Die kleine Fadette - George Sand - E-Book

Die kleine Fadette E-Book

George Sand

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Beschreibung

Die Autorin erzählt die Geschichte der beiden Zwillingssöhne Landry und Sylvinet die Ende des 18. Jahrhunderts auf einem französischen Bauernhof aufwachsen. Als Landry sich auf einem anderen Hof verdingt und sich in die hässliche Fadette, die Tochter einer Kräuterhexe, verliebt sind Spannungen nicht mehr zu vermeiden ...

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Seitenzahl: 343

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Die kleine Fadette

George Sand

Inhalt:

George Sand – Biografie und Bibliografie

Die kleine Fadette

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebenzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Achtunddreißigstes Kapitel.

Neununddreißigstes Kapitel.

Die kleine Fadette, G. Sand

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634599

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

George Sand – Biografie und Bibliografie

Eigentlich Aurore Dupin, verehelichte Dudevant, franz. Romanschriftstellerin, geb. 2. Juli 1804 in Paris, gest. 7. Juni 1876, die Tochter eines französischen Offiziers, dessen Mutter die natürliche Tochter des Marschalls Moritz von Sachsen war, verlebte auf dem Familiengut Nohant in Berri eine frische Dichterjugend, kam dann in die Pension der englischen Augustinerinnen zu Paris, wo sie drei Jahre (1817 bis 1820) verweilte, und verheiratete sich, nach Nohant zurückgekehrt, 1822 mit dem Baron Dudevant. Die Ehe war indessen keine glückliche, und nach neun Jahren begab sich die Frau, im Einverständnis mit ihrem Gatten, für die Hälfte des Jahres nach Paris, um endlich eine ihren geistigen Bedürfnissen angemessene Atmosphäre zu atmen, nebenbei auch, um sich Geld zu verdienen. Nachdem sie sich in verschiedenen Industrien (Übersetzungen, Handarbeiten, Malen auf Nippsachen etc.) ohne großen Erfolg versucht hatte, wagte sie sich auf Zureden ihres Freundes Jules Sandeau (s. d.) an die Romanschriftstellerei, zunächst in Gemeinschaft mit Sandeau. Ihr gemeinsames Werk »Rose et Blanche« (unter dem Pseudonym Jules Sand, 1831, 5 Bde.) hatte indessen keinen durchschlagenden Erfolg. Um so mehr Bewunderung errang die Schriftstellerin mit dem nächsten, von ihr allein geschriebenen Roman »Indiana« (1832). Sie nannte sich George S. (weil George der Spitzname ihrer Landsleute von Berri ist) und hat diesen Namen für immer beibehalten. Noch in demselben Jahr erschien »Valentine«, im folgenden »Lélia«, zwei Werke, die einen wahren Sturm glühender Sympathien wie auch leidenschaftlicher Opposition erregten. Im Sommer 1833 unternahm S. mit dem Dichter Alfred de Musset, der sich zu ihr mächtig hingezogen fühlte, eine Reise nach Venedig; aber noch in der Lagunenstadt, wo Musset schwer erkrankte, erfolgte der Bruch des an Zwischenfällen aller Art reichen Verhältnisses, über das sich S. selbst in »Le secrétaire intime« (1832), »Les lettres d'un voyageur« (1834) und viel später in »Elle et lui« (1859) ausgesprochen hat, und zwar in dem letztern Werke so rücksichtslos, daß der Bruder des Dichters, Paul de Musset, ihr in »Lui et elle« noch viel unbarmherziger antwortete (s. Musset). Die »Lettres d'un voyageur«, in denen auch Liszt und die Gräfin d'Agoult unter sehr durchsichtiger Maske auftreten, zeigen das beschreibende Talent der Verfasserin in ihrem vollen Glanz. S. erlangte 1836 endlich auch die gerichtliche Scheidung von ihrem Manne, dem sie später noch eine namhafte Summe ausbezahlte. Von Romanen waren »Jacques« (1834), »Leone Leoni« (1835), »André« (1835) und »Simon« (1836) zu den frühern hinzugekommen. Unter den Berühmtheiten, die sich um den Umgang der Dichterin bewarben, sind besonders Chopin, Lamennais, der Republikaner Michel de Bourges und der Sozialist Pierre Leroux namhaft zu machen. Zu dem Erstgenannten trat sie in ein intimes, lange andauerndes Verhältnis und begleitete ihn 1838 auf einer zur Wiederherstellung seiner Gesundheit unternommenen Reise nach Mallorca, die sie in »Un hiver à Majorque« (1842) beschrieb. Während der Jahre 1833 bis 1838 füllten die Romane: »Lavinia«, »Metella«, »Mathéa«, »La marquise«, »Mauprat«, »La dernière Aldini«, »Les maîtres mosaïstes«, »L'Uscoque« die Spalten der »Revue des Deux Mondes«. Unter dem Einfluß Lamennais' und der beiden demokratischen Denker, zu denen vorübergehend auch der Sozialist Cabet trat, entstanden daneben die »Lettres à Marcie« (1837 im »Monde« erschienen), ferner der unerquickliche mystische Roman »Spiridion« (1839) und das Phantasiestück »Les sept cordes de la lyre« (1840). Als sich S. mit der »Revue des Deux Mondes« überworfen hatte (1841), gründete sie mit Leroux, Viardot, Lamennais etc. die »Revue indépendante«, schrieb die mehr oder weniger politischsozialistischen Romane: »Le compagnon du tour de France« (1840), »Le meunier d'Angibault« (1845), »Le péché de M. Antoine« (1847), »Consuelo« (1842, 8 Bde.), ihr großartigstes Werk, dessen Fortsetzung die »Comtesse de Rudolstadt« (1843, 5 Bde.) bildet, ferner: »Pauline« (1841), »Horace« (1842), »Isidora« und »Teverino« (1846) und »Lucrezia Floriani«, »Le Piccinino« und »Le château des désertes« (1847) und bereicherte die Literatur ihres Landes mit Dorfgeschichten, wie: »Mouny-Robin« (1841), »Melchior« (1841), »Jeanne« (1844), »La mare an diable« (1846), »François le champi« (1847) und »La petite Fadette« (1849), kleinen Meisterwerken, die ein großer Kritiker die »französischen Georgiken« genannt hat. Die Fackel der Revolution von 1848 zündete im Herzen der Dichterin gewaltig. Sie gründete eine Wochenschrift: »La cause du peuple«, schrieb für Ledru-Rollin Bulletins und Zeitungsartikel, erließ die schwärmerischen »Lettres an peuple« und trug mit schwerem Herzen die bald folgende Ernüchterung, obgleich sie zu dem Kaiser Napoleon III., der aus der Gefangenschaft von Ham einen Briefwechsel mit ihr angeknüpft hatte, während der ganzen Dauer seiner Regierung in zwar reservierten, aber freundschaftlichen Beziehungen stand. Ihre Arbeitslust und Arbeitskraft blieben ihr treu, ja ihre Kunst zeigt sich in den spätern Schöpfungen vielfach reiner als in den Werken ihrer von Leidenschaften und krankhaften oder überspannten Ideen bewegten Jugend, so in: »Mont Revêche«, »La filleule«, »Les maîtres sonneurs« (1853). Ihre zahlreichen dramatischen Dichtungen finden sich gesammelt im »Théâtre de Nohant« (1864) und »Théâtre complet« (1866–67, 4 Bde.). Von Romanen sind aus der spätern Zeit noch zu erwähnen: »Le marquis de Villemer« (1861); »Mademoiselle de la Quintinie« (1863; gegen Feuillets »Sibylle« gerichtet); »Laura« (1865); »La confession d'une jeune fille« (1865); »Monsieur Sylvestre« (1866); »Pierre qui roule« (1870); »Mademoiselle Azote« (1870); »André Beauvray« (1870). Die zuerst in der »Presse« erschienene Autobiographie der Schriftstellerin: »Histoire de ma vie« (1854–55, 20 Bde.) befriedigte trotz ihrer Ausführlichkeit die gehegten Erwartungen nicht; die psychologischen und philosophischen Erörterungen überwuchern den historischen Kern. Sie starb als Freidenkerin, wie sie gelebt hatte, auf ihrem Schlosse Nohant. In La Châtre bei Nohant wurde ihr 1881 ein Denkmal (von Millet), zur Hundertjahrfeier ihres Geburtstages 1904 ein solches (von Sicard) im Garten des Palais Luxembourg in Paris errichtet; 1877 wurde ihre Statue (von ihrem Schwiegersohn Clésinger) im Foyer des Théâtre-Français aufgestellt. In ihren Werken erscheint George S. mit einer Tiefe des Blickes, zugleich mit einer Kraft, die gewonnenen Eindrücke zu gestalten, begabt wie noch selten eine ihres Geschlechts. Liebe, in und außer der Ehe, Politik, Volkswirtschaft, Religion, das Höchste für den Menschen wie für die Völker, erfüllt ihre Seele und führt ihre Feder, und viele ihrer Schöpfungen sind durch und durch nur zu sichtlich von der Tendenz getränkt. Am größten ist die Dichterin gleichwohl da, wo sie sich tendenzlos dem Zug ihres Genius für Darstellung des Naturlebens und des menschlichen Treibens überläßt, wie in »Consuelo« und namentlich in ihren reizenden Dorfgeschichten. Noch sind der Vollständigkeit wegen ihre »Souvenirs« (1862) und »Autour de la table« (1862), Sammlungen literarischer und kritischer Essays, zu erwähnen, denen sich die nach ihrem Tode veröffentlichten »Dernières pages« (1877) und »Questions d'art et de littérature« (1878) anreihen. Ihre Werke erschienen in mehreren Gesamtausgaben, zuletzt in 55 Bänden (in deutscher Übersetzung, Leipz. 1847–56, 35 Bde., sowie 1843–1847, 87 Bde.), ihre gesammelten Briefe 1882–84 in 6 Bänden; dazu die »Correspondance de George S. et A. de Musset« (Brüss. 1904) und »Correspondance entre G. S. et Gustave Flaubert« (Par. 1904). Vgl. Haussonville, Etudes biographiques et littéraires. George S., etc. (Par. 1879); Caro, George S. (das. 1888, 3. Aufl. 1904); H. Amic, George S., mes souvenirs (das. 1893); Devaux, George S. (das. 1895); Mariéton, Une histoire d'amour: George S. et A. de Musset (neue Aufl., das. 1902); Karénine, George S., sa vie et ses œuvres (das. 1899, 2 Bde.); A. Le Roy, George S. et ses amis (2. Aufl., das. 1903); Faguet, Amours d'hommes de lettres (das. 1906).

Die kleine Fadette

Erstes Kapitel.

Der Vater Barbeau in la Cosse war ein Mann, der sich keineswegs in schlechten Verhältnissen befand; und daß er Mitglied des Municipalrates in seinem Orte war, mag als Beweis dafür dienen. Er besaß zwei Grundstücke, deren Ertrag ihn und seine Familie ernährte, und noch darüber hinaus einen Überschuß lieferte. Von seinen Wiesen erndete er tüchtige Fuder Heu, und ausgenommen von derjenigen, welche an den Ufern des Baches lag und durch die Binsen ein wenig beeinträchtigt wurde, war dies Heu als eins von der besten Sorte in der ganzen Gegend bekannt.

Das Haus des Vaters Barbeau war von solidem Bau und mit Ziegeln gedeckt. Es stand in gesunder Lage auf einem Hügel und war mit einem Garten von reichlichem Ertrage und mit einem Weinberge von sechs Tagewerken verbunden. Schließlich befand sich hinter der Scheune noch ein Baumgarten, wie man bei uns zu sagen pflegt, der einen Überfluß von Früchten lieferte, sowohl an Pflaumen und süßen Kirschen, wie auch an Birnen und Vogelbeeren. Sogar die Nußbäume längs der Umzäunungen waren die ältesten und größten auf zwei Meilen weit in der Runde.

Vater Barbeau war ein Mann von tüchtiger Sinnesart, ein sorglicher Familienvater, ohne Neid und Mißgunst, ohne seinen Nachbarn und Ortsgenossen je zu nahe zu treten.

Er hatte schon drei Kinder, als die Mutter Barbeau, – jedenfalls, weil sie der Meinung war, daß sie genug hätten, um deren fünf zu ernähren, vielleicht auch, weil es galt sich zu beeilen, da ihr das Alter näher rückte, – sich's einfallen ließ, ihren Mann mit einem Zwillingspaar, zwei schönen Knaben, zu beschenken. Da die beiden sich einander ähnlich sahen, daß man sie kaum zu unterscheiden vermochte, waren sie auf den ersten Blick als Zwillinge zu erkennen. Die Mutter Sagette, welche sie bei ihrem Eintritt in die Welt in ihrer Schürze auffing, vergaß nicht dem zuerst Geborenen mit ihrer Nadel ein kleines Kreuzchen auf dem Arme zu punktieren. Sie war der Meinung, daß ein als Erkennungszeichen umschlungenes Band oder Halskettchen, leicht verwechselt werden könnte, und so das Recht der Erstgeburt in Gefahr gerate, verloren zu gehen. Wenn das Kind kräftiger geworden sei, müsse man es mit einem Zeichen versehen, das sich nie verwischen lasse, und man verfehlte nicht dies zu thun.

Der Ältere erhielt den Namen Sylvain, woraus man bald Sylvinet machte, um ihn von seinem ältesten Bruder zu unterscheiden, den man ihm als Taufpaten gegeben hatte. Der jüngere Zwilling wurde Landry genannt, und diesen Namen ließ man ihm unverändert, wie er ihn in der Taufe erhalten hatte, weil sein Onkel, der ihm als Pate gedient hatte, von frühester Jugend auf Landriche genannt worden war.

Der Vater Barbeau war ein wenig erstaunt, als er bei seiner Heimkehr vom Markte zwei kleine Köpfe in der Wiege erblickte. »Ohl oh!« sagte er, »da seht einmal, die Wiege ist zu klein. Morgen früh muß ich daran, sie etwas größer zu machen.« Er verstand sich ein wenig auf das Handwerk des Zimmermanns, ohne es erlernt zu haben, und die Hälfte seiner Möbeln war von ihm selbst verfertigt. Er wunderte sich nicht weiter, sondern wandte sich lieber seiner Frau zu, die ein großes Glas Glühwein trank, nach dessen Genuß sie sich um so besser befand. – »Du bist so gut im Zuge, Frau,« sprach der Mann zu ihr, »daß ich wirklich meine Kräfte zusammen nehmen muß. Es gilt jetzt zwei Kinder mehr zu ernähren, die wir gerade nicht nötig gehabt hätten. Das will soviel sagen, als daß ich nun ohne Rast noch Ruhe auf unseren Äckern und bei unserem Vieh im Stalle schaffen muß. Aber, sei nur ruhig, Frau; ich werde mit der Arbeit schon fertig werden, wenn du das nächste Jahr nur nicht mit Drillingen heran kommst; das wäre des Guten zu viel!«

Die Mutter Barbeau war dem Weinen nahe, worüber ihr Mann sehr bekümmert wurde. – »Ruhig, ruhig! liebe Frau,« sagte er; »laß dich's nicht verdrießen. Ich sagte dir's ja nicht um dir einen Vorwurf zu machen, sondern ganz im Gegenteil, um dir meinen Dank auszusprechen; diese beiden Kinder sind gesund und wohlgestaltet; am ganzen Körper haben sie nicht einen einzigen Fehler, und ich freue mich darüber.«

»Ach Gott,« sagte die Frau, ich weiß recht gut, daß du mir keine Vorwürfe machen willst; aber ich selbst bin voller Sorgen, da es in der Welt nichts lästigeres und unsicheres geben soll, als ein Paar Zwillinge aufzuziehen. Der eine beeinträchtigt den anderen, und fast immer muß einer von ihnen zu Grunde gehen, damit der andere gedeihen kann!«

»Ei, was!« sagte der Vater, »sollte das wirklich so sein? Diese da sind in meinem Leben die ersten Zwillinge, die ich sehe; dergleichen kommt nicht oft vor. Aber, da haben wir ja die Mutter Sagette, die sich darauf verstehen muß, und die uns sagen kann, was man davon zu halten hat.«

Die Mutter Sagette, die sich in dieser Weise dazu aufgefordert sah, erwiderte: – »Laßt's euch von mir gesagt sein: Diese beiden Zwillinge werden schön und gut gedeihen, und mit Krankheiten nicht mehr zu schaffen haben, als andere Kinder auch. Seit fünfzig Jahren betreibe ich mein Geschäft als Hebamme, und sehe alle Kinder, die im Bezirk geboren werden, leben oder sterben. Es ist also auch nicht das erste Mal, daß ich dabei bin, wenn Zwillinge geboren werden. Zunächst thut's ihrer Gesundheit keinen Schaden, daß sie einander ähnlich sehen. Es giebt aber auch Zwillinge, die sich ebensowenig gleichen, wie ihr und ich, oft kommt's auch vor, daß einer von ihnen kräftig und der andere schwach ist: dann geschieht's, daß der eine lebt und der andere stirbt. Nun betrachtet aber einmal die eurigen! Seht! wie sie beide gleich schön und richtig gebaut sind; als ob sie jeder ein einziger Sohn wären. Im Schoße ihrer Mutter haben sie sich also keinerlei Schaden zugefügt; der eine wie der andere sind sie leicht zur Welt gekommen, ohne ihrer Mutter, oder sich selbst viele Schmerzen verursacht zu haben. Sie sind wunderniedlich und haben kein anderes Verlangen als zu leben. Tröstet euch also, Mutter Barbeau; es wird euch großes Vergnügen machen, wenn ihr seht, wie sie gedeihen. Wenn sie so bleiben, wie sie da sind, wird es außer euch und denjenigen, die sie täglich vor Augen haben, kaum jemanden geben, der sie voneinander unterscheiden könnte, denn noch nie habe ich zwei so vollkommen gleiche Zwillinge gesehen. Man könnte sagen: sie sind wie zwei Feldhühner, die aus demselben Ei gekrochen sind. Da ist alles so niedlich und so gleichartig, daß niemand als die Mama Feldhuhn sie voneinander unterscheiden kann.«

»Das wäre!« ließ sich der Vater Barbeau vernehmen, indem er sich den Kopf kraute; »ich hörte aber sagen, daß Zwillinge mit der Zeit aneinander hängen sollen, daß sie nicht mehr leben können, wenn sie voneinander getrennt werden; daß wenigstens einer von ihnen sich vor Kummer verzehren würde, bis er daran gestorben sei.«

»Das ist die reine Wahrheit,« bestätigte die Mutter Sagette; »aber merkt euch, was eine Frau von Erfahrung euch sagen wird. Vergeßt es nicht! denn um die Zeit, in der eure Kinder das Alter erreicht haben, wo sie das elterliche Haus verlassen, werde ich vielleicht nicht mehr in der Welt sein, um euch mit meinem Rat beistehen zu können. Sobald euere Zwillinge anfangen verständig zu werden, seid auf euerer Hut, sie nicht immer beisammen zu lassen, schickt den einen zur Arbeit hinaus, während der andere zu Hause bleibt. Wenn der eine auf den Fischfang geht, schickt den anderen auf die Jagd. Wenn der eine die Schafe hütet, laßt den anderen die Ochsen auf die Weide treiben; gebt ihr dem einen ein Glas Wein zu trinken, so reicht dem anderen ein Glas Wasser, und so umgekehrt. Scheltet oder bestraft sie ja nicht beide zu gleich, laßt sie auch nicht beide gleich gekleidet sein: wenn der eine einen Hut trägt, setzet dem anderen eine Kappe auf; und vor allem achtet darauf, daß ihre Blusen nicht von derselben blauen Farbe sind. Schließlich bietet alles auf, was in eurer Macht steht, sie daran zu verhindern, sich so leidenschaftlich aneinander anzuschließen und sich so zu gewöhnen, daß der eine ohne den anderen nicht mehr sein kann. Ich fürchte sehr, ihr werdet das, was ich euch da gesagt habe, ins eine Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus gehen lassen. Aber, wenn ihr euch nicht darnach haltet, werdet ihr es eines Tages bitter zu bereuen haben.«

Mutter Sagette sprach goldene Weisheit, und man glaubte daran. Man versprach ihr, nach ihren Worten zu thun, und entließ sie mit einem schönen Geschenke. Da sie dringlichst empfohlen hatte, die Zwillinge nicht mit derselben Milch zu ernähren, war man darauf bedacht, sich rasch eine Amme zu verschaffen.

Es war indessen im ganzen Orte keine aufzutreiben. Mutter Barbeau hatte in dieser Hinsicht keine Vorkehrungen getroffen, da sie auf Zwillinge nicht gerechnet, und alle ihre anderen Kinder selbst genährt hatte. So geschah es also, daß Vater Barbeau sich auf den Weg machen mußte, in der Umgegend nach einer passenden Amme zu suchen. Mittlerweile nahm die Mutter, die ihre Kleinen doch nicht darben lassen konnte, eins nach dem anderen an die Brust.

Bei uns zu Hause sind die Leute nicht eben rasch von Entschluß, und wie reich man auch sein mag, so muß bei jedem Geschäft doch immer etwas gehandelt werden. Man wußte, daß die Barbeaus es bezahlen konnten und war auch der Meinung, daß die Mutter, die nicht mehr in der ersten Blüte stand, unmöglich würde zwei Säuglinge stillen können, ohne sich selbst zu erschöpfen. Die Ammen alle, die Vater Barbeau auftreiben konnte, verlangten für den Monat achtzehn Franken, nicht mehr, noch weniger, als sie von einem Bürger gefordert haben würden.

Vater Barbeau wollte nur zwölf bis fünfzehn Franken geben und meinte, dies sei für einen Bauersmann schon viel. Er wandte sich überall hin und knüpfte Unterhandlungen an, ohne jedoch zum Abschluß kommen zu können. Die Sache drängte auch nicht so sehr, denn die beiden noch so kleinen Kinder konnten der Mutter nicht beschwerlich werden. Dabei befanden sie sich so wohl, waren so ruhig, so durchaus keine Schreihälse, daß sie fast nicht mehr Störung im Hause verursachten, als wenn nur ein einziges dagewesen wäre. Sobald der eine schlief, schlief auch der andere; auch hatte der Vater die Wiege in passender Weise verändert, und wenn sie beide zu weinen anfingen, wiegte und beruhigte man sie zu gleicher Zeit.

Endlich war man so weit gekommen, daß Vater Barbeau mit einer Amme einen Kontrakt abschloß, der auf fünfzehn Franken pro Monat lautete; es handelte sich nur noch um die Bewilligung eines Nadelgeldes von hundert Sous, als seine Frau plötzlich zu ihm sagte: – »Ei was! lieber Mann, ich sehe nicht ein, warum wir jährlich hundertundachtzig, oder gar zweihundert Franken hinauswerfen sollen, als wären wir eine große Herrschaft, oder als ob ich über die Jahre hinaus wäre, meine Kinder selbst nähren zu können. Ich habe mehr Milch, als dazu nötig ist. Unsere Buben sind jetzt schon einen Monat alt, und sieh nur, ob sie nicht dick und rund sind. Die Merlaude, die du dem einen von beiden zur Amme geben wolltest, ist nicht halb so kräftig und gesund wie ich. Ihre Milch ist schon achtzehn Monate alt, und das ist nicht mehr das richtige für ein so kleines Kind. Es ist wohl wahr, die Sagette hat uns geraten die Zwillinge nicht mit derselben Milch zu nähren, damit sie nicht eine zu große Anhänglichkeit füreinander gewinnen sollten. Aber sie hat uns ja auch gesagt, daß die Kinder beide gleich gut gepflegt werden müssen, weil alles in allem genommen, Zwillinge nicht ganz dieselbe Lebenskraft hätten, wie andere Kinder. Mir ist es lieber, wenn die unsrigen sich künftig zu lieb haben, als wenn eins dem anderen geopfert werden sollte. Und dann, welches von den beiden sollten wir der Amme übergeben? Ich muß dir gestehen, daß ich mich gerade so ungern von dem einen wie von dem anderen trennen würde. Ich kann sagen, daß ich alle meine Kinder sehr lieb hatte; aber ich weiß nicht, wie es kommt, ich meine doch, diese hier wären die niedlichsten und hübschesten, die ich auf dem Arm gehabt hätte. Ich habe für sie eine sogar eigene Empfindung, die mich immer fürchten läßt, ich könnte sie verlieren. Ich bitte dich, Mann, denke nicht mehr an die Amme. Im übrigen wollen wir alles thun, was die Sagette uns so dringlich empfohlen hat. Wie sollte das nur zugehen, daß Kinder an der Mutter Brust eine zu große Anhänglichkeit für einander gewinnen könnten. Zur Zeit der Entwöhnung werden sie doch nicht weiter sein, als daß sie höchstens ihre Hand von ihrem Fuß zu unterscheiden wissen.«

»Was du da sagst, Frau, läßt sich hören,« erwiderte Vater Barbeau, indem er seine Frau betrachtete, die noch immer frisch und kräftig war, wie man wenig andere Frauen in ihrem Alter sah. »Wenn nun aber trotzdem, wie die Kinder zunehmen, deine Gesundheit verkümmern würde?«

»Sei unbesorgt deshalb,« sagte Frau Barbeau, »das Essen schmeckt mir noch so gut, als wenn ich erst fünfzehn Jahre alt wäre. Überdies verspreche ich dir, sobald ich fühlen werde, daß es mich erschöpfen könnte, dir dies nicht zu verbergen, und dann wird es noch immer Zeit sein, eins von den beiden armen Kindern aus dem Hause fort zu thun.«

Vater Barbeau fügte sich diesen Vorstellungen um so lieber, da er selbst sehr geneigt war, überflüssige Ausgaben zu vermeiden. Mutter Barbeau nährte ihre Zwillinge ohne zu klagen, und ohne darunter zu leiden; sie war von so trefflicher Konsumtion, daß sie sogar zwei Jahre, nachdem sie ihre Zwillinge entwöhnt hatte, einem allerliebsten Töchterchen das Leben gab, welches in der Taufe den Namen Nanette erhielt, und das gleichfalls von ihr selbst genährt wurde. Dies war jedoch des Guten zu viel, und sie würde Mühe gehabt haben, ihre Aufgabe zu Ende zu führen, wenn nicht ihre älteste Tochter, die gerade ihr erstes Kind hatte, sie von Zeit zu Zeit in ihren mütterlichen Pflichten unterstützt hätte, indem sie ihrer kleinen Schwester die Brust gab.

In dieser Weise wuchs die kleine Familie heran und tummelte sich bald in der Sonne herum: die kleinen Onkels und Tanten mit den kleinen Neffen und Nichten, die sich einander nichts vorzuwerfen hatten, wer von ihnen am meisten lärmte, oder wer verständiger war.

Zweites Kapitel.

Die Zwillinge wuchsen munter heran, ohne häufiger von Krankheiten heimgesucht zu werden, als andere Kinder auch; ja sie waren sogar von so sanfter und gutartiger Gemütsart, daß man hätte meinen können, das Zahnen und Wachsen mache ihnen lange nicht so viel zu schaffen, als der ganzen übrigen kleinen Welt.

Sie waren blond und blieben blond, ihr Leben lang. Sie waren von überaus einnehmender Erscheinung, hatten große blaue Augen, schön abfallende Schultern, einen ebenmäßigen Wuchs und eine gute Haltung. Dabei waren sie größer und von kühnerem Vorgehen, als alle ihre Altersgenossen. Die Leute aus der Umgegend, welche durch den Marktflecken la Cosse kamen, blieben stehen, um sie zu betrachten und wunderten sich über ihr gutes Benehmen. Im Weitergehen sagte jeder: »Wie allerliebst die beiden kleinen Buben sind!«

Dies war die Ursache, weshalb die Zwillinge sich beizeiten daran gewöhnten Auskunft zu geben, wenn Fragen an sie gerichtet wurden, und dies keineswegs in verschüchterter oder einfältiger Weise zu thun. Zwanglos begegneten sie jedermann, und statt sich hinter Gesträuch zu verbergen, wie dies die Kinder bei uns zu thun pflegen, wenn sie einen Fremden erblicken, hielten sie jedermann stand, waren immer sehr höflich und antworteten auf alles, was man sie fragte, ohne den Kopf hängen, oder sich dazu nötigen zu lassen. Auf den ersten Blick vermochte man keinen Unterschied zwischen ihnen wahrzunehmen, und man glaubte sie wären einander so ähnlich Wie ein Ei dem anderen. Aber hatte man sie eine Weile betrachtet, dann erkannte man, daß Landry um ein Atom größer und stärker war, daß er ein etwas dichter gewachsenes Haar, eine etwas stärkere Nase und ein lebhafteres Auge hatte. Auch hatte er eine breitere Stirn und eine entschlossenere Miene, und sogar ein Mal, welches sein Bruder auf der rechten, und er auf der linken Wange hatte, trat bei ihm viel deutlicher hervor. Die Leute im Orte wußten sie daher recht gut zu unterscheiden; allein sie bedurften dazu doch eines kurzen Besinnens, und beim Eintritt der Dunkelheit, oder in geringer Entfernung täuschten sich fast alle, umsomehr, da bei den Zwillingen die Stimme von ganz gleichem Klange war; und da sie recht gut wußten, daß sie miteinander verwechselt werden konnten, antworteten sie oft der eine im Namen des anderen, ohne sich die Mühe zu geben dritte Personen über den Irrtum aufzuklären. Selbst Vater Barbeau war es einige Male begegnet, daß er sich irrte. So geschah es, wie die Sagette es vorher gesagt hatte, daß allein die Mutter sich niemals täuschte, mochte es Mitten in der Nacht, oder in der größten Entfernung sein, wo ihr Auge die Gestalt ihrer Kinder noch eben zu erreichen, oder ihr Ohr deren Stimme noch zu vernehmen vermochte.

In der That, einer war des andern wert; wenn Landry auch etwas fröhlicheren und kühneren Sinnes war, als sein älterer Bruder, so war Sylvinet dagegen von so zutraulicher und sinniger Gemütsart, daß man ihm nicht weniger gut sein konnte, als dem Jüngeren. Während des ersten Vierteljahres war man wohl darauf bedacht zu verhindern, daß sie sich nicht zu sehr aneinander gewöhnen sollten. Drei Monate, das ist eine lange Zeit auf dem Lande, um etwas, das gegen die Gewohnheit ist, zu beobachten. Indessen, auf der einen Seite erkannte man, daß es keine besondere Wirkung hatte, und andererseits hatte der Pfarrer gesagt, die Mutter Sagette sei eine unverständige Schwätzerin, und was Gott durch die Gesetze der Natur angeordnet habe, könnte durch den Menschen nicht wieder aufgehoben werden. Das war einleuchtend und so kam es, daß man allmählich alles vergaß, was man sich zu thun vorgenommen hatte. Das erste Mal, als man bei den Zwillingen die Kinderkleidchen fort ließ, und ihnen Höschen anzog, um sie mit in die Messe zu nehmen, waren diese aus demselben Tuche gefertigt, denn es war ein Unterrock der Mutter, der für die beiden Anzüge hingereicht hatte; auch waren sie von ein und demselben Schnitt, da der Schneider der Ortschaft sich nur auf diesen einen verstand.

Als die Zwillinge heranwuchsen, stellte es sich heraus, daß sie in Bezug auf Farben denselben Geschmack hatten. Als ihre Tante Rosette jedem von ihnen zum Neujahrstage ein Halstuch schenken wollte, wählten sie bei dem hausierenden Händler, der seine Ware auf dem Rücken seines Pferdes von Haus zu Haus führte, sich jeder ein Tuch von derselben Lilafarbe. Die Tante fragte sie darauf, ob sie dies thäten, weil sie sich dabei dächten, daß sie immer gleich gekleidet sein wollten. Die Zwillinge aber suchten ihre Gründe nicht so weit, und Sylvinet antwortete, daß dies die schönste Farbe sei, und das Tuch das schönste Muster habe von allen die in dem Ballen des Händlers zu finden wären. Gleich darauf versicherte Landry, daß an alle den anderen Halstüchern ihm nichts gelegen sei.

»Und was haltet ihr denn von der Farbe meines Pferdes?« fragte lächelnd der Handelsmann.

»Sehr häßlich!« sagte Landry. »Es sieht aus wie eine alte Elster.«

»Ganz abscheulich!« bekräftigte Sylvinet. »Grade wie eine schlecht befiederte Elster.«

»Ihr seht wohl,« wandte der Händler sich mit verständnisvoller Miene an die Tante, »daß diese Kinder alles mit demselben Auge ansehen. Wenn der eine etwas für gelb hält, was rot ist, wird der andere sofort für rot halten, was gelb ist. Man muß ihnen darin nicht widersprechen, denn es heißt: wenn man Zwillinge verhindern wolle, sich als Abdrücke nach ein und demselben Vorbilde zu betrachten, würden sie blöde im Kopf werden und gar nicht mehr wissen, was sie sagen sollten.«

Der Händler sagte dies, weil seine Tücher von Lilafarbe schlecht gefärbt waren, und er gern zwei davon los werden wollte.

Mit der Zeit ging es mit allen Dingen in dieser Weise fort; und die Zwillinge waren immer ganz gleich gekleidet, so daß die Gelegenheit sie zu verwechseln, noch viel häufiger vorkam. Mochte es nun kindischer Übermut sein, oder mochte es durch die Gewalt jenes Naturgesetzes geschehen, wogegen nach des Pfarrers Ansicht nicht anzukämpfen war, – kurz, wenn der eine von den Zwillingen etwas an seinem Holzschuh zerbrochen hatte, beschädigte rasch auch der andere etwas an dem seinigen, und zwar an dem desselben Fußes. Hatte der eine an seinem Wams oder seiner Mütze etwas zerrissen, so machte der andere ohne Zögern den Riß an den seinigen so genau nach, daß man hätte sagen können, er sei durch denselben Zufall verursacht worden. Wenn die Zwillinge darüber befragt wurden, lachten sie und nahmen eine harmlos verstellte Miene an.

Ob es nun zum Glück oder zum Unglück war: diese Freundschaft nahm mit den Jahren immer mehr zu, und mit dem Tage, da sie zu denken begannen, sagten die beiden Kinder sich, daß es ihnen unmöglich sei, sich am Spiel mit anderen Kindern zu erfreuen, wenn einer von ihnen nicht dabei sei. Wenn der Vater den Versuch machte, den einen seiner Zwillinge den ganzen Tag über bei sich zu behalten, während der andere bei der Mutter blieb, waren die Kinder beide so niedergeschlagen und lässig bei der Arbeit, und blickten so bleich und verkümmert drein, daß man hätte glauben sollen, sie seien krank. Fanden sie sich dann aber am Abend wieder zusammen, dann machten sie sich miteinander Hand in Hand auf den Weg, und waren nicht so bald wieder nach Hause zurückzubringen, so wohl war es ihnen wieder beisammen zu sein; auch grollten sie ihren Eltern ein wenig, ihnen solch ein Entbehren auferlegt zu haben. Man machte eigentlich auch keinen weiteren Versuch mit diesen vorübergehenden Trennungen, denn um die Wahrheit zu sagen, war es unverkennbar, daß Vater und Mutter, ja sogar die Onkel und Tanten, die Brüder und Schwestern eine an Schwäche streifende Vorliebe für die Zwillinge hatten. Sie waren stolz darauf, wegen der Schmeicheleien, die sie in Bezug auf diese Kinder zu hören bekamen, und auch, weil dies wahrlich ein Paar Knaben waren, die sicherlich nichts von Häßlichkeit, Dummheit oder Bosheit an sich trugen. Von Zeit zu Zeit machte es dem Vater Barbeau noch einige Sorge, was schließlich aus dieser Gewohnheit des beständigen Beisammenseins werden sollte, wenn sie einmal das Alter der Reife erlangt haben würden. In Erinnerung an das, was die Sagette gesagt hatte, versuchte er manchmal durch verschiedene Neckereien sie zur gegenseitigen Eifersucht aufzustacheln. Wenn sie zum Beispiel etwas Verkehrtes angestellt hatten, zupfte der Vater Sylvinet an den Ohren, während er zu Landry sagte: »Dir mag es für dieses Mal hingehen, da du sonst meistens der Vernünftigste bist.« Indessen, wenn es Sylvinet heiß um die Ohren wurde, fand er gerade darin seinen Trost, das man wenigstens seinen Bruder verschont hatte, und Landry weinte, als ob er es gewesen wäre, der die Strafe erlitten hatte. Man versuchte es auch damit, das man etwas, nachdem sie beide Verlangen trugen, nur dem einen von ihnen gab; bestand dies aber in irgend einer Näscherei, so wurde diese sofort unter ihnen geteilt. Oder, war es irgend eine andere artige Spielerei, so nahmen sie dieselbe gemeinschaftlich in Besitz; oder der eine nahm sie an und gab sie abwechselnd dem anderen, ohne einen Unterschied zwischen dem mein und dein gelten zu lassen. Belobte man den einen wegen seines guten Betragens, und nahm dabei die Miene an, als ob man dem anderen die gerechte Anerkennung versagen wollte, so bezeigte dieser seine Zufriedenheit und war stolz darauf, seinen Zwillingsbruder ermuntert und geliebkost zu sehen; ja er schickte sich an, ihn gleichfalls zu streicheln und zu liebkosen. Schließlich wäre es nur eine verlorene Mühe gewesen, hätte man noch weitere Versuche anstellen wollen, sie innerlich oder äußerlich voneinander zu trennen. Gleich wie man Kindern, die man liebt, nur ungern verweisend entgegentritt, selbst dann, wenn es zu ihrem besten wäre, so machte man es auch bald mit den Zwillingen und ließ die Dinge gehen, wie es Gott gefiel. Höchstens trieb man nur noch ein Spiel mit diesen kleinen Neckereien, ohne daß die Zwillinge sich dadurch täuschen ließen. Sie besaßen eine große Schlauheit, und damit man sie in Ruhe lassen sollte, thaten sie einige Male, als ob sie untereinander stritten und sich schlagen wollten. Ihrerseits war dies nur ein Scherz und während sie übereinander herfielen, nahmen sie sich Wohl in acht, daß keiner dem anderen auch nur im geringsten weh thun konnte. Wenn irgend ein müßiger Gaffer sich wunderte, sie miteinander streiten zu sehen, liefen sie davon, um über ihn zu lachen, und dann hörte man sie plaudern und zwitschern wie ein paar Amseln die auf demselben Zweige sitzen.

Trotz ihrer großen Ähnlichkeit und dieser außerordentlichen Zuneigung, war es Gottes Wille, der im Himmel und auf Erden nichts vollkommen gleiches erschaffen hat, daß sie ganz verschiedene Schicksale haben sollten, und dann war es zu erkennen, daß sie zwei in der Idee des Schöpfers getrennte Wesen waren, die sich durch ihr eignes Empfindungsvermögen voneinander unterschieden. Vater Barbeaus Familie vergrößerte sich, dank sei's den beiden ältesten Töchtern, die nicht feierten, schöne Kinder in die Welt zu setzen. Sein ältester Sohn Martin, ein schöner und braver Bursche war bei anderen im Dienst; seine Schwiegersöhne arbeiteten tüchtig, aber es war nicht grade immer Überfluß an Arbeit vorhanden. Es hat bei uns hintereinander eine Reihe von schlechten Jahren für die Ernte gegeben, sowohl durch die ungünstigen Witterungsverhältnisse, als auch durch die Stockungen des Handels; durch diese Verhältnisse war aus der Tasche des Landmannes mehr Geld hinaus geschafft, als wieder herein gebracht worden. Dies war so sehr der Fall gewesen, daß Vater Barbeau nicht mehr die hinreichenden Mittel besaß, seine ganze Familie bei sich zu behalten, und so mußte wohl daran gedacht werden, die Zwillinge bei anderen in den Dienst zu geben. Da war nun der Vater Caillaud von la Priche, der ihm das Anerbieten machte einen von beiden zu nehmen, um seine Ochsen zu führen, denn er hatte einen ansehnlichen Grundbesitz zu bewirtschaften, und seine eignen Söhne waren für jenen Dienst, entweder schon viel zu erwachsen, oder noch viel zu jung. Die Mutter Barbeau geriet in große Angst, als ihr Eheherr zum erstenmale über diese Angelegenheit mit ihr sprach und empfand großen Kummer darüber. Man hätte denken sollen, es sei ihr noch nie in den Sinn gekommen, daß ihren Zwillingen ein derartiges Los bevorstehen könne, und dennoch war sie in dieser Hinsicht schon immer in Sorgen gewesen. Indessen, da sie ihrem Manne gegenüber sehr unterwürfig war, fand sie kein Wort der Erwiderung dagegen. Der Vater empfand seinerseits Wohl auch große Bekümmernis und leitete die Sache von weitem ein. Die Zwillinge weinten anfangs und streiften drei Tage lang in Wald und Wiesen umher, ohne sich im Hause blicken zu lassen, als zu den Stunden der Mahlzeiten. Mit ihren Eltern sprachen sie nicht ein Wort darüber, und wenn man sie fragte, ob sie daran gedacht hätten sich zu fügen, erwiderten sie nichts, aber so bald sie allein waren, besprachen sie sich viel untereinander.

Den ersten Tag nach der traurigen Botschaft, verbrachten sie nur mit Klagen, und sie hielten sich umschlungen, wie in der Furcht, daß man sie gewaltsam trennen könnte. Aber Vater Barbeau würde es nicht in den Sinn gekommen sein, so etwas zu thun. Er besaß die Weisheit des Landmannes, die zum Teil in der Geduld besteht und zum Teil in dem Vertrauen auf die heilsame Wirkung der Zeit. Auch waren die Zwillinge am folgenden Morgen, als sie sahen, daß man sie durchaus nicht drängte, und daß man darauf rechnete, die Vernunft würde ihnen schon kommen, in viel größerer Bekümmernis über den väterlichen Beschluß, als Drohungen und Strafen ihnen zu verursachen vermocht hätten, – »Es wird nicht anders sein, als daß wir uns darin fügen müssen,« sagte Landry; »es kommt jetzt nur noch darauf an, wer von uns gehen wird; man ließ uns ja die Wahl, und der Vater Caillaud hat gesagt, daß er uns nicht alle beide nehmen könne.«

»Was liegt mir noch daran, ob ich gehe oder bleibe,« sagte Sylvinet, »da wir uns ja doch trennen müssen. Ich denke nicht einmal darüber nach, daß ich hinaus soll, anderswo zu leben; wenn ich nur dich bei mir behalten könnte, würde ich mich recht gut vom Hause entwöhnen.«

»Das ist leicht gesagt,« erwiderte Landry, »und doch wird es dem, der bei unseren Eltern bleibt tröstlicher zu Mute sein, und er wird, weniger von der Sehnsucht zu leiden haben als der andere, der nichts mehr von alledem sieht, was ihm Trost und Erquickung war: weder seinen Zwillingsbruder, noch seinen Vater und seine Mutter, weder seinen Garten noch seine Tiere.«

Landry sagte dies alles mit ziemlich gefaßter Miene; aber Sylvinet war dem Weinen nahe, denn er besaß lange nicht einen so festen entschlossenen Sinn, wie sein Bruder. Die Vorstellung alles, was ihm lieb und teuer war, mit einem Male verlassen zu müssen, erfüllte ihn mit solchem Schmerz, daß er seine Thränen nicht länger zu bezwingen vermochte.

Landry weinte auch, aber nicht so fassungslos; überhaupt in einer ganz anderen Weise, denn er war stets darauf bedacht, den schlimmsten Teil alles Unangenehmen auf sich zu nehmen, und er wollte sehen, wie viel sein Bruder ertragen könne, um ihm dann alles Übrige zu ersparen. Er wußte recht gut, daß Sylvinet sich mehr ängstigen würde, an einem anderen Orte zu wohnen und in einer fremder Familie zu leben, als er dies thun würde.

»Höre Bruder,« sprach er zu ihm, »wenn wir uns zu einer Trennung entschließen müssen, ist es am besten, daß ich gehe. Du weißt ja, daß ich etwas stärker bin, als du; wenn wir von einer Krankheit befallen werden, was beinah immer zu gleicher Zeit geschieht, hast du das Fieber jedesmal etwas mehr als ich. Man sagt, daß wir sterben könnten, wenn man uns trennt. Was mich betrifft, so glaube ich nicht, daß ich sterben würde; aber für dich möchte ich nicht einstehen, und das ist es, weshalb es mir lieber wäre, dich bei unserer Mutter zu wissen, die dich trösten und pflegen kann. Wenn man in der Liebe zwischen uns beiden einen Unterschied macht, was freilich kaum der Fall zu sein scheint, so glaube ich, daß du es bist, den man am liebsten hat, und ich weiß auch, daß du der Hübscheste und Zutraulichste bist. Bleibe du also hier, und ich gehe dann. Wir werden nicht weit voneinander fort sein. Die Ländereien des Vaters Caillaud grenzen an die unsrigen, und wir können uns jeden Tag sehen. Mir wird es angenehm sein, wenn ich mich tüchtig plagen muß; das wird mich zerstreuen, und da ich schneller laufen kann als du, komme ich dann gleich dich aufzusuchen, so bald ich mein Tagewerk beendet habe. Und du, da du nicht so viel zu thun hast, kommst jeden Tag herüber und suchst mich bei meiner Arbeit auf. So werde ich deinetwegen viel weniger Sorge haben, als wenn du aus dem Hause fort gingst, und ich daheim bliebe. Ich bitte dich also, bleibe hier.«

Drittes Kapitel.

Sylvinet wollte von diesen Vorstellungen nichts wissen. Wenn er auch mit größerer Zärtlichkeit als Landry an seinem Vater, seiner Mutter und an seiner kleinen Nanette hing, so schrak er doch davor zurück seinen lieben Zwilling den schwersten Teil ihres Geschicks auf sich nehmen zu lassen.

Nachdem sie genug herumgestritten hatten, beschlossen sie, das Los, durch Strohhalm ziehen, entscheiden zu lassen, und Landry war es, der den kürzesten Halm zog. Sylvinet war mit dieser Probe nicht zufrieden; er wollte es noch einmal mit dem Werfen eines dicken Sousstückes versuchen. Dreimal fiel für ihn die Hauptseite des Gepräges nach oben. Es war also immer für Landry, den das Los zu gehen traf.

»Du siehst nun wohl, Wie das Schicksal es beschlossen hat,« sagte Landry, »und du weißt, daß man dem Willen des Schicksals nicht zuwiderhandeln darf.«

Sylvinet weinte am dritten Tage noch sehr, Landry aber vergoß kaum noch eine Thräne. Der erste Gedanke an das Verlassen des väterlichen Hauses, hatte ihm vielleicht noch größeren Schmerz verursacht, als seinem Bruder. Er war sich seines Mutes bewußt, und hatte sich nicht einen Augenblick über die Unmöglichkeit getäuscht, dem Willen seiner Eltern zu widerstehen. Aber grade, weil er viel über seinen Schmerz nachdachte, hatte er diesem den Stachel genommen; auch hatte er viele Gründe aufgefunden, die ihm sein Schicksal als eine unabwendbare Notwendigkeit erscheinen ließen. Sylvinet dagegen, der immer nur trostlos war, hatte nicht den Mut gehabt über die Angelegenheit nachzudenken. So war es also gekommen, daß Landry ganz entschlossen war zu gehen, während Sylvinet sich noch nicht einmal in die Notwendigkeit der Trennung gefunden hatte.

Auch hatte Landry überhaupt etwas mehr Selbstgefühl als sein Bruder. Es war ihnen so oft vorgesagt worden, daß sie nie ein ganzer Mann sein würden, wenn sie sich nicht darein finden könnten, voneinander getrennt zu sein. Landry nun, der den Stolz seiner vierzehn Jahre in sich keimen fühlte, wandelte die Lust an zu zeigen, daß er kein Kind mehr sei. Seitdem sie zum erstenmale ausgezogen waren, auf dem Wipfel eines Baumes ein Vogelnest zu suchen, bis auf den gegenwärtigen Tag, war er es stets gewesen, der bei jeder Unternehmung seinen Bruder überredete und mit sich fort zog. So gelang es ihm denn auch diesesmal ihn zu beruhigen, und als sie am Abend in das Haus der Eltern zurückkehrten, erklärte er seinem Vater: daß er und sein Bruder bereit seien, sich in das Unvermeidliche zu fügen, daß sie das Los gezogen hätten, und daß er hinaus gehen werde, die großen Ochsen von la Priche zu führen.

Vater Barbeau nahm seine Zwillinge und setzte jeden, obgleich sie schon groß und stark waren, auf eins seiner Kniee und sprach zu ihnen: