Die Täuschung - Rena Brauné - E-Book

Die Täuschung E-Book

Rena Brauné

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Beschreibung

Die Täuschung zeigt wie das äußere eines Menschen täuschen kann. Ein schönes Gesicht, ist wie eine Larve und kann vieles verbergen. Familie und ihr Zusammenhalt, gegen Lügen und Bösartigkeit . Ein Schriftsteller gerät in tödliche Gefahr weil er seiner Jugendliebe nichts Böses zutraut und ihr helfen will.

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Zur Autorin

Das Funkeln eines Schmuckstücks kommt oft aus einem kaum bemerkten Detail. Diese Erkenntnis hat Rena Brauné aus ihrem Beruf als Schmuckdesignerin in ihre Lust des Schreibens mitgenommen. In Portugal begann es, als sie und ihr Mann von der Schönheit eines abgelegenen Tals so begeistert waren, dass sie dort sechzehn Jahre ihres Lebens verbrachten. Hier entwickelte sich ihre Leidenschaft für das Schreiben. Mittlerweile lebt Rena Brauné in Norderstedt – und schreibt zur Freude ihrer Leser*innen immer noch!

Nachdem Pauls Jugendliebe Bella sich mit Gerd zusammengetan hat, wird der in seiner Eifersucht zur Bedrohung für Pauls ganze Familie. Darum verlässt Paul Deutschland. In einem italienischen Bergdorf findet er eine neue Heimat. Acht Jahre später kehrt er in die Stadt seiner Kindheit und Jugend zurück, weil Bella in einen Mord verwickelt sein soll und er ihr beistehen will. Dass er dadurch selbst in Lebensgefahr geraten würde, hat er nicht geahnt.

Die Geschichte mit ihren Personen, Namen, Handlungen und Ereignissen ist frei erdacht. Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit sind zufällig und unbeabsichtigt.

Inhalt

In die Falle getappt

Der Geburtstagsempfang

Mein Auslandsjahr

Was ist mit Bella passiert?

Die Leute reden

Meine Eltern

Meine Brüder und ich

Treffen mit Bella

Bella

Gerd

Deutschland, ade!

Mein Leben in Italien

Rosas Leben

Ein wunderbares Angebot

Meine Eltern kommen

Ich entdecke Geheimnisse

Luisa und ich

Mit Bella in Hamburg

Raul

Mathias' Auftritt

Bittere Gewissheit

In die Falle getappt

Es kommt mir vor, als ob ich aus einem tiefen schwarzen Gewässer an die Oberfläche auftauche.

Beim Versuch, tief einzuatmen, schießt mir ein scharfer Schmerz durch den Kopf. Ich bekomme keine Luft, mein Mund muss mit einem festen Pflaster zugeklebt sein. Mühsam atme ich durch die Nase. Über meine Augen ist ein kratziges Tuch gebunden und beim Versuch, mich zu bewegen, spüre ich, dass meine Hände und Füße gefesselt sind. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.

Blind und stumm, wie ein Paket verschnürt, zum Versand bereit, geht es mir durch den Kopf. Nur nicht zeigen, dass du schon wach bist, rede ich mir gut zu. Atme weiter vorsichtig durch die Nase und nur keine Panik! Deine Leute werden schon rechtzeitig kommen, um dich zu befreien. Wir hatten schließlich alles durchgesprochen, was passieren könnte, alle müssten also auf ihrem Posten sein.

Aber dass Gerds Reaktion so schnell auf meine Andeutungen erfolgen würde, damit hatte keiner von uns gerechnet. Warum hatte ich auch mal wieder meine große Klappe nicht halten können!

Dabei fehlten mir immer noch die Beweise. Vieles hatte ich zwar durch meinen Spürsinn und durch richtige Fragestellungen herausgefunden, aber das waren eben nur Indizien, Vermutungen und Zeugenaussagen - das letzte Tröpfchen Wahrheit fehlte noch. Darum hatte ich Gerd provoziert und beiläufig erwähnt: „Ich glaube, jetzt habe ich das Rätsel gelöst. Manchmal habe ich aber auch ein Brett vor den Kopf, erst beim Lesen meiner Notizen fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Absolut clever gemacht und nicht zu beweisen!“

Kein Muskel hatte in seinem Gesicht gezuckt, als ich das sagte, soviel Selbstbeherrschung war schon bewundernswert. Zynisch hatte er stattdessen entgegnet: „Was hast du Schreiberling dir denn da schon wieder aus den Fingern gesaugt? Du schreibst doch nur Mist, dass weiß doch jeder.“

Die Welle von Hass, die von ihm ausging, konnte ich fast körperlich spüren. Am liebsten hätte er mich wohl auf der Stelle erwürgt, so sehr zuckte es in seinen Händen. Aber der Wochenmarkt am Samstag in unserer Kleinstadt ist kein guter Ort für Gewalttätigkeiten. Lange hatte er sich aber nicht beherrschen können, denn gleich in der folgenden Nacht wurde ich niedergeschlagen und verschleppt.

Wer außer ihm sollte sonst schon ein Interesse daran haben?

Wie lange ich hier schon liege, das weiß ich nicht. Aber die feuchte Kälte, die langsam an mir hochkriecht, lässt mich vermuten, dass es schon einige Stunden sein müssen. Wohin bin ich verschleppt worden? Was hat er mit mir vor? Eines allerdings weiß ich genau: Er will an meine Unterlagen. Er würde sie ohne mich nicht finden, denn das Versteck war bombensicher. Ich weiß nur nicht, wie ich reagieren würde, falls er mich quält, schlägt oder tritt. Vielleicht würde ich doch das Versteck preisgeben, wenn er hart genug zuschlägt, denn brutale Gewalt und Schmerzen kann ich nicht ertragen. Aber mir ist auch klar, wenn ich ihm das Versteck verrate, bin ich wenig später tot.

Ich kann also nur darauf hoffen, dass meine Retter ihn auf frischer Tat erwischen, bevor es zu spät für mich ist.

In diese meine misslichen Lage bin ich natürlich nicht gekommen, weil ich als Schriftsteller noch berühmter werden will. Nein, IHR will ich helfen, damit sie sich endlich aus ihrem tyrannischen Joch befreien kann. Für SIE ertrage ich die Schmerzen, die jetzt durch meinem Kopf rasen, und für SIE würde ich vielleicht auch seine weiteren Gewalttätigkeiten aushalten, die mit Sicherheit kommen werden. Ich weiß ja, dass er nicht zimperlich beim Zuschlagen ist. Nur wie gesagt: Ich bin ein Feigling, was körperliche Gewalt und Schmerzen angeht, dann könnte ich für nichts garantieren.

Vorsichtig versuche ich mich auf die Seite zu rollen. Sofort bekomme ich einen Tritt in die Rippen, der mich nach Luft japsen lässt. „Du Sauhund bleibst ganz ruhig liegen“, herrscht er mich an, „ich nehme dir jetzt den Klebestreifen vom Mund, damit du sagen kannst, wo deine Unterlagen sind.

Schreien wird dir nichts nützen, hier hört dich keine Sau.“ Dann mit fast schmeichelnder Stimme: „Wenn du die Unterlagen herausgibst und sagst, wo sich das Geld befindet, bist du frei. Du hast dir das alles selbst zuzuschreiben, was steckst du auch überall deine Nase rein und löcherst die Leute mit Fragen.

Du musstest ja unbedingt schlafende Hunde wecken. Niemand hatte einen Verdacht.“

Mit einem Ruck wird mir das Klebeband vom Mund gerissen. Ich keuche und sauge gierig die Luft ein. „Wasser“, stoße ich mühsam hervor, „bitte Wasser!“ Jedes Wort sticht und kratzt in meiner Kehle. Ich kann kein weiteres Wort mehr herausbringen und fühle mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mit festem Griff werde ich aufgerichtet und an eine Wand gelehnt. Vorsichtig werden mir kleine Schlucke Wasser eingeflößt. Er weiß genau, was er tut, denke ich, wenn er mir zu viel auf einmal eintrichtern würde, könnte ich mich verschlucken und würde vielleicht nicht mehr sprechen können.

Ich muss Zeit gewinnen. Darum tue ich so, als müsse ich mich übergeben und winsele mühsam:

„Toilette, schnell.“ Allein schon diese Aktion lässt den Schmerz in meinem Kopf wieder explodieren und mich aufstöhnen.

Als der Schmerz langsam abklingt, glaube ich Getuschel zu hören. Nein, das kann nicht sein.

Sicher war es nur das Geräusch der Plastikflasche.

Mit wem soll er schon hier sein? Ich kann mir niemanden vorstellen, der sich mit ihm zusammentun oder dem er trauen würde.

Ein Tritt gegen das Schienbein ist Gerds Antwort auf meine Bitte. „Von wegen Toilette“, sagt er mit schneidender Stimme, „du machst jetzt dein Maul auf. Meine Geduld ist langsam zu Ende. Schon immer wollte ich dir zeigen, was für eine jämmerliche Gestalt du bist. Berühmter Schriftsteller? Dass ich nicht lache! Du bist nichts und du hast nichts! Oder bist du etwa reich? So wie ich? Nein, entschuldige, ich vergaß, Geld braucht so ein Schöngeist wie du ja nicht. Aber ICH und ich will das Geld meiner Alten, das steht mir zu, schließlich habe ich jahrelang gekuscht. Und du sagst mir jetzt, wo es ist, und deine sogenannten Beweise will ich auch haben. Los, mach die Schnauze auf!“ Seine Stimme überschlägt sich.

Nachdem er endlich mit seiner Hasstirade fertig ist und mich in Ruhe lässt, meine ich erneut, Getuschel zu hören, und nicht nur das: Ein zarter Parfümgeruch weht jetzt zu mir herüber.

Diesen Duft kenne ich nur zu gut. Nein, das ist unmöglich! Das kann nicht sein, dieses Parfüm tragen doch viele Frauen, rede ich mir ein und schiebe den Verdacht weit weg. Bloß nicht hysterisch werden!

Langsam lasse ich mich zur Seite kippen, tue so, als wenn ich nicht ganz bei mir sei, und brabbel vor mich hin. Unsanft werde ich wieder aufgerichtet und eine Ladung Wasser landet in meinem Gesicht.

Nun nehme ich den Parfümduft intensiver wahr.

Wenn das eine Sinnestäuschung ist, dann muss es mir wirklich schlecht gehen! Aber allmählich dämmert mir, dass ich einfach ein Idiot gewesen bin. Ich bin voll in die Falle getappt.

In meinem Inneren entflammt Wut. Wut über mich selbst und meine Dummheit. Alle hatten sie mich gewarnt, aber ich hatte keinem geglaubt.

Meine Eltern, meine Brüder und alle Freunde hatten versucht, mich zu überzeugen, dass ich zu gutgläubig sei. Sie hatten mich inständig gebeten:

„Halte dich von denen fern. Es ist viel schlimmer, als du es dir vorstellen kannst. Du hast früher schon ihre Bösartigkeit nicht erkannt. Aber in den acht Jahren deiner Abwesenheit ist es noch viel schlimmer damit geworden.“

Alle ihre Beschwörungen und Argumente hatten mich nicht davon abgehalten, die Leute weiter mit Fragen zu löchern. Ich hatte überall gebohrt, Fakten zusammengetragen und so manche Theorie entwickelt, wie es passiert sein könnte und worum es eigentlich gegangen war. Nun ist auch mir klar, ich hatte mich einfach über- und die beiden unterschätzt. Dadurch sitze ich jetzt in der Patsche.

Wenn sich mein Verdacht mit dem Duft bestätigen würde, wäre ich verloren. Dann wäre ich schon vor langer Zeit ihren Lügen und Intrigen aufgesessen und von ihr wie ein Tanzbär durch die Arena geführt worden.

Bevor ich es verhindern kann, platzt es aus mir heraus: „Wer ist bei dir? Du bist doch nicht alleine, Gerd. Das schaffst du doch gar nicht allein. Du bist doch viel zu schwach und ich habe euch außerdem tuscheln gehört.“ Wie kann man nur so dumm sein, tadele ich mich sofort im Stillen, du bringst dich doch nur noch mehr in Gefahr. Aber ich hatte mich nicht bremsen können, es musste einfach raus, denn in mir kocht die Wut auf Höchststufe.

Wieder wird getuschelt, dieses Mal schon etwas lauter und eine der Stimmen ist eindeutig weiblich.

Wer das ist, da bin ich mir zwar immer noch nicht sicher, aber zu dem Duft fällt mir leider nur ein einziges Gesicht ein.

Gerds Stimme ist zunehmend aggressiver und lauter geworden. Jetzt schreit er die Frau an: „Dann erzähle ihm doch alles, wenn du so schlau bist.

Aber dann auch wirklich alles, von Anfang an. Auch, dass wir alles zusammen geplant haben. Und wie willst du ihn davon abhalten, uns nicht zu verpfeifen? Aber noch einen Mord lasse ich mir nicht unterschieben. Das musst du allein auslöffeln.

Aber du weißt ja immer alles besser und dachtest, du hättest ihn am Band. Hahaha!“

Klatsch und noch einmal Klatsch. Das waren zwei kräftige Ohrfeigen. „Warum hast du ihm überhaupt die Augen verbunden, wenn du hier alles ausplauderst“, fragt sie mit scharfer Stimme.

Also doch SIE, die Stimme lässt keinen Zweifel!

Dann ihre hastigen Schritte, die sich entfernen, und eine Metalltür wird mit so viel Wucht zu geknallt, dass über mir Scheiben von einem Glasdach bedrohlich klirren. Jetzt ahne ich, wo wir uns befinden, es muss die alte Lagerhalle der Firma sein, die Gerds Eltern gehört hat und schon seit Jahren nicht mehr gebraucht wird. Zum Glück habe ich die auch für meine Retter auf die Liste der möglichen Orte gesetzt, an die mich mein Entführer vielleicht bringen würde.

Bis meine Retter kommen, muss ich versuchen, aus den beiden so viel wie möglich über ihr Verbrechen herauszukitzeln. Vielleicht gelingt es mir ja, die beiden gegeneinander auszuspielen, denn das Beste wäre natürlich, wenn sie sich richtig in die Wolle kriegen würden. „Schlau, dass ihr mich hier in die alte Lagerhalle gebracht habt. War das ihre Idee? Nein, das kann nicht sein. Du musst sie gezwungen haben, denn schließlich will sie mit mir weg gehen. Mit MIR und nicht mit dir. Sie will alles hinter sich lassen und dazu gehörst auch DU! Sie hat mir erzählt, wie schlecht und gemein du sie behandelst. Wir haben Pläne und jetzt, wo ich weiß, wo das Geld versteckt ist, bin ICH ihr Favorit. Selbst wenn sie dir was anderes erzählt, dass ihr zusammengehört und sie mich nur aushorchen will, glaub ihr das bloß nicht! Das kannst Du dir doch nicht gefallen lassen, denn was hast Du für sie nicht alles auf dich genommen!“

„Halts Maul, du willst mich nur verrückt machen.

Ich weiß, dass meine Frau, hörst du, MEINE Frau zu mir steht! Nie würde sie mit dir weggehen. Das haben wir alles gemeinsam geplant, wie wir dir Honig ums Maul schmieren, damit du für uns herausfindest, wo die Alten das Geld versteckt haben!“ Zur Bekräftigung seiner Worte bekomme ich noch einen Tritt in die Rippen und das stoppt erst einmal meinen Redefluss.

Ich schnappe nach Luft, die Schmerzen sind höllisch. Hoffentlich hat sich die Verkabelung nicht gelöst, sonst würden die Polizei und meine Brüder nichts mehr mithören können. Das Mikro hatten die zwei bei meiner Entführung zum Glück nicht entdeckt, sie waren wohl ziemlich kopflos gewesen, anscheinend hatte ich sie regelrecht aufgescheucht.

Aber ich muss trotz meiner Schmerzen die beiden weiter in Rage bringen, damit sie in ihrer Wut alles ausplaudern. Schließlich braucht die Polizei handfeste Beweise für ihr Verbrechen und auch für das, was sie in der Vergangenheit getan haben.

Mühsam sage ich: „Du glaubst doch nicht, dass sie das Geld mit dir teilen will. Im Gegenteil, ich kenne ihre Pläne, wenn sie das Geld hat, ist sie sofort weg und dich hängt sie bei der Polizei hin. Sie hat alles so raffiniert eingefädelt, dass sogar ich am Anfang darauf reingefallen bin. Schon seit Jahren hat sie darauf hingearbeitet. Ich bin erst in den letzten Tagen stutzig geworden und habe es bis jetzt nicht glauben wollen. Aber du, du glaubst ihr jedes Wort, weil du ihr hörig bist. Vielleicht hast du ja auch tatsächlich Glück und sie nimmt dich doch mit, wenn du schön 'bitte, bitte' sagst.“

Ganz leise muss sie wieder in die Halle zurück gekommen sein, denn ich hatte das Öffnen der Tür nicht gehört. Nun kommt sie eilig, mit energischen Schritten auf mich zu und knallt mir voller Wucht links und rechts eine, so dass mein Kopf hin und herpendelt.

Das Gute daran ist, dass durch ihre Schläge die Augenbinde verrutscht ist, so dass ich sie nun immerhin mit einem Auge sehen kann. SIE!

Sie nun wirklich zu sehen, ist ein Schock. Für SIE hatte ich alles riskiert, weil ich sie aus ihrer angeblichen Qual befreien wollte. Was für ein Hohn!

Was für ein Lügengespinst!

Nun spricht sie hektisch, mit schriller Stimme auf Gerd ein: „Du darfst nicht auf ihn hören. Er lügt wie gedruckt. Du weißt doch, was er sich alles in seinen Büchern aus den Fingern saugt. Nie wollte ich dich verlassen. Immer nur wir beide zusammen. Das Geld war nie wichtig. Du weißt doch, was wir uns geschworen haben, er ist nur ein Lügner. Wir sollten ihn hier an Ort und Stelle verschwinden lassen.

Wenn sie ihn suchen, sind wir schon weit weg, und auf die Halle kommt sowieso keiner. Wir werden das Geld auch ohne ihn finden. Im Moment brauchen wir es ja nicht. Wir haben alle Zeit der Welt, um es zu suchen.“

Dass ich sie inzwischen sehen kann, haben die beiden noch nicht bemerkt. Aber ich sehe nicht nur sie, sondern noch mehr, was mir Angst einjagt, viel mehr Angst, nämlich die Pistole, die sie Gerd auffordernd entgegen hält: „Los, nimm! Dieses Mal bist DU dran. Ich habe schon deine Eltern erledigt, weil du es nicht geschafft hast. Aber ihn hier musst du erschießen, das bist du mir schuldig. Das schweißt uns für immer zusammen.“

Gerd knetet unschlüssig seine Hände. Hat ihn mein Gerede doch verunsichert? Seine Augen fahren unruhig hin und her. Er schaut abwechselnd auf die Waffe in ihrer Hand und auf mich, seine Hände flattern auf und ab: „Können wir ihn nicht einfach hier lassen? Er ist gefesselt und kann nirgends hin. Keiner wird ihn hier finden. Einen weiteren Mord können wir doch nicht gebrauchen.“

Sie brüllt ihn an: „Du Feigling, du willst nur, dass ich wieder die Drecksarbeit mache, so wie immer.

Du willst deine Hände in Unschuld waschen können, wenn es hart auf hart kommt. Damit du sagen kannst: 'Meine Frau hat gemordet, damit habe ich nichts zu tun.' Von wegen ihn hierlassen, was für eine absurde Idee! Hierbleiben kann er, aber nur als Leiche! Los, jetzt nimm die Pistole endlich!“ Energisch drückt sie sie gegen seine Hand, aber Gerd nimmt sie ihr nicht ab.

Inzwischen ist es draußen schon heller geworden. Ich habe zwar kein Gefühl mehr in Armen und Beinen, aber immerhin sehe ich jetzt ja, was vor sich geht. Ich hoffe inständig, dass meine Retter endlich eintreffen, sonst können sie vielleicht nur noch meine Leiche bergen! Ich muss die beiden unbedingt so lange hinhalten, bis die hier sind. Mehr an Geständnis kann die Polizei doch nicht erwarten!

Ich verfluche mich selbst, dass ich mich von ihr hatte einwickeln lassen. Diese Bösartigkeit hätte ich ihr jedenfalls nie zugetraut. Ich muss wohl größenwahnsinnig gewesen sein, dass ich dachte, ich wüsste es besser als alle anderen.

Wäre ich doch nur nie auf den Empfang zu Gerds Geburtstag gegangen, durch den alles ins Rollen gekommen ist. Warum war ich nur seiner Einladung gefolgt? War es Eitelkeit gewesen nach dem Motto „Seht her, ich bin in den acht Jahren im Ausland ein erfolgreicher Schriftsteller geworden“?

Oder reine Neugier, weil ich wissen wollte, was sich in meiner Heimatstadt in der Zwischenzeit getan hatte? Oder hatte ich wieder mit alten Bekannten vertraut werden wollen?

Aber meine Verwicklung in dieses Verbrechen hat schon lange vor Gerds Geburtstagsparty angefangen, viel, viel früher. Das wird mir klar, als ich in diesen Stunden meiner Not die Ereignisse und mein bisheriges Leben Revue passieren lasse.

Der Geburtstagsempfang

Ausgerechnet Bella, „meine Bella“, wie ich sie früher genannt hatte, weil ich schwer verliebt in sie war, und sie im Stillen wieder nannte, stellte auf Gerds Geburtstagsparty so dumme Fragen wie:

„Warum werden in deinen Krimis die meisten Mörder nicht gefasst?“ Sie sollte es doch wirklich besser wissen. „Nein“, sagte ich empört, „nicht du auch noch. Wie kannst du mich das nur fragen? Du weißt doch am besten, warum ich meine Bücher so schreibe, wie ich sie schreibe.“ Erbost schaute ich Bella an.

Bella, die eigentlich Karin heißt. Die aber schon mit sechs Jahren, kurz bevor sie in die Schule kam, ihren Eltern verkündete, ab jetzt werde sie nur noch auf „Bella“ hören. Alle mussten sich daran halten, denn auf Karin reagierte sie nicht mehr, sogar die Lehrer fanden sich damit ab. Ihre Eigenwilligkeit ging sogar so weit, dass sie nicht reagierte, als ihr in der sechsten Klasse eine Auszeichnung vom Schuldirektor überreicht werden sollte und er Karin Steffen aufrief. Ein Lehrer klärte ihn tuschelnd auf, dass sie nur auf Bella Steffen hören würde. Leicht verärgert rief der Direktor also Bella Steffen auf und sie ging lächelnd mit hoch erhobenen Kopf zu ihm und nahm die Urkunde entgegen. Die sie später auf dem Schulhof in Stücke riss und in den Papierkorb warf, weil sie natürlich auf Karin Steffen ausgestellt war. Empört sagte sie: „Das bin ich nicht. Ich heiße Bella und das müssen alle akzeptieren. Basta!“

Acht Jahre hatten wir uns jetzt nicht mehr gesehen, weil ich mittlerweile in Italien lebe. Bei unserer Begrüßung wäre mir, erschrocken über ihr verändertes Aussehen, beinahe herausgerutscht:

„Du hast ja viel abgenommen, bist du krank?“ Das konnte ich gerade noch unterdrücken, stattdessen nahm ich sie nur vorsichtig in die Arme, ich hatte das Gefühl, wenn ich stärker zupacken würde, würde ich ihr wehtun. Meine Bella war früher vollschlank gewesen. Nicht dick, nein, nur war bei ihr alles etwas runder. Das hatte perfekt zu ihrem Wesen gepasst, fröhlich und ausgeglichen, nie zickig, sondern offen in ihrer Meinung und in sich ruhend. Jedenfalls als junges Mädchen. Später in ihrer Ehe hatte sich das leider geändert. Schuld daran trugen ihre Schwiegereltern und auch ihr Mann, Gerd, der sich seinen Eltern in allem beugte.

Aber damals, als ich mich in sie verliebt hatte, war sie ein selbstbewusstes junges Mädchen, das genau wusste, was sie wollte.

Dazu gehörte auch, dass sie nie der letzten Mode hinterhergerannt war wie alle anderen, die in ihrem Aussehen austauschbar waren. Die anderen zwängten sich in die engsten Jeans oder trugen Mini, selbst wenn das für ihre Figur nicht unbedingt vorteilhaft war, und durch hochtoupierte Haare und dicke Lidstriche sah die eine wie die andere aus.

Nicht so Bella! Sie hatte ihren eigenen Geschmack und wusste genau, was sie kleidete. Am liebsten trug sie leichte Kleider und Röcke, die ihren Körper umschmeichelten. Ihre Lieblingsfarben waren türkis und blau, was perfekt zu ihren blonden Haaren und blauen Augen passte. Ihre langen Haare trug sie meistens zu einem Zopf geflochten und wenn sie lachte, und sie lachte oft, dann tanzte der auf und ab. Alle Jungen waren von ihr fasziniert. Auch Gerd, mit dem sie jetzt fast zwanzig Jahre verheiratet ist.

Kennengelernt hatten sich die beiden in der Band, die meine Brüder gegründet hatten.

Eigentlich hätte die Band keinen dritten Gitarristen gebraucht. Aber Gerd hatte die reichsten Eltern in unserer Kleinstadt und die waren obendrein der größte Arbeitgeber im Ort, deshalb hatte ihm niemand seinen Wunsch abschlagen mögen.

Gerd zeigte sich immer spendabel bei den Proben, brachte Getränke und Chips mit und eine Gruppe von Mädchen, die ihn anhimmelten. Die waren von nun an ein fester Bestandteil bei den Proben, „meine Groupies" nannte er sie großspurig.

Wenn Gerd nach dem letzten Akkord die Gitarre hochriss und wild sein blondes Haar schüttelte, kreischten sie hysterisch. Nur Bella, die mit unserem Drummer befreundet war, mochte ihn überhaupt nicht. Sie nannte ihn Angeber, verwöhntes Söhnchen und Spinner. Das wurmte ihn gewaltig und er konnte es nicht verstehen: „Alle lieben mich und wollen mit mir zusammen sein, nur dieses kleine Pummelchen weist mich ab.“ Aber je mehr er sie umschmeichelte, umso abweisender wurde sie. Auch heute noch bin ich fest davon überzeugt, er hätte sie nie rumgekriegt, wenn er nicht eine verlogene, hinterhältige Sache gegen den Drummer inszeniert hätte. Wir wussten alle, dass seine Behauptungen nicht stimmten, konnten ihm aber nie etwas beweisen.

Die Band hatte damals einen Auftritt an Land gezogen, in einer Disco, zum ersten Mal durften sie vor großen Publikum auftreten. Entsprechend aufgeregt waren sie vorher. Ich, der ich kein Instrument spiele, war als Schiedsrichter eingeteilt, damit es keine langen Diskussionen über einen angeblich falschen Ton gab. In der letzten Zeit hatte ich nur noch selten an den Sessions teilgenommen, da ich im ersten Studienjahr war, und auch am Tag der letzten Probe kam ich später als die anderen.

Dadurch war ich auch der einzige, der sah, wie Gerd sich an den Jacken zu schaffen machte. Ich fragte ihn: „Suchst du was?“ Er zuckte zusammen und zischte mich an: „Musst du dich immer so anschleichen?“ und ging schnell weg.

In der Pause fragte Gerd laut seinen Fanclub:

„Wer von euch holt die Cola für uns? Ich gebe einen aus.“ Drei Hände flogen hoch, Bellas Hand war nicht dabei. Sie ging vielmehr zu Horst, dem Drummer, sie steckten die Köpfe zusammen und lachten. Ich hatte Gerd die ganze Zeit beobachtet, denn ich ahnte, nachdem ich ihn bei den Jacken gesehen hatte, dass er etwas vorhatte. Mit wutverzerrtem Gesicht schaute er nun auf Bella und Horst, ging zu den Jacken und verkündete, ohne gesucht zu haben: „Jemand hat mein Portemonnaie geklaut!“

Wie ein Wilder riss er alle Jacken hoch und schüttelte sie. Und wie von ihm geplant fiel aus Horsts Jacke seine Geldbörse. Triumphierend hielt er sie hoch. „Du bist ein gemeiner, hinterlistiger Dieb“, schrie er Horst an, der kreidebleich geworden war, „kein Wunder, hast nichts! Bist nichts! Wolltest wohl Bella beeindrucken und sie von meinem Geld einladen. Wir wollen dich nicht mehr in der Band haben! Verschwinde!“

Wir waren wie erstarrt, als Gerd mit der Jacke in der Hand auf Horst zustürmte. Der ballte die Fäuste, hochrot im Gesicht schrie er Gerd an: „Niemals würde ich dein Geld klauen. Ich habe es gar nicht nötig, Bella zu beeindrucken. Steck dir dein Geld doch sonstwo hin. Ich weiß, dass du mich schon lange loswerden willst.“ Inzwischen war Gerd bei ihm angekommen und holte voller Wut mit seinen Fäusten zum Schlag aus. Aber er hatte nicht mit Bella gerechnet, die sich blitzschnell vor Horst schob. Mit hoch erhobenem Kopf schaute sie Gerd in die Augen und sagte: „Na, schlag doch zu! Ich weiß, dass Horst dir das Portemonnaie nicht weggenommen hat, denn er war die ganze Zeit bei mir. Du willst ihn nur loswerden, aber mich bekommst du trotzdem nicht!“

„Memme, Weichei! Versteckt sich hinter einem Mädchen. Los, komm und kämpfe“, kreischte Gerd und stampfte mit dem Fuß auf. Inzwischen hatten wir einen Kreis um die drei gebildet. Ich trat zu Gerd und sagte energisch: „Schluss jetzt! Gerd, ich glaube, du hast vorhin aus Versehen deine Geldbörse in die Jacke von Horst gesteckt. Bei dem schummerigen Licht ist das ja auch kein Wunder.

Du solltest mit deinen Verdächtigungen vorsichtig sein.“

Alle schauten mich erstaunt an. Bisher war ich immer nur der stille Zuhörer gewesen. Nie hatte ich mich eingemischt oder für jemanden Partei genommen, aber das hier konnte ich nicht einfach durchgehen lassen. Die elektrisch aufgeladene Stimmung in der Gruppe hatte ich gleich zu Anfang gespürt. Ich hatte das auf den morgigen Auftritt geschoben, aber im Untergrund musste es wohl schon länger gegärt haben.

Nichts war so gelaufen, wie Gerd es geplant hatte, und entsprechend giftig brüllte er mich an:

„Was mischst du dich ein? Was willst du hier überhaupt? Du gehörst doch garnicht nicht zur Band! Machst hier einen auf dicke Hose, nur weil deine Brüder die Band gegründet haben. Du hast hier trotzdem nichts zu melden! Verschwinde!“ Das letzte Wort hatte er voller Wut ausgespuckt.

Das „verschwinde" hätte er sich besser gespart, denn jetzt traten meine Brüder an meine Seite. Wir vier Musketiere, wie uns meine Mutter oft nannte, gegen einen geifernden Gerd. Wir haben immer zusammen gehalten und auch wenn ich kein Instrument spiele, so kann ich doch genau Misstöne oder verpasste Einsätze heraushören und meine Brüder legten großen Wert auf meine Einschätzung.

Jetzt gingen sie drohend auf Gerd zu.

„Verschwinde, hast du gesagt? DU wirst verschwinden, aber ganz schnell. Seit du hier mitmachst, stänkerst du gegen Horst. Es reicht! Du redest von Diebstahl, aber den hat es nie gegeben.

Jürgen hat gesehen, dass du bei den Jacken gefummelt hast. Du wirst dich sofort bei Horst entschuldigen und dann nimm deine Gitarre, dein Geld und zieh Leine. Wir brauchen dich nicht!“ Das hatte mein jüngster Bruder Dirk mit leiser, aber energischer Stimme gesagt. Er, der Jüngste, war der besonnenste von uns Brüdern und vermittelte oft zwischen uns. Mit seiner Meinung hielt er nie hinterm Berg und vertrat sie immer sachlich und mit guten Argumenten. So aufgebracht wie jetzt hatte ihn von uns noch keiner erlebt und alle schauten ihn perplex an.

Gerd riss seine Gitarre an sich, schubste sie unsanft in den Koffer und schrie beim Weggehen:

„Nie werde ich mich entschuldigen bei diesem Würstchen! Aber ihr werdet schon alle sehen, was ich mache. Sein Vater arbeitet doch in unserer Firma, wer weiß, wie lange noch.“ Türknallend verließ er den Probenraum. Seine Fangemeinde stürmte hinterher.

„Das war's“, meinte Horst und ließ den Kopf sinken. „Nein“, sagte Dirk, „den Triumpf gönnen wir ihm nicht. Wir halten zusammen und werden ohne ihn auftreten. Absagen kommt überhaupt nicht in Frage. Was wir danach machen, entscheiden wir später. Jetzt proben wir noch einmal alles für morgen durch.“ Die Probe lief ohne Fehler, man merkte, dass sich alle besonders viel Mühe gaben.

Und ihr Auftritt am nächsten Tag war toll, nicht nur ich war begeistert. Sie übertrafen sich selbst, so als wenn sie sagen wollten, jetzt erst recht.

Was Gerd anging, der hatte umgehend seine Drohung wahrgemacht. WAS er seinem Vater erzählt hatte, weiß keiner, jedenfalls wurde Horsts Vater fristlos entlassen. Die Familie zog dann nach Süddeutschland, wo der Vater eine neue Arbeit gefunden hatte. Damit war auch die Band Geschichte. Meine Brüder hätten erst zwar gerne eine neue gegründet, aber alle mussten für die Abi-Prüfungen lernen und irgendwann war sie meinen Brüdern dann nicht mehr wichtig.

Bella war nach dem Umzug von Horst und seiner Familie nur noch ein Häufchen Unglück, sie trauerte um ihre Liebe. Gerd versuchte mit allen Mitteln, bei ihr zu landen. Immer wieder beteuerte er ihr, er hätte seine Geldbörse ganz bestimmt nicht in Horsts Jackentasche gesteckt. Er schickte ihr Blumen, sogar mit kleinen Herzchen, und Karten für ein Konzert mit Peter Maffay, vielleicht hatte er in einem Ratgeber nachgelesen, was er machen müsste, um sie zu erobern. Bella lehnte alles ab und sagte ihm deutlich, dass er sich verpis… solle.

In dieser Zeit war Bella oft bei uns zu Hause.

Meine Brüder hatten mit sich selber zu tun, so war ich der einzige, dem Bella von ihrer Traurigkeit erzählen konnte. „Bei dir fühle ich mich sicher. Du hast so viel Verständnis“, sagte sie. Gern hätte ich sie richtig getröstet, in den Arm genommen, ihre Tränen weggeküsst und sie gestreichelt. Mir war aber klar, damit würde ich sie nur vergraulen. So blieb ich zurückhaltend und versuchte, ihr ein Freund zu sein.

Kleine Nadelstiche gegen Gerd konnte ich mir allerdings nicht immer verkneifen: „Er denkt wohl, er kann jede haben, dieser eingebildete Affe“, sagte ich zu ihr. Oder: „Nur weil sein Alter Kohle hat, spielt er sich so auf.“