Die Königin - Thomas Kielinger - E-Book

Die Königin E-Book

Thomas Kielinger

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Beschreibung

"Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes habe, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England." Elisabeth I. hat Englands Aufstieg zur Weltmacht begründet. Sie war die mächtigste Frau ihrer Zeit, und sie hat auf der europäischen Bühne nicht selten mit den Waffen einer Frau gekämpft. Thomas Kielinger erzählt das dramatische Leben der großen Tudor-Königin mit Verve und historischer Tiefenschärfe.
Schon früh hatte Elisabeth I. (1533 - 1603) beschlossen, nie zu heiraten, um ihre Macht nicht mit einem Mann teilen zu müssen. Doch ihre zahllosen Freier aus anderen Herrscherhäusern spielte sie über Jahrzehnte gegeneinander aus, um England den Frieden zu sichern. Sie wollte Königin aller Engländer sein, nicht nur der Protestanten oder Katholiken, und bewahrte ihr Land vor den Glaubenskriegen der Epoche. Ihr Sieg über die Armada machte England unangreifbar und nährte das Bewusstsein ihrer Landsleute, eine Nation zu sein. Elisabeth war hochgebildet, scharfzüngig, von taktischer Klugheit und großem Weitblick. Alle konnte sie in ihre Schranken weisen, ihre Berater, ihre Favoriten, ihr Parlament - und ihre größte Konkurrentin, Maria Stuart. Thomas Kielingers glänzende Biographie zeigt, wie Elisabeth I. in ihren 44 Jahren auf dem Thron England bis zum heutigen Tag geprägt hat.

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THOMAS KIELINGER

Die Königin

Elisabeth I. und der Kampf um England

BIOGRAPHIE

C.H.BECK

Geschult in Kalligraphie, wählte Elisabeth I. einen schwungvollen, dekorativen Schriftzug zur Unterzeichnung ihrer Dokumente

Zum Buch

«Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes habe, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England.» Elisabeth I. hat in ihrer langen Regierungszeit England vor allen Gefahren im Innern und allen äußeren Feinden bewahrt. So begründete sie den Aufstieg des Landes zur Weltmacht. Sie war die mächtigste Frau ihrer Zeit, und sie hat auf der europäischen Bühne nicht selten mit den Waffen einer Frau gekämpft. Thomas Kielinger erzählt das dramatische Leben der großen Tudor-Königin mit Verve und historischer Tiefenschärfe.

Schon früh hatte Elisabeth I. (1533–1603) beschlossen, nie zu heiraten, um ihre Macht nicht mit einem Mann teilen zu müssen. Doch ihre zahllosen Freier aus anderen Herrscherhäusern spielte sie über Jahrzehnte gegeneinander aus, um England den Frieden zu sichern. Sie wollte Königin aller Engländer sein, nicht nur der Protestanten oder Katholiken, und schützte ihr Land vor den Glaubenskriegen der Epoche. Ihr Sieg über die Armada machte England unangreifbar und nährte das Bewusstsein ihrer Landsleute, eine mächtige Nation im europäischen Ensemble zu sein. Elisabeth war hochgebildet, scharfzüngig, von taktischer Klugheit und großem Weitblick. Alle konnte sie in ihre Schranken weisen, ihre Berater, ihre Favoriten, ihr Parlament – und ihre größte Konkurrentin, Maria Stuart. Thomas Kielingers glänzende Biographie zeigt, wie Elisabeth I. in ihren 44 Jahren auf dem Thron England bis zum heutigen Tag geprägt hat.

Über den Autor

Thomas Kielinger hat fast zwei Jahrzehnte lang für «Die Welt» aus London berichtet. Für seine Verdienste um die deutsch-britischen Beziehungen erhielt er 1995 den Orden eines Honorary Officer of the Order of the British Empire (OBE). Bei C.H.Beck sind von ihm erschienen: «Kleine Geschichte Großbritanniens» (2016), «Elizabeth II. Das Leben der Queen» (32012) und «Winston Churchill. Der späte Held. Biographie» (52015, C.H.Beck Paperback 2017).

INHALT

Stammbaum

ZUR ENGLISCHEN DATIERUNG UND ZU DEN HERRSCHERNAMEN

PROLOG

KAPITEL 1: Armada oder die Geburt der englischen Nation

KAPITEL 2: Die Eltern. Der Bruch Heinrichs VIII. mit Rom

KAPITEL 3: Elisabeths Jugend

a Eine gelehrte Erziehung

b Thomas Seymour, der Verführer

c Lady Jane Grey, die Neun-Tage-Königin

KAPITEL 4: Das Duell mit Mary I.

a Elisabeth tarnt sich als «Nikodemit»

b Philipp, der Spanier, und Mary heiraten

c Die Wyatt-Rebellion. Elisabeth im Tower

d Philipp beschützt Elisabeth. Die «blutige Mary»

e Vor den Pforten der Macht

KAPITEL 5: Am Ziel: Die Wende 1558/59

a Ernennungen auf lange Sicht: Dudley und Cecil

b Die «zwei Körper» der Königin

c Souveränes Theater: Elisabeth und ihr Volk

d Die religiöse Einigung: Zwischen allen Stühlen

e Wie halten es Majestät mit der Ehe?

KAPITEL 6: Durch unruhige See

a Europäisches Misstrauen. Der Vertrag von Edinburgh

b Das Fiasko Le Havre: Eine prägende Lehre

c Das Gespräch mit William Maitland of Lethington

KAPITEL 7: Robert Dudley, «Sweet Robin», Elisabeths Favorit

a «Er ist wie mein kleiner Hund»

b Die Bewerber um Elisabeth stehen Schlange

c Der Tod von Dudleys Ehefrau: War es Mord?

d Die erotische Spur Elisabeths

KAPITEL 8: Monarch und Parlament: Die Queen in der Defensive

a 1563: Das Parlament trumpft auf

b Puritanischer Widerpart: Peter Wentworth

c «Ich werde mich nie zu irgendetwas zwingen lassen!»

KAPITEL 9:Maria Stuart in Schottland: Das Scheitern

a Robert Dudley nach Edinburgh? Welcher Affront!

b Die Etappen eines tragischen Abstiegs

KAPITEL 10: Maria Stuart in England: Die katholische Rebellion

a Norfolk oder der Aufstand des Adels

b Die Ridolfi-Verschwörung. Norfolks Ende

c Papst Pius V. exkommuniziert Elisabeth

KAPITEL 11: Im Krisendreieck Spanien, Frankreich, Holland

a Spanien oder wem gehört das Meer?

b Frankreich umarmen, Holland unterstützen

c Zwischenspiel in Kenilworth: Leicester reizt zu hoch

d Herzog Alençon ad portas

e John Stubbs oder die abgeschlagene Hand

f Adieu, geliebter Frosch!

g Mit Leicester in Holland scheitert Elisabeth

KAPITEL 12: Maria Stuart: Das Ende

a Die Jesuiten auf heimlicher Mission in England

b Elisabeth im Fadenkreuz der Mörder

c Gegenwehr rührt sich: Der «Bond of Association»

d Walsinghams Triumph: Das Babington-Komplott

e Maria auf dem Weg zur Hinrichtung

KAPITEL 13: Britisches Empire?

a Armada: Eigentlich will Elisabeth den Frieden

b Vergebliche Suche nach der Nordwest-Passage

c Walter Raleigh scheitert mit Virginia

KAPITEL 14: Die Königin und ihre Untertanen

a Der Elisabeth-Kult. Die Porträts

b William Shakespeare: Wie es Eliza gefällt

KAPITEL 15: Graf Essex oder der letzte Aufstand

a Ein junger Adliger verweigert den Respekt

b Das Ende der Hybris unterm Beil

KAPITEL 16: Elisabeth I.: Ende und Übergang

EPILOG

ANHANG

DANK

ZEITTAFEL

LITERATUR

Weitere Literatur

Sammelbände

BILDNACHWEIS

PERSONENREGISTER

Für Hans-Peter Schwarz,unvergessen

Stammbaum

ZUR ENGLISCHEN DATIERUNG UND ZU DEN HERRSCHERNAMEN

Dieses Buch folgt dem in Elisabeths Zeit üblichen julianischen Kalender, der bis 1582 auch im übrigen Europa maßgebend war. Doch verfügte Papst Gregor XIII. 1582 eine Änderung, weil der alte Kalender auf einem Jahr von 365 ¼ Tagen basierte und damit dem Sonnenjahr um ein Weniges hinterherlief. Daher ließ der Papst im Oktober 1582 zehn Tage herausschneiden und auf den 4. Oktober den 15. folgen. Diesen jetzt gültigen Kalender, den gregorianischen, übernahm hinfort das katholische Europa, während der protestantische Teil – also auch England – ihn erst im 18. Jahrhundert einführte.

Die englischen und französischen Herrschernamen werden im Text fast durchgehend eingedeutscht, mit zwei Ausnahmen: Elisabeths Halbschwester Mary, die Katholische, die vor ihr den Thron bestieg und wegen ihrer blutigen Verfolgung protestantischer Häretiker in der Geschichte auch «Bloody Mary» genannt wird, bleibt unübersetzt Mary, Mary I. oder Mary Tudor. Dadurch soll sie von Maria Stuart, der schottischen Königin, leicht unterscheidbar sein. Und James VI. von Schottland, der als James I. Elisabeth auf dem Thron folgte, nennt auch die deutsche Geschichtsschreibung meistens mit seinem englischen Namen, ebenso wie seine Vorgänger James IV. und James V. Dies soll auch in diesem Buch beibehalten werden.

PROLOG

Was macht eine Frau, die im 16. Jahrhundert den Thron Englands bestieg, so herausragend, dass man sie auch noch 450 Jahre später auf Anhieb wiedererkennt? Sind es ihre starren, mehr fiktiven als realen Gesichtszüge, mit denen sie uns aus ihrer ausladenden Halskrause heraus anblickt, dem modischen Nonplusultra ihrer Epoche? Oder ist es der legendäre Ruf der jungfräulichen Königin, der ihr anhaftet wie eine die Zeiten überdauernde Auszeichnung, ihr Abwehrschild gegen eine von Männern dominierte Welt? Was sagt uns Elisabeth I. über England, das wir bisher noch nicht wussten oder übersehen haben? Ist die Insel, die sich heute aus dem Konstrukt der Europäischen Union zu befreien anschickt, in der Ära dieser Frau und ihrer Herrschaft gar schon vorgeprägt? Das würde Churchills Wort bestätigen: «Je weiter wir zurückschauen, desto weiter können wir nach vorne blicken.»

Die Versuchung ist in der Tat groß, den Firnis des Heute einfach hinwegzukratzen und darunter das Muster einer alten Identität freizulegen. Ganz so einfach kann es sich eine Biographie der großen Tudor-Königin allerdings nicht machen. Die Renaissance ist nicht unsere Zeit, der Humanismus nicht die Hochblüte der Menschenrechte. Im Gegenteil. Während die Bildung zu Elisabeths Zeit aus der Antike kräftige Anstöße erhält, die englische Literatur mit Shakespeare ihrem klassischen Höhepunkt zueilt, wohnt der Zeitgenosse grausamsten Hinrichtungen bei oder blutrünstigen Freizeitvergnügen wie der Stier- und Bärenhatz. Ein Bildersturm ist über das Land gefegt, ein konfessioneller Aufruhr, der die Klöster enteignete, entweihte, ihre Kirchen zerstörte und blindlings das Glaubenserbe des Mittelalters zertrat. Das Hohe und das Niedere sind, wie immer in der Geschichte, auch in dieser Zeit koexistent. Tiefe Gräben trennen die Bevölkerung, in deren Mitte sich zum Ende der elisabethanischen Ära ein mittelloser Bodensatz bildet, der Vagabundentum fördert, keine Zivilisation.

Aber in den 44 Jahren ihrer Herrschaft lebt die Königin ihrem Land dennoch einen Stil, man kann fast sagen: eine Façon vor, die sich der englischen DNA tief eingeprägt und einen Charakter angelegt hat, der bis heute anzutreffen ist. Dazu gehört die Fähigkeit, mit widersprüchlichen Tendenzen Umgang zu pflegen, sie auszuhalten, kurz: die Fähigkeit zum Kompromiss. Warum verfiel die Insel unter Elisabeth nicht den Glaubenskriegen, die zur gleichen Zeit Frankreich zerrissen und in anderen Teilen des Kontinents Religionskrisen auslösten, die sich schließlich im Dreißigjährigen Krieg eruptiv entladen sollten – an dem England so gut wie nicht beteiligt war? Immerhin hatte Elisabeths Vater über Nacht eine 1000-jährige Frömmigkeitskultur zum Einsturz gebracht und England vom Papsttum gelöst. Und immerhin hatte Elisabeths unmittelbare Vorgängerin, ihre ältere Halbschwester Mary, eine fanatische Rekatholisierung geprobt und in den fünf Jahren ihrer Thronzeit an die 300 protestantische Häretiker dem Flammentod übergeben. Konfliktstoff genug, um eine Versöhnung der Gesellschaft unmöglich zu machen. Elisabeths Antwort: der Anglikanismus.

Denn die anglikanische Kirche ist im Eigentlichen ihr Verdienst, nicht das ihres Vaters. Heinrich VIII. hat gespalten, seine Tochter das Potenzial zur Unversöhnlichkeit bekämpft und gebändigt. Vor die Alternative des römisch-katholischen oder des protestantischen Wegs gestellt, wählte die Königin die Mitte, die «via media», eine Mischform aus beiden. Kritiker in den verfeindeten Lagern nannten das abfällig ein «mingle-mangle», ein Mischmasch, das niemanden so richtig befriedige. Die Königin jedoch widersetzte sich ebenso stark dem Fanatismus, der sie durch die katholische Maria Stuart zu ersetzen suchte, wie den calvinistischen Ideologen, die England einer puritanischen Freudlosigkeit ausliefern wollten, was erst fünfzig Jahre nach Elisabeth unter dem Usurpator Oliver Cromwell gelang. Der Pragmatismus, den Elisabeth vertrat, setzte sie zeitweilig sogar dem Verdacht religiöser Indifferenz aus. «Es gibt nur einen Christus, Jesus, nur einen Glauben. Alles andere ist ein Disput über Trivialitäten.» Was für eine Theologin! Wenn es so etwas wie religiöse Realpolitik gibt, dann war es dieser Satz, der dem latenten Glaubenskrieg, dem protestantisch-katholischen Sprengsatz in ihrem Land die Lunte austrat. In der Tugendlehre des Politischen gebührt dieser Frau ein herausragender Platz.

Ausgewogenheit suchte sie – wie in der Religion, so in der Außenpolitik. Die Sicherung der immer gefährdeten Nation, der Frieden, manchmal zum Preis fragwürdiger Kompromisse: Das waren Elisabeths Ziele, während die Heißsporne unter ihren Beratern ein stärkeres militärisches Engagement empfahlen, zugunsten bedrohter Protestanten auf dem europäischen Festland oder in Schottland. «England to the front!» war gleichsam das Credo der königlichen Räte. Nicht so Elisabeth. Hunderte von Zweifeln bedrängten ihre Brust, ob ein Einsatz nicht die Kräfte Englands überstieg, den Haushalt ruinieren und das Land geschwächt zurücklassen würde. «Perfides Albion!», müssen hugenottische Freunde in Frankreich und protestantische Verbündete in Holland wiederholt gedacht haben, wenn aus London die Antwort auf Bitten um Hilfe ein übers andere Mal widersprüchlich ausfiel. «Answer answerless», eine Antwort ohne Antwort, war die ewige Beschwerde auch bei Hof über die Königin, die Zaudernde, die Freunde und Berater schier verzweifeln ließ. Dabei war es im Grunde nichts anderes als ihre Sorge um das Familiensilber, um England, was sie zurückprallen ließ vor übereilten Entschlüssen. Ein Kampf gegen Maximalisten, überall.

Der Patriotismus, der sich in ihrer Ära zum ersten Mal herausbildete, als Bewusstsein eines homogenen Nationalgefühls, fand seine Nahrung in dieser Entschlossenheit der Monarchin, das ihr anvertraute Erbe zu bewahren. Dass England sich aus den kriegerischen Verwicklungen Kontinentaleuropas weitgehend heraushielt, aber Spanien schließlich die Stirn bot – das wurde der rote Faden der Nation im elisabethanischen Zeitalter, und es war das Verdienst von «Gloriana» – der Beiname der Königin in ihren späteren Jahren. Es erfüllte die Zeitgenossen letztlich mit großer Dankbarkeit, einem Grundgefühl, das auch Elisabeths Frömmigkeit ausmachte, wie in vielen ihrer gedruckt erschienenen Gebete überliefert.

Für den Imperialismus einer späteren Zeit dagegen war bei der Königin noch kein Platz. Das Empire lässt sich hier aus der Rückschau erst in Umrissen erkennen; noch ruht es, ein Embryo, im Schoß der Geschichte. Doch die maritime Auseinandersetzung mit Spanien eskalierte und ließ einen Machtwillen erkennen, der prägend werden sollte. Zuerst bei Elisabeths «sea dogs», den wagemutigen Draufgängern auf den Meeren der Welt. Der Mut, sich dem Unbekannten auszusetzen, in einer Nussschale wie der «Golden Hind», in der Francis Drake 1577–1580 die Welt umsegelte, war der Gipfel einer Kultur des Risikos. Zugleich markierte er den Moment, von dem ab Spaniens Seeherrschaft gebrochen war, und wurde zur Quelle des Stolzes für Elisabeths Untertanen.

Doch die Königin sah, anders als manche Visionäre in ihrem Umkreis, in den Triumphen auf See noch keinen Schritt zu außerenglischen Eroberungen. Der tastende Versuch einer Koloniegründung in der Neuen Welt, in Virginia, war eben nicht mehr als dies – ein tastender Versuch, in der Phantasie Walter Raleighs ausgeheckt und bald wegen widriger Umstände aufgegeben. Viel näher stand der Monarchin die sanktionierte Plünderung spanischen Reichtums, der mit der kolonialen «flota» aus den südamerikanischen Schatzkammern den Seeweg zurück nach Spanien suchte. Die Raubzüge der Piraten waren Teil einer englischen Nadelstich-Politik, mit deren Hilfe das Land allmählich in den Stand einer ernst zu nehmenden Macht vorrückte, ohne dass dies als Ziel eigens deklariert worden wäre.

Kernthese von Elisabeths berühmter Rede in Tilbury 1588, nach dem Sieg über die Armada, war die Schlussfolgerung, dass es nun niemand mehr würde wagen können, England anzugreifen oder gar zu besetzen. Das war kein Trompetenstoß der Parität mit Spanien, sondern das stolze Bekenntnis der Unangreifbarkeit, eine Philosophie der Defensive. Erst nach Elisabeth wurde daraus der Grundpfeiler einer über die Meere expandierenden Weltmacht, deren Umrisse sich unter der Tudor-Königin wohl abzuzeichnen begannen, aus der sie selbst aber keine Ideologie machen wollte. Der Zusammenhalt des Gemeinwesens war ihr wichtiger als der zweifelhafte Ruhm fremder Eroberungen. Außenpolitisch für England kämpfen hieß für die Königin meist, den Einsatz zu dosieren und ihn, wenn nötig, zu beschränken.

«Balance of power», die englische Erkennungsmelodie, erscheint unter Elisabeth als kunstvolle Taktik, Verwirrung zu stiften unter den kontinentalen Mächten, um sie davon abzuhalten, England anzugreifen. Dafür setzte die hochgebildete Frau in den ersten 25 Thronjahren auch ihren größten Trumpf ein: das Versprechen ihrer Hand zur Ehe. «Die beste Partie in ihrem Sprengel», wie man von ihr sagte, verursachte geradezu Staus im Gedränge ihrer Freier. Wie sie den einen gegen den anderen ausspielte, immer in dem Versuch, für England neue Fristen auswärtigen Friedens auszuhandeln, war so sehr Glanzstück ihrer Diplomatie wie persönlicher Verzicht. Sie war mit England verheiratet und nutzte die Aura ihrer Sinnlichkeit, ihren Sex-Appeal, einzig zur Verstetigung ihrer Attraktivität, ohne dabei ihre Selbständigkeit aufzugeben. Das machte sie einsam, aber mächtig.

Wenn Heinrich IV. von Frankreich 1593 zum Katholizismus konvertierte, um den inneren Frieden seines Landes nach Jahrzehnten der Religionskriege wiederherzustellen, mit der viel kolportierten Prämisse, Paris sei «eine Messe wert», so hätten die Bewerber um die Hand der Königin eine Welt für sie gegeben. Doch scheiterte es immer wieder an der Weigerung Elisabeths, den Protestantismus zu opfern, ebenso wie ihre ungeteilte Herrscherposition, die sie an der Seite eines Gemahls verloren hätte. So kämpfte sie um ihre Ehelosigkeit wie um den Ausweis höchster Majestät. Die Unangreifbarkeit Englands und die Unangreifbarkeit der «Virgin Queen» waren eins. Ihr Geschlecht war den Frauenverächtern eine dauernde Herausforderung, für sie selber dagegen die Quelle ihrer fast mystischen, dabei prekären Stabilität. Sie hielt die Nation mit den diversen Brautwerbern in Atem, aber gleichzeitig in tiefer Sorge ob der ungeklärten Thronfolge, über die sie sich partout nicht äußern wollte.

In den Annalen ragt Elisabeth I. als eine Gründungsfigur englischer Identität hervor. Diesen Zusammenhang zu entschlüsseln, macht die erneute Annäherung an sie und ihre Zeit zu einem vielversprechenden Abenteuer.

KAPITEL 1

Armada oder die Geburt der englischen Nation

Am Nachmittag des 19. Juli 1588, nahe der Landzunge Cornwalls, die man «Lizard» nennt, die «Eidechse», zeichnen sich in milchiger Ferne die Umrisse einer Formation von Schiffen ab, deren Zahl sich zunächst nur schwer abschätzen lässt, während ihr Zweck keinem Zweifel unterliegen kann: Die Weltmacht des 16. Jahrhunderts, Spanien, ist mit ihrer Armada, der mächtigen Flotte, zum «Enterprise of England» aufgebrochen, der seit Langem angedrohten Invasion. Die Legende will wissen, dass Sir Francis Drake, Englands Seeheld, der gerade auf den Höhen von Plymouth mit seinen Kumpanen Bowling spielte, sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, als man ihm die Nachricht vom Herannahen der Armada überbrachte. «Es wird schon noch Zeit sein, dieses Spiel zu beenden und die Spanier zu schlagen», so seine Antwort. «Keep calm and carry on» gilt bis heute als Motto der englischen Nation. Die Anekdote ist eine patriotische Saga, von Generation zu Generation weitererzählt. Verbrieft oder nicht, Drake kannte die Gezeitenlage um Cornwall – die Ebbe hätte es, kurz vor ihrem Tiefpunkt, nicht erlaubt, die eigene Flotte rasch gefechtsklar zu machen. Das mag ihn bewogen haben, seiner Neigung zum Großsprechen nachzugeben; auf seinen Ruhm durfte er sich jedenfalls durchaus etwas einbilden.

So nahm das Duell zwischen dem katholischen Herrscher von Gottes Gnaden, Philipp II. von Spanien, und der 55-jährigen Häretikerin Elisabeth I. von England, der Protestantin, seinen Lauf. In einer Zangenoperation sollte die Armada, 130 Schiffe stark, sich mit den Truppen des Herzogs von Parma in den spanischen Niederlanden verbinden, um den nötigen Flankenschutz zu geben für die Flachschiffe, mit denen Parma seine 17.000 Soldaten von Flandern an die englische Küste transportieren wollte. Danach würde die Armada ihre eigene Besatzung von 15.000 Mann anlanden und ebenfalls gen London in Marsch setzen – immer unter der Voraussetzung, dass die englische Flotte zuvor besiegt war. Es war eine kühne Annahme. Würde der Plan aufgehen?

Für Philipp war es nicht nur ein Kreuzzug gegen die protestantische Königin, seine Schwägerin (er war mit Mary, Elisabeths Schwester und katholischer Vorgängerin, verheiratet gewesen), nicht nur der Versuch, England zu rekatholisieren. Es ging auch um die Vormacht Spaniens in Europa und um die Verteidigung der Seeroute zu den Eroberungen in der Neuen Welt, den Gold- und Silberminen Mexikos und Südamerikas. Allzu lange schon hatten Elisabeths «sea dogs», diese See-Abenteurer und Freibeuter in ihrem Dienst, an Philipps Dominanz gekratzt, zuletzt immer dreister, allen voran der gefürchtete Francis Drake, «El Draco», wie man ihn in Madrid halb ehrfurchtsvoll, halb verwünschend nannte. Der hatte mit seiner dreijährigen Erdumsegelung der spanischen Weltherrschaft einen ersten Dämpfer versetzt. Der Stolz Philipps war aufs Äußerste herausgefordert. Auch die Unterstützung der Tudor-Monarchin für die aufständischen Protestanten in den spanischen Niederlanden, seiner Domäne, forderte ihn heraus. Die Hinrichtung der katholischen Maria Stuart 1587 und ein Überfall Drakes auf die spanische Flotte in Cádiz hatten das Fass zum Überlaufen gebracht. Dem König reichte es.

Doch für England, die Insel der 4 Millionen, ging es um noch mehr: Auf dem Spiel stand sein Überleben schlechthin gegenüber dem iberischen Moloch, der keinen Frieden, keinen Waffenstillstand mit dem abtrünnigen Königreich mehr in Erwägung zog. Der Kampf mit der Armada war ein Kampf um die Zukunft der englischen Nation. Wer würde siegen – wer war hier Amboss, wer Hammer? Ein solches existentielles Entweder-oder hat Goethe in seinem Gedicht «Kophtisches Lied» in berühmte Zeilen gekleidet:

Du mußt steigen oder sinken,

Du mußt herrschen und gewinnen

Oder dienen und verlieren,

Leiden oder triumphieren,

Amboß oder Hammer sein.

Darum ging es.

Elisabeth und ihre Berater machten sich keine Illusionen, was ihnen blühen würde, sollte die spanische Invasion Erfolg haben. Philipp hatte eine schwarze Liste anfertigen lassen über «die wichtigsten Teufel, die am Hof und im Kronrat Englands herrschen»: Sie sollten beseitigt werden, sobald die spanischen Truppen in London einmarschiert waren. Der Scharfmacher unter den katholischen englischen Emigranten in Rom, Kardinal William Allen, gab den Ton vor, als er Elisabeth in einem hasserfüllten Pamphlet als «infame, verruchte, verfluchte exkommunizierte Häretikerin» verdammte, «geradezu eine Schande für ihre Weiblichkeit und ihren Herrschernamen, bekannt als inzestuöser Bastard, in Sünde gezeugt und geboren von einer verrufenen Kurtisane, Anne Boleyn».

Den Widerstand Englands zu brechen, sollten sich in der Geschichte noch andere Möchtegern-Eroberer erträumen. Napoleon zum Beispiel, aber auch die SS, die 1940 in einem unauffällig-harmlos getarnten «Informationsheft Großbritannien» vorsah, nach gelungener Invasion durch die Nazis Einsatztruppen des SS-Sicherheitsdienstes nach England zu schicken, um die führenden Köpfe des Landes zu verhaften. Passend dazu erstellte sie ebenfalls eine Liste der Namen, auf die man es abgesehen hatte. Unter allen Trophäen, nach denen es europäische Gegner gelüstete, war England die verlockendste, freilich auch die diffizilste, denn die Insel besaß mit dem Meer einen natürlichen Schutzwall, und den hatten zum letzten Mal die Normannen überwunden, 500 Jahre vor der Armada.

Aber Philipp fühlte sich der Aufgabe gewachsen, im Glauben an Gott, die Gegenreformation und die spanische Übermacht. In seiner mönchischen Klause im Escorial nahe Madrid erbaute er sich täglich an einem Fresko von Spaniens großem Seesieg bei den Azoren über eine vereinte Flotte aus Franzosen, Engländern und Portugiesen 1582, in dessen Folge er die Azoren seinem Reich einverleibt hatte. Jetzt sollte die Armada das nächste Heldendatum schaffen. Dem Anführer des Unternehmens, Don Alonso Pérez de Guzmán, siebter Herzog von Medina Sidonia, hatte Philipp vor Beginn alle Zweifel zu nehmen versucht: «Wenn Sie scheitern, dann scheitern Sie, aber unser Anliegen ist das Anliegen Gottes, und so werden Sie nicht scheitern. Nehmt Euch ein Herz und lauft aus, so schnell Ihr könnt.» Auf den Fahnen der Spanier, die vom Papst gesegnet wurden, prangte der Satz: «Steh auf, oh Herr, und tritt ein für Deine Sache.»

Spanischer Tradition gemäß durfte an Bord der Schiffe keine Messe gelesen werden, weil die Hostie vom Wind hätte hinweggeweht und der Kelch umgestoßen werden können. Dafür achtete man auf die Einhaltung der sieben Tageszeiten des Stundengebets, der Horen, von der Matutin bis zur Vesper, die von Knabenchören gesungen wurden. Medina Sidonia fügte Lieder an die Jungfrau Maria hinzu, ein Salve Regina am Morgen, ein Ave Maria am Abend. Wenn ein Schiff der Armada bis in Hörweite gelangte, glaubten die Engländer, einer schwimmenden Kathedrale zu begegnen, mit Chorknaben, deren Stimmen zuweilen den Wind, das Flattern der Segel und das Ächzen der Planken übertönten.

Solche Selbsterbauung hatten die Spanier offenbar mehr als nötig bei einem Kommandeur wie dem Herzog von Medina Sidonia, der keine See-Erfahrung besaß. Philipp hatte sich nach dem Tod des 1588 verstorbenen Marquis de Santa Cruz für den Herzog, den reichsten Aristokraten Spaniens, als Nachfolger entschieden, da er sich viel von dessen Grandezza versprach. Doch Medina Sidonia war ein Bedenkenträger: «Señor, ich bringe nicht die Gesundheit mit fürs Meer, denn bei den wenigen Malen wurde ich schnell seekrank und von wechselnden Stimmungen überwältigt.» Überhaupt, «ich verstehe das Unternehmen gar nicht, weiß nichts von der Armada».

Das sollte sich bald ändern. Sidonia lernte schnell hinzu, auch, wie man seine Übelkeit überwindet. Als Erstes freilich hatte er ein metereologisches Handicap gegen sich: 1588 war ein stürmisches Jahr, schon im Mai hatte der Admiral in der Biscaya umkehren und sich für zwei Monate zum galizischen La Coruña zurückflüchten müssen. Zudem dienten auf englischer Seite, anders als in Spanien, fast nur erfahrene Seeleute, angefangen mit dem adeligen Kommandeur Lord Admiral Howard of Effingham bis hin zu so erprobten «sea dogs» wie dessen Stellvertreter Drake oder Martin Frobisher, Humphrey Gilbert und John Hawkins. Die halfen bei der Arbeit an Bord mit, im Gegensatz zu den Führungsebenen der Spanier, die sich zu fein dafür waren. Im Übrigen gingen die Engländer dem von Spanien bevorzugten Szenario, der Schlacht auf offenem Meer, aus dem Wege und zogen sich lieber in den englischen Kanal zurück, wo rund um Plymouth in Devon circa einhundert Schiffe bereitlagen. Sie würden bei Nacht und Flut eine Position hinter den Spaniern einnehmen und sie im Aufwind vor sich hertreiben können. Alexander Farnese, der Herzog von Parma, und seine Truppen waren zur Untätigkeit verdammt, solange die Armada die numerisch ähnlich starke englische Flotte nicht niedergerungen hatte.

Der wichtigste Vorteil Englands allerdings lag in seinen Schiffstypen. Meist jüngeren Datums, gebaut in den 1570ern, waren die Schiffe auf Schnelligkeit und Manövrierbarkeit angelegt und mit Kanonen bestückt, von denen jede zehn Mal pro Stunde nachgeladen werden konnte – eine technische Neuerung, die schlachtentscheidend wurde. Die hölzernen Kastelle der spanischen Galeonen und Karacken mit ihren turmartigen Aufbauten waren den kleinen, wendigeren Schiffen der Engländer nicht gewachsen, deren Entwicklung Elisabeths Vater Heinrich VIII. eingeleitet hatte. Walter Raleigh, der neue Favorit der Königin, pries die Überlegenheit der englischen Flotte: «Die größten Schiffe, die spanischen, sind am wenigsten zweckmäßig, sie liegen sehr tief im Wasser und kosten eine Menge Geld. Dagegen wird ein Schiff von nur 600 Tonnen genauso viel Bewaffnung mitführen wie ein 1200-Tonner, und das kleinere wird seine Breitseite zwei Mal gewendet haben, ehe das größere es auch nur einmal geschafft hat.» Elisabeths Schiffe segelten einfach rascher und konnten, wenn nötig, auch entsprechend schneller einer gefährlichen Situation entrinnen. Hatten in der Antike bei der Schlacht von Salamis nicht auch die wendigen griechischen Schiffe über die schwerfälligeren des Perserkönigs Xerxes gesiegt?

Die Strategie der Spanier zielte aufs Entern, auf den Versuch, längsseits der feindlichen Schiffe zu gehen und auf ihr Deck zu springen. Auf den Nahkampf kam es ihnen an, Mannschaft gegen Mannschaft. Wollte man den Unterschied der beiden Flotten auf eine griffige Formel bringen, so könnte man sagen: Truppentransporter gegen Kanonentransporter, die einen auf die Landschlacht, die anderen auf die Seeschlacht ausgerichtet. Die 15.000 Mann starke Armada-Besatzung bestand aus 8000 regulären Soldaten und 7000 Seeleuten, Letztere waren ebenfalls militärisch trainiert, das heißt für einen Landkampf vorbereitet. Ein überflüssiger Vorteil, denn Admiral Howards Kanonen mit ihrem weitreichenden Mündungsfeuer hielten die Spanier in gebührendem Abstand, die so einfach nicht zu ihrer bevorzugten Strategie kamen, die feindlichen Schiffe zu entern.

Ein mehrere Tage dauernder Zermürbungswettbewerb bildete den Auftakt der Schlacht, bei dem sich Howard schon als Erfolg anrechnete, dass er die Armada daran hindern konnte, irgendwo entlang der englischen Südküste zu ankern. Dennoch kann sich die spanische Flotte gegen die Unbill des unruhigen Wetters durchkämpfen, bis sie am 27. Juli vor Calais ankommt und dort Anker wirft. Parma freilich ist entsetzt: Wie, Medina Sidonia hat noch die gesamte englische Flotte hinter sich? Unter diesen Umständen kann die flandrische Armee auf keinen Fall an eine Invasion denken. Wie sollen die Flachboote, Transporter zur Überquerung des Kanals, die Einschiffung wagen, wenn überall noch Howards Schiffe drohen? Auch Holländer übrigens, die sich im Flachwasser entlang der Küste mit seinen vielen Flussarmen besser auskennen und mit ihren «flyboats» den spanischen Flachbooten allemal überlegen sind.

Philipp wiederum litt unter einem psychologischen Manko: Auf Störungen und Verzögerungen, so unvermeidlich bei dem geplanten Rendezvous der Armada mit den Elitetruppen in Flandern, war er nicht eingestellt. Er sah nichts als den Sieg seiner Geschwader und die offene Flanke Englands. Gott würde ihn schon nicht scheitern lassen. Der englische Kanal aber ließ sich mit minutiösen Vorgaben aus Madrid nicht gefügig machen. Darauf verstand Elisabeth sich dafür umso besser, die ihren Kapitänen freie Hand ließ, sich auf die jeweilige Lage nach eigener Einschätzung einzustellen, ihren Entscheidungen keinen unverrückbaren Plan zugrunde zu legen, kurz: flexibel zu bleiben. Was ein Glaubenssatz wurde in der englischen Navy. Noch über 200 Jahre später wird Admiral Nelson 1805 am Vorabend der Schlacht von Trafalgar seinen Kapitänen einschärfen: «Nichts ist sicher in einer Seeschlacht, etwas muss dem unberechenbaren Augenblick überlassen bleiben.» Das verriet eine gereifte maritime Mentalität, die gewohnt war, mit den Risiken der Seefahrt umzugehen.

Der unberechenbare Augenblick segelte jetzt aber mit tödlicher Gradlinigkeit auf den Feind zu, auf die vor Calais ankernde Armada. In der Nacht des 28. Juli stecken die Engländer acht ihrer Schiffe, die sie mit Pech, Schwefel, Schießpulver und Teer geladen haben, in Brand und lassen sie im starken Nordwest ins Zentrum der spanischen Formation fahren, wo sie unter schrecklichem Getöse explodieren. «Hellburners», «Höllenbrenner», nennt man solche schwimmenden Vernichtungsträger, die auch den Spaniern nicht unbekannt waren. Es gelingt diesen, zwei Feuerschiffe von ihrer Route wegzudrängen, doch die übrigen sechs stiften heillose Panik in der spanischen Flotte. Die meisten Schiffe kappen ihre Leinen, lassen die Anker zurück und driften steuerlos ins offene Wasser des Kanals. Dort versammelt sich, was noch seetüchtig ist, am 29. Juli nahe dem Ort Gravelines in Sichtweite der flämischen Küste und liefert der englischen Flotte ein achtstündiges Gefecht; es ist der eigentliche Höhepunkt der Armada-Schlacht. Unerbittlich regnet es Tod und Verderben aus englischen Kanonen auf die Spanier, zerfetzt ihre Segel, durchschlägt die Schiffswände. Dann kommt ein Sturm auf, der die Armada gefährlich nahe an die Küste drängt, sodass sich Sidonia entschließt, mit seinen demoralisierten Mannschaften den Heimweg nach Spanien einzuschlagen. Vom starken Wind entlang der Ostküste Englands nach Norden getrieben, geht es über Schottland und die Shetland-Inseln in weitem Bogen entlang der Westküste Irlands und die Biscaya zurück nach Santander und La Coruña. Es werden nur sechzig der ursprünglichen 130 Schiffe ankommen, mit stark dezimierten Mannschaften. Viele Männer kommen noch in Irland um, wo sie ausgezehrt Hilfe suchten, aber auf englische Soldaten trafen, die mit ihnen kurzen Prozess machten. Spaniens Reputation liegt in Trümmern.

Die Fluchtroute der Armada, nach einer zeitgenössischen Landkarte

So langsam war die Kommunikation in diesem Jahrhundert, dass während der Flucht der Armada über die Nordsee am englischen Hof lange Unkenntnis herrschte über das genaue Kriegsgeschehen. Ein Gerücht machte vielmehr die Runde: Drake, der Darling der Nation, ist gefangen genommen worden! In dieser Stunde, Anfang August, entschließt sich Elisabeth, ihre Truppen zu besuchen, um ihnen Mut zuzusprechen. Sie will nach Kent an die Südküste reiten und dort Stellung beziehen. Eine Queen, die sich in eine Amazone verwandelt? William Cecil, Lord Burghley, ihr wichtigster Berater, ist entgeistert: «Ich kann dem nicht zustimmen», schreibt er ihr lapidar. Ähnlich wird Anfang Juni 1944 König Georg VI. einschreiten, als sein Premierminister Churchill sich anschickt, zu den ersten Truppen zu stoßen, die am D-Day den Kanal überqueren würden: Der König untersagt es. Das gelingt Elisabeths Beratern nicht – Graf Leicester zum Beispiel, der ihr persönlich am nächsten steht, ist geradezu begeistert von der Idee, schlägt aber einen anderen Schauplatz für das Treffen der Königin mit ihren Bewaffneten vor: Tilbury am Nordufer der Themse. Das ist keineswegs gefahrlos, denn auf der Themse hatte man ursprünglich die Spanier erwartet, in mächtigem Durchstoß auf London. Wo nur ist jetzt die Armada? Leicester spürt die Chance zu einem historischen Auftritt. Haben er und Geheimdienstchef Francis Walsingham gar schon gerüchteweise von der Flucht der Spanier gehört, und ist er deshalb so spontan für den Plan der Queen? Aber Parma könnte noch landen. Die Gefahr ist also noch nicht gebannt.

Am 8. August trifft Elisabeth auf einer Barke in Tilbury ein. In sumpfigem Gelände hat man ihr einen Weg aus Holzplanken gezimmert. Dann speist sie mit Leicester in einem Zelt inmitten des Heerlagers, dessen Reihen sie anschließend abschreitet. Der Applaus ist stark – «es klang wie Donner», wie ein Augenzeuge später berichtet. Am Tag danach erscheint sie erneut unter den Milizen – ein stehendes Heer kannte England bis dato noch nicht, die Stärke des Militärs lag einzig auf dem Meer, für einen Landkampf mussten die Grafschaften mühevoll Personal aufbieten, teilweise gegen große Widerstände. Die Königin glänzt auf ihrem Grauschimmel, mit einem silbern-stählernen Brustpanzer über dem Mieder, vor ihr Hofbeamte mit den Insignien ihrer Hoheit. Und nun hält sie die Ansprache, die über alle Zeiten wie ein Kometenschweif ihren Ruhm begleiten wird – die «Armada Speech», Englands Unabhängigkeitserklärung anno 1588, mit diesen Kernpassagen:

Mein geliebtes Volk!

Manch einer, dem unsere Sicherheit am Herzen liegt, versucht, uns einzureden, wir sollen Vorsicht walten lassen, wenn wir bewaffneten Massen gegenüberstehen, aus Angst vor Verrat. Ich versichere euch aber, dass ich mein Leben nicht in Misstrauen gegenüber meinem treu ergebenen Volk hinbringen will. Mögen Tyrannen sich fürchten. Ich habe mich immer so verhalten, dass ich auf Gott alle meine Kräfte und meinen Schutz in die treuen Herzen und den guten Willen meiner Untertanen gelegt habe. Daher bin ich jetzt, wie ihr seht, nicht zu meinem Vergnügen, zu meiner Zerstreuung zu euch gekommen, sondern mit dem Entschluss, inmitten des Schlachtgetümmels unter euch zu leben oder zu sterben, meine Ehre und mein Blut für meinen Gott, mein Königreich und mein Volk zu geben, und sei es im Staub.

Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes habe, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England, und ich kann nur darüber lachen, dass Parma oder Spanien oder irgendein Herrscher Europas es wagen sollte, die Grenzen meines Reiches zu überschreiten. Ehe durch mich Unehre über mein Land kommt, will ich daher selber zu den Waffen greifen, will selbst euer General, Richter und Belohner jeder einzelnen eurer tapferen Handlungen auf dem Schlachtfeld sein.

Niedergeschrieben hat den frei gesprochenen Wortlaut Leicesters Kaplan Dr. Lionel Sharpe, entweder gleich oder am Tag danach, zur Verbreitung bei denen, die die Ansprache nicht hören konnten im Zeitalter ohne Mikrophone und Lautverstärker. Der größte Verstärker freilich wurde der Ruhm, die Fama der «Armada Speech» selber. Sharpe gab den Text erst viele Jahre später an den Herzog von Buckingham, gedruckt erschien er gar erst 1654.

Die Rede atmet getreulich Elisabeths Stil in Momenten großer Erregung und Leidenschaft: Das «ich» dominiert statt des Pluralis majestatis, des «wir», bis es auf die geschlechtsspezifischen Bilder zuläuft – den «Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes» und das «Herz und Mark eines Königs». Dieser Kontrast, die Dualität der Geschlechtlichkeit in einem Körper, hebt die Königin über alle Herrscher ihrer Zeit hinaus. Die Inschrift in einer Kirche in Norfolk unter einem zeitgenössischen Bild von der Schlacht unterlegt der Rede einen triumphalen Sinn: «Der Feind mag mich herausfordern wegen meines Geschlechts – dass ich eine Frau bin. Das werfe ich ihm zurück: Es sind doch nur Männer.» Leiser Hohn schwingt mit, die jungfräuliche Königin wird zu einer neuen Kultfigur: Gloriana oder «Eliza triumphant».

Auf dem Armada-Porträt von George Gower in der Woburn-Abtei im Norden Londons ruht Elisabeths rechte Hand auf einem Globus, als wollte der Maler die Zeitenwende markieren. Das Motto Philipps II., «Non sufficit orbis», «Die Welt ist nicht groß genug», wird mit diesem Gemälde gleichsam entthront: Jetzt hat sich eine andere in diese Welt gedrängt, die für Spanien plötzlich um so viel kleiner geworden ist.

«Dass ich zwar den Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes habe, dafür aber Herz und Mark eines Königs»: Elisabeth I. auf dem Armada-Porträt von George Gower in der Woburn-Abtei im Norden Londons

Oft findet man die Rede von Tilbury ohne den ersten Absatz zitiert, was den Lesern das eigentliche Drama vorenthält: dass hier eine Monarchin dem möglichen Attentat trotzt, indem sie sich ungeschützt unter die Versammelten wagt. Mehrere geplante Anschläge auf Elisabeths Leben waren in den 1580er Jahren aufgedeckt worden – katholische Verschwörer hatten versucht, Maria Stuart mithilfe Spaniens anstelle des «Bastards» Elisabeth auf den englischen Thron zu heben. Leicht hätte sich ein Gleichgesinnter unter die Menge in Tilbury mischen und die Königin ermorden können. Unter dem «geliebten Volk», bewaffnet für den Kampf gegen Spanien, genügte ein Schuss in die andere Richtung, um den Triumph über die Armada in eine Fatalität für England zu verwandeln. Elisabeth zielte auf den Beifall, der ihr aufgrund ihrer Mutprobe, ihrer demonstrierten Furchtlosigkeit sicher war. Danach geht es Satz um Satz auf den magischen Kern ihrer Rede zu.

Bald wurde es modisch, vom «protestantischen Wind» zu sprechen, der England den Sieg gebracht hatte. Armada-Münzen und -Medaillen zeigten Inschriften wie «Venit, vidit, fugit» – «Er kam, er sah, er floh» – oder «Flavit Jehova et dissipati sunt» – «Jehova blies, und sie wurden zerstreut». Die hübsche Propaganda-Wendung verwischte jedoch die Rolle, die Howards Flotte vor allem bei Gravelines gespielt hatte, wenn auch der Sturm den Spaniern den Rest versetzte. In die Irre geht daher auch der Armada-Mythos vom Sieg Davids über Goliath. Die Lage für England hatte nur für den Fall schlecht ausgesehen, dass Parmas Truppen gelandet wären: Dann hätte man ihnen nichts Gleichwertiges entgegenstellen können. Auf dem Wasser dagegen hatten die englischen Kapitäne den Gegner im Griff.

Das Jahr 1588 gab dem englischen Nationalstolz, den Elisabeth seit Beginn ihrer Herrschaft dreißig Jahre zuvor wie eine kostbare Pflanze gehegt und gepflegt hatte, mächtigen Auftrieb. Sie wollte nicht Königin der Protestanten sein, sondern der Engländer, das war ihr Refrain. Dennoch fühlte sie sich nach dem Armada-Sieg bestätigt, dass Gott sie erwählt hatte, ihr Land zu regieren und damit auch den Protestantismus – in seiner anglikanischen Version – zu sichern. Quer durch alle Reihen, ob Anglikaner, strenge Puritaner oder Katholiken, scharte sich die Gesellschaft nun um ihre Königin. Selbst in dem Priesterseminar in Rom, wo man sich auf die Missionierung Englands vorbereitete, jubelten die Studenten, als sie vom Sieg über die Armada hörten. Patriotismus, das Bewusstsein einer singulären Stellung in Europa, wurde zum neuen Bindeglied der Engländer, gemischt mit einer Spur Fremdenfeindlichkeit. Elisabeths Ruf stand, auch im Ausland, im Zenit. Sogar Papst Sixtus V., der beständig Philipp II. gedrängt hatte, endlich gegen die englische Häretikerin vorzugehen, griff zu einem Lob: «Sie ist sicher eine große Königin, und wäre sie nur katholisch, würde sie unsere geliebte Tochter sein. Seht doch, wie gut sie regiert! Sie ist nur eine Frau, nur die Herrin über die Hälfte einer Insel, und doch wird sie von Spanien, von Frankreich, vom Kaiser gefürchtet, von allen!»

Das Hohelied stolzer Eigenständigkeit sollte Shakespeare bald nach der Armada-Schlacht singen. Es ist bis heute das am häufigsten herbeigerufene Zitat, wenn man die englische oder britische Spur in der Geschichte auf den Punkt bringen möchte. In «König Richard II.» (1599) formuliert John of Gaunt den literarischen Gründungstext des englischen Patriotismus:

Dies Volk des Segens, diese kleine Welt,

Dies Kleinod, in die Silbersee gefasst,

Die ihr den Dienst von einer Mauer leistet,

Von einem Graben, der das Haus verteidigt

Vor weniger beglückter Länder Neid;

Der segensvolle Fleck, dies Reich, dies England (…)

Solcher Nationalstolz hat über die Jahrhunderte hinweg ausgestrahlt. 1930 schrieb Winston Churchill in einem Aufsatz für die amerikanische Zeitschrift «Saturday Evening Post» unter dem Titel «Die Vereinigten Staaten von Europa», Großbritannien werde nie zu diesen «Vereinigten Staaten» gehören, «denn wir haben unsere eigenen Träume und Aufgaben. Wir stehen zu Europa, gehören aber nicht dazu; wir sind verbunden, aber nicht umfasst; wir sind interessiert und assoziiert, aber nicht absorbiert; wir gehören zu keinem einzelnen Kontinent, sondern zu allen.» Das war auch 1946 sein Credo, als er in einer Rede in Zürich den Anstoß zu den – wie er sie erneut nannte – «Vereinigten Staaten von Europa» gab, mit England als leutseligem Paten, nicht als konstitutionellem Mitglied.

So interpretieren auch heutige «Brexit»-Anhänger manchmal die britische Ausnahmestellung als eine geographisch und historisch bedingte Gegebenheit. Noch immer fühlen sie sich als die späten Erben einer großen Königin, die Spanien den Fehdehandschuh hinwarf «oder irgendeinem Herrscher Europas, der es wagen sollte, die Grenzen meines Reiches zu überschreiten». Es ist freilich das Unglück klassischer Zitate, dass sie, sobald sie in die Gegenwart gehoben werden, zu falschen Analogien führen können und möglicherweise zu einem historischen Irrweg. Die EU ist nicht das Spanien Philipps II., und die Welt, in welche die Elisabethaner auszugreifen sich anschickten, ist eine andere als die des 21. Jahrhunderts. Doch die Gegenwart der Insel und ihrer Beziehung zum europäischen Kontinent ist noch schwerer zu fassen als die Vergangenheit und auch nicht Thema dieses Buches. Schauen wir lieber nach, woher Gloriana, die große Königin, stammte und wie sie dazu kam, ihr Land auf einzigartige Weise zu prägen.

KAPITEL 2

Die Eltern. Der Bruch Heinrichs VIII. mit Rom

Verschlungen sind die Wege der Geschichte. Wo bleibt im Wirrwarr des Heute die erkennbare Linie? Was hat Bestand, was wird den Tag nicht überstehen? Diese Frage schien sich im England des Jahres 1521 nicht zu stellen, denn seit 1509 regierte der allerchristlichste Tudor-Herrscher Heinrich VIII., katholisch und dem Papst treu ergeben, ohne auch nur eine Andeutung, dass sich daran je etwas ändern könnte. Heinrich ist sogar erbost über die Unruhe, die dieser deutsche Rebell Luther mit dem Ablassstreit in die Kirche getragen hat, und er erregt sich höchstherrschaftlich über dessen Frontalangriff gegen einen wichtigen Aspekt des Glaubens, die Gültigkeit der sieben Sakramente. Das ist für ihn theologischer Hochverrat an der «una sancta catholica» selber, gegen den sich ein christlicher Fürst einfach zum Widerspruch aufgerufen fühlen muss – der Papst soll wissen, welch verlässlicher Sohn der Kirche am Rande Europas über die reine Lehre wacht. So entsteht die Streitschrift «Assertio Septem Sacramentorum adversus Martinum Lutherum», Heinrichs Verteidigung der sieben Sakramente gegen Luthers theologischen Frevel, zugleich ein überzeugendes Bekenntnis zur unantastbaren päpstlichen Autorität.

Der König lässt ein Exemplar des Entwurfs Thomas Morus zukommen, damals noch nicht Lordkanzler, aber immerhin schon hochgeachtetes Mitglied des «Privy Council», des Kronrats. Was sein geschätzter juristischer Berater von der Schrift halte? Morus’ Antwort ist verblüffend, und sie allein könnte die vielfach aufgestellte Behauptung widerlegen, er habe dem König bei der Abfassung der «Assertio» geholfen. Morus nämlich rät davon ab, dem Papst und seinem Primat derart zu schmeicheln, wie es der beflissene königliche Verfasser in seiner Verteidigungsschrift tut: «Der Papst ist ein Fürst wie Eure Majestät und hat Bündnisse mit allen anderen Fürsten. Es mag sogar später einmal geschehen, dass Euer Gnaden und er verschiedener Meinung über einen Bündnispunkt werden und dass ein Bruch mit ihm und ein Krieg zwischen Euch und ihm entsteht. Deshalb halte ich es für besser, etwas vorsichtiger von Seiner Autorität zu handeln.» Welche Weitsicht, welche geradezu prophetische Klugheit! Doch Heinrich bleibt bei seinem Text.

Es ist ein erstaunlicher Austausch der Positionen. Der König gibt sich als der wahre «Defensor fidei» zu erkennen, als «Verteidiger des Glaubens», als den Papst Leo X. ihn im Oktober 1521 ehren wird – eine Auszeichnung, an die das britische Königshaus bis in die Moderne anknüpft: Noch heute findet sich auf britischen Münzen neben dem Bild des Souveräns die Abkürzung «D. F.». Morus dagegen, der scharfsichtige Gelehrte, sieht die zeitgebundenen Schwächen der Kirche und die Verstrickungen des Papsttums als weltlicher Macht in die Händel des Jahrhunderts. Als Fürst über seinen eigenen Besitz, seinen eigenen Staat, trug der Papst neben seiner geistlichen Verantwortung für die weltweite Kirche eben immer auch ein weltliches Zepter und betrieb irdische Realpolitik. Daher war Vorsicht geboten bei einer zu tiefen Verbeugung vor der Hoheit des Pontifex maximus, mochte der Anlass, die Breitseite gegen Luther, auch ein würdiger sein. Dem Juristen Morus stand die Möglichkeit vor Augen, dass die Interessen seines Herrschers mit denen des Papstes einmal kollidieren mochten.

Und was für eine Kollision es wurde! Weniger als ein Jahrzehnt nach der «Assertio» bat der englische König den Medici-Papst Clemens VII. um einen «kleinen Gefallen» – die Scheidung von seiner Ehefrau Katharina von Aragon, damit er seine neue Liebe, Anne Boleyn, heiraten und sich damit die Hoffnung auf einen männlichen Thronerben erfüllen könnte. Hatte der Verteidiger des Glaubens sich diese Gunst nicht verdient? Am Ende war der päpstliche Primat für ihn kein unumstößlicher Grundsatz mehr. Denn jetzt ging es nicht um die sieben Sakramente, sondern um das Interesse der englischen Monarchie an einer gesicherten Thronfolge. Zwar waren Frauen davon nicht ausgeschlossen, und Mary, das einzige überlebende Kind aus der Ehe Heinrichs mit der spanischen Katharina von Aragon, hatte einen legitimen Anspruch auf den Thron. Aber es gab Vorbehalte wie den, dass eine Königin nie Truppen in die Schlacht würde führen können. «Das Schlachtfeld ist unpassend für die Beschränktheit einer Frau», meinte der in Kriegen mit Frankreich nicht gerade erfolgreiche König. Auch teilte er grundsätzlich die Überzeugung der Zeit, wonach eine Frau, sollte die Herrschaft an sie fallen, nicht lange ohne einen Mann auskommen könne, der nach göttlichem Gesetz dann ihr «Gouverneur» und Kopf werden müsse, kurzum: der eigentliche Herrscher. Tatsächlich fürchtete Heinrich, eine Frau als Thronerbin sei das Rezept für einen Bürgerkrieg.

Aber ein Ausweg aus dem Dilemma zeichnete sich bereits ab, und der hatte einen Namen: Anne Boleyn, eine am französischen Hof erzogene junge Dame und seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr Ehrenfräulein («maid-of-honour») bei Katharina. Mit der Koketterie ihres lebhaften Wesens hatte sie Heinrich restlos verzaubert. Scharfzüngig und schlagfertig, «ließ sie Sanftmut und höfische Freundlichkeit fade erscheinen», wie es hieß. Es war der Aufschlag ihrer schwarzen Augen, dieses gewisse Etwas der Verheißung, was die Männer faszinierte und den König in ihren Bann schlug. Doch war sie auch klug: Den Fehler ihrer älteren Schwester Mary wollte sie nicht wiederholen, die sich von Heinrich hatte verführen lassen, bis er, dieser sexuelle Protz, bald das Interesse an ihr verloren hatte. Anne dagegen hielt den König hin, ließ ihn sechs Jahre lang um ihre sexuelle Gunst buhlen, bis er versprach, sie zu heiraten. Nicht als Mätresse – als Königin wollte sie in die Geschichte eingehen. Als Mutter der großen Elisabeth würde ihr dieser Platz im Gedächtnis der Nachwelt auf ungeahnte Weise zufallen.

Verzauberte Heinrich VIII. mit Koketterie und Schlagfertigkeit: Anne Boleyn, Elisabeths Mutter

Es war das erste Mal, dass irgendjemand «nein» zu Heinrich VIII. gesagt hatte. Seine Betörung, so meinte der französische Gesandte, Kardinal Jean du Bellay, war derart, «dass nur Gott seinen Wahnsinn hätte mildern können». Seufzer der Leidenschaft durchziehen Heinrichs Briefe an Anne, ungewöhnlich für einen Mann, dem das Schreiben eigentlich nicht lag: «Ich bitte Euch daher von ganzem Herzen, mir, was die Liebe zwischen uns beiden angeht, Eure ganze Absicht kundzutun. Diese Antwort zu verlangen, zwingt mich die Notwendigkeit, da ich seit über einem Jahr von der Pein der Liebe verwundet bin und nicht weiß, ob ich scheitern oder einen Platz in Eurem Herzen und Eurer Liebe finden werde.» Die Ironie der Geschichte will es, dass dieses amouröse Kompendium, Heinrichs Liebesbriefe an Anne Boleyn, auf nicht mehr nachzuverfolgenden Wegen irgendwann in den Besitz der Vatikanischen Bibliothek gelangte.

Aber der Papst konnte dem König nicht entgegenkommen, denn Katharina von Aragon war die Tante Kaiser Karls V. Dessen Truppen hatten im Jahr 1527 Rom geplündert – der berühmte «Sacco di Roma» – und den Papst in der Engelsburg gefangen gesetzt. Obendrein konnte Clemens VII. nicht riskieren, durch Erfüllung der Bitte des englischen Monarchen den Zorn der spanischen Herrscher Ferdinand und Isabella, der Eltern von Katharina, herauszufordern. Wie Recht Thomas Morus doch hatte: «Der Papst ist ein Fürst wie Eure Majestät und hat Bündnisse mit allen anderen Fürsten» – und nicht zu vernachlässigende Eigeninteressen.

Doch Heinrich war mehr als zuversichtlich, von Rom den gewünschten Dispens zu erhalten, hatte Clemens VII. doch auch in anderen Fällen solcher Art «ausgeholfen» und königliche Ehen geschieden. Bibelfest wie die Besten im Lande, hielt der König sein Scheidungsbegehren ohnehin für absolut unabweislich. Denn war Katharina nicht die Ehefrau seines ältesten Bruders Arthur gewesen, des Thronfolgers, der 1502 fünfzehnjährig gestorben war? Das Alte Testament aber ächtete die Ehe mit der Witwe des eigenen Bruders. Im 3. Buch Moses steht in Kapitel 20,21: «Wenn jemand seines Bruders Weib nimmt, das ist eine schändliche Tat; sie sollen ohne Kinder sein, darum, dass er seines Bruders Blöße aufgedeckt hat». Zwar hatten Heinrich und Katharina eine Tochter, doch hielt der König das Ausbleiben eines männlichen Erben nach wiederholten Fehlgeburten seiner Frau für einen vergleichbaren Fluch. Die Beteuerung von Katharina, die Ehe mit Arthur sei nie vollzogen worden, galt ihm nichts, das Bibelwort war für ihn Begründung genug. Papst Julius II. hätte 1509 seine Heirat mit Arthurs Witwe gar nicht erlauben dürfen, argumentierte er.

Wir müssen das Hin und Her um seinen Casus – «the King’s matter» –, für den Heinrich eine Heerschar englischer und europäischer Gelehrter bemühte, hier nicht nacherzählen. Seine Ehe konnte letztlich nur geschieden werden, indem er sich zum Oberhaupt der Kirche in seinem Land aufwarf, unter Zustimmung des Parlaments, das von nun an, wann immer der Bischof von Rom erwähnt wurde, hinzufügte: «auch Papst genannt». Dieser Umschwung kam nicht unerwartet: Die Papst-Kritik des englischen Katholizismus hatte eine lange Vorgeschichte. Schon immer hatte der heimische Klerus sich gegen Einmischungen Roms gewehrt, gegen die «Feinde aus fernen Landen», wie es Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln und ein bedeutender Theologe seiner Zeit, auf dem Konzil von Lyon 1254 formuliert hatte. Einhundert Jahre später startete der Oxforder Theologe John Wycliffe eine regelrechte Kampagne gegen vatikanischen Machtwillen und den Verfall urchristlicher Bescheidenheit. «Die Könige Englands», so verkündete auch Heinrich VIII. bereits 1515, lange vor der Trennung von Rom, «haben nie eine andere Hoheit über sich anerkannt als allein Gott.»

Thomas Cranmer, der neue Erzbischof von Canterbury, sprach am 23. Mai 1533 die Scheidung des Monarchen von Katharina von Aragon aus, nachdem Heinrich und Anne Boleyn bereits im Januar heimlich geheiratet hatten, der König also praktisch vier Monate lang in Bigamie gelebt hatte. 1534 folgte der Suprematsakt, mit dem der Monarch zum Kopf der Kirche seines Landes wurde. Für England bedeutete diese Zäsur das Ende der Dualität des mittelalterlichen Christentums: Das Oberhaupt des Staates und das der Kirche waren jetzt in einer Person zusammengefallen. Seit Heinrich VIII. hieß es:»One king, one law, one faith» – «Ein König, ein Gesetz, ein Glaube».

Heinrichs Eheschließung mit Anne Boleyn war freilich alles andere als beliebt. Der alte Glaube lebte noch, und gerade die Frauen fühlten sich durch die Ehebrecherin Anne herausgefordert. Der Widerstand gegen sie, gegen «Nan Bullen», wie man ihren Namen verächtlich verdrehte, wuchs. Zwei Lager taten sich auf: Die Verteidigung der Ehe mit Katharina von Aragon wurde zunehmend Teil der katholischen Orthodoxie, während die protestantischen Reformer sich hinter der Verbindung Heinrichs mit Anne Boleyn scharten. Das war dem König fast peinlich, stand er doch bis auf den Streit um die Rolle des Papsttums nicht im Dissens mit der katholischen Doktrin und fühlte sich ein Leben lang als gläubiger Katholik. 1539 setzte er sogar die «Six Articles» durch, ein «Gesetz zur Abschaffung von Vielfalt der Meinungen» zur Religion, womit der traditionelle Glaube gegen die protestantischen Eiferer neu definiert und festgeschrieben wurde. Wie willkommen auch immer ihm jede Unterstützung für seine Ehe mit Anne Boleyn war, konnte er es doch nur bedauern, von den Vertretern der «falschen» Religion dafür Beifall zu erhalten.

Eine Anhängerin dieser Religion war auch Anne selber, ein zusätzlicher Faktor für Heinrichs spätere Entfremdung von ihr – auch im Religiösen sollte sie sich als Femme fatale erweisen. Enthusiastisch folgte sie der von Luther angestoßenen Entwicklung, mit der sie in Frankreich vertraut geworden war. Die Protestanten betonten vorrangig das in der Predigt verkündete Wort Gottes, die Bibel – das auf der Insel in englischer Sprache vernommen werden sollte, was noch lange unter Strafe stand. Anne machte sich sogar für den verfolgten Bibelübersetzer William Tyndale stark, der aus England hatte fliehen müssen, um in Antwerpen seine bahnbrechende Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen zu vollenden. Er vertrat den schlichten, aber revolutionären Grundsatz, «der Knabe hinter dem Pflug» müsse das Wort Gottes ebenso lesen können wie Priester und andere des Lateinischen mächtige Vermittler.

Mit Tyndales Übersetzung der Heiligen Schrift durchlief England insgesamt eine religiöse Emanzipation. Die Religion des Sehens und des Glaubens, die Frömmigkeit der Rituale, darunter die Heiligen- und Reliquienverehrung, Pilgerfahrten und anderes, wurde durch eine Religion des Wortes ersetzt. Die Engländer wandelten sich zu einer Gesellschaft der Leser und Predigthörer – und die englische Sprache als literaturfähiges Medium blühte auf. Shakespeare wäre ohne diese Wende, die mit Tyndale begann, nicht denkbar gewesen. Freilich war dem ein Bildersturm vorausgegangen, der Englands bildliches Erbe fast zerstörte – Gemälde, Statuen, Schreine, eine religiöse Spur des Mittelalters. Unter Heinrichs Lordkanzler Thomas Cromwell begann auch die gewaltsame Auflösung der Klöster und ihres Besitzes; es wurde der größte Landtransfer in der englischen Geschichte, der die königlichen Kassen auffrischte und eine ganze Schicht des niederen Adels, die Gentry, zu vermögenden Landbesitzern machte. Wenig Proteste erhoben sich dagegen – der Anti-Klerikalismus war seit Langem eine Mode und wurde in vielen Satiren gefeiert.

Doch zurück zu dem liebestollen englischen Monarchen, der sich sehnlichst einen Sohn zur Sicherung der Tudor-Dynastie wünschte. Beide, er und seine neue Ehefrau, waren überzeugt, dass Anne, als sie 1533 schwanger wurde, einen Sohn gebären werde, auch Ärzte und Astrologen hatten es vorausgesagt. Namen wie Edward oder Henry standen bereit. Auch waren Dutzende von Benachrichtigungen über die Geburt eines Prinzen im Voraus geschrieben worden. Doch dann kam am 7. September 1533 «nur» ein Mädchen zur Welt, eine Elizabeth, und sämtliche vorbereiteten Dokumente mussten geändert werden. Da aber in den Ankündigungen, die von einem «Prince» sprachen, hinter dem «ce» nur Raum für noch einen weiteren Buchstaben blieb, musste das fällige «Princess» sich mit einem «s» zufriedengeben – «Princes». Die Geburt der Frau, die zur größten Königin Englands aufsteigen sollte, wurde der Welt mit einem Schreibfehler bekannt gemacht.

Die Enttäuschung des Königs war groß: Hatte er seinen Ruf und damit vielleicht gar sein ewiges Seelenheil durch die Scheidung von seiner ersten Frau für ein Mädchen in Gefahr gebracht? Dennoch hielt er zunächst zu Anne – es konnte ja in der Folge durchaus noch der gewünschte Sohn erscheinen. So ließ er die Taufe mit gebührendem Pomp über die Bühne gehen, und nur das anberaumte Lanzenturnier für den erwarteten männlichen Nachfolger wurde abgeblasen. Der Botschafter Karls V. ließ derweil seiner Schadenfreude über das Missgeschick des Königspaares freien Lauf. Er erboste die Mutter mit seiner Weigerung, der Taufe beizuwohnen, sagte jedem, der es hören wollte, das Kind sei ein «Bastard», und machte sich über die Experten lustig, die einen Sohn vorhergesagt hatten.

Anne Boleyns Einfluss auf ihren Mann schwand, als nach Elisabeth zwei Fehlgeburten folgten. Sie wurde widerspenstig, gereizt, oft geradezu hysterisch. Ihr häufiges Auftrumpfen, das der König so anziehend gefunden hatte, als er noch um sie warb, fand er an der Ehefrau nur noch ärgerlich. Auch am Hof fiel sie wegen ihrer teilweise unflätigen Sprache auf. Ihre Auseinandersetzungen mit Jane Seymour, Heinrichs neuer Flamme, einer ihrer eigenen Hofdamen, waren Legende.