Die Kriegerin - David Weber - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Kriegerin E-Book

David Weber

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Krieg ist ihr Leben. Aber reicht es, nur eine gute Kriegerin zu sein?

Die Erde ist das Zentrum einer Monarchie im All. Der Hauptgegner dieses Kaiserreichs ist eine außerirdische Rasse. In diese Welt wird Alicia DeVries geboren. Geprägt durch ihre Familie entscheidet sie sich für eine Militärlaufbahn und dient sich in Rekordzeit in die persönliche Garde des Kaisers hoch. Nach einer blutigen Schlacht auf dem Planeten Gyangtse tritt Alicia der Elitegruppe "Das Schwert des Imperators" bei. Fortan setzt sie als Kriegerin für die Regierung auf vielen Planeten ihr Leben aufs Spiel. Doch ist es das wert?

Was das Schicksal noch für Alicia DeVries bereithält, verrät "Der Zorn der Gerechten" - der zweite Teil des fesselnden Military-SF-Abenteuers von Bestsellerautor David Weber.

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen!




Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 847

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Buch 1: DIE WESPE DES IMPERIUMS

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Buch 2: DAS SCHWERT DES IMPERATORS

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Buch 3: GEBORSTENES SCHWERT

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Dramatis Personae

Über dieses Buch

Der Krieg ist ihr Leben. Aber reicht es, nur eine gute Kriegerin zu sein?

Die Erde ist das Zentrum einer Monarchie im All. Der Hauptgegner dieses Kaiserreichs ist eine außerirdische Rasse. In diese Welt wird Alicia DeVries geboren. Geprägt durch ihre Familie entscheidet sie sich für eine Militärlaufbahn und dient sich in Rekordzeit in die persönliche Garde des Kaisers hoch. Nach einer blutigen Schlacht auf dem Planeten Gyangtse tritt Alicia der Elitegruppe »Das Schwert des Imperators« bei. Fortan setzt sie als Kriegerin für die Regierung auf vielen Planeten ihr Leben aufs Spiel. Doch ist es das wert?

Was das Schicksal noch für Alicia DeVries bereithält, verrät Der Zorn der Gerechten – der zweite Teil des fesselnden Military-SF-Abenteuers von Bestsellerautor David Weber.

eBooks von beBEYOND – fremde Welten und fantastische Reisen!

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

David Weber

DIEKRIEGERIN

Aus dem amerikanischen Englisch vonUlf Ritgen

beBEYOND

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2006 by David Weber

Enthält die überarbeitete und stark erweiterte Fassung des bisher in Deutschland unveröffentlichten Romans »Path of the Fury«, © 1992 by David Weber

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »In Fury Born« (Teil 1)

This work was negotiated through Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, on behalf of St. Martin’s Press, L.L.C.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2009/2014/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dietmar Schmidt

Lektorat: Ruggero Leò

Titelillustration: Arndt Drechsler

Titelgestaltung: Druck & Grafik Siebel, Lindlar

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-1676-5

be-ebooks.de

lesejury.de

Buch 1:DIE WESPE DES IMPERIUMS

Schwärze.

Schwärze hüllte sie ein. Traumlos trieb sie durch die Finsternis, endlos wie das All, die sich in ihrem Inneren wand und verflocht. Die Schwärze umgab sie, verschmolz mit ihr, vereinigte sich mit ihr, und so schmiegte sie sich an diese Leere, die zugleich ein Teil ihrer selbst war. Das Dunkel war allgegenwärtig, und doch spürte sie, wie außerhalb dieses schützenden Kokons aus ewiger Schwärze fast unbemerkt die Jahre vergingen. Dort waren sie, jenseits ihres eigenen Schlafes; sie nahm sie wahr, und doch erschienen sie ihr nicht ganz wirklich.

Tief, tief im Innersten ihres Herzens glomm immer noch die Glut der Entschlossenheit, aber deren Lichtschein war kaum noch zu erkennen. Eine Glut, die einst wie ein Hochofen gelodert hatte, wurde matter und matter und trieb immer weiter auf die endgültige Auslöschung zu.

Ein winziger Teil ihres Wesens schaute schläfrig zu, wie jene Weißglut allmählich zu einem matten Rot abkühlte, und unter ihrer dicken, weichen Decke der Schwärze fragte sich dieser Teil ihrer selbst, ob man jemals wieder nach ihr rufen würde. Diejenigen, denen sie einst gedient hatte, waren längst verschwunden, das wusste sie genau, ohne zu wissen, woher, und doch rief hin und wieder das Echo eines Rufes nach ihr, und so tauchte sie aus der Geborgenheit ihrer Traumlosigkeit fast bis an die Oberfläche hinauf. Diese Echos jedoch hörte sie nur selten, und sie verschwanden so rasch, wie sie gekommen waren. Das unregelmäßige, immer unerwartete Aufblitzen jener Rufe hatte fast etwas von winzigen Spiegeln, in denen sie ihre eigene zornlodernde Existenz betrachten konnte. Es geschah nur selten, doch im Laufe der endlosen Jahre reichte die Anzahl dieser Echos trotzdem aus, um ihren traumlosen Schlaf zu stören.

Da! Wieder ein Flackern in der Endlosigkeit des Schlafes – ein weiterer Blitz der Möglichkeiten. Die zahllosen möglichen Zukünfte, Zeitströme, in denen sie und dieses Echo vielleicht tatsächlich aufeinandertrafen und zu einem gemeinsamen Ziel fanden, umgaben sie, veränderten unbeständig die Form, schimmerten wie die ewig veränderlichen Formationen der Sterne am Himmel … gleich den Zukünften, in denen dies niemals geschehen sollte.

Was wäre dir denn lieber?, fragte ihr dösender Verstand verschlafen. Willst du dich erneut erheben – vielleicht ein letztes Mal –, oder willst du schlafen? Schlafen, bis es keine Träume mehr gibt, keine Echos, keine Spiegel?

Darauf wusste sie keine Antwort, und so schmiegte sie sich noch fester an den Schleier der Nichtexistenz und wartete ab, was auch immer geschehen mochte.

Oder eben nicht.

Prolog

»Wer ist denn diese Kleine überhaupt?«, fragte Colonel McGruder und starrte das Psychoprofil an, das vor ihm im Holodisplay schwebte. »Und woher haben wir die Informationen über sie?«

»Ihr Name lautet Alicia DeVries«, erwiderte Lieutenant Maserati. »Alicia Dierdre DeVries, und sie ist jetzt in der Abschlussklasse. Vor sechs Monaten wurde sie den Standardprüfungen unterzogen, und ihre Ergebnisse entsprachen allen Auswahlkriterien. Also hat man sie letzte Woche erneut geprüft. Und wie Sie sehen können, wurden dabei sämtliche vorherigen Ergebnisse bestätigt.«

»In der Abschlussklasse?«, wiederholte McGruder, wandte sich vom Display ab und blickte stattdessen seinen Adjutanten an. »Hier steht, sie sei erst vierzehn Jahre alt!«

»Das war sie vor sechs Wochen auch noch, Sir«, erwiderte Maserati. »Sie … ähem … sie absolviert einen Schnellkurs. Wie Sie hier sehen können …« – über sein NeuroLink erteilte der Lieutenant dem Computer einen Befehl, und so öffnete sich im Display des Colonels ein neues Fenster, in dem nun die Prüfungsergebnisse abzulesen waren – »… hat sie sich mit ihren Ergebnissen schon jetzt qualifiziert, im nächsten Jahr im Rahmen des Hochbegabtenförderungsprogramms das Emperor’s New College zu besuchen.«

»Mein Gott.« Kurz starrte McGruder ihre Zeugnisse an, dann betrachtete er erneut das Psychoprofil. »Wenn das alles bei ihr schon mit vierzehn so aussieht …«

»Deswegen dachte ich mir auch, ich sollte Sie darauf aufmerksam machen, Sir«, gab Maserati zurück. »Ich glaube nicht, jemals ein stärkeres Profil gesehen zu haben, und dabei ist diese DeVries, wie Sie schon sagten, erst vierzehn Jahre alt.«

»Zu jung«, sinnierte McGruder laut, und Maserati nickte. Was die schulischen Leistungen betraf, war die junge DeVries der großen Mehrheit ihrer Altersgenossen um vier Jahre voraus. Die Prüfungsergebnisse waren an Colonel McGruders Dienststelle weitergeleitet worden, weil hier die Leistungen jedes Schülers der vierten Klasse vorgelegt wurden, dessen Ergebnisse bestimmte Auswahlkriterien erfüllten. Nach imperialer Gesetzgebung war es jedoch ausdrücklich verboten, jemanden aktiv zu rekrutieren, bevor er oder sie achtzehn Jahre alt geworden war. Wie gut die Prüfungsergebnisse auch aussehen mochten oder wie dringend er oder sie auch gebraucht wurde, spielte dabei keine Rolle, und selbst eine Einverständniserklärung der Eltern änderte daran nichts.

»Abgesehen davon …«, sprach McGruder weiter. »Sehen Sie sich doch das Genprofil an.« Er schüttelte den Kopf. »Ujvári-Gene zusammen mit solchen Zeugnissen … Sie kommt sowieso niemals zu uns. Wenn sie schon jetzt die Zulassung für das ENC hat, dann können Sie sich doch denken, dass sie dorthin auch gehen wird.« Wieder schüttelte er den Kopf, und seine Miene wirkte erschreckend säuerlich. »Zu schade. Die hätten wir wirklich gut brauchen können.«

»Das sehe ich auch so, Sir«, bestätigte der Lieutenant. »Und ich gehe auch davon aus, dass auf sie beträchtlicher Druck ausgeübt wird: Natürlich soll sie dieses ENC-Stipendium annehmen. Aber ich denke, wir sollten dieses Mädchen dennoch im Auge behalten. Vor allem, wenn man das hier berücksichtigt.«

Über sein Headset erteilte er einen weiteren Befehl, und gehorsam öffnete der Computer ein neues Fenster.

»Sie haben das Genprofil ja bereits selbst angesprochen, Sir«, erklärte er dann mit sanfter Stimme. »Aber das stammt aus der väterlichen Linie, und ich dachte, der Lebenslauf ihres Großvaters mütterlicherseits könnte Sie ebenfalls … interessieren.«

»… also habe ich Madam Lieutenant gesagt, das sei eine ganz dumme Idee.« Sebastian O’Shaughnessy lachte leise und schüttelte den Kopf. »Und da hat sie mir erklärt, als Zugführerin habe sie zu entscheiden und nicht ich, schließlich sei ich ja nur Company First Sergeant. Das hieß natürlich, dass wir so vorgehen sollten, wie sie das gesagt hatte. Also haben wir genau das auch so gemacht.«

»Und was ist dann passiert?«, fragte seine Enkelin. Das Mädchen grinste über das ganze Gesicht, und ihre grünen Augen funkelten.

»Und dann hat mich nach der Abschlussbesprechung des Manövers Madam Lieutenant zu sich in ihr Büro gerufen und mir erzählt, der Captain habe ihr einige … Ratschläge darüber erteilt, wie sich ein frischgebackener Lieutenant, der gerade erst die Kadettenanstalt auf New Dublin hinter sich gebracht hat, einem Kompaniefeldwebel gegenüber verhalten sollte, der bereits auf neunzehn Dienstjahre beim Corps zurückblicken kann.«

O’Shaughnessy erwiderte das Lächeln des Mädchens.

»Aber ich muss ihr doch zugutehalten … sie hat das wirklich wie ein echter Marine aufgenommen. Sie hat sofort zugegeben, dass ich recht gehabt hatte, ohne dass dabei auch nur für einen Augenblick unklar gewesen wäre, wer hier der Lieutenant und wer der First Sergeant ist. Das ist viel schwerer, als sich das jetzt anhört, aber diese Lieutenant Chou war wirklich richtig gut. Dickköpfig, ja, doch das gilt für die meisten wirklich Guten, aber dabei auch verdammt helle im Köpfchen. So helle, dass sie sofort erkannte, dass sie einen Fehler gemacht hatte – und dann daraus zu lernen. Aber ich weiß bis heute nicht, ob sie jemals begriffen hat, dass der Captain sie bewusst so richtig nach Strich und Faden hat baden gehen lassen, um ihr genau diese Sache unmissverständlich klarzumachen. Doch es gibt da etwas, das ein guter Offizier niemals vergisst, Alley: Es gibt immer jemanden, der noch längere Diensterfahrung hat oder die gleiche Aufgabe besser erfüllen kann als man selbst, und das große Geheimnis ist es, sich die Erfahrung dieser Person jeweils auch zunutze zu machen, ohne dabei jemals die eigene Autorität zu verlieren oder die eigene Verantwortung abzuwälzen – vor allem, wenn es dabei um einen langjährigen Unteroffizier geht, der seinen Job schon gemacht hatte, als man selbst noch Windeln trug. Deswegen weiß jeder gute Offizier auch ganz genau, dass es in Wirklichkeit die Sergeants sind, die im Corps das Sagen haben.«

Einen Augenblick lang schaute ihn seine Enkelin ernst an; die Vierzehnjährige wirkte nun sehr viel nachdenklicher. Dann nickte sie.

»Ich weiß ja selbst, wie sehr ich es hasse, zugeben zu müssen, wenn ich mich irgendwo geirrt habe«, sagte sie. »Dann ist das für einen Offizier bestimmt noch viel schwieriger, so etwas zuzugeben. Vor allem, wenn der Offizier frisch dabei ist und das Gefühl hat, bei der kleinsten Schwäche die Autorität einzubüßen.«

»Ganz genau«, stimmte Sebastian ihr zu. Dann warf er einen Blick auf sein Chronometer. »Und wo wir gerade schon bei ›sich irgendwo irren‹ sind …«, fuhr er fort. »Solltest du jetzt nicht eigentlich irgendwo anders sein, statt mich dazu anzustacheln, immer weiter zu reden?«

Erstaunt schaute das Mädchen ihn an, blickte auf ihr eigenes Chronometer und sprang sofort auf.

»Ojemine! Mom bringt mich um! Tschüss Grandpa!«

Kurz beugte sie sich zu ihm herunter – mit ihren vierzehn Jahren war sie schon jetzt einen ganzen Kopf größer als ihre Mutter – und drückte ihrem Großvater einen Kuss auf die Wange. Dann verschwand sie. Sebastian hörte sie die kurze Treppe zu ihrem winzigen Zimmer hinaufstürmen und schüttelte breit grinsend den Kopf.

»War das gerade Alley, oder ist hier ein führerloser Frachtschweber vorbeigerauscht?«, erkundigte sich eine melodische Tenorstimme, und als Sebastian den Kopf hob, sah er, wie sein Schwiegersohn den Kopf durch den Türspalt schob.

Man sah auf den ersten Blick, von wem Alicia ihre Körpergröße geerbt hatte. Sebastian war kaum größer als einen Meter siebzig, doch Collum DeVries überragte ihn um gute zwanzig Zentimeter. Zugleich war er breitschultrig und selbst noch für seine beachtlichen Körpermaße auffallend muskulös. Tatsächlich sah er den Idealdarstellungen tüchtiger Marines aus den Holovideos deutlich ähnlicher, als das bei Sebastian jemals der Fall gewesen war. Natürlich kann das Äußere stets täuschen, ging es Sebastian durch den Kopf, und vielleicht lag tatsächlich ein wenig Selbstgefälligkeit in dem Gedanken.

»Das war Alley«, beantwortete Sebastian dann die Frage und lachte leise. »Ich glaube, sie hatte diese Prüfung ganz vergessen.«

»Du meinst, sie war zu sehr damit beschäftigt, dir neue Geschichten zu entlocken, dass sie die Prüfung ganz vergessen hat«, verbesserte Collum ihn. Er lächelte dabei, doch es war unverkennbar, dass sich hinter diesem Lächeln auch Unmut verbarg.

»So oft bekommt sie mich ja nun auch nicht zu Gesicht«, erwiderte Sebastian, und Collum nickte.

»Das ist wohl wahr. Aber ich fürchte, deine Aura soldatischen Heldentums ist für Teenager einfach überwältigend.«

Sebastian lehnte sich in seinem Sessel zurück und bedachte seinen Schwiegersohn mit einem Blick, der zugleich liebevoll und ein wenig zornig wirkte.

»Ich bin mir sicher, so eine ›Aura soldatischen Heldentums‹ kann wirklich überwältigend sein«, gab er dann nach kurzem Schweigen mit sanfter Stimme zurück. »Aber über derartige Dinge haben wir überhaupt nicht gesprochen. Tatsächlich ging es ihr viel weniger um irgendwelche Geschichten aus dem Krieg als vielmehr darum, wie es im Corps eigentlich wirklich zugeht.«

»Ich weiß.«

Kurz blickte Collum ihn nur an, dann ließ er sich in den Sessel sinken, den Alicia gerade erst freigemacht hatte – für sie war es nun an der Zeit, sich vor ihren Computer zu setzen und mit der Arbeit zu beginnen. Die Kissen des Möbelstücks veränderten eigenständig ihre Position und passten sich an die neuen Körperformen an. Die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt, machte Collum es sich bequem.

»Ich weiß«, wiederholte er, und der Blick aus seinen so charakteristischen schiefergrauen Augen wirkte ungewohnt ernst. »Genau das beunruhigt mich ja auch so. Vielleicht wäre es mir sogar lieber, wenn ich darin einfach nur die typische Schwärmerei eines Teenagers sehen könnte, der sich vorstellt, Krieg könne ›ruhmreich‹ und aufregend sein.«

»Ach, tatsächlich?« Nachdenklich blickte Sebastian ihn an.

Sebastian mochte seinen Schwiegersohn aufrichtig und hielt große Stücke auf ihn. Collum DeVries war vermutlich einer der intelligentesten Männer, denen der alte Marine jemals begegnet war, und zugleich ein wirklich guter Mensch. Sebastian vermutete, dass es wohl jedem Vater schwerfalle, zuzugeben, irgendein Mann könne seiner Tochter würdig sein, und er räumte sich selbst gegenüber durchaus ein, sich ganz besonders große Sorgen gemacht zu haben, als Fiona ihren Eltern Collum vorgestellt hatte. Diese grauen Augen, die so sonderbar katzenartig wirkten, und dazu die beachtliche Körpergröße und das helle Haar, das alles war doch sehr auffällig. Die körperlichen Merkmale, die sich bei einer Ujvári-Mutation ausbildeten, waren ebenso bekannt wie die geistigen Merkmale, die damit einhergingen, und Sebastian hatte sich innerlich schon damals auf die unvermeidliche Konfrontation vorbereitet. Doch zu dieser Konfrontation war es niemals gekommen, und im Laufe der Jahre hatte Collum überreichlich bewiesen, Sebastian O’Shaughnessys einziger Tochter tatsächlich würdig zu sein.

Darum brauchten sie natürlich noch lange nicht stets der gleichen Meinung zu sein.

»Alley hat … – und manchmal habe ich das dringende Bedürfnis, ›bedauerlicherweise‹ hinzuzufügen – von beiden Elternteilen sehr viel geerbt. Sie ist intelligent – großer Gott, sie ist geradezu erschreckend intelligent! Und sie ist dickköpfig. Und sie besteht darauf, alles für sich selbst entscheiden zu können.«

»Das sehe ich auch so«, ergriff Sebastian das Wort, als der jüngere Mann schwieg. »Aber was ist daran denn bitte schlecht?«

»Zumindest für mich ist das schlecht, weil ich eine Diskussion niemals damit beenden kann, dass ich sage: ›Weil ich dein Vater bin, deshalb!‹ Naja, zumindest bin ich selbst intelligent genug, genau das gar nicht erst zu versuchen.«

»Ah ja.« Sebastian nickte. »Jetzt, wo du das sagst, fällt mir doch auf, dass ich bei ihrer Mutter das eine oder andere Mal auf genau die gleiche Schwierigkeit gestoßen bin.«

»Irgendwie kann ich mir das sehr gut vorstellen.« Collum grinste, und für einen Augenblick war seine ungewohnt ernste Miene verschwunden. Doch auch das Grinsen verging rasch.

»Ach …«, sprach er dann weiter und hob abwehrend eine Hand, »wenn ich ihr irgendetwas ausdrücklich verbiete, dann lässt sie es auch bleiben. Und ich habe mir noch nie Sorgen machen müssen, sie würde heimlich doch irgendetwas tun, von dem sie genau weiß, dass Fiona oder ich es nicht gutheißen würden – nicht einmal jetzt, wo sich die Hormone so richtig zu Wort melden. Trotzdem hat sie ihren eigenen Kopf, und wenn sie der Ansicht ist, ich würde mit irgendetwas falschliegen, dann hat sie überhaupt keine Scheu, mich das auch wissen zu lassen. Und wenn sie schließlich zu dem Schluss gekommen ist, es sei an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen, dann wird sie das auch tun – und sie wird sich an ihre Entscheidung auch dann halten, wenn sie genau weiß, dass ich diese Entscheidung nicht gutheißen würde.«

»So ist das bei jedem Kind, Collum«, gab Sebastian sanft zu bedenken. »Zumindest jedes Kind, aus dem später einmal ein halbwegs vernünftiger Mensch wird.«

»Damit hast du natürlich recht. Aber das nimmt mir dennoch nicht die Sorge ab, sie könnte eine dieser gewissen Entscheidungen fällen, von denen ich hoffe, dass sie sie nicht trifft.«

Ruhig blickte er seinem Schwiegervater in die Augen – in dieses leuchtende Grün, das er auch von seiner Frau oder seiner älteren Tochter kannte.

»Das ist eine Entscheidung, die wir alle irgendwann einmal treffen müssen, so oder so … selbst wenn unsere Entscheidung dadurch fällt, dass wir nie richtig darüber nachdenken, bis es für alles andere zu spät ist.«

»Klar, so ist das«, pflichtete Collum ihm bei. »Aber ich mache mir einfach Sorgen, dass für sie diese Entscheidung vielleicht schon bald ansteht. Ich möchte, dass sie sich die Zeit nimmt, ausgiebig darüber nachzudenken. Ich möchte, dass sie alle Möglichkeiten zumindest durchdenkt, und dass sie sich klarmacht, was sie mit ihrer Entscheidung vielleicht alles aufgibt.«

»Natürlich möchtest du das«, entgegnete Sebastian, doch Collum legte die Stirn in Falten, als er bemerkte, dass in der Stimme seines Schwiegervaters ein Hauch von Unmut mitschwang.

»Ich versuche wirklich nicht, um diese Angelegenheit bewusst herumzureden, Sebastian«, sagte er seinem Gegenüber. »Und ich glaube, du weißt auch, wie viel Respekt ich dem Militär im Allgemeinen und dir im Speziellen entgegenbringe. Ich weiß genau, was du getan hast, um das Banner zu gewinnen, und ich weiß auch, wie wenige andere das hätten vollbringen können. Ich halte es für bedauerlich, dass wir das Marine Corps und die Navy noch immer benötigen, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Und dass wir sie auch noch weiter brauchen werden – und wir können Gott wirklich dafür danken, dass wir sie haben. Wir werden sie vermutlich bis zur Wiederkunft Gottes persönlich benötigen – mindestens! Und wenn es jemanden gibt, der das ganz genau weiß, dann sind das doch wohl wir vom Außenministerium.«

Und das, so ging es Sebastian durch den Kopf, war nichts als die Wahrheit – ungeachtet der Tatsache, dass Collum DeVries als ein Ujvári nun einmal eine tief verwurzelte, persönliche Abneigung gegen jegliche gewalttätige Konfrontation empfand. Niemand hätte Collum jemals für einen Weichling gehalten, aber seine ganze Weltsicht – wie die fast aller anderen Ujvári –, sein ganzes Denken war auf Konsensentscheidungen und pragmatische Kompromisse ausgerichtet. Ein bekannter Genetiker hatte es einmal in die Worte gekleidet, zum Krankheitsbild der Ujvári gehöre ein im Vergleich zum gesamten Rest der Menschheit Übermaß an gesundem Menschenverstand. Sebastian war schon immer der Ansicht gewesen, diese Bemerkung treffe genau ins Schwarze.

Natürlich gab es auch jene, die sämtliche Ujvári offen ablehnten. Einige sahen in deren tief verwurzelten Abneigung gegenüber jeglicher Form der Konfrontation (und noch tiefer verwurzelt als in den Genen ging ja nun kaum!) lediglich Feigheit, so viele Dinge es auch geben mochte, die gegen eine derartige Einschätzung sprachen. Sebastian selbst hatte die Grundeinstellung der Ujvári stets für ein wenig realitätsfern gehalten, doch er musste auch zugeben, dass dies vielleicht eine Folge seines eigenen Weltbildes und seiner eigenen Vorurteile sein mochte. Und ob diese persönliche Philosophie nun weltfremd war oder nicht, sie machte die Ujvári für den Einsatz im diplomatischen Dienst äußerst effektiv, und ebenso als Psychoanalytiker und als Führungspersönlichkeiten in der Politik – sie wurden in Diskussionen über gleich welches Thema niemals persönlich. Aus genau diesem Grund standen die Ujvári bei all ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit in dem Ruf, alle anderen herablassend zu betrachten, die bereit waren, Probleme auf … direkterem Wege anzugehen – durch Entscheidungen und aktives Handeln. Und Menschen, die man heranzog, um derartige Entscheidungen durch aktives Handeln auf Geheiß des Imperators wirklich in die Tat umzusetzen. Auch Menschen wie etwa die Bürger von New Dublin, bei denen die Tradition, sich in den Dienst des Hauses Murphy zu begeben, unausrottbar tief verwurzelt war.

Doch Collum hatte sich diese Abneigung aller Ujvári dem Militär gegenüber, die bei vielen sogar in echte Verachtung umschlug (auch wenn dies nur selten offen ausgesprochen wurde), niemals zu eigen gemacht. Für sich selbst hätte er eine derartige Karriere niemals auch nur in Erwägung gezogen, doch das lag vor allem daran, dass er selbst genau wusste, wie wenig ein derartiger Beruf zu ihm gepasst hätte – und ganz zu schweigen davon, dass er seinen Beitrag für die Gemeinschaft auf ganz anderen Gebieten viel besser leisten konnte.

»Aber«, fuhr Collum fort, »wenn ich das Militär – und auch dich persönlich – auch zutiefst respektiere, wünsche ich mir deswegen noch lange nicht, dass meine Tochter in deine Fußstapfen tritt, bevor sie die Gelegenheit bekam, sich ausgiebig umzuschauen und zu überlegen, was alles sie mit ihrem Leben vielleicht anfangen kann – Dinge, die ebenso richtig, ebenso bedeutsam und ebenso wichtig sind.«

»Ebenso wichtig vielleicht«, erwiderte Sebastian, und mit einem Mal war sein New-Dublin-Akzent ungewöhnlich deutlich. »Aber es gibt wirklich überhaupt nichts, was wichtiger sein könnte, Collum.«

»Das habe ich auch nie behauptet.« DeVries wandte sich nicht von dem stechenden Blick aus diesen grünen Augen ab – einem Blick, der bereits ganze Generationen Marines-Rekruten in die Knie gezwungen hatte. »Aber in dem Leben, für das du dich entschieden hast, musstest du auch Opfer bringen, Sebastian! Du kannst mir nicht erzählen, es hätte dir nicht das Geringste ausgemacht, jedes Mal, wenn du von einem Einsatz zurückgekommen bist, zu sehen, wie sehr Fiona und John in der Zwischenzeit gewachsen waren – wie viel von ihrem Leben du einfach verpasst hattest. Und es wird wohl auch geschmerzt haben, wann immer du einen Freund an die Rish oder irgendeinen Wahnsinnigen auf einer Welt der Krone oder an einen Söldner von irgendeiner Freiwelt verloren hast. Ich habe vor deiner Entscheidung, derartige Opfer zu bringen, wirklich immensen Respekt, aber darum möchte ich noch lange nicht, dass meine Tochter sich entscheidet, genau die gleichen Opfer zu bringen, ohne es sich vorher ausgiebig überlegt zu haben.«

Und die Vorstellung, du könntest dieses persönliche Anschreiben des Kriegsministers erhalten, die findest du ganz entsetzlich, dachte Sebastian. Du hast Angst, deine Tochter kommt eines Tages einfach nicht mehr nach Hause. Na ja, du hast natürlich auch recht, davor Angst zu haben … aber dennoch steht diese Entscheidung nur ihr allein zu, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

»Soll das heißen, du bittest mich darum, ihre Fragen nicht mehr zu beantworten? Oder verlangst es sogar von mir?«, fragte er. »Soll ich etwa mit meiner eigenen Enkeltochter nicht über mein Leben sprechen dürfen?«

»Das habe ich doch gar nicht gemeint!« Sebastian spürte sofort, dass Collum diese Vorstellung völlig aufrichtig von sich wies. »Du bist ihr Großvater, und sie liebt dich. Sie möchte alles über dein Leben wissen, und es ist dein gutes Recht, ihr alles zu erzählen, was du ihr erzählen möchtest. Du solltest auch stolz auf das sein, was du ihr alles erzählen kannst; ich an deiner Stelle wäre das auf jeden Fall, weiß Gott! Ich … mache mir nur Sorgen.«

»Hast du schon mit Fiona darüber gesprochen?«

»Ich würde es nicht gerade ›darüber gesprochen‹ nennen.« Collum schüttelte den Kopf mit einem Gesichtsausdruck, den Sebastian nur zu gut kannte. Immerhin war Fiona ihrer Mutter ausgesprochen ähnlich.

»Ich habe deutlich gesagt, was mich beunruhigt«, fuhr Collum fort, »und ich glaube, ihr geht es ähnlich. Aber sie hat diesen verdammten O’Shaughnessy-Gleichmut. Sie schüttelt dann den Kopf und murmelt irgendetwas von ›niemanden zu seinem Glück zwingen‹ oder von ›kochen‹, ›heiß‹ und ›essen‹.«

»›Gleichmut‹ ist nun nicht gerade eine typische Eigenschaft der O’Shaughnessys«, merkte Sebastian nüchtern an. »Glaub mir, das hat sie aus ihrer mütterlichen Linie der Familie. Aber sie hat dennoch nicht ganz unrecht. Es wird dir nicht gelingen, Alley von irgendetwas zu überzeugen, das sie selbst für falsch hält. Und du wirst sie auch nicht dazu bewegen können, irgendetwas zu unterlassen, das sie für richtig hält.«

»Das weiß ich.« Collum atmete tief durch. »Und ich weiß, dass es auch nicht gerade von heute auf morgen geschehen wird. Aber sie vergöttert dich, Sebastian, und dieser Tradition New Dublins gegenüber ist sie nicht völlig immun. Ich will damit nicht sagen, sie hätte vielleicht nicht sogar dann in Erwägung gezogen, zum Corps zu gehen, wenn ihr Großvater ein unscheinbarer kleiner Zivilist gewesen wäre und kein Kriegsheld. Ich glaube, zumindest darüber nachgedacht hätte sie trotzdem. Aber ich will ganz ehrlich sein: Die Vorstellung macht mir Angst.«

»Das ist doch ganz natürlich«, erwiderte Sebastian mit sanfter Stimme. »Und du weißt ganz genau, dass ich das Ganze nie irgendwie verklärt habe, und ich habe auch nie damit hinter dem Berg gehalten, wie unschön das alles sein kann. Aber ich vergöttere die Kleine eben auch – aber das weißt du ja selbst. Wenn sie wirklich ernsthaft über eine Militärlaufbahn nachdenkt, dann möchte ich, dass sie auch weiß, wie es beim Corps wirklich läuft. Ich möchte, dass sie über das Schlechte schon vorher genauso Bescheid weiß wie über das Gute. Und ich verspreche dir: Ich werde sie niemals dazu ermutigen, irgendetwas hinter deinem Rücken zu unternehmen, Collum.«

»Das hätte ich auch niemals angenommen.« Collum erhob sich und legte seinem Schwiegervater eine Hand auf die Schulter. »Ich denke, mir ist vor allem wichtig, mit jemandem darüber reden zu können.«

Kapitel 1

Der Command Sergeant Major der 502. Brigade in der 17. Division des Imperial Marine Corps blickte auf, als jemand forsch und, wie es die Tradition verlangte, zweimal an seine Bürotür klopfte.

»Herein!«, sagte er mit leicht erhobener Stimme. Sofort öffnete sich die Tür.

Skeptisch schaute er zu, wie die hochgewachsene, breitschultrige junge Frau den Raum betrat, sofort vorschriftsmäßig Haltung annahm und schneidig salutierte. In dieser Ehrenbezeigung steckt eindeutig noch ein bisschen zu viel Camp Mackenzie, ging es ihm durch den Kopf. Zu viel Hochglanzpolitur, zu viele Ecken, die sich noch nicht so weit abgeschliffen haben, wie es nötig ist. Doch bei frischgebackenen Absolventen vom wichtigsten Ausbildungslager des Corps – auf Alterde selbst! – war nichts anderes zu erwarten.

»Private DeVries meldet sich zur Stelle, Sergeant Major!«, erklärte sie mit klarer, deutlicher Stimme.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sie mit der gleichen nachdenklichen Miene, die schon zahllose Generationen neuer Marines über sich hatten ergehen lassen müssen. Das rotgoldene Haar der jungen Frau war so kurz geschoren, dass es fast an Plüsch erinnerte; erst allmählich wuchs es nach. Immer noch gab es die alte Tradition, neuen Rekruten im Ausbildungslager den Schädel völlig kahl zu scheren. Obwohl der Teint dieser jungen Frau an sich unverkennbar hell war, hatte sie mittlerweile reichlich Farbe bekommen; jetzt schimmerte ihre Haut fast wie Bronze, und es entging dem erfahrenen Sergeant Major auch nicht, wie sehnig sich die Muskeln ihrer Unterarme unter den vorschriftsmäßig aufgerollten Ärmeln ihres Uniformhemdes abzeichneten. Ihre Stiefel waren so poliert, dass sie glänzten wie Spiegel, und sämtliche Falten ihrer Uniform fielen so präzise, dass man glauben könnte, es bestehe Gefahr, sich daran zu schneiden. Der alte Unteroffizier verkniff sich ein Grinsen, als ihm durch den Kopf ging, wie zufrieden sie gewesen sein musste, dass man ihr endlich Uniformen aus Aktivgewebe ausgehändigt hatte. Seine Zeit in Camp Mackenzie lag schon lange zurück, doch er erinnerte sich noch genau daran, wie sehr es ihn … geärgert hatte, dass sämtliche Angehörigen des Corps darauf beharrten, Rekruten müssten unbedingt die traditionellen, altmodischen Uniformen kennenlernen, die allen Ernstes gebügelt – und gestärkt! – werden mussten, ehe sie korrekt saßen.

So hochgewachsen die junge Frau vor seinem Schreibtisch auch sein mochte, war sie doch deutlich jünger als die meisten, die ihn hier aufsuchten. Der Command Sergeant Major zweifelte daran, dass man dieses Mädchen jemals wirklich als vollbusig würde bezeichnen können, aber derzeit herrschte in dieser Hinsicht noch ein regelrecht auffallender Mangel. So durchtrainiert sie angesichts ihrer Ausbildung sein mochte, sie hatte noch immer – und zwar in vielerlei Hinsicht – das unfertige Aussehen eines Teenagers. Dennoch prangte auf ihrem rechten Oberarm der schwarze Winkel eines Private First Class unmittelbar unterhalb des Schulterabzeichens des Imperial Marine Corps mit dem Abbild einer Wespe, die ihren Stachel gerade zum Stich bereitmachte.

Gemächlich beendete er seine Musterung, während die junge Frau immer noch die Hand zum Salut erhoben hatte. Schließlich erwiderte er den Gruß, doch bei ihm wirkte die Bewegung weniger übertrieben, weniger pedantisch. Es war allerdings unverkennbar, dass auch dieser Bewegung jahrelange Übung zugrunde lag.

»Stehen Sie bequem, Private«, sagte er.

»Jawohl, Sergeant Major.«

Doch sie wechselte nicht in das ›Rührt Euch‹, das er ihr gestattet hatte, sondern nahm stattdessen die Paradehaltung ein, und trotz seiner Jahrzehnte der Erfahrung konnte er sich ein Lächeln kaum verkneifen, als sie nun so vor ihm stand, den Blick ganz nach Vorschrift auf einen Punkt zehn Zentimeter oberhalb seines Kopfes gerichtet.

Einige Sekunden lang ließ er die Frau so stehen, dann erhob er sich von seinem Stuhl und ging um seinen Schreibtisch herum. Unmittelbar vor der jungen Private First Class blieb er stehen – dabei fiel ihm wieder auf, dass er doch mehr als einen halben Kopf kleiner war als diese junge Absolventin des Ausbildungslagers – und begutachtete erneut ihre Uniform in allen Einzelheiten. Tatsächlich, alles war, das musste er gestehen, schlichtweg perfekt. Es gab nichts, was er an ihrem Erscheinungsbild hätte kritisieren können, und Gleiches galt auch für ihre vorschriftsmäßig-ausdruckslose Mimik, mit der sie, reglos wie eine Statue, seine Begutachtung über sich ergehen ließ.

»Na gut«, sagte er schließlich, trat noch näher an sie heran und schloss sie fest in die Arme.

»Hallo Grandpa«, antwortete die Private, und ihre Altstimme klang etwas rauer als sonst. Dann erwiderte sie die Umarmung.

»Ich habe wirklich alles versucht, um zu deiner Abschlussfeier kommen zu können, Alley«, erklärte Sebastian O’Shaughnessy wenige Minuten später. Er hatte sich entspannt halb auf die Kante seines Schreibtischs gesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt. »Aber es hat einfach nicht geklappt.«

»Als ich gehört habe, dass man dich hierher abkommandiert hat, war mir schon klar, dass du nicht kommen könntest, Grandpa«, erwiderte sie lächelnd. »Ich freue mich einfach nur, dass mein Marschbefehl mir genügend Spielraum lässt, dich auf dem Transport wenigstens kurz zu besuchen.«

»Das freut mich auch«, sagte er. »Andererseits haben mich meine Spione natürlich über deine Fortschritte stets auf dem Laufenden gehalten.« Unheilvoll legte er die Stirn in Falten. »Ich habe gehört, du hast dich recht gut gehalten.«

»Ich habe mich zumindest bemüht«, erwiderte sie.

»Das glaube ich dir. Und ich denke, ich werde mich wohl damit zufriedengeben müssen, dass du nur als Zweitbeste deiner Ausbildungsbrigade abgeschnitten hast. Aber um einen ganzen Zehntelprozentpunkt?« Traurig schüttelte er den Kopf. »Ich meine, ich hatte mich fest darauf verlassen, dass du als Jahrgangsbeste abschließen würdest, aber das war wohl doch zu viel verlangt.«

In seinen Augen blitzte der Schalk, und seine Enkelin schüttelte den Kopf.

»Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe, Grandpa«, erwiderte sie höflich, »aber ich war dort wirklich ein wenig benachteiligt, weißt du?«

»Aber Neunzehnte in Sport?«, gab er klagend zurück. »Da kann man ja von Glück reden, dass du bei allem anderen die Höchstwertung erreicht hast, kann ich da nur sagen!«

»Von den Rekruten, die mich in Sport ausgestochen haben, stammen nur zwei von Alterde«, erklärte Alicia mit ernster Miene. »Beide sind Männer, und einer von denen gehörte zur Reserve bei der letzten Triathlon-Olympiamannschaft. Alle anderen kamen von anderen Welten. Von Hochschwerkraft-Planeten übrigens. Und unter denen waren auch nur drei Frauen.«

»Immer diese Ausreden.« Er lachte leise, schüttelte erneut den Kopf und strahlte seine Enkelin dabei voller Stolz an. »Wenn du nicht diesen neuen Rekord mit Handfeuerwaffen aufgestellt hättest, dann hättest du in eurer Brigade als Dritte abgeschlossen, weißt du?«

»Aber ich wäre immer noch auf Platz eins meines Regiments gelandet«, schoss sie zurück.

»Naja, das stimmt wohl«, gab er zu und lachte erneut. Dann wurde seine Miene wieder ernsthaft. »Wirklich, Alley: Ich bin stolz auf dich. Sehr stolz sogar. Ich habe damit gerechnet, dass du dich gut machen würdest, aber du hast meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Wieder einmal.«

»Danke, Grandpa«, erwiderte sie mit jetzt deutlich sanfterer Stimme. »Das bedeutet mir wirklich viel.«

Erneut trafen sich ihre Blicke, und O’Shaughnessy lächelte sie herzlich an. Dann richtete er sich ein wenig auf, und seine Körpersprache verriet deutlich, dass er das Thema wechseln würde.

»Hast du gewusst, dass Cassius Hill und ich seit über zwanzig Jahren befreundet sind?«, fragte er. »Seit fast dreißig, glaube ich sogar«, setzte er noch hinzu.

»Du und Sergeant Major Hill?« Erstaunt kniff sie die Augen zusammen, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Wahrscheinlich hätte ich das schon ahnen müssen – du scheinst einfach jeden im Corps zu kennen. Ich schätze, auf die Idee bin ich einfach nicht gekommen, weil er einen so … Furcht einflößenden Eindruck macht, könnte man wohl sagen. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, er könnte überhaupt Freunde haben. Ich meine, natürlich muss er Freunde haben, aber aus der Froschperspektive, die ich da im Camp hatte, konnte ich mir das wirklich kaum vorstellen. Es hat Augenblicke gegeben, da waren wohl alle Rekruten fest davon überzeugt, diesen Sergeant Major habe man wohl in Wirklichkeit in irgendeinem KI-Labor zusammengebastelt. Gemeinsam sind wir irgendwann zu dem Schluss gekommen, im Camp würden autonome Kampfroboter getestet, und wir wären die Versuchskaninchen.«

»Na ja, Rekruten sollen ihren Schleifer auch gar nicht mögen, und für den Bataillon Sergeant Major gilt das wohl doppelt – wenn nicht gar dreifach. Aber Cassius konnte dich wirklich gut leiden! Während du in Mackenzie warst, habe ich vier Briefe von ihm erhalten, und er schreibt, du hättest es geschafft, ihn wirklich zu beeindrucken.«

»Was, ich?« Alicia lachte. »Das habe ich nicht gewusst. Aber ich weiß, dass er mich beeindruckt hat! Einoder zweimal hat er mich wirklich zu Tode erschreckt!«

»Das sollte er ja auch. Andererseits …« – nachdenklich blickte O’Shaughnessy seine Enkeltochter an – »hat er mir erzählt, dass dich anscheinend überhaupt nichts aus der Ruhe bringen kann. Ich glaube, das hat ihn fast ein wenig beunruhigt. Er hat wohl schon befürchtet, allmählich verliere er seinen Schwung, oder so etwas in der Art. Er hat sogar geschrieben, manchmal habe er den Eindruck gehabt, du hättest in Mackenzie richtiggehend Spaß gehabt.«

»Hatte ich ja auch«, erwiderte sie, und in ihrem Tonfall schwang echtes Erstaunen mit.

»Du hattest in Mackenzie Spaß!« Ungläubig blickte O’Shaughnessy sie an, und Alicia zuckte mit den Schultern, als würde seine Reaktion sie erstaunen.

»Ach, natürlich hat es da Augenblicke gegeben, die ich nicht gerade zu den schönsten Erlebnissen meines Lebens zählen würde«, gab sie zu. »Und beim Setzen der Implantate hatte ich deutlich mehr Schwierigkeiten, als ich erwartet hätte. Aber alles in allem? Das war ein Riesenspaß, Grandpa. Das war wirklich ’ne Wucht!«

O’Shaughnessy lehnte sich ein wenig zurück, die Augenbrauen fragend gehoben. Am meisten erstaunte ihn, dass seine Enkelin ganz offensichtlich jedes Wort völlig ernst meinte.

Camp Mackenzie auf einer Insel vor der Südostküste der Alterden-Provinz namens ›United States‹ diente seit mehr als eintausend Jahren als Ausbildungsgelände für Marines – es stammte noch aus einer Zeit, in der es kein Imperial Marine Corps gegeben hatte, nicht einmal ein Imperium, dem es hätte dienen können. So hielt man es heute noch (auch wenn es auf New Dublin Stimmen gab, die die Auffassung vertraten, ihre Heimatwelt sei dafür deutlich besser geeignet), und Sergeant Major O’Shaughnessy wusste genau, warum dem so war. Alterde diente nach wie vor als imperialer Regierungssitz, und damit war es das Herzstück des Imperiums. Auf dem Heimatplaneten der Menschheit gab es keinen anderen Ort, an dem man genau die richtige Sommerhitze fand, genau die richtige Luftfeuchtigkeit, die richtige Anzahl Moskitos und Sandflöhe, um herauszufinden, aus welchem Holz ein neuer Rekrut tatsächlich geschnitzt war … oder um ihn und seine ganze Persönlichkeit dort so weit einzuschmelzen, dass man anschließend genau die richtige, perfekt formbare Legierung erhielt, die für den Stahl des Imperiums nun einmal gebraucht wurde.

Nicht, dass das Corps nicht Mittel und Wege gefunden hätte, noch weiterzuverbessern, was Mutter Natur von allein hergab. So waren O’Shaughnessy schon immer die Gerüchte durchaus nachvollziehbar erschienen, das Corps würde regelmäßig neue Alligatoren herbeischaffen lassen, um die Population vor Mackenzie konstant zu halten. Doch ob das nun wirklich stimmte oder nicht: Es konnte kein Zweifel bestehen, dass der gnadenlose Drill- und Ausbildungsplan bewusst darauf ausgelegt war, den Rekruten die Hölle auf Alterden zu bereiten. Nicht etwa aufgrund eines allgemeinen Sadismus – wie es viele Rekruten, die diese Ausbildung miterlebt hatten, oft zu schwören bereit waren –, sondern weil das Corps schon seit so langer Zeit Zivilisten Stück für Stück demontierte und aus den Einzelteilen Marines formte. Niemand überlebte etwas so zermürbendes wie Camp Mackenzie, ohne sich dabei dem stellen zu müssen, was sich in seinem tiefsten Inneren wirklich fand. Und dieses Ausbildungslager sollte das Schwierigste sein, dem sich ein Rekrut jemals gegenübergesehen hatte. Es sollte ihm den häufig zumindest erschreckenden, gelegentlich sogar bitteren Unterschied zwischen sämtlichen Tagträumen, in die er sich in Hinblick auf das Militär ergangen habe mochte, und dessen tatsächlicher Realität aufzeigen. Es sollte ihn lehren, wie er sich den Herausforderungen zu stellen hatte, die die Realität für ihn bereithielt, und zu begreifen, was es bedeutete, zu den ›Wespen des Imperiums‹ zu gehören. Aber vor allem erlernten die Rekruten in diesen Lektionen Disziplin, Aufopferungsbereitschaft und auch Selbstbewusstsein. Und während sie sich diese Dinge aneigneten, wurden diejenigen, die diese Lektionen überlebten, auf dem Amboss des Corps zu echten Marines geschmiedet.

Doch auch wenn man wirklich viele Wörter und Begriffe hätte heranziehen können, um zu beschreiben, was Mackenzie nun eigentlich war – unter anderem ›das Herz und die Seele des ganzen Corps‹ –, so wäre doch wohl niemand auf die Idee gekommen, es als › ’ne Wucht‹ zu bezeichnen.

»Du bist noch viel außergewöhnlicher, als ich das immer gedacht habe, Alley«, sagte ihr Großvater nach kurzem Schweigen. »Du hattest Spaß in Mackenzie. Ich glaube, ich bringe es nicht fertig, das Cassius zu erzählen. Ich will ihm nicht das Herz brechen.«

»Ich habe doch nicht gesagt, es sei einfach gewesen, Grandpa!«, protestierte Alicia. »Einfach war das wirklich nicht! Das war sogar das Schwerste, was ich bislang jemals durchgemacht habe. Aber es hat irgendwie dennoch Spaß gemacht! Ich habe viel über mich selbst gelernt, und, wie du gesagt hast, habe ich als zweitbester Teilnehmer meiner ganzen Brigade abgeschlossen.« Sie grinste. »Das hier habe ich mir wirklich auf die harte Tour verdient.« Sie tippte sich gegen den PFC-Winkel am Ärmel. »Ich habe nicht nur das Ausbildungslager im August überlebt, ich habe dabei auch noch richtig austeilen dürfen!«

»Ich verstehe.« Der alte Soldat zuckte mit den Schultern. »Naja, genau das will ein Sergeant Major ja von jeder Larve hören, auch wenn das natürlich schon gewissen Zweifel daran aufkommen lässt, wie fest besagte Larve eigentlich mit beiden Beinen auf dem steht, was der Rest von uns gerne den Boden der Tatsachen nennt. Und ich bin wirklich stolz auf dich. Aber lauf jetzt bloß nicht herum und erzähle, dass du das Ausbildungslager genossen hast! Dem Corps fehlt es sowieso schon reichlich an Leuten, also können wir es uns wirklich nicht leisten, all die erfahrenen Unteroffiziere zu ersetzen, die auf der Stelle tot umfallen würden, wenn sie das hörten!«

»Ja, Grandpa«, versprach sie mit ernster Miene, und wieder musste der alte Sergeant Major durchaus zufrieden lächeln.

»Wie geht’s deinen Eltern?«, erkundigte er sich dann. »Und wie ist es mit Clarissa?«

»Allen geht’s gut, und sie lassen herzlich grüßen!«

»Sogar dein Dad?«, fragte O’Shaughnessy nach, und sein Lächeln wirkte nur noch halbwegs spöttisch. »Hat er mir endlich vergeben, dass ich dich ›ermutigt‹ habe?«

»Sei nicht albern, Grandpa.« Liebevoll schüttelte sie den Kopf. »So schrecklich wütend war er sowieso nicht auf dich, und das weißt du ganz genau. Er liebt dich von ganzem Herzen. Und nachdem er sich erst einmal wieder beruhigt hatte, da hat er auch selbst zugegeben, dass es überhaupt nicht an dir gelegen hat. Und außerdem hast du ja auch dafür gesorgt, dass ich vorher noch das College abschließe.«

»Irgendwie …«, dachte O’Shaughnessy laut, »hat er wohl wirklich nicht damit gerechnet, dass du das gesamte Fünf-Jahres-Studium in nur dreieinhalb Jahren durchhechelst. Ich schätze, er ist davon ausgegangen, dass du ein bisschen zur Ruhe kommen würdest, wenn du erst einmal die High School hinter dir hast.«

»Nein«, widersprach sie. »Er hat damit gerechnet, dass sich, sobald ich erst einmal meinen Abschluss in der Tasche habe, endlich meine Ujvári-Gene zu Wort melden, so wie das bei Clarissa ja schon passiert ist, und dann würde ich das mit den Marines einfach vergessen und mir etwas anderes aussuchen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber da hat er falschgelegen. Mutter hat tatsächlich von Anfang an gewusst, dass er sich da täuscht. Und genau das hat sie ihm auch gesagt, nachdem ich erklärt hatte, dass ich mich eben nicht umentscheiden würde.«

»Das passt«, warf O’Shaughnessy mit einem schiefen Grinsen ein. »Deine Mutter ist ihrer Mutter wirklich erstaunlich ähnlich. Also rechnest du nicht damit, dass dein Dad mich erschießt, wenn er mich das nächste Mal sieht – bloß weil ich ihm damals diesen ›Kompromiss‹ vorgeschlagen habe?«

»Natürlich nicht! Das würde er nicht einmal dann tun, wenn er kein Ujvári wäre. Ich habe das Stipendium angenommen und meinen Abschluss gemacht, und damit ist mein Teil der Abmachung erfüllt. Also hat er, ohne mit der Wimper zu zucken, diese Erklärung für Eltern minderjähriger Rekruten unterschrieben. Er war wirklich ganz ruhig. Ist schon ganz schön zäh, mein Dad.«

»Damit«, sagte ihr Großvater, und sowohl sein Gesichtsausdruck als auch sein Tonfall wirkten mit einem Mal sehr viel ernsthafter, »hast du wirklich Recht. Ich mag ihn ja manchmal aufziehen, weil er ein Ujvári ist, aber ich habe schon immer gewusst, dass ihn genau das eben davon abhält, wirklich zu verstehen, was mich – und jetzt auch dich – in eine Militärlaufbahn treibt. Und dazu kommt, dass er durch seine Tätigkeit für das Ministerium genau mitbekommt, was für miese Jobs dem Corps manchmal zufallen, und er weiß auch, wie übel es uns erwischen kann, wenn es richtig schlecht läuft.« Sebastian schüttelte den Kopf. »Es ist wohl für keinen Vater einfach mitanzusehen, wie das eigene Kind sich für so etwas wie das Corps entscheidet, und genau zu wissen, dass es verletzt werden, in Gefangenschaft geraten oder sogar fallen könnte. Vor allem nicht, wenn das Kind erst siebzehn Jahre alt ist. Und ganz besonders nicht, wenn man sein Kind so liebt, wie deine Eltern das nun einmal tun.«

»Ich weiß«, pflichtete Alicia ihm leise bei. Kurz wandte sie den Blick ab, dann schaute sie den alten Sergeant Major wieder an. »Ich weiß«, wiederholte sie. »Und das hätte mich vielleicht wirklich beinahe dazu gebracht, mich doch noch umzuentscheiden. Ich weiß ja ganz genau, wie sehr er sich um mich Sorgen machen wird – und Mom auch, ob sie das nun zugibt oder nicht. Aber ich konnte nicht einfach aufgeben, Grandpa. Ich habe es nicht gekonnt! Und …« – nun strahlten ihre Augen wieder – »Mackenzie war einfach klasse!«

»Ich muss mir wirklich dein Psychoprofil noch einmal ansehen«, gab er trocken zurück. »Aber mittlerweile werden die dich doch wohl schon zu deinem ersten Standort abkommandiert haben, oder nicht?«

»Als Belohnung für mein gutes Abschneiden durfte ich einen Einsatzvorschlag für meinen ersten Dienstzeit-Turnus einreichen«, erwiderte Alicia. »Und der wurde auch berücksichtigt. Also, die eigentliche Einheit durfte ich mir natürlich nicht aussuchen.«

»Ich bin recht vertraut damit, wie so etwas läuft, Alley«, fiel er ihr nüchtern ins Wort, und sie lachte kurz.

»Klar. Entschuldige. Aber um deine eigentliche Frage zu beantworten: Ich bin schon auf dem Weg zum Aufklärerbataillon des Ersten 5l7te.«

»›Aufklärerbataillon‹?« O’Shaughnessy legte die Stirn in Falten und zupfte sich nachdenklich am rechten Ohrläppchen. Marines bei den Aufklärern galten selbst unter ihren Kameraden als die Elite des Corps. Normalerweise wurde ein Marine für die Aufklärerverbände nicht einmal in Erwägung gezogen, bevor er zumindest einen deutlich prosaischeren Einsatz hinter sich gebracht hatte. Selbst die Jahrgangsbesten von Mackenzie mussten sich eigentlich immer in einem banaleren Einsatz bewähren, ehe sie zu den Aufklärern versetzt werden konnten.

»Sergeant Major Hill hatte mir schon gesagt, dass das wahrscheinlich nicht klappen würde«, sprach Alicia weiter. »Aber ich hab mir gedacht: Ich kann ja trotzdem einfach mal sagen, was mir am liebsten wäre. Schlimmstenfalls bekomme ich ein Nein zur Antwort.«

»Ich bin überrascht, dass es nicht auch so gekommen ist«, gestand O’Shaughnessy, doch dann ging ihm ein Verdacht durch den Kopf. So rasch, wie dieser Anflug gekommen war, versuchte er ihn auch schon wieder zu verdrängen. Schließlich war diese ganze Vorstellung einfach ungeheuerlich … oder nicht? Natürlich! Niemand würde derart früh auf diese Idee kommen! Nicht einmal bei seiner Alley!

»Also, lass mich mal nachdenken …«, sagte er dann. »Ich weiß, dass Brigadier Erickson die 5l7te leitet, aber wer hat das Kommando über das Erste Regiment?«

»Es gibt also doch irgendetwas im Corps, was du nicht weißt?« Alicias grüne Augen funkelten, und ihr Großvater schnitt eine Grimasse.

»Auch mir kann schon das eine oder andere Detail entgehen, Kleine«, gab er zurück.

»Mach dir keine Sorgen, Grandpa, ich werd’s nicht weitererzählen«, beruhigte sie ihn. »Und ich weiß auch nicht, wem das Regiment gerade untersteht. Aber laut meinem Marschbefehl werden die Aufklärer von einer Major Palacios geleitet. Kennst du sie?«

»Palacios, Palacios …«, murmelte O’Shaughnessy. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich ihr jemals persönlich begegnet bin. Es gibt im ganzen Corps vielleicht ein halbes Dutzend Offiziere, die ich nicht kenne. Typisch, dass du gerade an so jemand gerätst.«

»Ist vielleicht sogar ganz gut so, wenn ich’s mir recht überlege«, sagte sie. »Du weißt, dass ich dich liebe, Grandpa, aber dein Schatten kann wirklich recht erdrückend sein.«

»Ja, klar!« Er verdrehte die Augen, und seine Enkelin lachte leise. »So, und nachdem du jetzt mein armes, empfindliches Ego ein wenig aufgepäppelt hast …«, fuhr er dann fort. »Wann sollst du dich denn auf Martinsen melden?«

»Martinsen?« Erstaunt und verwirrt blickte Alicia ihn an.

»Die 5l7te ist doch im Martinsen-System stationiert, oder nicht?«, vergewisserte sich O’Shaughnessy, und seine Enkelin zuckte mit den Schultern.

»Das kann natürlich sein, dass die Brigade da ihr Hauptquartier hat, Grandpa, aber da schicken die mich nicht hin. In meinem Marschbefehl heißt es, ich komme nach Gyangtse.«

»Ach?« Glücklicherweise hatte Sebastian O’Shaughnessy viel Erfahrung darin, mit Mimik und Tonfall immer nur genau das auszudrücken, was er auch ausgedrückt wissen wollte. Aber selbst das half ihm nicht gegen den eisigen Schauer, der ihm gerade den Rücken herunterlief.

»Ich wusste gar nicht, dass das Erste nach Gyangtse verlegt wurde«, sprach er kurz darauf weiter und achtete sorgsam darauf, dass seine Stimme lediglich nachdenklich klang. »Aber laut allen Geheimdienst-Berichten, die ich bislang gesehen habe, sieht es ganz danach aus, als könne es da draußen recht bald ›interessant‹ werden, Alley. Tu mir den Gefallen und denk immer an das, was man dir in Mackenzie beigebracht hat, und nicht an die ganzen schlechten Holos, die du ständig schaust.«

Alicia DeVries blickte ihren Großvater an, und ihr Gesicht war ebenso ruhig wie seines. Aber sie war sich recht sicher, dass hier keiner dem anderen etwas vormachen konnte. Offensichtlich wusste er über das Gyangtse-System etwas, das ihn alles andere als fröhlich stimmte. Alicia war schon versucht, ihn zu fragen, was das wohl sei, doch es gelang ihr, dieser Versuchung nicht zu erliegen. Es war schon schlimm genug, überhaupt die Enkelin von Sebastian O’Shaughnessy zu sein, da brauchte sie sich nicht auch noch anzugewöhnen, diese Beziehung auszunutzen. Nicht, dass ihr Großvater das überhaupt zugelassen hätte. Als sie so darüber nachdachte, wurde ihr auch klar, dass sie von Glück würde reden können, wenn er ihr beim ersten Versuch, genau das zu tun, nicht den Kopf abriss.

»Ich werde mich bemühen, Grandpa«, versprach sie ihm, und so blickte er ihr einen Moment lang nur schweigend in die Augen. Schließlich nickte er, offensichtlich zufrieden mit dem, was er dort gesehen hatte.

»Gut! Und …« – mit diesem Wort stemmte er sich von der Kante seines Schreibtischs auf – »da du ja nur auf der Durchreise bist und dich hier nicht etwa zum Dienst melden musst, kann ein Unteroffizier mit meiner überwältigenden Diensterfahrung es sich auch erlauben, sich hier in aller Öffentlichkeit mit einer kleinen PFC blicken zu lassen, ohne damit gleich die gesamte militärische Disziplin und die Weisungskette zu unterlaufen. Also, ich dachte, wir könnten vielleicht für eine oder zwei Stunden die Kaserne verlassen. Es gibt hier in der Nähe ein gutes Thai-Restaurant, und ich finde, das solltest du unbedingt mal ausprobiert haben …«

Kapitel 2

»Sie sind also die neue Leiche auf Urlaub, ja?«

Alicia bemerkte, dass es Sergeant Major Winfield gerade noch gelang, sich die Hochstimmung nicht anmerken zu lassen, die er angesichts ihres Eintreffens empfunden haben musste. Er lehnte sich in seinem bequemen Sessel zurück und blickte sie über seinen Schreibtisch hinweg an. Sie befanden sich in der Exerzierhalle, die die Planetarmiliz von Gyangtse dem Kommandostab des Aufklärerbataillons vom Ersten der 517ten zur Verfügung gestellt hatte. Nun schüttelte der Unteroffizier den Kopf in einer Geste, die weltallweite Müdigkeit verriet. Alicia wusste nicht genau, ob dies eine rhetorische Frage sein sollte. Unter den gegebenen Umständen war es wohl besser, davon auszugehen, dem sei nicht so.

»Jawohl, Sergeant Major«, erwiderte sie.

»Und frisch von Mackenzie.« Er seufzte, sein Kopfschütteln wurde noch heftiger. »Neunzehn erfahrene Ersatzleute haben wir angefordert, und was bekommen wir? … Sie. Sie sind doch alleine gekommen, oder nicht, Private?«

»Jawohl, Sergeant Major«, wiederholte Alicia.

»Naja, dann müssen wir wenigstens nicht noch mehr von ihrer Sorte zeigen, wie der Hase läuft«, erklärte Winfield mit der Mimik eines Mannes, der sich nach Kräften mühte, auf Gedeih und Verderb an allem noch irgendetwas Gutes zu finden. Dieses Mal schwieg Alicia. In Paradehaltung stand sie vor seinem Schreibtisch, die Hände vorschriftsmäßig hinter dem Rücken verschränkt. Irgendwie lief diese erste Dienstbesprechung nach ihrer Ankunft nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt und erhofft hatte.

Einige Sekunden lang blickte Winfield sie nur an, dann richtete er sich in seinem Stuhl wieder auf.

»Ich nehme an, Sie haben auf dem Weg zu meinem Büro Sergeant Hirshfield bemerkt?«

»Jawohl, Sergeant Major.«

»Gut. Dann …« – Winfield hob die rechte Hand und machte damit eine Bewegung in Richtung seiner Bürotür, als wolle er ein lästiges Insekt verscheuchen – »machen Sie sich vom Acker und erklären Sie ihm, dass Sie Lieutenant Kuramochis Zug zugeordnet sind.«

»Jawohl, Sergeant Major.«

»Wegtreten, Private DeVries.«

»Jawohl, Sergeant Major!«

Alicia nahm wieder Haltung an, salutierte schneidig und wartete auf Winfields Erwiderung – die deutlich weniger schneidig ausfiel –, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte aus seinem Büro hinaus. Während sie hinter sich die Tür schloss, fragte sie sich, ob sie in Winfields Gegenwart wohl jemals mehr als drei Worte am Stück würde sprechen dürfen.

Staff Sergeant Hirshfield blickte mit einem matten Lächeln zu dem Neuzugang auf, als Winfields Tür sich mit einem fast lautlosen Klicken schloss. Der Staff Sergeant wirkte sehr drahtig, sein schwarzes Haar verdeckte fast das NeuroLink-Headset.

»Willkommen beim Bataillon, DeVries«, sagte er. »Hat der Sergeant Major Sie ordnungsgemäß begrüßt, wie es sich für die Aufklärerverbände gehört?«

»Ich glaube, der Sergeant Major war von meinem Eintreffen … alles andere als begeistert, Sergeant«, gab Alicia vorsichtig zurück.

»Sergeant Major Winfield ist von Neuzugängen nie ›begeistert‹«, erklärte Hirshfield augenzwinkernd. »Aber vergessen Sie nicht: Er ist in Wirklichkeit tatsächlich fast so griesgrämig, wie er uns alle glauben machen will. Deswegen hat er ja auch mich. Ich bin der freundliche Sonnenstrahl, der all denjenigen wieder den Tag versüßt, denen der Sergeant Major ihn voll und ganz verhagelt hat.«

»Mir wurde deutlich gemacht«, sprach Alicia nun weiter, ermutigt von Hirshfields Lächeln, »dass er auf jemanden mit mehr Erfahrung gehofft hatte.«

»Das tut er immer.« Hirshfield zuckte mit den Schultern. »Das ist nicht persönlich gemeint, DeVries, aber Frischlinge werden so gut wie nie in die Aufklärung geschickt. Ganz zu schweigen davon, dass wir hier ständig unterbesetzt sind. Und jetzt, wo das Referendum kurz bevorsteht, heizt sich die Lage hier auf Gyangtse noch zusätzlich auf, deshalb spüren wir das im Augenblick sogar noch deutlicher als sonst. Also: Selbst wenn er Ihnen ganz schön zusetzt, bin ich mir doch sicher, dass er in Wirklichkeit froh ist, Sie hier zu wissen. Schließlich ist selbst eine frischgebackene Larve aus Mackenzie immer noch besser als gar nichts«, setzte er dann noch hinzu – womit er die beruhigende Art, mit der er Alicia empfangen hatte, doch ein wenig konterkarierte.

»Ich danke Ihnen, Sergeant«, sagte sie. »Ach ja, er hat mir gesagt, ich solle Ihnen mitteilen, ich sei Lieutenant Kuramochis Zug zugeordnet.«

»Hab ich mir schon gedacht.« Hirshfield nickte. »Der Lieutenant fehlen satte neun Leute. Ich schätze, Sie werden in den Dritten Trupp kommen – das ist der Trupp von Sergeant Metternich. Bei dem sieht es im Augenblick am knappsten aus, und Metternich ist der dienstälteste Truppführer. Der kommt ziemlich gut damit zurecht, auch ein paar Babys dabeizuhaben. Nichts für ungut!«

»Schon gut«, erwiderte Alicia, aber so ganz ›gut‹ fühlte sie sich dabei dennoch nicht.

»Gut.« Nun blitzte in Hirshfields Augen etwas auf – Alicia erschien es regelrecht boshaft. Dann sprach er in das Mikrofon seines Headsets. »Zentrale hier. Metternich?« Er wartete nur einen winzigen Moment, dann sprach er schon weiter und lächelte dabei zu Alicia herüber. »Abe, ich habe einen deiner Neuzugänge hier. Willst du vorbeikommen und sie persönlich abholen, oder soll ich ihr einfach nur ’ne Karte geben?«

Einen Augenblick lang lauschte er, dann lachte er in sich hinein.

»Also gut, ich sag’s ihr. Over and Out.

Sergeant Metternich schickt jemanden, der Sie abholen wird«, erklärte er Alicia und deutete auf die einfachen, aber funktionellen Stühle, die an der Wand seinem Schreibtisch gegenüber aufgestellt waren. »Parken Sie Ihr Hinterteil da drauf, bis Ihre Eskorte kommt – wer auch immer das dann sein mag.«

»Jawohl, Sergeant«, antwortete Alicia gehorsam und parkte ihr Hinterteil auf einem besagter Stühle.

»’Lo, Sarge! Sie haben wen für mich?«

Alicia blickte auf, als ein recht kleiner und dabei fast untersetzter PFC den Kopf durch die Tür zu Hirshfields Büro steckte. Der Neuankömmling war sogar noch dunkelhäutiger als Hirshfield; er hatte breite Schultern und war immens muskulös. Sein schwarzes Haar stand ungebärdig in alle Richtungen.

»Medrano!«, strahlte Hirshfield. »Wenn das nicht mein Lieblings-Marine ist! Und ich habe tatsächlich jemanden für Sie. Gleich hier!«

Er streckte die Hand aus, und Medrano drehte den Kopf Alicia zu, ohne das Büro zu betreten. Einen Moment lang blickte er sie nur schweigend an, dann schaute er wieder zu Hirshfield hinüber.

»Na, vielen Dank aber auch«, entfuhr es ihm. »Haben Sie Abe schon gesagt, was Sie da für ihn haben?«

»Was denn? Soll ich ihm vielleicht die Überraschung verderben?« Fragend hob Hirshfield die Augenbrauen.

»Hab ich mir schon gedacht«, murmelte Medrano und schüttelte den Kopf. Dann blickte er kurz zu Alicia hinüber und deutete mit dem Daumen über die Schulter hinweg den Gang entlang. »Dann komm, Larve.«

Sein Kopf verschwand aus dem Türspalt, und schon marschierte der Soldat wieder den Korridor hinab, durch den er gekommen war. Er blickte sich nicht einmal um, überprüfte nicht, ob Alicia ihm wirklich folgte. Was sie natürlich tat, wenngleich nicht gerade voller Vorfreude. Bislang, so ging es ihr durch den Kopf, während Medrano sie mit forschen Schritten aus dem Bürogebäude führte, ist gar nichts an diesem Tag so gelaufen, wie ich das gehofft hatte.

»Wo hast du denn deine Ausrüstung, Larve?«, fragte Medrano schließlich, ohne dem Neuzugang das Gesicht zuzuwenden.

»Wird für mich am Landeplatz aufbewahrt«, erwiderte sie sofort.

»Dann sollten wir wohl mal rüberstapfen und das Zeug abholen«, brummelte er, dann bog er nach links ab und marschierte eine der Rampen hinab.

Schon bald zeigte sich, dass er mit dem Gelände wirklich gut vertraut war. Alicia hatte sich an der Karte orientiert, die ihr der Sergeant am Landeplatz auf ihren PersoKom übertragen hatte, um überhaupt ihren Weg vom Raumhafen von Zhikotse, der Hauptstadt von Gyangtse, zu den Büroräumen von Sergeant Major Winfield in der Kaserne der Planetarmiliz zu finden, die das Bataillon übernommen hatte. Der Weg, den Medrano nun einschlug, um wieder zu den Landebahnen und Landeplätzen der Shuttles zurückzukommen, war deutlich verschlungener und komplizierter; immer wieder bog der Private First Class in verwinkelte Seitengassen ein, statt sich an die neueren, breiten Hauptverkehrsadern zu halten. Doch der Weg war auch deutlich kürzer, und so erreichten sie den kleinen Raumhafen der Hauptstadt in lediglich etwas mehr als der Hälfte der Zeit, die Alicia gebraucht hatte, um vom Raumhafen zu Winfields Büro zu kommen.

»Na such!«, sagte Medrano schließlich halblaut, als wolle er einen Hund das Apportieren lehren; dann ließ er sich lässig in einen der Sessel fallen, die vor der Gepäckabfertigung aufgestellt waren. Er deutete auf den einzigen besetzten Schalter, dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und schlug die Beine übereinander.

Alicia blickte zu ihm hinüber, dann durchquerte sie die Halle, bis sie den Schalter erreicht hatte. Hinter der Scheibe stand ein Zivilist. Auf den meisten Planeten wurde die Gepäckabfertigung mittlerweile von KIs übernommen, oder zumindest von einem selbständigen Computersystem. Aber Alicia hatte bereits bemerkt, dass die Welt Gyangtse wirklich auffallend arm war, zumindest im Vergleich zum generell recht wohlhabenden Imperium.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte der kleine, drahtige Zivilist sie freundlich. (Es war Alicia nicht entgangen, dass eigentlich alle Einheimischen hier klein und drahtig waren.)

»Ich muss meine Ausrüstung abholen«, erklärte sie und schob ihren elektronischen Gepäckaufbewahrungsschein über den Tresen zu ihm hinüber. »Ich bin an Bord der Telford Williams gekommen.«

»Ach, tatsächlich?«

Der Gyangtsese grinste sie an, und Alicia bemerkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss – zumindest ein wenig. Natürlich wusste er, dass sie mit der Williams gekommen war. Dieser Transporter war zweifellos das einzige Schiff, das in den letzten Tagen den Orbit von Gyangtse erreicht hatte. Aber obwohl der Mann unverkennbar belustigt war, ging er doch nicht weiter darauf ein, sondern nahm nur den Schein entgegen und schob ihn in sein Terminal.

»DeVries, Alicia D., richtig?«, fragte er nach, als die Daten auf seinem Display erschienen.

»Genau«, bestätigte sie.

»Okay.« Er gab irgendetwas auf einem Tastenfeld ein, dann nickte er. »Fach elf«, erklärte er und deutete auf die Gepäckfächer, die eine ganze Wand bedeckten. »Kommt in wenigen Minuten.«

»Danke sehr«, sagte sie, und wieder nickte er ihr zu.

»Gern geschehen«, entgegnete er. »Ach ja, und natürlich willkommen auf Gyangtse.«

»Danke.« Alicia erwiderte das Nicken, dann ging sie zu dem Gepäckfach hinüber, das man ihr angewiesen hatte.

Die Ausrüstung traf fast so rasch ein, wie der Raumhafenmitarbeiter ihr das versprochen hatte. Alicia zog ihre Waffentransportkiste hervor und überprüfte sämtliche Anzeigen der Sicherungssysteme, um sich zu vergewissern, dass sich wirklich niemand daran zu schaffen gemacht hatte. Danach zerrte sie die beiden Seesäcke hervor, die ebenfalls zu ihrem Gepäck gehörten, und untersuchte sie genauso sorgfältig. Anschließend stapelte sie die beiden Säcke auf die Waffenkiste, befestigte sie mit einem Haltenetz und aktivierte dann die KontraGrav-Einheit der Kiste. Gehorsam hob das Gerät lautlos vom Boden ab, und Alicia versetzte dem Gepäck einen vorsichtigen Stoß, um zu überprüfen, ob das Gewicht auch wirklich gleichmäßig verteilt war. Kurz schwankte der Gepäckstapel hin und her, doch dann pendelte er sich auch wieder ein. Zufrieden nickte Alicia.

Sie aktivierte die Traktor-Leine, koppelte die Waffenkiste mit dem kleinen Steuergerät an ihrem Gürtel und wandte sich wieder Medrano zu. Gehorsam folgte ihr die Waffenkiste mit den beiden Seesäcken; genau nach Vorschrift hielt sie exakt anderthalb Meter Sicherheitsabstand.

»Ist das alles?«, fragte der ältere Private nach und erhob sich.

»Alles«, bestätigte Alicia. Skeptisch beäugte der Mann den Gepäckstapel, doch er schien keinerlei Kritikpunkte finden zu können.

»Dann holen wir uns jetzt ein Gefährt«, erklärte er schließlich, und Alicia folgte ihm aus der Wartehalle des Raumhafens heraus.