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Es ward nun allmählich still am Strande der Schiffbrüchigen. Alle, die Alten sowie die Jungen, die Verzweifelten wie die Mutigen, wurden vom Schlaf übermannt. Manche träumten, was auch eine Art von Wachen ist: diese waren die weniger Glücklichen! Allein bei den meisten hatte die körperliche Ermattung infolge des Erlebten und Überstandenen einen solchen Grad erreicht, daß sie zur vollen Bewußtlosigkeit eingingen. Sie litten nicht mehr, denn sie waren nicht mehr! Weder Mädchen noch Frauen, Witwen noch Waisen: nicht einmal mehr Menschen, geschweige Schiffbrüchige. Um sie entfaltete sich, für sie nicht vorhanden, nutzlos die nächtliche Tropennatur. Am Himmel stand das Südliche Kreuz wenig über dem Horizont, höher hinauf der Zentaur. Gegen Norden herrlich strahlend der Arktur. Sternstaub, Milchstraße, Myriaden Welten. Und Myriaden und aber Myriaden von leuchtenden Welten enthielt auch das Meer, das Lichtwogen, fließende Funkenberge zum Strande her- und am Strande hinrollte und magische Helle am Ufer verbreitete. Die Schlafenden waren von alledem losgelöst und lagen doch darin wie im Mutterschoß, nur durch die Atmung damit verbunden wie gleichsam durch eine Nabelschnur.
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Inhalt
Titelblatt
Die Insel der großen Mutter
Impressum
Dem Ufer einer herrlich und verlassen prangenden, von Gebirgen überhöhten Insel im südlichen Teil des Stillen Weltmeers näherten sich eines Tages mehrere Boote, als die Sonne grade im Mittag brütete. Es waren insofern merkwürdige Boote, als sie nicht von dunklen Männern dieses von uns so entfernten Weltteiles, sondern von europäisch gekleideten Damen dicht besetzt waren und gerudert wurden. Das Ganze sah einer Lustfahrt nicht unähnlich, zumal die Fahrzeuge im Zickzack gingen und unter immer erneutem scheinbar heiteren Kreischen ihrer Insassen oftmals den Kurs wechselten, was auf übermütige Hände am Steuer zu deuten schien.
Nun war es aber durchaus nicht Vergnügen, was diese Fahrt verursacht hatte, die Gott sei Dank bei einer vollkommen ruhigen See vor sich ging, sondern die Boote waren Rettungsboote, und die Damen waren Schiffbrüchige.
Man landete endlich in einer kleinen Bucht, nachdem man unter viel Gekreisch und Geschnatter eine geringe Brandung bewältigt hatte, mit einem unendlichen Durcheinander von Lauten der Freude, der Angst, der Besorgnis, der Zärtlichkeit, des Protestes oder der Ermutigung. Und endlich hatten weit mehr als hundert Paar kaum ein wenig durchnäßte Weiberschuhe glücklich den festen Boden erreicht.
Da nun diese Landung den zunächst wichtigsten Schritt zur Rettung darstellte und das Bewußtsein davon vom größten Teil des Damenrudels empfunden wurde, setzte sogleich ein Rausch von Rührung und Jubel ein, der sich bis zu Umhalsungen, Küssen, schluchzenden Freudentränen, ja hie und da zu mehr oder weniger wilden Tänzen steigerte. Einige freilich der Geretteten hatte der Schreck oder die Strapazen in einen totenähnlichen Schlaf, andere in einen Zustand der Schwäche, wieder andere das ganze Ereignis in stumme Verzweiflung versetzt, weshalb eine Anzahl der Frauen mit Pflege und Zuspruch aller Art um sie beschäftigt war. Nur eine der Damen, Tochter eines vielfachen Millionärs, eine achtzehnjährige junge Frau, die auf der Hochzeitsreise um die Welt mitten im höchsten Glück und außerdem grade beim Diner durch die Katastrophe überrascht worden war, eine deutsche Lady, die ihren heißgeliebten Lord verloren hatte, wurde in ihrer Verzweiflung zu einer Rasenden und rannte entweder, mit der Absicht sich zu ertränken, in die Brandungen oder brach, zurückgeholt und von vielen Armen gehalten, in Schreikrämpfe aus.
Eine der Damen rief auf einem Block erkalteter Lava, den sie, um sich Gehör zu verschaffen, erklettert hatte, in den Wirrwarr immer nur dieselben Worte hinein: »Meine Damen, was ist zu tun? Meine Damen, denken Sie an die Hauptfrage, was tun wir zu unserer weiteren Sicherheit? Was ist zu tun? Was ist zu tun?«
Dies Geschrei mit gellendem, weithin dringenden Ton, der allerdings vom Geräusch der Brandung zum Teil verschlungen wurde, hatte bald eine Anzahl Damen am Fuße des Lavablocks vereint, die aufeinander lebhaft einredeten und zwischen den Schreien Gelegenheit fanden, sich mit der Schreienden zu verständigen: es war eine ältere Malerin.
Sie stand da in einem flohbraunen Seidenkleid, wie sie im Speisesaal des Ostindienfahrers zu Tisch gesessen hatte. Der weite Ausschnitt der kostbaren Robe war mit Brüsseler Spitzen besetzt. Ihr Haar, vom Alter gebleicht, sah aus, als ob es gepudert wäre. Und da es übrigens noch gekräuselt war, so glich die ganze Person einer Rokokodame. Ihre runzlige Haut und schmutzige Hautfarbe, die stark auslaufende Kieferpartie, ein breiter, niggerhaft wulstiger Mund gaben ihr eine Eigenart, die durch zwei blitzende braune Augen reizvoll wurde. Die ganze Erscheinung hatte einen durch schön oder häßlich nicht berührten, besonderen Reiz.
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