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Wilde Fantasy für alle Fans von Rick Riordan! Greg und seine Freunde müssen die Zivilisation vor dem Untergang bewahren – und sie haben nicht mehr viel Zeit! Gregs ehemals bester Freund Edwin will alle Magie der Welt stehlen und allein für sein Volk der Elfen nutzbar machen. Doch Greg weiß, dass die Alleinherrschaft der Elfen die Welt nicht retten kann. Auf dem Weg aus den Wäldern Russlands zurück nach Chicago muss er viele Monster bekämpfen und findet neue Verbündete für die finale Schlacht. Doch um Frieden zu schaffen, muss er sich auch mit Edwin wieder versöhnen … »Urkomisch und spannend zugleich.« BuchMarkt Der dritte und letzte Band der Bestsellerserie! Alle Bände der Serie: Die Legende von Greg – Der krass katastrophale Anfangd er ganzen Sache Die Legende von Greg – Das mega-gigantische Superchaos Die Legende von Greg – Die absolut epische Turbo-Apokalypse
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Aus dem Englischen von Gabriele Haefs
Greg und seine Freunde müssen die Zivilisation vor dem Untergang bewahren – und sie haben nicht mehr viel Zeit! Gregs ehemals bester Freund Edwin will alle Magie der Welt stehlen und allein für sein Volk der Elfen nutzbar machen. Doch Greg weiß, dass die Alleinherrschaft der Elfen die Welt nicht retten kann. Auf dem Weg aus den Wäldern Russlands zurück nach Chicago muss er viele Monster bekämpfen und findet neue Verbündete für die finale Schlacht. Doch um Frieden zu schaffen, muss er sich auch mit Edwin wieder versöhnen …
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Viten
Für alle, die etwas verändern,und erst recht für die, die das nicht tun
Inzwischen geht ihr hoffentlich schon davon aus, dass der Tag, an dem ich von einem Kraken verschlungen wurde, ein Donnerstag war.
Aber stellt euch vor: Diesmal hättet ihr euch geirrt.
Es passierte nämlich an einem Freitag (früher einmal mein Lieblingswochentag). Um genau zu sein: Es war der fünfte Freitag, nachdem meine Freunde und ich endlich den Rat überredet hatten, uns ganz offiziell das lange verschollene Faranlegt-Amulett von Sahar suchen zu lassen. Welches angeblich die Kraft besitzt, Magie zu beherrschen (das heißt, sie abermals von der Erde zu verbannen, oder sie für immer zu fesseln, oder sie zu üblen Zwecken einzusetzen, das kommt ganz auf euren Standpunkt an). Niemand wusste, wo sich das Amulett befand, abgesehen von meinem neuen Kumpel Stoney dem Felstroll und meinem ehemals besten Freund Edwin Aldaron.
»Sind wir bald da?«, fragte mich Ari, als wir an jenem Freitagmorgen auf dem Oberdeck unseres gewaltigen Schiffes standen. »Ich stinke wie benutzte und in verdorbenem Essig gekochte Turnhosen. Ich brauche ein echtes Bad auf festem Boden.«
»Hoffentlich heute Abend«, sagte ich und meine Augen suchten den endlosen blauen Horizont nach irgendeinem Hinweis auf Land ab. »Das hat Käptn Schmelzfuß mir jedenfalls gestern gesagt.«
Wir waren jetzt seit fast vier Wochen auf diesem riesigen Schiff unterwegs. Denn so lange braucht man, um den Pazifik zu überqueren, wenn es auf der Welt keine funktionierenden Apparate mehr gibt. Seit die Magie zurückgekehrt war, waren Autos, Telefone, Computer, Mixer, einfach alles, was mit Energie betrieben wird, tot und nutzlos. Eben auch Schiffsmotoren.
Die SRS Kraftschinken1 war früher eine Passagierfähre gewesen, die Menschen und Autos bei einer Geschwindigkeit von dreißig Knoten transportiert hatte, angetrieben von Motoren, die bei Hochgeschwindigkeit an die zehntausend Pferdestärken erzeugten. Nun aber wurde das Boot bewegt durch ein kompliziertes Netzwerk aus von Zwergen konstruierten Segeln und einem Team aus vier Bugganesen2, die auf dem Unterdeck an riesigen maßgezimmerten Rudern saßen. Natürlich hätten wir für die Überfahrt doppelt so lang gebraucht, wenn wir nicht mithilfe von zwergischer Magie die Segel blähen und die Meeresströmungen günstig hätten halten können.
»Und du bist sicher, dass Käptn Schmelzfuß weiß, was sie tut?«, fragte Ari.
»Na ja, ich meine, klar …«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst antworten sollte. »Außerdem kommt diese Frage jetzt ein bisschen spät.«
»Ja, da hast du recht«, sagte Ari eilig. »Es ist nur … du weißt schon, es steht so viel auf dem Spiel.«
Es war verständlich, dass sie sich Sorgen machte: Wir setzten großes Vertrauen in eine Zwergin, die durchaus ihre Eigenheiten hatte, um es vorsichtig auszudrücken. Zum Beispiel besaß Käptn Schmelzfuß nur ein funktionierendes Auge, und wenn sie jemanden ansprach, legte sie den Kopf schräg, wie um sich Wasser aus dem Ohr zu schütteln. Sie hatte zudem einen sprechenden »Schoßpapagei« namens Finnegan, der überhaupt kein Papagei war, sondern ihre linke Hand, die sie bewegte wie einen Schnabel, wenn der »Papagei« etwas »sagte«. Aber wenn Dunmor ihr ausreichend vertraute, um ihr ein Schiff zu unterstellen, das zum allerwichtigsten Einsatz in der Geschichte des modernen Zwergenwesens in See stach, dann musste ich das auch.
»Wichtige Ladung«, sagte hinter mir eine Stimme, und ich erschrak so sehr, dass ich fast über Bord gefallen wäre. »Wichtige Ladung in des Schiffes Schlünden, sehr wohl.«
Das war Käptn Schmelzfuß.
Wie lange hatte sie schon dort gestanden? Was hatte sie gehört? Sie richtete ihr gutes Auge erst auf mich und dann auf Ari, legte den Kopf schräg und verzog ihr hageres, unergründliches Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.
»Wichtige Ladung?«, fragte Ari verwirrt.
»Aye, wichtige Ladung«, wiederholte Käptn Schmelzfuß und ihre buschigen Augenbrauen bewegten sich so heftig, dass es aussah wie Breakdancing. »Ich habe gesprochen. Har-har.«
»Wichtige Ladung, so spricht die Frau Käptn«, fügte sie dann mit ihrer für Finnegan reservierten Papageien-Stimme hinzu, während sie ihre linke Hand öffnete und schloss. »Krächz. Wichtige Ladung!«
Ach ja, ich habe vergessen zu erwähnen, dass Käptn Schmelzfuß immer krächz sagte, statt die Vogelstimme zu imitieren.
Ari und ich wechselten einen Blick. Wir hatten keine Ahnung, wovon Käptn Schmelzfuß da redete. Soviel wir beide wussten, befand sich überhaupt keine Ladung an Bord.
»Äh …«, sagte ich.
»Mir ist bekannt das Kostbarliche dessen in den Schlünden«, sagte die Kapitänin jetzt. »Und abgeliefert werden wird es unversehrt, ich habe gesprochen. Har-har. Magie wird ewig kommen und gehen, doch die Sterne, aye, die Sterne werden bestehen. Tot und erloschen mögen sie sein, aber ihr gespenstisches Antlitz ist unverändert auf immerdar.«
»Auf immerdar«, fügte Finnegan hinzu. »Krächz!«
Ich vermutete, die Kapitänin bezog sich darauf, dass sie ganz allein mithilfe von Sonne und Sternen navigierte. GPS gehörte der Vergangenheit an. Viele (wenn nicht alle) der die Erde umkreisenden Satelliten waren jetzt entweder lebloser Weltraumschrott und steckten in ihrer endlosen Umlaufbahn fest, oder sie waren in den letzten Monaten abgestürzt und schrammten als flammende Kugeln über den Nachthimmel. Die Rückkehr des Galdervatn beeinflusste offenbar auch das, was außerhalb unserer Erdatmosphäre lag.
»Also«, setzte ich an, hatte aber keine Ahnung, was ich zu einer Kapitänin sagen sollte, die möglicherweise reif fürs Irrenhaus war und doch das Kommando über diesen wichtigen Teil unseres Einsatzes hatte. »Danke, dass Sie uns hierhergebracht haben.«
»Wir sind noch nicht hier, Jungchen«, sagte Käptn Schmelzfuß kurz und ihr eines Auge suchte nun den Ozean vor uns ab. »Aber das werden wir bald sein. Har-har, ich habe gesprochen. Ihr und ich und der Rest der wichtigen Ladung.«
»Krächz!«, fügte Finnegan hinzu.
Dann wirbelte sie herum und lief zurück in das Steuerhaus der Fähre.
»Meinst du, die meint uns?«, flüsterte Ari.
»Mit der wichtigen Ladung?«, fragte ich zurück. »Kann sein …«
Vielleicht hatte die Kapitänin ja nicht unrecht. Das Schiff hatte wirklich in gewisser Weise eine wichtige Ladung an Bord. Nicht Ari und mich an sich, sondern uns alle, als Ganzes.
Diesmal hatte der Rat uns endlich ernst genommen. Diesmal vertrauten sie nicht unsere gesamte Zukunft einer hergelaufenen Bande von Zwergenkids an, die sich noch in der Ausbildung befanden. Der einzige Grund, warum überhaupt Zwergenkids an dieser Expedition teilnahmen, war Stoney. Er hatte sich geweigert, ohne uns loszuziehen. Wir waren also nur als »Felstrollkoordinatoren« dabei, und sonst kaum mehr. Das hatte Dunmor ganz offen gesagt.
Die eigentliche Ausführung der Aufgabe (also das lange verschollene Faranlegt-Amulett von Sahar zurückzuholen) würde den Profis übertragen werden. Neben Ari, Lake, Glam, Froggy, Tiki Holzkiefer (eine unserer neuen Freundinnen aus New Orleans), Stoney und mir beförderte das Schiff noch fünfundzwanzig der besten und höchstqualifizierten Zwergenkrieger der Gegenwart: zwei Elitetruppen der Wachsoldaten und der meistgefürchtete und geachtete Offizier der modernen Zwergengeschichte, Oberstleutnant Derek Donnerblume.3
Oberstleutnant Donnerblume hatte große Ähnlichkeit mit unserem alten Trainer, Buck Edelbart. Beide hassten es zu lächeln, liebten es, drohend zu starren, und verfügten über umfassende Kenntnisse in zwergischen Kampftechniken. Aber Oberstleutnant Donnerblume war größer, stärker, fitter, weniger träge und aus irgendwelchen Gründen noch wütender und gemeiner als Buck.
Ich wollte jedenfalls nie im Leben mit dem Oberstleutnant aneinandergeraten.
Um ganz ehrlich zu sein, seine Anwesenheit (zusammen mit der seiner vierundzwanzig Elitesoldaten) war ein ungeheurer Trost. Dieses eine Mal würde ich nicht das Kommando übernehmen müssen. Ich würde nicht durch einen Einsatz stolpern, der nur durch pures Glück zum Erfolg führen könnte. Eigentlich taten mir alle, die sich uns bei der Suche nach dem Amulett in den Weg stellen würden, fast schon leid. Ich war ganz sicher, dass diese Elitesoldaten jeder Herausforderung mehr als nur gewachsen sein würden. Vermutlich zum ersten Mal in meinem ganzen Leben zog ich zu einem Einsatz in der festen Überzeugung, dass alles gut gehen würde … weil ich hier für nichts verantwortlich war.
Diesmal würden unser Einsatz und die gesamte Existenz der Zwerge nicht von meinen dusseligen Patzern abhängen.
Falls ich die Sache nicht doch noch hoffnungslos in den Sand setzte.
1Segel-Ruder-Schiff Kraftschinken
2Ehe ihr jetzt in Harnisch geratet, lasst euch versichern, dass diese Bugganesen für ihre Arbeit gut bezahlt wurden. Bugganesen sind Muskelpakete mit gewaltigen Oberkörpern und einer tiefen Abneigung gegen müßiges Nichtstun – ihnen ist wirklich nichts lieber als produktive körperliche Arbeit.
3Eagan hatte in Chicago bleiben müssen. Sein neues Amt im Zwergenrat hielt ihn dermaßen in Atem, dass er nicht mehr zu irgendwelchen Einsätzen mit uns ausziehen konnte, so wichtig die auch sein mochten.
Später an diesem Nachmittag setzte ich dann die ganze Mission eigenhändig in den Sand, noch ehe sie überhaupt angefangen hatte.
»Was machst du eigentlich da unten, Cremehütchen?«, fragte Glam, als sie die Leiter zum Achterdeck hinuntersprang, dicht gefolgt von Tiki und Lake.
Dieser Teil der Fähre war besonders niedrig. Er ragte kaum über die Wasseroberfläche, denn dort hatten früher, ehe die Welt sich geändert hatte, kleinere Wasserfahrzeuge angedockt. Ich saß auf einem Klappstuhl nah am Rand und sah zu, wie meine Angelschnur sich in die Tiefen senkte, während das Wasser unter dem Schiffsrumpf dahinströmte.
»Wie sieht das wohl aus?«, fragte ich.
»Deuchet doch, dass Kumpel deiniger jenen Hecht bezwecks unbekannter Ziele aus Meer dem tiefen holet«, scherzte Lake.
»Nicht bezwecks unbekannter Ziele«, widersprach ich und packte meine lange Angelrute fester. »Ich versuche, einen Fisch zu fangen.«
»Machste aber falsch«, sagte Tiki. »Im Süden nehmen wir unsere Plorpfäuste.«
»Oh«, sagte Glam. »Fischen mit Fäusten? Klingt gut.«
»Na, wir haun die nich oder so«, sagte Tiki. »Wir nehm die Hände als Köder für Welse. Nennt man Nudeln.«
»Ha? Solch erschröcklicher Wunsch überkamet dich?«, rief Lake und musste bei dieser Vorstellung lachen. »Geballte Faust deinige sei der Köder.«
»Also, da wir uns auf einem Boot befinden, das sich auf dem Ozean bewegt, musste ich auf eine gute alte Angelrute zurückgreifen«, sagte ich.
»Schon was gefangen?«, fragte Glam.
»Das nicht«, gab ich zu. »Aber ich genieße den friedlichen Anblick.«
Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, irgendetwas zu fangen. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was ich hier machte. Aber vier Wochen auf einem sich langsam bewegenden Boot sind eine lange Zeit. Am fünften oder sechsten Tag der Reise hatte ich im Zwischendeck einen Abstellraum entdeckt, der einige alte Angelruten und anderes Gerät enthielt. Mein Dad und ich waren früher, als ich klein war, einige Male zum Angeln nach Montrose Harbor am Michigansee gefahren. Ich war immer gern an der frischen Luft gewesen, auch wenn wir nur selten etwas anderes gefangen hatten als ein paar kleine Wasserflöhe.
Seit ich den Abstellraum entdeckt hatte, hatte ich an jedem Tag der Reise mindestens eine Stunde lang geangelt. Einmal hatte sogar ein Fisch angebissen, aber er war entkommen, ehe ich ihn einholen konnte. Wie schon gesagt, ich wusste nicht so genau, was ich hier tat. Ich hatte einfach einen riesigen Plastikköder mit drei Sätzen von Dreifachhaken festgemacht und dann die Angel ausgeworfen, sodass sie hinter dem Boot hergezogen wurde. Sie fiel vermutlich tief genug, um das anzulocken, was sie möglicherweise hätte fangen können. Aber mir gefielen die relative Ruhe hier hinten und die endlosen Meere (zuerst der Pazifik, dann das Ochotskische Meer), die sich um uns herum ausbreiteten, wirklich sehr.
Ich hatte das Angeln die meiste Zeit als Gegengift zum Zustand meines Vaters betrachtet.4 Als ich in Alcatraz gefangen gewesen war, hatte Dr. Yelwarin behauptet, dass ich das Gegenmittel zu ihrem Gift niemals herstellen könnte, da drei der Zutaten schon seit vielen Jahrtausenden, seit der Zeit von Nebenerde, nicht mehr existierten.
Aber die Vorstellung, in einem lange verschollenen magischen Reich, das seit Nebenerde von der Welt abgetrennt gewesen war, nach dem Amulett von Sahar suchen zu müssen, hatte mir eine gewisse Hoffnung gemacht, dass ich dort auch diese angeblich nicht mehr existierenden Zutaten ausfindig machen könnte:
1.Drei Fingerlängen der Tafroogmash-Wurzel
2.Einen einzelnen Flügel einer Asrai-Fee
3.Sieben Blütenblätter einer giftigen Blume namens Nidiocory
Aber ich würde nicht wieder dieselben Fehler machen wie schon einmal. Diesmal würde ich den eigentlichen Einsatz nicht durch meinen selbstsüchtigen Wunsch behindern, meinem Dad zu helfen. Ich würde bei jeder Gelegenheit nach den Zutaten suchen, aber niemals auf Kosten des eigentlichen Ziels: das Amulett zu finden.
»Na, nur damit du’s weißt«, sagte Glam und hockte sich neben mich auf das Achterdeck. »Käptn Schmelzfuß hat Land voraus entdeckt. Sie sagt, wir können in wenigen Stunden Anker werfen. Also möchtest du vielleicht den Versuch einstellen, uns ein Abendessen zu fangen, und deinen Kram zusammenpacken.«
Tiki und Lake kicherten.
»Okay, okay, ich hol die Angelschnur gleich ein«, sagte ich und grinste.
Die anderen kletterten die Leiter zum mittleren Deck wieder hoch. Ich ging nicht gleich hinterher, ich wollte noch mindestens fünfzehn Minuten Ruhe und Frieden, ehe der Einsatz richtig losging. Nach sechsundzwanzig Tagen auf einem kleinen Schiff mit zweiunddreißig Zwergen, vier bugganesischen Ruderern und einem Felstroll weiß man die ruhigeren Augenblicke zu schätzen.
Vor allem jetzt, wo wir unseren Bestimmungsort fast erreicht hatten: die entlegene nordöstliche Küste Russlands.
Stoney wusste nicht, wo genau sich das Amulett befand, so wie ihr oder ich wüssten, wo auf einer Landkarte unsere Heimatstadt zu finden ist. Aber er wusste, wie man dorthin gelangte. Oder, genauer gesagt, er hatte es erklärt. »STONEY VORLÄUFER ZU LOKALITÄT VON FELS EINS MIT RELATIVER PRÄZISION. PRÄMISSE: EXKURSION EXIT GEMARKUNG TSCHUMIKAN.«
Nach stundenlangem Suchen auf alten Landkarten und in einem Satz dicker Bücher namens Enzyklopädia hatten wir endlich das gefunden, was er gemeint hatte: das winzige Dorf Tschumikan an der Küste, im Chabarowsk Krai des fernöstlichen Russland. Es war eine dicht bewaldete, spärlich besiedelte Gegend, passend zu den vagen Beschreibungen des magischen Reiches, in dem sich nach der alten Feenüberlieferung das Amulett befinden sollte. Ein Ort, den die meisten Zwerge seither einfach den Verborgenen Wald nannten.
Käptn Schmelzfuß war ziemlich sicher gewesen, uns nur mithilfe einer alten Karte aus der Sowjetzeit, der Sonne, der Sterne und des Horizonts auf wenige Meilen an Tschumikan heranbringen zu können.
Ich hoffte sehr, dass sie recht hatte, als ich meine Angelschnur einholte, um dann meine Sachen aus meiner Kabine zu holen und zu den anderen aufs Oberdeck zu gehen. Ich hatte Amerika noch nie verlassen und fand es ganz schön aufregend, den ersten Blick auf ein fremdes Land werfen zu können.
Plötzlich ruckte die Spitze meiner Angelrute nach unten. Zuerst dachte ich, der Köder sei von einer Strömung erfasst worden oder das Boot habe vielleicht sein Tempo verändert und damit den Sog beeinflusst. Aber dann tanzte die Spitze immer weiter herum, und ich wusste nun mit Sicherheit, dass am anderen Ende etwas Lebendiges zog.
Ich fing hektisch zu kurbeln an und war überrascht davon, wie aufgeregt ich war.
Mein Fang wehrte sich nicht besonders, also drehte ich einfach immer weiter an der Kurbel. Ab und zu gab es ein Zucken, aber meistens kam mir die Beute vor wie totes Gewicht. Nach einigen Minuten Kurbelei war etwas mehr als drei Meter unter dem Wasserspiegel ein kleiner grüner Fisch zu sehen. Der Haken hatte seine Lippe durchbohrt, und der Fisch war kaum größer als der Köder selbst.
»Heute Abend gibts frisches Fleisch!«, sagte ich laut, um zu üben, was ich meinen Schiffskameraden mitteilen würde, wenn ich das Oberdeck betrat und den Fisch hochhielt. Sie würden begeistert sein. In diesen ganzen Wochen auf See hatten wir vor allem geräuchertes und auf andere Weise haltbar gemachtes Fleisch verzehrt, wie Jerky, Speck, Dosenschinken und Wiener Würstchen.
Doch als sich der Fisch fast auf Reichweite genähert hatte, tauchte plötzlich aus der Tiefe darunter ein riesiger Schatten auf. Er schoss im Wasser aufwärts, schneller, als mein Gehirn das verarbeiten konnte.
Ich hielt noch immer in Schockstarre meine Angel fest, als ein gewaltiger Hai auftauchte. Er riss den Schlund auf und verschlang meinen Fisch mit einem einzigen zahnreichen Happs. Eins der glasigen schwarzen Haiaugen funkelte für einen Moment in der Sonne, ehe das riesige Tier herumwirbelte und sich in die Tiefe zurückzog.
Die Angelschnur wickelte sich jetzt in wildem Tempo ab, und ich begriff, dass der Hai soeben den Köder zusammen mit dem Fisch verschluckt hatte. Ich hielt mit aller Kraft fest, während die Angelrute sich zu einem Halbkreis verbog und die Schnur so schnell davonjagte, dass ich glaubte, Rauch zu sehen.
Aber dann, ebenso schnell, wurde die Angelschnur wieder langsamer, als der Hai offenbar eine annehmbare Tiefe erreicht hatte.
Ich beugte mich über die Heckklappe und starrte in das klare blaue Kielwasser. Die Schnur zeigte fast senkrecht nach unten, als ob der Hai direkt unter der Fähre schwamm.
Dann wurde die Schnur plötzlich schlaff und trieb in Spiralbewegungen nach oben.
Ich kurbelte einige schnelle Male, und die Schnur kam immer weiter hoch.
Zuerst dachte ich, der Hai habe entweder den Köder ausgespuckt oder die Schnur zerbissen. Aber dann hätte ich ein plötzliches Nachlassen der Spannung gespürt. Das hier war eher allmählich, fast als ob …
… als ob der Hai wieder an die Oberfläche geschwommen käme.
Diese Erkenntnis traf mich in dem Moment, in dem ich unter mir das breite Grinsen mit den dreieckigen Zähnen auftauchen und in fast unmöglichem Tempo nach oben jagen sah.
Der zwei Tonnen schwere Hai brach durch die Wasseroberfläche, als ich gerade einen Schritt zurücktrat und mit dem Hintern auf Deck fiel. Die rasierklingenscharfen, gezackten weißen Zähne schnappten ineinander, als er mir entgegenstürzte.
Nur ein Zwerg konnte es schaffen, von einem Hai gefressen zu werden, während er in einem Boot unterwegs ist.
Aber unmittelbar, ehe der riesige Haikopf auf meinen Beinen landete, explodierte der Ozean unter seinem Schwanz. Der Hai jagte plötzlich noch höher in die Luft und steckte zwischen den Kiefern eines ungeheuerlichen Meereswesens fest, das mir total unbekannt war.
Wir hatten im Monsterologie-Kurs eine Unterrichtseinheit über Wasserwesen absolviert, aber diese Bestie sah keiner von denen ähnlich, die wir durchgenommen hatten.
Das Ungeheuer hatte zwei Köpfe. Die kämpften um den über drei Meter langen Hai und rissen ihn mühelos in der Mitte durch. Als mehr von dem walgroßen Leib dieses riesigen Meereswesens auftauchte, erkannte ich voller Entsetzen, dass es groß genug wäre, um unser Boot kentern zu lassen.
Und wie aufs Stichwort wurde ich plötzlich in die Luft geschleudert.
Die Welt wurde zu einem verschwommenen Wirbel aus dunklem Wasser, blauem Himmel, Wolken und unserem Schiff, das sich um sich selbst drehte wie ein riesiger Propeller.
Dann knallte mein Gesicht gegen die kalte Meeresoberfläche. Um mich herum verschwamm alles, als Salzwasser meine Augen versengte. Ich hatte nicht mehr Atem holen können, und deshalb brannte meine Lunge bereits, als eisiges Wasser hineinströmte und mich zu verschlingen schien.
Da meine Kleider sich vollgesogen hatten, war meine gewohnte Beweglichkeit verschwunden, und ich begann, in die Tiefen des Ochotskischen Meeres zu sinken. Der Kälteschock hinderte mich an jeglichem Versuch, mich an der Oberfläche zu halten.
Das Licht über mir verschwand.
Dunkle Wolken verengten mein Blickfeld.
Ich würde genauso sterben wie meine Axt Aderlass: in einem kalten Grab auf dem Meeresgrund. Geschah mir vermutlich recht, da ich die Axt dorthin versenkt hatte. Immerhin war ich nicht von meinem besten Freund über Bord geworfen worden.
Und damit war mein Tod in gewisser Weise besser als der von Aderlass.
Was vermutlich viel mehr war, als ich verdient hatte.
4Falls ihr das vergessen hattet: Ein Elfengift namens Shawara Marar Yarda hatte meinen Dad mehr oder weniger den Verstand verlieren lassen, und das einzige Heilmittel, das sagte die Elfenärztin, die das Gift zusammengerührt hatte, war ein weiteres Gebräu aus Nebenerde.
Eigentlich hatte ich bei diesem Einsatz nur einem Felstroll Gesellschaft leisten sollen.
Aber ich hatte eine Möglichkeit gefunden, die ganze Aktion zu versemmeln, ehe sie auch nur angefangen hatte. Das Boot war gekentert, ich würde einen ziemlich unspektakulären Tod am Grund eines russischen Meeres sterben, von dem niemand je gehört hatte, und meine Freunde wurden vermutlich im selben Moment von einem Monster verschlungen, das scharf auf Zwerge war.
Eines Tages würde über mir eine Boje ausgelegt werden und an der Oberfläche des dunklen Meeres auf und ab dümpeln. Mein schwimmender Grabstein5 würde die Aufschrift tragen: Hier versank Greggdroule Sturmbauch, ein reichlich lausiger Angler, aber ein hinreichend perfekter Versager.
Oder so.
Greggdroule.
Die vertraute Stimme durchschnitt mein ertrinkendes Gehirn wie eine magische Klinge.
Aderlass?, dachte ich zurück. Carl?
Doch wie war das möglich? Entfernung beeinflusste unsere magische telepathische Verbindung, und derzeit lag die Axt auf dem Boden der San Francisco Bay. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes eine halbe Welt entfernt.
Ich schrieb das alles einem vom Nahtod verursachten Delirium zu.
Das ist kein Delirium, aber du bist so gut wie tot, wenn du nicht sofort ETWAS UNTERNIMMST, du schmieriger Knubbel!
Es war einwandfrei die Stimme von Aderlass. Oder, na ja, soweit eine Axt eben eine »Stimme« haben kann.
Ich kann es nicht fassen, dass der Zwerg, den ich mir zum Besitzer ausgesucht habe, der Auserwählte, bei einem schnöden Angelunfall ums Leben kommen soll, sagte jetzt Carl. Wenn ich gewusst hätte, was du für ein rückgratloser Gwint bist, dann hätte ich mir jemand anderen ausgesucht. Vielleicht sogar diesen einen Jungen in deinem Metallurgiekurs, der sich im vorigen Jahr aus Versehen die Hand in solidem Stahl eingeschlossen hat. Der war immerhin noch geistesgegenwärtig genug, um seine Hand in Nasebohrstellung zu bringen, ehe sie für immer erstarrte.
Aber was soll ich denn machen?, dachte ich hoffnungslos zurück, nur Sekunden von einer Bewusstlosigkeit entfernt. Ich ertrinke – bin zu tief unten, um noch an die Oberfläche zu gelangen.
Auf irgendeine Weise schaffte es meine magische Axt, in meinem Kopf zu seufzen.
Setz Magie ein, du Dussel, sagte Carl.
Ach ja, Magie!
Ich hatte fast vergessen, dass ich jetzt jederzeit Magie einsetzen konnte. Seit sie zurückgekehrt war, konnten die unter uns, die über die Fähigkeit verfügten, nach Lust und Laune Zauber legen. Wir brauchten den wirbelnden Nebel, den wir Galdervatn nannten, nicht mehr einzunehmen. Magie war jetzt überall, sie war in die Atmosphäre eingesickert, in die Elemente und in die Zellen jeglicher Lebewesen.
Mich in Stein zu verwandeln, wird mir in dieser Situation aber nicht gerade helfen, dachte ich.
Ich hoffe ja doch, dass dieser Anfall von Idiotie und Schwäche am Sauerstoffmangel in deinem Gehirn liegt, sagte Aderlass. Und nicht daran, dass du so viel dümmer geworden bist.
Wie meinst du das?
Ich spürte, dass ich davonglitt, und ich war von Finsternis umgeben.
Zwergische Magie wird nur durch die natürlichen Elemente in deiner Umgebung begrenzt, schrie Aderlass, so heftig, dass er mir einige weitere Lebenssekunden einspritzte. Du warst doch wenigstens kurzfristig auf einer Menschenschule, oder?
Ja, wieso?
Und was hast du in Chemie gelernt? Woraus besteht Wasser?
Aus Wasserstoff und Sauerstoff natürlich.
Natürlich!
Aderlass hatte recht: Ich war ein bloggurginischer Idiot!
Mit meinem letzten Rest Energie richtete ich all meine Konzentration und meinen magischen Willen auf die Sauerstoffatome, von denen ich wusste, dass sie sich im Wasser um mich herum befanden. Bei Meerwasser gibt es zudem Sodium und allerlei anderen Kram, aber bei zwergischer Magie geht es um echte Interessen und Notwendigkeiten. Es geht überhaupt nicht um das genaue Wesen der Chemie. Ich brauchte die präzise Zusammensetzung meiner Umgebung nicht zu kennen.
Plötzlich erbrach ich mit Wucht das ganze Meerwasser, das ich geschluckt hatte, und spie es wie eine überdrehte Sumpfpumpe zurück in die See. Als ich alles los war, merkte ich, dass ich gar nicht zu atmen brauchte. Ich konnte plötzlich auf geheimnisvolle Weise unter Wasser atmen und schien mir Kiemen zugelegt zu haben. Der zwergische Zauber, den ich herbeigerufen hatte, sorgte dafür, dass der Sauerstoff im Wasser direkt und ohne den Umweg über meine Lunge in meinen Blutkreislauf gelangte, wie durch Osmose.
Siehst du wohl, Greggdroule, sagte Aderlass. Worauf wartest du denn noch? Mach, dass du nach oben kommst und hilf deinen Freunden!
Ich strampelte mich zur Wasseroberfläche hoch. Jetzt, wo ich nicht mehr mit Ertrinken beschäftigt war, konnte ich schwimmen wie ein Olympiateilnehmer, und ich schoss den Sonnenstrahlen entgegen, die durch das Wasser um mich herum sickerten.
Nach, wie es mir vorkam, wenigen Sekunden brach ich durch den Wasserspiegel und atmete echte Luft tief in meine Lunge. Als ich dort auf dem Wasser trieb, brauchte ich nur einen Moment, um mich neu zu orientieren und zu sehen, wie weit ich mich von unserer Schiffbruchstelle entfernt hatte.
Die schwimmenden Trümmer und die im Wasser paddelnden Zwerge waren fast fünfzig Meter weit weg.
Aber selbst aus dieser Entfernung konnte ich sehen, dass sie Probleme hatten. Die riesige zweiköpfige Bestie, die das Schiff zerstört hatte, war noch immer anwesend und wühlte mit ihrer wuchtigen Gestalt das Wasser auf.
Ich schwamm auf das Chaos zu.
Als ich näher kam, konnte ich mir das Wesen genauer ansehen. Es sah aus wie zwei aufgequollene Seeschlangen, jede so breit wie ein Sattelschlepper, und sie schienen miteinander verknotet wie Schnürsenkel. Während die schlüpfrigen Gestalten auf dem Wasserspiegel hin und her wirbelten, sah ich, dass beide mit Flossen besetzt waren, von riesigen Rückenflossen am Schwanzende bis hin zu kleineren in Kopfnähe. Es war schwer zu sagen, wo die eine Seeschlange endete und wo die andere anfing, und ob sie überhaupt richtig zusammenhingen oder als zwei eigenständige Wesen nur miteinander verflochten waren.
Dort, wo sich die Schlangenleiber gabelten, ragten zwei lange Hälse auf, jeder gekrönt von einem eigenen Kopf. Sie sahen sich ähnlich, waren aber nicht identisch. Beide erinnerten ein bisschen an einen Alligator mit ungeheuer kurzer Schnauze. Dutzende von langen, ungleichmäßigen Zähnen zeigten wie Lanzen aus ihren klumpigen Kiefern. Einer hatte einen Bart aus züngelnden Tentakeln, der andere spitze Stacheln an den Seiten seines Gesichts.
Das Wesen (oder die Wesen?) schlängelte sich über die Wasseroberfläche auf ein besonders großes Wrackteil zu. Sieben Zwerge hockten auf einer Holzplatte und sahen das Meeresungeheuer näherkommen. Einer davon war Glam.
Sie sprang auf und forderte die Bestie mit erhobener Hand heraus.
»Versuch es ruhig, Prinzessin!«, brüllte Glam trotzig. »Ich werd dich mit einer Hand auseinanderpflücken und zerlegen und mit der anderen eine Marinade anrühren!«
Die Köpfe des Ungeheuers kreischten, als sie auf die Zwerge zuglitten.
Glams Fäuste verwandelten sich in Glam-Smash-Felsquader, aber ich wusste, sie würden das Monster kaum daran hindern können, sie allesamt mit zwei raschen Bissen zu verschlingen.
Ich schwamm verzweifelt auf sie zu und suchte nach einem Zauber, der mich schneller hinbringen würde. Aber wenn Zwergenmagie nicht auch sofortige Teleportation ermöglichte (was überaus unwahrscheinlich war), würde ich zu spät kommen. Beide Köpfe des Ungeheuers schnellten auf die Überlebenden zu, und ich war noch immer über dreißig Meter entfernt.
Aber plötzlich wirbelte die Bestie in die Luft.
Zuerst dachte ich, ich hätte vielleicht, ohne es zu wissen, einen Zauber herbeigerufen, der die Lage gerettet hatte. Aber dann begriff ich, dass es überhaupt kein Zauber gewesen war.
Stattdessen war ein zweites Meeresungeheuer von unten mit der Bestie zusammengestoßen und hatte sie dadurch aus dem Wasser geschleudert. Das zweiköpfige Schlangendings kreischte, als es durch die Luft gewirbelt wurde, und knallte dann über dreißig Meter entfernt ins Meer.
Ich sah mir jetzt den Neuankömmling an und erkannte ihn sofort aus den alten Zeichnungen im Monsterologie-Lehrbuch.
Ein Krake.
In der menschlichen Populärkultur wird der Krake oft als gewaltige Bestie dargestellt, die eher Ähnlichkeit mit einem riesigen Tintenfisch als mit irgendetwas Mythologischem hat. Aber das ist eine moderne Vorstellung und basiert auf Berichten von Seeleuten, die auf hoher See wirklich riesige Tintenfische gesehen haben.
Echte Kraken, also die von Nebenerde, sind ganz anders. Sie haben riesige Rümpfe mit gewaltigen Schwanzflossen, fast wie ein Wal, aber sie sind noch fetter und größer. Dieser Krake, zum Beispiel, war fast doppelt so groß wie ein ausgewachsener Blauwal. Außerdem hatte er einen klaffenden Schlund. Kraken benutzen eine Garnitur von rasierklingenscharfen Krallen am Ende von zwei an ihrem Bauch befestigten Tentakeln, um Beute aus dem Ozean zu fischen und sie sich unzerkaut in den Rachen zu werfen. Außerdem haben sie vier spindeldürre Beine, die sie beim Schwimmen zusammengefaltet an ihren fetten Rumpf pressen. Die Beinchen haben große Ähnlichkeit mit riesigen Krebsbeinen, sind aber knorriger.
Kurz gesagt, ein Krake sieht aus wie ein gewaltiger Walkrebs, aber mit mehr Stacheln, und tödlicher ist er auch.
Der Krake und das zweiköpfige Schlangendings rangen im Wasser und kämpften eigentlich um die Beute aus dem Schiffbruch (das heißt, wer immer hier gewann, würde die von uns fressen dürfen, die hilflos auf dem Wasser umhertrieben).
Der Kampf war nur von kurzer Dauer, weil der Krake sehr bald mit seiner riesigen Kralle dem Schlangenwesen einen Kopf abriss. Leuchtend blaues Blut sprühte in alle Richtungen, wie aus einem aus Versehen aufgedrehten Feuerwehrschlauch. Der verbliebene Kopf heulte vor Angst, tauchte unter die Meeresoberfläche und flüchtete zurück in die Tiefen.
Der Krake wirbelte nun mit seinem gewaltigen Leib zu den Trümmern herum, wo Glam und mehrere andere in blaues Blut gebadete Überlebende ihn in Schock und Horror anstarrten. Zwei Krallen glitten auf mächtigen, langen Tentakeln aus dem Wasser und schwebten über den Zwergen, wie um sie zu verspotten.
Ich musste handeln.
Zum Glück hatte ich damals im Monsterologie-Unterricht gerade aufgepasst. Deshalb wusste ich noch, dass Kraken, wenn auch theoretisch intelligenter als Fische, leicht von leuchtenden, in der Sonne funkelnden Gegenständen abgelenkt werden. Sie sind keine Tiefseewesen, sondern halten sich im Umkreis von einigen Hundert Metern vor der Küste auf, wo sie auf dem Meeresgrund hocken und das Sonnenlicht nutzen, um dicht unter der Wasseroberfläche schwimmende Beute ausfindig zu machen.
Ich zog meinen Dolch Blackout aus meinem Gürtel. Blackout besaß die Kraft, für eine kurze Zeitspanne jegliches Licht aus seiner Umgebung zu verbannen. Dieser totalen Finsternis würde dann ein gewaltiger Lichtblitz folgen.
Ich hob den Dolch und befahl ihm in Gedanken, seine Nummer vorzuführen.
Schreie, Keuchen und das Gebrüll eines wütenden und verwirrten Kraken kennzeichneten das Einsetzen der totalen Finsternis. Aber der kalte Ozean war noch vorhanden, genauso wie die Geräusche meiner Freunde und des wütenden Meereswesens, das versuchte, sie zu verschlingen.
Ich trat in der Dunkelheit Wasser, während ich Blackout in die Luft streckte. Ich wusste, dass jetzt jeden Augenblick ein grelles Licht aufleuchten würde.
Selbst durch meine geschlossenen Augenlider sah ich den enormen Blitz, als Blackout wieder Licht in die Welt entließ.
Als ich die Augen öffnete, begriff ich sofort, dass mein Plan funktioniert hatte. Das plötzlich zurückgekehrte Licht hatte den Kraken restlos abgelenkt. Er war nicht mehr kurz davor, Glam und die anderen zwischen den Wrackteilen treibenden Überlebenden zu verschlingen. Er war überhaupt nicht mehr in ihrer Nähe.
Stattdessen kam er jetzt geradewegs auf mich zugeschwommen.
5Obwohl Zwerge eigentlich nichts von Grabstätten halten. Zu den traditionellen zwergischen Bestattungsritualen gehörte das Verstreuen der Asche in der Natur, man konnte die verstorbenen Lieben jedoch auch da, wo sie umgefallen waren, verwesen und wieder zu Erde werden lassen, damit wir abermals eins mit den Elementen werden könnten.
Ich wünschte, ich könnte behaupten, mich heldenhaft verhalten zu haben.
Den Kraken mit nur einem kleinen Dolch und einer Prise Zwergenmagie besiegt zu haben, um alle zu retten.
Aber ihr kennt mich inzwischen ja besser.
Ich war geradezu erstarrt vor Panik und Ehrfurcht, als das gewaltige Meeresungeheuer auf mich zukam und dabei eine so heftige Welle auslöste, dass sie problemlos die Kraftschinken ein zweites Mal zum Kentern hätte bringen können, wenn die nicht ohnehin schon zu Trümmern zerschlagen gewesen wäre. Deshalb trat ich nur an Ort und Stelle Wasser, ohne meinen Blicke abwenden zu können.
Aus der Nähe sahen die Augen des Kraken nicht aus wie die des Hais, der versucht hatte, mich zu verschlingen. Die Haiaugen waren leere schwarze Tümpel gewesen, in denen nichts zu finden war außer einem Raubtierinstinkt mit einem eingeschalteten Überlebensprogramm. Aber die vier Augen des Kraken, zwei seitlich und zwei vorne am Kopf, kamen mir fast menschlich vor. Ich weiß, das klingt irrsinnig, vor allem, da jeder seiner Augäpfel größer war als ein kleines Auto. Sie sahen auch nicht eigentlich wie die der Menschen aus. Sie hatten riesige silberne, von verschiedenen leuchtenden Gelbtönen umringte Pupillen. Aber dennoch, als ich in die Augen des Kraken schaute, während er den Schlund aufriss und Tausende von spitzen Zähnen zeigte, um mich zu packen und in seine Speiseröhre zu befördern, hätte ich schwören können, dort ein Bewusstsein zu erkennen. Empfindungen. Vielleicht sogar Bedauern.
Aber dann sah ich nur noch einen stadiongroßen Rachen.
Und danach herrschte totale Finsternis, als er mich wie Plankton hinunterschluckte.
Nur zwei Umstände sorgten dafür, dass ich nicht gleich tot war und dass ihr jetzt das gelesen hättet, was zweifellos der kürzeste dritte Teil irgendeiner Geschichte aller Zeiten wäre.
–Ich war so klein im Vergleich zur üblichen Beute des Kraken, dass ich seinen Vorderzähnen entgehen konnte, als ich zusammen mit Tonnen von Meerwasser seine Kehle hinabgespült wurde.
–Ein winziger Rest von Instinkt schaltete sich doch endlich ein, und ich spürte, wie ich auf meiner Reise in den Magen der Bestie in Stein verwandelt wurde. Sonst hätte ich das sicher nicht überlebt, da die Speiseröhre des Kraken mit Knochensplittern von Schwertgröße gespickt war.
Ich war wieder zum Zwerg aus Fleisch und Blut geworden, als ich im matschigen Brei aus dickem Schleim und dampfenden, fauligen Fischteilen landete, der die Hauptverdauungskammer des Kraken füllte. Es war stockdunkel und die Luft war so scharf und feucht, dass sich jeder Atemzug anfühlte wie der letzte, den ich jemals aus mir hinauspressen würde. Deshalb gab ich mir alle Mühe, den Atem jedes Mal so lange anzuhalten, wie ich nur konnte.
Aber ehe ich mir über dieses Problem zu sehr den Kopf zerbrach, musste ich erst mal verarbeiten, was sich hier soeben zugetragen hatte.
Du bist von einem Wal mit Krebsbeinen verschluckt worden, das hat sich soeben zugetragen, sagte Aderlass.
Ja, weiß ich, dachte ich. Bist du in der Nähe? Kannst du unter Wasser reisen?
Ha! Das hättest du wohl gern! Stell dir nur vor, ich wäre wirklich in der Nähe! Wenn du mich vorige Woche nicht weggeworfen hättest wie alten Müll, dann könnte ich dich hier problemlos rausholen. Verdammt, wenn du mich noch hättest, wärst du doch überhaupt nicht in diesen Schlamassel geraten.
Ich wollte gerade eine geistreiche Antwort geben (nein, wirklich, ich schwöre, es wäre ein echt bissiger Spruch gewesen), aber dazu bekam ich keine Gelegenheit. Ich wurde plötzlich zur Seite geschleudert und mit krakischem Magenschleim überschüttet. Darauf folgte weiteres Gewackel, während ich mich verzweifelt bemühte, den Kopf über den Schleimspiegel zu heben, um Verdauungssäfte und zerfallende Fischinnereien von meinem Mund fernzuhalten.
Ganz offensichtlich bewegte sich der Krake überaus eilig, vielleicht kämpfte er mit irgendwem oder -was.
Ich musste hier raus, um den anderen helfen zu können. Na ja, das, und ich wollte auch keinen langsamen, qualvollen Tod sterben, indem ich von Magensäure aufgelöst wurde.
Das geht wenigstens schneller, als die Ewigkeit auf dem Meeresgrund zu verbringen, in der Nähe einer überschätzten, überteuerten, von sich selbst übermäßig überzeugten Stadt.
Ich war mir nicht sicher, ob es ein Trost war, Aderlass wiederzuhaben (zumindest im Geiste), oder ob es nervte, da er doch nur lahme Witze riss, statt einen wirklichen Rettungsversuch zu unternehmen.
Wieder schlingerte der Krake, und endlich konnte ich meinen Kopf aus dem Magenschleim lösen. Ich wischte möglichst viel davon weg, während ich in diesem stinkenden, schlammigen Magen dauernd mit Brechreiz kämpfen musste.
Das Erste, was ich für einen Ausbruchsversuch brauchte, war Licht. Schließlich hatte ich keine Ahnung, wie groß dieser Bauch war. Soviel ich wusste, hatte ich die innere Seite der Magenwand noch gar nicht berührt. Aber wie soll Licht werden, wo keins vorhanden ist?
Du könntest versuchen, einen Furz anzuzünden, regte Aderlass an.
Ha, ha.
War ja nur ein Vorschlag.
Meine eine Hand umklammerte noch immer Blackouts Griff. Aber könnten die magischen Kräfte des Dolches eine Wirkung haben, die das Gegenteil seiner üblichen wäre? Wenn ich ihn an einem Ort benutzte, wo es ohnehin schon kein Licht gab, vielleicht könnte er dann Licht erschaffen, statt es wegzunehmen?
Ich reckte den Dolch in die Luft und befahl ihm, loszulegen.
Nichts passierte.
Im Magen blieb es stockdunkel.
Ich versuchte, nicht in Panik zu geraten, denn ich wusste, dass eine Panikattacke nur noch mehr von dem ohnehin wenig vorhandenen Sauerstoff verbrauchen würde.
Schließlich gab es auch andere Methoden der Lichterzeugung. Seit ich einige Monate zuvor beim Kampf mit einem riesigen Wasserspeier meine Hose angezündet hatte, hatte ich an diesem magischen Verfahren herumgefeilt: Gegenstände in Flammen aufgehen zu lassen. Und in den vergangenen Wochen auf dem Schiff hatte ich da eine ziemliche Fähigkeit entwickelt.6
Ich konzentrierte mich auf Blackouts Schneide, wusste aber nicht so recht, ob die Magie auch bei Metall wirken würde. Zu meiner Überraschung und Begeisterung lieferte die Schneide sofort eine helle gelbweiße Flamme.
Die dann aber sofort wieder erlosch.
Ich stöhnte auf, und sofort wurde mir schwindlig. Was vermutlich daran lag, dass jetzt die letzten Sauerstoffreste im Magen verbraucht waren.
Genau, die Reste hast du verbraucht, als du dein Messer angezündet hast, du Genie, rief Aderlass.
Oh.
Wie hatte ich vergessen können, dass Feuer Sauerstoff verbrennt, so wie ein Kamel Wasser aufsaugt? Ich nehme jedenfalls an, dass Kamele eine Menge Wasser trinken. Oder waren das schon die ersten Erstickungssymptome?
Vermutlich von beidem etwas, meinte Aderlass lässig, als ob ihm mein Leben reichlich schnurz wäre.
Hilf mir!, dachte ich verzweifelt zurück.
Es kam keine Antwort, und deshalb fing ich an, mit vagen Schwimmzügen im Magen herumzufuhrwerken. Die Dunkelheit war so verwirrend, dass ich nur hoffte, mich in eine Richtung zu bewegen, statt in der stinkenden Fischpaste Kreise zu »schwimmen«. Aber ich würde das erst mit Sicherheit wissen, wenn ich das Bewusstsein verloren hätte und tot wäre, oder wenn ich die Magenwand berührte.
Sekunden später stieß meine Hand gegen eine schleimige heiße Fleischfläche. Die hatte keinen Anfang und kein Ende, als meine Hand sich über die glitschige Oberfläche bewegte. Das hier musste die innere Magenwand des Kraken sein.
In aller Eile rammte ich Blackout in die Fleischwand, und vor meinen Augen tanzten Visionen, in denen ich mir den Weg in die Freiheit aufschlitzte.
Die Klinge machte einen Schnitt und dann noch einen. Ich werkelte immer an derselben Stelle herum, bewegte den Dolch auf und ab und gab mir alle Mühe, den schleimigen Griff festzuhalten. Ich hatte das Gefühl, rein gar nichts zu erreichen, und als ich innehielt, um zu ertasten, wie weit ich gekommen war, ging mir auf, dass ich tatsächlich nichts erreicht hatte. Die Stelle, an der ich herumgeschlitzt hatte, war vielleicht dreißig Zentimeter lang und nur wenige Zentimeter tief, und schon begann sie, sich zu verändern und auf mich zuzukommen, während der Magen seinen Inhalt zur Verdauung zermahlte.
Die Magenwand des Kraken war vermutlich mindestens über einen Meter dick. Es würde Stunden dauern, mich mit einem winzigen Dolch hindurchzuarbeiten. Und Stunden hatte ich nicht – mir blieben vielleicht zwanzig Sekunden, dann würde ich vor Sauerstoffmangel ohnmächtig werden, jedenfalls, wenn ich nach meiner brennenden Lunge und meinem dröhnenden Schädel gehen durfte.
Und selbst wenn du die Magenwand zerschneidest, fügte Aderlass hinzu, dann kommt der Dolch nie im Leben durch die massiven Muskelschichten, die sie umgeben.
Und was soll ich dann machen? Einfach sterben?
Greggdroule, ich schwöre dir, manchmal könnte ich mich auch gleich mit dem Standbild einer Kuh unterhalten statt mit dir. Setz zwergische Magie ein – nutze die verplorpten Elemente um dich herum!
Meine Axt hatte recht. Warum griff ich nicht häufiger zu Magie? Ich vermute, weil ich mein ganzes Leben ohne Magie verbracht hatte, fiel es mir schwer, mich an eine neue Wirklichkeit zu gewöhnen, in der meine Möglichkeiten theoretisch nur von einer fehlenden Notwendigkeit, meiner natürlichen Umgebung und meinem Mangel in instinktiver Kreativität begrenzt waren.
Ich bemühte mich, ein letztes Mal Atem zu holen in der abgestandenen, dampfenden, von Methan erfüllten Luft, während ich gleichzeitig versuchte, festzustellen, welche möglichen Hilfsmittel sich in meiner Nähe befanden. Wenn ich mich nicht freischneiden könnte, wie sollte ich dann aus einem geschlossenen Raum entkommen?
Eine Bombe wäre vermutlich eine Lösung, aber …
Halt!