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Als die Queen am 8. September 2022 nach über 70 Jahren auf dem Thron starb, stand die Welt still. Die Hochachtung vor ihrer Lebensleistung hat an diesem Tag Staatsoberhäupter und ganz normale Menschen aus aller Welt vereint. Thomas Kielinger legt hier seine glänzende, vielgelobte Biografie in aktualisierte Fassung vor. Queen Elizabeth II. hat beinahe die gesamte Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg auf dem Thron erlebt. Fünfzehn Premierminister, unzählige Staats- und Regierungschefs anderer Länder hat sie kommen und gehen sehen und selbst mehr Krisen überdauert, als jeder Politiker sich vorstellen kann. Ihre Familie hat sie durch die größte reale soap opera unserer Zeit gesteuert und zugleich die Monarchie für die Gegenwart gerettet. Ihr unvergleichlicher Erfahrungsschatz half ihr auch, das Commonwealth der einstigen Kolonien zusammenzuhalten. Last but not least hat sie bis zum Schluss ihr zunehmend auseinanderdriftendes Königreich geeint. Thomas Kielinger schildert in seiner glänzend geschriebenen Biografie eindrücklich, was die Queen geprägt, was sie angetrieben hat und wie sie zu der Jahrhundertfigur wurde, die sie war.
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Thomas Kielinger
Elizabeth II.
Das Leben der Queen
C.H.Beck
Königinnen gibt es viele, aber nur eine Queen. Doch wer kennt sie wirklich? Wer weiß, was sie denkt? Und wie viel Einfluss hat sie tatsächlich auf die Politik ihres Landes und des Commonwealth? Thomas Kielinger erzählt das faszinierende Leben von Elizabeth II., der es immer von Neuem gelang, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden und damit die Monarchie, diese uralte Institution, lebendig zu halten. So ist die Königin heute, nach 70 Jahren auf dem Thron und manch turbulenter Krise, in der weiten Welt so beliebt und geachtet wie selten zuvor.
«Kielingers Buch ist ebenso informativ wie amüsant.»
Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung
«Eine brillant komponierte Biografie.»
Thomas Speckmann, Der Tagesspiegel
«Kielingers Buch ist ebenso informativ wie amüsant.»
Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung
«Dem deutschen Journalisten Thomas Kielinger gebührt der Preis für die beste Deutung der Motive, aus welchen die Königin in den Jahren auf dem Thron ihre Kraft geschöpft hat.»
Sir Peter Stothard, Times Literary Supplement
Ein Wort zuvor
I. Die Geburt einer Prinzessin ohne große Aussichten auf den Thron
II. Die Erziehung der Prinzessin und die Regie ihrer Mutter
III. 1936: König Edward VIII. dankt ab – ein Lehrjahr für die Monarchie und die spätere Queen
IV. Philip
V. Krieg, Nachkrieg, Hochzeit: Die harten Jahre und das junge Glück
VI. Der König ist tot, es lebe die Königin
VII. Margaret
VIII. Die 50er Jahre: Ein neuer Ton der Kritik meldet sich an
IX. Die Queen und Deutschland
X. Wie Elizabeth II. das Commonwealth zusammenhielt – aber mit Margaret Thatcher nicht harmonierte
XI. Der Ring des Schweigens – kann sich die Königin erklären?
XII. Charles, Diana und die Zäsur von 1997
XIII. Elizabeth, die Erben und die Zukunft der Monarchie (1)
XIV. Elizabeth, die Erben und die Zukunft der Monarchie (2)
Stammbaum
Anmerkungen
Literatur
Bildnachweis
Personenregister
Im Jahr 1977, es war das silberne Thronjubiläum der Queen, erschien eine Biografie Elizabeths II., die über Nacht einen neuen Ton in die Geschichtsschreibung über die britische Monarchie einführte – einen Ton der Nüchternheit, der journalistischen Distanz: kenntnisreich, doch ohne Ergebenheit, faktentreu, doch ohne Parteilichkeit nach dieser oder jener Seite. Der Autor, Robert Lacey, neben Ben Pimlott und Sarah Bradford einer der bedeutendsten Biografen der Königin, eröffnete sein Werk «Majesty – Elizabeth II. and the House of Windsor» mit einem «Prolog», und dies waren die ersten, Aufsehen erregenden Sätze:
«Wenn Elizabeth II. keine Königin wäre, würde niemand ein Buch über sie schreiben. Was viele, die sie persönlich kennen, schade fänden, zeichnet sie sich doch durch Klugheit und Humanität aus, die sie mit großer Bescheidenheit an den Tag legt. Aber es bleibt einfach wahr, dass es der Thron ist, der sie bemerkenswert macht, und die Tatsache, dass sie in dieser herausgehobenen Stellung eine ganz normale Frau geblieben ist, ist nur die erste von vielen Paradoxien. Es gibt deren noch viele mehr, und auf ihnen beruht – ob wir es an den Reaktionen in ihrem Königreich oder an denen von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ablesen – eines der kuriosesten gesellschaftlichen Phänomene des 20.Jahrhunderts: das Überleben, nein, das Erblühen der britischen konstitutionellen Monarchie.»
Laceys Biografie, ein moderner Klassiker, hat auch das vorliegende Buch inspiriert. Es will, ja, es kann nicht nur eine Lebensbeschreibung der weltbekannten Queen sein, denn sonst würde das Überleben des konstitutionellen Königtums in Großbritannien kaum verständlich. Man muss vielmehr gleichzeitig auf das Amt schauen, in dem sich diese Vita abspielte und weiter abspielt, auf die Veränderungen, die das britische Königshaus unter dieser Frau in den letzten 70 Jahren durchlebt hat, und auf die Einflüsse und Traditionen, von denen die Königin selber geprägt wurde. Insofern muss ein Buch über Elizabeth II. so etwas wie eine Doppelbiografie sein, denn an der Person entzündet sich zugleich immer wieder die Debatte um die Institution, an der Monarchin die Debatte um die Monarchie und an der königlichen Familie die Debatte um die Zukunft der Krone. Und diese, die Zukunft, ist neuerdings wieder von einigen beunruhigenden Fragen umrankt.
In Deutschland verläuft das Gespräch über die Royals leider oft in eher abgenutzten Bahnen. Da stehen die Wechselfälle der Königskinder und Königsenkel ganz vorne, mit allen Hochs und Tiefs, wie sie der Boulevard liebt, und der Celebrity-Wert des Personals verstellt den Blick auf die Bedeutung der «königlichen Republik», wie sie gegen Ende des vorliegenden Buches genannt wird. Eine Fülle von Informationen, auch zu historischen Hintergründen, bleibt so der Öffentlichkeit entzogen. Es bedurfte der Netflix-Serie «The Crown», um die Windsors in das allgemeine Bewusstsein historischer Relevanz zurückzurufen.
Das Gespräch über die britische Krone neu zu beleben bot bereits das diamantene Thronjubiläum der Queen im Jahr 2012 einen vorzüglichen Anlass. Es war überhaupt erst das zweite Mal, dass die Briten eine solche Dauer an der Spitze ihres Staates feiern konnten, nach Queen Victorias 60.Thronjubiläum anno 1897. Deren heutige Nachfolgerin geht inzwischen auf ihr 70.Jahr auf dem Thron zu, ein Platin-Jubiläum, was ihre Einmaligkeit in der Geschichte erhärtet. Anlass genug, das vorliegende Buch bis in die Gegenwart fortzuschreiben.
«Eine mögliche Königin von England wurde gestern in 17 Bruton Street, Mayfair, geboren.»
Der «Daily Sketch» am 22. April 1926
«Soweit ich das sehe, müssen einige Leute mit Royalty gefüttert werden wie Seelöwen mit Fischmahlzeiten.»
Gräfin Strathmore, Elizabeths schottische Großmutter, 1923
Am 20. April 1926 wurde der britische Innenminister Sir William Joynson-Hicks in das Haus Nr. 17 in der Bruton Street beordert, in Londons Nobeldistrikt Mayfair, um als Vertreter von Parlament und Regierung eine königliche Geburt zu bezeugen: Die Gattin des zweiten Sohnes von König George V., Elizabeth Bowes-Lyon, stand im Begriff niederzukommen. Es würde der erste Enkel in der männlichen Linie des regierenden Monarchen sein, eine gewichtige Zäsur also im Blick auf die Erhaltung der Windsor-Dynastie. Elizabeths Ehemann, der Herzog von York, stand zwar nicht an erster Stelle der Thronfolge, war nur heir presumptive, anzunehmender, nicht heir apparent, offensichtlicher Erbe. Dieses Recht stand seinem älteren Bruder zu, dem Prinzen von Wales, damals 32 Jahre alt; aber der war nicht verheiratet und machte auch nicht die geringsten Anstalten dazu. Mithin richteten sich alle Augen auf den Zweiten, auf Albert Frederick Arthur George, den seine Familie «Bertie» nannte, sowie auf die beliebte Herzogin aus schottischem Hause, Elizabeth.
Bruton Street Nr. 17, der Ort der Geburt, gehörte Elizabeths Eltern, dem 14. Earl of Strathmore and Kinghorn und seiner Frau, Lady Strathmore. Kein königliches Blut, aber doch alter schottischer Landadel, der Jahrhunderte zurück reichte, mit Schloss Glamis in der Grafschaft Angus als seinem Hauptsitz. Dort herrschte einst, in Shakespeares Tragödie, der «Thane of Glamis», Macbeth, der seinen Lehnsherrn, König Duncan, ermordete, um sich selber zum König in Schottland aufzuwerfen. Elizabeth, das zweitjüngste der zehn Strathmore-Kinder, geboren mit dem Jahrhundert, also 1900, war eine begehrte Partie in der Londoner Gesellschaft gewesen, lebenslustig, aber ohne Hang zum Exzess und zu klug, um Bewerbern um ihre Hand zu schnell Hoffnungen zu machen. Zweimal ließ sie den Königssohn und seine Annäherungen abblitzen. Beim dritten Mal gab sie nach; 1923 heirateten sie und Bertie. Es war etwas an diesem leicht schüchternen Mann, das ihr Vertrauen gewann. Sein Sprachfehler, ein deutliches Stottern, hatte ihn bewogen, sich im Gegensatz zu seinem älteren Bruder, dem Thronfolger und Liebling der Frauen, in der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Doch hinter Scheu und Stottern ahnte die junge Schottin Stetigkeit, Ehrenhaftigkeit und die Fähigkeit zu Loyalität und Liebe. Außerdem schätzte er, wie sie, das Land, die Jagd, die Pferde – ein country gentleman, bescheiden und geerdet und sichtlich unverdorben von königlicher Hybris. Das Paar wird in unserer Geschichte noch eine große Rolle spielen – er als König George VI., der mit «The King’s Speech» vor einiger Zeit auch Filmgeschichte gemacht hat; sie als die Herzogin von York und spätere Königin Elizabeth an der Seite des Monarchen und danach, in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts, als geliebte Queen Mother oder auch «Queen Mum».
Das erwartete Kind des Herzogspaars rangierte in der Thronfolge hinter dem Prinzen von Wales, den man unter seiner wuchernden Ansammlung von sechs Vornamen nach dem letzten David nannte, und hinter dem eigenen Vater. Sollte David, der spätere König Edward VIII., unverheiratet und kinderlos bleiben, dann würde Berties Erstgeborene/r dem Onkel und Vater als unmittelbar Dritte/r in der Erblinie folgen. Aber eben nur unter der Annahme der Nicht-Heirat von David. Wenn dieser wider Erwarten doch noch eine Familie gründen und Kinder bekommen sollte, würde der Spross der Yorks hinter diesen vollends auf einen «ferner liefen»-Platz in der Erbfolge rutschen. Ein Fall für den königlichen Rechenschieber, ohne den man beim Studium der britischen Monarchie ohnehin nie auskommt. Und eigentlich ein aussichtsloser Fall, zumindest was die Wahrscheinlichkeit anging, dass das Kind, mit zwei noch jungen Männern und möglichem Nachwuchs des Prinzen von Wales als Thronerben vor ihm, je die Krone tragen würde.
Was um alles in der Welt aber hatte der Innenminister bei diesem Anlass zu suchen, ein politischer Komparse im königlichen Spiel? Für diese Frage hält die Geschichte eine interessante Antwort bereit, die der Historiker Ben Pimlott als «malerischen Glauben» beschrieben hat. Es war im Juli 1688, als Maria von Modena, zweite Ehefrau des regierenden James II., einen Sohn gebar, über den die protestantische Mehrheit des Landes in schiere Verzweiflung geriet. James nämlich verfolgte beharrlich den Plan, Englands Reformation rückgängig zu machen und das Land zu rekatholisieren. Ein Sohn aus der Verbindung mit dieser tiefreligiösen Italienerin musste demnach die Aussicht auf eine katholische Dynastie eröffnen, gegen die dann kein protestantisches Kraut mehr gewachsen sein würde. Doch Misstrauen meldete sich – hatte es von der Königin nicht geheißen, sie könne keine Kinder mehr bekommen, nachdem alle Nachkommen aus der Ehe mit James, bis auf eine Tochter, im frühesten Alter gestorben waren? Was hatte es mit diesem Sohn, mit James Francis Edward, für eine Bewandtnis? Ein Baby aus niederem Volk etwa, das in einer Wärmpfanne ins Kindbett geschleust worden war? Das «Wärmpfannen-Komplott» machte schnell die Runde, zumal berufene Zeugen wie der Erzbischof von Canterbury (den der König ins Gefängnis hatte werfen lassen) bei der Geburt nicht anwesend waren, sondern lediglich Beamte des Hofes, mögliche Mitverschworene also.
Die Granden in London waren in Aufruhr und appellierten an Wilhelm von Oranien in Holland, das Land von dem «Papisten» James II. zu erretten. Der Oranier war verheiratet mit der älteren Tochter des Königs, Mary, die anders als ihr Vater protestantisch optiert hatte. Noch im Herbst 1688 landete Wilhelm auf der Insel und trieb den Monarchen und seine Familie außer Landes, samt dem Erben, der sich später in der Verbannung als James III. der katholischen Stuart-Linie zum König in England, Schottland und Irland ausrufen ließ («the Old Pretender») und Gegenschläge aus Frankreich und Schottland anzettelte. In England dagegen hatte die unter dem Oranier William III. vollzogene «Glorreiche Revolution» königlichem Absolutismus und königlicher Willkür die Spitze gebrochen.
Doch reichte das Angsterlebnis der britischen Geschichte, eine Tradition zu stiften, die bis zur Geburt des jetzigen Prinzen von Wales und Thronfolgers, Charles, im Jahr 1948 Bestand hatte: Immer musste ein Vertreter der säkularen Gewalten bezeugen, dass eine Niederkunft im Rahmen der unmittelbaren königlichen Erbfolge ohne Hinterlist vor sich gegangen war. So wurde Sir William Joynson-Hicks, postiert neben dem Zimmer der Wöchnerin, Notar einer historischen Geburt.
Elizabeth Alexandra Mary kam am 21. April 1926 morgens gegen drei Uhr per Kaiserschnitt zur Welt, und es dauerte nicht lange, bis das Kind, Prinzessin Elizabeth, von ihrer Familie immer nur «Lilibet» oder auch «Bess» gerufen, die Herzen der Briten erobert hatte, auch dank der publizistischen Vermarktung durch ihre Mutter, die überaus populäre und medienbewusste Herzogin von York. Davon wird noch ausführlich die Rede sein. Eine einzige Zeitung, der «Daily Sketch», griff für seine Ausgabe vom Tag nach der Geburt zum königlichen Rechenschieber und schrieb, in der Theorie vollkommen korrekt: «Eine mögliche Königin von England wurde gestern in 17 Bruton Street, Mayfair, geboren.» Eine «mögliche» Königin – die Journalisten hatten mit einer Heirat des Prinzen von Wales offenbar gar nicht mehr gerechnet und die Erbfolge sogleich auf Elizabeth zulaufen lassen. Eine kühne Annahme. Denn Elizabeth, das haben wir hier bisher übersehen, hätte ja auch noch einen Bruder bekommen können, schließlich war bei ihrer Geburt die Mutter erst 25 Jahre alt. Ein Bruder hätte sie in der Erbfolge noch weiter zurückgesetzt, ganz zu schweigen von möglichen Nachkommen des Prinzen von Wales. Ergo: Auf die Annahme, dass Elizabeth je den Thron erben würde, hätte 1926 niemand wetten mögen. Zu viele Hürden standen im Wege.
Und doch hat sich, was der «Daily Sketch» früh als «möglich» beschrieb, genau im Sinne dieser Vorhersage erfüllt, und das schneller, als irgendjemand hätte ahnen können. Eine Kette von unvorhersehbaren Ereignissen – die Abdankung des Onkels im Jahr 1936, der frühe Tod des Vaters 1952 im Alter von 56 Jahren – führte dazu, dass die junge Frau schon mit 25 Jahren den Thron bestieg, im gleichen Alter übrigens wie ihre berühmte Vorgängerin Elizabeth I. Und auch das Leben der zweiten Elizabeth ist bereits Geschichte geworden, eine Geschichte aber, die andauert und die Öffentlichkeit weiterhin fasziniert.
Fast hätte es dieses Leben gar nicht gegeben, denn wie gesagt zweimal lehnte Elizabeth Bowes-Lyon Heiratsanträge des Herzogs von York ab. Ihre Mutter, Lady Strathmore, distanziert wie die meisten Schotten gegenüber England, war gegen die Verlobung mit Bertie, dem Königssohn – kam ihr das höfische Zeremoniell doch suspekt vor und der Jubel der Massen bei den entsprechenden Anlässen noch mehr. «Soweit ich das sehe, müssen einige Leute mit Royalty gefüttert werden wie Seelöwen mit Fischmahlzeiten», gab sie ihrer Tochter zu verstehen. Ähnlich hatte es schon Walter Bagehot gesehen, Englands viel zitierter Verfassungstheoretiker des 19.Jahrhunderts. «Je demokratischer wir werden, desto mehr erfreuen wir uns an staatlicher Show, die schon immer das Vulgäre in uns angezogen hat», schrieb er 1863 in einem Aufsatz für den «Economist» mit leisem, weisem Spott. Bagehot freilich war ein unbedingter Verfechter der Monarchie, und das «Vulgäre» ihrer Präsentation akzeptierte er als notwendigen Tribut an die sich herausschälende Moderne.
Seit Urzeiten sind die Briten, um das Wort von Elizabeths schottischer Großmutter aufzugreifen, «mit Royalty gefüttert» worden, unter wechselnden Monarchen, unter unterschiedlichen historischen Vorzeichen; Royalty gehört zu ihrer nationalen DNA.
Das populäre Verständnis von der Geschichte des eigenen Landes orientiert sich in England nicht vorrangig an Epochen wie Mittelalter, Spätmittelalter, frühe Neuzeit und so weiter, sondern an der Abfolge der kings and queens – von den Normannen über die Plantagenets, die Tudors, Hannoveraner und Windsors, darin eingebettet die Laufzeiten einzelner Herrscher, von Heinrich V. und Heinrich VIII. über die große Elizabeth zu George III. und seinen Söhnen, dann zu Königin Victoria und bis zur heutigen Queen. Eine nahtlose Nationalgeschichte, die sich nacherzählen lässt wie ein großes Epos. Mit Elizabeth II. und dem Auf und Ab ihrer Familie ist die britische Gesellschaft von heute groß geworden. Man glaubt, die Queen zu kennen, wie ein vertrautes Stück des nationalen Mobiliars.
Doch das trifft nur zum Teil zu, denn kaum bekannt ist auch unter den heutigen Briten beispielsweise, wie raffiniert schon in Elizabeths frühester Jugend die Öffentlichkeit mit diesem jüngsten Spross der Royals «gefüttert» wurde, unter Anleitung ihrer Mutter, über deren PR-Talente moderne Agenturen verzückt gewesen wären. Die Jugendgeschichte der Queen ist in jeder Hinsicht eine Fundgrube, denn schon das Kind legte alle Eigenschaften an den Tag, welche die Menschen an der späteren Monarchin als «typisch» zu erkennen meinten. Sie war gradlinig und professionell, unaufgeregt, diszipliniert, pflichtbewusst, uneitel, ohne Allüren, eher scheu. Als sie am 11. Dezember 1936, gerade einmal zehnjährig, nach der Abdankung ihres Onkels Edward VIII. an die zweite Stelle der Thronfolge nach ihrem Vater rückte, hakte ihre jüngere Schwester Margaret leicht exaltiert nach: «Heißt das, dass du am Ende Königin werden wirst?» «Ja, ich denke schon», so die lakonische Antwort Elizabeths. «Sie kam nie mehr darauf zurück», berichtete Margaret später.
«Sie hat ihren eigenen Kopf, strahlt Autorität und Nachdenklichkeit aus, was erstaunlich ist bei einem Kleinkind.»
Winston Churchill, 1928
«England kann glücklich sein, die kleine Prinzessin zu haben, ein fabelhaftes Kind.»
Adolf Hitler, 1936
«Sie war immer sie selbst, très naturelle.»
Vicomtesse de Bellaigue,
Elizabeths Französischlehrerin, 1939
«Der Herzog und die Herzogin von York machten sich nicht allzu viele Sorgen um die höhere Bildung ihrer Töchter.»
Marion Crawford, «The Little Princesses», 1950
Eine neu geborene Prinzessin war zunächst auch ganz ohne PR der Fokus allgemeiner Begeisterung. Früh wurde das Kind des Herzogs und der Herzogin von York Mittelpunkt eines unablässigen Medienrummels – den man eigentlich bis auf die Bekanntgabe der Schwangerschaft seiner Mutter zurückdatieren kann. Elizabeths Geburtstag war ein jährlicher nationaler Event und Winken ihre erste Amtshandlung. Amerika hatte seine Shirley Temple, den 1928 geborenen Kinderstar, England seine Prinzessin Elizabeth; der stieg ihre Prominenz aber dank ihrer nüchternen, stoischen Veranlagung nicht zu Kopf. Hinzu kam nach 1936 an äußerer Gestik nur noch, was Marion Crawford, genannt «Crawfie», die Erzieherin von Elizabeth und ihrer 1930 geborenen Schwester Margaret Rose, den Kindern beibrachte: bei staatlichen Anlässen vor dem Königspaar, ihren Eltern, einen Hofknicks zu machen und in Gegenwart von Dritten nicht von «Ma» und «Pa» zu sprechen, sondern vom «King» und von der «Queen», den beiden Majestäten.
Die zehn Jahre nach der Geburt Elizabeths kann man nur als das erste moderne Beispiel einer royalen Zelluloid-Karriere beschreiben. Gleich zu Anfang gratulierte man der Mutter zu diesem «berühmtesten Baby der Welt», das uns auf frühen Bildern mit seinen Botticelli-Locken anstrahlt. Das Foto-Zeitalter war in voller Fahrt, und niemand bediente den Fotoapparat und erste Amateur-Filmkameras leidenschaftlicher als die beiden Yorks, der Herzog und die Herzogin; davon wurde auch Elizabeth später infiziert. Überall sprossen Fotoagenturen aus dem Boden, erste Paparazzi umlagerten die York-Kinder, vor allem die Ältere. Ein Personenkult, ohne Frage, der von den Medien in aller Welt, nicht zuletzt in Amerika, geschürt und von der Herzogin geschickt lanciert wurde, um ihre intakte Familie als Gegensatz zu ihrem Schwager David, der keine hatte, in Szene zu setzen. Bertie aber schrieb an seine Mutter, Queen Mary, es mache ihm «fast Angst, dass die Menschen Elizabeth so sehr lieben». Der Teenager sollte schließlich fast ebenso viel Neugier auf sich ziehen wie seine Eltern, der König und die Königin.
Berühmte Namen meldeten sich mit ihrem Urteil über das offenbar frühreife Kind. Winston Churchill schrieb nach einem Besuch auf Schloss Balmoral im Jahr 1928 an seine Frau Clementine über das zweieinhalb Jahre alte Mädchen: «Sie hat ihren eigenen Kopf, strahlt Autorität und Nachdenklichkeit aus, was erstaunlich ist bei einem Kleinkind.» Vielleicht aber auch nicht, bei einem Mädchen, das stark von der Anwesenheit der Großelterngeneration geprägt wurde. Während die Eltern sechs Monate lang, von Januar bis Juni 1927, auf Weltreise nach Australien und Neuseeland gingen, ließen sie ihre neunmonatige Tochter wechselweise in der Obhut
Shirley Temple bekommt Konkurrenz: Elizabeth im Alter von fünf Jahren, Februar 1931 (Foto: Marcus Adams)
von George V. und Queen Mary sowie der schottischen Großeltern Lord und Lady Strathmore, die in der Grafschaft Hertfordshire in dem Flecken St Paul’s Walden nördlich von London einen gemütlichen Landsitz besaßen.
Zu dieser Generation gehörte auch die damalige nurse, Clara («Alla») Knight, die bereits Elizabeths Mutter, der 1900 geborenen Strathmore-Tochter, als Kindermädchen gedient hatte. In dem 1950 erschienenen Erinnerungsbuch von Marion Crawford, «The Little Princesses», wird sie als «absoluter Herrscher» beschrieben, der Elizabeth Disziplin und Regelmäßigkeit beizubringen wusste.
Auch die undernurse, Margaret («Bobo») MacDonald, obwohl bei der Geburt der Prinzessin erst 22 Jahre alt, folgte dem Regiment von Miss Knight und hielt das Kind zu großer Sparsamkeit an: Das Papier der Weihnachtsgeschenke sollte möglichst aufbewahrt und unnötige Lichter im Haus ausgeschaltet werden – das tut die Queen noch heute. Bobo McDonald, später Elizabeths erste lady-in-waiting, also ihre Aufwartedame, wurde eine lebenslange Freundin, die Einzige im Hofstaat, die bis zu ihrem Tod 1993 zur Königin «Lilibet» sagen durfte.
Das Kind wuchs mithin wie eine kleine Erwachsene auf, wozu auch beitrug, dass Elizabeth selten mit Altersgenossen aus anderen Kreisen, schon gar nicht bürgerlichen, zusammenkam und Margaret lange Zeit über ihre einzige Spielkameradin blieb. Aber als Ältere übte sie ihr gegenüber bereits Vorbildfunktionen aus, man hörte sie verschiedentlich tadelnd «Aber Margaret!» ausrufen oder Mahnungen anbringen wie: «Wenn du jemanden mit einem komischen Hut siehst, Margaret, dann darfst du nicht auf ihn zeigen und lachen.» Zehn Jahre alt, machte sie eine Liste aller Geschenke, die ihre Schwester zu Weihnachten erhalten hatte, damit diese auch ja nicht vergaß, bei wem sie sich zu bedanken hatte. Präzision, Präzision. Sie begegnet uns wieder nach Elizabeths Hochzeit im November 1947, als den offiziellen Glückwünschen aus aller Welt gedankt werden musste, eine Aufgabe der britischen diplomatischen Vertretungen im Ausland. Die «Herzogin von Edinburgh, Prinzessin Elizabeth», wie ihr Titel zwischen diesem Datum und der Besteigung des Throns im Februar 1952 lautete, bestand darauf, dass der vorgedruckte Brief von den Botschaftern handschriftlich unterzeichnet wurde.
Mit drei Jahren war sie zum ersten Mal Titelgirl des «TIME»-Magazins, im Jahr danach hielt die Vierjährige im Wachsfiguren-Panoptikum von Madame Tussaud’s Einzug, auf einem Pony reitend. Auf ihr erstes Pony setzte der Stallmeister sie bereits mit zweieinhalb Jahren, Pferde sollten Elizabeths große Passion werden; sie gilt seit langem als anerkannte Expertin bei allem, was Zucht, Gestüte und überhaupt das Halten von Rassepferden und die Symbiose von Mensch und Pferd betrifft. Während sie 1937 dem polnischen Bildhauer Zsigmond Strobl achtzehn Mal Modell saß für eine erste Büste von ihr, plauderte sie munter drauflos «und wusste alles über Pferde», wie der Dolmetscher dieser Sitzungen, Lajos Lederer, später mitteilte. Kurz vor Beginn der Zeremonien zu ihrer Krönung im Juni 1953 bemerkte eine Hofdame besorgt zur jungen Königin: «Sie müssen wohl sehr nervös sein, Ma’am.» «Natürlich bin ich das», antwortete diese, «aber ich denke doch, dass ‹Aureole› gewinnen wird.» Aureole war ihr Pferd, das am Tag danach im Derby antreten sollte; es kam aber nur als zweites durchs Ziel. Die Pferde der Queen haben so ziemlich alles gewonnen, was es im Rennsport zu gewinnen gibt – aber das prestigereiche Epsom Derby noch nie.
1930 war die erste Biografie über die Vierjährige erschienen, verfasst von Anne Ring: «The Story of Princess Elizabeth. Told with the Sanction of Her Parents» – von ihren Eltern sanktioniert. Ein wichtiger Zusatz. Die Yorks ermunterten solche Süßwarenerzeugnisse durchaus, solange sie die Kontrolle darüber behielten. Vor allem die Herzogin hatte den Kommentar ihrer Mutter offenbar noch gut im Ohr: «Soweit ich das sehe, müssen einige Leute mit Royalty gefüttert werden …» Bei den Büchern, welche die Herzogin anregte, durften die Tiere nicht fehlen, namentlich die Corgis, jene walisische Hunderasse, die dank der königlichen Familie weltberühmt wurde, eingeführt von der Herzogin, die sie ihren Töchtern als bleibende Leidenschaft vermachte. Das Buch zum Tier, das um viele Fotos aus dem Familienalbum der Yorks bereichert wurde, folgte entsprechend bald: «Our Princesses and Their Corgis» (1936), gewidmet «allen Kindern, die Hunde lieben». Der Autor Michael Chance zählt acht Vierbeiner auf, die in der Royal Lodge im Windsor Great Park um die Kinder und die Eltern herumtollten: zwei Corgis, drei Labradors, ein Golden Retriever, ein schwarzer Cocker Spaniel und ein langhaariges Knäuel aus der tibetanischen Lion-Rasse. «Es gibt keine unbefangenere Königsfamilie als die unsere», schreibt der devote Mr Chance, «so rücksichtsvoll, so bar jeder Künstlichkeit, so reich an menschlichen Qualitäten – es kann gut sein, dass Dookie und Jane, vernünftig wie sie als Corgis sind, instinktiv wissen, was wir wissen.» War das nun Hunde- oder schon wieder Personenkult? Wahrscheinlich beides, in Sirup getaucht. Corgi and Bess.
Das königssüchtige Publikum der 30er Jahre jedenfalls war mit den Namen dieser Tiere, mit Dookie, dem Stammvater aller Corgi-Generationen der Queen, mit Jane, Soark, Flash, Scruffy, Mimsey und Stiffy vertraut wie mit Figuren aus einem Disney-Film. Margaret, die Schwester, zog es später mehr zu Dackeln, und als einer davon sich mit einem Corgi paarte, entstand eine neue Rasse, die «Dorgis», die ebenfalls viel Anklang unter Hundeliebhabern fanden. Richard von Weizsäcker sollte die Corgis nach seinem Staatsbesuch in England 1986 einmal dem Autor gegenüber als «die königlichen Schlummerrollen» bezeichnen. Waren Tiere Ersatz für den fehlenden Umgang der Prinzessin mit anderen Kindern? So haben die Biografen der Queen immer wieder gefragt. Auch in dem bereits erwähnten Buch von Marion Crawford klingt das Motiv des «poor little rich girl» an, die Wechselbeziehung zwischen der Simplizität in der Erziehung und der Einsamkeit der Prinzessin, die sich unter Tieren besonders wohl fühlte. «Ich würde einst am liebsten mit einem Bauern verheiratet leben und viele Pferde, Hunde und Kinder haben», teilt uns Crawfie als einen frühen Wunsch Elizabeths mit. Ist er nicht, bis auf den Bauern, in Erfüllung gegangen? Das heißt: Hatte Prinz Philip nicht manchmal die Manieren eines ungehobelten Bauern?
In einem weiteren dieser von der Mutter autorisierten und inspirierten Bücher, dem 1937 erschienenen «The King’s Daughters» von Lady Cynthia Asquith, begegnen wir einer bezeichnenden Szene, als Elizabeth Ende Juni 1927 ihre Eltern nach deren Rückkehr von ihrer halbjährigen Weltreise begrüßte. Ganz unschuldig formuliert die Verfasserin: «Das kleine Mädchen [sie hatte gerade laufen gelernt] war fast so freudig, seine Mutter wiederzusehen, als ob nicht die Herzogin, sondern eine große Volksmenge vor ihm gestanden hätte. Sein rundes Gesicht bricht in ein breites Lächeln aus und es breitet seine Arme aus.» Cynthia Asquith hielt das offenbar für berichtenswert, und die Mutter ließ es ihr in dem Manuskript durchgehen. Dabei sieht man hier sehr früh, wie in dem kleinen Geschöpf das Öffentliche und das Private bereits unauflöslich
Corgi and Bess: Die zehnjährige Prinzessin Elizabeth mit Hund im Garten von 145 Piccadilly, Juli 1936 (Foto: Lisa Sheridan)
verknüpft – oder verwirrt? – waren, was den Grund gelegt haben muss zu der Scheu und der tastenden Vorsicht, die man der Queen nachsagt. Sie war nie eine Schauspielerin wie ihre temperamentvollere Schwester oder auch die Mutter, die einen ausgeprägten Sinn für Theatralik besaß. Alles war und ist für sie eine ernste Performance mit verpflichtenden Regeln. Das musste man lernen und über sich ergehen lassen, aber im Gegensatz zu ihrem Onkel David, dem späteren Edward VIII., lehnte sie sich, wie wir noch sehen werden, nicht dagegen auf.
Die theatralische Bowes-Lyon, Herzogin von York, spätere Queen Elizabeth, dann Queen Mother: Vielleicht ist hier der richtige Punkt, einmal sie, die andere Elizabeth, näher in Augenschein zu nehmen. Sie konnte Royalty beschwingter angehen als später die Queen, ihre Tochter, waren die Voraussetzungen doch ganz andere. Erstens war sie nach 1936 nicht queen regnant, regierende Königin, was ihr, zweitens, erlaubte, als Gattin des stark gehemmten Monarchen nötige Lockerungsübungen zu vollführen, während George VI. zunächst auf seinem Podest verharren konnte. Das kam ihm bei seinen Problemen und einem entsprechend zurückhaltenden Temperament nur entgegen. Mit seiner Thronbesteigung wurde ein neuer Stern geboren, die schottische Queen, «Her Majesty», wie sie jetzt angeredet wurde. Sie war die Lebhafte, er der Schüchterne, sie der Impresario der königlichen Show, er schwebte darüber, ihre Stärke kompensierte für Georges Zerbrechlichkeit. Schon in den 30er Jahren war sie, wie wir sahen, der eigentliche Motor der Publicity-Kampagnen um ihre Kinder und die königliche Familie. Ein britischer Fernsehfilm aus dem Jahr 2000, dem Jahr ihres 100. Geburtstages, porträtierte sie als Zauberin, die es mit ihren Künsten diskreter Manipulation zu unerreichten Höhen gebracht habe.
In diesem Fach tat es Elizabeth Bowes-Lyon in der Tat niemand gleich. Sie, die im Jahr ihrer Hochzeit, 1923, ihr letztes und einziges Interview gegeben hatte, gab sich so, als ob jedermann sie kennen müsste; dabei hielt sie sich hinter dem Gleichklang ihrer Gesten, ihrer Hüte und später ihrer Gin Tonics oder Dubonnets geschickt versteckt. Unvergessen das Gedicht «Picture This» («Mal dir das aus»), das der Hofdichter Andrew Motion zum 100. Geburtstag der Queen Mother im Jahr 2000 zu Papier brachte, zehn Strophen lang, darunter diese, die neunte, in der sich der Autor seine Version der royalen Beständigkeit vor Augen führte:
«Alles beim Alten, auf den ersten Blick: Balkone, / das offene Lächeln, das Winken der Hand, die Gartenpartys, / und die Hüte, die Hüte, die Hüte, alles Bilder / in unseren Alben oder unseren Köpfen, daneben diese: / die Fotos, die noch keiner von Euch aufnahm, / die Großmutter-Beichtmutter-Freundin, die Trauernde / um Scheidungen und all das, der weltgewandte Blick / auf eine Welt, der gegenüber Ihr keine Wandlung je zur Schau stellt / auf den ersten Blick: Balkone, das offene Winken der Hand, / das Lächeln, die Hüte, die Hüte, die Hüte.»
Der Hintergrund war der Tummelplatz dieser Frau, die ihre erzreaktionären Vorurteile hinter vielschichtigen Schleiern und ihrem ununterbrochenen Lächeln zu verbergen verstand. Das Spiel aus der zweiten Reihe, die raffinierte Inszenierung war ihr Metier. Dazu fand sie in Cecil Beaton, dem Fotografen, der vor dem Krieg am Anfang seiner Karriere stand, einen willigen Helfer. Beaton war ihr 1939 empfohlen worden, nachdem er eine erfolgreiche Fotostrecke ihres Schwagers, des Herzogs von Kent, und seiner griechischen Gemahlin vorgelegt hatte. Der Fotograf war ein Mythenmacher, bei seinen Modellen interessierte ihn mehr das Image als das Abbild, die Wirkung mehr als die realistische Ähnlichkeit. Was er zur Wiederbelebung der britischen Monarchie nach der Abdankungskrise 1936 beitrug, war einzigartig in seiner visuellen Kraft. Beatons Weltruhm nahm mit seinen Fotos der Königsfamilie den Anfang.
Er traf sich mit Königin Elizabeth auch darin, dass beide ein Faible für die malerische Welt versunkener Jahrhunderte besaßen, und aus diesem Fundus schöpfte der Fotograf seine Ideen. Den zurückgetretenen König Edward VIII., nun Herzog von Windsor, hatte er bei dessen Hochzeit mit Wallis Simpson im Juni 1937 ganz so dargestellt, wie die beiden sich sahen: modernistische Gestalten mit einem Touch Art Deco, ganz Chromsilber und strenge Formen, die Herzogin von Windsor im Kostüm, ihr Mann im erstklassigen Straßenanzug. So wollten Beaton und die neue Königin es in ihrem Fall ganz und gar nicht. Als Ausstattung wählte er bodenlange Träume für die eher klein geratene Königin, eine Tiara auf dem Kopf, vor dem Hintergrund von Prachtinterieurs im Buckingham Palast, in die natürliches Licht wie überirdisch hineinflutete.
Gerne setzte Beaton sein Modell vor Ausschnitte von Naturgemälden aus dem 18.Jahrhundert, darunter Jean-Honoré Fragonards Gemälde «Die Schaukel» (1766), das Idealbild schlechthin für die Naturverspieltheit des Rokoko und seine stereotype Heiterkeit. Vor dieser üppig wallenden Reproduktion aus Blumen und Sommerlicht platzierte der Fotograf die lächelnde Königin, die der Hofdesigner Norman Hartnell, komplementär zum Hintergrund, in ein Krinolinenfest aus Chiffon getaucht hatte. Hier trafen sich Kunst und Propaganda zur Projektion einer magischen Welt, mit Elizabeth, der Königin, als der Trägerin eines Traums von Royalty. In der Ikonografie der britischen Monarchie im 20.Jahrhundert galt zu diesem Zeitpunkt, nach der Erschütterung von 1936, genau dies als das ersehnte Image an der Spitze des Staates. 1940 brach es grausam auseinander, als George VI. und seine Frau die zerbombten Quartiere im Osten Londons besuchten und ein anderes Image in den Vordergrund trat: das der besorgten Eltern einer kriegsbedrohten Nation. Der Beaton-Touch trat nach dem Krieg noch einmal in seine Rechte, als der Fotograf 1953 den Zuschlag erhielt für die offizielle Ablichtung der Krönung von Elizabeth II., als Mittelalter und Moderne zusammenflossen zu einem visuellen Traum.
Marion Crawford oder Crawfie, wie die Kinder und mit ihnen die Familie sie nannten, kam Anfang 1933 in den Haushalt der Yorks. Sie war selber eine Schottin – im Norden der Insel suchte man schon immer gerne jenes Material, aus dem gute Gouvernanten, ob nur Nannys oder auch Erzieherinnen, gemacht sind. Sie hatte in Edinburgh erste Kenntnisse in «Behavioural Science», in Kinderpsychologie, erworben, wollte später mit Kindern aus benachteiligten Familien arbeiten und schloss ihr Training College mit einem Diplom ab. In den Sommerferien hatte sie sich als Gouvernante für die Kinder Lord Elgins verdingt, eines entfernten Verwandten der Strathmores. So wurde sie, noch nicht 24-jährig, den Yorks in London empfohlen, als Elizabeth ins Schulalter gekommen war. Aus der Probeanstellung von einem Jahr wurden fünfzehn Jahre treuester Dienstleistung, die erst nach Elizabeths Hochzeit und der Geburt von Prinz Charles zu Ende gingen. Niemand hat für die heranwachsende Elizabeth eine solche Rolle gespielt wie Crawfie; man muss sie dem Einfluss der Eltern gleichstellen.
Aber die engen Beziehungen der Royals zu Marion Crawford brachen abrupt ab, als die Erzieherin 1950 das Buch mit dem Titel «The Little Princesses» herausbrachte, für das sie nicht die Erlaubnis der Yorks und des Hofes besaß. In dem Buch wurden die langen Jahre ihrer Tätigkeit in der königlichen Familie ausgebreitet, mit großer Liebe und Anhänglichkeit erzählt, aber nicht ohne eine Portion unabhängigen Urteils. Es war der erste Casus eines nicht autorisierten Erinnerungsbuches aus der Feder eines königlichen Angestellten, ein Genre, von dem es in den 80er und 90er Jahren viele Beispiele geben sollte, vor allem aus dem Umkreis von Charles und Diana. «Doing a Crawfie» – eine Crawfie machen – wurde zum geflügelten Wort für solche Indiskretionen.
Es war das Pech der Schottin, dass sie am Anfang dieser Entwicklung stand, und als Erstling ereilte sie das Schicksal einer besonders harten Bestrafung: Sie wurde über Nacht aus den Annalen des Königshauses ausgemerzt, eine klassische Säuberung; niemand sprach mehr mit ihr, ihren Namen in Gegenwart der Royals auch nur zu erwähnen, galt als Majestätsbeleidigung. Sie verlor ihr Häuschen in Kensington Gardens, das ihr der Hof als Gunstbeweis bereitgestellt hatte, und musste sich nach Schottland zurückziehen, wo sie als verheiratete Mrs. Buthlay sich noch einige Jahre mit Büchern wie «Queen Mary» oder «Queen Elizabeth II.» einen Namen machen konnte. Doch nach dem frühen Tod ihres Mannes verfiel sie in Einsamkeit und Depressionen und wurde einmal nach einem Selbstmordversuch nur knapp gerettet. Sie starb im Februar 1988, mit 79 Jahren.
An ihrem Haus in Aberdeen fuhren die königlichen Limousinen auf dem Weg nach Schloss Balmoral regelmäßig vorbei, aber keine hielt jemals an – es war, als habe es eine Marion Crawford nie gegeben. «Diese Schlange», zischte Elizabeths Schwester Margaret, als ihr Name doch einmal fiel. Dabei hatte Crawfie ihre wertvollen Memorabilia aus den Jugendjahren der Prinzessinnen – Fotos, Briefe, Aufzeichnungen und frühe Malversuche –, statt sie zu klingender Münze zu machen, testamentarisch der Queen überlassen und sie damit für das königliche Archiv in Schloss Windsor gerettet. Eine großzügige Geste. Es wird heute auch in Hofkreisen anerkannt, wie in allen Biografien der Queen nachzulesen ist, dass die gnadenlose Behandlung von Marion Crawford durch ihre Arbeitgeber und ehemaligen Vertrauten durch nichts zu rechtfertigen war. Mit ähnlich kalter Abweisung wurde nur Wallis, die Herzogin von Windsor, behandelt. Aber deren Platz in der königlichen Geschichte war schließlich von größerer Signifikanz als das harmlose Buch-Elaborat «The Little Princesses» der schottischen Gouvernante. Doch hatte sie ein königliches Diktat verletzt, das Verbot jeder Veröffentlichung, die nicht von Elizabeths Eltern kontrolliert und sanktioniert war. Das reichte, um sie in den äußersten Kreis der Finsternis zu verbannen.
Sagten wir «harmlos»? Das war das Buch dann wohl doch nicht. Gewiss, auch bei Crawfie finden wir alle diese liebenswürdigen Gesten der Verbeugung vor königlicher Aura, dieses von Goldblatt verzierte Reden über die kleinen Berühmtheiten in ihrer Obhut. Selbst Adolf Hitler ist ja in der Literatur mit einer niedlichen Äußerung über die zehnjährige Elizabeth vertreten: «England kann glücklich sein, die kleine Prinzessin zu haben, ein fabelhaftes Kind.» Den Beleg verdanken wir Diana Mosley, geborene Mitford, die 1936 in der Berliner Wohnung von Joseph Goebbels den Anführer der englischen Faschisten geheiratet hatte, Oswald Mosley, weil in London der Boden für das den Nazis allzu eng verbundene Paar zu heiß geworden war; Hitler fungierte als Trauzeuge. Seinen Ausspruch finden wir in Diana Mosleys 1980 erschienener Biografie der Herzogin von Windsor, ihrer engen Freundin aus langen gemeinsamen Pariser Jahren.
Die meisten Lebensbeschreibungen der Queen tun Crawfies Buch als freundliches Elaborat ab und übersehen dabei, welche Einblicke es uns in bestimmte Aspekte der Sozialgeschichte Englands in den 30er und 40er Jahren schenkt. Auch was die Gouvernante, obgleich immer liebenswürdig, an manchen Plänen der Yorks für ihre Töchter auszusetzen hatte, ist unschätzbar als Begleitkommentar zum Werden der heutigen Queen. Man kann schon nachvollziehen, dass die Eltern empört waren über Spuren der Unbotmäßigkeit bei der eigenwilligen Schottin. Wer darf sich unterstehen, ein Urteil zu formulieren wie «Der Herzog und die Herzogin von York waren nicht übermäßig besorgt um die höhere Erziehung ihrer Töchter»? Um dann leicht herablassend fortzufahren: «Wichtig war ihnen eine glückliche Kindheit, mit einer Menge angenehmer Erinnerungen für kommende Tage, und später dann eine glückliche Heirat.» Solches gab es in den offiziell sanktionierten Büchern nicht zu lesen. Das war es, was die Familie gegen Crawfie aufbrachte, nicht die 21 geringfügigen Ungenauigkeiten, die man dem Buch anzuhängen versuchte.
Miss Crawford hatte sich der noch nicht ganz siebenjährigen Lilibet in der Royal Lodge vorgestellt, dem Landsitz der Yorks im Windsor Great Park, in einer Szene, die klassisch geworden ist. Elizabeth sitzt im Bett, kommandiert imaginäre Pferde, Zügel fest in der Hand. Auf die Frage der neuen Nanny, ob sie im Bett üblicherweise so herumfahre, antwortet das Mädchen: «Ich drehe meistens eine oder zwei Runden im Park, ehe ich schlafen gehe, weißt du. Die Pferde müssen bewegt werden.» Eines der beliebtesten Spiele der Prinzessin mit ihrer Erzieherin wurde dann auf Jahre hinaus, Crawfie Geschirr anzulegen und sie mit roten Zügeln, mit Glöckchen behangen, zu fiktiven Häusern zu dirigieren, um dort fiktives Gemüse vorbeizubringen, «wobei sie ausführliche Gespräche führte mit ihren imaginären Kunden».
Einprägsam berichtet Marion Crawford über die Leidenschaft der späteren Königin für Ordnung und Prozedur – William Shawcross spricht in seinem Buch «Queen and Country» von 2002 sogar vom «Fetisch Ordnung». Der bringt die Prinzessin dazu, «mehrmals in der Nacht aufzustehen und nachzuschauen, ob ihre Kleider auch säuberlich weggelegt, die Schuhe ordentlich aufgestellt sind». Ein gnadenloses Regime wie ihr Vater von seinem Vater, George V., – man erinnere sich an die einschlägigen Szenen in «The King’s Speech» – hatte Elizabeth zwar nicht zu erdulden, im Gegenteil, denn der Herzog von York ging mit seinen Töchtern liebevoll um. Freilich, während er Margaret manche Tollheit nachsah, pflanzte er der Älteren früh den ernsten Sinn für Verantwortung ein, die er als George VI. dann exemplarisch vorlebte. Doch es waren die Spuren von Alla und Bobo, die Marion Crawford, das neue Kindermädchen, vorfand, Disziplin auf allen Wegen, aber von Elizabeth entsprechend einer ihr innewohnenden Veranlagung befolgt. Es zeigte sich an kleinen Details – an der Art, wie sie ihre Kleider abends weglegte oder auch wie sie und ihre Schwester sich beim Naschen von Kandiszucker verhielten. «Margaret nahm alles in die Hand und stopfte es sich auf einmal in den Mund. Lilibet sortierte die Stücke sorgfältig vor sich auf dem Tisch, trennte die kleinen von den großen, um sie dann sehr anmutig und methodisch aufzuessen.»
Ernster wird es bei Crawford, wenn sie über die abgeschirmte Lebensweise der Prinzessinnen schreibt und über ihre eigene Entschlossenheit, den Horizont ihrer Schützlinge zu erweitern und sie mit der Welt außerhalb der isolierenden Mauern ihrer Herkunft in Kontakt zu bringen. Bei Spaziergängen im Hyde Park, wenn sie Glück haben und nicht erkannt werden, sind es vor allem «andere Kinder, die eine ernorme Faszination ausüben, wie mystische Wesen aus einer anderen Welt. Die beiden kleinen Mädchen lächeln die, deren Aussehen ihnen gefällt, immer scheu an.» Dann fährt sie fort: «Sie hätten so gerne mit ihnen gesprochen und Freundschaft geschlossen, aber dazu wurden sie [von den Eltern] nie angehalten. Wie schade, habe ich oft gedacht. Die holländischen und belgischen Königskinder können wie selbstverständlich in den Straßen ihrer Länder spazieren gehen.»
Die liebe Crawfie. England war und ist in monarchischen Dingen weder Holland oder Belgien noch wie andere radelnde Königsfamilien. Als man der Queen am Abend des 31. Januar 1980 zusteckte, die holländische Monarchin Juliana habe soeben am Fernsehen mitgeteilt, sie wolle zum 30. April zugunsten ihrer Tochter Beatrix abdanken, gab Elizabeth Berichten zufolge knapp zur Antwort: «Typisch holländisch.» Eine leicht ungnädige Bemerkung, die Äpfel mit Birnen vergleicht. Die britische konstitutionelle Monarchie betrachtet – das hatte die Erfahrung mit Edward VIII. bekräftigt – Abdankungen als den größten anzunehmenden Unfall, auch wenn dieser Schritt so geordnet vonstatten geht wie im holländischen Fall die Übergabe des Zepters von der Mutter an die Tochter. Fällt in England der Monarch durch Krankheit oder gar geistige Debilität aus, wie zeitweilig George III., dann wird der Nachfolger «Regent», aber nicht König – es kann keine zwei Monarchen gleichzeitig geben. Das wird von denen immer übersehen, die so angelegentlich fragen, warum die 95-jährige Queen die Geschäfte nicht schon jetzt an Charles oder, besser noch, an dessen Erstgeborenen, William, abgibt. Die Queen kann dergleichen gar nicht verfügen, das verbieten die souveränen Rechte des Parlaments, und dieses wird kein Gesetz erlassen, das eine Abdankung des Staatsoberhauptes möglich macht. Auch das Commonwealth, das in solchen Fragen Mitspracherecht hat, wird es nicht tun. Der britische Monarch muss in den Sielen sterben. Im Übrigen fehlt in der Windsor-Tradition ein wichtiges Element: Bürgernähe, wie sie in den übrigen europäischen Königshäusern gepflegt wird. Das dürfte sich wahrscheinlich erst unter einem König William V. und seiner Königin Catherine ändern.
Bürgernähe? Es fiel Marion Crawford schon schwer genug, bei den Eltern auch nur den Wunsch der Kinder durchzusetzen, einmal in Londons Underground zu fahren. Eine Detektivin wurde diskret abgestellt für die Gruppe, aber die Prozeduren «hätten jemanden glauben machen können, wir begäben uns auf eine Expedition zu den prächtigen Kuppeln des Kubla Khan und nicht auf eine Fahrt in der Londoner U-Bahn». Die Mädchen kauften ihre eigenen Tickets – «das ganze Unternehmen war feierlich wie eine Investitur».
Unterricht fand in neun Vormittagsstunden pro Woche statt, der Nachmittag stand Spielen zur Verfügung, auch Nadelarbeiten oder dem unverzichtbaren outdoors – Reiten im Windsor Great Park, Gartenarbeit, Bauen und Basteln, dem Ausgehen mit den Hunden, Ausflügen, später Tanzunterricht. Elizabeth wurde nach den Usancen der edwardianischen Ära zu Anfang des 20.Jahrhunderts erzogen – eine perfekte Lady sollte herauskommen, nach Art der Tausenden von Debütantinnen aus den Kreisen der Aristokratie und der High Society, die jährlich bei Erreichen ihrer Volljährigkeit bei Hof vorgeführt wurden und von da an nur noch nach einer Qualität beurteilt wurden: ihrer Heiratsfähigkeit. Crawfie in ihrer Ehrlichkeit hatte ja beschrieben, was den Yorks wichtig war: «eine glückliche Kindheit, mit einer Menge angenehmer Erinnerungen für kommende Tage, und später dann eine glückliche Heirat.»
Als Erziehungsideal war das in den 30er Jahren mindestens um zwei Generationen überholt, wie der Historiker Robert Lacey 2002 in seiner überarbeiteten Biografie ohne Umschweife feststellte – auch wenn niemand etwas gegen «eine glückliche Kindheit» hätte einwenden wollen. Eine praktische, keine intellektuelle Prinzessin war das Ziel, gemäß der traditionellen Aversion des Königshauses gegenüber allem Intellektuellen. Bloß keinen Blaustrumpf! In der Tat beruhte die Wirkung, die Elizabeth schon als Jugendliche auf ihre Generation ausübte, vor allem auf dieser Vermeidung jeglicher intellektueller Ambition: Es kam darauf an, die Monarchie populär zu erhalten unter allen Schichten, vor allem – und das fällt in der Geschichte des britischen Königshauses immer wieder auf – bei den einfachen Menschen, bei der Arbeiterklasse. Dort stand das praktische Ideal allemal über dem intellektuellen. Schon Bagehot hatte von der Krone verlangt, dass sie «die Loyalität des Arbeiters in Somerset nicht verliert». Auch ein berühmter Autor wie Rudyard Kipling, der 1897, im Jahr des diamantenen Thronjubiläums von Königin Victoria, das Empire bedroht sah durch die Hybris des Establishments, setzte seine ganze Hoffnung auf den gemeinen Mann: «Die Leute in der dritten Eisenbahnklasse – die werden uns retten.» Ein George Orwell glaubte, wie er in seinem Essay «The English People» schrieb, im Jubel um das Silberjubiläum von George V. 1935 «das Wiedererwachen einer Idee, die so alt ist wie die Geschichte selber», entdeckt zu haben: «dass der König und das einfache Volk sich in einer Art Bündnis befinden gegen die oberen Klassen». Orwell meinte damit auch die gebildeten Schichten, traditionell die Klasse, in der gerne herablassend über die Queen und die Monarchie gesprochen wird.
Auf die denkbar liebenswürdigste Weise persiflierte Alan Bennett in seiner fantasievollen Novelle «The Uncommon Reader» von 2007 die bekannte Aversion der Queen gegenüber Büchern, sofern
Elizabeth mit Margaret und den Eltern vor dem Miniaturhaus «Y Bwthyn Bach» («das kleine Haus»), einem Geschenk der Waliser an die königliche Familie, im Rose Garden der Royal Lodge, Windsor Great Park, Juni 1936 (Foto: ILN)
diese nicht mit Pferden und Pferdezucht zu tun haben. In letzterem Ressort ist sie eine weltweit anerkannte Expertin, für literarische Werke dagegen hat sie nie die Nähe, das Interesse oder die Muße gefunden. Bennett, der diese Situation in einer Art Fantasmagorie umkehrt und aus Elizabeth eine «souveräne Leserin» macht (so die deutsche Übersetzung des Titels), impliziert ganz leise auch die latente Arroganz der Intelligenzia, die sich gerne daran reibt, dass die Monarchin nicht so ist, wie die gebildeten Schichten sie gerne hätten.
Schule, etwa ein Internat für höhere Töchter, kam für die Prinzessinnen nicht in Frage, und als es doch einmal erwogen wurde, lehnte George VI. das Ansinnen ab, angeblich, weil man sich unter den möglichen Adressen für keine entscheiden konnte, ohne dass die nicht ausgewählten Internate sich zurückgesetzt gefühlt hätten. Margaret beschwerte sich später oft, manchmal bewusst in Hörweite ihrer Mutter, wie dürftig sie und Elizabeth doch erzogen worden waren, «stimuliert von nicht mehr als Crawfie, Corgies und Ausritten im Windsor Great Park».
Immerhin gab sich die Erzieherin, obwohl selber keine Pädagogin mit Kompetenz in bestimmten Fächern, die größte Mühe, Allgemeinbildung zu vermitteln. Auf dem Lehrplan standen Englisch, Literatur, von den Kinderbuch-Klassikern angefangen, Geografie, Bibelkunde und Geschichte – bei Geschichte schaltete sich gerne die Großmutter Queen Mary ein, der es vor allem um die Geschichte des Empire ging, in der sie, die nach Britannien konvertierte Deutsche, eine geborene von Teck, sich vorzüglich auskannte. Die Großmutter hatte Elizabeth schon zu deren viertem Geburtstag einen Baukasten mit Hölzern aus allen zum damaligen Empire gehörenden Ländern geschenkt – ein erster Kontakt der späteren Queen mit einer ihrer großen Lebensaufgaben.
Als nach der Krönung Georges VI. im Juni 1937 eine nur auf ladylike abgestellte Erziehung, unterfüttert mit ein wenig Allgemeinbildung und abgestellt aufs Praktische, doch nicht mehr ausreichend erschien, erweiterte man die pädagogische Palette: Kunstbetrachtungen anhand der Schätze aus den königlichen Sammlungen kamen hinzu, auch Unterricht in Französisch, wofür eine eigene Lehrerin angestellt wurde, die Vicomtesse de Bellaigue. Diese wurde allmählich zur geschätzten Freundin der Heranwachsenden, die mit dem Französischen schnell vorankam; die Queen beherrscht es fließend. Im Sommer 1939, beim Besuch des französischen Präsidenten in London, war Elizabeth bereits in der Lage, eine öffentliche Grußbotschaft in fehlerfreiem Französisch vorzutragen. «Elizabeth besaß einen Instinkt für das Richtige», sagte die Vicomtesse später von ihrer Schülerin, «sie war immer sie selbst, très naturelle, aber im Muster ihres Charakters war strenges Pflichtbewusstsein mit joie de vivre gemischt». Von Letzterer, von der Lebensfreude, erfuhr und erfährt die Öffentlichkeit allerdings weniger, weil sie sich meist hinter verschlossenen Türen abspielt. Zu besichtigen war immer nur Pflicht, Pflicht und noch einmal Pflicht. Schon 1940 hatte Frances Towers in «The Two Princesses» über die Vierzehnjährige angemerkt, man könne «in dem gewinnenden Lächeln dieses ernsten kleinen Gesichts jene geniale Begabung für die Pflicht erkennen, die einen sehr gewöhnlichen Mann, der George V. [Elizabeths Großvater] war, zu einem großen König machte.» Pflicht – eine Tugend mit Kehrseiten, von denen in diesem Buch noch viel die Rede sein wird.