Zurück ins Leben - Rena Brauné - E-Book

Zurück ins Leben E-Book

Rena Brauné

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Beschreibung

In fast jeder Familie gibt es ein schwarzes Schaf. Nur selten dringt es an die Öffentlichkeit. Und wenn die Familie genug Geld hat wird es unter den Teppich gekehrt und vertuscht. Bis das Fass überlauft und es jemand nicht mehr erträgt. Dann kann es passieren, dass die eigene persönliche Gerechtigkeit ausgeübt wird. In diesem Buch verfolgt und quält es Friedemann vier lange Jahre , bis er erlöst wird. Und nur durch die Liebe und Zuwendung von seiner Fastfamilie und Freunden findet er wieder zu sich selbst und kann sein Schicksal akzeptieren.

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Die Personen, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen:

Inhalt

Prolog

Schreckliches Erwachen

Friedemanns Kindheit

Die Zeit im Internat

Familie Schönermann

Nur weg, nach Hause zu Sonny und Uwe

Friedemanns Studienzeit

Komplizierte Trennung

Purer Egoismus des Sohnes

Sommertradition am See

Sonja ist gekommen

Der Wendepunkt

Die Reederei wird verkauft

Eine ungeheuerliche Tat

Die Abrechnung

Die Heimkehr

Prolog

Dieses Mal würden die Geldeintreiber ihn umbringen, wenn er seine Spielschulden bis Ende des Monats nicht zahlte. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Das Treffen mit seiner Tochter Alice würde seine letzte Chance sein, um das Geld aufzutreiben. Seit dem Tod seiner Mutter, die alle seine bösen Taten tief in ihr Herz verschlossen hatte, gab es keine finanzielle Unterstützung mehr für ihn. Seine Schwestern würden ihn sowieso lieber tot als lebendig sehen.

Wut stieg in ihm auf. Seiner Meinung nach war nur die Familie schuld an seiner Misere. Immer war er kurz gehalten worden. Immer hatte das Geschäft im Mittelpunkt gestanden. Die Reederei Schönermann war geradezu eine heilige Kuh.

Bei der Liebe der Eltern wurde er übergangen, nur seine Schwestern bekamen alles. Auch später fühlte er sich enttäuscht von seiner Frau und Tochter. Dass seine Tochter Alice ihm jetzt freiwillig einen sehr hohen Geldbetrag geben wollte, war die größte Überraschung seines Lebens gewesen.

Aber das Geld würde nicht ausreichen für seine Schulden. Er musste auch an das Haus am See kommen. Nur dann wären seine Geldsorgen verschwunden und sein Überleben gesichert.

Seinen Enkel Friedemann würde es zwar hart treffen, dass er das Haus nicht erben würde. Aber was ging ihn Friedemann schon an. Von ihm wusste er nicht mehr, als dass er seine Mutter Alice vergötterte. Und als junger Mann so auf seine Mutter fixiert zu sein, das war doch sowieso nicht normal. Wer weiß, was sich noch alles abspielte?

Aber was sollte er sich Gedanken darum machen, wichtig für ihn war nur, dass sein Plan für das Treffen mit Alice aufgehen würde.

Und wenn sie nicht freiwillig alles gab, würde er einfach etwas nachhelfen. Das hatte ja auch bei seiner Frau schon funktioniert. Skrupel kannte er nicht. Nur er war wichtig, nur er!

Schreckliches Erwachen

Laut schrillt der Wecker. Ein stechender Schmerz durchzuckt Friedemanns Kopf. Er tastet zur Uhr und stellt das grelle Klingeln ab.

Der verdammte Schmerz überschwemmt ihn mit einer Welle von Übelkeit. Wieder Migräne.

Friedemann kennt diese Anfälle, aber er will das alles nicht noch einmal durchmachen müssen. Die Zeit der nicht auszuhaltenden Schmerzen war ihm noch zu gut in Erinnerung. Jeden Tag und oft noch in der Nacht hatten ihn die Schmerzen überschwemmt. Seit zwei Jahren hatte ihn, Gott sei Dank, die Migräne kaum mehr geplagt. Er war dadurch ein anderer Mensch geworden. Wieso war das „Untier“, wie er es im Stillen bei sich nannte, zurückgekehrt?

Vorsichtig greift er an seinen Kopf, um sofort mit einem erstaunten Aufschrei die Augen aufzureißen und seine Hand anzustarren. Was er zu fühlen geglaubt hatte, bestätigt sich, er hat Blut an der Hand.

Obendrein starrt sie vor Dreck.

Friedemann versucht sich aufzurichten, muss sich aber sofort wieder zurück auf sein Kissen sinken lassen. Ein starker Schwindel erfasst ihn, sodass er sich an seine Bettdecke klammert und mit tiefen Atemzügen versucht, sich zu stabilisieren.

Was ist mit ihm los? Er fühlt sich völlig hilflos. Nichts ist so, wie es sein soll. Beim Öffnen der Augen hatte er festgestellt, die Sonne scheint in sein Schlafzimmerfenster.

Schon das ist eine Sache der Unmöglichkeit, denn jeden Abend gibt es für ihn das gleiche Ritual: Fenster schließen, das Rollo herablassen, sodass das Licht der Straßenlaterne nicht bei ihm hereinscheinen kann. Danach legt er sich die Kleidungsstücke für den nächsten Tag zurecht. Auch da gibt es strenge Regeln: Für jeden Tag gibt es eine bestimmte Farbe für seine Krawatte und davon weicht er nie ab. Immer dezent. Nur am Sonntag ist er etwas frivol und trägt eine karierte Fliege und bändigt seine wilden Locken nicht mit Gel. Er braucht strenge Abläufe und alles muss eingeteilt sein, sonst kommt sein Leben erfahrungsgemäß völlig aus der Bahn.

Nachdem sich der Schwindel gelegt hat, öffnet Friedemann vorsichtig blinzelnd wieder die Augen. Tatsächlich, das Fenster ist noch halb geöffnet und das Rollo nicht herunter gezogen. Was ist hier los?

Der stechende Schmerz in seinem Kopf ist unerträglich und jetzt, wo er vorsichtig aus dem Bett steigt, rollt wieder eine Welle der Übelkeit über ihn hinweg. Er schaut an sich herunter und was er sieht, lässt ihn vor Entsetzen taumeln. Er trägt noch seine Sportkleidung von gestern Abend, von seiner täglichen Fahrradtour. An jedem Nachmittag, gleich nach Feierabend, fährt Friedemann mindestens eine Stunde mit dem Fahrrad in den nahe gelegenen Wald und von da aus bis zur kleinen Klinik und dann in einem großen Bogen zurück. Das braucht er für sein körperliches und seelisches Gleichgewicht. Er hat sich angewöhnt, seine Kamera mitzunehmen. So manch schöner oder komischer Schnappschuss ist schon dabei herausgekommen. Nur Menschen fotografiert er nicht mehr, seit seine Mutter fort ist. Er weiß, es ist Blödsinn, aber er ist abergläubisch und denkt oft, vielleicht habe ich sie zu oft fotografiert und damit ihre Seele belastet.

Schwankend klammert sich Friedemann am Türrahmen des Badezimmers fest. Mit Schaudern sieht er sich seinen Zustand genauer an. Seine Sportkleidung ist total verdreckt und blutig. Der Schmutz klebt teilweise dick verkrustet an seiner Hose und beim näheren Hinsehen entdeckt er Gras und Tannennadeln darin. Seine Hände sind zerkratzt und bis über die Handgelenke schwarz vor Dreck. Eine Schlammspur führt von der Tür ins Schlafzimmer, seine Turnschuhe liegen mitten im Raum herum.

Ein Unfall, ich muss einen Unfall gehabt haben, denkt er. Es gibt keine andere Möglichkeit. Oder hat man mich überfallen?

Was ist passiert? Habe ich etwas getan? Ich kann mich an nichts erinnern. Nie hätte ich mich bei klarem Bewusstsein verschmutzt ins Bett gelegt, dafür bin ich viel zu pingelig mit meinen Sachen. Ich kann in Schmutz und Dreck nicht leben, das weiß ich genau. Seit ich damals mit den Händen in der Erde gewühlt habe und sie nicht wieder befreien konnte, ekele ich mich davor.

Als er sich Badezimmerspiegel sieht, schreit er entsetzt auf. Eine dicke, blutige Schramme zieht sich von der Stirn bis hinunter zum Kinn. Seine Augen wirken riesig und beim näheren Hinsehen sieht es aus, als wenn um seine Augenpartie Asche geschmiert wäre. Auch seine Haare starren vor Schmutz, Tannennadeln und Gras, genau wie seine Sportkleidung.

Er denkt fieberhaft nach: Wo bin ich nur gewesen, was habe ich gestern gemacht?

„Wer bist Du?“, schreit er sein Spiegelbild an.

„Das bin nicht Ich! Nein, das kann ich nicht sein. Ich bin ein ordentlicher, sauberer, ehrlicher Mann. Ja, das bin ich!“, setzt er entschlossen hinzu.

Er dreht den Wasserhahn auf und hält seinen Kopf darunter. Mit Erleichterung sieht er den Dreck und das Blut im Abfluss verschwinden. Aber seine Gedanken werden auch nach dem kalten Guss zum Abschluss nicht klarer, im Gegenteil, es meldet sich wieder diese schrille Stimme in seinem Kopf, die er so oft in den Jahren zuvor hatte hören müssen: „Du und anständig und ehrlich! Dass ich nicht lache. Du weißt doch genau, was du getan hast. Denk an deine Mutter! Oder muss ich dich an Einzelheiten erinnern? Lalelu, nur der…“, singt die Stimme heiser.

„Nein, nein, geh weg! Ich kann das nicht noch einmal ertragen,“ brüllt Friedemann. Er klopft sich auf den Kopf, zieht an seinen Ohrläppchen und schlägt sich kräftig auf die Wangen. Da, die Stimme ist still.

Erleichtert geht er zum Schrank, um sich seine Kleidung für den Tag herauszusuchen.

Welcher Wochentag ist heute? Wenn heute Mittwoch ist, muss ich die grün gestreifte Krawatte nehmen. Rosa würde schön dumm gucken, wenn ich mit einer falschen Krawatte bei ihr aufkreuzen würde. Sie weiß genau über meine Gewohnheiten Bescheid und macht oft ihre Witze darüber. Ich höre sie schon sagen: „Ach, ich sehe heute ist Dienstag, mein liebster Brüno. Ohne dich und deine Krawatten wüsste ich oft nicht, welcher Tag gerade ist.“ Rosa nennt ihn immer Brüno, spricht den Namen französisch aus, Brüno statt Bruno. Um ihn dann schelmisch anzugrinsen. Auch das Zusammentreffen mit Rosa gehört zu Friedemanns Ritualen.

Jeden Morgen geht er in das Café gegenüber seines Wohnhauses. Gleich nachdem er hier eingezogen war, war er rüber gegangen, hatte sich ein Croissant gekauft und sich seine Thermoskanne mit Kaffee füllen lassen. Fremdes Geschirr konnte er beim besten Willen nicht benutzen, davor grauste es ihn. Und gleich an diesem ersten Tag hatte ihn Rosa ins Visier genommen. Sie hatte ihn prüfend umkreist, in sein Gesicht geschaut und zustimmende Laute von sich gegeben, bevor sie sagte: „Endlich mal ein gutaussehender Neuzugang. Und jung, lass mich raten, fünfundzwanzig Jahre? Und diese schwarzen Haare, ich wette, dass Du wilde Locken hast, wenn Du das Gel weglässt. Und Deine Augen, so dunkel wie ein Franzose.

Wie heißt Du?“

Friedemann hatte gerade seinen zweiten Vornamen Eric sagen wollen, denn niemand sollte ihn mehr Friedemann nennen, aber er war völlig überrumpelt und bekam seine Stimme nicht unter Kontrolle. Da legte Rosa schon wieder los: „Du heißt Brüno, ich weiß es, es muss etwas Französisches sein. Pierre, komm mal schnell her, ich möchte dir Brüno vorstellen.“ Pierre hieß eigentlich Peter, aber auch ihn hatte Rosa, die alles Französische liebte, umbenannt.

Pierre grinste Friedemann an, klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte: „Willkommen im Club. Bei Rosa muss alles, was sie mag, französisch sein. Mach dir nichts draus!

Solange wir uns keinen Schnurrbart wachsen lassen müssen oder eine Baskenmütze tragen, um echter zu wirken, ist alles in Ordnung. Zu Rosas Lieblingen zu gehören, das hat nur Vorteile, denn sie kennt hier jeden und hat immer einen guten Rat parat.“

So war Friedemann zu "Brüno" avanciert und in den Kreis von Rosa und Pierre aufgenommen. Er war zwar keine fünfundzwanzig mehr, sondern stand kurz vor seinen dreißigsten Geburtstag, aber das hat er nie richtiggestellt bei Rosa. Sein Alter hatte für ihn nie ein Rolle gespielt, dafür hatte er viel zu viel Zeit seines Lebens verloren, zwei ganze Jahre, schreckliche zwei Jahre, in denen er nicht gelebt hatte. Daran wollte er nie mehr denken.

Rosa und Pierre gehörte das Café, sie waren aber kein Paar. Das Geschäft lief gut, dank Rosas netter, lustiger Art. Für jeden hatte sie ein Lächeln oder einen Spruch parat.

Aber in ihre Seele ließ sie niemanden blicken.

Nur zu Brüno hatte sie mal im Vertrauen gesagt: „Ich weiß, du schleppst auch eine schwere Last mit dir herum, genau wie ich.“

Manchmal, wenn Pierre zu viel gekocht hatte und Friedemann am Abend von seiner Radtour zurück kam, baten sie ihn, mit ihnen zusammen zu essen. Friedemann hatte den Verdacht, dass Pierre absichtlich mindestens einmal im Monat zu viel von seiner wunderbaren Zwiebelsuppe oder dem Gulasch kochte, um ihn einladen zu können.

Für Friedemann blieben diese Einladungen immer etwas ganz besonderes. Die Stimmung war gelöst, er fühlte sich ein bisschen zugehörig zu den beiden und in dieser familiären Atmosphäre hatte er auch keine Schwierigkeiten, von einem fremden Teller zu essen. Sie redeten über Gott und die Welt.

Nur nicht von ihrer Vergangenheit, das war für alle drei ein unausgesprochenes Tabuthema.

Friedemann kam es sehr gelegen, dass die Vergangenheit bei diesen Einladungen kein Thema war, denn was hinter ihm lag, wollte er nur noch vergessen.

Es gab tatsächlich nicht viel, woran er sich gerne hätte erinnern mögen. Auf jeden Fall weder an die Urgroßmutter noch an das Haus am See, in dem er aufgewachsen war. Auch nicht an Alice, seine schöne Mutter mit ihrer wunderbaren, volltönenden Stimme, die für klassische Partien genauso gut geeignet war wie für Chansons. In der ganzen Welt war sie aufgetreten.

Friedemanns Kindheit

Schon als Baby war Friedemann bei den Auftritten seiner Mutter hinter der Bühne gewesen, auf dem Arm seines Kindermädchens Sonja. Nie hätte er dann geweint, wurde ihm erzählt.

Sonja war aus Schweden, sie war als Aupair-Mädchen zu ihnen nach Hamburg gekommen und geblieben, weil sie hier bei einem von Alices Konzerten ihre große Liebe gefunden hatte. Uwe war Tontechniker und bei den beiden hatte die Liebe wie ein Blitz eingeschlagen. Damit sie in Hamburg bei Uwe bleiben könnte, hatte Sonja Alice um Entlassung aus ihrem Arbeitsvertrag gebeten, mit Tränen in den Augen, weil sie Friedemann und ihre Arbeit auch liebte, nur eben anders.

Friedemanns Mutter war völlig ratlos, denn nur Sonja war es zu verdanken, dass ihr Leben reibungslos lief. Sie hatte alle Termine, den Haushalt und das Baby Friedemann voll im Griff, obwohl sie noch so jung war. Wie sollte sie auf Sonja verzichten können? Alice wusste aber gleichzeitig, dass man gegen die Liebe nichts machen kann, und sie Sonja würde gehen lassen müssen.

Dass es nicht so weit kam, war Alices Großmutter zu verdanken, also Friedemanns Urgroßmutter. Seine eigenen Großeltern, Alices Eltern, kannte er kaum. Alices Mutter kam im Sommer zwar gelegentlich zu Besuch an den Starnberger See, aber ihren Vater bekam er überhaupt nicht zu Gesicht. Nur manchmal hörte er, wie über ihn gesprochen wurde, aber wenn Friedemann in die Nähe kam, schwiegen alle.

Friedemanns Urgroßmutter sorgte dafür, dass auf ihrem Anwesen am Starnberger See das Gartenhaus umgebaut wurde, damit es ständig bewohnbar war. Dort konnten Sonja und Uwe wohnen und für Uwe ließ sie in dem Haus nach seinen Plänen ein Tonstudio einrichten. So würde er mit Alice dort Aufnahmen produzieren können. Außerdem war Uwe ein geschickter Handwerker und würde kleinere Reparaturen auf dem Anwesen übernehmen können. Friedemanns Urgroßmutter ging sogar so weit, dass sie den beiden eine wunderschöne Hochzeit ausrichtete.

Und so begleitete Sonja auch nach ihrer Heirat Alice zu ihren Auftritten. Sie waren so vertraut miteinander, dass sie auch Schwestern hätten sein können. Oft musste Sonja Alice beruhigen, wenn die zweifelte, ob sie die nächste Tournee überhaupt durchstehen würde. Alice weinte dann und schimpfte auf sich und auf die Welt. Sonja tröstete und backte einen Kuchen und wenn Uwe dann mit einer Aufnahme kam, die sie in letzter Zeit aufgenommen hatten, und ihr versicherte: „Wow, Du bist so gut wie noch nie!“, dann, ja dann war die Welt für Alice wieder im Lot.