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Wie kann man Gott nach tiefer Enttäuschungen und angesichts unbeantworteter Fragen neu begegnen? Angeregt von William P. Youngs Buch "Die Hütte" machte sich Kerstin Hack auf die Reise zu ihrer eigenen "Hütten-Erfahrung". Sie erzählt offen und persönlich davon, wie man neu liebevolle Begegnung mit Gott erleben und zerbrochenes Vertrauen wieder aufbauen kann. Ideal für alle, die Gott neu begegnen möchten.
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Seitenzahl: 186
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Die Hütte und ich. Gott neu vertrauen – eine Reise
© 2010 Down to Earth Verlag, Berlin und
Gerth Medien GmbH, Asslar, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
1. Auflage 2010
Down to Earth: Bestell-Nr. 304201
ISBN 978-3-935992-79-4
ISBN eBook 978-3-86270-038-7; eBook-PDF: -037-0; Smartphone-App: -036-3
Gerth: Bestell-Nr. 816 539
ISBN 978-3-86591-539-9
Umschlaggestaltung und Textsatz: www.michaelzimmermann.com
eBook Erstellung: Stefan Böhringer, eWort www.ewort.de
Fotos: melodi2, stock.xchng (Umschlag), Paul Verhoeven (Tag 6), Gea Gort (Tag 7), Kerstin Hack
Lektorat: MatMil Berlin, Esther Sommerfeld
Druck: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen, Printed in Germany
Die Bibelzitate wurden, sofern nicht anders angegeben,
den folgenden Bibelübersetzungen entnommen und zum Teil gekürzt:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung,
© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LÜ 84)
Hoffnung für alle – Die Bibel, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung,
© 1986, 1996, 2002 by International Bible Society, USA.
Übersetzt und herausgegeben durch: Brunnen Verlag Basel, Schweiz (Hfa)
Das Experiment
Wohin geht die Reise?
Tag 1: Durch-Ein-Ander
Tag 2: Bestands-Aufnahme
Tag 3: Weh-Mut
Tag 4: Beziehungs-Weise
Tag 5: Un-Vergänglich
Vertrauen ist die Frucht einer Beziehung,
in der du weißt, dass du geliebt bist.
—»Die Hütte«, Seite 144
Die Beteiligten: Eine Frau. Gott. Zwei Aufgaben, drei Fragen und sieben Tage Zeit an einem anderen Ort – um eine ganz neue Begegnung miteinander zu erleben.
Die Frau: Ich, Kerstin Hack, Autorin, Verlegerin, Coach, Berlinerin, Anfang vierzig, Single, kreativ, extrovertiert, voller Ideen und Inspiration, sensibel, das Leben liebend.
Gott: Was will man über ihn sagen, um ihn zu beschreiben? Alle Worte der Welt reichen nicht aus. Er ist bereits überall präsent – es geht nur darum, seine Spuren zu entdecken.
Aufgabe eins
Gott neu begegnen und auf eine Art und Weise wahrnehmen, die mich stärkt, ermutigt und motiviert, weiter mit ihm zu leben. Obwohl Glaube und der Dialog mit Gott schon lange zu meinem Leben gehörten, war meine Beziehung zu Gott in den letzten Jahren merklich abgekühlt. Ich glaubte zwar nach wie vor an ihn, aber ich konnte mich nicht mehr an ihm freuen. Wenn andere begeistert von ihren Erfahrungen mit Gott erzählten, ließ mich das kalt und irritiert zurück. Enttäuschungen hatten meiner Begeisterung das Wasser abgegraben.
Der Roman Die Hütte1, der schildert, wie die Hauptfigur Mack nach einem tragischen Verlust Gott neu und tief erlebt, hatte mich bewegt und inspiriert. Ich spürte Sehnsucht, etwas Ähnliches selbst zu erleben. Sehnsucht nach einer Begegnung mit Gott, die mein Herz berühren, mich trösten und mir neue Hoffnung geben würde. Begegnung mit einem lebendigen Gegenüber, das mir in der Begegnung Antworten schenken würde, die weit über meine Fragen hinausgingen.
Aufgabe zwei
Antworten auf Fragen finden, die mich seit langem beschäftigten. Einige schmerzliche Erfahrungen hatten mich gründlich irritiert und in meinem Glauben erschüttert. Meine allerwichtigsten Gebete schienen an der Decke abzuprallen und nicht bei Gott anzukommen. All dies hatte Fragen aufgeworfen:
• Warum will Gott, dass ich ihn um etwas bitte, wenn er das Gebet dann doch nicht erhört?
• Warum spricht Gott zu mir und sagt mir Dinge zu, die er dann doch nicht erfüllt?
• Wie kann ich ihm wieder neu vertrauen?
Ich wollte nach hilfreichen Antworten suchen. Antwort hat immer mit Dialog zu tun. Mit Worten, Gedanken. Ich suchte Erklärungen, die mir das Geschehene verständlich machen würden.
Die Hütte: Der Ort des inneren Erlebens, des Schmerzes und der Freude. Gleichzeitig eine Wohnung in der historischen Stadt Antwerpen. Ich wollte Gott dort finden. Mit einem Gott, dem ich nur in der Einsamkeit und Abgeschiedenheit begegnen könnte, kann ich in meinem Berliner Stadtalltag nur wenig anfangen.
Die Zeit: Sieben Tage im September 2009. Zeit, in der ich Gott bewusst anders nahe kommen wollte als zu Hause. Sieben Tage sind kurz, um nach wichtigen Antworten zu suchen. Ich wollte jedoch nicht – wie andere es tun – für Monate aus meinem Leben aussteigen. Deshalb begrenzte ich das Experiment.
Das war riskant, weil Gott ja Gott ist und keineswegs sicher war, ob in diesen sieben Tagen etwas Entscheidendes geschehen würde. Vielleicht wollte ich Gott ein bisschen herausfordern: »Gott, du hast sieben Tage Zeit, mir zu antworten und zu begegnen!« Nicht zuletzt, weil ich ahnte, dass er sich noch mehr nach Begegnung mit mir sehnte, als ich es tat.
Die Mitschrift: Erlebtes schriftlich festzuhalten, ist ein guter Weg, um Gedanken zu sortieren und zu ordnen. Ich hoffe, dass die Antworten, die ich entdeckte, auch für andere hilfreich sein können.
Ent-decken ist ein schönes Wort. Es drückt für mich aus, dass die Antworten schon da sind, man sie nur aufdecken muss. Von Roman, einem sehr umsichtigen Freund, kam die Idee, am Ende der einzelnen Erfahrungen eine »Weisheit des Tages« zu notieren, um es ihm und anderen zu erleichtern, meine Erfahrungen für ihre eigene Suche nach Gott zu nutzen.
Die Rezepte: Die Impulse am Ende jedes Kapitels sind Anregungen, die dir die Beziehung zu Gott schmackhaft machen können. Das »du« verwende ich hier übrigens, weil es ein sehr persönliches Buch ist, zu dem das »Sie« kaum passt. Es sind keine Patentrezepte oder gar Vorschriften im Sinne von »So musst du es machen.«
Jede kluge Köchin weiß: Rezepte sind Anregungen. Keine Befehle. Man kocht sie am besten einmal nach Anleitung, um die Grundidee zu verstehen. Später variiert und verändert man, lässt das eine oder andere weg und fügt eigene Zutaten hinzu – ganz nach dem eigenen Geschmack. Und man kocht überhaupt nur die Rezepte nach, die einen ansprechen und einem das Wasser im Mund zusammen laufen lassen. Alle anderen kann man getrost ignorieren.
Wirklich reisen heißt: sich ohne Gepäck dem Unerwarteten aussetzen und alles Fremde in Heimat verwandeln.
—Ilja Trojanow
Antwerpen ist der erste Ort, der in dem Buch 1000 Orte, die man gesehen haben sollte, bevor man stirbt 3, erwähnt wird. Zu Recht – es lohnt sich, diese faszinierende, historische Stadt zu besuchen. Aber nicht die Sehenswürdigkeiten und touristischen Attraktionen zogen mich an. Meine Reise hatte einen anderen Grund.
In Antwerpen ist meine »Hütte«. Es ist für mich ein Ort, an den ich mich zurückziehen und mit mir und Gott alleine sein kann, um zur Ruhe zu kommen, mir selbst auf die Spur zu kommen und Dinge zu klären. »Hütte« ist fast eine Beleidigung für diesen Ort. Es ist keine primitive Behausung in einer einsamen, menschenleeren Gegend – was natürlich auch wunderbar sein kann. Menschen aller Generationen und Kulturen haben die Einsamkeit gesucht, um Gott zu begegnen. Ich hingegen liebe Städte und glaube, dass man Gott dort ebenso intensiv, wenngleich auf andere Art und Weise, begegnen kann wie in völliger Abgeschiedenheit.
Extreme Einsamkeit kann bedrohlich sein. Nicht jedem liegt es, tagelang mit sich, den eigenen Gedanken und Gott allein zu sein. Statt zur Ruhe zu finden, fühlen sich manche Menschen in völliger Abgeschiedenheit eher verloren, isoliert und einsam.
Meine lebhafte Freundin Henriette4 hat das so erlebt: »Ich hab das auch mal ausprobiert – völlige Einsamkeit. Dabei habe ich mich so schrecklich einsam gefühlt, dass ich zwei Tage lang nur geweint habe. Gott bin ich da nicht begegnet.«
Vielleicht war es feige von mir, nicht diese Extremvariante der Gottessuche zu wählen. Aber es ist, wie es ist. Ich habe nun mal nicht den gleichen Mut wie Mack in dem Roman Die Hütte, der allein zu einer abgelegenen Hütte in der Wildnis ging. Die Hütte ist auch eine Metapher für all den unverarbeiteten Schmerz, der in seiner Seele feststeckte, die schmerzhaftesten Erinnerungen seines Lebens, die sich dort zusammenballten. Wäre Gott ihm dort nicht begegnet, hätte er schreckliche, einsame Tage erlebt, die alles noch viel schlimmer gemacht hätten. Dieses Risiko ist mir zu groß. Deshalb ist meine Hütte ein modernes Loft in einem beeindruckenden Altbau in Antwerpen, der schönen, historischen Stadt in Flandern.
Wann immer meine Freunde Derek und Amy ihre Wohnung nicht nutzen, was ziemlich oft der Fall ist, kann ich dort sein. Ohne zu zahlen. In der Küche stehen drei Gläser voller Münzen aus aller Herren Länder. Wer zu Gast ist und Geld braucht, darf sich bedienen. Geld ist den beiden nicht so wichtig. Symbole bedeuten ihnen dafür umso mehr. Bei einem Besuch brachte ich ihnen aus den Ländern, die ich auf dem Weg zu ihnen durchquerte, als Symbol für die weite Strecke Schokolade mit: aus der Schweiz, Deutschland und Belgien. Noch Jahre später sprachen sie von diesem Geschenk.
Das Gebäude, in dem sich ihre Wohnung befindet, ist ebenso eindrücklich wie einzigartig. In den hohen Fluren hängen Dutzende großformatige, moderne Ölbilder. Eines zeigt einen Mann, der einer Putte mit einer riesigen Schere die Flügel abschneidet. Etwas bedrohlich, aber die Dramatik passt zu dieser historischen und kreativen Stadt.
Sobald man die Flügeltür zu ihrer Wohnung geöffnet hat, steht man im Wohnzimmer. Gut vier Meter hoch mit Fenstern, die fast vom Boden bis an die Decke reichen. Alte honigfarben gebeizte Holzdielen. Eingerichtet mit einer bunten Mischung: hohe Lederstühle an einem langen, wertvollen Holztisch ebenso wie Sachen vom Sperrmüll.
Zwei Sessel im 50er Jahre Stil hatte ich selbst am Straßenrand gefunden und auf meinem Kopf an einem Samstagnachmittag quer durch die überfüllte Fußgängerzone geschleppt. Nun dient einer davon als Fernsehsessel, der andere ersetzt im Bad die fehlenden Handtuchhalter.
Für mich birgt dieser Ort viele Erinnerungen. Hier habe ich die Jahre 2005 und 2006 begonnen, fröhliche Zeiten mit alten und neuen Freunden verbracht. Amy, die eine hervorragende Köchin ist, hat uns verwöhnt. Der Ort erinnert mich auch an Zeiten der Planung, Reflexion und Stille. Ich habe hier Bücher geschrieben und Entscheidungen getroffen, Neuanfänge gefeiert und Beendetes betrauert. Hier habe ich gelebt, geliebt, gebetet, geweint – manchmal alles auf einmal.
Antwerpen ist kreativ und inspirierend, strahlt aber dennoch – besonders an nebeligen Herbsttagen – Ruhe und Zurückgezogenheit aus. In der Wohnung meiner Freunde gibt es kein Telefon und auch kein Internet – für mich die idealen Voraussetzungen, um zur Ruhe zu kommen und meinem Gott zu begegnen. Antwerpen ist für mich voller Erinnerungen an schöne Zeiten, aber auch an einige der schmerzvollsten Erfahrungen meines Lebens. Es ist »Meine Hütte«, der Ort, wo sich viel Schmerzhaftes kristallisiert.
Derek schrieb mir vor der Reise: »Ich wünsche dir, während du dort bist, eine wunderbare, friedliche Zeit – erfüllt von neuer Vision. Jesus begegnet mir in Antwerpen immer als Freund. Es ist dieser eine Aspekt seines Wesens – der Teil von ihm, der einfach ein guter Freund von mir sein möchte. Und im Rahmen dieser freundschaftlichen Begegnung zeigt er mir immer auch Geheimnisse und Schätze auf.«
Der feinfühlige Derek hatte mal wieder – wie schon oft – meine tiefste Sehnsucht in Worte gefasst. Er ist ein Mensch, der mir wie kein anderer geholfen hat, mein eigenes Herz zu erspüren. Das hat ihn – und auch mich – einiges an Nerven gekostet, aber es hat auch die Freundschaft zu ihm und seiner Frau Amy ganz besonders kostbar und tief gemacht. Ich sehnte mich nach neuer Ausrichtung und Inspiration. In mir waren alter, ungelöster Schmerz, Fragen an Gott, auf die ich in den vergangenen Jahren keine Antwort gefunden hatte. Im Vorfeld der Reise waren diese alten, quälenden Fragen wieder an die Oberfläche gekommen.
Mich bewegte vor allem die Frage, warum Gott überhaupt möchte, dass ich ihn um etwas bitte, wenn er meine Gebete dann doch nicht erhört. Gott ist Gott, er hat das Recht, Gebete nicht zu erhören. Das ist klar. Aber warum will er dann, dass ich bitte? Warum spricht er manchmal zu mir und zeigt mir konkret, worum ich bitten soll – und tut dann nicht, was ich erbeten habe? Ist das nicht ein grausames Spiel? Ich verstand es nicht. Wirklich nicht. Ich brauchte echte Antworten. Danach sehnte ich mich voller Angst.
So ging es auch Mack in Die Hütte, der seine Tochter durch ein Gewaltverbrechen verloren hatte. Gott lud ihn in die Hütte ein, in der ihre letzten Spuren gefunden worden waren – ein rotes, blutbeflecktes Kleid. Macks Geschichte und vor allem seine einzigartige Begegnung mit Gott hatten mich – wie viele andere – tief berührt. Nein, ich habe kein Kind durch ein Gewaltverbrechen verloren. Mein Leben lief bislang weit zahmer ab. Dennoch hatte ich Verluste zu beklagen, die große Fragezeichen in meinem Leben und meiner Beziehung zu Gott aufgeworfen hatten.
Die Angst spürte ich im Vorfeld der Reise immer wieder. Was wäre, wenn mir die Decke auf den Kopf fiele und mit ihr alle Gebete, die dort kleben geblieben waren und Gott scheinbar nicht erreicht hatten? Was, wenn ich mich einsam und isoliert fühlte?
So wie bei einem Urlaub in der Türkei. Gleich am ersten Tag war mein Lieblingsbadeanzug gestohlen worden. Den brauchte ich allerdings in den nächsten Tagen ohnehin nicht mehr. Von den fünf Regentagen, die die Türkei üblicherweise im Oktober zu verzeichnen hat, erlebte ich sieben. Es regnete ununterbrochen.
Strand war undenkbar. Als ich in einer Regenpause spazieren ging, wurde ich belästigt. Beim Essen saßen nur Familien, die mit Kleinkindern beschäftigt waren und keine Lust auf Kontakt hatten. Bereits nach drei Tagen hatte ich alle Bücher durchgelesen, die ich dabei hatte. Ich nutzte die Kochplatte der Mini-Küche, um die Wohnung zu heizen. Einsam. Kalt. Nein, so etwas wollte ich nicht wieder erleben.
Inmitten der Angst, Gott könnte mir möglicherweise in Antwerpen nicht begegnen und ich würde mich dann umso mehr enttäuscht, verletzt, verlassen und zurückgewiesen fühlen, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich einmal gehört hatte.
Ein junger Mann sollte die Verantwortung für eine Gruppe übernehmen, die sich zur Begegnung miteinander und mit Gott treffen wollte. Vor dem ersten Termin rief er aufgeregt einen befreundeten Pastor an: »Wir haben alles vorbereitet, Essen gemacht und Kaffee gekocht. Was sollen wir denn machen, falls Gott uns nicht begegnet?«
»Ach, dann genießt die Zeit und trinkt weiter Kaffee!«
Ich nahm mir diesen Rat zu Herzen. Ich wollte Gott finden – wenn er mir begegnete. Im »Notfall« würde ich entspannt Kaffee trinken und das Leben genießen – das kann man in Antwerpen ziemlich gut.
Es ist gut, zu überlegen, wo und wie du Gott am besten begegnen kannst. Dann aber nicht zu verkrampfen, sondern entspannt abzuwarten, wo und wie er dir begegnen will.
... Google Earth: www.googleearth.com
Gott ist überall. Aber uns fällt es an manchen Orten leichter, uns für die Begegnung mit ihm zu öffnen, weil diese Orte ruhig, inspirierend, wunderschön oder voller Erinnerungen sind.
Überlege: Was brauchst du, um Gott zu begegnen: einen ruhigen Ort oder eher einen Ort, der dich inspiriert und auf neue Gedanken bringt? Oder ...? Der Ort kann eine Lieblingsecke in deiner Wohnung sein, ein kleiner Park in der Nachbarschaft, eine Kunstgalerie, ein Stadtteil oder ein anderer Ort, den du magst. Oder auch eine gemütliche Pension oder ein Jägerstand im Wald.
Die wahre Entdeckungsreise ist keine Suche nach neuen Landschaften, sondern der Wunsch, mit neuen Augen zu sehen.
—Marcel Proust
Aufbrechen – Aufbruch. Diese Wörter haben etwas Kraftvolles, Raues, fast Gewalttätiges. Sie sprechen von Veränderung und Erneuerung, von Loslassen und Auseinandertrennen. Erst wenn die Erde zu großen Schollen aufgebrochen wurde, wenn das Grobe etwa geeggt wurde, ist es sinnvoll, neuen Samen auszustreuen.
Vor der Abfahrt hatte ich im Eiltempo einige Projekte zum Abschluss gebracht, Dutzende von Mails beantwortet, die Ablage weitgehend abgearbeitet und Bad, Balkon und Küche geschrubbt. Außerdem hatte ich meinen Roboter-Staubsauger Mr. President durch die Wohnung geschickt. Ich habe ihn nach einem amerikanischen Staatsoberhaupt benannt, das angeblich im Haushalt hilft. Bewaffnet mit einer Flasche Oberflächenreiniger entfernte ich alle sichtbaren Staub- oder Schmutzspuren in meiner Wohnung – vom Waschbecken bis zur Computertastatur. Warum habe ich vor Reisen weit mehr als sonst das Bedürfnis, alles in Ordnung zu bringen? Vielleicht, weil ich für den Fall, dass mir auf der Reise etwas zustößt, der Nachwelt kein Chaos hinterlassen möchte.
Vielleicht aber auch, weil ich – wie viele andere Menschen – die Erfahrung gemacht habe, dass man sich auf Reisen immer ein bisschen verändert. Dann möchte man bei der Rückkehr nichts Altes mehr erledigen müssen, sondern will lieber mit frischer Energie und Ausrichtung neue Dinge beginnen. Vielleicht veränderte ich mich auf dieser Reise sogar mehr als nur ein bisschen? Ich wünschte es mir.
Im Vorfeld der Reise war ich so voll gespannter Erwartung, dass ich schon eine Woche vor Abflug mit dem Packen begann. Mit jedem eingepackten Stück wuchs die Vorfreude. Aber so viel nahm ich gar nicht mit. Zwei bequeme Hosen und Lieblingspullis, einen schönen Rock. Daneben einige Kleidungsstücke und Gegenstände, von denen ich mich trennen wollte. Einen Rucksack mit irreparablen Rissen und T-Shirts, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hatten. Auf Reisen fällt mir das Loslassen leichter: »Das kommt nicht mehr mit zurück ...« Auch deshalb, weil Dinge, die man auf Reisen neu kauft, mit Erinnerungen verknüpft sind – an die besonderen Zeiten, die man an diesem Ort erlebt hat, und die Eindrücke, die man dort gesammelt hat.
Passt ein Abschnitt über Kleidung in ein Buch über die Suche nach Gott? Ich glaube schon. Kleidung drückt sehr viel von der eigenen Persönlichkeit und Stimmung aus. Sie trägt nach außen, wer man ist und was einen bewegt. Traurige Menschen tragen oft dunkle Farben, frohe Menschen greifen eher zu leuchtenden Tönen.
Weil jeder Mensch so viele unterschiedliche Facetten hat, kann man nie alle gleichzeitig ausdrücken, sondern wählt Kleidung auch danach aus, welchen Aspekt der eigenen Persönlichkeit man gerade betonen und zum Ausdruck bringen möchte: das Besinnliche oder das Lebensfrohe, das Entschlossene oder das Schutzbedürftige. In der Bibel wird sogar beschrieben, dass Gott sich – je nach Anlass – unterschiedlich kleidet. Auch Aspekte der Beziehung zu Gott kann man durch Kleidung ausdrücken. Afrikanische Christen ziehen ihre schönsten Kleider und besten Anzüge an, wenn sie sich zum Gottesdienst treffen. Sie wollen damit ihren Respekt vor Gott zum Ausdruck bringen. Andere Menschen bevorzugen bequeme Kleidung, die vermittelt: Ich darf zu Gott kommen, wie ich bin.
In verschiedener Kleidung gibt man sich anders. Man ist, was man trägt. Im Business-Anzug fühlt man sich anders als in Gartenklamotten. Sogar in der Beziehung zu Gott gibt es einen Unterschied, ob man im Pyjama oder im Abendkleid betet. Ich hatte das eines Abends ausprobiert, indem ich vor einer Gebetszeit mein schönstes Kleid anzog, mich schminkte und Gott bewusst willkommen hieß. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass ich ihn schätze, die Begegnung mit ihm etwas Besonderes für mich ist. Kleidung sagt viel. Ohne Worte.
In Berlin hatte es noch in Strömen geregnet. Hundewetter. Das passte zu der Trauer, die ich empfand, weil ich am Abend vor der Abreise vom plötzlichen Tod eines Freundes erfahren hatte. Beim Packen der letzten Dinge war ich immer wieder in Tränen ausgebrochen.
Doch als ich in Amsterdam landete, sah der Himmel aus wie auf den Gemälden niederländischer Maler: leuchtend blau mit weißen Wolkenbergen, die sich über einer unendlich weiten, grünen, von Kanälen durchzogenen Landschaft türmten.
Sanierungsarbeiten bei der Bahn führten dazu, dass ich Stunden später zwar »Trein stop niet in Shipol« akzentfrei aussprechen konnte, aber viel später als geplant und sehr unterkühlt in der Wohnung meiner Freunde ankam. Ich sehnte mich nach einem Whiskey. Das passiert mir selten – maximal zweimal im Jahr. Aber durchgefroren von der langen Reise in einem unterkühlten Zug wäre das genau das Richtige gewesen.
Doch in der Wohnung fand ich nur tschechisches Mysli (wird tatsächlich so geschrieben), Käse und etwas Orangensaft. Also kochte ich mir einen Tee im pfeifenden Wasserkessel, zündete eine Kerze an und sah durchs große Wohnzimmerfenster nach draußen. Von Gott spürte ich nichts, nur Müdigkeit, Kälte und Erschöpfung von der langen Reise und dem vielen Weinen um meinen verstorbenen Freund.
Reisen verändert. Ich kann die Veränderung schon in der Vorbereitung auf die Reise anbahnen.
... einen Kleiderschrank.
Gott ist immer derselbe. Aber wir erleben uns selbst – und damit auch die Begegnung mit ihm – anders, wenn wir uns anders kleiden. Stell dich vor deinen Schrank und frage dich: In welchen Kleidungsstücken begegne ich Gott gerne? Welches sind Kleidungsstücke, die ich oft trage, wenn ich Zeit mit ihm verbringe? Welche eher selten?
Probiere aus, wie es ist, wenn du ein für dich ungewohntes Kleidungsstück für die Begegnung mit Gott trägst: etwas sehr Festliches, Business-Kleidung, Outdoor-Klamotten oder etwas Romantisch-Verträumtes.
... eine (elektronische) Bibel, zum Beispiel www.bibleserver.com, und eine Konkordanz.
Gastsein ist gut. Heimkommen ist besser.
—Sprichwort aus Gabun, Afrika
Ich gestehe: Ich bin ein konservativer Mensch. Obwohl ich ständig Neues entwickle – oder vielleicht gerade deshalb – hänge ich sehr an dem, was mir vertraut geworden ist. Es irritiert mich, wenn sich Dinge verändern. Es brachte mich ein kleines bisschen aus der Fassung, als ich im Badezimmer meiner Freunde entdeckte, dass mein Lieblings-Duschgel nicht mehr da war. Das Oliven-Duschgel, mit dessen zartem Geruch für mich bisher jeder Tag in Antwerpen begonnen hatte.
Schlimmer als das Duschgel, das ich ersetzen konnte, war, dass die Wohnung gegenüber, die man vom Wohnzimmerfenster aus sieht, eine neue Mieterin hatte. Das Paar, das früher dort gewohnt hatte, war offensichtlich ausgezogen. Ich hatte bei früheren Besuchen oft am Abend bei Kerzenschein am riesigen Fenster gesessen und gelesen. Ich hatte es genossen, nebenbei zu sehen, wie sie in ihrer avantgardistisch eingerichteten Wohnung den Tisch deckten oder miteinander sprachen. Jetzt war die Wohnung karg. Keine Bilder an den Wänden. Nur ein Fernseher. Auf dem Sofa saß eine Frau mit einem Laptop auf dem Schoß – genau wie ich. Wie langweilig.