Die Insulaner - Rena Brauné - E-Book

Die Insulaner E-Book

Rena Brauné

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Beschreibung

Die Insulaner ist ein Roman über eine Familie die ein besonderer Zusammenhalt auszeichnet. Sie müssen sich wehren gegen Neid, das Böse und Ausgrenzung. Das findet man auf der ganzen Welt, aber wenn man auf einer Insel lebt, ist man aufeinander angewiesen. Allein würde man zugrunde gehen und einfach wegfahren ist auch nicht möglich. Nur für Kinder ist eine Insel ein großer Abenteuer- spielplatz. Für die Erwachsenen oft ein Albtraum. Zum Glück finden die nächsten Generationen Ihr Glück. Einmal Insulaner immer Insulaner.

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Zu diesem Buch

Während eine Insel für Kinder wie ein

Abenteuerspielplatz ist, kann sie für

Erwachsene leicht zum Albtraum werden.

Zwar gibt es auch auf dem Festland

Ausgrenzung, Neid und Bösartigkeit, aber um

nicht daran zugrunde zu gehen, ist man auf einer Insel mehr als anderswo auf

Familienzusammenhalt angewiesen.

Die Geschichte mit ihren Personen, Namen, Handlungen und Ereignissen ist frei erdacht. Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit sind zufällig und unbeabsichtigt.

Danke!

Ich bedanke mich bei meinen treuen

Leserinnen und Lesern! Ich bekomme von

Ihnen so viel Zuspruch und Ermunterung,

dass es mir nicht schwer fällt, immer neue

Ideen aufzugreifen. Für Autorinnen und

Autoren ist es so wichtig wie ein Schluck

Wasser, dass ihre Bücher gern gelesen

werden, denn wir wollen unterhalten. Wenn

Leserinnen oder Leser sich fragen, “Was

wäre, wenn?“, dann haben wir alles richtig gemacht.

Rena Brauné

Inhaltsverzeichnis

Sven

Gesa

Sven

Gesa

Was Peter erzählt

Gesa

Sven

Zum zweiten Mal komme ich auf diese Insel. Obwohl das erste Mal, das zählt nicht richtig. Da war ich gerade mal drei Tage hier und hatte nur Schietwetter. Ich war froh, als das erste Boot zum Festland übersetzte. Jetzt will ich die Insel richtig kennenlernen. Sie ist so anders als alle Inseln, die ich kenne. Und ich war schon auf vielen Inseln auf der Welt. Man kann sagen, ich bin verrückt nach Inseln. Mein Studium war Geografie, mit Schwerpunkt Inselwelt.

Die Insel, auf der ich jetzt bin, liegt sehr weit nördlich, ist mittelgroß und hat wenige große Bäume, dafür viel Buschwerk. Blumen findet man nur in den Gärten der Bewohner. Das ganze Jahr ist alles grün. Überall wächst Moos, sogar an den steilen Abhängen, die oft bis zu zwanzig Meter tief ins Meer stürzen. Die Berge sind voller gefährlicher Felsspalten. Strand gibt es nur wenig. Der Mittelpunkt der Insel ist ein steil aufragender hoher Berg. Er hat das Aussehen eines Thrones. Die Bewohner nennen ihn den Oberhirten. Die schroffen Felsen sehen gefährlich und gruselig aus, so als wenn jeden Moment ein Gnom aus einer Spalte springen könnte. Aber ich lasse mich nicht abschrecken.

Gleich bei meiner Ankunft kaufte ich im Krämerladen für zwei Tage Vorräte. Der Besitzer erkannte mich sogar wieder, obwohl wir damals, bei meinem ersten Besuch, keine zehn Worte gewechselt hatten. „Auch wieder da?“, fragte er. So sind die Insulaner, immer sutje mit den jungen Pferden und bloß kein Wort zu viel.

Nun ist mein Zelt aufgebaut, ich liege gemütlich in meinem Schlafsack und bin glücklich. Mir geht die Spukgeschichte durch den Kopf, die es über diese Insel gibt. Wenn man die Bewohner direkt darauf anspricht, sagen sie: „Ach was, alles nur Spökenkram.“ Aber hinter vorgehaltener Hand erfährt man doch so einiges. „Woher kommt der Name Oberhirte?“, fragte ich damals. Keiner wollte mit der Sprache raus. Da das Wetter zu der Zeit kein „Zeltwetter“ war und keine Aussicht auf Besserung bestand, hatte ich mir ein Zimmer in der Pension gemietet. Am letzten Abend saß ich mit dem Pensionswirt zusammen und gab ein paar Runden aus. So langsam kam er in Stimmung und wurde redselig. Zuerst dachte ich, er sei betrunken, er erzählte etwas von Menschenopfern. Aber dann merkte ich, es war ihm ernst, todernst.

Früher, vor ca. 150 Jahren, wurden dem „Oberhirten“ wirklich noch Menschen geopfert, erzählte er. In der Sage heißt es, über Monate wäre nur schlechtes Wetter gewesen. Ständig Sturm, Hagel und Regen, mit ungewöhnlicher Kälte, und die Männer auf See waren seit zwei Wochen überfällig. Nur die Alten waren nicht auf Klippfischfang.

Eines Tages ging eine junge Frau zum Holzsammeln in Richtung Berg. Damals hatte er noch keinen Namen. Ihre beiden Kinder hatte sie dabei. Das Dritte wuchs in ihren Leib heran. Es war noch reichlich Zeit bis zur Geburt. Auf dem steinigen, glitschigen Weg rutschte sie aus und fiel unglücklich auf den Rücken. Sie merkte sofort, sie würde das Kind verlieren. Um ihre Kinder, sechs und acht Jahre, nicht zu beunruhigen, sagte sie unter starken Schmerzen: „Lauft und holt Hilfe. Ich habe mir wahrscheinlich das Bein gebrochen. Ich werde inzwischen zu Gott beten, dass er mir beisteht.“ Die beiden liefen los.

Als Hilfe kam, lag die junge Frau halb bewusstlos da. Sie hatte einen Teil von ihrem langen Rock abgerissen und etwas darin eingewickelt. Sie murmelte vor sich hin: „O Gott, du hast es so gewollt. O Gott, ich gebe es dir.“ Sie war nicht mehr ganz bei Sinnen, aber wollte auf keinen Fall, dass das Bündel vor ihren Füßen mitgenommen wurde. So ließ man ihr den Willen und brachte sie nach Hause. Schon auf dem halben Weg zurück hörte es auf zu regnen und die Sonne brach durch die Wolken. Die Regentropfen glitzerten wie Diamanten auf den Blättern, die Erde dampfte und wie auf Kommando begannen die Vögel zu singen.

Zu Hause wartete schon die Hebamme und untersuchte die Frau. Gott sei Dank hatte sie keine weiteren Verletzungen. Einen Tag Bettruhe, einen Trank zur Stärkung, und alles wäre wieder gut, meinte sie.

Mittlerweile war es Abend geworden und die Männer verabredeten, das Bündel am nächsten Morgen zu holen, damit man das zu früh geborene Kind würdig beerdigen konnte. Am nächsten Tag kam der kleine Trupp entsetzt zurück. Es war nichts mehr da. Gar nichts, nicht einmal ein Stofffetzen. Da es keine Wildtiere auf der Insel gab, war das ein absolutes Mysterium. Die alten Frauen waren sofort bereit, darin ein Wunder zu sehen. Sie beteten voller Inbrunst und Dankbarkeit, denn Sturm und Regen waren vorbei, die Sonne schien so verheißungsvoll vom Himmel wie selten. Zwei Tage später kamen alle Schiffe heil, mit gut gefüllten Laderäume zurück. Der gesamten Mannschaft ging es gut, keiner war krank. Sie erzählten einhellig, so einen dicken Nebel, über fast zwei Wochen, wie dieses Mal, hätten sie noch nie erlebt. Es war, als hätte uns der Nebel auf einen Fleck festgeklebt, erzählten sie. Wir kamen nicht voran. Bis vorgestern Nachmittag plötzlich die Sonne durch die Wolken brach und wir zurücksegeln konnten. „Daraufhin bekam der Berg den Namen Oberhirte, weil er ja alle behütet hätte“, erzählte der Wirt.

„Ja und was ist mit den Menschenopfern?“, wollte ich wissen.

„Na ja“, schmunzelte mein Pensionswirt, „ich habe das ja auch nur gehört. Aber es wird wohl was dran sein, so wie in jeder Sage ein bisschen Wahrheit steckt.“

Diese mystische Erzählung hatte mich nie losgelassen, ihretwegen war ich wieder her gekommen. Und morgen würde ich die Insel erforschen. Ich bin gespannt, was ich alles so auf dem Weg zum „Oberhirten“ entdecken werde.

In meinem Schlafsack denke ich an meine ersten Inseln. Ich liebe Inseln, fast bin ich selbst ein Insulaner. Mein Vater und meine Mutter sind geborene Insulaner und haben bis heute Verwandte auf ihren Inseln. Dadurch waren Mitte der 1960er Jahre unsere Urlaube wunderschön. Ich war damals fünf Jahre und mein Bruder zwei Jahre älter. Zu Ostern fuhren wir immer zu Mutters und im Sommer zu Vaters Verwandten. Auf Mutters Insel blieben wir immer zwei Wochen lang, bei unserem Opa und der Schwester unserer Mutter, Tante Wilma. Im Sommer waren wir dann sechs Wochen auf der Insel von Vaters Eltern.

„Deine sind auch viel reicher“, sagte meine Mutter jedes Mal spitz zu meinem Vater. Was stimmte, denn Vaters Insel war größer und unser Opa war Besitzer des Dorfkrugs und hatte außerdem noch den Krämerladen. Überhaupt, es gab dort eine Schule und mein Vater hatte Abitur machen dürfen, was damals selten war. Dann studierte er Maschinenbau, seine Eltern wollten, dass er einen anständigen Beruf hat.

Ja, mein Großvater war damals schon „eine moderne Mensch“: „Hier kannst du nicht bleiben, zu viel Grips im Kopp“, sagte er immer zu seinem Sohn. Da in den 1960er-Jahren alles aufwärts strebte, hatte mein Vater mit Maschinenbau den richtigen Beruf gewählt. Schnell hatte er auf dem Festland eine gute Anstellung gefunden.

Über Ostern blieb mein Vater immer nur eine Woche bei uns auf Mutters Insel. Erstens, weil Mutters Vater und ihre Schwester Wilma nicht gerade begütert waren, aber partout nix annehmen wollten und er ihnen finanziell nicht zur Last fallen wollte. Zweitens, weil mein Vater mit seiner Anstellung und Chance zum Aufstieg nicht mehr als zwei Wochen Urlaub im Jahr nehmen konnte und die teilte er sich auf. Jahre später erzählte er mir, er wäre ganz froh gewesen, ab und zu mal alleine und ohne diesen familiären Druck zu sein. Das habe ich erst als Erwachsener verstanden: Meine Mutter war eine sehr resolute Person und etwas eifersüchtig.

Wir kamen immer beladen wie die Packesel auf Mutters Insel an, mit köstlichen Sachen, die es dort nicht jeden Tag zu kaufen gab, Kaffee, Backpulver, Puddingpulver und Kakao, den hauptsächlich wir Kinder wieder wegtranken. Ein bisschen Sherry, Shampoo, Luxusseife und Cremes. Jeder trug einen Rucksack und unsere Eltern schleppten noch zwei großen Taschen.

So stapften wir im Gänsemarsch über den Deich zu Tante Wilma, nachdem uns Käpt’n Piet uns mit dem Boot rüber auf Mutters Insel gebracht hatte. Einen kleinen Teil der „Beute“, wie er immer nannte, was wir anschleppten, hatten wir schon am Pier gelassen: Für Onkel Paul Tabak und Fußballmagazine und für Else Filmzeitschriften. Niemand wusste, wie die beiden zur Familie gehörten, aber das war egal, denn damals waren wir alle eine große Familie auf der Insel.

Dann die Begrüßung bei Großvater und Tante, Heulen und Zähneklappern. Und immer: „Oh je, ihr bringt wieder viel zu viel“ und „Seid ihr groß geworden, ein bisschen dünn, aber das kriegen wir schon hin“ und „Oh Luise“ - das ist meine Mutter - „wie hübsch du aussiehst. Das schöne Kleid und die Frisur!“ Tränen, Stupsen, Umarmungen. Wilma zerfloss schier vor Freudentränen, als sie ihre Schwester fest umarmte. „Was für´n Tüddelkram“, sagte mein Opa Weiler und spuckte ins Gras.

Wir Kinder warfen als erstes unsere Rucksäcke ab. Da war immer nur Unzerbrechliches drin und ein wenig Wäsche. Viel brauchten wir ja nicht, man konnte jeden Tag waschen und durch den Wind war alles im Nu trocken. Eigentlich hing immer irgend etwas auf der Leine. Dann rasten wir los. „Wie die Hummeln“, brummelte mein Opa und wir wussten, das war ein Kompliment.

Oh, wir Kinder liebten die Inseln, schon die Überfahrt war ein einziges Abenteuer mit Käpt’n Piet. Er trug eine Mütze, auf der vorn ein goldener Anker war. Ab und zu durften wir die auch mal aufsetzen. „Halt sie ja fest“, knurrte er uns dann an. Wir hatten einen Heidenrespekt vor ihm. Er trug einen dicken blauen Troyer, denn zu Ostern war es meistens noch kalt auf See. Und im Mund den dicken Packen Priem. Damit konnte er zaubern. Immer empfing er uns mit den Worten: „Na, ihr Bleichgesichter, wieder unsere gute Inselluft wegschnuppern? Das könnte euch so gefallen, aber dieses Mal passen wir auf.“

Meine Eltern hatten die zwei Stunden während der Überfahrt frei, beide waren sowieso schon ganz erschöpft von der bisherigen Anfahrt. Erst mussten wir mit der Bahn und dann noch zwei Stationen mit dem Bus, bevor wir am Hafen waren. „Wir hätten wenigstens für das letzte Stück eine Taxe nehmen sollen“, jammerte meine Mutter jedes Mal, „dieses Geschiebe und Geschubse im Bus macht mich ganz verrückt. Und meine schöne neue Dauerwelle ist schon ganz zerdrückt.“

„Na ja, jetzt sind wir ja hier und haben noch zwei schöne ruhige Stunden vor uns“, war die Antwort meines Vaters. Dann kramte er immer ein kleines Fläschchen aus einer der Taschen und ging nach unten.

„Von wegen ruhig,“ entgegnete meine Mutter, „die See ist heute ganz schön rau“, und folgte ihm. Heute weiß ich, Vater und Mutter haben unter Deck rumgeschmust. Sie kamen immer leicht zerzaust und ganz entspannt später wieder an Deck.

„Ja, diese gute Seeluft“, lächelte mein Vater dann.

Kurz nach dem Ablegen sagte Käpt´n. Piet: „So, jetzt habt ihr die Verantwortung. Aber erst mal müsst ihr ein bisschen Dampf bei mir ablassen.“ Inzwischen waren seine Wangen kugelrund geworden, als wären sie kleine Luftballons, und er konnte kaum noch sprechen. Dann zeigte er uns, was wir tun sollten.

Jeder von uns musste in Abständen auf eine seiner Wangen drücken, aber ganz vorsichtig und aus einer gewissen Entfernung. Dann schoss auf der anderen Seite aus seinem Mund ein brauner Wasserstrahl heraus. Langsam wurden dann seine Wangen wieder flacher und seine Sprache wieder verständlich. Zu guter Letzt, wenn er wieder normal atmen konnte, holte er zwei Mal tief Luft und spuckte einen dicken braunen Klüten aus. „Jesus und Maria, schon wieder ein Stück von der Leber“, sagte er und nahm einen kleinen Schluck aus seiner Taschenflasche. Jeder Mann auf den Inseln trug so ein silbernes Fläschchen „mit Medizin“ bei sich. Obwohl sie gar nicht krank waren. „Reine Vorsorge“, so Käpt´n Piet.

Einer von uns beiden Kindern hatte dann die Aufgabe, „dieses Stück Leber der See zu opfern“. Wir hatten schon vorher mit „Schere, Stein, Papier“ ausgemacht, wer dieses Mal diese ehrenvolle Aufgabe erledigen durfte. Das war zu meinem Leidwesen immer mein Bruder, mittlerweile glaube ich, er kannte mich einfach zu gut. Denn ich nahm immer Stein und er Papier, ich war ja auch gut zwei Jahre jünger als er. Na ja, heute ist es mir egal, aber damals hätte ich auch gern mal „ein Stück Leber dem Meer geopfert.“

Die erste Woche auf Mutters Insel verlief immer turbulent, viel Besuch und Gegenbesuch. Kuchen mit dickem Rahm, Bratkartoffeln mit Speck, selbst gemachte Würste, Schinken und jeden Morgen ein Ei. Manchmal, wenn die Hühner viel gelegt hatten, durften wir am Nachmittag noch ein rohes Ei ausschlürfen. Tante Wilma stach oben und unten ein Loch mit der Stopfnadel und wir saugten, schlürften und schluckten. Wir waren darin Weltmeister.

Dann malten wir die leeren Eier für Ostern bunt an. Tante Wilma hatte tolle selbst angemischte Farben und war von jedem unserer Kunstwerke hell begeistert. Und wir stolz wie Oskar, schließlich war sie Kunstexpertin. Sie malte wunderschöne Bilder, mit Bambi und kleinen Enten, Engeln und Blumen, immer wieder Blumen. „Ihr seid schon eine Konkurrenz für mich“, sagte sie manchmal. Oft besuchten auch andere Kinder ihre Malstunde und hinterher gab es fast jedes Mal eine Farbschlacht auf der hinteren Terrasse. Die lag vor dem Seewind geschützt, dicke krumme Bäume auf der einen Seite, die große Scheune für die Tiere auf der anderen, da war es absolut windstill. Zu Ostern haben wir da immer gegessen und anschließend die Eier gesucht.

Die große Scheune war jedes Mal noch ein bisschen größer geworden, wenn wir kamen. Was meinen Opa Weiler mächtig stolz machte. Wenn die Nachbarn fragten „ Na Weiler, haste im Lotto gewonnen?“, grinste er nur.

Zu uns sagte er dann: „Ohne euren Papa wäre das gar nicht möglich. Ich habe einen wunderbaren Schwiegersohn, nicht so wie andere.“ Zum Schluss lachte er dann noch „Hä, hä.“ Und wir Söhne dieses wunderbaren Schwiegersohns sonnten uns unter dem Lob.

Im Gegensatz dazu sagte meine Mutter in Abständen zu ihrer Schwester Wilma: „Weißt du, auch mit Mann ist es nicht immer alles Honigschlecken. Andauernd diese Extrawünsche, warum ist mein blaues Hemd nicht gebügelt und wo ist mein roter Schlips und dann diese quirligen Bengel, andauernd stellen sie etwas an.“

„Aber“, sagte Tante Wilma, „sie sind doch so lieb.“

„Ja, hier sind sie lieb, ich sehe sie hier ja auch kaum. Aber auf dem Festland habe ich mehr zu tun, da habe ich obendrein ja noch die Arbeit. Sonst könnten wir uns das alles nicht leisten. Und wir möchten uns ein Auto kaufen, was meinst du, wovon wohl.“

Unser Haus in Stade hatte mein Vater selbst entworfen und viel Eigenarbeit reingesteckt. Das Haus war in Hanglage gebaut, zuerst sollten im unteren Geschoss nur das Büro meines Vaters und Kellerräume sein. Aber Frauen sind ja sehr erfinderisch, wenn sie etwas wollen.

Meine Mutter rechnete ihm auf meterlangen Zetteln vor, was sie alles verdienen könnte, wenn sie dort auch einen Raum für einen Frisörsalon bekäme. Dadurch würde sie auch leichter Kontakt zu den anderen Frauen finden und hier nicht versauern. Und überhaupt, schließlich hätte sie Frisör gelernt, um Geld damit zu verdienen.

„Ja, aber diese vielen Investitionen, das rechnet sich nicht“, kam der Einwand meines Vaters. Außerdem sein Status in der Firma - seine Frau hätte es schließlich nicht nötig zu arbeiten, wie sähe das aus! Die Kinder bräuchten die Mutter und, und, und.

Irgendwann gingen ihm die Argumente aus und am Ende hat sie gesiegt. Ist doch klar. Und so richtete er im Kellergeschoss einen kleinen Frisörsalon ein, mit riesigen Glasfenstern. Und deswegen mussten wir wie auf Samtpfoten schleichen, wenn Kundschaft da war.

Wir spielten aber sowieso viel lieber draußen. Pfeilkriegen oder Verstecken, das war damals noch möglich. Wir waren eine kleine Gruppe von acht Jungen, wir nannten uns Bande, haben uns aber nie auf einen gefährlich klingenden Namen einigen können. Ich glaube, wir waren auch nicht gefährlich. „Mehr Angst als Vaterlandsliebe“, sagte mein Vater immer. Er blieb total cool, als wir zu acht in den Stall von Bauer Meier geschlichen waren und die Kühe reiten wollten, was eine Panik unter den Viechern auslöste, weshalb der Bauer ausflippte und meine Mutter völlig aufgelöst bei Vater in der Firma anrief. Er fragte uns am Abend nur, ob einer von uns es auf eine Kuh rauf geschafft hätte - was natürlich nicht der Fall war.

In der zweiten Woche der Osterferien, ohne Vater, durfte meine Mutter sich auf der Insel austoben und sich ganz ihrem Beruf widmen. Die Inselfrauen freuten sich schon das ganze Jahr darauf. Ihre feste Ausstattung, Wickler und aufblasbare Trockenhaube, ließ Mutter immer auf der Insel und brachte nur jede Menge Tuben mit Creme zum Färben, Dauerwellmittel und viele neue Frisurvorschläge aus Zeitschriften mit. Filmstars zeigte sie besonders gern als Vorbilder. Sie strotzte nur so vor Ideen, wenn sie mit Tante Wilma und ihren vielen Tuben und Fläschchen loszog.