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IHR RHYTHMUS. IHR LEBEN! Die Arbeitswelt von morgen beginnt jetzt. DIE INTERVALL-WOCHE ist der Wake up Call gegen den täglichen Wahnsinn im Job. Gegen Montagsblues und Mittagstief. Gegen Motivationslöcher und Kreativitätsstau. Der Ansatz von Bestsellerautor Lothar Seiwert und der Wirtschaftsjournalistin Silvia Sperling ist ebenso visionär wie umsetzbar: Wer radikal auf den eigenen Biorhythmus umstellt, ist gesünder, arbeitet produktiver, lebt länger und ist glücklicher. Intervalle sind überall. Ohne dass es uns bewusst ist, gliedern sie unser Leben, strukturieren unseren Alltag und bestimmen Doch unsere innere biologische Taktung steht im krassen Gegensatz zur Taktung von außen. Die Folge: Wir arbeiten gegen uns selbst, fühlen uns gestresst und haben keine Energiereserven mehr. DIE INTERVALL-WOCHE zeigt Schritt für Schritt, wie wir uns wieder mit unserer natürlichen Biologie synchronisieren. Wir erfahren, welcher Intervalltyp wir sind, wie wir unseren Alltag effizienter gestalten, weniger arbeiten und dennoch unser volles Potenzial entfalten Mit Intervalltypen-Test, New-Work-Skills und vielen praktischen und handfesten Anregungen kommen wir einfach wieder in den eigenen Takt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 302
Lothar Seiwert / Silvia Sperling
Die Intervall-Woche
Arbeitest du noch oder lebst du schon?
Knaur e-books
Intervalle sind überall. Sie gliedern unser Leben, strukturieren unseren Alltag und takten unsere Existenz. Doch wir haben verlernt, in Einklang mit den natürlichen Intervallen unseres Biorhythmus zu leben. Die Folge: Unsere Energiereserven sind aufgebraucht, wir sind ständig erschöpft, lustlos oder bereits längst in innerer Immigration. In diesem Buch zeigen der bekannte Zeitmanagementexperte Lothar Seiwert und die Wirtschaftswissenschaftlerin Silvia Sperling nicht nur die Bedeutung der Intervalle für unser Leben auf. Ihr Praxisbuch fungiert auch als eine Anleitung, um den Alltag wieder mit unserer natürlichen Biologie zu synchronisieren. Mit der BOSS-Methode kann jeder Mensch lernen, seinen Alltag effizienter zu gestalten, weniger zu arbeiten und dennoch mehr zu leisten. Auf diese Weise werden neue Kapazitäten freigesetzt, die wesentlich für unsere Selbstentfaltung und ein erfülltes Leben sind. Zugleich versteht sich „Die Intervall-Woche“ auch als ein Debattenbeitrag, der klar Stellung zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über verkürzte Arbeitszeiten und neue Arbeitszeitmodelle bezieht.
Es gibt eine Philosophie bei SAP. Oder eher: eine goldene Regel. Bei allem, was wir bei uns im Unternehmen debattieren, planen und umsetzen, steht immer der Mitarbeiter im Mittelpunkt. Das ist unumstößlich. Wir tun dies aus einer tiefen Überzeugung. Aus der Überzeugung, dass damit sowohl dem Menschen als auch dem Unternehmen geholfen ist. Wir sind sicher, dass nur ein ausgeglichener Mitarbeiter, der genügend Raum und Zeit für Kreativität und Selbstentfaltung bekommt, langfristig für sein Unternehmen produktiver ist. Happy People, Happy Customers!
Damit liegen wir auf einer Wellenlänge mit der Intervall-Woche. Dieses Buch ist nicht bloß ein scharfes Plädoyer für eine neue Unternehmenskultur, die vom Menschen her denkt. Es ist auch ein klug begründetes Manifest für einen Wandel, der uns zu mehr Produktivität, Wachstum und Erfüllung führt. Dieses Buch zeigt, dass alles miteinander zusammenhängt. Die Natur mit dem Menschen, der Mensch mit den Organisationen und die Organisationen mit dem Wirtschaftssystem. Dieses Buch ist aber auch eine Anleitung: für Angestellte wie für Unternehmenslenker. Für Fachfremde wie für Wirtschaftsinteressierte.
Die Arbeit von morgen geht uns alle etwas an. Dieses Werk ist ein spannender Beitrag für die Debatte, die uns noch lange begleiten wird und die wir durch unsere Arbeit schon vor einigen Jahren praktisch anzustoßen versucht haben.
Wir sind glücklich, dass dieses neue Buch dabei hilft, eine wichtige Botschaft zu verbreiten, die wir bei SAP seit vielen Jahren leben.
Cawa Younosi
Head of Human Resources Germany / Mitglied der Geschäftsführung der SAP Deutschland SE & Co. KG
Unsere Arbeitswelt steckt in einer tiefen Depression.
Dieses Buch ist ein Buch der Krise. Nicht nur, weil wir es zu großen Teilen während einer globalen Pandemie geschrieben haben. Zu einer Zeit, in der ein neuartiges Corona-Virus die Welt im Griff hielt. In der Covid-19 das öffentliche Leben global zum Stillstand brachte und die Menschen zu einer »Entschleunigung« zwang. Sondern auch, weil das Thema, das wir hier behandeln wollen, ein Krisenthema ist. Wir sind fest davon überzeugt: Unsere Arbeitswelt steckt in einer tiefen Depression. Die Art zu arbeiten, wie wir sie kennen, hat ihren Höhepunkt schon hinter sich. Die Art zu arbeiten, wie wir sie kennen, macht uns krank. Wir haben das Gefühl, in einer gigantischen Maschinerie gefangen zu sein, die uns längst schon aufgefressen hat. Wir haben das Gefühl, bloß noch Teil eines großen Ganzen zu sein, das wir nicht mehr durchschauen können. Wir sind kaputt. Wir sind müde. Wir fühlen uns fremdbestimmt. Wir unterwerfen uns einer äußeren Taktung, die uns nicht natürlich erscheint. Wir spüren, wie die Zeit von Tag zu Tag verrinnt. Von Woche zu Woche. Von Monat zu Monat. Zu viele Menschen leben nur noch für das nächste Wochenende. Für den nächsten Sommerurlaub. Vielleicht sogar schon für die Rente. Wir fühlen uns gelähmt. Wir hören eine innere Stimme, die sagt: »Jetzt reicht’s!« Wir können und wollen so nicht mehr weitermachen.
Dieses Buch ist aber nicht bloß ein Buch über unsere Arbeitswelt. Es ist ein Buch über den Menschen. Ein Buch über die Gesellschaft, in der der Mensch lebt. Und ein Buch über den Umbruch, der der Gesellschaft bevorsteht. Die erste Idee zu diesem Projekt hatten wir im November 2019. Im November 2019 war das Gefühl, dass man die Arbeitswelt in ihrer bisherigen Form nicht mehr hinnehmen wollte, beinah greifbar. Man diskutierte nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt über verkürzte Arbeitszeiten. Besonders das Konzept der Vier-Tage-Woche fand sich regelmäßig in den Schlagzeilen. Die Software-Firma Citrix führte zu dem Thema eine umfangreiche Studie durch, Microsoft hat in Japan testweise für einen Monat die Vier-Tage-Woche eingeführt und seine Mitarbeiter mit vollem Gehalt vergütet. Ausgerechnet in Japan, dem Land, das den Begriff Karoshi in seinem Vokabular trägt: Tod durch Überarbeiten. Aber auch andere Variationen von Arbeitszeitverkürzungen standen hoch im Kurs: Die finnische Premierministerin kandidierte mit der 24-Stunden-Woche in ihrem Wahlprogramm. Cawa Younosi, Mitglied der SAP SE-Geschäftsleitung und »Human-Resources-Punk«, wurde in zahlreichen Leitmedien porträtiert und für seine innovativen Arbeitsmethoden wie die Co-Leadership oder eine 75-Prozent-Führungsstelle in Teilzeit als Visionär gefeiert. Es lag etwas in der Luft: Die Menschen sehnten sich nach neuen Modellen, wie sie in Zukunft arbeiten und leben wollen. In dieser Zeit gab es aber auch noch ein anderes Thema, das groß in den Medien behandelt wurde. Es wurde mehr und mehr von Intervallen gesprochen: »Intervall-Sport«, »Intervall-Fasten« und »Intervall-Schlaf« – schon seit einiger Zeit haben die Menschen entdeckt, dass sie mithilfe ihrer ureigenen Intervalle ihr Leben verbessern können.
Die Perspektive: die Arbeit und das Leben nach Intervallen ausrichten.
Wir, die Autoren dieses Buches, kennen uns bereits seit mehreren Jahren. Unsere Zusammenarbeit und Freundschaft begann mit der Reihe Start Your Bullet Journal, als wir über die neue spielerische Organisationsmethode drei Bücher veröffentlicht haben. Die Erkenntnisse über die Intervalle verbanden sich an einem dieser Novemberabende in einer Münchner Hotellobby in unseren Köpfen mit der anhaltenden Debatte um die Arbeitszeiten, und wir fragten uns, warum man diese beiden Elemente nicht einfach verbinden sollte? Wie wäre es, wenn man nicht nur seine Ernährung, sondern auch die Arbeit und das Leben insgesamt nach Intervallen ausrichtete? Kennen Sie das Gefühl, wenn die Erde bebt und der Himmel sich auftut? Die Intervall-Woche war geboren.
Dass vier Monate danach eine weltweite Pandemie ausbrechen würde, die eine Weltwirtschaftskrise zur Folge haben sollte, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Die globale wirtschaftliche Veränderung, unsere verordnete Homeoffice-Arbeit und nicht zuletzt die Verlagerung der Kommunikation in die digitalen Wege zwingen uns nun, schneller darüber nachzudenken, was noch aus der alten Welt für die Zukunft taugt und was sich in der neuen Welt, in der Post-Corona-Welt, ändern und weiterentwickeln muss. Die Intervall-Woche ist eine Antwort auf diese Fragen.
Der Mensch im Mittelpunkt
In diesem Buch zeigen wir, dass die Art, wie wir heute arbeiten, eine Hinterlassenschaft der »alten« Industrialisierung ist. Diese Art zu arbeiten hat noch funktioniert, als wir mit dem Fließband Produkte hergestellt haben. Doch wir leben in einer neuen Zeit. Mit neuen Technologien. Mit neuen Anforderungen. Mit neuen Möglichkeiten. Weltweit wird nach Lösungen und Wegen gefahndet, die Produktivität zu steigern, die Leistungsfähigkeit der Menschen und das Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Der Mensch als Ganzes rückt in den Vordergrund, weil die Zukunft nur mit gesunden und glücklichen Menschen möglich ist und weil nur Menschen die Komplexität unserer Welt bewältigen, Probleme lösen und planen und gestalten können. Der Mensch stellt das wichtigste Potenzial der Wirtschaft dar. Mit der Intervall-Woche wollen wir es schaffen, ihn wieder in den Fokus zu rücken.
Dieses Buch ist keine Gebrauchsanleitung. Aber es gibt Anleitungen, die man gebrauchen kann. Anleitungen, die Ihnen zeigen, wie Sie wieder Spaß an Ihrer Arbeit finden und über sich hinauswachsen können. Wie auch Sie zu den Gewinnern der Zukunft gehören. Dieses Buch ist auch ein Buch der Hoffnung, des ungebrochenen Optimismus, dass sich der gegenwärtige Zustand ändern und verbessern lässt. Und außerdem ist dieses Buch eine Reise: Sie haben es selbst in der Hand zu entscheiden, ob Sie zusteigen und welchen Waggon Sie nehmen wollen. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns auf dieser Reise begleiten!
Lothar Seiwert und Silvia Sperling,
aus unseren Homeoffices in Corona-Deutschland,
im Sommer 2020
www.intervall-woche.de
An einem Montagnachmittag schließt Annalena Thelen die Haustür auf, wirft ihre Tasche auf den Boden und lässt sich tief in die Couch fallen. Was war das nur für ein Tag! Acht Stunden war sie jetzt im Büro, und sie fühlt sich, als hätte sie eine Doppelschicht hinter sich. Während sie sich langsam aus ihrer Jacke quält, schaut sie sich in der Wohnung um. Ein einziges, großes Chaos. Überall liegen verstreute Papiere und Aktenordner herum. Heute Morgen hatte sie nach einem bestimmten Dokument gesucht. Es war alles ziemlich knapp, und sie hatte sämtliche Unterlagen aus den Schubladen gerissen, um dieses blöde Paper zu finden. Annalena massiert sich die Schläfen. Dann hört sie, wie ihr Handy vibriert.
»Hallo?«
»Hey, hier ist Caro. Du, ich wollte nur fragen, ob du noch Lust hast, heute Abend in diese neue Bar zu gehen, die Christian und ich mal …«
»Sorry, meine Liebe. Nächstes Mal gern, aber heute schaffe ich es nicht mehr. Es war ein höllischer Tag.«
»Viel los?«
»Jede Menge …«, sagt Annalena und stockt kurz. Ja, war denn wirklich so viel los? Sie versucht, sich an den Tag zurückzuerinnern. Eigentlich war es doch ein Arbeitstag wie jeder andere auch. Aber warum war sie dann nur so müde und geschlaucht? Dabei war es doch gerade erst Montag!
Kennen Sie das auch? Dieses Gefühl, dass Ihre Arbeit wie ein großer Schatten über Ihrem Leben liegt? Dass Ihre Arbeit Sie krank und müde macht? Dass Sie überhaupt keine Energie mehr für andere Dinge haben? Dieses Gefühl, dass die Arbeit Ihnen zu viel geworden ist, dass ständig etwas passiert und Ihr Kopf einfach nicht mehr hinterherkommt? Keine Sorge, Sie sind nicht allein. Wie Ihnen geht es den meisten Menschen. Aber woran liegt das eigentlich? Wir arbeiten zu viel!, hört man schon die ersten Stimmen. Aber eigentlich ist das nicht richtig. Statistisch gesehen gehören Deutschland, Österreich und die Schweiz im globalen Vergleich eher zu den Ländern mit den geringsten Arbeitszeiten. Aber was ist es dann? Vielleicht arbeiten wir einfach nur falsch? Nicht wenige Arbeitnehmer haben sich in den letzten Monaten genau darüber Gedanken gemacht.
Das Homeoffice ist auch nach der Krise attraktiv.
Während der globalen Corona-Pandemie und dem daraus resultierenden Lockdown zeigte sich plötzlich, dass eine andere Art von Arbeit möglich war. Homeoffice, Zoom-Konferenzen, digitale Projektrealisierungen. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag von Acer zufolge würden 75 Prozent der befragten Deutschen auch nach der Pandemie gern weiterhin von zu Hause aus arbeiten.[1] Dabei hieß es doch lange, dass die Arbeit, wie wir sie machen, alternativlos sei?
Warum nicht auch die Arbeit den eigenen Intervallen anpassen?
Nehmen wir es vorweg: Das ist sie nicht. Und immer mehr Menschen spüren das. Es gibt eine neue Art zu arbeiten. Eine bessere Art zu arbeiten. Und davon handelt dieses Buch. Kommen wir auf die Frage zurück, warum wir uns oft so müde und erschöpft fühlen: Die Antwort ist ganz einfach. Und natürlich. Sie liegt tief in unserer Biologie begründet. Wir arbeiten gegen uns selbst an. Der Wissenschaftszweig der Chronobiologie hat entdeckt, dass der Mensch eine innere Uhr besitzt. Diese innere Uhr gibt ihm einen bestimmten Rhythmus vor. Wer es schafft, im Einklang mit diesem Rhythmus zu leben, der setzt ungeheure Energien frei. Wer aber entgegen seinem natürlichen Rhythmus lebt, der macht sich kaputt. Und wir? Wir haben unsere inneren Uhren völlig aus dem Takt gebracht. Kommt Ihnen das vielleicht bekannt vor? Gut möglich, denn wenn wir nicht von Rhythmen, sondern stattdessen von Intervallen sprechen, dann liegen wir voll im Zeitgeist. Intervalle sind ein Modethema. Wie gesagt schwören Millionen von Menschen mittlerweile auf das Erfolgsgeheimnis von neuen Methoden wie dem Intervall-Training, dem Intervall-Fasten oder dem Intervall-Schlaf. Warum also nicht auch die Arbeit den eigenen Intervallen anpassen?
Klingt illusorisch? Ist es aber nicht. Im Gegenteil! Es ist ganz einfach. Man muss nur das Grundprinzip verstehen. Und seine eigenen Intervalle kennen. In diesem Buch zeigen wir Ihnen die vier geläufigsten Intervalltypen: den Intensiven, den Traditionellen, den Flexiblen und den Engagierten. Wir zeigen Ihnen, wo die jeweiligen Stärken und Schwächen dieser Intervalltypen liegen, was sie so besonders macht und wie man es in vier Schritten schaffen kann, seine äußeren Intervalle wieder mit den Intervallen seiner inneren Uhr in Einklang zu bringen. Auch im Arbeitsleben. Wir nennen diese Methode die BOSS-Methode. Die BOSS-Methode orientiert sich an der natürlichen Biologie, an natürlichen Lebensprozessen und wird Ihnen auf diese Weise helfen, wieder der Boss über Ihr eigenes Leben zu werden. Jeder kann sie umsetzen. Egal, ob einfacher Arbeitnehmer, ob Teamleiter oder Konzernlenker: Sie ist universell einsetzbar.
Wer die BOSS-Methode anwendet und seinen Arbeitsalltag mit seinen bestehenden Intervallen synchronisiert, der wird ein besseres Leben führen. Der wird in der Lage sein, bei sehr viel weniger Arbeit sehr viel mehr zu leisten. Der wird sich selbstbestimmter fühlen. Gesünder. Fitter. Wacher. Und er wird einen Anfang machen. Einen ersten Schritt zu einer großen Änderung. Einen ersten Schritt Richtung Arbeitswelt der Zukunft. Er schafft sich eine Basis für die »Neue Arbeit«. New Work ist das Versprechen, dass wir uns nicht mehr zum Werkzeug der Arbeit machen, sondern die Arbeit als ein Werkzeug nutzen, um uns selbst zu verwirklichen. New Work ist die Entkoppelung von Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsdauer.
New Work ist die Entkopplung von Arbeitsort, -zeit und -dauer.
New Work bedeutet eine individuelle Verwirklichung in einem gemeinschaftlich orientierten Arbeitsumfeld, das auf eine neue Form des kommunikativen Miteinanders setzt. New Work ist keine Theorie. New Work ist eine Box voll mit Ideen. Wir sprechen hier nicht nur von Anpassungen in der Arbeitswelt. Wir sprechen von einer Revolution. Und diese Revolution hat bereits begonnen. Wir werden Ihnen in diesem Buch zeigen, wie es Unternehmen bereits erfolgreich schaffen, nach dieser neuen Philosophie zu leben. Und wie das unsere gesamte Arbeitswelt auf den Kopf stellen wird.
Es gibt bereits Bücher über New Work, es gibt bereits Bücher über die Chronobiologie und die Entdeckung der Intervalle. Aber dieses Buch fügt die unterschiedlichsten Ansätze zusammen und erklärt erstmalig, wie unsere Biologie mit unserem Arbeitsleben und unserer Lebensarbeit zusammenhängt, und bietet Ansätze, es verbessern zu können. Interdisziplinäres Denken ist für uns dabei zentral. Mit diesem Buch wollen wir Sie mit auf eine Reise nehmen. Auf eine Reise weg von den stürmischen Gewässern unserer gegenwärtigen Arbeitsweise, hin zu den Ufern der neuen Arbeit, der New Work.
Teil 1
Unsere Arbeit macht uns krank.
Beginnen wir dieses Buch mit einer Bestandsaufnahme. Und mit einer Feststellung: Unsere Arbeit macht uns krank. Das sind nicht nur Worte. Das sind wissenschaftlich belegte Fakten. Nie zuvor haben sich so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland krankgemeldet wie in den vergangenen Jahren. 18½ Tage, also beinah einen Monat lang, blieben Arbeitnehmer im Jahr 2018 durchschnittlich zu Hause, weil sie sich nicht gesund fühlten. Damit hat der Krankenstand einen neuen Höchstwert erreicht, wie aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen[2] und einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)[3] hervorgeht.
Die Entwicklung ist nicht neu. Seit Jahren steigen die Ausfälle in Deutschland. Besonders ein Faktor fällt auf: Immer häufiger leiden Arbeitnehmer an seelischen Problemen. Seit 2008 hat sich die Anzahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen mehr als verdoppelt. Das Bundesministerium für Gesundheit schätzt die pro Jahr durch depressive Erkrankungen anfallenden Fehltage auf etwa elf Millionen. Man muss sich diese Zahl auf der Zunge zergehen lassen: elf Millionen Fehltage. Was steckt dahinter? Forscher bekräftigten, dass die Arbeitsbedingungen, denen wir täglich ausgesetzt sind, einen großen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der Beschäftigten haben. Allen voran die zunehmende Arbeitsverdichtung. Das bestätigt auch die DGB-Studie, in der es heißt, dass der Druck auf Angestellte weiter steigt. Jeder dritte Beschäftigte gab demnach an, dass er in den vergangenen zwölf Monaten »deutlich mehr Arbeit« bewältigen musste als noch im Vorjahr.
Dabei sind vor allem Menschen betroffen, die in sozialen Berufen arbeiten: Erzieher, Pflegekräfte oder Lehrer. Auch Beschäftigte im Sicherheitsbereich fallen oft aufgrund psychischer Probleme aus. Mit 5,8 Krankheitstagen hatten Altenpfleger 2018 mit Abstand die meisten Fehltage wegen psychischer Störungen. Vor allem monotone Beschäftigungen oder Jobs ohne Entscheidungsfreiheit sind betroffen. Die DGB-Studie zeigt, dass die Stresshäufigkeit mit der Komplexität des Jobs weiter zunimmt. Doch die Fehltage sind nur die Spitze des sinnbildlichen Eisbergs. Tatsächlich gibt es viele Arbeitnehmer, die sich aus falschem Pflichtbewusstsein krank zur Arbeit schleppen. Durch ein solches Verhalten – und die Inkaufnahme der Ansteckung weiterer Kollegen – entstehen sogar höhere Kosten, als wenn sie sich einfach krankschreiben lassen würden. Nach einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Bundesinstituts für Berufsbildung ist jeder zweite Erwerbstätige schon einmal krank zur Arbeit gegangen.[4]
Sleep matters!
Aber es sind nicht nur kranke, sondern auch müde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die die deutsche Wirtschaft jedes Jahr knapp 57 Milliarden Euro kosten. Die Studie »Why Sleep Matters« der Forschungsorganisation RAND Europe zeigt: Wer ständig zu wenig schläft, leistet sich mehr Fehltage und arbeitet weniger produktiv als ausgeschlafene Kollegen.[5]
Der Studie zufolge verlieren Unternehmen in Deutschland jedes Jahr 200000 Arbeitstage wegen des Schlafmangels ihrer Mitarbeiter. Für Menschen, die regelmäßig weniger als sechs Stunden schlafen, erhöht sich sogar das Sterblichkeitsrisiko um 13 Prozent. Am längsten schlafen im internationalen Vergleich übrigens die Kanadier. Doch selbst dort gehen jährlich 80000 Arbeitstage durch Schlafmangel verloren. Besonders unausgeruht sind Kanadas Nachbarn: In den USA verlieren Unternehmen jährlich etwa 411 Milliarden Dollar durch Schlafmangel.
Stress ist in der gesamten Arbeitswelt eine Herausforderung. Doch was bedeutet eigentlich Stress? Doch nur, dass wir das Gefühl haben, mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen das vor uns liegende Pensum nicht bewältigen zu können. Ist also unser Arbeitspensum zu hoch? Im internationalen Vergleich arbeiten die Deutschen tatsächlich recht wenig. Um genau zu sein: durchschnittlich 34,34 Stunden in der Woche. In der Schweiz (34,39 Stunden) und in Österreich (35,57 Stunden) arbeiten die Menschen nur minimal länger. Das liegt alles noch unter dem europäischen Durchschnitt (36,32 Stunden). Spitzenreiter bei der Wochenarbeitszeit ist hingegen Kolumbien. Ganze 47,73 Stunden arbeiten dort die Menschen durchschnittlich. Gefolgt von der Türkei (46,98 Stunden) und Mexiko (45,13 Stunden). Die kürzeste Wochenarbeitszeit gibt es in den Niederlanden (29,30 Stunden) und in Dänemark (32,25 Stunden). Und dennoch sind unsere Ressourcen ausgeschöpft und verbraucht.
Die Produktivität mit weniger Arbeit deutlich steigern
Die hohe Arbeitsbelastung beschäftigt die Menschen schon lange, und eine mögliche Lösung sehen Forscher darin, die bestehenden Arbeitszeitregelungen aufzubrechen. Ein Modell, das seit geraumer Zeit wieder und wieder debattiert wird, ist die Vier-Tage-Woche. In einigen Unternehmen ist das bereits Realität. Wer etwa an einem Freitag in der Berliner Software-Firma Planio (www.planio.de) anruft, erwischt nur den Anrufbeantworter: »Freitags arbeiten wir nicht, da das ganze Team bei Planio nur eine Vier-Tage-Woche hat.« Wer dann auf die Taste 4 drückt, kann Näheres zu dem Modell erfahren. Vertreter der Vier-Tage-Woche glauben, dass man mit weniger Arbeit die Produktivität deutlich steigern kann. Das bestätigen zahlreiche Studien. Denn durch die verringerte Arbeitszeit stellt sich gleichermaßen ein konzentrierterer Fokus ein, der Kreativität und Motivation steigert.
Das Konzept der Vier-Tage-Woche ist beliebt. Das Softwareunternehmen Citrix führte eine Umfrage in Deutschland durch.[6] Demnach würden 66 Prozent der Deutschen die Vier-Tage-Woche bei gleichbleibender Bezahlung gern in Anspruch nehmen. 15 Prozent sogar dann, wenn es weniger Geld gäbe. Allerdings halten 87 Prozent der Befragten die baldige Einführung der verkürzten Wochenarbeitszeit für unwahrscheinlich. Das liegt an den vielen kritischen Stimmen, die die Debatte prägen. »Dass man in vier Tagen genauso viel erledigen kann wie in fünf, halte ich für einen Mythos. Die Menschen verplempern ihre Zeit bei der Arbeit ja nicht einfach. Im Gegenteil: Wir haben schon jetzt in den meisten Betrieben eine sehr enge Taktung, die einzelnen Arbeitsschritte sind optimal abgestimmt«, schreibt etwa Hilmar Schneider, Ökonom und Leiter des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit IZA in Bonn. »Unternehmen suchen ständig nach Möglichkeiten, um effizienter zu werden. Wer weniger arbeitet, wird also weniger Umsatz machen, weniger Kunden erreichen, langsamer wachsen. Oder: Wenn in einer Firma alle nur vier Tage arbeiten, braucht man mehr Mitarbeiter, um auf die gleiche Leistung zu kommen.«[7]
Der Arbeitspsychologe Tim Hagemann hat sich ebenfalls intensiv mit dem Konzept der Vier-Tage-Woche befasst. Neben einigen Vorteilen sieht auch er kritische Punkte. Zum Beispiel die Arbeitsverdichtung. Der Mitarbeiter müsse demnach dieselbe Arbeit in vier Tagen schaffen, die er in fünf Tagen geleistet hat. Hagemann berichtete von einem Versuch im Bankensektor. Dort habe man vor Jahren die Stempeluhren abgeschafft. Mitarbeiter hätten also auch früher nach Hause gehen können, wenn sie ihre Aufgaben erfüllt hätten. Aber das funktionierte nicht. Wer früher fertig war, habe von seinem Chef nämlich einfach neue Aufgaben bekommen – musste am Ende also mehr arbeiten.[8]
Die Ergebnisse der Citrix-Umfrage zur Vier-Tage-Woche unter 3750 internationalen Arbeitnehmern, darunter 500 aus Deutschland (in Zusammenarbeit mit OnePoll, September 2019)[9]
Vielleicht liegt das Problem aber auch ganz woanders. Vielleicht liegt das Problem ja darin, dass wir einfach nicht mehr in der Lage sind, unsere leeren Akkus wieder ordentlich aufzuladen? Sie kennen die Diskussion um die berühmt-berüchtigte Work-Life-Balance. Dieses Konzept ist eine direkte Antwort auf die eben genannten Probleme. Verfechter der Work-Life-Balance sagen, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben geben muss. Wer beide Welten zu stark miteinander vermischt, der schafft es einfach nicht auszuspannen. Der schafft es nicht, seine Akkus wieder aufzuladen. Der Gedanke dahinter ist sicherlich einleuchtend. Doch das Konzept ist veraltet. Allein die Tatsache, dass man die Begriffe gegenüberstellt, sagt schon aus, wie sehr sich »der Mensch in der Wahrnehmung seines Daseins von dem, was er als seine Arbeit definiert, entfernt«, so Benedikt Hackl im Buch New Work.[10] Er hat recht. Denn seien wir mal ehrlich: Können wir unser Arbeits-Ich denn wirklich so einfach von unserem Privat-Ich trennen? Sind wir wirklich von dem Moment an, in dem wir das Büro betreten, Arbeitsmensch und von dem Moment an, in dem wir das Büro verlassen, wieder Privatperson?
Work-Life-Blending ist die neue Work-Life-Balance.
Die Work-Life-Balance geht davon aus, dass es zwei Welten gibt, die man nicht miteinander vermengen sollte. Die zwei Gegenpole bilden, die auf einer Waage ins Gleichgewicht gebracht werden müssen. Aber die Realität ist komplexer. Und so verwundert es nicht, dass sich mittlerweile entsprechende Gegenbewegungen gebildet haben. Am anderen Ende der Skala befürworten Vertreter ein sogenanntes Work-Life-Blending, also die komplette Vermengung von Privat- und Arbeitsleben. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer innerhalb gewisser Absprachen selbstständig den Rhythmus seines Arbeitens wählt. Er würde morgens später anfangen, weil er zunächst noch seinen Wocheneinkauf erledigt, die Bahnreise in den Urlaub nutzen, um einen Projektbericht fertigzustellen, und nachts um 23.00 Uhr würde er noch kurz ein Telefonat mit den Geschäftspartnern in New York absolvieren, um die Ergebnisse eines dortigen Meetings zeitnah zu besprechen. Oder aber ganz gegenteilig: pünktlich um 7.00 Uhr im Büro aufschlagen und dort früh alles abarbeiten, weil man das Gefühl hat, wieder mehr Struktur in den Tag bringen zu müssen. In Silicon Valley ist der Mix von Work und Life gewünscht und positiv besetzt. Bezeichnenderweise ist der Begriff des Work-Life-Blending in Deutschland hingegen sehr negativ besetzt, weil man die Grenzen von Arbeit und Privatleben voneinander nicht trennt und die Bereiche miteinander, ja durcheinander vermischt. Mit gesundheitlichen Folgen. Man kann nicht von der Arbeit loslassen, E-Mails schreiben bis in die Nacht oder »dringende Telefonate« mit den Angestellten am Wochenende führen. Und wenn man sich dann endlich den Urlaub gönnt, checkt man beim Frühstück in der Finca oder am schönsten Beach der Welt seine E-Mails. Der Business-Berater und Visionär Simon Sinek beschrieb das in einem YouTube-Video sinngemäß einmal so: Das, was Menschen in Wirklichkeit täten, sei kein Urlaub. Das sei Telekommunikation vom Strand.
Silicon Valley: Mix von Work und Life erwünscht.
Die Kategorien »Arbeit« und »Leben« sind keine Gegensätze.
Zwischen diesen beiden Extremen haben sich aber Konzepte gefunden, die sehr viel näher an der Lebensrealität der meisten Menschen liegen. Sie werden unter den Begriffen Work-Life-Integration, Work-Life-Leisure oder auch Work-Life-Flow zusammengefasst. Im Grunde wird das Offensichtlichste ausgesprochen: Die Kategorien »Arbeit« und »Leben« sind keine Gegensätze. Die Politikwissenschaftlerin Isabelle Kürschner bringt es in ihrem Buch New Work auf den Punkt: »Wir leben, während wir arbeiten, und wir arbeiten, während wir leben.«[11] Der Gedanke dahinter ist immer derselbe: Wir sind niemals nur ganz Privat- oder ganz Arbeitsmensch. Unsere Rollen wechseln sich regelmäßig ab, sind in einem konstanten Flow. Während Sie am Arbeitsplatz sitzen, werden Sie zwischendurch sicherlich auch einmal Ihre privaten Mails checken und bei WhatsApp Ihren Freunden oder Familienangehörigen antworten, wenn diese Ihnen schreiben, oder nicht? Gleichzeitig werden Sie sicherlich auch im privaten Gespräch mit Freunden an einem Samstagabend eine zündende Idee für ein Projekt haben können. Die Arbeits- und privaten Lebensrhythmen vermengen sich. Was gar kein großes Problem ist, denn das ist ganz natürlich. Und hier kommt erstmals unsere Biologie ins Spiel.
Der Begriff »Rhythmus« gibt schon einmal die Richtung vor. Aber gehen wir doch mit der Zeit und sprechen lieber von Intervallen. Intervalle stehen ja gerade hoch im Kurs. Man kommt kaum an ihnen vorbei. Egal, in welchem Bereich Sie Ihr Leben optimieren möchten, immer wieder werden Sie auf Intervall-Methoden stoßen. Sie wollen das effizienteste Sport-Work-out der Welt? Machen Sie Intervall-Training! Sie wollen in kürzester Zeit Ihr Wunschgewicht erreichen? Machen Sie Intervall-Fasten! Sie wollen Höchstleistungen wie der Fußball-Profi Cristiano Ronaldo erreichen? Folgen Sie seiner Methode des Intervall-Schlafens! Was genau hat es aber mit all diesen Intervall-Methoden auf sich?
Vier Vorteile durch die Ausrichtung an natürlichen Intervallen: • Mehr Gesundheit. • Mehr Wohlbefinden. • Mehr Wohlstand. • Eine längere Lebenserwartung.
Nun, sie alle eint, dass ihre Erfinder erkannt haben, dass unser ganzes Leben nach bestimmten Rhythmen getaktet wird: Es gibt Schlaf- und Wachrhythmen, es gibt aktive und passive Rhythmen, es gibt kreative und unkreative Phasen. Wenn man sich diese Intervalle nun also zunutze macht und gewissermaßen mit der natürlichen Biologie des Körpers arbeitet, dann kann man durch eine Art Hebelwirkung die besten nur vorstellbaren Ergebnisse erzielen. So hat eine Studie zur chronobiologischen Arbeitsgestaltung von Forschern am Fraunhofer-Institut ergeben: Wer sein Leben an seinen natürlichen Intervallen ausrichtet, der hat vier entscheidende Vorteile: mehr Gesundheit, mehr Wohlbefinden, mehr Wohlstand und eine längere Lebenserwartung.[12] Eine längere Lebenserwartung? Tatsächlich! Das hat man auch an Mäusen getestet. In einem Versuch hat man einigen von ihnen einen Vorrat an Futter zur Verfügung gestellt, an dem sie sich jederzeit bedienen konnten, andere wiederum wurden nur in bestimmten Intervallen gefüttert. Letztere hatten eine deutlich längere Lebenszeit.
Aber gehen wir doch noch einmal zurück zu unserer Ausgangsfrage: Wir wollten doch wissen, warum wir eigentlich so müde sind. Vielleicht liegt es gar nicht daran, dass wir zu viel arbeiten. Sondern daran, dass wir einfach nur falsch arbeiten. Dass wir nicht in der Taktung mit unserer natürlichen Biologie arbeiten. Was wäre also nun, wenn wir uns mit dem Wissen über unsere Intervalle, mit dem Wissen über unser kränkelndes Arbeitswesen ein ganz neues Arbeitssystem ausdenken könnten? Eine Art New Work, die ganz nach unseren Bedürfnissen ausgerichtet wäre? Davon soll dieses Buch handeln! Das grundlegende Konzept der neuen Arbeit haben allerdings nicht wir erfunden. Die neue Arbeit gibt es schon ein wenig länger. Und es war ein Deutschstämmiger in Amerika, der sie erdacht hat. Was hat es damit auf sich? Werfen wir einen kurzen Blick über den Großen Teich.
Flint, Michigan, ist mehr als nur eine Stadt. Flint ist ein Synonym. Ein Synonym für das Scheitern. Schon die bloßen Zahlen sprechen für sich. Sie offenbaren, wie es dem 97000-Seelen-Ort an der Nordostküste der USA wirklich geht. 26 Prozent der Einwohner leben unter der Armutsgrenze. 38 Prozent dieser Menschen sind noch keine achtzehn Jahre alt. Beinah die Hälfte der Immobilien in der Stadt sind verwaist. 2010 bis 2012 war Flint die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate in den gesamten USA. In Flint regieren Armut und Kriminalität. Seit Jahren ist Flint nur noch ein Schatten seiner selbst und wird in den Medien immer wieder als warnendes Beispiel einer verfehlten industriellen Monokultur gezeigt. Aber das war nicht immer so. Bis in die 1980er-Jahre war Flint ein Synonym für Wohlstand. Die Industrie boomte. Flint war, genau wie das nahe gelegene Detroit, eine Autostadt. General Motors hatte hier den Großteil seiner Produktionsstätten aufgebaut. Bis General Motors in den 1980ern das erste Mal selbst in Straucheln geriet, der Stadt den Rücken kehrte und Zehntausende Arbeitslose wie auch eine nachhaltig zerstörte Umwelt zurückließ.
Die Geburtsstunde der New Work, erdacht in einer Zeit der Rezession
Flint ist aber auch die Geburtsstätte von einem Konzept, das die Welt verändert hat. Denn ausgerechnet in Flint entstand die Idee zur New Work. Kein Wunder. Denn das Konzept der New Work ist ein Konzept der Krise. Es wurde in den frühen 1980er-Jahren erdacht, in einer Zeit der Rezession. In einer Zeit, in der die ersten Computer in den Firmen auftauchten und die Menschen zunehmend verunsicherten. Die Frage, die man sich bereits zu Zeiten der Industrialisierung stellte, tauchte wieder auf: Würden die Maschinen den Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen? Wie würden die Computer unsere Arbeitswelt beeinflussen? Flint war davon besonders betroffen. Noch bevor der erste Arbeiter entlassen wurde, machten schon Gerüchte über einen radikalen Stellenabbau bei General Motors die Runde. Die Belegschaft war extrem verunsichert. Regelrechte Horrorszenarien wurden debattiert. Genau zu dieser Zeit war der deutsch-österreichisch-amerikanische Sozialphilosoph Professor Dr. Frithjof Bergmann in der Stadt und nahm die Debatte gespannt wahr.
Bergmann beschäftigte sich allgemein mit der Frage nach der Freiheit der Menschen und ganz konkret mit ihren Arbeitsbedingungen. Bergmann war überzeugt: Nichts macht den Menschen unfreier als die Arbeit. Als die Gerüchte über die Massenentlassungen zu immer größerer Verunsicherung führten, schloss sich Bergmann gemeinsam mit ein paar Freunden ein und machte sich Gedanken zu der aktuellen Situation. Unter ihnen: Gewerkschafter, Philosophen und sogar ein Priester. Am Ende brachten sie ein paar Gedanken zu Papier, die unerwartet hohe Wellen schlugen. Wellen, die bis heute noch an die Küsten unserer Arbeitswelt branden. Sie erfanden das Konzept zur New Work.
New Work bedeutet, eine sinnstiftende Arbeit für jeden Menschen zu finden.
Zunächst nahm Bergmann eine einfache Analyse vor. Er stellte fest: Würde es zu Massenentlassungen kommen, dann hätte das zwei Effekte. Die eine Hälfte der Arbeiter würde ihren Job verlieren. Die andere Hälfte müsste wahrscheinlich doppelt so hart und so viel arbeiten, um die Verluste wieder einzufahren. Seine Lösung: die Berechnungsgrundlage zu ändern. Es gäbe noch immer die Möglichkeit, alle Arbeitsplätze zu erhalten. Dann müssten die Mitarbeiter aber nur noch sechs statt zwölf Monate ans Fließband kommen. Und was passiert in der restlichen Zeit? Bergmann machte ein Angebot. In den frei liegenden sechs Monaten sollten die Arbeiter dann in das von Bergmann und Freunden gegründete Center für »Neue Arbeit« kommen und dort herausfinden, welche Arbeit sie in der restlichen Zeit machen wollen. Wo ihre verborgenen Talente liegen. Was sie glücklich machen würde. Um es anders auszudrücken: Bergmann wollte mit ihnen sein New-Work-Konzept testen. New Work bedeutet sehr einfach gesagt: eine sinnstiftende Arbeit für jeden Menschen zu finden.
Wir dienen nicht mehr der Arbeit, die Arbeit dient uns.
In der alten Definition von Arbeit ging es primär darum, eine Aufgabe zu erledigen. Einen Zweck zu erfüllen. Ein Produkt muss hergestellt werden. Eine Dienstleistung muss erbracht werden. Und wir, die Menschen, waren das Werkzeug, um diese Aufgabe zu erledigen. Wir ordneten uns der Arbeit unter. In der neuen Definition von Arbeit, die Bergmann nun vornahm, geht es um das genaue Gegenteil. Er nennt es die Umkehrung: Wir dienen nicht mehr der Arbeit, die Arbeit dient uns. Wir sind kein Werkzeug der Arbeit mehr, um etwas herzustellen. Die Arbeit ist ein Werkzeug für uns, um unsere Entwicklung zu unterstützen, uns zu glücklichen und ausgeglichenen Menschen zu machen. Die Arbeit ist ein Mittel, um unsere Vision im Leben zu finden und sie umzusetzen. Und diese Vision, die bei jedem Menschen eine andere ist, wollte Bergmann in den Beratungen mit den Leuten vor Ort herausarbeiten. New Work war also der Gedanke, die Arbeit so zu gestalten, dass sie für den Menschen sinnstiftend wurde. Ein unerhörter Gedanke! Aber ein Gedanke, der die Menschen zu faszinieren scheint.
Medien berichteten über das Konzept der Neuen Arbeit, andere Wissenschaftler positionierten sich zu Bergmanns Thesen. Viele halten Abstand. Neumodischer Quatsch sei das doch. In der Arbeitswelt gehe es um Effizienz und Ergebnisse, nicht um Esoterik und Selbstverwirklichung. Aber genau das wisse er ja, entgegnete Bergmann, als er sein Konzept verteidigte. Er erklärte, dass die Unternehmen doch die Ersten wären, die davon profitieren würden, wenn sie Mitarbeiter hätten, die einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Die morgens gern kommen. Die sich einbringen. Die mit höchster Motivation arbeiten, weil sie sich gesehen fühlen, weil sie das Gefühl haben, dass sie sich selbst durch ihre Arbeit voranbringen. Bergmann spricht von der Polarität der Arbeit. Arbeit kann uns krank und müde machen. Arbeit kann uns im schlimmsten Fall auch verunstalten und sogar umbringen. Aber, so formuliert er, es gibt auch eine außerordentliche Art von Arbeit, die uns mehr Energie schenkt, als wir zuvor besaßen. Diese Energie der Mitarbeiter freizulegen und zu nutzen ist eine enorme Chance für jedes Unternehmen.