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Dämonen, Götter, Rache und Verrat - gegen all das haben sich Wydrin, Sebastian und Frith zur Wehr gesetzt. Aber noch immer zieht der Drache weiter nach Norden. Als sie endlich wissen, wie sie die Bestie vernichten und die Zerstörung beenden können, drängt sich eine gewaltige Armee zwischen unsere Helden und ihr Ziel. Und die Zeit läuft immer schneller davon. Sie müssen Y'Ruen aufhalten, bevor sie die ganze Welt mit ihren Flammen zu Asche verbrennt.
Die Fantasy-Reihe "Von Göttern und Drachen" von Jen Williams umfasst die folgenden vier Bände:
Der Geist der Zitadelle - Band 1
Die Geschwister des Nebels - Band 2
Der Prinz der Schmerzen - Band 3
Die Klinge aus Asche - Band 4
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Seitenzahl: 213
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Über diese Folge
Über die Autorin
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Impressum
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Dämonen, Götter, Rache und Verrat – gegen all das haben sich Wydrin, Sebastian und Frith zur Wehr gesetzt. Aber noch immer zieht der Drache weiter nach Norden. Als sie endlich wissen, wie sie die Bestie vernichten und die Zerstörung beenden können, drängt sich eine gewaltige Armee zwischen unsere Helden und ihr Ziel. Und die Zeit läuft immer schneller davon. Sie müssen Y’Ruen aufhalten, bevor sie die ganze Welt mit ihren Flammen zu Asche verbrennt.
Jen Williams lebt mit ihrem Partner und ihrer Katze in London. Sie war schon immer von Piraten und Drachen fasziniert und schreibt über sie, seit sie denken kann. Mittlerweile lebt sie ihre Leidenschaft in rasanten Fantasy- und Sword-and-Sorcery-Romanen aus, in denen es nicht nur die bereits erwähnten Piraten und Drachen gibt, sondern auch jede Menge Magie und stets ein kleines Augenzwinkern. Bei den British Fantasy Awards war sie 2015 als Best Newcomer nominiert. »Von Göttern und Drachen« ist ihr Debüt.
JEN WILLIAMS
DIEKLINGEAUS ASCHE
VON GÖTTERN UND DRACHENBAND 4
Aus dem Englischen vonFalko Löffler
beBEYOND
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Titel der englischen Originalausgabe: Upon the Ashen Blade
Copyright © 2014 by Jennifer Williams
Für die deutschsprachige, digitale Originalausgabe
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Übersetzer: Falko Löffler
Textredaktion: Catherine Beck
Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © Headline Publishing Group unter Verwendung von shutterstock: Algol und Getty Images: Dagli Orti
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4391-5
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Mit Liebe für
Y’Ruen breitete die Flügel aus, die die Farbe von Zwielicht hatten, und flog durch die Wolkendecke, schwelgte in den Nebelschwaden, die sich an ihre Schuppen schmiegten. Ihre Flügel rissen die Wolken auf, zerstreuten sie, bis sie den Kopf in den klaren, blauen Himmel heben konnte. Hier war die Luft dünn und kalt, doch das fiel ihr kaum auf, denn es war nichts im Vergleich zu der brodelnden Hitze, die sie in sich trug.
Welche Gedanken hatte ein Drache? Worüber dachte ein Gott nach?
Sie zogen jetzt durch die roten Lande jenseits von Relios, und aus dem lehmigen Boden wurden Ebenen mit festem Gras. In noch weiterer Entfernung konnte Y’Ruen die saftigen grünen Wiesen und blauen Berge am nördlichen Ende des Kontinents ausmachen. Zufriedenheit floss durch ihren ganzen Körper, als sie an diese grüne Fläche dachte, diese frischen Hügel. In Relios waren viele Menschen, die sie fressen konnte, das stimmte, und die Zerstörung von Creos, das so lange ihr Gefängnis gewesen war, hatte ihre wütende Freude beschert, doch diese südlichen Länder waren schon von der Sonne getrocknet. Wie angenehm es doch sein würde, mit anzusehen, wie die wasserreichen Länder des Nordens unter ihren Flammen vergingen und schwarz wurden, während ihre Kinder die Schwerter mit Blut benetzten.
Doch es gab keine Eile.
An den knöchernen Hörnern beiderseits ihres länglichen Kopfs sammelten sich Eiskristalle, und sie konnte über sich den Himmel dunkler werden sehen, als sie immer höher stieg. Sie drehte sich anmutig, tauchte mit ihrem Kopf wieder in die Wolken und sank hinab, hielt auf dem Boden nach ihren Kindern Ausschau. Die Brutarmee marschierte dort unten, ein glitzernder Teppich aus Grün und Gold. Es gab fast zu viel zu tun. Nach Tausenden von Jahren, die sie in der Zitadelle gefangen gewesen war, wollte sie alles zu Asche verwandeln, und nun würde sie niemand mehr aufhalten.
Vor langer Zeit, als die Welt jung gewesen war und Y’Ruen schon so alt, hatte es andere Götter gegeben. Brüder und Schwestern, die wie sie waren und doch anders. Sie erinnerte sich an die grüne Frau, die ihr immer gesagt hatte, dies oder jenes nicht zu tun. Die grüne Frau hatte es gemocht, Dinge wachsen zu sehen, hatte die Menschen bei ihren Bemühungen ermutigt, und deswegen hatten Y’Ruen und sie immerzu gestritten. Als die Magier sie alle in die Zitadelle gesperrt hatten – alle bis auf einen, auch wenn sich Y’Ruen an ihn kaum erinnern konnte –, hatte die grüne Frau viel kleiner und weniger mächtig gewirkt. Wie sie alle.
Es hatte einige Jahre gedauert – Götter vergehen nicht so einfach –, doch nach einigen Jahrhunderten, in denen sie zwischen Y’Ruens Zähnen zerrissen worden waren, existierten ihre Geschwister nur noch als Erinnerungen und Geister in den Felsen.
Unter den Wolken war die Luft wärmer, fast mild. Sie flog langsam tiefer, ließ die aufgeheizte Luft mit den Membranen ihrer Flügel spielen. Dabei behielt sie ihre Kinder im Blick, wie sie marschierten. Sie hatten die Überreste des letzten Dorfs hinter sich gelassen, und sie konnte das Verlangen nach einer neuen Schlacht und frischem Blut in einigen von ihnen spüren, und es entsprach ihrem eigenen Hunger nach Zerstörung.
Und einige von ihnen redeten wieder.
Es gab nicht viele Dinge, durch die sich Y’Ruen unwohl fühlte. Genau genommen war ihr dieses Gefühl eigentlich unbekannt, von dem grässlichen Moment abgesehen, als sich die Türen der Zitadelle hinter ihr geschlossen hatten und sie bemerkt hatte, wie das Netz des Zaubers auf sie gefallen war. Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Töchter solche besorgniserregenden Gefühle hervorrufen würden. Sie hatte ihnen schließlich in der Dunkelheit der Zitadelle das Leben geschenkt, nicht wahr? Sie hatte sich in den Felsen ihres Nests gekrallt und sie aus ihrem eigenen Fleisch und Willen geformt. Sie gehörten ihr, nur ihr alleine, und doch …
Da war noch der andere. Der Mann, dessen Blut sie zum Leben erweckt hatte. Und nun dachten einige ihrer Kinder auf eine Art, die ihr fremd war, hatten Geheimnisse vor ihrer Mutter und ihren Schwestern, verbargen Wörter und Namen, als würden sie tatsächlich etwas bedeuten. Als gäbe es etwas außer der Reinheit des Feuers und der Freude an der Zerstörung.
Y’Ruen war unzufrieden.
Sie verdrängte es aus ihren Gedanken. Die grünen Hügel und blauen Berge kamen näher, und bald würde alles brennen. Sonst zählte fast nichts.
Die Seekönigsschreck fuhr wie ein verwundetes Tier an den Inseln vorbei und zog eine Spur von Qualm und Asche hinter sich her. Wydrin lief an Deck auf und ab, starrte in den Nebel. In einer Hand hielt sie ein feuchtes Tuch, das sie immer wieder drückte. Damit hatte sie die Stirn ihres Bruders gekühlt, auch wenn es nicht viel gebracht hatte.
»Wie nah sind wir, Bill?«
Der gedrungene Matrose schürzte die Lippen, wodurch sich sein Bart kräuselte und wie ein hässlicher Igel wirkte. Er blickte zum Nebel, der das Schiff einhüllte, und zuckte mit den Schultern. »Kann nicht mehr weit sein, ähm, Lady. Es liegt am Wetter, und wir müssen aufpassen, nicht unseren Hintern auf den Felsen aufzureißen. Die Nirgendinseln sind immer so. Ein ekelhafter, verfluchter Ort, wenn du mich fragst.« Er schien zu überlegen, ob er weiterreden sollte. »Reine Zeitverschwendung, wenn du mich fragst.«
Wydrin packte ihn an seinem dreckigen Umhang. Sie zog ihn nah an sich heran und ignorierte seinen stinkenden Atem. »Also sollen wir ihn einfach sterben lassen, willst du das sagen?« Sie schüttelte ihn durch. »Denn ich würde vorschlagen, du denkst darüber nach, bevor du mich danach fragst.«
Der kleine Teil von Bills Gesicht, der nicht behaart war, lief rot an. »Was soll es dir bringen? Wir jagen hier draußen Irrlichter und Meerjungfrauen! Ich mag den Kapitän sehr, aber es kann ihm doch niemand helfen.«
Wydrin schüttelte ihn noch einmal durch. »Ich kenne jemanden«, sagte sie, sah nach unten und bemerkte, dass sie immer noch das blutige Tuch zwischen den Fingern hielt. Es stank nach Fieberschweiß und Verzweiflung. Sie ließ Bill los und das Tuch zu Boden fallen, fühlte sich krank. »Wir müssen nur nach Wittenfarn.«
Natürlich war es möglich, dass Frith gar nicht dorthin gegangen oder dass er schon wieder weitergezogen war. Bei ihrem Glück war der ungelenke Kerl schon auf der Reise zur Insel getötet worden, weil Diebe ihm aufgelauert hatten, die ein Auge auf sein hübsches Schwert und den dicken Münzbeutel geworfen hatten. Aber es gab noch eine Chance, und solange das der Fall war, gab sie nicht auf. Sie entfernte sich von Bill, hatte genug von dem müden Mitleid in seinem Blick, und starrte wieder in den Nebel.
Eine Stunde später, als sie endlich die Insel entdeckte, dachte sie, es wäre eine Täuschung. Ein schwaches blaues Glühen war im weißen Nebel nordöstlich des Schiffs auszumachen, ein sanftes Leuchten, das immer wieder stärker und schwächer zu werden schien. Als sie sich annäherten, wurde das Licht größer und das Blinken heftiger. Es waren Rufe von den Wachposten zu hören.
Sie packte den nächsten Matrosen. »Das muss doch Wittenfarn sein, oder?«
Der Matrose nickte.
»Sieht es immer so aus?«
Er schaute ratlos drein. »Nein, Ma’am, normalerweise leuchten Inseln nicht so blau.«
Ein weiterer Ruf aus der Takelage ließ sie wieder zur Insel blicken. Endlich kam Wittenfarn in Sicht, und wie alle Inseln dieses seltsamen kleinen Archipels bestand es aus schwarzem Felsen und zerklüfteten Hügeln, auf denen kaum etwas wuchs, von kleinen Bäumchen abgesehen. Es war ein unattraktiver Ort, aber es war nicht seine Beschaffenheit, die Aufmerksamkeit anzog. Es war der Sturm.
Wydrin fiel keine bessere Bezeichnung dafür ein. Das schwache blaue Leuchten, das sie durch den Nebel gesehen hatten, war nur eine Andeutung des blendenden Lichts gewesen, das Wittenfarn einhüllte. Es war ein bebendes Netz aus strahlendem Indigo, in dem immer wieder Blitze aufflackerten. Dunkle Wolken befanden sich in dem Sturm, kreisten eng über der Insel, während alles ruhig und friedlich war.
»Das ist also Wittenfarn«, sagte sie seufzend. »Natürlich ist es das.«
Sie segelten weiter, kamen an zwei riesigen, schwarzen Statuen vorbei, deren Spitzen in den wirbelnden Wolken verschwanden, bevor sie schließlich zu einem kleinen behelfsmäßigen Anleger aus grünlichem Holz kamen. Eine einzelne schmuddelige Gestalt saß dort, und Wydrin erkannt den Mann sofort an seinem weißen Haar. Hoffnung ergriff ihr Herz, und da war noch etwas. Überrascht bemerkte sie, dass sie trotz allem glücklich war, das dumme Prinzlein zu erblicken.
»Ich muss wirklich verzweifelt sein«, murmelte sie.
Frith verfolgte von seinem Platz auf dem verfaulenden Anleger, wie das kleine Ruderboot heranglitt. Abwesend dachte er, dass er glücklich sein sollte, dass dies vermutlich sein einziger Weg zurück in die Zivilisation war, aber es war schwierig, genug Energie aufzubringen, um sich darum zu kümmern. Lass sie kommen, dachte er. Lass sie gehen. Es ist mir gleich. Zwei Leute kamen mit dem Boot, ein Mann und eine Frau, und beide ruderten. Die Frau drehte sich um und rief etwas zum Schiff, und ihre Stimme klang, als würde sie vom Nebel abprallen. Frith blinzelte. »Das kann nicht sein«, sagte er laut.
Er hielt den Blick auf die kleine Gestalt im Boot geheftet, während es sich dem Anleger näherte, das rote verstrubbelte Haar, die Art, wie sie vorgebeugt dasaß, ihr Ziel im Blick, die nicht zusammenpassende Lederrüstung … Ja, sie war es. Als sie näher war, erkannte er die Tätowierung auf ihrem Arm, den Dolch an ihrer Hüfte. Er rappelte sich auf und versuchte den Schwindel zu ignorieren, der ihn überkam. Er trat ans Ende des Anlegers und winkte ihr zu. Als das Boot längsseits lief und sie auf die Stufen stieg, bemerkte er etwas Seltsames: Er lächelte. Nach allem, was geschehen war, bescherte es ihm ein ungewohntes Gefühl im Gesicht.
Sie sah mit grün blitzenden Augen zu ihm hoch und war erschrocken, wie ernst er dreinblickte.
»Die Kupferkatze von Kreuzhafen«, rief er zu ihr hinunter. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein Vertrag erfüllt worden ist.« Er griff nach unten, um ihr nach oben zu helfen, und sie packte seine Hand. Einen Augenblick lang standen sie händchenhaltend auf dem Anleger, dann machte sie einen Schritt zurück und schaute zur Insel.
»Oh, ich dachte, dass du sicher irgendwelchen Ärger hast, um den ich mich kümmern sollte.« Sie deutete zu dem stummen Sturm, schien sich zu unterbrechen, wedelte nur mit der Hand. »Was«, fragte sie schließlich, »ist das alles?«
Frith seufzte. »Dies«, antwortete er, »ist der Zorn der Götter.«
Es dauerte einige Zeit, alles zu erklären.
Zunächst herrschte Verwirrung, bis Frith endlich den anderen Neuankömmling im Boot erkannte. Er schaute von Gallo zu Wydrin und hielt die Hand über den Griff seines Schwerts. »Ein toter Mann läuft herum? Du erwartest von mir, dass ich das glaube?«
Wydrin zuckte mit den Schultern. »Du kannst herkommen und an ihm schnuppern, wenn du magst. Ich kaufe ihm einige Sachen nicht ab, aber er verfault ganz sicher. Hör zu, wir müssen reden.«
»Und wo ist Sebastian?«
»Genau den suche ich«, warf Gallo ein.
Frith schaute ihn düster an. Der Mann sah sicher tot aus. Seine Haut war weiß wie Pergament, von den Stellen abgesehen, die schwarz und grün geworden waren.
»Wir glauben, dass er in Relios ist, auf der Spur des Drachen, den du freigesetzt hast.«
»Nichts dergleichen habe ich getan.«
»Was ist das alles, Frith?« Wydrin nickte zu dem Lichtersturm.
Sie hatten sich an einem Stück Strand niedergelassen, das nicht von den Lichtern betroffen war. So nah daran zu sein, war trotzdem beunruhigend. Die pure Kraft schien gegen Friths Rücken zu drängen, und er fühlte, wie sich die Härchen aufstellten.
»Ich bin hergekommen, um zu lernen, wie ich die Macht der Magier kontrollieren kann. Hier habe ich einen Mystiker namens Jolnir getroffen.« Frith räusperte sich. »Er trug eine Maske, und darunter war er nicht menschlich. Und jetzt hat er diesen magischen Sturm beschworen. Ich glaube, seine Gehilfen waren einst die anderen Mystiker von Wittenfarn, und nun stehen sie unter O’rins Zauber. Der Sturm ist undurchdringlich und -«
»Was?«
»Jolnir war eine Kreatur namens O’rin, einer der alten Götter.«
Wydrin strich sich übers Gesicht und schloss die Augen. »Ich habe für so etwas keine Zeit.« Sie nahm Frith am Arm. »Los, du musst mit mir auf das Schiff kommen.«
»Was?«
»Mein Bruder ist verletzt. Sind auf der Suche nach Sebastian auf den Drachen gestoßen, und offenbar ist es ein ungleicher Kampf, wenn ein Piratenschiff einem Drachen begegnet. Er stirbt, Frith, und ich brauche deine Hilfe.«
»Nein, ich kann nicht.«
»Doch, du kannst.« Sie packte ihn nun mit beiden Händen. Gallo stand schweigend bei ihnen. »Du musst für ihn das tun, was du bei mir gemacht hast, erinnerst du dich? Als du meinen Arm geheilt hast, mit dem rosa Licht?«
»Ich sagte, ich kann nicht.«
»Ich bezahle dich dafür! Ich tue alles, was du willst. Komm einfach nur mit und hilf ihm.« Sie sah ihn verzweifelt an, und Frith fühlte einen Stich von Verärgerung.
»Ich meine, ich bin dazu nicht in der Lage.« Er schüttelte sie ab und spürte selbst, wie diese Worte schmerzten.
»Wie meinst du das?«
»Jolnir hat es mir genommen.« Frith holte tief Luft. Wieder schwach zu sein. Wieder. Es war fast mehr, als er aushalten konnte. »Er hat die Magie von mir genommen. Dann hat er mit ihr diesen Sturm hervorgerufen.«
Stille breitete sich aus. Wydrin starrte ihn an, taumelte ein wenig. Sie wurde blass. »Er hat sie dir genommen?«
»Ich wusste gar nicht, dass du einen Bruder hast«, sagte Frith leise, dann fragte er sich, warum er das ausgesprochen hatte. »Ja, nachdem er enthüllt hatte, wer er war, entzog er mir irgendwie das Edanier. Ich wurde ohnmächtig. Ich kann mich nicht genau erinnern, was dann geschehen ist …«
»Und das blaue Licht ist eine Barriere?«, fragte Wydrin. Sie klang sehr müde.
»Ja«, erwiderte Frith. »Schau.« Er nahm ein Stück Holz vom Strand, das vom Salzwasser gesäubert worden war, und schleuderte es zum Sturmlicht. Als es dieses traf, schien es einen Augenblick lang in der Luft zu verharren, dann wurde es vom gleißenden Licht verzehrt. Mit einem hörbaren Knall wurde es zu ihnen zurückgeschleudert, landete vor Friths Füßen. Es qualmte leicht. »Er ist immer noch da drin, mit seinen Vögeln.« Er deutete auf die dunkle, wirbelnde Wolke. Wydrin trat ein paar Schritte näher heran, fast zu nah, sodass Frith sie mit einer Hand zurückhalten musste.
»Es sind schwarze Vögel«, sagte sie. »Die Wolke besteht aus Tausenden Vögeln. Und etwas Großes fliegt mit ihnen?«
»Das ist O’rin selbst«, sagte Frith. »Er ist nicht gerade menschlich.«
»Und er besitzt deine Macht.«
»Ich habe versucht, wieder hineinzugehen, aber die Barriere ist gefährlich.« Er hob die linke Hand, die an der Seite rot und voller Blasen war. »Wir können nichts tun.«
Sie standen da und betrachteten die flackernde blaue Barriere. Der Sturm der Vögel wogte und knisterte über ihnen.
»Bitte um Verzeihung«, sagte Gallo in die Stille hinein. »Aber ich habe vielleicht eine Idee.«
»Wenn du den ganzen Tag so rumliegst, bekommst du Sonnenbrand.«
Sebastian öffnete die Augen. Ip starrte auf ihn herab, hatte einen nackten Fuß auf seinen Arm gestellt. Als sie bemerkte, dass er wach war, verpasste sie ihm noch einen leichten Tritt. Ihm fiel auf, dass ihre Augen nicht mehr blutrot waren, sondern die gewohnte eisblaue Färbung hatten. Der Himmel hinter ihr war fast zu hell, um hinzuschauen.
»Habe ich so lange geschlafen?«
»Den ganzen Morgen hast du rumgelegen wie tot.« Ip deutete hinter sich. »Aber das haben die anderen auch.«
Sebastian stellte sich auf. Er hatte in Asche gelegen, seine Hände waren ganz grau. Selbst die fein ausgearbeitete Rüstung, für die er noch Energie aufbringen musste, um sie abzulegen, war voller Asche und Blut. Sein Gesicht fühlte sich gespannt und heiß an, aber er war sich nicht sicher, ob das am Drachenfeuer oder an der Sonne lag, die ihn im Schlaf angestrahlt hatte.
»Wir sollten woanders hingehen«, sagte Ip. »Ich habe alles aus deinem Beutel gegessen und bin am Verhungern.«
Sebastian versuchte, sie durch das Wummern in seinem Kopf hindurch anzuschauen. »Wo ist der andere?«
Das kleine Mädchen seufzte ausführlich, als wäre Sebastian die langweiligste Person auf der ganzen Welt. »Er ist nicht hier.« Sie tippte sich gegen den Kopf. »Er ist nicht immer hier.«
»Aber du weißt von ihm? Es?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Einen Dämon in meinem Kopf kann ich kaum übersehen, oder? Erst war er nur ein Bild in meinen Gedanken. Vor Kurzem hat das Bild angefangen zu reden.« Sie seufzte wieder, streckte die Arme zur Seite und beschrieb langsam einen Kreis. »Ich hab Hunger.«
Sebastian sah sich um. Sie waren immer noch mitten in einem struppigen Teil der Gegend, wo das letzte Gefecht der Ritter von Ynnsmouth stattgefunden hatte. Nun war es ein aufgewühltes Feld aus Asche und geschwärzten Leichen. Die meisten waren bis auf die Knochen verbrannt worden, die nun überall aus dem Boden zu sprießen schienen. Wir haben die Samen gesät, dachte Sebastian, und nun haben wir ein Feld mit frisch geernteten Toten. Er war sich halbwegs klar darüber, dass einige Zeit vergangen war, seit Y’Ruen angegriffen hatte, und dass er an diesem verfluchten Ort seit … wie vielen Nächten geschlafen hatte? Er war sich nicht sicher. Ein verkohlter Körper lag neben seiner Schlafstätte, sein Schädel war tief im Dreck, als hätte der unglücksselige Soldat sein Gesicht in den Boden gesteckt, als letzten verzweifelten Versuch, den Flammen zu entgehen.
Ich lag die ganze Nacht in den Armen der Toten. Was würde Wydrin dazu sagen?
Beim Gedanken an seine Freundin lief immerhin ein zittriges Gefühl durch ihn. Er strich sich mit einer dreckigen Hand über die Augen.
Wind stob die Asche als Wölkchen um seine Füße herum auf, dann senkte sie sich wieder ab. Sebastian lief in die Richtung, in der sich das Camp befunden hatte, wo noch die Überreste der Waren, Zelte und Kochgelegenheiten lagen. Ip rannte neben ihm her, hüpfte ab und an über verdrehte Knochen.
»Warum habe ich überlebt?«, fragte er unvermittelt. Es war die Frage, vor der er Angst hatte, seit er die Augen aufgeschlagen hatte. »Alle hier sind im Drachenfeuer vergangen. War das Bezcavar?«
»Du hast ihm dein Schwert geschworen«, gab Ip zurück. »Das hat schließlich auch Vorteile.«
Nicht so viele, dass man andere retten könnte.
Sie kamen zu einem verrußten Haufen, in dem sich geschmolzenes Metall befand. Neben etwas, das einmal der Falttisch des Kommandanten gewesen sein könnte, befand sich eine schwarze Leiche. Die Hitze hatte dazu geführt, dass sie eingeknickt war und sich wie ein Kind im Bauch der Mutter zusammengerollt hatte.
Sebastian ging neben dem Körper in die Hocke und versuchte, etwas daran zu erkennen. Er glaubte, wenn er sicher sein könnte, dass diese Leiche der Lord Commander war, könnte er nachvollziehen, was geschehen war, es irgendwie verarbeiten. Der Schädel grinste ihn mit offenem Mund an. In den Augenhöhlen war eine feuchte, fleischige Masse, und ein Teil des Brustkorbs war von der Hitze zerfetzt worden. Es gab keinen Anhaltspunkt, wer diese arme Seele gewesen war.
»Das ist gar nicht schlecht«, sagte Ip hinter ihm. »Im Tempel haben sie das nicht immer gekocht.«
Sebastian stellte sich auf. »Was tust du da?«
Ip hockte bei einem anderen Körper, kratzte mit ihren dünnen Fingern am verkohlten Fleisch, das noch am Hüftknochen eines Skeletts hing. Während Sebastian zuschaute, legte sie die rötliche rohe Schicht darunter frei. Sie nahm ein Stück davon, schob es sich in den Mund und kaute mit Genuss.
»Hör damit auf.« Bevor er wusste, was er tat, trat Sebastian zu ihr, packte sie am Arm und zerrte sie mit mehr Gewalt weg, als nötig war. »Hör auf!« Er schüttelte sie durch und schlug ihr auf den Arm, als wäre sie ein Fisch an der Angel. »Was machst du da?«
»Essen! Ich hab Hunger.« Düster und mit Blut an den Lippen sah sie zu ihm hoch. »Während du geschlafen hast, habe ich hier schon alles durchsucht, aber es ist nur noch was an den Knochen.«
Er ließ das Mädchen los und schüttelte den Kopf. Dabei wusste er nicht, ob ihn ihr Verhalten oder seine eigene Wut mehr abstieß. »Das sind tapfere Männer und Frauen, die eines schrecklichen Todes gestorben sind. Sie haben Respekt verdient und sollten nicht von kleinen Aasgeiern ausgeschlachtet werden.«
»Die Vögel tun das auch«, erwiderte Ip schmollend. »Auch wenn für die Krähen kaum noch was übrig ist.«
Sebastian kratzte seinen Bart und versuchte zu ignorieren, dass sich dabei Asche aus ihm löste. Sie mussten weiterziehen, sonst würden sie verhungern, das war klar. Die Brutarmee war konstant nach Norden marschiert und nun in den Ebenen außer Sichtweite.
»Hast du am anderen Ende des Schlachtfelds gesucht?«, fragte er Ip. Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
Sie durchquerten das Aschefeld, bis die Brandspuren verschwanden und die Toten überwiegend aus den grünhäutigen Frauen in den goldenen Rüstungen bestanden. Es waren erbärmlich wenige. Im Rausch der Schlacht hatte er das Gefühl gehabt, Hunderte von ihnen zu töten, doch in Wirklichkeit hatte er ihre Anzahl kaum verringert. Gerade genug, dachte er, um den Ausgang des Kampfs zu verändern. Was für ein Witz das gewesen war.
Er entdeckte etwas im Dreck. In all der Zerstörung wirkte es seltsam unversehrt und unberührt. Es war ein Wasserbeutel, allerdings von einer Art, die er nie an einem Soldaten oder einem Söldner gesehen hatte. Er schien aus einem golden geschuppten Material zu bestehen, wie die Schale eines gewaltigen Käfers. Als er den Beutel aufnahm, schwappte etwas darin herum.
»Hier.« Er reichte ihn an Ip, die ihn gierig schnappte. »Trink davon. Nur einen Schluck, wir müssen es uns einteilen.«
Ip nahm ein paar schnelle Schlucke, bevor er ihr den Beutel wieder wegnehmen konnte. Als er ihn wieder in Händen hielt, fiel ihm auf, dass ein zusammengerolltes Pergamentstück in den Riemen gebunden war, mit dem normalerweise der Beutel am Gürtel befestigt wurde. Es war, als hätte jemand das Pergament dort angebracht, damit man es nicht sehen konnte.
»Was ist das?«, fragte Ip, wischte sich über den Mund und damit das Blut auf ihr Kinn.
»Ich weiß nicht.« Sebastian zog das Pergamentstück heraus und entrollte es vorsichtig. Er sah, dass es sich um eine Buchseite handelte – vorne standen Zeilen über Getreidewechsel und Bewässerung, und hinten war eine Nachricht in großen, wackligen Buchstaben. Es sah aus, als hätte eine sehr junge Person geschrieben oder eine, die das nicht oft tat. »Grüße, Vater«, las er vor. »Wir fühlen, dass du hier bist. Wir wollen dich nicht bekämpfen. Wir gehen jetzt nach Ynnsmouth.« Eine kalte Hand schien sein Herz zu packen. Der Drache führte die Armee in seine Heimat. »Wir hoffen, dass wir dich sehen, Vater.« Er drehte die Seite noch einmal um, falls er etwas übersehen hatte. »Hier ist noch eine Liste von seltsamen Worten darunter«, sagte er zu Ip. »Ephemer, Krokus, Ennui, Toast, Glorie, Zugehörigkeit, Maelstrom … das ergibt keinen Sinn.«
»Einiges davon schon«, sagte Ip und beugte sich hinunter, um den Körper der grünhäutigen Kriegerin zu untersuchen, deren Eingeweide auf dem Boden verstreut worden waren. Sie fuhr mit dem Finger über die länglichen, lila Innereien, aber sie schienen nicht ihrem Geschmack zu entsprechen. »Klingt, als würde dich jemand mögen … Vater.«
Sebastian seufzte. »Schau, was du noch finden kannst«, sagte er zu dem Mädchen.
Ip sprang auf und von Leiche zu Leiche, so fröhlich wie ein Kind, das im Frühling Beeren suchte. Sebastian steckte das Pergament in seinen Gürtel und versuchte das Gefühl der Furcht zu ignorieren, das auf seine Schultern drückte. Er hätte es wissen müssen. Ynnsmouth, wo seine Mutter immer noch das Grab seines Vaters pflegte, wo sie zweifellos an ihren Sohn dachte … und die Schande, die er über die Familie gebracht hatte. Wo sich die Letzten des Ordens der Ritter von Ynnsmouth fragten, was mit ihrer Armee geschehen war. Y’Ruen führte ihre Brut dorthin, wo selbst die Macht der Gottesberge keinen Schutz vor Drachenfeuer bot.
Und es gab nichts, was er deswegen ausrichten konnte.