurück«, war alles, was das Mädchen ihm mitteilte. Sie stand auf, goss ihm eine Tasse Sake ein und griff nach dem Damespiel.

Sie hatten zwei Spiele beendet und begannen gerade das dritte, als die Eltern zurückkamen und versuchten, ihr Lächeln zu unterdrücken. Sie verbeugten sich vor ihm, baten um Entschuldigung und redeten dann in Japanisch auf ihre Tochter ein. Als sie mit dem, was sie zu sagen hatten, am Ende waren, wandten sie ihm ihre strahlenden Gesichter zu, und das Mädchen trat zu ihm und umarmte ihn vor Freude.

»Alles ist okay«, sagte sie. »Wir ziehen um.«

»Wir ziehen um?«

»Hai! Du, ich, wir ziehen um. Haus von Schwester. Schwester und Baby ziehen hier, bis ihr Mann zurück.«

Eine Stunde später fand der Umzug statt. Die Schwester wohnte nur fünf Häuser weiter, und jeder trug irgendein Kleidungsstück, Geschirr oder sonstiges Utensil hinüber. Die Schwester kam ihnen von der Schiebetür entgegen, und ihre Augen glänzten, als sie den Amerikaner mit einer tiefen Verbeugung begrüßte. Sie zog ihm die Schuhe aus, und er betrat das Haus wie in einem sonderbaren Traumzustand. Es glich dem Haus der Eltern aufs Haar, mit einer Ausnahme. Die Schwester machte ihn durch aufgeregte Handzeichen darauf aufmerksam. Es war ein ziemlich zerkratzter Schreibtisch in amerikanischem Stil, mit einem ebenso abgewetzten, lederbezogenen Drehsessel dahinter.

Das Mädchen schaute ihn begeistert an. »Nachbarn geben es«, sagte sie. »Jetzt du kannst arbeiten zu Hause.«

Zu Hause. Er fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er brachte kein Wort hervor. Alle verstanden, wie tief er gerührt war, und alle waren glücklich.

 

Sie waren glücklich in der Hütte, die er - er musste das Wort erst mühsam in seinem Wörterbuch zusammensuchen - Shinkonryoko le, Haus der Flitterwochen, nannte. Jeden Morgen, wenn er erwachte, wusste er, dass dies ein glücklicher Tag werden würde. Es gab keinen Zwang. Als Redakteur und Autor des Maptalk, einer Veröffentlichung des Obersten Kommandos der alliierten Streitkräfte, die seit dem Beginn der Besatzung bestand, brauchte er sich nur mit Arbeiten zu befassen, die ihn völlig befriedigten und in Anspruch nahmen. Das meiste konnte er zu Hause erledigen, und das Mädchen störte ihn kein einziges Mal, obwohl sie ständig anwesend war und mit ihrer Liebe zu ihm das kleine Haus ihres Glücks zu durchdringen schien.

 

Mitte August wurde sie krank. Sie war schon seit einer Woche abgeschlagen und lustlos gewesen, hatte aber angenommen, dass es sich dabei um die Folge der Hitzewelle handelte. Dann begannen der Husten und die Schweißausbrüche. Ein japanischer Arzt wurde zugezogen, ein magerer alter Mann mit einer dicken Hornbrille und einem kleinen, weißen Ziegenbart. Die ganze Familie versammelte sich um das Lager der Tochter, als ihre Temperatur gemessen wurde, als der Arzt sie abhorchte und ihre Lungengegend perkutierte, zuletzt die Augenlider hochhob und prüfte. Danach ging der Arzt mehrmals im Kreis um das Lager herum, strich sich den Ziegenbart, zischte ein paarmal missbilligend und gab schließlich seine Diagnose bekannt.

Sie hatte 38 Grad - kein beunruhigendes Fieber, aber dennoch musste man etwas dagegen unternehmen. Wahrscheinlich hatte sie irgendeine Infektion aufgeschnappt - es gab ja täglich neue Infektionskrankheiten, die sich durch die Hungersnot im Land sehr rasch ausbreiteten. Aber er war sicher, dass die Patientin sie bald überstanden haben würde. Er schrieb ihr ein paar Anweisungen auf und ließ ihr Tabletten und ein Päckchen Tee da. Dann verbeugte er sich und nahm die Vertrauenskundgebungen entgegen, bevor er das Haus verließ.

Mama-san kümmerte sich um ihre Tochter und schlief im Zimmer nebenan auf dem Fußboden. Am nächsten Tag war das Fieber um ein Grad gestiegen. Nach den Anweisungen des Arztes nahm sie ein lauwarmes Bad, wurde in eine grüne Ölleinwand gewickelt und danach mit angewärmten Tüchern abgerieben.

Am folgenden Tag kam der Arzt wieder und stellte fest, dass das Fieber noch immer nicht gesunken war. Er zupfte sich an seinem Ziegenbart und meditierte. Schließlich sagte er »Byoin«, und ein hilfloser Ausdruck erschien auf seinen Zügen.

Der Amerikaner blätterte rasch in seinem Wörterbuch. Byoin war das japanische Wort für Krankenhaus. Er starrte den Arzt an, sah, wie er hilflos mit den Schultern zuckte. Vermutlich waren in den wenigen, nach dem Krieg verbliebenen japanischen Krankenhäusern keine Betten frei. Der Arzt ließ wieder etwas Medizin da und verschwand mit hängenden Schultern.

Das Mädchen erklärte dem Amerikaner: »Der Arzt sagt, du sollst dir keine Sorgen machen. Es ist bald vorüber.«

Er schaute ihre Mutter an. Die schwarzen Augen der Frau waren wie harte Kohlenstücke. Den Amerikaner ergriff eine panische Angst.

Am nächsten Vormittag sprach er mit seinem Vorgesetzten. Er berichtete ihm alles, weil er wusste, dass er einen intelligenten, gefühlvollen Mann vor sich hatte, der sich den Teufel um irgendwelche Anordnungen kümmerte, wenn es um menschliche Probleme ging.

»Du meine Güte!«, sagte er zuerst. »Und ich soll kommende Woche nach Hause versetzt werden. Nach Hause, verstehen Sie! Da will ich doch nichts mehr riskieren.«

»Ich dachte, vielleicht kennen Sie einen Arzt, der bereit wäre, dem Mädchen zu helfen.«

»Natürlich. Ich habe zwei gute Freunde unter den Ärzten des Armeehospitals. Aber ich kann sie doch nicht ersuchen, eine Japanerin in ein amerikanisches Armeehospital zu schmuggeln. Du meine Güte!«

Der Captain nahm umständlich seine Brille ab, hauchte sie an und putzte sie mit dem Revers seiner Jacke. Dann setzte er sich die Brille wieder auf die Nase und rieb sich den Schädel mit dem kurzgeschnittenen, blonden Haar.

»Okay«, sagte er schließlich. »Ich werde versuchen, was ich tun kann. Du meine Güte!«

Am kommenden Morgen reichte ihm der Captain einen Berechtigungsausweis, mit dem er sich einen Transporter aus dem Fuhrpark holen konnte. »Einen besseren Krankenwagen konnte ich leider nicht auf treiben. Aber es wird schon gehen.« Er schrieb eine Adresse auf und skizzierte die Fahrtroute. »So kommen Sie zum Krankenhaus. Du meine Güte! Captain Wilson Robinette, ein Arzt mit einer schicken Praxis an der Park Avenue, wird sie heute Abend nach Einbruch der Dämmerung in Empfang nehmen. Punkt neun Uhr - verstanden? Er hasst die beschissene Armee und ist geradezu geil darauf, ihre Gesetze ein kleines bisschen übertreten zu können - noch dazu aus humanitären Gründen. Mann, in ein amerikanisches Armeehospital!«

Um acht Uhr trugen der Soldat und Papa-san den fiebernden Körper des Mädchens zu dem bereitstehenden Transporter und betteten ihn sacht auf der Ladefläche, auf einen Stapel von Steppdecken. Dann fuhren sie vorsichtig und langsam los, achteten sehr auf die Schlaglöcher und warfen von Zeit zu Zeit einen Blick nach hinten, flüsterten ein paar Worte, um die Kranke zu beruhigen.

Vor dem Krankenhaus wurde sie von Dr. Robinette, einem großen, totenblassen Mann mit schalkhaften Augen und einem schmalen, lächelnden Mund erwartet.

Er brachte es fertig, sie in einem Privatzimmer unterzubringen.

 

Eine Woche später, an einem Samstagabend, brachte der Soldat das Mädchen wieder nach Hause. Ihre Wangen waren nicht mehr so eingefallen, ihre Augen leuchteten wieder lebhaft und klar, und der Husten war im Schwinden. Der amerikanische Soldat hatte sie jeden Tag nach der Arbeit besucht, hatte sich durch den Seiteneingang ins Krankenhaus geschlichen.

Als sie wieder zu Hause war, und nachdem die Familie sie herzlich empfangen und sich dann zurückgezogen hatte, führten die beiden ihr vorheriges Leben fort. Die Freude, die sie miteinander empfanden, schien durch die kurze Trennung noch verstärkt worden zu sein. Dann, nach ein paar Tagen, gab er ihr einen Briefumschlag. Sie öffnete ihn, entdeckte zwei Eisenbahnfahrkarten nach Nikko und zurück, und ihre schwarzen Augen wurden ganz groß und rund vor Überraschung. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie schmiegte sich an ihn.

Sein dreitägiger Urlaub begann an einem Mittwoch, und sie nahmen den Acht-Uhr-Zug vom Ueno-Bahnhof. Die beiden trugen Rucksäcke mit Lebensmitteln und Whisky, und sie hatten sich außerdem ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln eingepackt.

Obwohl es noch früh am Tag war, herrschte auf dem Bahnsteig schon wieder das bekannte Gedränge. Sie standen in einer langen Schlange vor der Sperre, wo ein selbstbewusster Japaner nur einen nach dem anderen durchließ. Viele Reisende trugen weiße Gazemasken vor Mund und Nase, um Bazillen abzuwehren.