Die Letzte - Else Ury - E-Book

Die Letzte E-Book

Else Ury

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Beschreibung

Henni Paulsen hat in ihrer Klasse keinen leichten Stand. Nicht genug damit, dass sie im Unterricht kaum mitkommt – sie muss sich auch noch regelmäßig den Spott ihrer Mitschülerinnen gefallen lassen. Vor allem Margot, die Klassenbeste, macht der armen Henni häufig das Leben schwer. Doch Margot findet bald heraus, dass der Schein bei unbeliebten "Letzten" trügt – kann sie ihre Vorurteile gegenüber Henni überwinden, bevor es zu spät ist?-

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Seitenzahl: 35

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Else Ury

Die Letzte

 

Saga

Die Letzte

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726884463

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Die Zwischenpause war zu Ende.

Flinke Mädchenfüße, die noch eben gar lustig auf dem geräumigen Schulhof im Schnee herumgestampft hatten, stiegen jetzt höchst gesittet die Steintreppe zu den Klassenräumen empor. Denn Fräulein Niemann, die Oberlehrerin, hatte heute die Inspektion an der Treppe.

Aber die rosigen Mäulchen hielt selbst der ernsthafte Blick des strengen Fräulein Niemann nicht im Zaum. Das lachte und plapperte durcheinander, das steckte die blonden und braunen Köpfe zusammen in eifrigem Getuschel und biß noch einmal ganz schnell von dem Frühstücksbrot ab, das für die nächste Pause bestimmt war. Wie in einer Riesenmaikäferschachtel surrte und summte es in dem ausgedehnten roten Backsteinbau.

»Zu zweien gehen – Margot Heller, muß ich selbst die Erste erinnern!« Von einem übermütigen Kleeblatt trennte Fräulein Niemann mit energischer Hand das überzählige Blättchen.

Die braunlockige Margot, die sich nicht von ihren beiden besten Freundinnen hatte trennen können und geglaubt hatte, ungesehen hindurchzuschlüpfen, blieb mit drollig verzweifeltem Gesicht zurück. Sie mußte jetzt warten, bis wieder irgendwo die gesetzwidrige Dreizahl auftrat und sie eine Gesellin bekam. Aber merkwürdig – wo eben noch drei lachende Mädchenköpfe nebeneinander sichtbar gewesen, war der eine jetzt ganz sicher verschwunden; paarweise, wie es die Schulregel vorschrieb, knicksten die Schülerinnen an Fräulein Niemann und ihrer kleinen Arrestantin vorüber.

Margot stand wie auf Kohlen. Als Klassenerste hatte sie noch verschiedene Pflichten vor der Stunde zu erfüllen. Das Ordnungsbuch und die für die Rechenstunde notwendigen Lehrbücher auf das Katheder zu legen, nachzusehen, ob die Wandtafel unbeschrieben war, und für Ruhe in der Klasse zu sorgen. Das würde ohne sie ein schöner Lärm sein, wenn Herr Doktor Wilke etwa vor ihr die Klasse betrat.

Immer noch kein drittes Anhängsel – wie eine lange, endlose Schlange zogen die Mädchenpaare vorüber. Ob sie Fräulein Niemann bitten sollte, sie aus ihrer Haft zu entlassen?

Entschlossen hob Margot das frische Gesicht mit den strahlenden Blauaugen zur Lehrerin empor. Nein – Fräulein Niemann sah doch zu streng und unnahbar aus, das sonst ziemlich kecke Mädel wagte keine Anrede.

Endlich Schluß. Henni Paulsen, die Letzte aus Margots Klasse, die man stets allein für sich sah, schlich auch hier als Letzte still hinter den anderen her.

»Da ist ja noch eine für dich übrig, so, Margot Heller, daß ich dich nicht wieder als Dritte antreffe.« Fräulein Niemann schritt ihrer Klasse zu.

Margot warf der blassen Henni einen bitterbösen Blick zu, als ob diese etwas dafür könne. Es war aber auch eine Blamage! Sie, Margot Heller, die jetzt schon ein ganzes Jahr lang den ersten Platz behauptete, war dazu verurteilt, mit der Letzten zu gehen. Mit dieser langweiligen Tranrike, die selbst im Gehen zu schlafen schien! Kaum war Fräulein Niemann hinter der Klassentür verschwunden, als Margot ihre aufgedrängte Begleiterin ohne weiteres im Stich ließ und wie gehetzt die jetzt vereinsamt daliegenden Treppen hinaufjagte. Es gelang ihr, noch gerade vor Herrn Doktor Wilke die vierte Klasse zu erreichen.

Henni Paulsen, deren schmales, bleiches Gesicht eine leise Röte überzogen hatte, als Margot Heller, die Königin der vierten Klasse, neben ihr hergeschritten war, folgte langsam; fast noch langsamer als zuvor, so, als ob jeder Schritt ihr schwer würde, als ob sie ihn lieber herunter als hinauf gemacht hätte.

Doktor Wilke, der Ordinarius, der schon beim Eintritt ungehalten über die Lebhaftigkeit seiner Klasse gewesen war, sah unwillig auf, als sich die Tür noch einmal öffnete.

»Henriette Paulsen« – Namensabkürzungen existierten für Herrn Doktor Wilke nicht – »wirst du dich denn nie an Pünktlichkeit und Ordnung gewöhnen?«

Henni schlich mit gesenkten Blicken auf ihren letzten Platz. Tränen brannten ihr in den Augen, denn sie hatte es wohl gesehen, wie die ganze Klasse gelächelt und gekichert hatte über den häßlichen Namen Henriette, mit dem der Ordinarius sie aufzurufen pflegte.