Die Legende von Greg 2: Das mega-gigantische Superchaos - Chris Rylander - E-Book

Die Legende von Greg 2: Das mega-gigantische Superchaos E-Book

Chris Rylander

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Beschreibung

Der Kampf gegen die Monster geht weiter! Es ist bewiesen: Die Kraft der Magie, die Jahrtausende tief unter die Erde verbannt war, hat einen Weg zurück in die Welt gefunden! Nun bekommt die Zivilisation Risse, Strom und Satellitennetze fallen aus. Aber noch viel schlimmer ist, dass alle möglichen Monster und magische Wesen wieder zum Leben erwachen. Greg und seine neuen Freunde aus der Zwergenwelt helfen dabei, die ahnungslosen Menschen vor ihnen zu schützen – leichter gesagt als getan. Und auch Gregs Streit mit seinem Freund Edwin, der ja auf der Seite der Elfen steht, ist noch nicht beigelegt. Dieser hat einen ganz anderen Plan als Greg, wie die Welt zu retten ist ... Der zweite Band der wilden Fantasy-Serie – Percy-Jackson-Fans werden Greg lieben! Alle Bände der Serie:  Die Legende von Greg – Der krass katastrophale Anfangd er ganzen Sache Die Legende von Greg – Das mega-gigantische Superchaos Die Legende von Greg – Die absolut epische Turbo-Apokalypse

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Chris Rylander: Die Legende von Greg - Das mega gigantische Superchaos

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

 

Der Kampf gegen die Monster geht weiter!

Es ist bewiesen: Die Kraft der Magie, die Jahrtausende tief unter die Erde verbannt war, hat einen Weg zurück in die Welt gefunden! Nun bekommt die Zivilisation Risse, Strom und Satellitennetze fallen aus. Aber noch viel schlimmer ist, dass alle möglichen Monster und magische Wesen wieder zum Leben erwachen. Greg und seine zwergischen Freunde helfen dabei, die ahnungslosen Menschen vor ihnen zu schützen – leichter gesagt als getan. Und auch Gregs Konflikt mit seinem Freund Edwin, der ja auf der Seite der Elfen steht, ist noch nicht beigelegt. Muss er ihm wirklich die Freundschaft kündigen?

Wohin soll es gehen?

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Inhalt

CoverChris Rylander: Die Legende von Greg - Das mega gigantische SuperchaosWohin soll es gehen?Widmung1 Ein Junge und seine sprechende Axt brauchen unbedingt eine Runde Pizza2 Wie ich einmal aus Versehen meine Hose in Flammen aufgehen ließ3 Glam-Smash!4 Der einzige Ort, wo ihr in einem nassen Hirschkilt ignoriert werdet5 Warum ihr immer eine Trompete mit nach Python County nehmen solltet6 Mal wieder wird ein fantastisches Geheimnis durch einen mystischen Gegenstand mit blödem Namen erklärt7 Wir schlagen mit Knochen Schädel durch die Gegend, einfach so zum Spaß8 Boz Hellfinger isst vierundsiebzig Biskuitrollen9 Wir werden fast zu einer eleganten Vorspeise10 Glam kümmert sich um unerledigte Geschäfte11 Wir lernen, dass wir vom Kackesammeln alle reich werden könnten12 Ich lerne die subtile Kunst des Namedroppings13 Feenflügel sind eine köstliche Zwischenmahlzeit14 Ari macht mir klar, dass es fast so schlimm ist, Fleisch essen zu müssen, wie die Eltern deines Freundes umzubringen15 Stoney, der Meisterlinguist16 Und wieder gilt: Zwerg bleibt Zwerg17 Ich stopf mir eine Handvoll Kacke in die Tasche18 Natürlich sind die besten Teile des Truthahns ganz unten19 Grootock Schüttelschnalles Lehren über Objektimpermanenz20 Bemooste Baumstämme, Verkehrsstaus und ein namenloser Outlaw21 Yoley springt kopfüber in einen Steinhaufen22 Jazzlegenden und frittierte Alligatoren-Innereien23 Ich entdecke meine wahre Sprache, nämlich ζϕλξφιδϑψω 24 Das normalste Team von Gespensterjägern, das es je gab25 Meine Streitaxt taugt auch als Therapeut26 Ein alter Freund bezeichnet mich als Kakerlake27 Al Capone und ich haben noch eine Gemeinsamkeit28 Ach, wäre das hier doch bloß ein typischer Superheldenfilm!29 Wie man einen Zwerg noch schlimmer stinken lässt30 Ich werde wie ein Hund Gassi geführt (allerdings ohne Leine)31 Berühr nie eine Kiwi, wenn du nicht bereit bist, den Regenbogen zu kosten32 Ich sage einer Elfe, dass ich ein Schleckstiel-Typ bin33 Ich esse den Wachtelvorrat34 Dads magische Utopie rückt in noch weitere Ferne35 Während der Apokalypse ist hoffentlich immer noch Zeit für Radtouren und Brettspiele36 Wenn ein Zwerg die Stimme des Optimismus verkörpert, dann ist die Lage echt mies37 Greggdroule Sturmbauch, Herr der Blitze38 Ein alter Freund geht zum Ork-Bowling39 Endlich ist Carl in seinem Element40 Ausnahmsweise ist Gier mal eine Zier (gewissermaßen)41 Es ist irgendwie peinlich, eine Freundin zu bitten, dir beim Ertränken eines anderen Freundes zu helfen42 Ein Junge nimmt Abschied von seiner magischen sprechenden Axt43 Diesmal gibt es keine Enten in Wanderstiefeln44 Immer schön die Flagge buttern45 Ein überraschender Held tritt auf, und ich bin es nichtChris RylanderGabriele HaefsImpressum

 

Für alle, die je das Gefühl hatten, sie seien verflucht

1

Ein Junge und seine sprechende Axt brauchen unbedingt eine Runde Pizza

Wenn ich euch sagte, dass es ein Donnerstag war, als ich meine eigene Hose anzündete, während ich von einem Wasserspeier mit scheußlicher Frisur gejagt wurde, würde euch das vermutlich nicht weiter überraschen.

Denn ihr wisst inzwischen bestimmt, dass alle Zwerge mit einem Donnerstagsfluch geboren werden. Aber in letzter Zeit hat sich die Lage dermaßen verschlechtert, dass niemand auch nur mit der Wimper zucken würde, wenn unsere Hosen auch an jedem anderen Wochentag in Flammen aufgingen.

Das alles begann mit der Rückkehr von Galdervatn.

Oder jedenfalls so irgendwie. Ich meine, damit hat es zwar angefangen, aber wir wussten zuerst nicht, dass Galdervatn nur sozusagen zurückkehrte. Denn der Beginn eines neuen Magischen Zeitalters sah nicht ganz so aus, wie ich gedacht hatte, als ich einige Monate zuvor auf der Navy Pier stand und sah, wie in der Stadt alle Lichter ausgingen – unmittelbar nachdem ich meinen ehemaligen besten Freund Edwin besiegt hatte.

Im Moment möchtet ihr sicher wissen, wie in aller Welt ich es geschafft hatte, meine Hose in Flammen aufgehen zu lassen und von einem wütenden Wasserspeier mit Vokuhila verfolgt zu werden. Ich könnte euch erzählen, dass ich ganz und gar unverschuldet in diese Notlage geraten war. Aber das wäre gelogen, und Zwerge lügen nicht.

Wir waren gerade in Evanston (einem Vorort im Norden von Chicago), auf unserer allerersten Monster-Friedens-Mission (MFM).

Den Richtlinien des Rates zufolge gibt es bei MFMs nur zwei schlichte Regeln:

1. Gewaltanwendung um jeden Preis vermeiden (lieber das Monster zum Freund machen als einen Kopf kürzer).

2. Kein Aufsehen erregen.

Ihr wisst jetzt schon, dass ich gegen Regel Nr. 2 verstoßen hatte. Denn ein pausbäckiger Junge, der mit lichterloh brennender Hose schreiend eine Straße entlangläuft, erregt zweifellos »Aufsehen«. Und dass der wütende Wasserspeier mir auf den Fersen war, bedeutete, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach bald auch gegen Regel Nr. 1 verstoßen würde.

Tatsache ist: Zu wissen, dass ihr ein Zwerg seid, hindert euch nicht unbedingt daran, aufs Zwergischste zu versagen. Aber dass unsere Mission dermaßen schiefgehen würde, hatten wir nun doch nicht erwartet.

Vielleicht sollte ich damit anfangen, wie wir an diesem Abend in Evanston eintrafen. Das könnte zumindest erklären, wie ich in diesen Schlamassel hineingeraten war, und das wäre nicht so schlecht, oder? Vielleicht würdet ihr dann zu dem Schluss kommen, dass wir unser Bestes getan hatten, und dass der Verstoß gegen die einzigen beiden MFM-Regeln kaum zu vermeiden gewesen war.

Aber zuerst sollte ich wohl erklären, warum überhaupt solche Monster-Friedens-Missionen angesetzt worden waren.

Die kurze Version geht so: Galdervatn (oder, für die Uneingeweihten: uralte Magie aus Ur-Erde) ist unaufhaltsam dabei, in die Welt zurückzukehren. Es sieht aus wie eine Art farbiger Dampf, und während mehr und mehr davon langsam aus dem Erdkern zurück an die Oberfläche sickert, registrieren wir eine Vermehrung der Monstersichtungen in aller Welt. Außerdem wird immer öfter über unvorhergesehene Stromausfälle und Ähnliches berichtet: Mobiltelefone geben ihren Geist auf und lassen sich nicht wieder zum Leben erwecken, E-Autos, Baugeräte und Küchenapparaturen versagen und unter den Menschen herrscht Verwirrung und Chaos.

Die Lösung des Rates sind MFMs (bis auf Weiteres).

Mögliche Monstersichtungen werden überprüft und dann wird ein Spezialteam aus trainierten Zwergen ausgesandt, um die Bedrohung für die Menschen zu neutralisieren – entweder, indem sie sich die Kreatur zum Freund machen und sie mit in den Untergrund nehmen, oder, wenn es sein muss, indem sie sie vernichten. Aber neuerdings werden so viele »seltsame Sichtungen« gemeldet, dass der Rat zur Verstärkung auch eine Gruppe von minderjährigen Zwergen aufstellen musste. Lake, Eagan, Ari, Glam, Froggy und ich hatten unser Training fast hinter uns und besaßen zudem praktische Erfahrung, nachdem wir ein Elfenversteck infiltriert und meinen Dad befreit hatten. Wir waren also die ersten kleinen Glückszwerge, die für eine Mission abkommandiert wurden.

Und so saßen wir an jenem Abend in einem Pendlerzug in Richtung Evanston, wo mehrere Menschen Stromausfälle und seltsame Flugobjekte gemeldet hatten.

»Es ist so still«, hatte Ari gesagt, als wir gegen Mitternacht die Treppe vom Bahnhof hinabstiegen.

»Um diese Zeit sind Vororte meistens still«, sagte ich und vergaß mal wieder, dass die anderen nicht die meiste Zeit ihres Lebens unter Menschen in der modernen Welt verbracht hatten.

»Wo soll denn dieses Dings gesehen worden sein?«, fragte Glam, und ihr zarter Schnurrbart sträubte sich vor Spannung, während sie unter einer Straßenlaterne ihren kräftigen Bizeps spielen ließ. »Ich werde es bis zur Unkenntlichkeit zertrümmern … was immer es ist!«

»Glam!«, sagte Ari. »Wir müssen zuerst versuchen, es uns zum Freund zu machen. Regel Nr. 1, weißt du noch? Außerdem ist ein Kampf gegen Monster in einem Vorort eindeutig auch nicht im Sinne von Regel Nr. 2.«

Wir blieben vor der Treppe unterhalb des Bahnsteigs stehen. Unsere Waffen (die natürlich nur für den Notfall bestimmt waren) hatten wir in zwei große Hockeytaschen gepackt, die Glam und Lake sich über die Schultern geworfen hatten (überraschenderweise hatten die Taschen die perfekte Größe für Kriegsäxte, Schwerter und andere zwergische Kampfgeräte).

Glam stellte ihre Tasche hin und hob frustriert die Hände.

»Wen interessiert es denn, ob Menschen sehen, wie wir gegen ein Monster kämpfen?«, fragte sie. »Die werden die Wahrheit ja doch irgendwann erfahren. Viele von ihnen wissen vermutlich sowieso schon, dass etwas Komisches vor sich geht. Warum geben wir uns solche Mühe, es ihnen zu verheimlichen?«

»Weil der Rat gesagt hat, dass die Zeit noch nicht reif ist«, erklärte Eagan. »Stell dir vor, es tauchen plötzlich Leute auf, die jahrhundertelang im Untergrund gelebt haben, und erzählen der Welt, dass die ganzen Stromausfälle und seltsamen Ereignisse der letzten Zeit nichts mit Sonneneruptionen und Klimawandel und Regierungsverschwörungen zu tun haben, sondern mit der Rückkehr einer uralten, mythischen, vor langer Zeit verschollenen magischen Essenz – glaubst du wirklich, dass die ganzen sieben Milliarden Menschen auf der Welt dann einfach sagen: Ach so, ja, cool, klingt plausibel?«

»Pfft, sie werden es glauben müssen, wenn sie es sehen«, knurrte Glam.

»Sehr wohl, auf dass kundgetan werde, wie die Alten sungen, dass die Magie sich nahet«, fügte Lake hinzu.

»Hört auf, Leute, das ist doch Zeitverschwendung«, sagte Ari. »Der Rat hat beschlossen, kein Aufsehen zu erregen und die Menschen die Wahrheit nach und nach entdecken zu lassen. Das werden wir also tun. Und das bedeutet, hier wird gar nichts bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert, solange das nicht unbedingt nötig ist.«

»Na ja, von mir aus.« Glam gab sich endlich geschlagen. »Ihr wollt eben einfach keinen Spaß haben …«

Da bin ich ganz ihrer Meinung, pflichtete Aderlass aus der Hockeytasche zu ihren Füßen bei. Wir könnten uns doch mal richtig amüsieren, wo wir schon hier draußen sind! Dann können wir alle widerlegen, die behaupten, die Vororte seien langweilig. Wir können ein Monster zerhacken, irgendwelchen Kram zu Klump hauen, und dann haben wir immer noch genug Zeit für eine Runde Peperoni-Pizza satt!

»Nein, wir werden nichts und niemanden zerhacken«, sagte ich und schaute auf die Hockeytasche hinunter. »Ich hab dir das schon im Zug gesagt, als du mich überreden wolltest, den Schaffner in zwei Stücke zu hauen, nur um zu sehen, ob die METRA-Bahngesellschaft wirklich echte Menschen einstellt und keine Roboter.«

»Redest mal wieder mit deiner Axt, was?«, fragte Glam und feixte.

Ich verdrehte die Augen, grinste aber zurück.

»Leute, bleiben wir mal beim Thema«, sagte Ari. »Den Polizeiberichten zufolge wurde gleich nach Sonnenuntergang ein nicht identifizierbares graues Flugobjekt beobachtet. Es hat sich vor allem in der Nähe des Carlson Building in der Church Street aufgehalten. Was hier übrigens gleich um die Ecke ist.«

»So möge sich die Gefolgschaft spornstracks und schnurstreichs gen selbigen Ortes verfügen«, sagte Lake und wies dramatisch zum Himmel hoch.

Glam hob ihre mit Waffen vollgestopfte Hockeytasche hoch und wir folgten Lake die verlassene, stille Vorortstraße entlang ins Herz von Evanston.

Kaum waren wir einige Schritte gegangen, da fielen uns von einem in der Nähe stehenden Baum drei blutrünstige Eichhörnchen an.1

Ich wich einem von ihnen aus und Glam versetzte ihm schnell einen Tritt wie einem Fußball. Die anderen beiden Eichhörnchen kreischten entsetzt auf und traten eilig den Rückzug in den Baum an (bei dem es sich um einen Amur-Korkbaum handelte, falls euch das interessiert).

Das Eichhörnchen, das Glam weggekickt hatte, erholte sich schnell und flüchtete lautstark quiekend in einen Busch – wahrscheinlich ließ es eine Reihe von Eichhörnchen-Flüchen vom Stapel.

»Meine Güte, werden diese Tiere jemals wieder aufhören, uns anzugreifen?«, fragte ich. »Erst gestern hätte eine Taube mir fast das Ohr abgerissen.«

»Na, zu ihrer Verteidigung kann ich sagen, dass du wirklich hübsche Ohren hast«, kommentierte Glam.

Ich verdrehte die Augen und grinste. Glam versuchte mindestens drei- oder viermal pro Tag, mit mir zu flirten oder mir ein Kompliment über mein Aussehen zu machen. Aber ich glaubte mittlerweile, das war eher ein Dauerwitz als wirklich ernst gemeint – sie stürzte mich einfach gern in Verlegenheit (sie hatte sogar mal gesagt, wenn mir etwas peinlich wäre, wäre ich besonders süß).

»Die hören garantiert nicht auf, uns anzugreifen, wenn wir sie wie Fußbälle durch die Gegend treten«, sagte Ari und starrte Glam wütend an.

»Sollte ich mich vielleicht beißen lassen?«, fauchte Glam zurück. »Das Vieh hatte bestimmt Tollwut.«

Da Ari keine gute Antwort auf Lager hatte, seufzte sie nur.

Als eine der seltenen vegetarischen Zwerginnen (soweit wir wussten, war sie die einzige überhaupt) litt Ari ganz besonders unter dem andauernden Kampf zwischen Zwergen und Tieren. Ich war nicht sicher, was sie mehr verletzte: der unerklärliche Zwergenhass der Tiere oder die Tatsache, dass viele von uns sich auf immer aggressivere Weise verteidigen mussten. Nicht, dass es uns besonderen Spaß machte, die Angriffe abzuwehren – aber ihr wisst erst dann, was Angst ist, wenn ihr davon aufwacht, dass eine ganze Spinnenarmee versucht, durch eure Nasenlöcher in euren Kopf zu kriechen.

»Die Tatsache, dass das angebliche Monster flog, hilft uns einzugrenzen, was es sein könnte«, sagte Eagan, als wir uns von dem Eichhörnchenüberfall erholt hatten und weiter durch Evanston liefen.

In den Monaten seit Dads Befreiung aus dem geheimen Elfenbau in dem riesigen, bis dahin als Hancock-Haus bekannten Wolkenkratzer hatten wir nicht nur unser Magie- und Kampftraining fortgesetzt, sondern auch alle möglichen anderen Studien betrieben, unter anderem über Zwergengeschichte, Elfengeschichte und die vielen verschiedenen Monster und Kreaturen, die sich einst auf Ur-Erde herumgetrieben hatten und eines Tages durch Magie zurückkehren könnten (und davon gab es wirklich viele!). Die Unterrichtsstunden hatten meistens große Ähnlichkeit mit denen an meiner alten Schule, der PISS. Nur dass mir dort meine Lehrer in Kunst oder Mathe nicht dauernd erzählt hatten, dass mein Leben eines Tages davon abhängen würde, dass ich mir den Lehrsatz des Pythagoras oder die Namen der bedeutenden Künstler der Frührenaissance merken könnte.

Es hatte mich nicht überrascht, dass Eagan in den meisten Fächern der Klassenbeste war.

»Das grenzt es ein auf wie viele?«, fragte ich.

»Na ja …« Eagan überlegte und rechnete rasch im Kopf nach. »Es gibt mindestens hundertzwanzig fliegende magische Wesen, die in Ur-Erde existiert haben. Und das sind nur die, deren Existenz belegt ist, also könnten es wohl noch mehr sein …«

»Ja, das grenzt es gewaltig ein«, sagte Glam.

»Es ist ein Anfang«, sagte Eagan, aber er klang nicht gerade optimistisch, nicht mal für einen Zwerg.

»Na ja, wir wissen aber mehr, als dass es fliegt«, sagte Ari und bezog sich dabei auf die Mitschriften einiger Anrufe bei der Notrufzentrale2. »Den Zeugenaussagen nach ist es grau. Wie viele fliegende graue Monster haben unseres Wissens in Ur-Erde existiert?«

Wir drehten uns alle um und starrten Eagan erwartungsvoll an. Er hob die Hände.

»Leute, ich weiß es nicht!«, sagte er. »Ich bin doch kein wandelndes Monsterlexikon! Ihr habt alle denselben Unterricht in Monsterologie und Kreaturenklassifikation wie ich, oder etwa nicht? Ich weiß nicht immer alle Antworten.«

»Vermöchte es wohl gar eine Harpyie zu wesen?«, schlug Lake vor.

»Ja, Harpyien können fliegen«, sagte Ari zustimmend. »Und sie werden meistens als grau beschrieben.«

»Okay, was noch?«, fragte Eagan. »Wer kann sich an noch etwas erinnern?«

»Ich hoffe, es ist ein Langsuyar-Vampir!«, sagte Glam. »Die können angeblich die Gestalt von schönen Frauen annehmen, aber was heißt hier schon schön. Die haben ja nicht mal Haare im Gesicht. Pfft. Ich würde zu gern meine Faust als Rammbock nehmen und ihr ein Loch mitten durch ihren hässlichen Oberkörper schlagen!«

»Krass, Glam«, sagte Eagan. »Vergiss nicht Regel Nummer 1: Gewaltanwendung um jeden Preis vermeiden.«

»Ja, ja, ich weiß«, sagte Glam und verdrehte die Augen.

Es könnte ein Kristalliner Wyvern sein, meinte Aderlass (das sagte er natürlich nur mir, da ich als Einziger mit dem Segen/Fluch belegt war, ihn hören zu können). Oh! Ich hoffe, es ist einer! Ich lechze schon seit Äonen danach, noch einmal meine Klinge durch ihre angeblich unverletzliche, mit Diamanten besetzte Haut zu ziehen! Wenn das alles hier vorüber ist, zeige ich dir, wie man einen Mantel aus Wyvern-Leder herstellt. Die waren damals in Ur-Erde sehr beliebt, musst du wissen. Nur die ganz echten Promis hatten einen.

Ari und Lake dagegen hatten jeweils noch einen anderen Vorschlag: Vielleicht war es ein Greif oder eine Chimäre.

Als wir uns dem Stadtzentrum näherten, kamen wir an einem Obdachlosen vorbei, der in einem Durchgang hockte. Anscheinend hatte er ziemlich viel von unserem Gespräch aufgeschnappt, denn er sah uns an, als ob wir wandelnde, sprechende Toaster wären.

Der Ortskern von Evanston besteht vor allem aus modernen, anonymen Glasgebäuden, voneinander getrennt durch ein paar graue steinerne Überbleibsel aus dem frühen 20. Jahrhundert. In dieser Nacht war die Gegend verlassen, abgesehen von dem Obdachlosen und einigen Autos, die durch die fast leeren Straßen an uns vorüberfuhren.

Unsere Blicke suchten den Nachthimmel ab, der durch die leuchtenden Straßenlaternen in ein dunstiges Orange gefärbt wurde. Wir hielten Ausschau nach Anzeichen für Greifen, Chimären, Kristalline Wyverns, Langsuyar-Vampire, Harpyien oder irgendein anderes bisher nicht erwähntes Monster. Aber wir konnten nichts Ungewöhnliches entdecken.

Die erste Sichtung war vor knapp vier Stunden gemeldet worden. Danach waren bis nach Sonnenuntergang noch einige weitere eingetrudelt, das berichtete unsere Mitschrift von der Polizei von Evanston. Es gab keinen Grund zu der Annahme, das Monster sei plötzlich verschwunden. Es sei denn, es handelte sich um eines der wenigen fantastischen Ungeheuer, die »spontanes Verschwinden« zu ihren Superkräften zählten.

»Vielleicht war es eine Riesen-Dagslända?«, schlug Eagan vor, der offenbar ähnlich gedacht hatte wie ich. »Die Lebensdauer dieser Fliegen beträgt nur Stunden. Also ist sie möglicherweise hier aufgetaucht, hat ein paar Menschen zu Tode erschreckt, hat irgendwo ihre Larven abgelegt und ist dann gestorben. Vielleicht sollten wir lieber Ausschau nach Fliegenlarven halten?«

»Nein«, sagte Froggy gelassen.

Wir alle fuhren herum und starrten ihn an.

Oft war es leicht, zu vergessen, dass er da war. Selbst jetzt, nachdem er seinen Dad (bei dem es sich um unseren Kampfausbilder Buck handelte) wiedergefunden und mehr Freunde hatte als jemals auf der PISS, sagte er nur selten etwas. Ich hatte sogar das Gefühl, dass er unseren Gesprächen manchmal nicht zuhörte, da in seinen Ohren meistens die Ohrstöpsel eines uralten MP3-Players steckten.

»Was soll das heißen, nein?«, fragte Eagan.

»Das war keine Riesen-Dagslända«, sagte Froggy. »Das war ein Wasserspeier.«

»Wieso bist du so sicher?«, fragte Ari.

Froggy zeigte ungerührt auf das Dach eines alten grauen Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Auf dem Sims hockte ein dunkelgraues Ungeheuer mit knotigen Flügeln und leuchtend roten Augen, die uns anschauten, als wären wir Beute. Das Wesen öffnete den Mund und ließ einen gequälten Schrei hören, dann öffnete es die riesigen Flügel und sprang vom Dach.

Die dämonischen roten Augen schienen immer größer zu werden, als es auf uns zujagte.

1Falls ihr das vergessen haben solltet: Die Rückkehr der Magie führte auch zum Wiederauftreten eines wilden, unerklärlichen Zwergenhasses bei so ungefähr allen Tieren. Und in den letzten Monaten ist er immer schlimmer geworden.

2Nicht alle separatistischen Zwerge leben im Untergrund. Der Rat hat sogar eine gewisse Anzahl von Zwergen angewiesen, über der Erde unter den Menschen zu leben und zu arbeiten, z.B. bei der Notrufzentrale und als Verwaltungsbeamte.

2

Wie ich einmal aus Versehen meine Hose in Flammen aufgehen ließ

Wenn Glam nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt wohl tot.

Ich war so verblüfft vom Anblick des riesigen Wasserspeiers, der im Sturzflug auf uns zuschoss, dass ich einfach stehen blieb, mit den Händen in der Tasche und einem dämlichen Gesicht, während der Wasserspeier auf mich niederstieß, um mich mit seinen riesigen Krallen zu einer Portion Gyros zu zerfetzen. Aber Glam reagierte sofort, sie ließ die Hockeytasche mit den Waffen fallen und hatte sie schon geöffnet, ehe ich überhaupt begriffen hatte, was hier vor sich ging.

Das Nächste, woran ich mich erinnerte, war, dass sie mir Aderlass zuwarf. Ich konnte ihn gerade noch hochreißen, um den riesigen Wasserspeier nach links zu treiben, auf Ari und Froggy zu. Sie wichen aus und von meiner schwarzen Axtschneide stoben Funken auf.

Das fliegende Ungeheuer legte neben uns eine Bruchlandung hin und schlitterte über den Bürgersteig.

Aus dem Monsterkurs wusste ich nicht mehr viel über Wasserspeier. Wenn ich an den Tag zurückdenke, als unser Lehrer sie zur Sprache brachte, war meine klarste Erinnerung, dass Lake mich mit einem stetigen Strom von Zetteln mit uralten zwergischen Redensarten abgelenkt hatte. Ihr wisst schon, so was wie Der frühe Vogel fängt den Wurm oder Jetzt müssen wir den Stier bei den Hörnern packen, aber eben in zwergischen Versionen. Zum Beispiel: Lurbumble Großquantens Bart wird nicht mehr dicker (was bedeutet: Beeil dich!), oder: Hier stinkts wie fünfzig verwesende Beutelratten (was bedeutet: Was für ein betörender Duft!). Lake kannte ungefähr tausend alte zwergische Redensarten und ich fand sie zum Brüllen. Deshalb kritzelte er mir oft welche auf einen Zettel, um zu sehen, ob ich mitten in der Unterrichtsstunde losprusten würde. Meistens hatte er Erfolg. An diesem Tag hatte ich sogar so schallend gelacht, dass ich unfreiwillig einen Schnarchlaut ausstieß, mich an meinem eigenen Rotz verschluckte und dann wegen Störung des Unterrichts vor die Tür gesetzt wurde.

Aber ehe ich den Raum verließ, schaffte ich es doch auf irgendeine Weise, ein paar Infos über Wasserspeier aufzuschnappen. Zum Beispiel: Ich wusste, dass sie aus Stein waren, selbst wenn sie lebten. Was die Funken und die Tatsache, dass Aderlass’ Schneide abgerutscht war, ohne Schaden anzurichten, teilweise erklärte.

Die beiden Hockeytaschen waren jetzt leer und wir hoben unsere Waffen und bildeten einen Halbkreis um den gestürzten Wasserspeier. Er rollte sich auf die Hinterbeine und fuhr herum, um uns anzusehen. Aus der Nähe waren seine leuchtend roten Augen von fast hypnotischer Intensität – so hell, dass es unmöglich war, hineinzustarren, aber ebenso unmöglich, den Blick abzuwenden.

Das Ungeheuer ging in die Hocke, als wir es umstellten. Zu seiner vollständigen Höhe aufgerichtet wäre es über eins achtzig groß gewesen. Seine rissigen grauen Flügel waren gewaltig und hatten sicher mehr als fünf Meter Spannweite. Es hatte menschenähnliche, drahtige und muskulöse Arme und Beine, Klauen anstelle von Füßen und knotige Hände mit gekrümmten Krallen, die uns problemlos hätten zerfetzen können. Der Kopf des Wasserspeiers wirkte zu groß für seinen geschmeidigen Leib, was teilweise an den gewaltigen Widderhörnern zu beiden Seiten des Kopfes und den oben spitz zulaufenden Ohren lag. Sein Gesicht ging vorne in eine Art Vogelschnabel über, und sein breites Grinsen zeigte Dutzende von scharfen, gezackten Zähnen.

Und dann waren da noch die Haare des Ungeheuers. Die waren wirklich ein Anblick für sich. Sie bedeckten seinen Kopf wie eine Krone, sahen aber nicht so vorteilhaft aus. Oben, zwischen den gekrümmten Hörnern, waren sie kurz, fielen aber lang über seinen Nacken, wie die beängstigendste Hipster-Vokuhila aller Zeiten.

Der Vokuhila-Wasserspeier schrie ein weiteres Mal.

Glam reichte eilig einen Flachmann voll Galdervatn herum. Obwohl jeden Tag mehr davon aus der Erdoberfläche sickerte, war es meistens noch immer nicht genug, dass wir Magie wirken konnten, ohne erst die Essenz zu uns zu nehmen. Im Laufe der Zeit würde sich das natürlich ändern, aber für den Moment wollten wir nichts riskieren, und deshalb tranken wir gierig aus der Flasche aus Bisonleder, die mit dem Familienwappen der Schattenspießsippe versehen war.

Obwohl »trinken« das Erlebnis beim Verzehr von Galdervatn nicht ganz zutreffend beschreibt. Es ist eher ein Dampf als eine Flüssigkeit, und dass man überhaupt etwas hinunterschluckt, merkt man nur daran, dass ein eisiger Frostschauer durch die Speiseröhre in den Magen jagt – und weil der Mund einige Sekunden lang vollständig betäubt ist. Ich hatte gedacht, Galdervatn schmecke nach nichts, aber als wir in den vergangenen Monaten bei unserem zweiwöchentlichen Magietraining mit Fenmir Nebelmoosmann immer mehr davon getrunken hatten, hatte ich bemerkt, dass Galdervatn einen undefinierbaren, erdig-bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Leider waren Glam und ich die beiden Einzigen, die einen Schluck ergattern konnten, ehe der Wasserspeier zum nächsten Angriff überging, wobei er mir den Flachmann mit einem Wasserstrahl aus der Hand schoss. Der Strahl war so stark, dass er mich gegen den schmalen Stamm einer Hopfenbuche schleuderte.

Der Wasserspeier (den ich von nun an Vokuhila nennen werde) schwebte über uns, kreischte zwischen weiteren Wasserattacken und schlug dabei wie verrückt mit den Flügeln. Er schien zu wissen, dass wir ihn nicht herunterholen konnten. Als das Monster Glam mit einem Wasserschwall rückwärtsschleuderte, fiel mir eine weitere Wasserspeier-Info ein, die ich damals vor meinem Rausschmiss im Unterricht gelernt hatte: Wiederbelebte Wasserspeier hatten die Fähigkeit, ihre Opfer zu ertränken, indem sie sie mit wahnsinnig starken Wasserstrahlen vollkotzten.

Lake und Ari schwangen ihre Schwerter, aber die Klingen rutschten erfolglos ab und ließen nur Funken regnen. Nicht einmal zwergischer Stahl konnte die magische Granithaut des Wasserspeiers durchdringen. Was bedeutete, dass wir ihm gegenüber ziemlich hilflos waren.

Ich kam auf die Füße, während Glam unter dem endlosen Wasserfall, der aus dem Schlund des Wasserspeiers herausquoll, noch immer verzweifelt um Atem rang. Ich hob Aderlass, aber Froggy, Eagan, Lake und Ari schlugen bereits ohne Erfolg mit Schwertern auf das Ungeheuer ein und bewarfen es mit Äxten. Mir ging auf, dass es Glam nicht retten würde, wenn noch jemand ohne irgendeinen Effekt auf die Steinhaut des Wasserspeiers einhieb.

Auf die Augen zielen, Greggdroule, sagte Aderlass.

»Bitte, benutz nicht meinen vollständigen Vornamen«, mahnte ich ihn zum hundertsten Mal, während ich mir die Axt auf den Rücken schnallte und meinen Dolch hervorzog. »Aber danke für den Tipp.«

Aber du hast doch einen wunderbaren Namen, Greggdroule, sagte Aderlass. Kein Grund, dich zu schämen, Greggdroule.

Ich kniff die Augen zusammen und Aderlass lachte, als ich auf Vokuhila zurannte. Ich gab mir alle Mühe, mithilfe von zwergischer Magie einen Windstoß herbeizurufen, und sprang auf den Rücken des fliegenden Ungeheuers. Nach mehreren Monaten Unterricht fiel es mir zusehends leichter, Magie zu verwenden – aber es war noch immer alles andere als eine exakte Wissenschaft. Zum Beispiel hatte ich erst drei Tage zuvor in der letzten Magie-Trainingsstunde das Gewand unseres Lehrers, Fenmir Nebelmoosmann, aus Verstehen in Sirup verwandelt, während ich eigentlich versuchte, eine Treppe aus Baumstümpfen zum Dach des Lagerhauses heraufzubeschwören. Niemand kannte einen Zauberspruch, um die klebrige Masse unter seinen Füßen wieder zu Magiergewändern zu machen, und so endete der Unterricht an jenem Tag früher, zu unserer großen Enttäuschung. Aber wir kamen nachher alle überein, dass es den Preis wert gewesen war, um Fenmir in seinen Mickymaus-Fantasia-Boxershorts zu sehen (ja, echt).

Diesmal funktionierte mein Zauberspruch, und ein Windstoß trug mich auf Vokuhilas Rücken. Ich packte die kleinen Steinhörner an seinen Flügelspitzen, um Halt zu finden. Er schlug wild mit den Flügeln, aber ich klammerte mich fest, rief alle meine restliche Kraft zusammen und schlang ihm den rechten Arm um den Kopf.

Und knallte Blackout voll in Vokuhilas linke Augenhöhle.

Ich weiß, ich weiß.

Regel Nr. 1 bei einer MFM: Gewaltanwendung um jeden Preis vermeiden.

Aber ich konnte ja nicht einfach da herumstehen und mich bei einer Kreatur einschmeicheln, die kurz davor war, eine meiner Freundinnen zu ertränken! Vielleicht waren Wasserspeier ja schnell bereit, zu vergeben und zu vergessen. Ich könnte, wenn alles hier vorüber wäre, kurz um Entschuldigung bitten und zu seinem Kumpel werden, oder? Wir könnten alle zur Tagesordnung übergehen und vielleicht könnte Vokuhila sogar mit Aderlass und mir Peperoni-Pizza essen gehen?

Natürlich ist das möglich, sagte Aderlass. Du hast ja keine Ahnung, mit wie vielen Widersachern meine Besitzer und ich im Laufe der Äonen in einer Eckkneipe beim Met gesessen haben, nachdem wir ihnen vorher die Glieder abgehackt hatten. Es ist wirklich bemerkenswert. Vielleicht kriegt man ja Durst, wenn man eine Hand verliert? Ich weiß das schließlich nicht, aus Gründen, die auf der Hand liegen.

Ich hatte keine Zeit, um Aderlass noch einmal zu sagen, er sollte nicht dauernd meine Gedanken lesen (was er in letzter Zeit immer häufiger tat). Es hätte vermutlich ohnehin nichts geholfen. Ich wurde abgelenkt von Vokuhilas verzweifeltem Wutschrei und seinen heftigen Versuchen, mich von seinem Rücken zu werfen, indem er wie wild mit seinen Steinflügeln schlug. Ich versuchte mich festzuhalten, aber irgendwann rutschten meine Hände dann doch ab.

Ich flog durch die Luft und die Welt wurde zu einem Kaleidoskop aus dunklem Beton und trüben Straßenlaternen.

Zum Glück brachen meine starken Zwergenknochen nicht, als ich neben Glam auf den harten Asphalt knallte. Glam war durchnässt und rang um Atem. Vokuhila ragte kreischend über uns auf und Blackouts Griff lugte aus seiner linken Augenhöhle.

»Äh, ich glaube – ich glaube, du hast da ein kleines, äh, Dings im Auge«, sagte ich zum Wasserspeier, ich konnte einfach nicht anders. »Diese Erfahrung hat dir gewissermaßen die Augen geöffnet, was?«3

Vokuhila antwortete mit einem weiteren Wutschrei, riss den Dolch heraus und schleuderte ihn zur Seite. Sein leuchtendes Auge, das eigentlich nur eine rote leuchtende Vertiefung war, sah unversehrt aus. Aber das bedeutete nicht, dass er nicht mit Fug und Recht stocksauer über diese Augenstecherei war.

»Greg!«, brüllte Eagan irgendwo hinter mir. »Lauf! Lauf, so schnell und so weit du kannst. Wasserspeier sind nur belebt, solange sie sich in der Nähe ihres ursprünglichen Standortes aufhalten. Wenn du ihn dazu bringen kannst, dich weit genug zu verfolgen, kannst du ihn vielleicht in Ruhemodus versetzen!«

Ich nickte und rappelte mich eilig auf, während Vokuhila sich aufbäumte, um mir einen Wasserschwall ins Gesicht zu speien.

Ich konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen. Dann rannte ich dicht unter dem schwebenden Wasserspeier hindurch und immer weiter. Ich brauchte mich nicht umzublicken, um zu wissen, dass er mich verfolgte – ich konnte seine Steinflügel hinter mir schlagen hören wie einen furchtbaren getrommelten Totenmarsch.

Ich rannte, so schnell ich konnte. Obwohl ich es ganz schön schnell fand, war es bei Weitem nicht schnell genug, um eine fliegende Statue mit einer Flügelspannweite von fünf Metern abzuschütteln. Aderlass bestätigte das Sekunden später.

Tu irgendwas!, brüllte er in meinem Kopf. Sonst hat er dich gleich!

»Na ja, solltest du – keuch – nicht – keuch – ich meine – keuch – so ’ne Art – keuch – von wahnsinnig – keuch – mächtiger – Waffe sein?«

Das schon, aber ich bin trotzdem nur ein Gegenstand, Greggdroule! Jemand muss mich benutzen! Jemand, der ein Held sein sollte, schon vergessen?

Ich rang weiter um Atem und zerbrach mir den Kopf nach irgendeiner Rettungsmöglichkeit. Die schlagenden Flügel waren mir jetzt so nahe gekommen, dass ich geradezu darauf wartete, dass scharfe Krallen meinen Rücken zerfleischten oder ein Wasserschwall mich zu Boden warf. Und dann war es plötzlich wieder da: Das Allerletzte, was ich an jenem Tag im Unterricht gehört hatte, ehe unser Lehrer für Monsterologie und Kreaturenklassifizierung, Thassum Klippenkopf, mich vor die Tür gesetzt hatte.

»Wasserspeier, ha, ihr solltet einfach hoffen, niemals einem über den Weg zu laufen«, hatte er gesagt. »Es kann verdammt schwer sein, sie zu bezwingen. Das steinerne Äußere steht, wenn es belebt wird, unter einem Zauber und ist deshalb so gut wie unbesiegbar. Dennoch gibt es zwei wenig bekannte Möglichkeiten, einen Wasserspeier aufzuhalten: ihn in eine gewisse Entfernung zu seinem Bau zu locken oder ihn in direkten Kontakt mit dem Sonnenlicht zu bringen.«

Natürlich war ich schon dabei, ihn von seinem Sims wegzulocken, aber offenbar war ich noch nicht weit genug gekommen. Es blieb die andere Möglichkeit: Sonnenlicht. Aber es war nach Mitternacht und für mindestens vier Stunden bestand null Chance auf Sonnenschein.

Benutz Magie, du Ork-hirniges Fensterleder!

Ich konnte zwar die Beschimpfungen (oder das Gedankenlesen) nicht gutheißen, aber Aderlass hatte recht.

Natürlich hatte ich noch nie die Sonne (oder Sonnenschein) durch Magie herbeigerufen. Ich war nicht einmal sicher, ob es dafür überhaupt einen Zauberspruch gab. Aber andererseits geht es bei zwergischer Magie ja darum, das Universum und seine natürlichen Elemente zu manipulieren, also war es theoretisch immerhin möglich. Fenmir Nebelmoosmann hatte im Magieunterricht mehrmals gesagt, dass die Möglichkeiten der zwergischen Magie im Grunde keine Grenzen kannten.

Also tat ich es:

Ich konzentrierte meine ganze Energie auf die Sonne.

Ich stellte mir vor, wie ihre gleißenden Strahlen die Wolken durchbrachen.

Ich stellte mir vor, wie ihre Hitze über Millionen von Meilen auf uns herabstrahlte.

Ich stellte mir ihre feurige Oberfläche vor.

Ich stellte mir ihre gewaltigen Sonneneruptionen vor.

Ich stelle mir ihre brutale Energie vor.

Und dann entzündete sich plötzlich meine Hose und ging in Flammen auf.

3Obwohl meine Freundschaft zu Edwin im Grunde tot und begraben war, liebte ich lahme Wortspiele noch immer. Leider fanden meine neuen zwergischen Freunde sie bei Weitem nicht so komisch wie Edwin.

3

Glam-Smash!

Wisst ihr noch, dass ich gesagt habe, zwergische Magie sei alles andere als eine exakte Wissenschaft?

Und dass ich außerdem gesagt habe, zu wissen, dass man ein Zwerg ist, verhindert nicht unbedingt, dass man aufs Zwergischte versagt?

Also ich finde, seine Hose in Flammen aufgehen zu lassen, während man versucht, seine Freunde vor einem Wasserspeier mit Vokuhila zu retten, ist ein ziemlich guter Beweis für beide Behauptungen.

Da rannte ich nun also durch die Hauptstraße von Evanston, meine Hose brannte lichterloh und ich schrie wie am Spieß, während ein riesiges geflügeltes Ungeheuer immer näher kam, um sich über mich herzumachen und mich von meinem Elend zu erlösen. Ich würde gerne behaupten, dass mir in dem Moment ein genialer Rettungsplan in den Sinn kam. Aber ehrlich, meine Versuche, dem Tod zu entrinnen, beschränkten sich auf hektisches Um-mich-Schlagen und Schreien.

Glücklicherweise vernichtete Vokuhila seine Feinde am liebsten mit Wasser, das ja dazu neigt, Feuer zu löschen. Ehe ich also allzu lange schreiend durch die Gegend rennen konnte, traf mich plötzlich von hinten ein gewaltiger Wasserstrahl. Er warf mich zu Boden und schwemmte mich weiter, sodass ich wie ein feuchter Baumstamm über die Straße kullerte.

Außerdem löschte er augenblicklich das Feuer.

Eine Dampfwolke stieg aus meiner Hose auf und schwebte über mir wie ein winziger Atompilz. Zum Glück (ehrlich, es haut mich ebenso um wie euch, dass ich an einem Donnerstag tatsächlich ein bisschen Glück hatte4) war Vokuhila von dem Dampf total überrascht. Mit einem gewaltigen Schrei warf er sich herum, um ihm auszuweichen, und war für einen Moment verwirrt und orientierungslos.

Und da sah ich meine Chance.

Während Vokuhila versuchte, sein Flugtempo zu drosseln, um eine Wendung hinlegen zu können, rief ich einen zwergischen Zauber herbei, von dem ich wusste, dass er mir gelingen würde.

Ich kam auf die Knie hoch und legte jedes Gramm meines magischen Willens in die scharfe Brise, die vom Michigansee einige Straßen weiter herüberwehte. Ein Windstoß fing sich in Vokuhilas schlagenden Steinflügeln. Die blähten sich wie Segel und Vokuhila schoss durch die Straße, fort von mir und seinem Sims; in wenigen Sekunden legte er mindestens dreißig Meter zurück. Früher oder später hätte er sich sicher aus dem Windstoß lösen können, aber es war zu spät.

Vokuhila stürzte plötzlich wie eine Steinfigur vom Himmel und knallte auf einen kleinen Nissan, der am Straßenrand parkte. Das Wagendach brach ein und der leblose Wasserspeier krachte auf den Asphalt. Ein Horn und ein Teil des Flügels brachen beim Aufprall ab.

Ich wusste nicht genau, wie weit ein Wasserspeier sich von seinem Standort entfernen musste, um wieder in leblosen Stein verwandelt zu werden, aber offenbar war das hier weit genug.

Ich kam auf die Füße und staunte über mein Glück. Ich hatte mich selbst angezündet, um nicht vom Wasserspeier ertränkt zu werden. Und doch hatte es auf irgendeine Weise funktioniert. Vielleicht hätte ich das als Zeichen auffassen sollen, dass Zwerge nicht immer zum Scheitern verurteilt waren, sondern dass sich das Schicksal zu unseren Gunsten wendete.

Wenn mein ehemals bester Freund, Edwin, noch mit mir spräche, hätte ich das hier als endgültigen Beweis dafür anbringen können, dass unser ewiges Versagen doch keine sich selbst erfüllende Prophezeiung war. Aber Edwin war seit Monaten nicht mehr gesehen worden, seit ich genau diesen Windzauber eingesetzt hatte, um ihn in den Michigansee zu befördern. Manchmal fragte ich mich, ob er wohl an der Navy Pier im Hafen ertrunken war. Ich sah das sogar in Albträumen vor mir – und dann fuhr ich mit schweißnassen Kleidern aus dem Schlaf hoch, als ob ich zusammen mit Edwin im See ums Leben gekommen wäre. Ich bekam Magenschmerzen, wenn ich auch nur an diese Träume dachte. Aber ich wusste, dass sie nicht stimmen konnten. Zum einen verfügte Edwin über elfische Magie, die ihn bestimmt gerettet hatte. Zum anderen war er ein großartiger Schwimmer – er hatte an der PISS sogar zur Schulschwimmmannschaft gehört. Vor allem jedoch wusste ich, dass er noch lebte, weil Aderlass mir das immer wieder erzählte und mich (so gut wie täglich) daran erinnerte, dass ich mit Edwin noch eine Rechnung zu begleichen hatte. Und dass die Rache dafür, was mit meinem Dad geschehen war, erst vollendet sein würde, wenn Edwin nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Aber Aderlass konnte mir nicht sagen, wo Edwin war oder was er machte oder warum seit Monaten niemand von ihm gehört hatte. Meine Haupttheorien waren, dass er sich entweder in seiner Schande irgendwo verkrochen hatte oder im Verborgenen seinen nächsten unheilvollen Zug plante. Es klingt jetzt sicher komisch, aber ein Teil von mir sehnte sich fast danach, ihm zu verzeihen. Zu vergeben und zu vergessen und weiterzuleben – und vielleicht eines Tages unsere Freundschaft mit ein paar Narben wieder aufzunehmen. Das war natürlich unmöglich, das wusste ich. Wegen der Taten seiner Eltern würde mein Leben nie wieder dasselbe sein. Außerdem hasste Edwin mich sicher noch immer.

Ich dachte an den Schmerz und den Hass, die ich nach unserem Kampf damals auf der Pier in seinen Augen gesehen hatte. Solch einen Hass kann man nicht einfach so überwinden. Wenn überhaupt, dann vertieft er sich nur, wird noch entschlossener. Wird zu einer fixen Idee.

Nein, wo immer Edwin sein mochte und was immer er jetzt machte, wir waren sicher weiterhin Feinde.

Aber jetzt gerade hier draußen in Evanston war ich zu meiner Überraschung vollständig unversehrt, obwohl meine Hose zu wenigen schwärzlichen Fetzen verkohlt war. Das hing wahrscheinlich damit zusammen, dass das Feuer mein eigenes magisches Produkt gewesen war. Irgendwie passte das zu allem, was Fenmir Nebelmoosmann über die Reinheit zwergischer Magie gesagt hatte, die in Notwendigkeit wurzelt, nicht in Begierde, und in Schutz, nicht in Schaden (auch nicht für einen selbst).

Meine fünf zwergischen Freunde kamen auf mich zugerannt, und ihre Mienen zeigten eine Mischung aus Besorgnis und Schadenfreude. Lake überzeugte sich davon, dass mir nichts fehlte, und brach dann in wildes Gekicher über die ganze Szene aus. Glam schaute an mir herunter und feixte angesichts meiner nackten Beine.

»Das nennst du Beine?«, fragte sie scherzhaft. »Mein drei Jahre alter Neffe hat mehr Muskeln als du.«

Ich merkte, dass ich rot wurde, aber ich schüttelte nur den Kopf.

Sie hat recht, sagte Aderlass. Du hast bemerkenswert magere Hühnerbeine. Damit siehst du eigentlich aus wie ein Riesenlolli.

Mann, du bist schlimmer als die Leute an derPISS, knurrte ich Aderlass in Gedanken an.

Vergleich mich ja nie wieder mit Elfen!, sagte er. Nimm das zurück!

Ich ignorierte die Axt, da Glam ihre noch immer triefnasse Hirschlederjacke auszog und sie mir reichte.

»Bitte sehr, Prinzessin«, sagte sie.

»Danke«, sagte ich grinsend und band mir die triefenden Ärmel wie bei einer Schürze um die Taille.

»Greg, du hast es geschafft!«, sagte Ari. »Du hast den Wasserspeier besiegt!«

»Wieso hat deine Hose denn Feuer gefangen?«, fragte Eagan, während er vorsichtig den jetzt leblosen Wasserspeier mit seiner Schwertspitze antippte. »Eigentlich sind Wasserspeier nicht gerade als Brandstifter bekannt.«

»Äh …«, sagte ich und suchte verzweifelt nach einer Antwort, die nicht lautete In zwergischer Magie bin ich eine Null.

Eagan grinste, während er auf mein Geständnis wartete, dass die brennende Hose meine eigene Schuld gewesen war, aber zum Glück erinnerte uns Ari an den Ernst der Lage.

»Leute, ich unterbrech euch ja nur ungern«, sagte sie und schaute an einem in der Nähe stehenden Hochhaus nach oben. Aus mehreren Fenstern sahen uns neugierige Gesichter an. »Aber wir müssen machen, dass wir hier wegkommen.«

In der Ferne heulten Sirenen los, was nur unterstrich, dass sie recht hatte.

»Was sollen wir denn mit dem hier machen?«, fragte Eagan und versetzte dem steinernen Wasserspeier einen Tritt. »Wir können ihn doch nicht einfach hier liegen lassen, oder?«

»Von wannen soll der grimme Widersacher zu neuem Leben erwachen?«, fragte Lake. »Oder jenselbiges denn nimmermehr?«

»Ich hab keine Ahnung, ob oder wann sie wieder lebendig werden«, sagte Ari. »Eagan, weißt du das?«

Er zuckte ratlos mit den Schultern.

»Wasserspeier können und werden wieder zum Leben erwachen«, sagte Froggy zur allgemeinen Überraschung. »Aber nur an ihrem angestammten Ort. Und natürlich nur durch weitere Magie.«

»Wenn er also nie wieder auf sein Gebäude gestellt wird, erwacht er nie wieder zum Leben?«, fragte Eagan.

Froggy nickte.

»Moment mal, wartet«, sagte Ari. »Ihr meint doch nicht, wir lassen ihn einfach hier liegen? Nach allem, was geschehen ist?«

»Was sollen wir denn sonst machen?«, fragte Eagan. »Die Bullen können jeden Moment hier sein. Wir können ihn doch nicht mit in die Bahn nehmen. Wir würden schließlich gesehen werden, wie wir ihn tragen. Und wir können uns auch nicht unsichtbar machen und den Bullen entkommen, während wir eine riesige Statue mit uns herumschleppen. Wenn wir die überhaupt hochkriegen …«

»Aber du weißt so gut wie ich, dass hier die Magie wieder aktiv werden wird«, widersprach Ari. »Vielleicht nicht morgen oder in diesem Monat, aber irgendwann wird es wieder passieren. Wenn die Stadt ihn also wieder auf sein Haus stellt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er wieder zum Leben erwacht, und dann war das alles hier umsonst.«

»Ja, aber bis dahin werden die Menschen in Evanston größere Probleme haben als einen einzelnen Wasserspeier«, warf Glam ein.

»Leute, Froggy hat gesagt, dass er dafür auf seinem Sims stehen muss«, sagte ich.

Froggy nickte.

»Und?«, fragte Ari und schaute voller Panik auf.

Inzwischen starrte uns aus den umliegenden Gebäuden mindestens ein Dutzend Gesichter an und die Sirenen schienen nur noch wenige Straßen entfernt zu sein.

»Wir können das Problem also dauerhaft lösen, wenn wir dafür sorgen, dass die Stadt sich nicht die Mühe macht, das Teil wieder anzubringen«, sagte ich.

»Aber wie denn?«, fragte Ari. »Der ist doch so gut wie unzerstörbar.«

»Ich glaube, nur solange er am Leben war und Magie im Leib hatte«, sagte ich. »Als er wieder zur Statue geworden war, sind Horn und Flügelspitze beim Sturz doch sofort abgebrochen.«

»Da hat er recht«, bestätigte Froggy.

Er hatte im Unterricht offenbar viel besser aufgepasst, als uns anderen klar gewesen war. Jedenfalls, wenn es gerade um fantastische Wesen ging.

»Ja, okay«, Ari nickte. »Wir müssen also nur eine Möglichkeit finden, das Dings zu zerstören?«

Aber Glam war uns bereits einige Schritte voraus. Eagan schrie überrascht auf und sprang zur Seite, als sie nun auf den Wasserspeier losging. Ihre Fäuste hatten sich schon auf magische Weise in gewaltige Steinquader verwandelt.

»Glam-Smash!«, schrie sie begeistert.

Wir anderen gingen in Deckung.

4Allerdings war es streng genommen ja Freitag, da Mitternacht vorbei war. Was vielleicht diese unerwartete kurze Glückssträhne erklärte.